Wir träumten von Kuba - Chanel Cleeton - E-Book

Wir träumten von Kuba E-Book

Chanel Cleeton

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Beschreibung

Havanna, wann sehe ich dich wieder?

Palm Beach 1960: Schon seit einiger Zeit lebt Beatriz mit ihrer Familie in Florida. Und doch kann sie ihn nicht verwinden – den Verlust ihrer Heimat, ihrer Freunde und den ihres Bruders. Sie ist getrieben von der Sehnsucht nach Havanna und dem Wunsch nach Vergeltung. Während die Kluft zwischen Amerika und Kuba immer größer wird, gerät Beatriz plötzlich zwischen die politischen Fronten, und dann verliebt sie sich auch noch in einen mächtigen Mann, auf den sie sich niemals einlassen darf ...

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Seitenzahl: 564

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Das Buch

Fast ein Jahr ist es her, dass Beatriz und ihre Familie vor Fidel Castro und seinem Regime nach Florida fliehen und alles zurücklassen mussten. Dem Leben im Exil kann Beatriz trotz luxuriöser Partys und zahlreicher Heiratsanträge nichts abgewinnen. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich nach Havanna zurückzukehren, und sie ist bereit, alles dafür zu tun – sogar die innersten Kreise des Diktators zu infiltrieren. Doch am selben Abend, als sie auf ihren Kontaktmann wartet, begegnet sie dem charismatischen Politiker Nicholas Preston. Es ist der Beginn einer leidenschaftlichen Affäre, die nie ans Licht kommen darf. Während der Kalte Krieg aufzieht, gerät Beatriz in einen Strudel von Ereignissen, die sie schon bald nicht mehr kontrollieren kann. Am Ende muss sie sich entscheiden – zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ein falscher Entschluss könnte sie alles kosten: das Land, das sie liebt, und auch den Mann, dem ihr Herz gehört.

Die Autorin

Chanel Cleetons Familie stammt ursprünglich aus Kuba. Sie selbst wuchs in Florida auf, bevor sie für das Studium der Internationalen Beziehungen nach England ging. An der Londoner School of Economics & Political Science machte sie schließlich ihren Masterabschluss in Internationaler Politik.

Lieferbare Titel

Nächstes Jahr in Havanna

Chanel Cleeton

Wir träumten von Kuba

Roman

Aus dem Amerikanischen von Jens Plassmann

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel When We Left Cuba bei Berkley

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 01/2020

Copyright © 2019 by Chanel Cleeton

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Tamara Rapp

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design / Margit Memminger

unter Verwendung von © Getty Images/Nina Leen und Shutterstock/Diego Grandi

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-24927-4V001

www.heyne.de

Für all die Träume, die uns durch die Finger gleiten. Mögen wir sie eines Tages in den Armen halten.

Prolog

26. November 2016

Palm Beach

Sie ruht in einem eleganten, mit einer üppigen roten Schleife verzierten Korb und trifft kurz nach Mitternacht ein – in dieser magischen Geisterstunde, unmittelbar nach Anbruch eines neuen Tages. Überbracht wird sie von einem dienstbeflissenen Herrn in nüchternem dunklen Anzug, der ebenso schnell verschwindet, wie er gekommen ist, und zurückgelegt hat sie den Weg von dem imposanten Anwesen in Palm Beach in einem silbergrauen Rolls, dessen Besitzer zu den bekanntesten Bewohnern der Insel zählt.

Die Frau trägt den Korb ins Wohnzimmer, das in betont kräftigen Farben gehalten ist. Hier in der Geborgenheit der eigenen vier Wände entfernt sie die Folie, entdeckt den vertrauten französischen Schriftzug, und alle Gedanken daran, den Abend bereits zu beenden, sind vergessen.

Eine Träne rinnt ihr über die Wange.

Die durchsichtige Folie knistert beim Anfassen, und das Glas darunter fühlt sich eiskalt an, so als hätte diese Flasche all die Jahre bestens temperiert für sie bereitgelegen. Sie nimmt den Champagner aus dem Korb und stellt ihn auf die Hausbar, wo ihre juwelengeschmückten Finger zitternd die Kappe abreißen und den Drahtverschluss aufdrehen.

Das kecke Knallen des Korkens durchbricht die nächtliche Stille. Trotz der späten Stunde ist dieser Anlass viel zu bedeutsam, um ungewürdigt zu bleiben, und ganz sicher werden schon bald allerlei andere Lärmquellen ihrer Ruhe ein Ende bereiten: das klingelnde Telefon, die durcheinanderredenden Stimmen von Freunden und Verwandten, eine Art Spontanfeier nach einem schier endlosen Krieg. Aber bis dahin gibt es nur diesen Moment.

Der Champagner explodiert förmlich auf ihrer Zunge. Es ist der Geschmack von Sieg und Niederlage, von Liebe und Verlust, von Nächten voller Ausschweifungen und Dekadenz in Havanna und Tagen der Verbannung in Palm Beach. Sie erhebt ihr Glas zu einem stummen Toast, und einmal mehr erstaunt sie das Aussehen ihrer Hand, die nicht länger die einer jungen Frau ist, sondern deutlich gealtert und von derart vielen Falten durchfurcht, dass man noch so häufig den Schönheitschirurgen aufsuchen kann, sie verschwinden nicht, sondern belegen nur mit feinem Spott, wie unabänderlich die Zeit der grausamste Dieb von allen bleibt.

Wann ist sie nur so alt geworden?

Eine Karte ist nicht im Korb, aber das ist auch nicht nötig. Wer sonst sollte ihr ein so extravagantes, bewegendes, perfekt zu ihr passendes Geschenk schicken?

Außer ihm.

1

Januar 1960

Palm Beach

Mit dem Sammeln von Heiratsanträgen verhält es sich ähnlich wie mit dem Entwickeln exzentrischer Wesenszüge. Um in der feinen – oder auch nicht ganz so feinen – Gesellschaft Anerkennung zu finden, ist einer davon unbedingte Voraussetzung. Zwei stellen sicher, dass man auf Partys ein viel umworbener Gast ist. Drei fügen dem Ganzen das gewisse Etwas hinzu. Vier sind ein Skandal. Und fünf? Nun, fünf machen einen zur Legende.

Ich blicke hinunter auf den Mann, der in spektakulärer Geste vor mir aufs rechte Knie gesunken ist. Wie war bloß noch sein Name? Ein Übermaß an Sekt und Albernheit lässt seinen Oberkörper gefährlich schwanken. Es handelt sich um einen Cousin zweiten Grades des altehrwürdigen Preston-Clans, angeheiratet verwandt mit einem ehemaligen Vizepräsidenten und darüber hinaus Cousin eines amtierenden US-Senators. Sein Smoking ist elegant, seine Vermögenslage wohl eher bescheiden – es sei denn man kalkuliert optimistisch eine großzügige Berücksichtigung beim Erbe einer verstorbenen Tante ein –, und sein schwach ausgeprägtes Kinn spricht dafür, dass bereits zu viele Prestons andere Prestons geheiratet haben.

Andrew? Vielleicht Albert. Oder Adam?

Wir sind uns in Palm Beach auf einem halben Dutzend Partys wie dieser begegnet. Früher in Havanna hätte ich auf solchen Festen den Ton angegeben, heute muss ich katzbuckeln, um überhaupt Einlass zu finden. Der zweite Cousin von Amerikas höchsten Kreisen klingt da gar nicht so übel, schließlich können Bettler sich nicht erlauben, wählerisch zu sein, und Exilanten schon gar nicht. Vernünftig wäre es also, seinen Antrag – die sich so glücklich fügende Nummer fünf in meiner Sammlung – anzunehmen und, dem Beispiel meiner Schwester Elisa folgend, in den heiligen Stand der Ehe zu treten.

Nur wo bleibt da der Spaß?

Getuschel umschwirrt mich, Münder zischen meinen Namen – Beatriz Perez –, neugierige Blicke bohren sich in den Rücken meines Abendkleids, geraunte Wörter strömen auf mich ein, krallen sich meinen bauschigen Rock hinauf, grapschen nach den falschen Juwelen um meinen Hals und schmeißen sie zu Boden.

Sieh dir die an.

Hochnäsig. Genau wie der Rest der Sippe. Jemand sollte denen mal klarmachen, dass wir hier nicht auf Kuba sind.

Wie sie die Hüften bewegt! Und dann dieses Kleid!

Haben die nicht alles verloren? Fidel Castro hat doch die Zuckerrohrplantagen, die ihrem Vater gehörten, allesamt verstaatlicht.

Besitzt die denn keinen Funken Schamgefühl?

Mein Lächeln wird noch breiter, bis es die falschen Edelsteine an meinem Hals überstrahlt und zugleich deren Echtheitsgrad entspricht. Ich suche die Menge ab, schaue vorbei am knienden Alexander, der noch immer wie eine Landratte auf hoher See mit dem Gleichgewicht kämpft, vorbei an all den Verteidigern des guten alten Palm Beach, die mich vernichtend anfunkeln – bis ich in einer Ecke meine Schwestern Isabel und Elisa entdecke, die dort mit Sektflöten in den Händen stehen. Ihr Anblick verleiht mir Mut. Er genügt als Erinnerung daran, sich vor nichts und niemandem kleinzumachen.

Ich drehe mich zurück zu Alistair. »Schönen Dank, aber leider muss ich ablehnen.«

Mein Ton ist betont unbeschwert, so als würde ich die ganze Angelegenheit eher als Scherz auffassen. Noch dazu als einen im betrunkenen Zustand herausgerutschten Scherz, worum es sich ja hoffentlich auch handelt. Schließlich hält man doch nicht gleich, wenn man sich in jemanden verliebt, auch schon um dessen Hand an, oder? Ist das nicht … unpassend?

Den armen Arthur macht meine Antwort jedenfalls sprachlos.

Womöglich war die Sache doch kein Scherz.

Dann gewinnt er ganz langsam seine Fassung zurück, und das lässige Grinsen, das seine Lippen permanent umspielte, bevor er auf die Knie sank, kehrt mit aller Macht zurück und sorgt schließlich für die Wiederherstellung eines Gesichtsausdrucks, der sein natürlicher sein dürfte: strotzend vor unbändiger Zufriedenheit mit sich und der Welt, in der er lebt. Er ergreift meine ausgestreckte Hand, presst seine feuchte Handfläche gegen meine und zieht sich mit einem tiefen Grunzen unsicher auf die Beine.

Seine Augen verengen sich, sobald unsere Köpfe auf gleicher Höhe sind – zumindest annähernd auf gleicher Höhe, da mir die von meiner Schwester Isabel geborgten Stöckelschuhe noch einige zusätzliche Zentimeter verleihen.

Sein stechender Blick erinnert an ein Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat und das sich dafür demnächst mit einem öffentlichkeitswirksamen Tobsuchtsanfall rächen wird.

»Sie haben jemanden auf Kuba, der auf Sie wartet, richtig?« Der Unterton ist bissig genug, um körperlich spürbar zu sein.

Erneut setze ich mein hochkarätigstes Lächeln auf, das seinen brillantengleichen Feinschliff einst zu Füßen meiner Mutter erhielt und das in Situationen wie dieser von geradezu unschätzbarem Wert ist. Mit seinen scharfen, eisigen Spitzen warnt es den Adressaten unmissverständlich vor den Risiken, mir zu nahe zu kommen.

Bissig sein kann ich nämlich auch.

»Etwas in der Richtung«, lüge ich nur.

Da der Vertreter ihrer Kreise endlich wieder aufrecht steht und nicht länger herumkriecht vor diesem Eindringling, mit dem man sich in dieser Ballsaison gezwungenermaßen abfinden muss, wendet die Menge naserümpfend, aufseufzend und unter nervösem Rascheln maßgeschneiderter Abendkleider ihre Aufmerksamkeit von uns ab. Meine Familie verfügt gerade noch über ausreichend Geld und Einfluss – Zucker ist in Amerika ein fast ebenso lukratives Geschäft wie auf Kuba –, dass sie es sich nicht leisten können, uns ganz offen zu missachten, aber dieser Status genügt längst nicht, um sie daran zu hindern, über uns herzufallen wie ein ausgehungertes Wolfsrudel, das blutiges Fleisch riecht. Fidel Castro hat uns alle zu Bettlern gemacht, und allein dafür würde ich ihm am liebsten ein Messer ins Herz rammen.

Und plötzlich stehen die Wände zu dicht, ist das Licht im Festsaal zu grell und mein Mieder zu eng geschnürt.

Inzwischen ist nahezu ein Jahr vergangen, seit wir Kuba verließen – für einige wenige Monate, wie wir glaubten. Nur bis die Welt begreifen würde, was Fidel Castro unserer Insel antat. Nahezu ein Jahr, seit Amerika uns in seine nicht unbedingt freudig geöffneten Arme schloss.

So bin ich derzeit umgeben von Menschen, denen meine Gesellschaft missfällt, die ihre Abneigung allerdings hinter einem höflichen Lächeln und geheucheltem Mitgefühl verbergen. Sie recken ihre Patriziernasen in die Luft und sehen auf mich herab, weil meine Familie noch nicht seit den Gründerzeiten in Amerika ansässig ist, nicht auf einem Schiff von England hersegelte oder irgend so ein Unfug. Meine Züge sind eben eine Spur zu dunkel, mein Akzent zu fremd, mein Glaube zu katholisch, und mein Nachname zu kubanisch.

Wie ein geölter Blitz eilt eine ältere Frau, deren Teint und Gesichtszüge denen von Anderson ähneln, auf uns zu und befreit mich von diesem starren Blick, der mich in die Schranken weisen soll. Mein abgewiesener Verehrer entschwindet in einem Wirbel von Givenchy, und ich bin wieder allein.

Ginge es nach mir, würden wir solche Partys – diese einmal ausgenommen – grundsätzlich meiden und gar nicht erst versuchen, uns in die besseren Kreise von Palm Beach zu integrieren. Es geht jedoch nicht um das, was ich möchte. Es geht um meine Mutter, meine Schwestern und um die Bemühungen meines Vaters, seine Geschäftsbeziehungen mithilfe dieser sozialen Kontakte ausreichend zu erweitern, sodass nie wieder jemand die Macht hat, uns zu zerstören.

Und natürlich geht es auch, wie stets, um Alejandro.

Ich steuere einen der Balkone des Ballsaals an und nehme dabei den Saum meines Kleids auf, um nicht irgendwo mit dem feinen Stoff hängen zu bleiben.

Die Türen stehen offen, und kaum trete ich auf den steinernen Balkon hinaus, fährt die Abendbrise in den Rock meines Kleides. Die Luft ist angenehm frisch, der Himmel klar und mit hell leuchtenden Sternen überzogen, der Mond voll. In der Ferne ist das dumpfe Rauschen des Meeres zu hören. Dieses Geräusch hat meine Kindheit geprägt, meine ersten Erwachsenenjahre, und es ruft mich wie Sirenengesang. Ich schließe die Augen, die unvermittelt zu brennen beginnen, und stelle mir vor, auf einem anderen Balkon zu stehen, in einem anderen Land, zu einer anderen Zeit. Was, wenn ich jetzt einfach zum Wasser gehe, die Party hinter mir lasse, mir die drückenden Schuhe ausziehe und meine Zehen in den Sand grabe, während das Meerwasser meine Knöchel umspült?

Eine Träne läuft mir über die Wange. Ich hätte nie gedacht, dass man einen Ort so sehr vermissen kann.

Mit dem Handrücken wische ich mir über die feuchte Haut und lenke meinen Blick auf den Rand der Balkons, hinter dem sich die Palmen im Wind wiegen.

Ein Mann lehnt an der Balustrade, halb in Dunkelheit gehüllt, halb beschienen vom Mondlicht.

Er ist groß, hat blonde, eigentlich schon rötliche Haare. Seine Arme stützen sich auf das Geländer, seine Schultern spannen den maßgeschneiderten Smoking.

Ich mache einen Schritt zurück, und er bewegt sich …

Ich erstarre.

Oh.

Oh.

Wenn einem die Leute das ganze Leben lang erzählen, wie schön man ist, dann hat das zur Folge, dass es immer stärker an Bedeutung verliert, je häufiger man es hört. Was meint »schön sein« überhaupt? Dass die eigenen Gesichtszüge in einer Weise geformt sind, die irgendjemand irgendwo einmal vollkommen willkürlich für besonders ansprechend erklärt hat? Da hinkt »schön sein« doch deutlich hinter den anderen Dingen her, die man sein kann: klug, interessant, mutig. Und dennoch …

Er ist schön. Erschreckend schön.

Es macht den Eindruck, als wäre er mit breitem Strich gemalt worden, als hätte der Künstler sein Gesicht mit ausgelassenen Pinselschwüngen und -wirbeln verewigen wollen. Ein Gott, der herabgestiegen ist, um sich in die Angelegenheiten der gewöhnlichen Sterblichen einzumischen.

Verstörend schön.

Er sieht aus wie ein Mensch, der nie vor der Frage gestanden hat, ob er am nächsten Tag noch ein Dach über dem Kopf hat, der nie um das Leben des eigenen Vaters, der mit acht weiteren Männern in einem Käfig hockt, fürchten musste, der nie das einzige Leben, das er je gekannt hat, zurücklassen und fliehen musste. Nein, er zählt eher zu denen, die vom Augenblick, da sie morgens erwachen, bis zu dem Moment, wo sie abends den Kopf aufs Kissen schmiegen, von allen Seiten hören, wie perfekt sie doch sind.

Auch er hat mich bemerkt.

Golden Boy lehnt sich mit verschränkten Armen an die Brüstung. Sein Blick richtet sich erst auf meine Frisur, für die Isabel und ich eine geschlagene Stunde gebraucht haben, während der wir die fehlende Hilfe durch ein Mädchen ausgiebig verfluchten. Von meinem dunklen Haar wandert er über mein Gesicht hinab zum Dekolleté des tief ausgeschnittenen Abendkleids und dem kitschigen falschen Schmuck, mit dem ich mir plötzlich so unübersehbar billig vorkomme – als müsste er sofort die Hochstaplerin in mir erkennen –, bis hinunter zu meiner Taille, meinen Hüften.

Ich weiche noch einen Schritt zurück.

»Soll ich jetzt Cousine sagen?«

Seine Worte lassen mich innehalten, verhindern jede weitere Bewegung wie eine Hand, die sich um meine Taille legt. Als wäre das ein Mann, der es gewohnt ist, stets seinen Willen zu bekommen – ohne nennenswerte Anstrengung.

Ich hasse solche Männer.

Der glatte, forsche Ton seiner Stimme, frei von allem Fremdländischen – zumindest allem falschen Fremden –, entspricht, wie ich gelernt habe, exakt dem, was in diesem Land Reichtum zum Ausdruck bringt. Es ist ein Ton, durchdrungen von der Gewissheit, dass jedes Wort begierig aufgesaugt wird.

Ich hebe fragend eine Braue. »Wie bitte?«

Er stößt sich von der Brüstung ab und überwindet mit ein paar langen Schritten die Entfernung zwischen uns, bis er so dicht vor mir steht, dass ich den Kopf in den Nacken legen muss, um seinen Blick zu erwidern.

Seine Augen sind vom gleichen Blau wie das Meer an den tiefen Stellen draußen vor der Malecón.

Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, streckt er die Hand aus und fährt mit dem Daumen über meinen noch freien Ringfinger. Seine Berührung ist ein Schock und reißt mich aus dem Dämmer dieser Party, die mich seit Stunden anödet. Er verzieht den Mund zu einem Lächeln, und prompt bilden sich an seinen Augenwinkeln bündelweise kleine Falten. Schön zu sehen, dass selbst Götter nicht ohne Fehler sind.

»Andrew ist mein Cousin«, erklärt er in leicht amüsiertem Ton.

Irgendwie beherrschen die meisten Reichen, die tatsächlich noch reich sind, diese Technik, etwas so verhalten spöttisch klingen zu lassen, als käme jeder zusätzliche Hauch Belustigung einem entsetzlichen Fauxpas gleich.

Andrew. Immerhin hat der fünfte Heiratsantrag nun einen Namen. Und mein Gegenüber selbst hat womöglich einen höchst prominenten. Ist er ein Preston oder irgendwie anders verwandt mit Andrew?

»Wir haben alle mit atemloser Spannung darauf gewartet, wie Ihre Antwort ausfällt«, fährt er fort.

Wieder ist da diese leichte Amüsiertheit, die eine effektive Waffe sein kann, wenn man sich ihrer geschickt zu bedienen versteht. Er besitzt zwar die gleiche überheblich spitze Art, die hier jeder an sich zu haben scheint, allerdings habe ich das Gefühl, dass er dabei eher mit mir lacht als über mich, was eine willkommene Abwechslung darstellt.

Ich gewähre ihm ein Lächeln von leicht gemilderter Schärfe. »Ihr Cousin besitzt wirklich ein untrügliches Gespür für den günstigsten Moment sowie eine ausgeprägte Vorliebe dafür, ein möglichst großes Publikum anzuziehen.«

»Und einen exzellenten Geschmack, nicht zu vergessen«, ergänzt Golden Boy mit samtiger – viel zu samtiger – Stimme und erwidert mein Lächeln mit einem, das noch grandioser gerät als sein erstes.

Gut ausgesehen hat er auch schon zuvor, aber das hier ist einfach unglaublich.

»Stimmt genau«, pflichte ich bei.

Mit falscher Bescheidenheit kann ich gerade gar nichts anfangen. Wenn man nicht einmal selbst für sich kämpft, wer dann?

Er beugt sich noch näher, als wollte er mir ein Geheimnis verraten. »Kein Wunder, dass Sie den ganzen Saal in helle Aufregung gestürzt haben.«

»Wer? Ich?«

Ein kurzes, glucksendes Lachen, tief und verführerisch, wie der erste Schluck Rum, der sich wohlig im Magen ausbreitet. »Sie wissen nur zu gut, welche Wirkung Sie ausüben. Ich habe Sie doch eben gesehen.«

Wie konnte er mir bloß entgehen? Unauffällig in der Menge verschwinden kann eine solche Erscheinung ganz sicher nicht.

»Und was genau haben Sie gesehen?«, frage ich, ermutigt durch die Tatsache, dass sein Blick nach wie vor unverwandt auf mir ruht.

»Sie.«

Mein Herzschlag steigt.

»Nur Sie«, raunt er eben noch laut genug, um über Meeresrauschen und Wind hinweg hörbar zu bleiben.

»Ich habe Sie gar nicht bemerkt.« Meine eigene Stimme klingt belegt und fremd. Wie die eines Menschen, den so etwas tatsächlich verunsichert.

Auch mein Blick hat sich bislang nicht von ihm gelöst.

Seine Augen weiten sich leicht, und ein Grübchen bohrt sich in seine Wange. Noch ein Zeichen der Unvollkommenheit, das ihm angerechnet werden kann, obwohl es sein Aussehen eigentlich eher charaktervoller macht als schwächt.

»Sie verstehen sich wirklich darauf, einem Mann das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu sein.«

Ich krümme die Finger und balle eine Faust, um nicht der Versuchung zu erliegen, diesem Drang, den Arm zu heben und meine Handfläche auf seine Wange zu legen.

»Gewiss sind hier noch jede Menge Leute, die Ihnen dieses Gefühl geben.«

Wieder dieses Lächeln. »Mag sein«, räumt er ein.

Ich drehe mich, sodass wir Schulter an Schulter stehen und in den vom Mond beschienenen Nachthimmel blicken.

Er wirft mir einen Seitenblick zu. »Dann ist es also wahr, wie?«

»Was ist wahr?«

»Es heißt, Sie hätten Havanna wie eine Königin beherrscht.«

»In Havanna gibt’s keine Königinnen. Nur einen Tyrannen, der es darauf abgesehen hat, König zu werden.«

»Ich darf daraus entnehmen, dass Sie kein großer Fan der Revolutionäre sind, richtig?«

»Kommt darauf an, von welchen Revolutionären Sie sprechen. Einige waren durchaus zu etwas zu gebrauchen. Aber Fidel und Konsorten sind kaum mehr als Geier, die sich am Kadaver gütlich tun, zu dem Kuba geworden ist.« Ich gehe so dicht an ihm vorbei, dass der Rock meines Abendkleids seine elegante Smokinghose streift, und trete ein paar Schritte vor. Ich spüre ihn unmittelbar hinter mir, spüre seinen Atem in meinem Nacken, vermeide es jedoch, den Kopf zu wenden. »Mit Präsident Batista musste Schluss gemacht werden. Für diesen Schritt haben sie gesorgt. Jetzt müssten wir bloß die Sieger wieder loswerden.«

Ich drehe mich zu ihm um.

Schimmerten seine Augen eben noch eher teilnahmslos, so macht ihr Funkeln sie jetzt schon weitaus interessanter. »Und sie durch wen genau ersetzen?«

»Jemanden, dem Kuba und dessen Zukunft wirklich am Herzen liegt. Jemand, der bereit ist, die Insel aus dem amerikanischen Joch zu befreien.« Es kümmert mich wenig, dass er selbst Amerikaner ist. Ich bin es nicht, und ich hege auch nicht den Wunsch, so zu tun, als ob ich es wäre. »Jemand, der die Macht der Zuckerindustrie verringert«, füge ich hinzu und widerspreche mit diesen Worten der Position, die meine Familie vertritt. Doch ungeachtet des Reichtums, den uns der Zuckerhandel beschert hat, ist es doch unmöglich, den schädlichen Einfluss zu leugnen, den dieser Wirtschaftszweig auf unserer Insel ausgeübt hat, ganz egal wie energisch unser Vater das versucht. »Jemand, der uns wahre Demokratie und Freiheit bringt.«

Eine Weile mustert er mich schweigend auf die gleiche taxierende Art wie zu Beginn, und ich weiß nicht, ob es am Wind liegt oder an seinem Atem auf meinem Hals, jedenfalls spüre ich, wie Gänsehaut meine Arme überzieht.

»Sie sind eine gefährliche Frau, Beatriz Perez«, sagt er schließlich.

Meine Lippen kräuseln sich zu einem Lächeln. Ich neige den Kopf zur Seite und studiere ihn aufmerksam, während ich zugleich verzweifelt darum bemüht bin, mir eine gewisse Freude über die Bezeichnung »gefährliche Frau« sowie über die Tatsache, dass er meinen Namen kennt, nicht anmerken zu lassen.

»Gefährlich für wen?«, bohre ich nach.

Er antwortet nicht, aber das ist auch nicht nötig.

Stattdessen noch so ein Lächeln. Und ein weiteres Grübchen. »Die Spur an gebrochenen Herzen, die Sie hinter sich herziehen, ist von beträchtlicher Länge, könnte ich mir denken.«

Ich zucke mit den Achseln und nehme zur Kenntnis, wie er dabei meine nackten Schultern mustert. »Ein oder vier Anträge vielleicht.«

»Zuckerbarone und Sprösslinge aus Rum-Dynastien oder eher bärtige Freiheitskämpfer mit wilden Mähnen?«

»Ich bin vielseitig interessiert, sagen wir es so. Einmal habe ich sogar Che Guevara geküsst.«

Ich weiß selbst nicht genau, wen von uns beiden dieses Geständnis mehr verblüfft. Keine Ahnung, warum ich es beichte, warum ich plötzlich einem wildfremden Mann ein Geheimnis anvertraue, das nicht mal meine Angehörigen kennen. Wahrscheinlich um ihn aus der Fassung zu bringen – Amerikaner sind schrecklich leicht zu schockieren. Und um ihn zu warnen, dass er es hier nicht mit einem dieser einfältig grinsenden Ballfräulein zu tun hat. Ich habe Dinge gesehen und getan, die er sich nicht vorstellen kann.

Außerdem lässt sich Kraft ziehen aus dem Bewusstsein, wie weit man zu gehen bereit war in einem solch törichten Versuch, den eigenen Vater aus La Cabaña, Guevaras elendstem Kerkerloch, zu befreien. Für eine gute Story taugt es allemal, auch wenn sich in meinem Innern beim Bild dieses jungen Mädchens, das in seiner hybrishaften Selbstüberschätzung glaubt, mit einem Kuss ein Leben retten zu können, inzwischen alles zusammenzieht.

»Und, hat es Ihnen gefallen?«, fragt Golden Boy mit unergründlicher Miene. Es ist, als hätte er abrupt eine äußerst clevere Maske übergestreift. Sehr wirkungsvoll. Ich kann nicht einmal erkennen, ob er schockiert ist, oder ob er mich nur bemitleidet. Persönlich würde ich gesellschaftliche Verachtung seinem Mitgefühl jederzeit vorziehen.

»Der Kuss?«

Er nickt.

»Lieber hätte ich ihm die Kehle durchgeschnitten.«

Anerkennend bemerke ich, dass ihn die blutrünstige Erwiderung mit keiner Wimper zucken lässt.

»Warum haben Sie es dann getan?«

Zu meiner – und wahrscheinlich auch seiner – Überraschung entscheide ich mich für die Wahrheit und nicht für eine Ausflucht. »Weil ich die Nase voll hatte davon, ständig den Aktionen der anderen ausgeliefert zu sein, und endlich selbst etwas unternehmen wollte. Und weil ich jemandem das Leben retten wollte.«

»Ist es Ihnen gelungen?«

Mein Mund wird staubtrocken, schmeckt nach Asche und Scheitern. »Damals schon.«

Der kurze Kraftschub ruft unweigerlich ein anderes Gefühl wieder wach: die Erinnerung an das Leben, das ich nicht retten konnte. An das Auto, das mit quietschenden Reifen vor dem riesigen Tor unseres Anwesen hält, an die sich öffnende Tür und den noch warmen Leichnam meines Zwillingsbruders, der hinausgeworfen wird, und an sein Blut, das auf genau die Treppenstufen rinnt, wo wir als Kinder zusammen gespielt haben, während ich seinen Kopf in meinen Schoß lege und weine.

»Ist es so schlimm, wie alle erzählen?« Irgendetwas, das ich kaum ertragen kann, hat seinem Ton jede Schärfe genommen.

»Schlimmer.«

»Unvorstellbar.«

»Für Sie hier ganz sicher. Sie ahnen ja nicht, wie viel Glück Sie haben, in dieser Zeit an diesem Ort zu leben. Ohne Freiheit hat man gar nichts.«

»Und was würden Sie einem Menschen raten, dem nur noch wenige Minuten Freiheit bleiben?«

»Zu flüchten«, antworte ich lakonisch.

Schemenhaft huscht ein Lächeln über sein Gesicht, aber ganz offensichtlich nimmt er mir nicht ab, was ich ihm vormache, und es gefällt mir, dass er sich nicht von der Fassade blenden lässt.

Ich ändere meine Antwort. »Die letzten Minuten, die ihm verbleiben, in vollen Zügen zu genießen.«

Gern hätte ich mich nach seinem Namen erkundigt, aber der Stolz hält mich zurück. Der Stolz und die Angst. Dabei ist für solche Luxusregungen in meinem derzeitigen Leben gar kein Platz.

Ich schließe für eine Sekunde die Augen und blicke danach auf eine ausgestreckte Hand, die darauf wartet, dass ich meine hineinlege.

»Tanzen Sie mit mir.«

Das trockene Gefühl im Mund ist zurück. Ich schlucke, mustere ihn mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und tue so, als würde mein Herz nicht wild in meiner Brust hämmern und es mir nicht in den Fingern jucken, diese Hand zu ergreifen. »Klingt irgendwie mehr nach einer Herausforderung als nach einer Einladung.«

Die Musik dringt leise bis auf den Balkon hinaus, wo sie ein sanftes Hintergrundgeräusch für den Abend bildet.

»Würden Sie mir diesen Tanz gewähren, Beatriz Perez, Rebellenküsserin und Herzensräuberin?«

Er ist unverschämt gewandt und lässig, weswegen er mir wiederum unverschämt gut gefällt

Ich schüttle lächelnd den Kopf. »Von geraubten Herzen habe ich nichts gesagt.«

Er kontert mein zurückhaltendes Lächeln mit einem so spektakulären Strahlen, dass es mich regelrecht blendet. »Nein, aber ich.«

Habe ich hier auch nur den Hauch einer Chance?

Er tritt erneut so dicht auf mich zu, dass lediglich eine Handbreit Platz ist zwischen uns und meine Augen auf Höhe seines schneeweißen Hemdkragens sind. Während mir der Duft seines Eau de Cologne in die Nase dringt, legt er die rechte Hand auf meine Taille, und ich spüre durch den dünnen Stoff meines Kleids ihre Wärme. Seine freie Hand ergreift meine rechte, und unsere Finger umfassen einander.

Mit wild pochendem Herzen folge ich seiner Führung. Wie kaum anders zu erwarten, ist er ein sicherer, geschmeidiger Tänzer.

Wir reden kein Wort. Angesichts des Zwiegesprächs zwischen unseren Körpern, dem Rascheln der Kleidung, den flüchtigen Berührungen, die sich auf meiner Haut einbrennen, wären Worte ohnehin weit unpersönlicher und letztlich überflüssig.

Wenn eine Frau reihenweise Heiratsanträge erhält, denken die Leute natürlich sofort, sie mache den Männern ständig schöne Augen. Womöglich habe ich das früher auch getan, aber mittlerweile käme mir so ein kokettes Auftreten albern vor. Ich stehe jetzt irgendwo zwischen dem Mädchen, das ich einmal war, und der Frau, die ich gerne sein möchte.

Das Musikstück endet und wird abgelöst von einem mit viel zu viel Tempo. So strebt der Tanz einerseits nach Ewigkeit und bricht doch andererseits von einem Augenblick auf den anderen ab. Mit einer dezenten Verbeugung lässt er mich los. Sofort dringt kalte Luft in die entstehende Lücke. Meine Finger vermissen den sanften Druck seiner Hand, und der Schock über seinen abrupten Rückzug ist erstaunlich groß.

Ich schaue ihm in die Augen und wappne mich für die geballten Flirtversuche, die nun unweigerlich folgen werden: Einladungen zum Mittag- oder Abendessen, Komplimente darüber, was für eine gute Tänzerin ich bin, dazu flammende Blicke. Ich kann romantische Techtelmechtel derzeit jedoch gar nicht brauchen … auch wenn ich gestehen muss, dass der Gedanke an eine vorübergehende Romanze mit diesem Mann einigen Reiz auf mich ausübt.

Er lächelt. »Ich danke Ihnen für diesen Tanz.«

Ich verfolge, wie er davongeht, und weiß genau, dass er sich gleich umdrehen und mich anschauen wird.

Er tut es nicht.

Verblüfft bleibe ich zurück, während er im Ballsaal verschwindet und eintaucht in eine Welt, der er zweifelsfrei angehört. Es dauert ein paar Minuten, bis ich bereit bin, ebenfalls wieder hineinzugehen ins Reich der glitzernden Kronleuchter und der abweisend funkelnden Augen.

Als ich durch die Balkontüre trete, steht Isabel seitlich davon an der Wand. Elisa ist nirgends zu sehen

»Sie ist nach Hause gegangen«, antwortet Isabel auf meine Frage. »Ihr war nicht gut.«

Ein Kellner nähert sich mit einem Tablett Sektgläser. Weitere über den Saal verteilte Kellner bieten den anderen Gästen Sekt an, während das Gemurmel der Feiernden durch den Raum hallt. Überall wird hinter vorgehaltener Hand getuschelt, Namen werden geraunt, es herrscht die angespannte Ruhe wie vor einem Eklat.

Neugierig, welcher neue Tratsch alle so gebannt beschäftigt, studiere ich die Menge und suche nach Golden Boy, bis ich mit ihm die Lösung des Rätsels entdecke …

Er steht ganz vorne im Raum unmittelbar neben dem Orchester, in Begleitung eines älteren Ehepaars und einer jungen Frau.

Oh.

Oh.

Ich erspare es mir, all ihre Schönheitsfehler unter die Lupe zu nehmen, da ich fürchte, nicht fündig zu werden und mir selbst damit keinen Gefallen zu tun. Dass ihre Familie von einem der großen Segelschiffe zur Gründerzeit dieser Nation stammt, könnte klarer nicht sein. Mit ihrem blonden Haar und den fein geschnittenen Zügen sieht sie atemberaubend aus. Die perfekte Entsprechung zu dem Traumprinzen an ihrer Seite. Das Kleid ist im Stil der neuesten Mode geschnitten, ihr Schmuck ganz bestimmt nicht falsch und ihr Mund zu einem hübschen Lächeln geschwungen.

Und wer könnte ihr dieses Lächeln verdenken?

Gemeinsam mit allen anderen im Ballsaal erhebe ich mein Sektglas zu Ehren des glücklichen Paars, als der Vater der künftigen Braut die Verlobung seiner Tochter mit einem gewissen Nicholas Randolph Preston III. bekannt gibt. Er ist also nicht nur irgendein Preston. Er ist der Preston. Der amtierende US-Senator, dem nachgesagt wird, er hege Ambitionen, eines Tages ins Weiße Haus einzuziehen.

Unsere Blicke begegnen sich über den Ballsaal hinweg.

Wie konnte ich nur das nicht sofort erkennen? Letztlich ist alles im Leben eine Frage des richtigen Timings.

Eben noch Silvester 1958, und die eigene Welt besteht aus Partys und Shoppingtrips. Gleich darauf Silvester 1959, und alles ist nur noch Soldaten, Waffen und Tod.

Man begegnet einem Mann auf dem Balkon und vergisst für einen winzigen Moment, wer man ist, bloß um anschließend prompt wieder daran erinnert zu werden, wie launenhaft das Schicksal ist.

Ich leere das Glas, nicht unbedingt damenhaft, in einem einzigen Zug.

Und dann sehe ich ihn – den, dessentwegen ich eigentlich gekommen bin –, und nichts anderes ist mehr von Bedeutung.

Anders als Nicholas Preston ist dieser Mann klein und korpulent. Auf seinem Kopf bildet sich bereits eine Glatze, und die Nase würde besser in ein weit größeres Gesicht passen. Sein Smoking scheint ihn einzuschnüren wie eine Zwangsjacke. Meine Nachforschungen haben ergeben, dass er zu solchen Feiern nur eingeladen wird, weil seine Frau in Wohltätigkeitskreisen hoch angesehen ist. Ehrfurchtsvoll tuscheln die Ballgäste überall noch immer ihren Mädchennamen. Er für seinen Teil bevorzugt es dagegen eindeutig, im Dunkeln zu operieren.

Der erste Eindruck entspricht haargenau den Informationen, die ich über ihn in Erfahrung bringen konnte: ein Mann, der nicht davor zurückscheut, die Ärmel hochzukrempeln und sich die Finger schmutzig zu machen, und der seinen Spaß daran hat, die politisch Mächtigen dieser Welt wie Figuren auf einem Schachbrett herumzuschieben.

Sein Nachname ist Dwyer, und er ist bei der CIA verantwortlich für Lateinamerika.

Ich habe gelogen, als der demnächst heiratende US-Senator Nicholas Randolph Preston III. mir eben die Frage nach der Freiheit stellte. Ich würde sie noch einmal genießen – aber nur ganz kurz.

Gleich danach würde ich bis aufs Blut darum kämpfen, um sicherzustellen, dass sie mir nie wieder irgendjemand nehmen kann.

So charmant es ist, mit Prinzen im Mondlicht zu tanzen, es sind weitaus wichtigere Gründe, die mich heute Abend hergeführt haben. Ich bin gekommen, um einen Mann zu treffen, der mir dabei helfen wird, den Tod meines Bruders Alejandro zu rächen und Fidel Castro zu töten.

2

Derselbe Balkon. Ein anderer Mann. Der gleiche taxierende Blick, diesmal jedoch ohne jedes Gefühl der Bewunderung oder Verlockung. Und tanzen werden wir ganz bestimmt nicht, auch wenn die Musik im Hintergrund weiter zu hören ist.

»Allem Anschein nach haben wir einen gemeinsamen Feind«, sagt Mr. Dwyer. Die grobschlächtigen Züge sind zu einer routinierten Maske erstarrt. Seine Augen ruhen auf meinem Gesicht, meinem Körper. Mit jeder Faser ist der Geheimdienstchef bei seiner ersten eingehenden Prüfung – regungslos, gründlich, opportunistisch.

Die CIA hat in Lateinamerika stets blutig und brutal Einfluss genommen. In den Kreisen, in denen ich mich nach dem Tod meines Bruders mehr denn je bewege, wird hinter vorgehaltener Hand viel über deren Einmischung in Ländern wie Guatemala geredet.

»Den haben wir«, bestätige ich.

»Und Sie glauben, uns dieses Problem vom Hals schaffen zu können?«

Dwyer entnimmt einem goldenen Etui eine schlanke Zigarette und bringt sie mit einem passend gravierten Feuerzeug knisternd zum Brennen. Eine erste Rauchwolke steigt in die Luft, und der berauschende Tabakduft vermischt sich mitdem Parfüm, das ich mir auf die Pulsstellen aufgetragen habe.

»Das tue ich.«

Es mag sonderbar erscheinen, dass ich als Frau und mit nur zweiundzwanzig Jahren hier auf diesem Balkon stehe und nicht jemand wie mein Vater, der das Spiel um Macht und Einfluss schon ein Leben lang betreibt – aber gerade Alter und Geschlecht machen aus mir eine vielversprechende Waffe. Damit die Sache gelingt, brauchen sie jemanden, der dicht an Fidel herankommt, jemanden, der sein Interesse weckt und den er zugleich nicht als Bedrohung wahrnimmt. Und wer wäre leichter zu unterschätzen als eine Frau, noch dazu eine naive, junge Tochter aus reichem Haus? Fidel besitzt so einige Laster, und seine besondere Schwäche für weibliche Schönheit ist allgemein bekannt.

»Sie haben seinerzeit enge Kontakte zu den Rebellen in Havanna unterhalten«, erklärt Dwyer mit hartem, leicht abschätzigem Blick. Das Verhältnis der CIA zum ehemaligen kubanischen Präsidenten Batista war – vorsichtig formuliert – nicht ganz unkompliziert, und Menschen wie ich hatten über die Jahre hinweg zu deren Problemen einen nicht unbedeutenden Beitrag geleistet.

Krieg sorgt für sonderbare Bettgenossen.

»Richtig.«

»Wegen Ihres Bruders?«

Womöglich ist er der Meinung, mich mit solchen Details, die er aus meinem Leben zusammengetragen hat, überrumpeln zu können, aber mich überrascht es wenig, dass er über Alejandros Verwicklung in die Revolution und seinen Tod Bescheid weiß. Schließlich haben die Amerikaner auf Kuba schon lange überall ihre Finger im Spiel und ziehen hinter den Kulissen für Leute wie Batista die Strippen.

»Zu Beginn«, antworte ich, jetzt deutlich kühler.

Dwyer lächelt, was auf einem Gesicht, dessen Falten und Furchen offenbar nur selten Anlass zu einem freundlichen Ausdruck finden, wie eine unnatürliche Anstrengung wirkt. »Miss Perez, ich bin bestens vertraut mit der Technik, sich nicht in die eigenen Karten sehen zu lassen, glauben Sie mir, aber Sie haben um dieses Treffen gebeten, und wenn Sie mich davon überzeugen wollen, dass ich hier nicht meine Zeit verschwende, sollten Sie jetzt auf den Punkt kommen.«

Auf Kuba leiden und sterben die Menschen, während hier ein Smokingträger zwischen ein paar Zigarettenzügen gelangweilt über einen Staatsstreich nachsinnt. Dass er daran vermutlich auch noch Vergnügen findet, macht alles nur noch schlimmer.

»Sie würden sich doch gar nicht mit mir treffen, wenn Ihre Lage nicht einigermaßen verfahren wäre«, erwidere ich, und meine Selbstsicherheit wächst mit jedem Wort. »Sie wären nicht hier, wenn Sie nicht neue Ideen bräuchten, wie Sie näher an Fidel herankommen«, fahre ich fort. »Wenn er nicht sämtliche diplomatischen Offerten, die Sie ihm gemacht haben, zurückgewiesen hätte. Ich bin hier diejenige, die alles aufs Spiel setzt – meinen Ruf, den meiner Familie, ja, mein Leben. Wie soll ich da stärker auf Sie angewiesen sein als Sie auf mich? Erklären Sie mir das? Ich kann mir jederzeit einen reichen Mann angeln, der mir einen Ring über den Finger streift und mir eine riesige Villa kauft, während die Welt um mich herum in Flammen steht. Sie hingegen sind der, dem die kommunistische Gefahr direkt im Nacken sitzt und dessen Kopf rollen wird, wenn Lateinamerika verloren geht. Ihnen droht hier ein gewaltiges Pulverfass nur neunzig Meilen von der amerikanischen Küste entfernt. Sie brauchen Kuba. Und Sie brauchen mich. Also beleidigen Sie nicht unserer beider Intelligenz, indem Sie das Gegenteil behaupten.«

Hinter einer weiteren Rauchwolke neigt er in gekünsteltem Respekt den Kopf. »Dass Sie nicht bloß eine dieser unbedarften Schönheiten sind, erwähnte Eduardo bereits.«

Der Vater von Eduardo Diaz ist ein guter Freund meines Vaters, und Eduardo, der meiner Familie gemeinsam mit vielen anderen dabei geholfen hat, sich hier in den Staaten einzugewöhnen, ist es auch gewesen, der dieses kleine Treffen arrangiert hat.

Dwyer zieht erneut an seiner Zigarette. »Sie möchten gern noch einmal von vorne anfangen? Schön. Warum sollte Castro Sie so dicht an sich heranlassen?«

»Weil er ein Mann ist.«

Braucht es da wirklich noch mehr Erklärungen? Man erntet schließlich nicht fünf Heiratsanträge, ohne das ein oder andere über die Beeinflussbarkeit von Männern zu lernen.

»Sind Sie ihm schon einmal begegnet? Hat auch er um Ihre Hand angehalten?«

Wie es scheint, eilt mir mein Ruf mal wieder voraus.

»Nein, das Vergnügen blieb mir bislang verwehrt. Allerdings bin ich diverse Male Guevara begegnet.«

»Und Guevara vertraut Ihnen?«

Ich erlaube mir ein etwas undamenhaftes Schnauben. »Wohl kaum. Ich schätze, der Punkt schert ihn herzlich wenig. Aber geht es nicht genau darum? Ich bin das junge Ding, das sie alle aus der Klatschpresse kennen. Eine dieser berüchtigten Zuckerköniginnen, die sie so verachten und denen sie zugleich einfach nicht widerstehen können. Als echte Bedrohung betrachtet mich keiner von denen. Und zieht man ihr extrem ausgeprägtes Selbstbewusstsein in Betracht, zusammen mit ihrer Abneigung gegenüber meiner Familie und dem Prestige meines Nachnamens, so sollte die Vorstellung, meinen Vater auf diese Weise zu demütigen, eine unwiderstehliche Verlockung für sie darstellen. Neben allem anderen.«

Es erübrigt sich, den Gedanken zu Ende zu führen. Ob Revolutionäre oder Despoten, macht keinen Unterschied. Letztlich sind sie alle nur Männer, die von anderen Dingen als ihrem Verstand angetrieben werden.

Dwyers Blick taxiert noch einmal meine Erscheinung, wandert über meine wohlgeformten Kurven und registriert zugleich die Anzeichen für meine derzeit beschränkten finanziellen Mittel. So entspricht das Kleid nicht ganz der letzten Mode, die schlecht sitzenden Schuhe sind augenscheinlich nicht meine, und die Kette um meinen Hals funkelt viel zu künstlich.

Trotz meines betont forschen Auftretens brauche ich diese Chance auch aus ganz persönlichen Gründen, und das weiß Dwyer genau.

»Wie planen Sie denn, an ihn ranzukommen? Auf Kuba selbst?«

Verlockend hält er mir diese Option vor die Nase, wie man es bei einem Kind mit einer Tafel Schokolade macht. Was würde ich nicht alles tun, um an den einzigen Ort heimkehren zu können, an dem ich mich jemals zu Hause gefühlt habe – zurück zu Freunden und Freundinnen, all meinen Verwandten, meinen Landsleuten –, und damit dieser endlosen Warterei ein Ende zu bereiten?

»Womöglich«, antworte ich. »Oder wenn er zu einem diplomatischen Besuch in die Vereinigten Staaten reist.«

Castro ist schon im vergangenen April, drei Monate nach der Machtübernahme, zu Gast in den Vereinigten Staaten gewesen. Präsident Eisenhower hat zwar zum Glück die Größe besessen, ihn nicht zu empfangen, aber dafür ist Fidel mit Vizepräsident Nixon zusammengetroffen. Dem Gesichtsausdruck meines Gegenübers nach zu urteilen, ist deren Gespräch jedoch nicht besonders gut verlaufen.

»Castro ist kein unbesonnener Draufgänger«, gibt Dwyer zu bedenken. »Zumindest nicht, wenn es um sein eigenes Leben geht. Selbst für Sie dürfte es nicht leicht sein, einen ungestörten Moment mit ihm zu erwischen, ungeachtet Ihrer beträchtlichen Reize.«

»Leicht oder nicht leicht ist mir egal. Was ich will, ist eine Chance.«

»Und wenn es Ihnen nicht gelingt? Wenn seine Leibwächter Sie erwischen, könnte das Ihren Tod bedeuten. Sehr wahrscheinlich sogar. Es gibt inzwischen viele Orte, an denen Ihr Name Sie nicht länger schützt. Sind Sie auch darauf vorbereitet?«

»Wenn ich scheitere, werden sie mich umbringen. Der Risiken bin ich mir voll bewusst, da können Sie sicher sein. Wäre ich das nicht, würde ich mich wohl nicht freiwillig melden.«

»Eine Idealistin, sieh an. Hätte ich gar nicht gedacht.«

Aus seinem Mund klingt »Idealistin« wie etwas Ordinäres.

»Bin ich auch nicht.«

»Ihr Bruder …«

»Ich rede nicht über meinen Bruder. Wann begreifen Sie das endlich?«

Im Kuba vor der Revolution zählte Alejandro zu den Ersten, die den Mund aufmachten, als die Verwerfungen im gesellschaftlichen Leben unübersehbar wurden. Seine Empörung über den Reichtum und die Stellung unserer Familie, die in solch krassem Gegensatz standen zum Leid der Menschen um uns herum, entlud sich abends bei uns am Esstisch. Wenig später schloss er sich der Federación Estudiantil Universitaria an, einer der Studentengruppen, die sich an der Universität von Havanna gebildet hatten, und begann, den Widerstand gegen den damaligen kubanischen Präsidenten Fulgencio Batista zu unterstützen. Als er sich an einem Angriff auf den Präsidentenpalast beteiligte, führte dies dazu, dass unser Vater ihn verstieß. Während in den Augen der meisten die negativen Seiten an Batista überwogen, hielt unser Vater es für ein notwendiges Übel, freundschaftlich mit ihm verbunden zu bleiben.

Ich folgte Alejandro auf seinem Weg, so wie ich ihm stets in allen Dingen nacheiferte, bis am Ende seine Wut auch meine Wut war, seine Träume meine Träume, seine Hoffnung meine Hoffnung – und sein Tod mein Tod.

Wir ließen meinen Bruder auf Kuba zurück, bestattet in einem Mausoleum, wo sein Leichnam in derselben Erde ruht, über die jetzt seine Mörder herrschen.

Ich hole tief Luft. »Sind Sie nun an meiner Hilfe interessiert oder nicht?«

Dwyer drückt die Zigarette mit der Spitze seines rechten Abendschuhs auf dem Boden aus. »Möglicherweise. Wir melden uns.«

Mit einem knappen Nicken verschwindet er, und ich bleibe, zwischen Hoffnung und Resignation schwankend, allein auf dem Balkon zurück.

Jetzt, da Elisa verheiratet ist, wohnen nur noch Isabel, Maria und ich im Haus unserer Eltern. Maria verbringt ihre Tage in der Schule, während Isabel und ich Mühe haben, unsere freie Zeit sinnvoll auszufüllen. Wir engagieren uns als freiwillige Helferinnen bei Wohltätigkeitsorganisationen und in der Kirche, und dann gehe ich natürlich noch meinen eher inoffiziellen politischen Aktivitäten nach. Dennoch fühlt sich alles so ziellos an. Ich habe bei meinen Eltern noch einmal das alte Streitthema angeschnitten, warum uns nicht erlaubt wird, eine Uni zu besuchen, und alternativ sogar vorgeschlagen, meinem Vater dabei zu helfen, das Zuckergeschäft wieder in Schwung zu bringen, das Fidels Revolution fast völlig zum Erliegen gebracht hatte.

Vor acht Monaten beschloss das Regime eine Landreform, die den Privatbesitz an Grund und Boden stark beschränkte und alle enteigneten Flächen neu verteilte oder staatlicher Nutzung übertrug. Mit einem einzigen Federstrich war alles einfach dahin, was meine Familie oder andere wie sie über Jahrhunderte hinweg aufgebaut hatten. Und was derzeit gerüchteweise aus dem Land nach außen dringt, lässt noch viel Schlimmeres befürchten. Offenbar sind Tausende meiner Landsleute eingekerkert, gefoltert und ermordet worden.

»Seien Sie besser vorsichtig.«

Ich zucke erschrocken zusammen und drehe mich dann betont langsam um – ein wenig, um den Moment in weiblicher Eitelkeit länger auszukosten, vor allem jedoch, um mich zu sammeln.

Er ist nach wie vor golden, daran ändert auch die Tatsache seiner offiziellen Verlobung, oder dass ich inzwischen weiß, wer er ist, nicht das Geringste. Getrübt wird sein blendendes Aussehen allein durch die finstere Miene, mit der er mich mustert.

»Dwyer gehört zu den Menschen, denen man besser nicht in die Quere kommt«, erklärt Nicholas Preston.

Angesichts seiner hochrangigen Position in Washington wundert es mich nicht, dass er weiß, wer der CIA angehört. Und so konzentriert, wie er mich angestarrt hat, wundert es mich ebenso wenig, dass ihm selbst inmitten der Bekanntmachung seiner Verlobung mein Verschwinden aus dem Ballsaal nicht entgangen ist.

Allerdings ärgern mich sein Kommentar und dessen warnender Unterton, in dem mitschwingt, dass ich einen Beschützer benötige.

»Ich kann auf mich selbst aufpassen.«

»Durchaus möglich, nur heißt das noch lange nicht, dass Sie derart unvorsichtig bei der Auswahl der Gesellschaft sein sollten, in die Sie sich begeben. Dwyer würde Sie, ohne mit der Wimper zu zucken, als reines Mittel zur Durchsetzung seiner eigenen Ziele benutzen, und es wäre ihm ziemlich egal, was dabei mit Ihnen geschieht. Das ist kein Mann, der viel Federlesen macht.«

»Prima, auf überflüssiges Geplänkel stehe ich ohnehin nicht.«

Seine Worte erinnern mich an all das Gerede von Grenzen und Hürden, das ich ständig von meinen Eltern zu hören bekomme: ich als Frau; der gesellschaftliche Rang unserer Familie; die Notwendigkeit, einen Mann zu ehelichen, der dem Ansehen unserer Familie dient; wie wichtig es ist, unsere Stellung in der Welt ständig zu verbessern.

Er tritt näher.

Ich neige den Kopf zur Seite und betrachte ihn aufmerksam. »Sollten Sie denn überhaupt hier draußen sein, Senator Preston? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihrer Verlobten gefällt, wenn Sie ein solches Interesse daran zeigen, zu wem eine andere Frau Beziehungen unterhält. Schon gar nicht eine Frau wie ich.«

In diesem verschlafenen Nest, auf dieser abgeschotteten Insel, tauge ich bereits zum Skandal.

Sein Kinn zuckt kaum merklich, als das Wort »Verlobte« fällt, und sein ganzer Körper spannt sich beim Wort »Beziehungen«.

Ich schenke ihm mein breitestes Lächeln und füge hinzu: »Wie gesagt, ich kann auf mich selbst aufpassen.«

Er bleibt stumm, bis das Schweigen drückend wird. Dann nickt er steif, und all die Vertrautheit, die bei unserem ersten Treffen auf dem Balkon noch da war, ist verflogen.

»Selbstverständlich können Sie das«, antwortet er mit leicht ironischem Unterton, und die hochgezogenen Mundwinkel deuten an, dass er ebenfalls bissig zu werden versteht. »Verzeihen Sie die Einmischung. Und nun entschuldigen Sie mich. Wie Sie zu Recht bemerkten, wartet drinnen meine Verlobte auf mich.«

Erneut wird mir der Anblick seines Rückens zuteil und damit das seltene Schauspiel, dass ein Mann sich von mir entfernt, was die Wirkung seiner abschließenden Worte beträchtlich verstärkt.

Ich habe keinen dieser fünf Anträge jemals auch nur in Erwägung gezogen, weil die betreffenden Männer zwar oft ganz nett waren – oder widerlich, aber mit nettem Vermögen –, sie mich ansonsten jedoch alle fünf vollkommen kaltließen.

Keinem von ihnen ist es gelungen, mir unter die Haut zu gehen, mich durcheinanderzubringen.

Nicholas Preston genügt dafür ein einziger Abend.

3

»Wie ist’s denn gestern Abend gelaufen?«, fragt Eduardo Diaz mit gedämpfter Stimme auf Spanisch und schaut sich dabei wachsam in dem vollbesetzten Restaurant um, das wir für die Nachbesprechung des von ihm arrangierten Treffens mit Dwyer ausgewählt haben.

»Weiß nicht genau«, gestehe ich. Jemandem etwas vormachen zu wollen, der schon als Kind Tee-Party mit mir spielen musste, macht wenig Sinn. Eduardo ist die Art von Freund, die quasi zur Familie gehört.

»Na, wie seid ihr denn verblieben?«

»Mr. Dwyer hat gesagt, er würde sich melden.« Ich senke die Stimme weiter. »Ich hatte den Eindruck, dass die CIA selbst nicht weiß, wie sie an Fidel herankommen soll, und dass er daher die Idee, mich dazu zu benutzen, grundsätzlich ganz faszinierend fand.«

Eduardo legt die hübschen Züge in nachdenkliche Falten und trinkt einen Schluck Kaffee. »Das ist zu wenig.«

»Mag sein, aber was hätte ich tun sollen? Der Mann ist misstrauisch. Wenn ich zu viel Druck mache, denkt der doch bloß, ich bin eine kubanische Agentin oder so.«

Die wechselseitigen Spionageaktivitäten zwischen Washington und Havanna haben in letzter Zeit dramatisch zugenommen, und auch die wachsende Gemeinde der Exilkubaner ist angeblich längst von Fidels Agenten infiltriert.

»Vielleicht.« Eduardo lehnt sich in seinen Stuhl zurück und nimmt noch einen Schluck Kaffee. Kaum hat er den Becher wieder abgesetzt, ist eine Kellnerin zur Stelle, um ihn aufzufüllen. Er schenkt ihr dieses strahlende Lächeln, dessen Wirkung ich schon so viele Male beobachten konnte. Ständig verlieben sich Frauen in Eduardo Diaz, womit sie, wie ich fürchte, einen furchtbaren Fehler begehen. Denn er ist ein ausgesprochen selbstsüchtiger, wenn auch reizender Drecksack, dessen Aufmerksamkeit derzeit allein auf eine einzige Sache gerichtet ist, wovon ihn weder ein Paar hübsche Augen noch andere Vorzüge abbringen werden. Wie sehr Eduardo auch die Frauen liebt, Kuba liebt er noch mehr.

Die Wangen der Kellnerin färben sich rosa. Erst als sie Eduardos Becher vollgeschenkt hat, verlässt sie unseren Tisch.

»Du hast gestern Abend einen neuen Verehrer gewonnen, habe ich gehört«, nimmt Eduardo den Faden wieder auf.

»Hoffentlich doch mehr als nur einen. Immerhin habe ich mich nach Kräften bemüht, das edle Burgfräulein in Not zu spielen – die Prinzessin ohne Thron, auf der Suche nach einem wackeren Rittersmann, der den Drachen für sie erschlägt. Männer lieben so einen Unfug.«

Er grinst. »Manche.«

»Du gibst nicht gerne den mutigen Drachentöter?«

»Eher nicht. Du weißt, wie ungern ich mir die Hände schmutzig mache.«

»Tja, in diesem Punkt dürften einige der amerikanischen Männer anderer Meinung sein.«

Nicholas Preston ist ein Kriegsheld, heißt es.

Eduardos Augen verengen sich. »Apropos amerikanische Männer. Wie ich gehört habe, ist dir vor versammeltem Ballsaal ein Antrag gemacht worden.«

Eduardo ist zwar nicht auf der Feier gewesen, aber offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die er in die Gesellschaft von Palm Beach eingeführt hat, um dort für ihn Augen und Ohren offen zu halten.

»Besuch doch einfach selbst solche Veranstaltungen, statt dich auf dein kleines Netzwerk von Spionen zu verlassen, die anschließend alles auspetzen müssen, was so passiert ist.«

»Ich habe gestern Abend Karten gespielt. Was sich übrigens als sehr einträgliches Unterfangen erwiesen hat.«

»Karten gespielt? Nennt man das jetzt so? Ich bin mir sicher, dass es da für dich noch andere, sagen wir, Formen des Zeitvertreibs an diesem Abend gab.«

Eduardo ist höchst begehrt und genießt eine Stellung in der hiesigen Gesellschaft, die dem Rest von uns verwehrt geblieben ist. Obwohl er derzeit kein eigenes Vermögen besitzt, betrachtet man ihn als guten Fang, als genau die Art von Begleiter, wie ihn gelangweilte Hausfrauen und ehrgeizige Mütter so lieben: ausgezeichnetes Aussehen, perfekte Manieren und stets mit einem maßgeschneiderten Smoking in Reichweite.

»Ich kann doch auch nichts dafür, wenn mich alle unwiderstehlich finden«, erklärt er verschmitzt.

»Ach, bitte, verschon mich mit diesem Gerede. Dafür ist es viel zu früh am Tag, und dafür bin ich gestern viel zu spät ins Bett.«

»Demnach bin ich hier nicht der Einzige, der einen sehr interessanten Abend verbracht hat.«

Er versteht es, selbst »interessant« wie etwas höchst Anzügliches klingen zu lassen.

»Ich bezweifle stark, dass mein Abend ebenso interessant gewesen ist wie deiner. Immerhin bin ich brav mit meinen Eltern und meinen Schwestern nach Hause gegangen, während du vermutlich ganz andere Begleitung hattest. Na, wer war sie? Eine einsame Witwe oder eine aufstrebende Varietésängerin? Oder vielleicht eine unverstandene, weil viel jüngere Ehefrau?«

»Oh, ich denke, deine Begleitung an diesem Abend war erheblich interessanter als meine.«

Mein Gesicht beginnt zu glühen. Auch wenn wir nicht verwandt sind, so hat Eduardo doch schon immer ein ausgeprägtes Talent dafür besessen, mich in Rage zu bringen, wie es sonst nur älteren Geschwistern gelingt.

»Ich weiß überhaupt nicht, worauf du da anspielst.«

»Und ob du das weißt.« Seine Miene wird ernst. »Das ist eine extrem einflussreiche Familie, Beatriz. Wirtschaftlich wie politisch.«

»Er ist doch bloß ein entfernter Cousin. Ich glaube nicht, dass er irgendeinen Einfluss auf ihre politischen Entschlüsse hat.«

»Ich rede hier nicht über den Kerl, der um deine Hand angehalten hat. Mir ist vielmehr zu Ohren gekommen, dass du das Interesse eines gewissen Senators geweckt hast.«

»Gehören deine Spione bei solchen Partys eigentlich zum Personal, oder sind es Gäste, die du für diese Aufgabe abgerichtet hast?«, erwidere ich in deutlich kühlerem Ton.

»All meine kleinen Geheimisse kann ich nicht offenlegen, das weißt du.«

»Wir haben bloß einmal getanzt.«

»Genau.«

»Einmal, mehr nicht«, beharre ich.

»Woraufhin er dich den ganzen Abend nicht mehr aus den Augen gelassen hat, wie mir berichtet wurde.«

Es sollte mir kein Gefühl der Befriedigung verleihen, aber genau das tut es.

»Den überwiegenden Teil des Abends hat er damit verbracht, sich zu verloben.«

»Auch verlobte Männer haben Augen im Kopf.«

»Ach, wie wundervoll. Genau, was ich mir erträumt habe: ein verheirateter Schürzenjäger.«

»Ja, es wäre in der Tat nicht schlecht, wenn er ein Schürzenjäger ist, zumindest für die Ziele, die wir verfolgen. Ich bin sicher, seine hübsche Verlobte wird sich damit arrangieren. Es könnte der Tag kommen, an dem wir seine Stimme im Senat brauchen, Beatriz.«

Es kostet mich einige Mühe, einen unbeschwerten Ton anzuschlagen. »Von einem harmlosen Tanz gleich zur Stimmabgabe im Senat – Junge, Junge, ganz schön ambitioniert. Ich dachte, unser Plan wäre, Fidel umzubringen. Nicht, so viele Beschlüsse gegen ihn zu bewirken, bis er tot umfällt.«

»Wir müssen uns alle Optionen offenhalten. Heute Abend findet eine Feier statt, an der auch Senator Preston teilnehmen wird. Ich schlage lediglich vor, dass du ihn ein wenig lockst, um zu sehen, ob er ernsthaft interessiert ist.«

Mein Blick verfinstert sich, meine Stimme wird eisig.

»Du magst daran gewöhnt sein, mit Leichtigkeit irgendwelche hörige Damen zu finden, die nach deiner Pfeife tanzen, aber mich wirst du nicht meistbietend verkaufen. Ich bin hier wegen Fidel, nicht um mit irgendwelchen Politikern ins Bett zu steigen, die dafür sorgen sollen, dass du dein Vermögen zurückbekommst.«

»Ich dachte, du bist wegen Alejandro hier«, entgegnet Eduardo, ohne dass ihm auch nur der kleinste Anflug von Scham anzumerken wäre.

Was bringt die Leute bloß zu der Annahme, dass sie nur den Namen meines Bruders erwähnen müssen, und schon füge ich mich widerspruchslos ihrem Willen? Bloß weil es ihnen gelingt, mir die Tränen in die Augen zu treiben? Man kann doch jemanden lieben und trotzdem einen eigenen Kopf bewahren.

»Abgesehen davon reden wir hier keineswegs allein über mein Vermögen«, fährt Eduardo fort. »Willst du etwa nicht auch für dich, deine Eltern und deine Schwestern ein besseres Leben?«

»Ich werde nicht mit Senator Preston schlafen, weil es in deine Pläne passt oder weil meine Schwestern und ich die Kleider der jeweils anderen auftragen müssen. Nicht mal im Gedenken an Alejandro. Es gibt andere Wege, um Fidel zu bezwingen. Zudem habe ich meinen Bruder besser gekannt als ihr alle, und ich bin mir sicher, dass er nicht gewollt hätte, dass ich mich für unsere Ziele prostituiere.«

Ungeachtet der Brutalität, mit der Fidel uns alle in den Ruin getrieben hat, dringt Eduardos Erziehung doch immerhin so weit durch, dass er für einen kurzen Moment beschämt wirkt. »Na gut. Schlaf nicht mit ihm. Aber denk dran, welchen Vorteil es bringen kann, wenn er an dir interessiert bleibt. Wahrscheinlich wird er sich eher für unsere Sache einsetzen, wenn du ihm sympathisch bist.«

»Der Mann heiratet demnächst«, rufe ich Eduardo und womöglich auch mir selbst in Erinnerung. Der mahnende Einwurf scheint nötig, da mir einfach nicht aus dem Kopf gehen will, wie gut mir der gestrige Abend auf dem Balkon gefallen hat.

Hat er mich tatsächlich den ganzen Abend nicht mehr aus den Augen gelassen?

»Und du bist Beatriz Perez«, erwidert Eduardo.

»Ich zerstöre nicht einfach leichtfertig das Leben eines Menschen oder dessen Heiratsabsichten. Unschuldige sollen nicht zu Schaden kommen.«

»Er ist US-amerikanischer Politiker«, wendet Eduardo ein. »Wie unschuldig kann er da schon sein? Die Amerikaner haben von Beginn an überall ihre dreckigen Spielchen betrieben. Heute Abend wird eine Party stattfinden, und dein Senator Preston wird daran teilnehmen. Lass uns beide hingehen.«

Ich zögere.

Er lächelt. »Was kann ein Versuch schon groß schaden? Hast du nicht selbst gesagt, es war nur ein Tanz?«

Mit einem wissenden Leuchten in seinen dunkelbraunen Augen reibt Eduardo mir diese Mischung aus Herausforderung und Bitte unter die Nase. Ein verflucht fieser Schachzug, schließlich ist uns beiden klar, dass ich noch nie widerstehen konnte, wenn es um schier aussichtslose Wagnisse und Mutproben ging.

Der Kreis der Gäste unterscheidet sich stark von dem am Vorabend. Heute sind weder ältere Damen noch grauhaarige Eltern anwesend, stattdessen ist hier die vergnügungshungrige junge Generation der Oberschicht versammelt, darunter nur wenige mir bekannte Gesichter. Das Ganze besitzt kaum Ähnlichkeit mit den Gesellschaften, die ich sonst mit meinen Eltern besuche.

»Du siehst hinreißend aus«, flüstert Eduardo, während ich an seinem Arm den Raum betrete.

»Schon möglich, aber so wie du das sagt, klingt es eher beunruhigend.«

»Wie sage ich es denn?«

»Als wäre ich ein appetitliches Stück Frischfleisch, mit dem du Beute machen willst.«

Eduardo lacht amüsiert auf und erregt damit sofort die Aufmerksamkeit von einem Großteil der anwesenden Frauen. Wenn sie mich nicht bereits zuvor gehasst haben, wird mir der Auftritt am Arm eines der attraktivsten ledigen Männer der laufenden Saison ganz bestimmt keine Sympathiepunkte eintragen.

»Du hast mir wirklich gefehlt, als du noch auf Kuba warst,«, erklärt Eduardo leise, und verstärkt mit seiner betont herzlichen, vertrauten Haltung den Eindruck, dass wir entweder sehr alte Freunde oder ein Liebespaar sind.

Eduardo verließ Kuba noch vor uns, noch bevor Präsident Batista an Silvester von der Insel flüchtete und unser Schicksal zu Neujahr den Launen Castros preisgab. Ich habe mich immer gefragt, ob all das Geld, das Eduardo früher in Havanna ständig den unterschiedlichsten Leuten zugesteckt hatte, ihm die vorzeitige Warnung eingebracht haben könnte, dass die Lage kurz vor dem Kippen ist.

»Die meisten Frauen, mit denen ich hier so meine Zeit verbringe, säuseln bloß andauernd irgendwelche Schmeicheleien«, fügt er grinsend hinzu. »Was wirklich entsetzlich anstrengend sein kann.«

Ich gebe ein leisen Schnauben von mir, während ich den Blick durch den Saal wandern lasse.

Plötzlich stockt mir der Atem.

Zwei blaue Augen bohren sich in meine, und einen Moment lang ist Eduardo vergessen.

Heute ist keine Verlobte dabei oder falls doch, gehören sie nicht zu den Pärchen, die einander permanent am Arm hängen. Wahrscheinlicher aber ist, dass seine Braut, wie die meisten unverheirateten Mädchen aus gutem Hause, an diesem Abend den Besuch einer etwas sittsameren Veranstaltung vorzieht. Die Art von Party ist das eben.

Nicholas Preston sieht noch genauso gut aus wie am Vortag. Er trägt Anzug statt Smoking, und sein strahlend weißer Hemdkragen unterstreicht die vitale Bräune seiner Haut.

In den Wintermonaten treibt es die vornehme Gesellschaft nach Palm Beach, um den ungemütlichen Temperaturen im Norden zu entrinnen, und es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie Senator Preston an einem sonnigen Floridamorgen mit den Kennedys eine Runde Golf spielt oder im letzten Licht des Tages den Strand entlangschlendert. Er macht den Eindruck, als wäre er am glücklichsten, wenn er aktiv sein kann, etwa am Ruder eines Segelboots oder am Steuerknüppel eines Flugzeugs, auf dem Rücken eines edlen Polopferds oder mit einem Schläger in der Hand und bereit, seinem Gegner eine vernichtende Niederlage zuzufügen.

Ich stehe an der Seite von Eduardo, der gerade ein paar Begrüßungsworte mit dem Gastgeber wechselt. Die reiche Verlegerfamilie, der dieser Mann entstammt, ist natürlich auch in jenem Social Register verewigt, das meiner Mutter als eine Art Bibel dient. Stundenlang studiert sie die in dieser illustren Liste aufgeführten Namen auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten, mit dem sie eine ihrer unverheirateten Töchter verkuppeln kann.

Der Blick von Nicholas Preston verfolgt mich, bleibt haften an meinen unbedeckten Schultern, an Eduardos Hand auf meiner Taille, an der Stelle, wo sich unsere Haut berührt.

Ein Schauder läuft mir über den Rücken, als Eduardo mich unter dem verunsichernden Starren des Senators auf die provisorische Tanzfläche führt und alle Anwesenden neugierig die Köpfe nach uns verrenken. Haben sie die Aufmerksamkeit bemerkt, die mein Erscheinen in Nicholas Prestons Ecke des Raumes erregt hat? Oder ist ihr Gaffen bloß dem gemeinsamen Auftreten von Eduardo und mir geschuldet, der perfekten Art, in der unsere dunklen Züge zusammenpassen, und der Ungezwungenheit unseres Umgangs miteinander, was ihrem Verdacht, dass ich Eduardos Geliebte oder etwas ähnlich Verworfenes bin, natürlich Vorschub leistet?

»Er wird dich gleich zum Tanz auffordern«, erklärt Eduardo, bevor er mich für einen Kreis um die eigene Achse aus dem Arm entlässt.

Ich schiele über die Schulter.

Nicholas Preston beobachtet mich noch immer. Gänsehaut überzieht meine Unterarme, und mir wird schwindlig vom Drehen. Womöglich hängt der Schwindel an diesem Abend aber auch mit diesem Mann zusammen, mit dem Vorwand, der mich antreibt, der Lust, die in mir aufsteigt.

In Wahrheit wünsche ich mir sogar, dass Nicholas Preston uns unterbricht. Ich hätte gern, dass er den Ballsaal durchquert und mich um diesen Tanz bittet. Am liebsten würde ich so tun, als wäre ich bloß eine unbekümmerte Zweiundzwanzigjährige, das sorglose junge Mädchen, das ich bis vor Kurzem noch war.

Ich möchte einfach nur gerne mit ihm tanzen. Na gut, ein bisschen flirten nebenbei vielleicht auch.