Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 42 - Jonny Kent - E-Book

Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 42 E-Book

Jonny Kent

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Beschreibung

Yellow City ist eigentlich eine Stadt wie jede andere im Wilden Westen, bis plötzlich mitten im Inferno eines gewaltigen Schneesturms ein Mann auftaucht, der sich als Richter Calahan vorstellt. Sein autoritäres Auftreten und erstaunliches Wissen über die Steuersünden der Geschäftsleute versetzen die Bewohner in Panik. Als wenig später der rechtschaffene Jack Farland Zuflucht in Yellow City sucht, gerät er mit Calahan und seinen Männern in Konflikt. Da hilft auch tapferes Kämpfen nicht, denn die Übermacht an Deputys ist einfach zu groß, und der Jurist verurteilt ihn schließlich ohne Prozess wegen Mordes zum Tode ...

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Inhalt

Cover

Er kam mit dem Blizzard

Vorschau

Impressum

Er kam mit dem Blizzard

Von Jonny Kent

In der Nacht, in der es geschah, lag Yellow City still und friedlich da. Niemand ahnte, was die hereingebrochene Dunkelheit der Stadt bringen würde.

Geoffrey Armstrong saß oben in seiner Wohnung am Schreibtisch und korrigierte im grün abgeschirmten Schein der Kerosinlampe die mit Tinte geschriebenen Aufsätze seiner Schüler. Als Thema hatte der Lehrer gewählt: »Wann ich mich beherrscht habe!« Es war geradezu skurril, was die Boys dazu geschrieben hatten. Einer, der kleine Porter, dessen Vater unweit der Stadt eine große Ranch besaß, hatte sich nicht kopfscheu machen lassen. Drei ganze Zeilen standen auf dem Papier: »Als unser Lehrer sagte, dass wir einen Aufsatz schreiben müssten, trat mir mein Nachbar, der dicke Jimmy Peabody, auf den Fuß. Da habe ich mich beherrscht.«

Ein Lächeln kroch über das müde Gesicht des Lehrers. Er fuhr sich mit der Linken über die faltige Stirn durch sein kurz geschorenes, stoppeliges grauschwarzes Haar und wurde durch ein Kichern seiner Frau, die am Fenster saß, aufgeschreckt.

Milly Armstrong war mit ihren vierundzwanzig Jahren ein wenig zu jung für den 53-Jährigen, und der Lehrer hätte sie vielleicht damals gar nicht genommen, wenn nicht ausgerechnet der protzige Jeff Cody so hinter ihr her gewesen wäre.

Cody war ebenso alt wie der Lehrer. Milly aber hatte sich für den schlankeren Schulmeister entschieden. Aber sie machte ihm allerlei Sorgen, die lebenshungrige Frau. Jetzt saß sie am offenen Fenster und sagte, während sie die Luft geräuschvoll einsog: »Das war eben Norman Blitterswyk.«

Der Lehrer zog die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe dich nicht, wie meinst du das?«, fragte er.

»Norman Blitterswyk ist eben aus dem Laden gekommen.«

Die Lehrerfamilie wohnte über Buster Curry's Barbershop, dem Laden des Barbiers. Es schien so, als ob die Lehrersfrau es gar nicht nötig hatte, sich hinauszubeugen, um die Leute zu sehen, die Curry aufsuchten. Sie roch es förmlich! Jedenfalls behauptete sie das.

Armstrong nahm den Klemmer von der Nase und beobachtete seine Frau von der Seite. Sicher, sie sah noch so hübsch aus wie vor drei Jahren, als er sie zum Altar geführt hatte, wenn man davon absah, dass sie ziemlich dick geworden war. Im Übrigen würde er sich diesen Norman Blitterswyk einmal näher ansehen.

Armstrong schloss die Augen. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er seit drei Jahren nichts anderes tat, als sich die Männer der Stadt näher anzusehen, von denen er befürchtete, dass seine Frau sich für sie interessierte. Vor allem war da Frank Holman, der Sohn des Mietstallbesitzers, von dem er befürchtete, dass er seiner Frau nachstellte. Seufzend setzte er den Klemmer wieder auf und machte sich an die Arbeit.

Es war schon schwer mit seiner jungen Frau. Er hätte doch auf Pastor Milgram hören sollen, der ihm geraten hatte, lieber eine Frau zu nehmen, die etwas älter – und vor allem etwas ruhiger war. Da wäre damals etwa die dunkelhaarige Berni Hattaway gewesen, die »nur« siebzehn Jahre jünger war als er, und vielleicht hätte das stille, brave Mädchen besser zu ihm gepasst. Aber er hatte dem Protz drüben die blutjunge Milly nicht gegönnt.

Direkt gegenüber stand Dan Rutherforth im Hof hinter seiner Holzhandlung und blickte mit bösen Augen zu dem nebenan liegenden Schmiedehof hinüber, wo Joe Potter, der Blacksmith, geräuschvoll damit beschäftigt war, Eisenstücke aufeinanderzustapeln.

Der Holzhändler hasste den Schmied seit dem Tag, an dem Potter dem schwarzen Hengst von Rutherforths Frau den neuen Beschlag gegeben hatte. Vor fünf Jahren war das gewesen, und am selben Tag war Mary Rutherforth vom Pferd gestürzt. Wochenlang hatte sie das Bett hüten müssen, doch dann hatte sie der Doc wieder so zusammengeflickt, dass sie den Unfall eigentlich hätte vergessen müssen. Aber sie hatte ihn nicht vergessen, sie nicht und auch ihr Mann nicht. Sie machten den Schmied dafür verantwortlich.

»Er hat den Hengst falsch beschlagen. Das war die Ursache des Sturzes.«

In diesem Augenblick drehte sich der Schmied um. Er sah Rutherford im Lichtschein stehen, der aus dem Holzlager des Nachbarn fiel. Eben wollte er die Hand zum Gruß erheben, als sich der Holzhändler abwandte. Knurrend drehte sich auch der Blacksmith um und ging in seine Werkstatt zurück.

Neben dem Barberhouse, über dem der Lehrer wohnte, stand das schönste Haus der Stadt. Es war aus Stein gebaut, zweigeschossig, hatte mehrere Anbauten und gehörte dem Gerätehändler Hayworth.

Der Besitzer stand am Fenster und blickte auf die Straße hinunter, die von wenigen Lichtstreifen markiert wurde. Er dachte an Fred Garrison, den Bäcker, der schräg gegenüber wohnte und seiner Tochter den Kopf verdreht hatte. Jedenfalls sah Mike Hayworth es so. Er hätte dem Brötchenbäcker dafür gerne den Schädel einschlagen mögen. Ausgerechnet seine hübsche Ann, der Stolz seines Lebens, die hatte der Kerl ihm genommen. Das war Raub, nichts weiter als blanker Raub.

Dass es aber seine Tochter gewesen war, die dem gut aussehenden jungen Bäcker nachgestellt und keine Ruhe gegeben hatte, bis er sie vor einem Vierteljahr schließlich geheiratet hatte, davon wollte Thomas Hayworth nicht wissen.

Drei Häuser, drei große Sorgen!

Und es gab noch mehr Sorgen in Yellow City. Beispielsweise schien Mrs. Laura Milgram, die korpulente Frau des Pastors, sich in Sorge um ihre neue Nachbarin, Mrs. Hunter, zu verzehren. Letztere bestand darin, dass die Pastorsfrau sich fast allabendlich nach Einbruch der Dunkelheit – einerlei, ob es die Witterung erlaubte oder nicht –, hinaus in den Hof begab und an dem glücklicherweise schräg sitzenden Astloch im Bretterzaun stand, um die Fenster der neuen Nachbarin zu beobachten.

Mrs. Hunter wohnte jetzt seit einem Dreivierteljahr in dem Haus nebenan. Angeblich stammte sie aus Santa Fe. Woher sie das Geld zum Leben hatte, blieb der Pastorsfrau ein Rätsel, wie sehr sie sich auch um die Lösung bemühte. Sie verdächtigte die Nachbarin gar, einen unlauteren Lebenswandel zu führen.

Auch an diesem Abend stand Mrs. Milgram wieder am Bretterzaun und blickte auf die Rückwand des Nachbarhauses. Wie fast jeden Abend war der helle Vorhang nicht völlig zugezogen, und man konnte die sich dahinter bewegenden Schatten einigermaßen deutlich erkennen. Aber wie jeden Abend, so sah die Pastorsfrau auch an diesem nichts, was ihre Neugier hätte befriedigen können. Zwar bewegten sich Schatten auf und ab, aber es war nichts Genaues zu erkennen.

Da wurde Laura Milgram durch ein Geräusch aufgeschreckt. Sie blickte sich um und sah einen Mann hinter sich stehen, einen kleinen, schmächtigen dunklen Mann.

»Poul, was suchst du denn hier?«, geiferte sie ihren Ehemann an.

»Das wollte ich dich eben fragen, Laura.«

»Erlaube, ich werde wohl doch noch beobachten dürfen, was sich in meiner Nachbarschaft tut!«

»Und was tut sich?«, fragte der Mann mit monotoner Stimme.

»Ungeheures, sage ich dir, Ungeheures! Sie ist eine Dirne, jawohl, eine Dirne! Schon ein paarmal habe ich Männer in ihrem Haus gesehen.«

»Was hast du dagegen einzuwenden, sie ist schließlich nicht verheiratet.«

»Na, erlaube mal, denkst du vielleicht, ich würde es dulden, dass sich die Unmoral in meiner allernächsten Nachbarschaft einnistet.«

»Laura, ich glaube, du übertreibst.«

»Ich übertreibe? Was fällt dir ein, Poul! Wie kannst du so etwas behaupten! Ich habe gesehen, dass einer der Cowboys von der Porter Ranch ...«

»Laura, tu mir einen Gefallen«, sagte der Mann geduldig, »und komm mit ins Haus.«

»Ich denke gar nicht daran!«

»Es wird regnen, wahrscheinlich gibt es Sturm.«

»Was wird es?«

»Ich habe gesagt, es wird regnen, und wahrscheinlich gibt es Sturm.«

»Was wird es?«

»Ich habe gesagt, es wird regnen, und wahrscheinlich wird es auch Sturm geben. Die Luft ist so merkwürdig drückend.«

Die Frau winkte ab und schob ihr rechtes Auge wieder dicht an das Astloch.

Kaum hatte der Pastor sich oben in seiner Wohnstube hingesetzt, um in seiner Bibel zu lesen, da passierte es!

Ein scharfer Blitz zuckte nieder und tauchte alles in ein grelles Licht. Daraufhin folgte ein fürchterlicher Donnerschlag.

Laura Milgram hatte vor Schreck ihr gewaltiges Gewicht gegen den dünnen Bretterzaun gepresst und stürzte mit ihm zusammen in den Nachbarhof.

Wieder zuckte ein Blitzschlag nieder, und es sah so aus, als wäre er dicht neben der Frau in den Boden geschlagen.

Diana Hunter war ans Fenster getreten und glaubte, nicht recht zu sehen, als sie auf dem eingebrochenen Bretterzaun die reglose Gestalt einer Frau bemerkte. Sofort lief sie hinaus, rannte, den Sturm und die Blitze missachtend, auf die Frau zu, zerrte sie vom Boden hoch und schleppte sie in ihr Haus. Im Korridor ließ sie sich keuchend auf die Steinfliesen fallen.

»Mrs. Milgram, um Himmels willen!«, rief sie, als sie in das kalkige Gesicht der Nachbarin blickte.

Immer noch halb ohnmächtig kauerte Laura Milgram auf den Fliesen und starrte benommen vor sich hin.

»Wa ... was ... ist ... ist ... geschehen?«, stammelte sie.

Der Sturm, der draußen ums Haus heulte und mit furchtbarer Wucht die Tür ins Schloss warf, gab ihr die Antwort. Das, was da so urplötzlich über die Stadt hereinbrach, war nicht nur ein Sturm, es war ein richtiger Orkan.

Lehrer Armstrong, der sofort zum Fenster gesprungen war, um es vor der Nase seiner Frau zu schließen, starrte hinaus und stieß erschrocken hervor: »Allmächtiger, es schneit ja.«

Während er das sagte, sah er einen Mann, der unten am Vorbau mit dem Gesicht auf der Straße lag, den rechten Fuß noch auf der Treppe, die zum Barbershop führte.

»Da unten liegt jemand!«

»Um Himmels willen!«, kreischte Milly Armstrong. »Bleib bloß hier.«

Aber der Lehrer stürmte die Treppe hinunter, lief durch den schmalen Korridor, der am Barbershop vorbeiführte, stemmte sich gegen die Tür, bekam sie aber fast nicht auf.

Als er es endlich geschafft hatte und auf den Vorbau zutrat, stieß der Sturm ihn gegen die Hauswand zurück. Mit großer Anstrengung musste er sich zur Treppe kämpfen, hielt sich mit beiden Händen an einem der Dachpfeiler fest und stieg dann auf die Straße hinunter, um sich über den Mann zu beugen, der da auf der Erde lag.

Mit übermenschlicher Anstrengung schleppte er ihn unverzüglich zum Haus. Trotz allem war es eine ungeheure Strapaze für den nicht sonderlich starken Armstrong, die schwere Gestalt des anderen durch die Haustür und in den schmalen Gang zu ziehen.

Hier ließ er den Mann nieder, riss ein Zündholz an und entzündete die kleine Kerosinlampe, die an der Wand hing.

Als der schwache Lichtschein auf das Gesicht des am Boden liegenden fiel, zuckte Armstrong zusammen. Es war Norman Blitterswyk, der Sohn des Getreidehändlers, der sich nicht einmal selbst rasierte, sondern dazu jeden dritten Tag zum Barbier ging und sich bei dieser Gelegenheit jedes Mal derartig mit Kölnischem Wasser begoss, das der Barber ihm für teures Geld andrehte, dass es seiner ganzen Umgebung schlecht wurde.

Jetzt lag er da, mit geschlossenen Augen und offenem Mund. Nichts Ansehnliches war mehr an ihm. Da hörte der Lehrer oben an der steilen Treppe ein Geräusch, blickte auf und sah seine Frau mit gerafften Röcken auf der obersten Stufe stehen und mit geweiteten Augen in den schmalen Hausflur hinunterblicken.

»Geoffrey, wer ist das?«, rief sie. »Um Himmels willen, du hast einen Betrunkenen hereingeholt! Der Kerl sieht einfach schrecklich aus. Sofort schaffst du ihn wieder hinaus!«

»Es ist Norman Blitterswyk«, entgegnete der Lehrer schroff.

»Blitterswyk?«

»Ja, Blitterswyk. Geh schleunigst und hol den Whisky.«

Die Frau nickte wie eine Marionette und verschwand in der Wohnung, um gleich darauf mit der Whiskyflasche und einem Glas zurückzukommen. In gebührendem Abstand blieb sie stehen, während sie zusah, wie ihr Mann dem Ohnmächtigen ein paar Schlucke einträufelte.

Blitterswyk schlug die Augen auf und blickte den Lehrer verblüfft an.

»He, was ist passiert?«

»Sie müssen wohl die Treppe hinuntergestürzt sein, Mr. Blitterswyk.«

»Wie war das möglich?«

»Keine Ahnung.«

Draußen tobte der Sturm weiter und entwickelte sich von Minute zu Minute mehr.

Der Gerätehändler Mike Hayworth, der bei dem ersten Blitzschlag tödlich erschrocken zusammengezuckt war, sah in den nachfolgenden Blitzen drüben am Haus des Barbiers eine Flamme hochzucken.

»Feuer«, murmelte er tonlos vor sich hin.

Aber es war kein Feuer, der Blitzschlag hatte den Dachrand gestreift und zeigte dem wohlhabenden Gerätehändler ein Bild, das er sonst wohl kaum gesehen hätte: Drüben im Hof kämpfte sich ein Mann mit einem schweren weißen Sack auf das Backhaus zu. Es war Fred Garrison, der Bäcker.

Hayworth begriff sofort: Spät am Abend war das Mehl drüben angeliefert worden. An die dreißig Säcke. Es wurde immer in den Hof gebracht und dort gleich hinter der Tür abgestellt. Garrison war sicher bis jetzt nicht dazu gekommen, es ins Backhaus zu schleppen – und jetzt war es im Schneesturm von der Nässe bedroht.

Sofort stürmte Hayworth hinunter, überquerte mit größter Mühe die Straße, stieß drüben das Tor auf und packte sofort einen der schweren Säcke, um ihn zum Backhaus zu bringen.

Garrison, der eben aus der Tür kam, blieb verblüfft stehen, als er den grauhaarigen Gerätehändler auf sich zu keuchen sah.

»Los, los, mach weiter, Fred!«, rief ihm Hayworth zu. »Sonst schaffen wir es nicht.«

Sie schafften es und standen, nach Atem ringend, nebeneinander in der Backhaustür und pressten ihre Rücken dagegen, da der Sturm diese aufstoßen wollte.

»Warte«, schnaufte der Bäcker und griff nach einem Holzriegel, den er oben in die Halterung warf.

»So, jetzt bleibt sie zu«, meinte er, während er sich sein schwarzes, vom Sturm zerzaustes nasses Haar aus dem Gesicht strich.

Hayworth fuhr sich durchs Genick und knurrte: »Das ist ja der reinste Schneesturm.«

»Ja«, entgegnete Garrison. »Wenn wir Pech haben, wird es ein richtiger Blizzard.«

Mit furchtbarer Gewalt fegte der Orkan den weißen Wirbel vor sich her, trieb ihn durch die Main Street und rüttelte an den Häuserwänden. Alles, was jetzt nicht fest verankert und verbunden war, das war ihm ausgeliefert.

Nicht fest war zum Beispiel der Stützpfeiler des Vordaches, das der Holzhändler Rutherforth über dem neuen Bretterstapel hatte errichten lassen. Das Dach schien den Wind aufzufangen, hob sich fast wie ein Segel und musste jeden Moment wegreißen.

In diesem Augenblick wurde die Tür der Schmiede aufgestoßen. Der rußgeschwärzte Joe Potter sprang an den Nachbarzaun heran, riss ein Lasso hoch und erwischte gerade ein Luftloch im Sturm. Die Schlinge verfing sich oben im Querbalken des Überdaches. Potter stemmte sich mit aller Macht dagegen, aber die Segelwirkung des breiten Daches schien stärker zu sein.

Rutherforth, der mit schreckgeweiteten Augen am Küchenfenster gestanden hatte, um die Zerstörung seines Daches hilflos mitzuverfolgen, glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er plötzlich die Schlinge in einem Blitzstrahl hochzucken sah und gleich darauf beobachten konnte, wie das Dach sich wieder über den Stützbalken zog, nur, um dann doch erneut in Gefahr zu geraten, weggerissen zu werden. Das konnte ihn aber nicht aufhalten und er rannte auch trotz des entsetzten Widerspruchs seiner Frau hinaus, kämpfte sich durch den Sturm und arbeitete sich an den Zaun heran. Bald bekam er den Strick zu packen und riss aus Leibeskräften daran.

»Halt eine Minute aus!«, rief ihm der Schmied zu. »Ich hole eine eiserne Krampe.«

Rutherforth, der sich mit dem gespannten Seil gegen den Sturm stemmte, bekam jetzt die volle Schärfe des Schneesturmes zu spüren. Hart wie Nadelspitzen streiften ihn die eisigen Flocken im Gesicht.

Aber da war der Schmied schon wieder heran und stieß einen spitzen Eisenpfahl in den Boden, schwang seinen gewaltigen Hammer und rammte die Krampe tief in die Erde. Dann packte er das Ende des Lassos und brachte es durch die Öse des Eisens.

»So, jetzt müssen Sie an diesem Ende ziehen.«

Gemeinsam zerrten sie das Seil durch die eiserne Öse.

»Glauben Sie nicht, dass der Sturm das Eisenstück aus der Erde reißt?«

Der Schmied schüttelte seinen zerzausten Schädel.

»Ganz bestimmt nicht, darauf können Sie sich verlassen. Das Ding hält zwei von diesen Dächern.«

Während die Schneemassen die Sorgen, die die Bürger von Yellow City hatten, unter sich begruben, während er die Menschen, die in Not waren, und die glaubten, miteinander verfeindet zu sein, zueinander führte, näherte sich von Osten her ein Mann mühsam der Stadt.

Wenn die Leute von Yellow City ihn bei Tag hätten sehen können, wären sie höchstwahrscheinlich bei seinem Anblick verblüfft stehen geblieben, um dann in ein wildes Gelächter auszubrechen. Sicher war es der seltsamste Reiter, der jemals in diese Stadt gekommen war.

Es war ein ellenlanger Kerl mit einem hageren, knorrigen Körper. Er trug einen schwarzen Hut, dessen Sturmband ums Kinn gezogen war, hatte ein langes, hageres Pferdegesicht, eine spitze Nase, dunkle Augen, die zu nahe bei der Nasenwurzel standen, einen Mund, wie ein Strich, über den sich die Unterlippe schob, und ein spitzes, fliehendes Kinn. Um die Schultern wehte ihm eine Pelerine, die der Sturm so aufgebauscht hatte, dass sie nun wie ein Dach hinter ihm stand und ihm nicht gegen den scharfen Schneewind half.

Immer wieder zuckten neue Blitzschläge nieder und warfen kreidiges Licht auf die fahlen Häusergiebel.

Die Beine des hageren Mannes, die um den Körper seines Maultieres schlotterten, reichten fast bis auf den Boden. Das kleine Tier trottete ängstlich vorwärts, mühte sich verzweifelt um einen Trab und versuchte, in den Schutz der Vorbauten zu gelangen.

Mit einem harten Ruck zerrte der Reiter es an eine Haltestange, stieg ab, warf die Zügel über das Holz und tat alles, um auf den Vorbau zu steigen.

Der Sturm hatte sich in diesem Augenblick so verstärkt, dass er die hagere Gestalt des langen Mannes gegen die Vorbautreppe presste. Erst nach Sekunden gelang es dem Fremden, sich auf den Gehsteig zu ziehen und sich dem Eingang der Schenke zu nähern.

Woolee's Saloon war die einzige Bar in der Stadt. Ein schlauchartiger, langer Raum, der nur ein Fenster zur Straße besaß, dessen Lichtschein den Reiter angelockt hatte.

Mit aller Kraft gelang es ihm, die Tür zu öffnen. Er presste sich hinein und hatte dann Mühe, die Tür wieder zu schließen. Ein hemdsärmeliger Mann mit einer grünen Schürze kam heran und half ihm. Es war Jim Woolee, der Wirt. Der Hagere schlug sich den Schnee aus den Kleidern und ging auf seinen krummen Beinen, die in dünnen Röhrenhosen steckten, auf die Theke zu.

Woolee folgte ihm und meinte: »Das ist ein Sturm, he? Sie können froh sein, dass Sie es geschafft haben, Mister. Wo kommen Sie denn her?«

Statt einer Antwort kam nur ein Wort über die dünnen Lippen des Ankömmlings: »Brandy.«

Der Wirt nickte, zog die Brandyflasche heran, holte ein Glas vom Bord und füllte es zu einem Drittel mit der braunroten Flüssigkeit, die er dem Fremden hinschob.

Der nahm das Glas auf, roch daran und kippte den Inhalt über seine Schulter auf die staubigen Dielen des Schankraumes.

»Ich habe keinen Spiritus verlangt, Mister, sondern Brandy.«

Der Wirt nickte.

»Aha, ich weiß schon, Sie haben eine feinere Zunge. Dann sollen Sie etwas von dem guten Stoff bekommen.«