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Kann die Liebe alle Grenzen überwinden? 1890, Virginia: Um seinem fiebernden Baby zu helfen, folgt Ella dem jungen Löwenbändiger Charlie heimlich mit auf das Zirkusgelände. Während sich Ella liebevoll um das mutterlose Kind kümmert, beginnen die Herzen der besorgten Krankenschwester und des geheimnisvollen Löwenbändigers füreinander zu schlagen. Doch für die Liebenden aus zwei Welten gibt es viele Hindernisse. Als Charlie Ella auch noch sein finsteres Geheimnis eröffnet, scheint für Ella keine gemeinsame Zukunft mehr möglich … Stimmen zum Buch: - "Diese Liebesgeschichte ist so herzergreifend schön, dass Leserinnen sich noch nach Jahren daran erinnern werden." Romantic Times Book Reviews - "Joanne Bischofs Geschichte vereint alles, was das Herz begehrt: Hoffnung, Liebe, Tiefe – und den Zauber einer geheimnisvollen Zirkuswelt." Lori Benton, preisgekrönte Autorin - "Charlie Löwenherz ist zugleich zärtlich und mutig, demütig und aufrecht, stark und verletzlich. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich in eine Romanfigur verliebt." Leserin
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Seitenzahl: 523
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Joanne Bischof
Wo mein Herz
zu Hause ist
ROMAN
Amanda – für alles
Copyright © 2016 by Joanne Bischof
Translated from the English language: THE LADY AND THE LIONHEART
First published by: MASON JAR BOOKSTitel der Originalausgabe: The Lady and the Lionheart
© 2016 Joanne Bischof
Originalausgabe veröffentlicht bei Mason Jar Books.Bibelzitate sind entnommen der Ausgabe:
Lutherbibel, revidiert 2017,© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.© 2017 Brunnen Verlag Gießen
Lektorat: Konstanze von der Pahlen
Umschlagfoto: Mark Owen/Trevillion Images
Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN Buch 978-3-7655-2082-2
ISBN E-Book 978-3-7655-7488-7www.brunnen-verlag.de
Die Wunden, die wir tragen, mögen bleiben;doch es gibt eine Liebe, die alles neu zu machen vermag.
Inhalt
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Epilog
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Roanoke, VirginiaFrühling 1890
Zum Zischen von Bügeleisen und umgeben von Seifengeruch trug Ella einen Stapel Betttücher die Treppe hinauf. Verschneites Abendlicht sickerte kühl und grau durch das Treppenhausfenster des Stadthauses, das nun als Krankenhaus diente. Nachdem Ella den Nachmittag im Keller verbracht hatte, vermochte sogar der Anblick von Nebel und sanft fallenden Flocken ihre Stimmung zu heben. Eigentlich unspektakulär, aber in diesen Tagen – vielmehr: Jahren – war sie dankbar für überhaupt etwas. Während der Wind den Schnee in Böen durch die Straße wirbelte, blieb ihr Blick an einem Farbtupfer hängen, der mit den Flocken dahintrieb. Ein Stück Schnur mit bunten Wimpeln. Nass vom Winterwetter trudelte das Band mit den fröhlichen Fähnchen über den Schnee. Rasch trat Ella näher ans Fenster, aber da war der Farbklecks schon aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Trotzdem lächelte sie.
„Entschuldigung, Fräulein Spülmagd.“
Beim Klang von Claras Stimme machte sich Ella im engen Treppenhaus so dünn wie möglich. „Kommen Sie vorbei?“
Clara fixierte sie mit ihren Augen, während sie sich vorbeizwängte. „Kaum. Und auf diese Betttücher warte ich schon den ganzen Tag.“ Mit einem missbilligenden Zungenschnalzen rückte die Krankenschwester ihre Haube auf dem Haar zurecht, das etwas dunkler war als Ellas blasses Hellblond, und stieß ihr dabei beinahe den schweren Wäschestapel aus der Hand. Ella hob den Blick, bemüht, weder die Geduld noch das Gleichgewicht zu verlieren. Noch ein Stockwerk. Und sie war kein Küchenmädchen. Sie war auch Krankenschwester.
Na ja … so gut wie.
Als sie sich in der Privatklinik von Dr. Penske vorgestellt hatte, hatte der Arzt nicht lange gebraucht, um aus ihr herauszubekommen, dass sie keine abgeschlossene Ausbildung hatte. Zwar hatte sie zu Hause ein paar Jahre die Schule besucht, sie aber vor dem Abschluss wieder verlassen. Stattdessen hatte sie sich selbst, so gut es ging, weiter in der Kunst der Krankenpflege unterrichtet – und das nicht nur aus den Standardlehrbüchern, sondern mithilfe der Lektüre medizinischer Fachzeitschriften.
Doch das hatte den Doktor keineswegs beeindruckt.
Trotzdem hatte er sie eingestellt, mit der strikten Anweisung, dass sie in der Spülküche blieb: Geschirr und Wäsche wusch, heißes Wasser bereitete, Besorgungen erledigte. Auf jeden Fall nicht mit den Patienten in Kontakt kam. Aber hin und wieder ergab sich eine Situation, in der sie einspringen und helfen konnte, wo Not am Mann war. Fertige Schulausbildung hin oder her.
Schule. Wie sie das Wort verabscheute. Noch ein Scheitern, das sie verfolgte.
Aber es war keine Zeit gewesen, die Ausbildung abzuschließen. Nicht, als sie mit knapp fünfzehn in ihrem Bett gekniet und das Kind eines Fremden zur Welt gebracht hatte. Hinter sich acht Monate voller Angst und Sorgen und dann Stunden voller Schmerz, nur um am Ende mit leeren Armen und einem gebrochenen Herzen dazustehen. Und dann all das selbstgerechte Getuschel der feinen Gesellschaft, dass es doch so besser sei – Gott sei Dank.
Aber für sie war der Tod ihres Sohnes verzweifelt weit entfernt davon, Gnade zu sein, wie alle behaupteten.
Heiße Schauer überliefen Ella, während sie gegen die Erinnerung an diese dunklen, freudlosen Tage ankämpfte und die saubere Wäsche nach oben trug. Als sie das oberste Stockwerk fast erreicht hatte, brachte der Klang von stürmischen Schritten sie dazu, sich umzudrehen. Ein Baum von einem Mann polterte fast in sie hinein – mit der ganzen Wucht seines von einem Trenchcoat umhüllten Körpers.
Ella steckte ein Aufschrei in der Kehle, aber der Anblick des Babys, das er im Arm hielt, brachte sie abrupt zum Schweigen. Aus purer Überraschung fiel ihr die Wäsche aus der Hand, während der Fremde Halt suchend nach dem Geländer griff.
Sein zerzaustes braunes Haar stand zu Berge, als ob tausend Sorgen daran zögen. „Ich brauche einen Arzt“, keuchte er. Mit einer Geschmeidigkeit, die jeder Logik – und da er Ella dabei sehr nahe kam, auch jedem Anstand – widersprach, stieg er über den Wäschehaufen auf den Treppenstufen. Dabei kitzelte irgendetwas Ellas Nase, ein Geruch von Kohlenrauch und … Karamell?
Ella wollte einen Schritt zurückmachen, konnte jedoch nicht ausweichen. Aber was spielte das auch für eine Rolle, als sie erneut erblickte, was er da im Arm hielt. Das Baby war in eine schneebestäubte Decke gehüllt und glänzte von Schweiß oder vielleicht auch Tränen. Ella streckte die Arme nach dem Kind aus, aber der junge Mann drückte es nur fester an sich.
„Einen Arzt!“ Seine blassgrünen Augen funkelten grimmig.
Ella verschlug es fast die Sprache. „Ähmm … folgen Sie mir.“
Sie schob die Wäsche beiseite und eilte die letzten Stufen hinauf, der junge Mann dicht neben ihr. Noch ein paar Stufen und sie drängte sich durch die Tür zur Kinderstation.
„Hierher“, rief sie über die Schulter und sah sich suchend nach dem Arzt um. „Dr. Penske. Hier ist ein Baby, das anscheinend hohes Fieber hat.“
Der Doktor wandte sich von dem Jungen ab, den er gerade untersuchte, und ließ den Blick über den geflickten Mantel und die ungebundenen Stiefel des Fremden schweifen, die polternd neben Ella zum Stehen kamen. Der Brustkorb des Fremden hob sich, während er nach Luft rang.
„Anscheinend?“ Dr. Penskes Tonfall war ebenso herablassend wie sein Blick.
„Ich … habe das Kind nicht untersucht“, erwiderte Ella.
Der Arzt schaute sich um. Weiter hinten im Saal waren zwei Schwestern mit irgendwelchen Verrichtungen beschäftigt. Er wischte sich mit dem Handrücken eine Locke aus der Stirn. „Also … warum tun Sie es dann jetzt nicht?“
Ich? Bisher hatte man ihr nur die niedrigsten Arbeiten anvertraut – Nachttöpfe leeren und Betten beziehen. Hoffentlich ahnte der Fremde das nicht. „Bitte legen Sie es hierher.“ Ella trat an eines der Kinderbetten und ließ das Gitter an einer Seite herunter. „Ich messe die Temperatur.“
Der Mann beäugte sie misstrauisch, tat aber, was sie sagte. Ellas Finger zitterten plötzlich, als sie das Kissen unter dem kleinen blonden Köpfchen zurechtschob. Noch nie hatte man ihr einen Patienten zugewiesen. Nicht ein einziges Mal. Aber sie hatte ihre Krankenpflegebücher vorwärts und rückwärts studiert und die anderen Schwestern Tag und Nacht beobachtet. Außerdem war sie die Älteste von fünf Geschwistern. Ella zwang sich zur Ruhe. Wenn es um Fieber ging, wusste sie, was zu tun war.
Sie prüfte den Puls des Kindes – knapp über einhundertzwanzig.
Ella wickelte das Baby aus der Decke und warf sie ans Fußende des Bettes. In einem zerknitterten Kleidchen und Pullover lag das kleine Mädchen vor ihr. „Wie heißt sie?“
Der Mann kniete jetzt auf der anderen Seite des Bettes, wo er das Gitter ebenfalls heruntergeklappt hatte. „Holland.“
Ein kurzer Blick in sein Gesicht sagte ihr, dass er das ernst meinte. Ella strich dem Baby mit dem Handrücken über die rundliche Wange. Sie griff nach einem Thermometer und lockerte die Kleidung so weit, dass sie die Glasspitze unter den Arm des Kindes schieben konnte. „Wie alt ist sie?“
„Sieben Monate.“
„Seit wann hat sie Fieber?“
„Seit ein paar Tagen. Aber heute ist es schlimmer geworden.“
Das Quecksilber stieg. „Gut, dass Sie sie hergebracht haben.“ Ella wartete noch eine Minute, nahm dann das Thermometer heraus und atmete tief durch, als sie den Wert sah. Sehr gut sogar, dass er gekommen war. „Hatte sie Krämpfe?“ Ella zog dem Kind die Lederschühchen von den Füßen.
„Nein.“
„Ganz sicher?“
„Das wüsste ich doch wohl.“ In seiner Stimme schwang Ärger.
Ella hob besänftigend die Hand. „Der Doktor ist gleich bei ihr. Bitte setzen Sie sich doch.“
Sie wies auf einen Stuhl neben dem Bett. Der Fremde zog ihn heran und setzte sich so nah zu dem Kind, wie er konnte.
„Hat sie etwas getrunken?“, fragte Ella. „Und gegessen?“
„Gegessen kaum. Getrunken ein wenig Wasser.“ Er sah sich ratlos im Raum um und dann wieder das Kind an. „Wir haben sie kaum dazu gebracht, etwas zu trinken. Sie war so schläfrig.“ Der junge Mann beugte sich vor und strich mit einer Hand, die aussah, als könne er die Kleine damit in einem Schwung hochheben, über die winzigen Fingerchen. „Hey“, sagte er sanft und strich ihr die blonden Locken zurück. „Wach auf, meine Kleine.“
„Sie ist lethargisch“, sagte Ella, als das Kind die Augen nicht aufschlug. „Ich mache einen Tee und wir probieren, ob wir ihr nicht ein bisschen Flüssigkeit einflößen können.“
Ella entschuldigte sich und eilte davon. In der Küche füllte sie warmes Wasser in einen Topf und tat ein wenig Süßholzwurzel und eine kräftige Prise Zucker hinein.
„Ist er … ein Mensch?“
Ella musste aufschauen, um zu erfahren, dass die geflüsterte Frage von ihrer Freundin Abigail gekommen war. „Wovon redest du?“
„Sieh dir doch nur sein Gesicht an.“ Abigail zog die Augenbrauen hoch und erschauderte gekünstelt, aber ihr durchtriebener Gesichtsausdruck strafte sie Lügen. „Er macht ein bisschen zu sehr auf vernarrten Vater. Wie kann man so attraktiv sein und gleichzeitig so eine Glucke?“
„Er ist vielleicht einfach ein bisschen komisch.“ Ella zog ihre Schürzenbänder fest und strich sich die Uniform glatt. Mit einem hastigen Griff nach einem Mulltuch stieß sie beinahe den Korb mit Verbandszeug um.
„Na, er ist sicher ein bisschen mehr als das, denkst du nicht? Und da stellt sich mir die Frage …“
„Hast du nichts zu tun?“ Ella suchte nach einer Pipette, und als sie sie gefunden hatte, machte sie ein Tablett fertig.
„Seit der Zirkus da ist, treiben sich gerade eine Menge merkwürdiger Gestalten in der Stadt herum. Kurz vor dem Sturm sind sie angekommen und jetzt heißt es, bei dem Wetter sitzen sie hier fest.“ Abigails Blick hellte sich bei ihrer Entdeckung auf. „Ich wette, er kommt von dort.“
„Aus dem Zirkus?“ Ella dachte wieder an die bunte Schnur, die der Wind vor sich hergetrieben hatte.
„Liest du keine Zeitung? Und diese absonderlichen Geräusche heute Morgen – das waren wohl Elefanten.“
Ella musste sich beherrschen, nicht aus dem Fenster zu spähen, während Abigail ihr zuflüsterte, es sei ein Jammer, dass er nicht sie angerempelt hatte.
„Er hat mich nicht angerempelt“, murmelte Ella, als Abigail an ihr vorbei aus dem Raum ging und Dr. Penske seinen Kopf zur Tür hereinsteckte.
„Ich hab mir das Kind gerade angesehen. Wie hoch ist das Fieber?“, fragte er, während er seine Brille mit dem Saum seines Jackets polierte.
„Neununddreißig acht.“
Der Arzt warf einen Blick auf den Tee, den sie gerade abgoss. „Gut. Sie braucht viel Flüssigkeit, keine Decke, kalte Kompressen. Ich bin gleich wieder bei ihr. Behalten Sie sie gut im Blick.“
„Jawohl, Sir.“ Mit einem leichten Schaudern, dass man ihr eine solche Aufgabe anvertraute, trug Ella das Tablett ans Bett des Kindes.
Der Fremde auf dem Stuhl starrte das Kind so intensiv an, dass Ellas Schritte sich unwillkürlich verlangsamten. Er hatte dunkle Ringe um die Augen. Ella hatte schon früher besorgte Eltern gesehen, aber er übertraf sie noch. Sein finsterer Blick fiel auf Ella. Unwillkürlich raufte er sich die Haare. Etwas verunsichert stellte sie das klappernde Tablett ab. Der Mann richtete sich auf, aber sein wachsamer Blick haftete weiter an ihr.
Der Zirkus …
Ella begann, die Knöpfe am Pullover des Kindes aufzuknöpfen. Jetzt war vermutlich nicht der richtige Moment, um zu erwähnen, dass sie keine richtige Krankenschwester war. Vielleicht würde sie es einfach für sich behalten. Der Mann rieb sich das leicht stoppelige Kinn. Wenn sie ihn so betrachtete, musste Ella sich sehr viel Mühe geben, so zu tun, als wüsste sie nicht, was Abigail so ins Schwärmen gebracht hatte. Olivfarbene Haut setzte sich gegen blassgrüne Augen ab, die sie noch immer so eindringlich fixierten, dass sie beinahe den letzten Knopf vom kleinen gelben Pullover abgerissen hätte.
Sie war sich nicht sicher, ob sie schon jemals einen gesehen hatte, aber unvermittelt schoss ihr das Wort Zigeuner durch den Kopf. Ellanahm ein kaltes feuchtes Tuch und presste es auf die Wange des Kindes.
Mit gefurchter Stirn lehnte der junge Mann sich vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und faltete die Hände. Die Augenlider des Kindes zuckten, öffneten sich aber nicht.
Ella strich dem Mädchen eine feuchte Locke aus der Stirn. „Holland“, sagte sie leise, überrascht vom Klang des Namens, der allerdings erstaunlich gut zu dieser kleinen Elfe mit ihren blonden Locken und Rosenknospenlippen passte. Wie winzig sie war. Und in der Obhut dieses Mannes …
„Ihre – die Kleine?“
Der Mann nickte, während Ella dem Kind den Pullover auszog.
„Bekommen Sie Geld?“ Er griff in seine Jackentasche.
„Nicht jetzt. Darüber können wir uns später Gedanken machen.“
„Sind Sie sicher?“
„Ganz sicher.“ Ella schenkte dem Fremden ein hoffentlich beruhigendes Lächeln, setzte sich aufs Bett und nahm das Baby auf den Schoß. Holland war ganz schlaff, wie sie befürchtet hatte. „Hallo, meine Kleine“, flüsterte Ella. Die rundliche, winzige Gestalt des Mädchens zeigte, wie jung sie war. Ihr Kleid bestand aus etlichen farbigen Flicken, die Strumpfhose war an den Knien dünn. Nahm man noch die gestrickte Zipfelmütze hinzu, die Ella schon zur Seite gelegt hatte, sah die Kleine ebenso sehr wie ein Zigeuner aus wie ihr Vater. Ella sog etwas Tee in die Pipette und schob sie dem schlafenden Baby in den Mund. Sie drückte kurz auf das Gummi, sodass ein paar Tropfen herausliefen, und Hollands Kehle reagierte.
„Sehr gut, Schätzchen.“ Sie spürte den Blick des Mannes auf sich, als bohre er sich in sie hinein. Ella wischte dem Kind ein wenig Speichel ab und legte es in ihre Armbeuge. Ein weiterer Versuch war erfolgreich und bald war die Pipette leer.
Sie sah den Mann an. „Wir geben ihr alle fünfzehn Minuten ungefähr 30 Milliliter. Und ich versuche es auch mit ein bisschen Eis. Ich hole gleich etwas.“
Er nickte.
Besorgt darüber, wie das Baby bei ihrer Berührung zusammengezuckt war, legte Ella die Kleine wieder auf das Bett und klappte das Gitter hoch. Dann wischte sie dem Kind die Stirn ab und reichte dem Fremden das Tuch mit einer Geste, die bedeutete, er solle es so machen wie sie. Aber oh … sie musste ja noch die Angaben zur Person der Patientin aufnehmen. Dr. Penske führte in seiner Klinik ein strenges Regiment.
„Ich bin gleich wieder da.“ Eilig holte Ella das dicke Patientenregister und war im Handumdrehen zurück. Mit gezücktem Bleistift fragte sie so bestimmt wie möglich: „Ihr Nachname? Hollands Nachname?“
Er zögerte einen winzigen Moment. „Löwenherz.“
Ella neigte den Kopf ein wenig und wusste, dass ihre hochgezogenen Augenbrauen sie verrieten.
Der junge Mann wies mit der Hand auf das Register. „Schreiben Sie’s einfach auf.“
Beinahe hätte sich Ella entschuldigt, während sie den Namen aufschrieb, und fürchtete sich, die nächste Frage zu stellen. „Ihr Name, Sir?“
„Charlie. Und wie sie – Löwenherz.“
Bevor sie das notierte, warf Ella ihm einen Blick zu. „Charlie. Von Charles?“
„Nein, von Richard. Wie der König.“
Gegen ihren Willen musste Ella lachen.
„Meine Eltern hatten Sinn für Humor.“ Die Augenbrauen des jungen Mannes hoben sich steil.
Ella beendete ihre Eintragungen und legte das Buch zur Seite. Hollands Kopf war noch immer hochrot und Ella zog ihr kurzerhand das Flickenkleidchen aus, sodass sie nur noch in einer Windel dalag. Sie nahm das Kind auf den Arm und betastete den schweißnassen Rücken. „O meine Süße.“
Sanft wiegte sie die Kleine und hoffte, die kühle Luft würde dem Kind helfen. Sie selbst gab sich Mühe, nicht zu beachten, was die kleine Gestalt des Kindes – dieses leichte Gewicht – in ihrem Herzen anrichtete. Charlie Löwenherz beobachtete sie; er sah auf einmal sehr verletzlich aus. Auffallend verletzlich.
Er hatte dieselben dichten Wimpern wie das Baby und seine Haut war zwar dunkler, aber sein Profil wies eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem des Kindes auf. Während sie schwiegen, zog er sich ein Seidentuch vom Hals und steckte es in seine Tasche, wobei dunkle, fingerlose Handschuhe sichtbar wurden.
„Sind Sie Schausteller?“, fragte Ella in der Hoffnung, ihn zu beruhigen, während sie Holland im Arm wiegte.
„Wie bitte?“ Der junge Mann strich sich mit einer kräftigen Hand über das Gesicht, das schon etliche Tage kein Rasiermesser mehr gesehen hatte.
„Der Zirkus. Gehören Sie zum Zirkus?“
Meine Güte, das war sicher das Falscheste, was sie hatte sagen können.
Der Fremde machte keine Anstalten, ihre Frage zu beantworten, und griff stattdessen in die Tasche. „Wird dies …“ – er nahm eine Handvoll Münzen heraus – „wird dies reichen?“ Die Unsicherheit in seinem Blick hätte ihm seine eigene Frage beantworten können.
Ella brauchte nur einen Moment, um die kleine Summe zu überschlagen. Sie atmete langsam durch die Nase ein. „Ja.“ Aber es fühlte sich an wie eine Lüge.
Charlie musste das gespürt haben. „Für wie lange?“
„Für eine Nacht.“ Und das nur knapp. Ella strich mit der Hand über Hollands heiße Wange. Sie wünschte, es wäre anders, aber Dr. Penske vertrat strikte Grundsätze, was dieses Hospital anging, das sich um die oberen Zehntausend von Roanoke kümmerte. Sie waren schließlich im Privathaus des Doktors und der war nicht gerade ein Menschenfreund.
Davon hatte dieser Fremde sicher nichts geahnt, als er auf der Straße vor dem dreistöckigen Gebäude gestanden hatte. Dr. Penske gab sich zwar gelegentlich auch mit Ratenzahlungen für sein Honorar zufrieden, aber wenn dieser Mann zum fahrenden Volk gehörte, wusste sie nicht, wie großzügig der Doktor sein würde.
Charlie blinzelte rasch. „Schön. Ist das … ähem, genug Zeit, dass sie gesund wird?“
Ella gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Als der junge Mann sich hastig im Raum umsah, wusste sie, dass ihr das nicht gelungen war.
„Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?“ Er blickte wieder sie an. „Das ist alles, was ich habe.“
„Alles?“ Es war kaum genug, um eine warme Mahlzeit zu kaufen.
„Wollen Sie auch noch die Kleider, die ich am Leib trage?“
„Nein.“
Holland auf ihrem Arm wimmerte und Ella schaukelte sie leise.
„Mr Löwenherz …“
„Charlie.“
„Charlie, Sir … wir konzentrieren uns jetzt erst einmal auf heute Abend und auf Holland. Vielleicht geht es ihr morgen früh schon viel besser. Wir werden sie gut beobachten und alles für sie tun, was wir können. Wenn sie morgen noch weitere Behandlung braucht, überqueren wir diese Brücke, wenn wir da angekommen sind.“ Ella hielt seinem Blick stand und betete im Stillen, dass der Doktor sie nicht Lügen strafen würde. „Nur wegen ein bisschen Geld werden wir nicht zulassen, dass Holland etwas passiert.“
Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes wurde sanfter, als sie seine Kleine beim Namen nannte. Schließlich nickte er. Sie spürte, dass die Atmosphäre zwischen ihnen sich veränderte, als er sie nahezu vertrauensvoll ansah.
„Danke“, sagte er.
„Keine Ursache. Sollten … können Sie die Mutter des Kindes irgendwie verständigen?“
„Die Mutter?“
„Ihre Frau?“
Charlie starrte auf die Matratze hinab und strich sich dann mit den Fingerspitzen über die Stirn, ohne aufzusehen. „Ich hatte nie eine Frau“, erwiderte er mit einem Tonfall, der ihr Gespräch wie heißes Wachs versiegelte.
In diesem Moment tauchte Abigail auf und bat Ella, ihr die Kampfertinktur in der Küche suchen zu helfen. Damit lenkte sie Ellas Gedanken von dem ab, was der Mann gerade angedeutet hatte, und richtete sie auf die Pflichten, die es zu erledigen galt. Es tat ihr weh, das Kind aus dem Arm zu legen und auf die kleine Matratze zu betten. Dann fiel ihr das Eis wieder ein. „Ich bin in ein paar Minuten zurück.“ Sie stellte das Tablett zurecht, sodass die feuchten Tücher in Charlies Reichweite waren.
Er dankte ihr mit einem leichten Nicken.
Als Ella vom Bett wegtrat, beugte er sich vor und küsste Holland auf die Stirn. In der Küche legte Ella die Pipette ins Waschbecken und warf über die Schulter einen Blick zurück, wo sie hörte, wie Charlie dem Baby leise etwas zuflüsterte – es klang beinahe wie ein Gedicht. Er sang nicht direkt, aber sie erkannte doch eine Art von Lied. Eines, das ihr bekannt vorkam. Wieder strich seine große Hand dem Kind die blonden Locken glatt. Sein Arm lag um die Kleine, als ob seine bloße Berührung jeden auf Abstand halten könnte, der hier eindringen und die beiden trennen wollte.
Sein Kummer war spürbar und Ella musste den Blick abwenden. Sie erinnerte sich erneut an ihre eigene Angst und dass es keine Rolle gespielt hatte, dass sie die Hoffnung nicht hatte aufgeben wollen. Trotzdem hatte sie sich auf den Knien wiedergefunden – nichts in den Händen als kalte Erde und kalten Stein. Und die Blumen, die sie auf ein Grab legte, das so klein war, dass man es fast übersehen konnte. Ihre Trauer war so tief, dass es sie nicht kümmerte, dass die Leute sie eine Dirne nannten. Sie wollten nicht wissen, dass sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Und dass man die eigene Seele nicht verkaufen musste und sie einem doch gestohlen werden konnte.
Mit einem weiteren Blick über die Schulter sah Ella, wie Charlie aufstand, Holland das Kissen zurechtzog und sich wieder auf die Stuhlkante hockte.
Vielleicht war das Ganze eine sehr schlechte Idee gewesen. Vielleicht war die Spülküche doch der beste Platz für Ella. Da war es sicher. Zwischen Bettpfannen, Flaschen und Schrubbern musste ihr Herz nicht auf das Leben reagieren.
Voll Kummer über ein kleines Mädchen namens Holland und einen kleinen Jungen, dessen Mutter es nicht übers Herz gebracht hatte, ihm einen Namen zu geben, stahl Ella sich davon.
2
Charlie lehnte sich im Stuhl zurück und schob damit versehentlich seinen Mantel von der Lehne. Er hob ihn auf und stopfte Schal und Handschuhe zurück in die Tasche. Dann fiel ihm Hollands kleiner Stofftiger ein, der in der anderen Tasche steckte. Er nahm das Tier heraus und legte es ihr in den winzigen Arm. Der Tiger war klein und der Stoff schon fadenscheinig, aber es gab nur wenige Momente, in denen sie ihn nicht bei sich hatte – selbst wenn sie um das Zelt herumkrabbelte oder das Spielzeug auf dem Bett in Charlies Wagen hin- und herdrehte. Und die blauen Augen leuchteten dabei vor Mutwillen.
Charlie wurde die Kehle trocken.
Es brachte ihn um, hier zu sitzen und nichts tun zu können, aber er hielt sich an das, was man ihm gesagt hatte: Flüssigkeit, kalte Umschläge und Medikamente, die sie nur hier bekommen konnten. Im Lauf der Stunden und mit der Hilfe dieser Frau war Hollands Fieber gesunken. Beim Gedanken daran griff Charlie wieder zu einem feuchten Tuch und wischte der Kleinen damit sanft über den Hals und die bloße Brust.
„Hey“, flüsterte er und stützte die Unterarme auf das Bett. „Du musst gesund werden. Ich brauche dich nämlich. Regina braucht dich auch. Und alle anderen ebenfalls, hörst du?“
Holland atmete langsam und schläfrig. Während sich ihre Brust hob und senkte, stützte Charlie das Kinn auf die gefalteten Hände und betrachtete das kleine Wesen. Hollands Hand war zur Faust geballt. Mit einem Finger, der beinahe so dick war wie ihr Handgelenk, strich Charlie darüber.
Fels des Heils, geöffnet mir …
Das Lied ging ihm nicht aus dem Kopf – wieder und wieder kamen die Worte, wie immer, wenn er nicht wusste, was er tun sollte, wenn ihm die Luft zu schwer wurde.
Birg mich, ew’ger Hort, in dir.
Er starrte auf ihre blasse Haut, dachte daran, wie oft diese winzigen runden Fingerchen ihn am Haar gezogen hatten oder an seiner Kappe, an allem, was sie zu packen bekamen. Er erinnerte sich an ihr Lachen, das von ganz tief unten kam und das er mit ein paar leidenschaftlichen Küssen auf ihren Nacken, ihre Wangen … oder die pummeligen Beinchen hervorlocken konnte. Charlie lächelte bei diesem Gedanken und hob Hollands schlaffe Finger an seinen Mund, um seine Lippen darauf zu pressen.
„Wie geht es ihr?“
Beim Klang der Stimme sah er auf, direkt in die blauen Augen der Schwester, die immer wieder gekommen und gegangen war. Die junge Frau legte die gebrauchten Tücher in einen Eimer. Wie hieß sie noch? Sie füllte die Pipette und versuchte zum wiederholten Mal, Holland ein wenig Tee einzuflößen, was nur mit Mühe gelang. Hatte die Schwester nicht Eis holen wollen?
Charlie knetete Hollands blaue Strickmütze in den Händen. Faltete sie zusammen und wieder auseinander.
Wie oft, wusste er nicht.
Schweigend machte sich die Schwester an Holland zu schaffen. „Das Fieber ist wieder gesunken. Das geschieht oft gegen Morgen. Das wird ihr eine kleine Erholungspause verschaffen.“ Sie untersuchte Holland eingehender, schaute ihr in den Mund und tastete den Hals ab. „Ich fürchte, das ist nicht nur eine einfache Erkältung. Ich werde heute ein bisschen nachlesen müssen.“
„Was ist mit dem Doktor?“
Dem Doktor, der kaum zwei Minuten Zeit für Holland gehabt hatte.
Wie diese Schwester zu dem Mann mit den aufgekrempelten Hemdsärmeln hinübergesehen hatte, das hatte Charlie nicht gefallen. Und auch nicht das Misstrauen, das er in ihrer Miene las. Beunruhigt sah Charlie erst zum Doktor, dann wieder zu der Schwester. „Ich habe vergessen, Sie nach Ihrem Namen zu fragen.“
Sie neigte den Kopf, sodass der goldblonde Zopfkranz um ihren Kopf sichtbar wurde. „Ella. Schlicht und langweilig Ella.“ Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Meine Eltern hatten wohl vergessen, dass sie auch Humor haben.“
Charlie sah sie forschend an und stellte fest, dass sie ihn aufzog. Noch jemand, der über seinen Namen lachte. Sarkasmus stieg ihm die Kehle hoch. „Sie sind wirklich witzig, wissen Sie das?“
Ella verdrehte die Augen und Charlie hätte seine zynische Bemerkung bedauert, wenn sie sie nicht verdient gehabt hätte. Dabei hatte er gerade angefangen, sie zu mögen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass es noch immer neblig war und leicht schneite. Noch ein Tag, an dem der Zirkus keine Vorstellung geben konnte. „Schneit es in Roanoke immer um diese Jahreszeit?“, fragte er abwesend, ohne eine Antwort von der schlichten und langweiligen Ella zu erwarten.
„Ich könnte mich nicht erinnern“, erwiderte sie trotzdem. „Es ist doch schon spät für Schnee. Ich hatte schon gehofft, dass der Frühling kommt …“
Ja, das hatte der Zirkus auch. Alle hatten es nur als einen Zwischenstopp betrachtet – drei Tage mit Vorstellungen und dann würden sie weiterziehen. Stattdessen saßen sie nun in dieser Stadt fest. Charlie sah auf Holland in ihrem Bett hinab und wusste, es war gut, dass er den Tag freihatte.
Den Blick auf die Schwester gerichtet, beobachtete er sie – zu intensiv, wie er bemerkte, als sie errötete. „Wie spät ist es?“, fragte Charlie hastig.
Was sie nicht im Geringsten zu stören schien. Sie warf einen Blick zur gegenüberliegenden Wand.
„Fast fünf Uhr morgens.“
Vielleicht könnte er sie doch mögen.
„Wie lange bleiben Sie noch?“, fragte er.
„Ich gehe in einer guten Stunde. Dann wird sich eine andere Schwester um Holland kümmern. Sie versteht etwas von ihrer Arbeit und ist sehr nett.“
„Danke.“ Aber er wollte nicht, dass diese junge Schwester ging. Sie reizte ihn zwar immer wieder, aber sie machte ihre Sache mit Holland gut.
In diesem Moment stürmte der Doktor in den Raum, offensichtlich erzürnt, sein pechschwarzes Haar wirr. Er knurrte etwas von fehlenden Laken und Ellas Wangen färbten sich, als sie eingestehen musste, dass die Wäsche noch im Treppenhaus lag. Der Doktor begleitete sie zu einem Schrank in der Nähe, wo eine längere Predigt über Sauberkeit und prompte Erledigung von Aufgaben auf sie niederging. Charlie versuchte nicht zu lauschen, aber er hörte doch, wie der Arzt sagte, er würde ihr den Lohn kürzen.
Der junge Mann setzte sich auf und blickte zu den beiden hinüber.
Ella entschuldigte sich und verschwand dann für etliche Minuten, vielleicht, um die Wäsche zu holen. Als sie zurückkam, machte sie sich schweigend daran, Hollands Nachttisch aufzuräumen. Charlie strich sich über die Wange. Vielleicht sollte er dem Doktor sagen, dass er daran schuld war, dass sie die Wäsche aus der Hand gelegt hatte. Aber er hatte so eine Ahnung, dass sie das nur noch mehr in Schwierigkeiten bringen würde.
Der blasse Schatten unter ihren Augen erinnerte ihn daran, dass sie nicht geschlafen hatte – und er ebenfalls nicht. Nicht geschlafen und nichts gegessen. Und er trug immer noch das halbe Kostüm von der Parade gestern, die im Schneetreiben untergegangen war. Die Weste war jetzt aufgeknöpft und er hatte die Handschuhe ausgezogen, aber es gehörte sich nicht, sich in der Öffentlichkeit ohne Handschuhe zu zeigen. Er überlegte, sie wieder anzuziehen, aber die Erschöpfung hielt ihn davon ab.
Seit sie hier in der Stadt waren, hatte er Holland nur allein gelassen, wenn er arbeiten musste, und war immer so schnell wie möglich zu seinem Zelt zurückgeeilt. Aber als er gestern seinen Mantel ausgezogen und sich neben Hollands Bett gekniet hatte, hatte er gewusst, dass es ihr nicht besser ging … sondern schlechter.
Charlie rieb sich mit Fingern und Daumen über die Stirn, um die aufziehenden Kopfschmerzen zu vertreiben. Die Kleine schlief, er konnte wohl auch die Augen schließen. Nur für ein paar Minuten.
„Was bedeutet das?“, fragte die Schwester leise. „Diese Schrift.“
Er sah zu ihr hoch. „Hmmh?“
„Auf Ihrer Hand.“
Charlie verdrehte die Hände, um zu sehen, welche Hand sie meinte. „Ach, das … Carpe Diem.“ Er rieb sich wieder die Stirn und ließ dann die Arme sinken. Auf ihren fragenden Blick hin, fügte er hinzu: „Es bedeutet: Nutze den Tag.“
„Oh.“ Ihre Stimme war leise. Sie betrachtete seine Hand erneut. „Ist es ein …“
Er kniff die Augen zusammen und wartete ab. Zögernd biss Ella sich auf die Unterlippe.
„Ein Tattoo“, beendete er den Satz für sie.
Wieder starrte sie auf die feine schwarze Schrift. „War das sehr schmerzhaft?“
Charlie warf ihr einen raschen Blick zu. „Dieses nicht.“ Als ihre Augen sich weiteten, wusste er, dass die Bemerkung unangebracht war. „Finden Sie das anstößig?“
Ella schob die Lippen vor. „Warum haben Sie es machen lassen?“
„Damit ich es nicht vergesse.“
Sie hob die Augenbrauen. „Geht es wieder ab?“
Charlie schüttelte den Kopf und nahm Ellas Gesichtsausdruck in sich auf. Die unausgesprochenen Gedanken, die er auf ihrer Stirn lesen konnte. Er hatte sie nicht schockieren wollen, hatte es aber doch getan. Er sprach kaum je mit Zeiseln – Menschen von außerhalb der Zirkuswelt. Jedenfalls nicht außerhalb des Zirkusplatzes. Und nicht offen. Etwas an diesem Gespräch faszinierte ihn. Vor allem da sie nicht wusste, mit wem – besser mit was – sie da sprach.
Wenn sie es wüsste, wäre sie noch deutlich blasser geworden als beim Anblick seiner Hand.
„Hat der Doktor es vielleicht gesehen?“, fragte sie sanft.
„Ich weiß nicht. Warum? Würde er dann denken, ich sei kriminell?“
Ella presste die Lippen zusammen und warf einen Blick auf den dunkelhaarigen Mann hinten im Raum. Antwort genug war, dass sie rasch blinzelte, als ob sie eine geheime Sorge abschüttelte. Sie stellte eine leere Schüssel und eine Tasse auf das Tablett. „Ich komme noch einmal vorbei und sehe nach Holland, bevor ich gehe. Möchten Sie ein bisschen Wasser? Oder etwas zu essen? Sie müssen hungrig sein.“
„Nein, danke, ich habe alles.“ Er wollte ihr keine Mühe machen.
Die Schwester wollte schon fortgehen, blieb aber am Fußende des Bettes noch einmal stehen. Charlie sah zu ihr auf und diese Bewegung verstärkte das Pochen in seinem Kopf.
„Nutze den Tag“, sagte sie. „Ein schöner Gedanke.“
Gegen seinen Willen lächelte er ein wenig. „Ja, ich nehme an, es gibt wirklich Schlechteres.“
Jetzt erreichte ihr Lächeln auch ihre Augen und ein paar Minuten später brachte sie ihm doch ein Glas Wasser und eine Scheibe Brot.
Obwohl sie den Mantel gegen die Kälte eng um sich gezogen hatte, zitterte Ella. Sie vergrub das Kinn hinter dem Kragen und überquerte die schlammige Kreuzung von Campbell und Second Street. Fast hätte sie das schwarz- und cremefarbene Plakat übersehen, das am Zaun vor der Rorer Hall hing. Sie trat näher und strich über das Papier, auf dem die Tuschezeichnung eines Trapezkünstlers über den fetten Buchstaben Die spektakulärste Show prangte. Ihre Finger glitten weiter hinunter zu den Umrissen von drei Löwen. Einem Clown auf einem Einrad. Eintritt zehn Cent, stand da. Nur drei Tage. Die Daten waren durchgestrichen und durch Termine später in der Woche ersetzt worden. Ella lächelte erleichtert, als ihr klar wurde, dass das bedeutete, dass Holland mehr Zeit hatte, gesund zu werden.
Die junge Frau beeilte sich, das Mietshaus zu erreichen, in dem sie wohnte. Ihre Füße klagten, dass sie drei Stockwerke erklimmen mussten, bevor Ella den Schlüssel in die Tür stecken konnte. Sie trat in den kleinen Raum, der Wohnzimmer und Küche zugleich war. An der Seite war das Schlafzimmer, das sie sich mit ihrer Mitbewohnerin Margaret teilte, die oft in der anderen Schicht arbeitete. Ella ließ sich auf das verschlissene Sofa sinken, schnürte die feuchten Stiefel auf und schob sie näher an den heißen Kaminofen heran.
Mit der Vorfreude auf eine Tasse Tee legte sie im Ofen ein paar Kohlen nach. Während das Wasser heiß wurde, wusch sie sich Gesicht und Hände. Dann löste sie ein paar Haarnadeln und der Zopf fiel herab. Ella warf ihn über die Schulter zurück und blies sich ein paar hellblonde Haarlocken aus der Stirn, während sie den kleinen Raum durchquerte. Nachdem sie ihre Schürze aufgehängt hatte, strichen ihre Finger über ihr Mieder und sie dachte an das kleine Mädchen, das sie den größten Teil der Nacht in den Armen gehalten hatte. Daran, wie mühsam Holland geatmet hatte. An ihr Wimmern, wenn Ella sie zu heftig bewegte. Und dann war da noch eine Frage …
Ella griff sich ihr Krankenpflegelehrbuch aus dem Regal, goss eine Tasse Tee auf, zog sich ihr Nachthemd an und kroch ins Bett. Dann zog sie die Wolldecke eng um sich, nahm einen Schluck des heißen Getränks und kuschelte sich noch tiefer in die Decken.
Eifrig blätterte sie im Buch herum, las zuerst über Mandelentzündung. Nein. Das war es nicht. Sie schlug das Stichwortverzeichnis auf und suchte nach Lungenentzündung. Seite 564. Dort las sie: „Eine verbreitete Kinderkrankheit. Der Husten ist meist hartnäckig und beschwerlich.“ Holland hatte nicht gehustet. Ella überflog die Seite bis zum Ende und nippte an ihrem Tee. „Hmm …“ Jetzt kam ihr ein anderer Gedanke und rasch fand sie auch das Stichwort: Rheumatisches Fieber.
„Rheumatisches Fieber – eine höchst ansteckende Krankheit … Entzündung der Gelenke, die sehr schmerzhaft ist.“
Ella verzog den Mund.
„Die Hauptverursacher sind Mandelentzündung, Unterkühlung und Mangelernährung.“ Sie dachte an Charlie und seine wenigen Münzen. An den Schneesturm, der so plötzlich losgebrochen war. Hollands dünnes Kleid. Ellas Herz zog sich zusammen, als sie weiterlas. „Die Temperatur der Patienten liegt zwischen 39 und 40 Grad und kann stark schwanken.“
Sie las den Abschnitt über das Fieber noch einmal und verglich das Gelesene mit den Symptomen des Kindes. Nun ergaben die Ereignisse der letzten zwölf Stunden einen Sinn. Sorgfältig studierte sie, welche Behandlung empfohlen wurde, war froh, dass sie getan hatte, was sie konnte, und merkte sich ein paar weitere Maßnahmen für den nächsten Tag vor.
„Der Patient sollte sich nicht im Geringsten anstrengen; alles, was das Herz zusätzlich belastet, muss unbedingt vermieden werden.“
Ella würde es Holland so angenehm wie möglich machen. Und sie würde genau hinsehen, ob sich ein Ausschlag entwickelte.
Sie rutschte noch tiefer in die Kissen und nahm einen letzten Schluck Tee. Ihr Blick blieb am Rand der Tasse hängen und sie erinnerte sich, wie finster Dr. Penske Hollands Vater angesehen hatte. Wie er ihn regelrecht gemieden hatte.
„Ich weiß nicht. Warum? Würde er dann denken, ich sei kriminell?“, hatte Charlie gefragt.
Ella dachte an einen Vorfall im Winter, als ein Matrose mit einem Anker-Tattoo auf der Schulter in die Klinik gekommen war. Der Doktor hatte den Mann wirklich schlecht behandelt. Und allen Mitarbeitern hatte er erklärt, er habe eine Studie gelesen, dass man an Tattoos Menschen leicht als Straftäter erkennen könne, weil Tattoos meist im Gefängnis erworben würden. Die Schwestern hatte er zur Vorsicht gegenüber derart unangenehmer Gesellschaft ermahnt.
Ella dachte an Charlie, an die zärtliche Sorge, die er für dieses kleine Mädchen hegte, und versuchte sich einen Reim auf alles zu machen. Ein Blick zur Uhr sagte ihr, dass sie nur noch ein kurzer Schlaf vom Beginn ihrer nächsten Schicht trennte. Also stand Ella auf, schloss die Vorhänge, um das Licht auszusperren, und schlüpfte zurück ins Bett.
3
Die fünf Straßen von ihrer Wohnung bis zum Klinikgebäude mit seinen weißen Fensterflügeln und schmiedeeisernen Blumenkästen kamen Ella an diesem kalten Nachmittag lang vor. Es fielen zwar nur ein paar Schneeflocken, aber der dichte Nebel machte es ihr schwer, den Weg vor sich zu erkennen. Rußgeruch hing in der Luft, in der Ferne pfiff ein Zug und an der ersten Ecke hatte sich eine kleine Menschenansammlung um einen Mann gebildet, der irgendeine politische Plakette am Mantel trug. Ella zog den Kopf ein und überquerte eilig die Straße.
In der Hand trug sie ihr Holzkästchen mit Kräutern und Medikamenten, und wenn Dr. Penske es erlaubte, würde sie etliche davon für Holland verwenden. Das Krankenhaus verfügte natürlich über alles, was sie in ihrem kleinen Kästchen hatte, aber Ella hoffte, ihr Angebot würde vielleicht das Honorar reduzieren, das der Doktor von Charlie verlangen würde.
Auf der obersten Stufe zur weitläufigen Vorderveranda entdeckte sie Clara, die ihre kleine weiße Haube zurechtrückte. „Alles in Ordnung?“, fragte Ella und betrat den Gehsteig.
„Ich warte auf den Krankenwagen. Ich dachte, ich hätte ihn schon gehört.“
Ella lauschte, ob sich ein Wagen näherte, hörte aber nur einen unbestimmten Lärm von irgendwo aus den oberen Räumen. „Was ist los?“
Clara warf ihr einen vielsagenden Blick zu. „Es tut mir ja leid, dass seine kleine Tochter sich erkältet hat. Aber deswegen muss er noch lange nicht herumbrüllen.“
„Wer?“
„Dieser Mann!“
„Welcher Mann? Was ist passiert?“ Ella hatte die Treppe erreicht und fürchtete die Antwort.
„Der mit dem Baby. Er veranstaltet da oben eine Riesenszene, weil sie die Kleine nach Hause schicken.“
„Nach Hause?“
„Das Fieber ist gesunken.“
„Es ist normal, dass es schwankt.“ Ella eilte die Vordertreppe hinauf.
„Es geht ihr gut“, rief Clara ihr nach.
Ella stürmte ins Foyer und die teppichbelegte Treppe zum obersten Stock hinauf. Der Puls raste in ihren Ohren, als sie um die Ecke zur Kinderstation bog, wo helle Aufregung herrschte. In der hinteren Ecke hörte sie Charlie herumbrüllen. Holland weinte. Ihr Wimmern klang so erstickt und erschrocken, dass Ella selbst kaum atmen konnte.
„Manchmal sinkt es, aber dann steigt es auch gleich wieder!“, donnerte Charlie. „Das war gestern auch schon so. Und vorgestern. Deswegen habe ich sie ja hergebracht.“
„Was ist los?“, fragte Ella eine Schwester, die einen Sessel durch den Gang schleppte.
„Heute früh waren ein paar ziemlich ungehobelte Männer hier und wurden wegen Blasen an den Händen behandelt. Dann verschwanden sie, ohne zu bezahlen. Whiskey haben sie auch aus einem der Schränke mitgehen lassen. Der Doktor tobt. Er schwört, das waren Leute vom Zirkus. Also hat er den Mann mit dem Baby aufgefordert, im Voraus zu zahlen, aber das kann der nicht.“
Mit offenem Mund bahnte sich Ella einen Weg dahin, wo Dr. Penske sich direkt vor Charlie aufgebaut hatte. Der hielt Holland an die Brust gedrückt, deren Geschrei heiser klang. Der dunkle Mantel hing ihm bis auf die Schuhe.
„Ich kenne diese Leute ja nicht mal! Wenn Sie mir ein bisschen Zeit geben, lasse ich mir telegrafisch Geld anweisen. Ich habe ein Konto in New York und eins in New Orleans.“
Holland hob eine Hand ans Ohr und zupfte daran, als ob ihr etwas wehtat.
„Oh, das kann ich mir vorstellen.“ Dr. Penske fiel eine Haarsträhne auf die Stirn. „Raus aus meiner Klinik.“
„Das können Sie nicht tun!“, schrie Charlie.
„O doch, das kann ich sehr wohl!“, brüllte der Doktor zurück.
Knurrend stürmte Charlie zum Bett, griff sich Hollands Sachen vom Nachttisch und stampfte durch den Mittelgang hinaus. Jetzt erst schien er Ella entdeckt zu haben, und als er an ihr vorbeirauschte, wandelte sich der Zorn in seinem Blick zu Verzweiflung. Er hielt Holland weiter eng an die Brust gedrückt, und als er um die Ecke bog, war ihr Weinen alles, was von ihnen noch im Raum zurückblieb.
Ella eilte zu Dr. Penske. „Ist das Fieber denn gesunken?“
Der Doktor nahm die Brille ab und putzte die Gläser am Mantelkragen. „Sie kommt schon wieder auf die Beine. Ich habe ihrem Vater gesagt, was zu tun ist – nichts anderes, als was wir hier auch getan haben. Bei einem einfachen Fieber kann man kaum mehr tun. Sie braucht nur ein bisschen Zeit und Ruhe. Glauben Sie mir.“ Er verzog einen Mundwinkel nach oben. „Wir tun ihm einen Gefallen, wenn wir ihn nach Hause schicken.“
„Aber es könnte rheumatisches Fieber sein.“
„Sind Sie jetzt hier der Arzt?“
„Gestern Abend deuteten alle Anzeichen darauf hin. Schmerzen. Und ihr Hals. Alle Symptome …“
„Das haben Sie wohl auch aus einem Ihrer Bücher?“, fauchte der Doktor.
„Haben Sie sie am Nachmittag noch einmal untersucht?“
„Ihr fehlt nichts. Wir brauchen diese Betten für Patienten, die schlimmer dran sind und am Ende auch zahlen können.“ Sein düsterer Blick folgte dem Weg, den Charlie genommen hatte. Leise sprach er weiter: „Das Letzte, was wir hier brauchen, ist irgendeine Krankheit, die man sich in der Gosse auflesen kann. Sollen sie doch in das Loch zurückkriechen, aus dem sie gekommen sind.“
Mit offenem Mund wandte Ella ihren Kopf ab. Ihr Herz schlug wild. In diesem Moment fiel der Blick des Doktors auf das Kästchen in ihrer Hand und dann auf ihr Gesicht. Er musterte sie durchdringend. Ella wich einen Schritt zurück, dann noch einen.
„Was haben Sie vor?“, fragte er.
Das wusste sie selbst nicht.
„Wenn Sie jetzt durch diese Tür gehen, junges Fräulein, haben Sie hier keine Stelle mehr.“
Ellas Brustkorb hob und senkte sich, während sie ihren Dienstherrn anstarrte. Für diese Stelle hatte sie hart gearbeitet. Es war ein Job, den viele gern hätten, und ihr war es gelungen, ihn zu bekommen.
Aber sie konnte an nichts anderes denken als an das Weinen des Kindes. Daran, dass Holland rheumatisches Fieber haben könnte und dass es ihr Herz schädigen würde, wenn man es nicht behandelte. Ella wich einen weiteren Schritt zurück.
„Das ist mein voller Ernst, Miss Beckley.“
Ella nickte langsam. Sah sich die Gesichter der kleinen Patienten im Saal an … und dachte nur an eines. Nein … zwei. An Holland. Und an den kleinen Jungen, den sie nicht hatte retten können. Aber diesmal …
Ella hatte ihren Entschluss gefasst. Eilend lief sie die Treppe hinunter und hinaus in den Nebel – voller Furcht, dass Holland längst nicht mehr da war.
Angestrengt spähte sie die Straße entlang. Sie hatte keine Ahnung, in welche Richtung die beiden gegangen waren. Ella schloss die Augen und versuchte sich das Zirkusplakat von gestern ins Gedächtnis zu rufen. Wo hatten sie noch mal ihre Zelte aufgebaut? Kurz hinter der Campbell Street. Drei Straßen entfernt von ihrer Wohnung.
Jetzt rannte Ella die Straße entlang, wich einem Kohlenwagen aus, sprang über eine Pfütze und erreichte den Gehsteig auf der anderen Seite. Mit gerafftem Rock eilte sie über die rutschigen Bohlen, an Backsteinmauern entlang, und obwohl die Schatten frostig waren, erhitzte sich ihre Haut vom Laufen.
Sie bog um eine Ecke und überquerte eine ruhige, verschneite Straße, als sie in der Ferne einen Mann entdeckte. So groß und breitschultrig, wie sie Charlie in Erinnerung hatte. Ella rief seinen Namen.
Er sah zurück, ohne stehen zu bleiben – es war das Profil, das sie kannte.
Ella erreichte ihn und blickte atemlos in tief bekümmerte Augen. Charlie hatte den Mantel eng um das zitternde Baby gezogen.
„Was machen Sie hier?“ Seine Stirn legte sich in steile Falten.
„Ich möchte Ihnen helfen.“
Die Falten wurden noch steiler.
Ella sah in das winzige Gesicht des sieben Monate alten Säuglings, das aus den Falten seines Kragens hervorlugte. Die Kleine hatte die Augen geschlossen und schlief, auf den Wangen glänzten noch die getrockneten Tränen.
„Ich glaube, ich weiß, was ihr helfen könnte.“ Ella bedeutete ihm weiterzugehen.
Charlie gehorchte und blickte sie von der Seite an. „Sie wollen ihr helfen?“ Sein Blick fiel auf das Medikamentenkästchen, das sie trug.
„Ich müsste Sie begleiten.“
„Jetzt?“, fragte er unsicher.
Ella zögerte. „Ich habe heute ein wenig Zeit.“
Charlie schluckte, sah dann zurück auf den Weg, den sie gekommen waren, und voraus in die Richtung, in die er ging. Unentschlossen legte er seine Hand in den Nacken, als hätte sie gerade von ihm verlangt, das Gesetz zu brechen. Er kniff die Augen zusammen, dann sah er wieder zu ihr hinab. „Okay.“ Nichts weiter. Schnell setzte er seinen Weg fort und sah sich nur kurz nach Ella um.
Der Nebel umwehte sie kalt, während sie dahineilten, vorbei an verschwommenen Häuserblocks, durch vertraute Straßen, die Ella jetzt kaum wahrnahm. Sie konnte nichts anderes sehen als die zielstrebige Gestalt von Charlie, die mit breiten Schultern vor ihr aufragte, und die donnernden Schritte, hinter denen sein Mantel beinahe die Straße fegte.
Jetzt entdeckte Ella ein Trio großer Fahnen, die im Wind flatterten. Im dicken Nebel, der die Konturen verwischte, wirkten sie eher wie Geisterflaggen. Charlie lief weiter darauf zu. Ella stolperte beinahe über ihre eigenen Füße, als plötzlich eine Stimme ertönte.
„Hey! Charlie, mein Freund. Wo treibst du dich nur mein liebes Leben lang rum?“
Ellas Kopf schoss hoch. Das musste der Zirkuseingang sein, in dem Charlie jetzt verschwand, denn auf beiden Seiten standen Bretterhäuschen. Aus einem davon war diese merkwürdige Frauenstimme gekommen.
„Ich hab mein Kartenspiel geübt“, erwiderte Charlie abwesend und öffnete ein niedriges Tor.
„Ach, wurmt dich das immer noch?“
Erst jetzt entdeckte Ella eine füllige Frau, die fast das ganze Häuschen einnahm. Eine Zigarette steckte hinter ihrem Ohr, das Haar war in einem wilden Knoten zurückgebunden. Die Wangen glänzten feurig vor Rouge. Über ihr leuchtete ein Schild Graven Brothers Circus.
„Nicht ganz so schnell, Madam. Was glaubt sie wohl, wer sie ist?“, polterte die Frau nun und versperrte Ella den Weg mit einem Stock. Abrupt blieb sie stehen und starrte auf einen Unterarm so blass und dick wie ein Teigklumpen.
Charlie blieb stehen. „Sie gehört zu mir, Lorelai.“
„Red keinen Unsinn. Ich will hier keine fremden Weibsleute. Nicht auf meinem Gelände.“
„Lorelai, sie ist Krankenschwester. Sie kommt wegen Holland.“
„Ich rat ihr nur, dass das stimmt.“ Die Miene der Frau wurde milder, als sie mit Charlie sprach. Der Stock senkte sich. „Ah, is’n guter Junge, mein Charlie. Komm, gib mir ’nen Kuss, mein Lieber, und ich hab nichts gesehn.“
Charlie drückte im Vorübergehen einen Kuss auf die gefärbte Wange. „Du bist gut zu mir.“ Er hielt das Tor für Ella offen, die schluckte, weil ihr das Herz plötzlich bis zum Hals schlug.
„Noch ein Küsschen für Holland“, sagte die Frau. Dann musterte sie Ella eindringlich.
Charlie machte kehrt und die Frau pustete einen Kuss in Richtung des Babys, das jetzt aufgewacht war. Dann drehte Charlie sich um und lief weiter, jetzt wieder mit seinem kräftigen Schritt. Ella schlitterte über die dünne Schicht matschigen Schnees, um mit den beiden Schritt zu halten. Zwei Männer, die damit beschäftigt waren, ein Schild aufzuhängen, winkten Charlie zu. Ihre Stadt – ihre Welt – bald nur noch eine Erinnerung.
„Spielen wir morgen?“, rief Charlie.
„Jep!“, bellte einer der Männer und sah zu dem riesigen gestreiften Zelt hinüber, das etwas entfernt stand. „Dürfte jetzt erst mal vorbei sein mit dem Sturm.“
Charlie nickte und suchte sich einen Weg um einen bemalten Karren. Beinahe wäre Ella gegen den Karren gerannt. Plötzlich leuchtete dicht vor ihrer Nase das verblichene Bild von zwei stirnrunzelnden Clowns. Sie schluckte einen Schrei hinunter und eilte weiter.
Von allen Seiten wurde Charlie jetzt von fremdartigen Stimmen begrüßt. „Tach, Pastor!“, rief jemand; ein anderer, der einen Schubkarren mit Stroh schob, erkundigte sich nach „der lütten Holland“.
Wenig später blieb Charlie vor einem Zigeunerwagen mit grünem gerundeten Dach stehen. Eine Frau stand davor – leicht gebräunte Haut, hinreißend schön, das lange Haar mit einem bunten Seidenschal zurückgebunden. Ella hielt Abstand zu einem Schild, das verkündete, hier konnte man sich für fünf Cent aus der Hand lesen lassen, während Charlie eine Münze gegen ein Glas Milch tauschte. Mit einem Augenzwinkern steckte die Frau das Geld in die Tasche, sagte etwas in einer Sprache, die Ella nicht verstand, dann stieg sie die Treppe zu ihrem Wagen hinauf und verschwand hinter einem Glasperlenvorhang.
Eine Ziege meckerte zum Abschied, als Charlie weiterging.
„Sie kennen eine Menge Leute hier“, sagte Ella in der Hoffnung, es würde sie ein bisschen beruhigen und ihm signalisieren, dass sie ihm noch folgte. Vielleicht hatte er das ja schon vergessen.
Charlie reagierte, ohne langsamer zu werden. „Und aus welchem Grund sollte das nicht so sein?“
Ein Buckliger mit einem Affen auf der Schulter lief ihnen in den Weg. Charlie ging langsamer, konzentrierte sich dann aber plötzlich auf einen anderen, der einen Braunbären an einer Kette führte. Ella hatte nicht bemerkt, dass Charlie stehen geblieben war, und stolperte in ihn hinein. Er drehte sich nach ihr um, seine Miene undurchdringlich.
„O … tut mir leid.“ Ella schluckte und widerstand dem Drang, sich die Nase zu reiben.
Charlie wollte weitergehen, hob dann aber den Arm und starrte auf seinen Ärmel. Erst da wurde Ella bewusst, dass sie sich daran klammerte, als hinge ihr Leben davon ab.
Hastig ließ sie los.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“
„O ja“, keuchte sie mit einem Seitenblick auf den Bären. Natürlich, das war alles vollkommen normal. Nichts als ein ganz alltäglicher Ausflug.
Charlie verdrehte die Augen und marschierte weiter – schneller als Ellas Puls schlug, während sie sich darum bemühte, mit ihm Schritt zu halten, durchgefroren bis auf die Knochen und völlig allein bis auf diesen Mann, den sie nicht kannte. Dass sie wirklich eine kluge Entscheidung getroffen hatte, davon war Ella nur noch wenig überzeugt.
„Mr Löwenherz … Charlie … ich …“
Er warf ihr über die Schulter einen Blick zu, während sie über eine kleine verzierte Brücke schritten. Die Angst musste ihr ins Gesicht geschrieben sein, denn nun blieb Charlie stehen.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte er und blickte sich um. Als er eine Gruppe von Zirkusarbeitern entdeckte, senkte er den Kopf, sodass sein Gesicht dem von Ella näher kam, als wolle er ihre Anwesenheit hier so wenig öffentlich machen wie nur möglich.
„Es ist nur … wohin gehen wir?“
„Nach Hause – damit Holland in ihr Bett kommt. Hier geht’s lang. Sie muss aus der Kälte raus.“ Seine Nerven lagen sichtlich blank. „Und offen gesagt, Sie auch.“
„Ich?“, flüsterte sie. Spürte er, dass sie am liebsten auf der Stelle geflohen wäre? Nach Hause, um den Schlamm dieses Platzes von den Schuhen zu schütteln. Ein Teil von ihr wollte genau das. Aber da fiel ihr Blick wieder auf das winzige Gesichtchen, das aus Charlies Mantel hervorsah. Seine Arme bargen die kleine Gestalt, so gut er konnte. Ella schaute in kleine blaue Augen voller Tränen.
Sie hob das Kinn. „Ach, nichts.“
„Es ist gleich da drüben.“ Er wies auf ein schlichtes Stoffzelt in einiger Entfernung.
„Dort wohnen Sie?“, hauchte sie und bereute gleich, dass sie es ausgesprochen hatte.
Charlie schenkte ihr einen rätselhaften Blick und ging weiter.
Sie steuerte geradewegs auf ein Zelt zu, und zwar an der Seite eines Mannes, von dem sie nicht das Geringste wusste. Würden sie etwa allein in dem Zelt sein?
„Sie … leben doch nicht allein, oder?“ Ellas Stimme klang jetzt unnatürlich hoch.
Charlie hatte sie anscheinend nicht gehört und blieb jetzt vor einem Karren stehen, auf dem Holz gestapelt war. Er feilschte mit dem Besitzer um ein paar Scheite und sagte, er würde sie innerhalb der nächsten Stunde abholen. Dann bedeutete er Ella weiterzugehen.
Ihre Frage war noch immer unbeantwortet. Ella machte einen neuen Versuch, um herauszufinden, mit was für einem Menschen sie es hier zu tun hatte. „Wo lassen Sie Holland, wenn Sie arbeiten?“
„Glauben Sie etwa, ich lasse Sie allein?“
„O … nein, natürlich nicht.“
Charlie blickte zurück zu dem Holzkarren, dann wieder Ella an. „Sie bleibt bei einer Frau, die bei mir wohnt. Sie heißt Regina.“
Ella stolperte fast, als sie sich die Zigeunerlady vorstellte, die diesen Mann hatte. Und im nächsten Augenblick traf sie die Erkenntnis, was er da gerade angedeutet hatte, wie ein Schock. Was war noch alles anders bei diesen unkonventionellen Menschen und an ihren Vorstellungen von Moral?
Als Ella stumm blieb, kehrten Charlies grünen Augen zu ihr zurück. Abwartend.
„Regina“, fuhr er jetzt fort, offensichtlich bemerkend, dass er wohl deutlicher werden musste. „Regina ist Kostümmeisterin. Ich teile Zelt und Wagen mit ihr und sorge für sie. Dafür kümmert sie sich um Holland wie um eine eigene Tochter.“
„Soll das heißen, dass diese Frau, mit der sie leben, nicht die Mutter des Kindes ist?“
Ein Mundwinkel zuckte. „Nein.“ Charlie sah amüsiert aus. „Sie ist nicht die Mutter des Kindes.“
Ella befeuchtete ihre Lippen. Er zögerte einen Moment, als versuche er, in ihrer Miene zu lesen. Die seine war erschreckend unschuldig.
Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haarmähne. „Irritiert Sie das?“
„Ich …“ Sie musste schlucken, womit sie unwillkürlich zugab, was seine Auskunft in ihr auslöste. Erinnerungen überschwemmten sie wie eine kalte Flut, wie sie so vor diesem Mann stand, der offensichtlich wenig Respekt vor Frauen hatte. Steif und leblos kamen die Worte aus ihrem Mund. „Nun, sicher wird das einiges Stirnrunzeln auslösen.“
Nun blieb Charlie vor einem Zelt stehen. Der Eingang war verschnürt und er machte sich daran, den ersten Knoten zu lösen. „Was Sie nicht sagen.“ Er löste den nächsten Knoten.
Ella ignorierte die Ironie.
„Sollen die Leute doch die Stirn runzeln, so viel sie wollen.“ Charlies Stimme sank zu einem Flüstern, als er den dritten Knoten aufmachte. „Es ist nicht ihr Leben. Außerdem … Regina … sie bedeutet uns viel. Sie bedeutet mir viel.“
„Verstehe.“
„Ich brauche sie.“ Er richtete sich auf. „Und Holland ist ganz vernarrt in sie. Sie kommen gut miteinander aus. Interessiert die Leute das auch?“
„Ich … weiß … nicht.“
„Dann lassen Sie sie aus dem Spiel.“ Er schlug die Zeltplane zurück und winkte Ella hinein.
„Nach Ihnen.“ Ihr Ton war so scharf wie der seine.
Für einen Moment kniff er die Augen zusammen. „Hören Sie. Es tut mir leid, wenn ich kurz angebunden bin, aber ich könnte für das hier echte Schwierigkeiten kriegen. Verstehen Sie?“
„Meinetwegen?“
Er nickte, und nach dem Blick zu schließen, den er ihr zuwarf, ging es um mehr als nur ein bisschen Ärger. „Es ist gegen die Regeln.“
„Sie haben hier Regeln?“
„ Jedes Mal, wenn ich etwas sage, kommen Sie mit einer neuen Frage.“ Er sah sich rasch um. „Können wir jetzt reingehen? Bitte. Ich erzähle Ihnen, was Sie wollen, aber drinnen.“
Charlies Blick wühlte Ella auf und sie fragte sich, wie sie – einsfünfundsechzig in einer grauen Schwesterntracht mit weiten Ärmeln und feuchten Händen – ihm wohl gefährlich werden sollte.
Ella umklammerte ihren Holzkasten und folgte ihm nach drinnen.
Mattes Licht sickerte durch die weiße Zeltwand und erhellte den provisorischen Raum.
Charlie wies auf eine untersetzte Frau, die an einem niedrigen schwarzen Herd stand. „Ella. Darf ich dich mit Regina bekannt machen? Regina, das ist Ella. Sie ist aus der Stadt und ist Krankenschwester.“
Die kräftig gebaute Frau warf einen Blick über die Schulter und lächelte, was eine Zahnlücke zum Vorschein brachte. Viele Silberfäden durchzogen ihr dunkles Haar, das zu einem schweren Zopf geflochten war. Sie stand auf einer Kiste, um besser an den Herd heranzureichen, und mochte wohl kaum einen Meter groß sein. Ein paar Sekunden vergingen, in denen sie die Augenbrauen hochzog. „Hatten Sie etwas wie Schneewittchen erwartet, cara?“
Die Frage stand einen Augenblick im Raum. Und noch einen.
Plötzlich spürte Ella Charlies Mund dicht an ihrem Ohr und erschrak.
„Das heißt: Starren Sie mich nicht so an“, flüsterte er vernehmbar.
4
Ella schluckte und sah sich in dem quadratischen Zelt um, das überraschend geräumig und warm war. Nur drei Wände bestanden aus Zeltplanen. Die vierte bildete die offene Seite eines grün gestrichenen Wagens. Sie hatte Bilder von Zirkuswagen in einem Bilderbuch gesehen, aber vor denen, die sie heute zu Gesicht bekommen hatte, verblassten sie alle. Vor allem vor diesem Wagen hier, einem soliden Gefährt mit verschnörkelten Verzierungen, Dachrinnen und goldbemalten Rädern. Zelt und Wagen waren so eng miteinander verschnürt, dass kein Luftzug hereindrang.
Regina kam herüber und nahm Charlie das Milchglas ab.
„Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte Ella leise.
Die Frau erwiderte Ellas Worte, aber aus der Art, wie sie ihre rundliche Hand gegen die gebräunte Wange presste, sprach Sorge. Ihre dunklen Augen folgten Charlie, der jetzt an ein kleines Holzbett trat. Darunter bedeckte ein gemusterter Teppich das Gras. Charlie legte das Baby auf eine Fransendecke, während der Blick der Frau zu Ella zurückkehrte, die sich nun neben Holland kniete.
Nachdem Charlie dem Säugling die Mütze abgenommen hatte, sah er Ella an. Sie wappnete sich für jede denkbare Bemerkung, aber er sagte einfach nur: „Danke.“
Mit einem tiefen Atemzug hielt sie seinem Blick den Moment lang stand, den er es zuließ. Fieberhaft überlegte sie, womit sie anfangen sollte. „Haben Sie ein wenig Öl? Und heißes Wasser, damit wir ihr einen Tee kochen können? Ach ja, ich brauche auch einen kleinen Topf.“
Charlie stand auf und kam mit einer Flasche und einem Kupferkessel zurück. „Wird das gehen?“
Regina hob den Kessel auf den niedrigen Kanonenofen.
Schnalzend sprang der Verschluss von Ellas Holzkästchen auf. Sie holte ein kleines Glas mit getrockneten Eukalyptusblättern heraus und mischte einen reichlichen Teelöffel voll mit dem Öl. Dann bat sie Charlie, den Kessel auf den Ofen zu setzen, einen weiteren Topf mit Wasser zu füllen und ebenfalls einen Teelöffel Eukalyptusblätter aus dem Glas hineinzutun. Als Nächstes zog Ella dem Baby behutsam die Kleidung aus. Es würde ein wenig dauern, bis das Öl warm genug war, aber sie tauchte einen Finger in das lauwarme Kräuteröl und rieb es Holland in langsamen Kreisen auf die Brust. Dann nannte sie ein paar andere Dinge, die sie benötigte.
Charlie zog zwei schmale Vorhänge zurück, die die Längsseite des Wagens verhüllten. Ein Stapel Kisten bildete provisorische Stufen zu einer Art übergroßem erhöhten Bett, das mit Kissen und Decken übersät war. Er suchte eine Weile herum und Ella erhaschte flüchtige Blicke auf eine Kiste mit zusammengelegten Kleidern, einen Zylinder, der an der Wand hing, und ein paar blank polierte Stiefel. Charlie hatte inzwischen Notizbuch und Bleistift gefunden, schrieb eine rasche Notiz und riss das Blatt heraus. Beim Herabsteigen musste er ihren Blick in sein Privatgemach bemerkt haben, denn er schloss rasch die Vorhänge wieder und verbarg es vor ihren Augen.
Den Zettel reichte er Regina. „Bring das Mr Graven. Er wird bezahlen, was du brauchst. Er kann es mir vom Wochenlohn abziehen.“
Regina nahm den Zettel mit einem Kopfnicken in Empfang, hielt aber den Blick auf Ella gerichtet. „Sie kann nicht hierbleiben. Das weißt du.“
Holland zog wieder an ihrem Ohr und Ella gab es auf, am Kinn des Kindes nach geschwollenen Lymphknoten zu tasten. Die Kleine schaute zu ihr auf und Ella lächelte zärtlich.
Regina sprach leise. „Wenn Madame Broussard das herauskriegt …“
„Das wird sie nicht.“ Charlie strich sich mit der Hand über den Nacken. „Und es ist ja nicht für lange.“ Er schwieg eine Weile, und als er wieder sprach, war seine Stimme unendlich weich. „Ich weiß nicht, was ich sonst tun kann.“
Regina streckte den Arm zu ihm hoch und drückte ihm mütterlich die Hand.
Ella überfiel erneut der Gedanke, wie wenig sie von diesem Mann wusste – von diesen Leuten überhaupt –, und sie wandte den Blick ab. Aber Charlie kam zurück ans Bett und kniete sich neben sie. Seine Gestalt war so breit und raumgreifend wie eh und je, aber in der Art, wie er Holland die kleinen Schuhe und dann die Strumpfhose auszog, lag eine anrührende Zärtlichkeit. Er legte beides beiseite. „Was können wir noch für sie tun?“
Ella sog langsam die Luft ein und hoffte mit jeder Faser ihres Herzens, dass sie auf diese Frage die richtige Antwort hatte.
Wenn bekannt wurde, dass er eine junge Frau mitgebracht hatte, würde nicht nur ein übellauniger Doktor ihm auf den Fersen sein. Charlie versuchte, nicht daran zu denken, als Ella ihren Mantel auszog und ablegte.
„Wir brauchen Apfelessig. Haben Sie den?“, fragte sie. „Und Lakritzpastillen, die man in kleine Stücke teilen kann.“
Charlie sah zu Regina hinüber, die nach ihrem Schal griff.