Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 57 - Jonny Kent - E-Book

Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 57 E-Book

Jonny Kent

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Beschreibung

Da, wo von Salina die alte Overlandstreet nach Greatbend führt, befindet sich am Nordufer des Cheyennebottom-Sees Mustang City. Jack Farland will hier wegen eines Unwetters nur kurz Station machen. Aber dann soll alles ganz anders kommen. Der Ohioman wird in eine tödliche Fehde zwischen einem skrupellosen Großrancher und einem kleinen Farmer verwickelt. Und plötzlich liegt das Leben des Farmers in Farlands Händen. Natürlich will er helfen, dafür müsste er aber vorgeben, ein ehrenwerter Richter zu sein. Und alles im Ohioman sträubt sich gegen diesen schwerwiegenden Betrug ...

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Inhalt

Cover

Mustang City

Vorschau

Impressum

Mustang City

Von Jonny Kent

Da, wo von Salina die alte Overlandstreet nach Greatbend führt, befindet sich am Nordufer des Cheyennebottom-Sees Mustang City. Noch in den Neunzigerjahren ist die Stadt in den Annalen von Kansas vermerkt. Sie wurde nicht wie so viele der Kistenholzstädte des alten Westens durch einen Brand zerstört, sondern sie fand ein Ende, das kaum weniger grausig war: Anfang des Jahrzehnts brach eine lebensgefährliche Seuche über sie herein, die mehr als die Hälfte ihrer Bürger dahinraffte. Daraufhin flüchteten die restlichen Bewohner und ließen die Stadt leer stehen. Aber die alten Häuser hielten mit enormer Zähigkeit allen Witterungseinflüssen stand ...

Noch ein ganzes Menschenalter später konnte man am Seeufer, die Ruinen der inzwischen verlassenen Stadt sehen.

Zu der Zeit aber, zu der unsere Geschichte spielt, und das war dreiundzwanzig Jahre vorher, war Mustang City eine schöne, aufstrebende Stadt.

Der Regen rann schon seit Tagen aus schwarzgrauen Wolken aufs Land nieder. Von den Vorbaudächern goss es wie aus Eimern, und vor den Gehsteigen hatten sich fingertiefe Regenrillen in den harten Sand der Straße gefressen.

Man hätte meinen können, dass der Regen sämtliches Leben in Mustang City ausgelöscht hatte.

Aber das war ein Irrtum: Niemals hatte das Herz der Stadt stärker geschlagen als an diesem Tag. Drüben im Jail von Sheriff Henderson saß der Farmer Lee Hunter; er sollte bei Sonnenuntergang sterben.

Basil Rakoff, der Inhaber des City Hotels, das dem Sheriff's Office und dem Jail gleich gegenüberlag, stand hinter den dünnen Gardinen seiner Hotelhalle und blickte auf die Straße hinaus. Der dichte Regen verhinderte aber einen klaren Blick nach draußen.

»Bei Sonnenuntergang«, murmelte der grauhaarige Wirt vor sich hin.

Der Mann drüben an der Bartheke, der damit beschäftigt gewesen war, Gläser zu spülen, hielt in der Arbeit inne, hob den Kopf und meinte: »Wenn man es richtig nehmen wollte, Boss, müsste Holyoke warten, bis die Sonne wirklich untergeht. Heute wird er es kaum erleben.«

»Ja«, entgegnete Rakoff, wandte sich um und kam auf die Bar zu. Dann ließ er sich einen Whisky geben, kippte ihn die Kehle hinunter und schnarrte: »Nehmen Sie sich auch einen, Jim. Das ist ja ein ganz fürchterliches Wetter heute. Keinen Hund möchte man vor die Tür jagen. Und da will er Hunter hängen lassen.«

Der gefürchtetste Mann im ganzen County war der große Viehrancher But Holyoke. Er hatte mit seinen Brüdern Alec und Sid fünf Meilen nordöstlich der Stadt eine große Viehranch, auf der ein Dutzend Cowboys arbeiteten.

Viele Tausend Rinder, die an den Hängen der Gloves weideten, waren sein Eigen, ebenso das Land, das bis an die Stadt grenzte.

Obgleich Holyoke erst sechsunddreißig war, schien es den Bürgern von Mustang City doch so, als hätte es ihn schon seit einem halben Jahrhundert gegeben. Es war nicht Respekt, den die Bürger vor ihm empfanden, sondern echte Furcht.

Der reiche Viehzüchter tyrannisierte jeden, mit dem er in Berührung kam. Auch Leute, mit denen er nicht direkt zu tun hatte. Und wenn er etwas hasste, dann waren es die Small-Rancher, die sogenannten Farmer, die in die Nähe des Weidelandes kamen und da zu siedeln versuchten.

Es scherte Holyoke einen Dreck, ob sie das Land nach dem Heimstättengesetz rechtmäßig erworben hatten, ihre guten Dollars dafür gaben, Steuern zahlten und die gleiche Existenzberechtigung besaßen wie er selbst.

Er duldete einfach niemanden neben sich, wähnte, dass ein breiter Gürtel von Land zwischen seiner Weide und der nächsten Ranch liegen müsste. Ein Stück Niemandsland gewissermaßen. Ein Traum, den nur ein rigoroser Fantast hegen konnte.

Der Farmer Lee Hunter war vor Jahresfrist mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen Dave und Cass nach Mustang City gekommen und hatte sich am Westrand der Holyoke-Weide angesiedelt.

Er hatte das Land durch das Heimstättengesetz erworben und war glücklich, dass er nach jahrelangem Suchen endlich eigenen Boden bekommen hatte. Er und seine beiden Söhne hatten bisher als Cowboys auf großen Viehranches gearbeitet und jeden Cent gespart; als sie nach Mustang City kamen, glaubten sie, endlich aufatmen zu können.

Aber sie hatten nicht mit Holyoke gerechnet. Der rücksichtslose Rancher machte Hunter schon am ersten Tag, als der sein Haus auf dem neuen Land absteckte, persönlich einen Besuch, dachte dabei aber nicht einmal daran, aus dem Sattel zu steigen, sondern herrschte den Eindringling, wie er ihn bei sich nannte, grob an: »Lassen Sie sich gar nicht erst hier nieder, Hunter. Daraus wird nichts!«

Hunter hatte sich um diese und um weitere Drohungen nicht geschert, sondern hatte sein Haus und seine Stallungen aufgebaut, und nachdem er sah, worauf es hier hinauslief, auch einen Weidezaun gezogen.

Wenige Tage nach Fertigstellung des kleinen Farmhauses und der Anbauten bekam Hunter den Besuch des Sheriffs. Der erklärte ihm, dass er wegen Landfriedensbruchs angezeigt worden wäre.

Als den aus England stammenden Farmer auch diese Nachricht nicht beeindruckte, griff Holyoke zu krasseren Mitteln. Er schickte an einem Vormittag, an dem die beiden Söhne des Farmers nicht auf dem Hof waren, Sheriff Henderson und dessen Vertreter, den alten Jim Flegger, zu Hunter, um ihn festnehmen zu lassen. Damit der Farmer keinen Versuch unternehmen konnte, sich zur Wehr zu setzen, hatte Holyoke seinen Bruder Alec und sieben Cowboys mitgeschickt.

Die Festnahme des Farmers schlug in der Stadt wie ein Blitzschlag ein. Zwar wagte niemand, etwas laut zu sagen, aber die Panik der Bürger war deutlich zu spüren. Zumal But Holyoke auf einem großen Schild hatte bekannt machen lassen, dass der Gefangene von ihm des Landraubes, des Viehdiebstahls und der Verschmutzung einer der wenigen Wasserstellen bezichtigt würde. – Holyoke hatte den Bürgern von Mustang City erklärt, dass der Small-Rancher Hunter mit dem Sinken der Sonne hängen würde.

Doch Henry Carter, ein grauhaariger Riese, den Basil Rakoff vor einem Jahrzehnt hatte bewegen können, sich in der Stadt niederzulassen, da Mustang City einen Arzt brauchte, war, nachdem er von der Bekanntgabe gehört hatte, auf den Bock seines kleinen zweirädrigen Wagens gestiegen und hinaus zur Ranch gefahren.

Die Holyoke-Ranch war eine gewaltige Viehfarm. Ein Hof, der wie ein riesiger Marktplatz wirkte, der gesäumt war von einem Dutzend großer Bauten und umschlossen von einer starken Palisade, die ihn gegen die Außenwelt abschirmte.

Das Ranchtor stand offen, und der blonde Cowboy, der Wache hatte, tippte grüßend an den Hutrand, als er den Arzt erkannte.

Carter lenkte seinen Wagen vor den winzigen Vorgarten, der von einem grünen Zaun umgeben war und zu dem zweigeschossigen Ranchhaus gehörte. Er nahm das Bleigewicht, hängte es an den Zügel und konnte sich sicher sein, dass sich der Gaul nicht von der Stelle bewegen würde. Dann bückte er sich nach der Gartenpforte, öffnete sie und schritt über den kleinen, mit weißem Kies bestreuten Weg auf die Veranda des Ranchhauses zu.

Ein junger Mensch mit blassem Gesicht, harten Wangenknochen und schiefergrauen Augen trat in diesem Augenblick aus der Haustür und blieb bei seinem Anblick stehen. Er rollte die Spitzen seiner weißen Stiefel nach innen, wippte auf den Zehen und meinte mit krächzender Stimme: »Ah, sieh da, der Knochenflicker ist gekommen. Was wollen Sie denn, Doc? Ist etwa jemand krank bei uns? Ich will nicht hoffen, dass sich einer der Kuhtreiber einfallen lässt, eigens den Knochenflicker kommen zu lassen.«

»Ich möchte mit Ihrem Bruder sprechen, Sid«, erklärte der Arzt.

»Augenblick, so geht das nicht. But hat jetzt keine Bauernsprechstunde«, entgegnete der Bursche frech.

Der Arzt, der ihn um halbe Haupteslänge überragte, ging vorwärts, schob ihn mit seiner prankenartigen Rechten zur Seite, stieß die Tür auf und betrat die Halle.

Sid, der ihm gefolgt war, bellte mit kreischender Stimme: »But!«

Im Hintergrund der Halle flog eine Doppeltür auf. In ihrem Rahmen stand ein langer, sehniger Mensch, dessen Gesicht die Merkmale von Sid Holyokes Gesicht noch stärker trug: blasse Haut, stark ausgeprägte Wangenknochen und tief in den Höhlen liegende graue Augen. Sein Haar wirkte wie gerupft, war aschblond, und sein ganzer Schädel erinnerte an einen Raubvogelkopf.

Er trug eng anliegende Levishosen, die in den hohen Schäften seiner Texasstiefel ausliefen. Um die Hüften hatte er einen breiten Doppelgurt mit zwei Revolvern; sein Hemd war weiß und seine Weste aus braunem Leder.

»Carter?«, schnarrte er mit einer heiseren Stimme. »Was wollen Sie denn?«

»Ich muss einen Moment mit Ihnen sprechen, Holyoke.«

»Ich habe aber jetzt keine Zeit.«

»Dann werden Sie sich eben Zeit nehmen.« Sid, der sich an dem Arzt hatte vorbeidrängen wollen, krächzte: »He, der nimmt sich aber eine Menge ›raus, But. Das sollten wir uns nicht gefallen lassen. Wie kommen wir denn dazu, uns von einem Knochenflicker ...«

»Halt's Maul!«, herrschte But seinen Bruder an, wartete, bis der Arzt auf ihn zugekommen war, und ließ ihn, ohne einen Zoll zur Seite zu treten, an sich vorbei in seinen Arbeitsraum gehen.

Als der die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb er vor der Schwelle stehen, blickte zu Carter hinüber und schnarrte: »Was wollen Sie, Doc?«

»Es ist wegen Hunter ...«

»Dann ist unser Gespräch schon beendet«, unterbrach ihn der Rancher und ging mit großen Schritten auf einen gewaltigen Schreibtisch zu, der mit einer Menge Papierkram bedeckt war. »Wie Sie sehen, habe ich nicht die mindeste Zeit, mich hier jetzt über diese Dinge zu unterhalten. Wir sind bei der Viehzählung und ...«

»Es interessiert mich nicht, wobei Sie sind, Holyoke, und auch nicht, ob Sie Zeit haben. Ich habe gesagt, dass ich mit Ihnen über Hunter sprechen will.«

»Da gibt's nichts mehr zu besprechen. Der Mann ist ein Viehdieb!«

»Möglich ...«

»Außerdem hat er Landfriedensbruch begangen, und dann hat dieser elende Ziegenmelker eine gute Wasserstelle von seinen Tieren zertrampeln lassen. Sie werden doch nicht glauben, dass ich so etwas hinnehme. Wo käme ich denn da hin? Gegen solche Kreaturen muss man sich zur Wehr setzen. Da muss ein Exempel statuiert werden, und zwar mit entschiedener Härte.«

»Ich bin gekommen«, entgegnete der Arzt unbeirrt, »um mit Ihnen darüber zu sprechen, Holyoke.«

»Da gibt's nichts mehr zu besprechen. Außerdem habe ich jetzt keine Zeit. Halten Sie mich nicht auf, Carter.«

»Was Sie da machen wollen, Holyoke, ist Lynchmord.«

Der Viehzüchter warf seinen Raubvogelschädel hoch.

»Sind Sie verrückt? Was fällt Ihnen ein?«

»Es ist Lynchmord. Ich bleibe dabei. Sie haben kein Recht, einen Mann zu hängen.«

»Ja, was fällt Ihnen denn ein, verflucht noch mal! Ich habe schon immer zum Mayor und zum Sheriff gesagt, dass ich ganz gern wüsste, wo man Sie aufgegabelt hat. Mir scheint, Sie haben nicht die mindeste Ahnung ...«

»Es geht hier nicht um die Ahnung, die ich habe, sondern um das Recht, Holyoke. Und ich spreche Ihnen dieses Recht ab. Wenn Sie dem Mann eine Schuld anlasten wollen, dann haben Sie gefälligst abzuwarten, bis ein Richter den Fall geprüft hat.«

»Wozu brauche ich einen Richter? In diesem Land bin ich mein eigener Richter.«

»Ja, ich bin überzeugt, dass Sie sich das wünschten.«

»Ich lasse Sie von meinem Hof hetzen, Mensch!«, herrschte ihn der Viehzüchter mit gefletschten Zähnen an.

Aber der Arzt blieb stehen.

»Ich werde gleich gehen, Holyoke. Aber nicht, bevor ich Ihnen gesagt habe, dass Sie das Recht nicht mit Füßen treten werden. Sie haben zu warten, bis der Richter, den der Stadtrat von Mustang City angefordert hat, eingetroffen ist.«

Da stützte Holyoke seine Rechte auf den Tisch, kniff das linke Auge zusammen und hatte plötzlich ein zynisches Lächeln in seinem harten Gesicht.

»Ich weiß, Carter, dass die Bürger hinter meinem Rücken einen Schrieb an den County-Richter losgelassen haben. So etwas entgeht mir nicht. Sie brauchen sich nichts vorzumachen. Ich habe mich in keiner Weise des Rechtsbruchs schuldig gemacht, denn wie Sie sehen, habe ich genügend Zeit verstreichen lassen, um dem Richter eine Chance zu geben, herzukommen. Da das aber nicht geschehen ist und die Frist heute Abend abläuft, wird Hunter hängen.«

»Sie können die Frist nicht bestimmen, Holyoke, in welcher ein Richter hier eintreffen muss. Der Richter von Greatbend ist krank. Jeder weiß das. Deshalb ist eine Benachrichtigung an den Oberrichter nach Hutchinson gesandt worden. Sie müssen also die Frist verlängern.«

»Ich denke nicht daran. Heute Abend bei Sonnenuntergang wird der Verbrecher am Galgen baumeln. So long, Dr. Carter.«

Schnaubend wandte sich der grauhaarige Arzt ab, stampfte durch die Halle, und als er die Haustür verließ und auf die Veranda trat, lehnte Sid neben der Tür und lächelte hämisch hinter ihm drein.

Immer noch goss es wie aus Kübeln.

Der Mann, der in einer der fünf Zellen des Gefängnisses von Mustang City steckte, stand an die Gitter gelehnt und blickte zu dem winzigen Fenster hinauf, das mit schweren Gittern versehen war und nur eine schmale Spur des hoffnungslos grauen, verregneten Himmels zeigte.

Lee Hunter hatte keine Hoffnung mehr. Nachdem weder seine Frau noch seine beiden Söhne Dave und Cass zu ihm gelassen worden waren, hatte er versucht, mit dem Bürgermeister in Verbindung zu treten. Aber auch das war vereitelt worden.

Holyoke hatte Sheriff Henderson und dem Deputy strengstens untersagt, irgendjemanden zu dem Gefangenen zu lassen.

Ein hartes, anstrengendes Leben lag bis zu diesem Tag hinter Lee Hunter. Er war so glücklich gewesen, als er den Boden hier erwerben konnte. Mit zweiundzwanzig Jahren war er aus England gekommen und hatte dreiundzwanzig weitere Jahre gebraucht, um das Geld für den Bodenkauf zusammenzubringen; seine Frau und seine beiden Söhne hatten ebenfalls nur dafür gelebt und gearbeitet. Und nun sollte alles mit einem Schlag zu Ende sein – nur weil ein Raubrancher etwas dagegen hatte, dass er sich an seiner Grenze niederließ.

Hunter war, als er hierherkam, vor Holyoke gewarnt worden. Aber da er schon ein so hartes Leben hinter sich hatte, war er der Ansicht gewesen, auch dies hier überwinden zu können.

Er hatte sich bei dem rigorosen Viehzüchter jedoch böse verrechnet.

Nebenan, im Golden Girl Saloon standen einige Männer an der Theke, die in regennassen Kleidern steckten. Es waren Leute, die in der Sägerei arbeiteten und gerade hier mit ihrem Wagen vorbeigekommen waren. Der Wagen stand draußen unterm Vordach.

»Wie sieht's aus, Bill?«, wandte sich einer der Sägearbeiter an den Salooner. »Gibt es noch irgendeine Chance für Hunter?«

»Kaum«, entgegnete der Wirt rau. »Die Chancen stehen eins zu hundert, dass der Richter noch kommen wird. Zu weit ist der Weg hinunter nach Hutchinson.«

Der Sägearbeiter spannte seine Rechte um das Glas, setzte es dann aber hart auf die Theke zurück.

»Schlecht kann einem werden, wenn man darüber nachdenkt. Es ist eine Gemeinheit. Lynchmord ist das!«

»Tu mal was dagegen«, krächzte der Wirt.

Das war es ja eben: Wer wollte etwas dagegen tun? Die Macht der Holyokes war zu sehr gefürchtet im County; zu groß war die Angst vor dem rücksichtslosen Viehzüchter und seiner wilden Crew.

Niemals hatte es landau, landab eine wildere Mannschaft gegeben als die von der Holyoke-Ranch. Was diese Männer sich herausnahmen, grenzte schon an Wegelagerei – und die Leute, die Holyoke um sich geschart hatte, waren entsprechend alles andere als Chorknaben.

Es hieß beispielsweise von seinem Vormann Curie Abbott, dass er zehn Jahre seines Lebens in einem Straflager abgesessen hätte, ehe er in diese Gegend gekommen und von Holyoke eingestellt worden war.

Vor allem aber war es ein fahlgesichtiger Bursche namens Racine, den die Leute in der Stadt fürchteten.

John Racine hatte so gut wie gar nichts von einem Cowboy an sich, und jeder in Mustang City war davon überzeugt, dass er von Holyoke als Leibwächter engagiert worden war.

Der Rancher hätte das allerdings gar nicht nötig gehabt, denn seine beiden Brüder, der achtundzwanzigjährige Alec und der dreiundzwanzigjährige Sids waren weiß Gott Leibwächter genug für ihn.

Die Sägewerksarbeiter hatten ihre Drinks bezahlt und gingen zur Tür.

Plötzlich aber blieb der zweiundfünfzigjährige Dan Porter stehen, stieß seinen Kameraden Jeff Longfield in die Seite und deutete mit dem Kopf auf die Straße.

Im peitschenden Regen war mitten auf der Main Street ein Reiter aufgetaucht.

Es war ein sehr großer, breitschultriger Mann, mit einem dunklen, sonnengebräunten Gesicht, in dem ein smaragdfarben flimmerndes Augenpaar stand. Unter der Krempe des regennassen Hutes blickte strähniges Blondhaar hervor.

Er trug einen weiten Regenumhang, musste aber dennoch nass bis auf die Haut sein. Auch der braune Wallach, in dessen Sattel er saß, war dunkel vor Nässe.

Der Reiter hielt vorm Hotel an, stieg vom Pferd, zog den Braunen aus dem Regen unter das Vordach, warf die Zügelleinen um den Querholm und schwang sich dann auf den Vorbau.

Dort schüttelte er den Regenumhang aus, nahm ihn über den Arm, schlug auch die Nässe aus dem Hut und öffnete die Tür zur Hotelhalle.

Das City Hotel war ein zweigeschossiger, ziemlich gewaltiger Holzbau. Die Eingangshalle war übertrieben groß. Hier gab es gleich die Bar und die Rezeption. Eine breite Treppe führte nach oben zu den Hotelzimmern.

An der Rezeption stand Rakoff selbst, der Hotelbesitzer. Er hatte sich gerade seinen Zigarrenstummel noch einmal angezündet und zu dem Keeper an der Bar hinübergesehen, als er sagte: »Wenn ein Mann an einem solchen Tag sterben muss, dann ist es besonders schlimm.«

»Ja, Boss, ich stelle es mir auch besonders schlimm vor«, hatte der Keeper geantwortet.

»Die Chance, dass der Richter noch kommt, ist so gut wie verflogen. In diesem Wetter bringt man keinen Hund vor die Tür, geschweige denn einen Richter auf den Weg. Er müsste hinauf nach Salina fahren, aber die Kutsche, die von Salina nach Greatbend fährt, ist schon vorbei. Und in den Sattel wird man so einen Mann bei einem solchen Wetter ja wohl kaum bringen.«

»Tja, die nehmen es mit ihrer Pflicht eben nicht so genau«, fand der Keeper.

»Mein Vater hat immer gesagt«, erwiderte Rakoff, während er noch einmal versuchte, eine Flamme in das verkohlte Ende seiner Zigarre zu ziehen, »dass man niemals verzweifeln soll. Aber hier in dieser Stadt lernt man das Verzweifeln rasch.« Sie sprachen von Holyoke und nannten seinen Namen doch nicht. So war es seit Langem. Niemand wagte es, ein lautes Wort über ihn verlauten zu lassen.

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und der Mann aus dem Regen betrat die Hotelhalle. Das Wasser troff nur so von ihm herunter. Er blieb einen Moment auf der Kokosmatte an der Tür stehen und blickte zu den beiden Männern hinüber.

Rakoff starrte ihn an wie ein Gespenst. Auch der Keeper vermochte den Blick nicht von ihm zu wenden.

Der Fremde war von imposanter Größe, hatte breite Schultern und einen mächtigen Brustkorb. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und ein dunkles Kattunhemd. Alles an ihm wirkte dunkel. Es war der Regen, der alles an ihm durchnässt hatte.

»Evening«, sagte er mit einer dunklen Stimme und fügte dann hinzu: »Gibt's noch ein Zimmer?«

Da kam Leben in die Gestalt des Hotelbesitzers. Er ging um sein Pult herum, kam dem Fremden rasch entgegen, deutete eine Verbeugung an und sagte: »Aber natürlich, kommen Sie nur herein. Das ist ja – ich meine – wir hatten schon nicht mehr mit Ihnen gerechnet.«

Der Fremde blickte ihn kurz an und ging dann neben ihm her auf das Rezeptionspult zu.

Rakoff, der trotz seines Gewichts eine enorme Flinkheit bewies, war um das Pult herumgelaufen, zog den Schlüssel mit der Nummer vom Brett und schob ihn dem Fremden hin. Dann fragte er: »Dürfen wir Sie zu einem Drink einladen?«

Der Fremde zog die Schultern hoch.

»Tja, wenn Sie meinen.«

»Und ob ich das meine. Bitte, nehmen Sie einen Scotch, damit Sie den Regen auch innerlich abschütteln können.«

Nachdem der Mann den Drink genommen hatte, nickte er.

»Vielen Dank, war nicht schlecht.«

»Jim, Sie sollten unserem Gast noch einen einschenken, denn auf einem Bein kann ein Mann nicht stehen.«

Der Fremde war vor dem Gästebuch stehen geblieben, das aufgeschlagen auf der Rezeption lag, und griff nach dem Federhalter.

»Aber das hat doch gar keine Eile, Mister«, versicherte Rakoff.

Doch schon hatte der Fremde die Feder tief in die Tinte gestoßen und setzte sie aufs Papier. Mit harter, steiler Schrift schrieb er seinen Namen: Farland, Jack.

Der Hotelbesitzer warf einen raschen Blick auf den Namen, nickte, rieb sich die Hände und meinte: »Das ist gut. Es ist wirklich gut, dass Sie gekommen sind, Mr. Farland. Ich werde sofort nach Ihrem Pferd sehen lassen. Sie können schon nach oben gehen.«

»Vielen Dank«, antwortete der Ankömmling, warf noch einen verwunderten Blick zurück auf den Keeper und ging dann langsam mit schwerem Schritt die Treppe hinauf.