Wohin der Fjordwind uns trägt - Melanie Horngacher - E-Book
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Wohin der Fjordwind uns trägt E-Book

Melanie Horngacher

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Beschreibung

Wo der Fjordwind weht und die Mitternachtssonne scheint  Die junge Norwegerin Finja lebt auf den wunderschönen Lofoten. Seit ihre Mutter die Familie verlassen hat, kümmert Finja sich um ihren kranken Vater. Als der gutaussehende Tischler Kristian auf die Insel kommt, entstehen zwischen den beiden bald mehr als freundschaftliche Gefühle. Doch Kristians Leben spielt in Oslo und noch dazu ist er vergeben. Finja würde niemals einer anderen den Mann ausspannen und versucht, ihr Herz um jeden Preis zu schützen. Doch in den magischen Tagen, an denen die Sonne niemals untergeht, wendet sich das Schicksal auf vollkommen unerwartete Weise …

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Wohin der Fjordwind uns trägt

Die Autorin

Melanie Horngacher wurde 1982 geboren und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in St. Jakob in Haus in Tirol. Sie ist gelernte Köchin und Konditorin und arbeitet als solche in der Kreativabteilung einer Schokoladenmanufaktur. So geduldig wie das Papier ist auch die Schokolade, und daher liebt sie das Handwerk mit der süßen Köstlichkeit gleichermaßen wie das Jonglieren mit Worten. Auch die Musik hat in ihrem Leben einen hohen Stellenwert. Lesen, Schreiben, Musizieren und Genießen gehören zu ihren liebsten Hobbys.

Das Buch

Die junge Norwegerin Finja lebt auf den wunderschönen Lofoten. Seit ihre Mutter die Familie verlassen hat, kümmert Finja sich um ihren kranken Vater. Als der gutaussehende Tischler Kristian auf die Insel kommt, entstehen zwischen den beiden bald mehr als freundschaftliche Gefühle. Doch Kristians Leben spielt in Oslo und noch dazu ist er vergeben. Finja würde niemals einer anderen den Mann ausspannen und versucht, ihr Herz um jeden Preis zu schützen. Doch in den magischen Tagen, an denen die Sonne niemals untergeht, wendet sich das Schicksal auf vollkommen unerwartete Weise …

Melanie Horngacher

Wohin der Fjordwind uns trägt

Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Juni 2021© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, MünchenAutorinnenfoto: privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-8437-2485-2

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Epilog

Danke

Leseprobe: Was mir dein Herz erzählt

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Für alle Herzensmenschen, die geben, ohne etwas zu erwarten.Ihr helft uns dabei, aus Wunden Wunder zu machen.Und für alle, die ihre Schwächen in Stärken verwandeln.Möge euer Mut euch beflügeln.

Motto

Du, meine Liebe, streichelst mein Herz,umarmst meine Seele.Und nun bist du fort.Und wenn ich dir irgendwann so sehr fehle,an diesem mir unbekannten Ort,dass du nichts anderes mehr brauchst für dein Glück,bringt der Fjordwind dich mir wieder zurück.

Prolog

Finja

Sie ist fort. Mein Herz liegt schwer in meiner Brust, weil es schon begriffen hat, was mein Geist erst realisieren muss: Sie ist fort und kommt auch nicht wieder. Wir haben in den letzten Tagen nicht mehr besonders viel miteinander gesprochen, weil sie immer schweigsamer wurde, je mehr ihre Kräfte schwanden. Und trotzdem vermisse ich ihre klugen Worte und ihre Anwesenheit, ihre ruhige und besonnene Art. Stine war für mich ein Herzensmensch, auch wenn wir nicht blutsverwandt waren. Sie hat jeden einzelnen Tag ihres dreiundachtzigjährigen Daseins auf den Lofoten verbracht. Sie kannte jeden Winkel unseres kleinen Fischerdorfes, jeden Einwohner, jede Geschichte. Sie war gebildet und warf doch nicht mit ungebetenen Ratschlägen um sich. Wenn ich Hilfe brauchte, dann fragte ich Stine. Und dann schaffte sie es mit wenigen Sätzen, dass ich am Ende selbst wusste, was zu tun war. Als mit zwölf mein Herz in tausend Einzelteile zerbrach, war sie da, während andere mich verließen. Sie brachte mir alles bei, was ich wissen musste, und versuchte gleichzeitig, mein Innerstes so gut es ging zusammenzuflicken. Wir hatten sie nicht darum gebeten zu kommen. Sie tat es einfach. Vielleicht hielt sie es in ihrem eigenen leeren Zuhause nicht aus, vielleicht war es aber auch ihre Art zu sagen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen. Weder sie noch mein Vater und ich.

Obwohl Stine nicht weniger einsam war als mein Vater, sprachen die beiden kaum ein Wort miteinander. Doch bestimmt vermisst er sie jetzt genauso wie ich. Genauso, wie alle Dorfbewohner sie vermissen. Weil es einfach viel zu wenige Herzensmenschen auf der Welt gibt.

Kapitel 1

Kristian

Nicht mehr ganz so wütend wie vor wenigen Minuten, aber immer noch aufgewühlt, knalle ich die Tür meines Pick-ups zu und kann mich gerade noch beherrschen, nicht danach zu treten. Der Wagen ist zwar nicht mehr neu, trotzdem würde ich es hinterher bereuen. Mein Vater hat es wieder einmal geschafft, mich wie den letzten Trottel dastehen zu lassen. Ich habe ihm meine neuesten Entwürfe für eine moderne Möbelkollektion vorgelegt, doch er hat sie nur belächelt. Ich solle das Entwerfen den Profis überlassen, meinte er.

Seit etwa sieben Jahren arbeite ich nun für meinen Vater in dessen Tischlerei, deren Name seit dem Eintreten meines Bruders zu Haugen & Sønner ergänzt wurde. Letzteres, also Söhne, hätte genauso gut nur Sohn heißen können, denn im Gegensatz zu meinem Bruder Arne habe ich in der Firma so gut wie nichts zu melden.

Arne ist seit seinem BWL-Studium für den Vertrieb zuständig, und obwohl ich gelernter Tischler und somit vom Fach bin wie mein Vater selbst, gilt dessen ganzer Stolz ihm, dem Intelligenzbolzen in der Familie. Ich bin kein studierter Möbeldesigner oder Innenarchitekt, in diesem Punkt gebe ich meinem Vater recht. Trotzdem bin ich überzeugt, dass ich Talent habe und man bestimmt einige meiner Ideen umsetzen könnte. Bei Arne wäre das wahrscheinlich überhaupt kein Grund zur Debatte. Er würde in den Himmel gelobt und sein Erfolg gefeiert, während ich ewig der kleine Handwerker bleiben werde.

Vielleicht sollte ich von hier weggehen und irgendwo ganz neu anfangen. Mit einer eigenen kleinen Tischlerei mein Glück versuchen.

Ich atme mehrere Male tief durch und mache mich auf den Weg ins fünfte Stockwerk des Apartmenthauses vor mir. Zu Fuß, um mich abzureagieren, bevor ich meiner Freundin unter die Augen trete. Sie bewohnt eines der schicksten Penthouses der Stadt, mit direktem Blick auf den Oslofjord. Doch für die Aussicht habe ich jetzt nichts übrig. Wenigstens weicht mein Ärger langsam der Vorfreude auf Solveig. Wir haben uns seit zwei Wochen nicht gesehen, denn als Model ist sie wahnsinnig viel unterwegs.

Zum ersten Mal begegneten wir uns im Fotostudio eines renommierten norwegischen Fotografen. Solveig war dort für ein Shooting, ich wegen der Einrichtung. Ich hatte schon Feierabend und war hundemüde auf dem Weg in mein winziges Loft, das sich fast gegenüber unserer Firma befindet, als mein Vater mich anrief und darauf bestand, dass ich einen ausgesprochen wichtigen Kunden beliefern sollte. Sofort. Natürlich war ich nicht begeistert und an dem Abend auch noch mit einem Kumpel verabredet. Doch wie immer knickte ich nach einer kurzen Diskussion ein, sagte dem Freund ab und machte kehrt, um das Möbelstück abzuholen. Es handelte sich um eine Auftragsarbeit, eine Art großen Hocker aus Nussholz, den man sowohl stehend als auch liegend verwenden konnte. Und obwohl ich das aus zwei Teilen bestehende Ding selbst gebaut hatte, konnte ich es nicht wirklich seiner Berufung zuordnen. Für einen gewöhnlichen Stuhl war es zu hoch, als Liegefläche zu ungemütlich, als Regal etwas unförmig. Es war außerdem schwer und äußerst unpraktisch zu tragen. Ich fuhr zu der Adresse und schleppte das Möbelstück in den vierten Stock hinauf, weil es für den Aufzug zu sperrig war.

Ich hatte weder eine Ahnung noch Interesse daran, um welchen Kunden es ging, ich wollte lediglich den letzten Auftrag für diesen Tag so schnell wie möglich erledigen. Als ich klingelte und jemand mir »Es ist offen!« zurief, platzte ich mitten in ein Fotoshooting, woraufhin mir fast die Gesichtszüge entgleisten, als ich erkannte, wer hier gerade geshootet wurde. Solveig Jakobsen war nicht nur irgendein Model, sondern ein sehr angesagtes. So angesagt, dass sogar ich sie kannte. Und was für mich noch deutlich relevanter war: Sie war wirklich schön. Nicht spindeldürr und doch kein Gramm zu viel, und auf den ersten Blick wirkte sie ganz anders, als sie in den Magazinen rüberkam.

Solveig hielt in ihrer Pose inne und musterte mich ebenso unverfroren wie ich sie. Schließlich wurde auch der Fotograf auf mich aufmerksam und drehte sich, die Kamera in der Hand, zu mir um. Ich war verschwitzt von dem weiten Treppenaufstieg, meine obersten Hemdknöpfe standen offen, und vor mir hatte ich dieses große hölzerne Hocker-Regal-Dingsbums stehen. Solveig fand als Erste ihre Sprache wieder und sagte: »Sieht nicht nach dem bestellten Sushi aus!« Ihre Mundwinkel zuckten, doch ich wusste nicht, wie ich diese Aussage deuten sollte.

»Außer, das soll eine Abkürzung sein für … su … danesisches Schi … Schiebemöbel?« Innerlich verdrehte ich die Augen über mich selbst. Das war absolut das Dümmste, was ich je von mir gegeben hatte, und als mich nun außer dem Model und dem Fotografen auch noch die beiden Assistenten verständnislos anstarrten, wollte ich schon mit kleinen Rückwärtsschritten Richtung Tür verschwinden. Doch plötzlich begannen sie zu lachen. Erst Solveig, und dann stimmten die anderen mit ein. Und der Fotograf begann zu knipsen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das die schönsten Fotos von Solveig waren, die an diesem Tag entstanden, und als ich das Studio wieder verließ, hatte ich die Telefonnummer eines Topmodels in der Tasche und ein Date für den nächsten Abend.

Das war vor ungefähr einem halben Jahr. Inzwischen habe ich tatsächlich mit ihr Sushi gegessen, bin in den Genuss von Austern und Kaviar gekommen, habe in luxuriösen Restaurants mit ihr Champagner geschlürft und war mehr als einmal Grund für Spekulationen in der Klatschpresse. Dieser ganze Jetset ist eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Aber Solveig steht drauf, und weil wir uns ohnehin viel zu selten sehen, tue ich ihr den Gefallen und begleite sie in diese schicken Nobelschuppen. Anfangs fürchtete ich, sie könnte sich für mich, den kleinen einfachen Handwerker, schämen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Es scheint, als fände sie gerade das anziehend, als wäre ich irgendwie exotisch. Sie wird auch nicht müde, den Leuten zu erklären, wie wir uns kennengelernt haben. Für mich ist das manchmal fast unwirklich und ein völliger Kontrast zu meinem »normalen« Leben. Aber wahrscheinlich geht es ihr genauso.

Gerade war sie ein paar Tage in Mailand, und ich bin gespannt, was sie zu erzählen hat. Sie brennt für ihren Job, und auch wenn mich diese Modewelt nicht besonders interessiert, fasziniert mich doch Solveigs Leidenschaft dafür. Wie ihre Augen leuchten, wenn sie darüber ins Schwärmen gerät, wie unglaublich es ist, die Laufstege zu erobern oder bei besonderen Shootings zu posieren.

Ich weiß nicht, was sie heute für uns geplant hat. Wahrscheinlich hat sie in einem teuren Klub reserviert, den ich mir nur schwer leisten kann. Doch ich werde trotzdem mitgehen, denn mir ist es einerlei, was wir machen, solange wir zusammen sind. Und weil ich mich vor allem darauf freue, sie endlich wiederzusehen.

Als ich bei ihr klingle, dauert es einen Moment, bis sie öffnet. Ihr Anblick überrascht mich. Zum ersten Mal, seit ich sie kenne, trägt sie nur schlichte Leggins und ein weites T-Shirt darüber, das die linke Schulter entblößt. Sie ist barfuß, und ich glaube, ich habe sie nie schöner gesehen. Das Make-up sitzt natürlich trotzdem perfekt, und ihr rotgoldenes Haar fällt ihr in leichten Wellen über den Rücken, deshalb gehe ich davon aus, dass sie einfach noch nicht umgezogen ist.

»Hei«, begrüßt sie mich mit einem Lächeln und hält mir die Tür auf.

»Hallo«, erwidere ich und beuge mich etwas nach vorne, um sie zu küssen. Sie dreht den Kopf zur Seite, und ich erwische ihre Wange, was mich etwas irritiert. Aber ich weiß, dass Solveig anfangs immer etwas braucht, um aufzutauen, und deshalb sage ich nichts.

»Mir ist heute gar nicht nach Ausgehen«, beginnt sie zaghaft, »hast du etwas dagegen, wenn wir einfach hierbleiben?«

Mein Herz macht einen kleinen Satz, denn genau das ist es, was ich mir insgeheim wünsche. Nach dem heutigen Tag war mir eh nicht nach einem lauten Klub oder Restaurant.

»Überhaupt nicht«, antworte ich deshalb fast schon zu schnell, bevor sie es sich wieder anders überlegt. »Das ist perfekt!«

»Wir können uns was zu essen bestellen. Worauf hast du Lust? Thailändisch? Indisch? Italienisch?«

Ich zucke leicht mit den Schultern. »Wenn du nach Mailand Italienisch noch nicht überhast? Wie war es denn?« Auf ihrem breiten Sofa habe ich so gut wie noch nie gesessen, wir haben nur einmal wild darauf geknutscht, bevor ich sie in ihr Schlafzimmer trug. Ich stelle mir vor, wie wir gemütlich darauf herumgammeln, Solveig in meinem Arm, und uns einen Film ansehen. Einfach einmal was ganz Normales machen.

»Mailand war fantastisch … oh … da fällt mir ein, dass Jacques uns zu einer Party eingeladen hat!« Sie fasst sich mit der flachen Hand vor die Stirn und zerschlägt mit diesem Satz die Hoffnung auf einen ganz normalen Abend.

»Schade. Musst du da hin?«, frage ich vorsichtig. Ich weiß, dass Jacques ein Fotograf ist, und auch, dass ihr das Nachtleben mit diesen Leuten viel bedeutet. Sie kaut nachdenklich auf ihrer Unterlippe und scheint abzuwägen.

»Nein. Eigentlich nicht«, verkündet sie, und ich bin mehr als überrascht. So eine Einladung hat sie noch nie sausen lassen. »Jacques wird es überleben.«

Ich schnappe sie sanft am Handgelenk und ziehe sie mit einem leichten Ruck zu mir. Ich kann jetzt nicht anders, als sie zu küssen, und als unsere Lippen sich treffen, wird sie ganz weich in meinen Armen. Schließlich löst sie sich wieder von mir und lächelt mich an, bevor sie nach ihrem Handy greift.

Solveig bestellt Thailändisch, und wir bleiben sogar zum Essen auf dem gemütlichen Sofa sitzen. Sie erzählt von den Shootings in Mailand, von den Cocktailpartys und all ihren anderen Terminen. Und irgendwann, ganz beiläufig und als wäre es überhaupt nichts Besonderes, sagt sie: »Meine Großmutter ist gestorben!«

Ich halte mitten im Kauen inne und starre sie einen Moment lang an. »Das tut mir sehr leid, Solveig.«

Sie blinzelt ein paarmal und senkt die Augenlider, stochert ein wenig in ihrem Essen herum.

Ich weiß nicht viel über ihre Familie, außer dass ihr Vater ein erfolgreicher Immobilienmakler ist. Wir sind uns einmal begegnet, aber da hat Solveig mich nicht als ihren Freund vorgestellt. Ich wusste auch nicht, dass es da noch eine Großmutter gab, und gerade bedaure ich es sehr, sie nie danach gefragt zu haben.

»Woran ist sie gestorben?«

Solveig zuckt ein wenig mit den Schultern. »Sie war … einfach eine alte Frau.«

Ich versuche, aus ihrem Gesicht abzulesen, was in ihr vorgeht. Doch ihr Ausdruck ist verschlossen. Dafür kenne ich jetzt den Grund, warum sie heute nicht ausgehen wollte.

»Standest du ihr nahe?«, frage ich weiter.

»Nein.« Die Antwort kommt schnell und klingt etwas verbittert. Das scheint auch sie zu merken, weshalb sie erklärend hinzufügt: »Sie war die Mutter meiner Mom. Wir hatten schon lange keinen Kontakt mehr.«

»Wann ist die Beerdigung?«

»In zwei Tagen.«

Ich weiß nicht, ob ihr meine Fragen unangenehm sind, aber Solveig macht keine Anstalten, etwas von sich aus zu erzählen. Sie blockt auch nicht direkt ab, deshalb frage ich weiter.

»Wirst du hingehen?«

»Würdest du mich begleiten?«, erwidert sie, und ich bin sehr erstaunt. Das ist ein Vertrauensbeweis, mit dem ich nie im Leben gerechnet hätte.

»Ja, natürlich.« Ich brauche nicht lange zu überlegen. Wenn ich auch hin und wieder manches in unserer Beziehung infrage stelle, so ist es doch für mich selbstverständlich, dass ich ihr in schwierigen Situationen beistehen will.

»Meine Mutter hat mich angerufen. Sie fühlt sich nicht wohl und wird nicht hinfahren. Mein Vater sowieso nicht. Er und Stine, also meine Großmutter, konnten sich noch nie gut leiden.«

»Wenn du das möchtest, begleite ich dich gerne. Sag mir nur, wann und wo, und ich werde da sein.«

»Übermorgen Nachmittag in Skjærvik auf den Lofoten.«

Kapitel 2

Kristian

Als Solveig mir sagte, dass ihre Großmutter Stine auf den Lofoten gelebt hat, war ich anfangs etwas perplex. Ich weiß nicht, warum ich automatisch angenommen hatte, dass sie aus Oslo oder der näheren Umgebung stammte, denn wir haben nie darüber gesprochen.

Es dauerte ein wenig, bis ich meinem Vater beigebracht hatte, dass ich ein paar Tage Urlaub nehmen will. Aber erstens hatte ich schon seit einer ganzen Weile keinen freien Tag mehr und außerdem unzählige Überstunden, die ich abfeiern kann, und zweitens kommt mir die Chance auf ein bisschen Abstand ganz gelegen. Unsere Differenzen gehen mir auf die Nerven und sind – verglichen mit dem Grund für unsere Reise – einfach nur unnötig. Der Todesfall in Solveigs Familie war letztlich auch das einzige Argument, das meinen Vater weich werden ließ.

Und dann brauchte es noch ein bisschen Überredungskunst, Solveig zu überzeugen, nach der Beerdigung ein paar Tage Urlaub dranzuhängen. Ein bisschen auszuspannen und Zeit zu zweit zu verbringen wird uns guttun. Selbst ihre Managerin war meiner Meinung, und schließlich ließ Solveig sich breitschlagen, das nächste Shooting zu verschieben und das kleine Ferienhäuschen in Skjærvik für mehrere Tage zu buchen.

Und so sitzen Solveig und ich nun im Flieger nach Leknes. Ihr Kopf lehnt am Fenster, und ihre Augen sind geschlossen. Ich hoffe, sie kann ein bisschen schlafen, denn ich habe den Eindruck, dass der Tod ihrer Großmutter sie doch mehr mitnimmt, als sie zugeben will. Noch habe ich nicht viel über Solveigs Familiengeschichte herausgefunden, außer dass sie früher mehr Kontakt zu Stine hatten. Inzwischen ist ihr Vater Einar beruflich einfach zu sehr eingespannt, und ihre Mutter Ida hat ebenfalls zu viele andere Interessen und Verpflichtungen, um sich auch noch um die Großmutter zu kümmern. Dazu kommt die große Entfernung zwischen dem kleinen Fischerdorf auf den Lofoten und Norwegens Hauptstadt. Alle diese Gründe klingen jedoch nur nach Vorwänden. Was auch immer dahinterstecken mag, jetzt ist es zu spät. Während Solveig erzählte, kam es mir so vor, als würde ich aus ihrem scheinbar gleichgültigen Tonfall auch einen kleinen Funken Verbitterung heraushören. Vielleicht täusche ich mich aber auch.

Ich finde es schade, dass die Verbindung abgebrochen ist, und denke darüber nach, wie es wohl wäre, wenn ich selbst noch Großeltern hätte. Würde ich mich um sie kümmern? Und was wäre, wenn ich weit von Oslo entfernt leben würde? Hätte ich dann engen Kontakt zu meinen Eltern, obwohl das Verhältnis zu meinem Vater schwierig ist?

Solveig regt sich neben mir, und ich widerstehe dem Impuls, ihr eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen, um sie nicht zu erschrecken. Sie soll sich ausruhen, denn nach unserer Landung müssen wir noch eine knappe Stunde mit dem Mietwagen zurücklegen, bis wir in Skjærvik ankommen. Wenn es nicht so einen traurigen Grund gäbe, würde ich mich auf diese wunderschönen Inseln freuen, die ich bisher nur von Bildern oder aus dem Fernsehen kenne.

Beim Landeanflug kann ich endlich einen Blick auf die atemberaubende Natur werfen, die sich unter mir ausbreitet, als wir durch die Wolkendecke tauchen. Berge und Meer treffen direkt aufeinander, eine unglaubliche Konstellation, die ich so noch nie gesehen habe. Steil ragen die Gipfel an der Küste hoch, dazwischen fügen sich die einzelnen kleinen Orte mit ihren roten Häusern ein. Fischerboote liegen in den Häfen, und das satte Grün der Landschaft strahlt mir entgegen.

Als wir den Flieger verlassen, merken wir sofort, dass es um einige Grade kühler ist als bei uns in Oslo. Es nieselt ein wenig, und ich stelle kurz darauf im Leihwagen die Heizung an, obwohl wir schon Juni haben.

»Erzähl mir ein bisschen von deiner Großmutter«, ermuntere ich Solveig, während wir der E10 folgen und mehrere Fischerdörfer passieren, in denen sich jetzt im Sommer besonders viele Touristen tummeln. Am Straßenrand kommen uns einige Kühe entgegen, die sich in ihrer Mahlzeit nicht stören lassen und friedlich vor sich hin grasen.

»Was soll ich da erzählen?«

»Alles, was dir dazu einfällt. Wie ist sie gewesen? Was habt ihr gemacht, wenn du bei ihr warst?«

Solveig überlegt ein wenig. »Sie war … streng, aber mit mir weniger als mit allen anderen.« Ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. »Sie hat mir oft Geschichten erzählt über Trolle oder die alten Wikinger. Und sie roch nach Zitrone.«

»Was ist mit deinem Großvater?«

»Er starb, als ich ein kleines Mädchen war. Bei einem Bootsunglück am Moskenstraumen.«

»Das tut mir leid«, erwidere ich und greife nach ihrer Hand. »Das muss schlimm gewesen sein.«

»Er hat mich hin und wieder mitgenommen, wenn er zum Fischen rausfuhr … auf ruhigere Gewässer. Ich habe mich immer sicher bei ihm gefühlt. Er war sehr erfahren, aber der Moskenstraumen ist ziemlich gefährlich.«

»Und Stine? Sie hat bestimmt sehr darunter gelitten.«

Solveigs Blick wandert zum Seitenfenster hinaus, und ich spüre sofort, wie sie wieder dichtmacht. Auch die Antwort bleibt sie mir schuldig.

»Hat sie allein gelebt?«, versuche ich es nach einer Weile erneut.

»Ja.«

»Wer kümmert sich um alles nach ihrem Tod? Um die Beerdigung und um ihr Haus?«

»Ich nehme an, ihre Cousine Hedda und deren Mann Thore.«

Nicht zum ersten Mal frage ich mich, was in dieser Familie vorgefallen ist, dass nicht einmal Stines eigene Tochter zur Beerdigung kommt. Solveig meinte, ihrer Mutter ginge es nicht gut, aber das klingt wieder nach einer fadenscheinigen Ausrede. Ich bin überzeugt, dass mich nichts in der Welt davon abhalten könnte, zu meinen Eltern zu fahren, wenn sie mich brauchten. Vielleicht kommt es aber auch auf die Schwere des Problems an.

Ich halte auf dem Rastplatz Torvdalshalsen, von wo aus wir einen wunderschönen Blick auf die Insel Vestvågøy haben. Solveig macht keine Anstalten auszusteigen, doch ich kann nicht anders, strecke mich und fülle meine Lungen mit der frischen, salzigen Meeresluft. Tief liegende Nebelbänder geben die schroffen dunkelgrauen Felsen, die aus dem Polarmeer ragen, nur zur Hälfte frei, und doch bin ich überwältigt von der Aussicht und brenne darauf, die Inseln besser kennenzulernen.

»Ich möchte, dass du mir alles zeigst«, sage ich, als Solveig endlich doch erscheint und mich von hinten umarmt. »Alle Plätze, mit denen du schöne Erinnerungen verbindest!«

Lächelnd drehe ich mich zu ihr um und küsse sie.

»Alle?«, schmunzelt sie. »Da verlangst du ziemlich viel.«

»Ich weiß«, gebe ich zu. »Aber ich will wissen, was dich als Kind glücklich gemacht hat.«

»Wir sollten los«, ermahnt sie mich, und sie hat recht. Wenn wir unser Häuschen noch vor der Beerdigung beziehen und uns frisch machen wollen, müssen wir uns wirklich sputen.

Kapitel 3

Finja

Es regnet, als wir den Friedhof verlassen. Die Trauerrede des Pfarrers war sehr feierlich, und es sind viele Menschen gekommen, um von Stine Abschied zu nehmen. Ich schiebe meinen Vater im Rollstuhl vor mir her, während meine Tante Marit mit einem großen Regenschirm in der Hand neben uns herläuft. Nachdem er vor wenigen Monaten seinen zweiten Herzinfarkt innerhalb der letzten sieben Jahre hatte, ist er immer noch etwas schwach. Deswegen nimmt er für Anlässe wie diesen den Rollstuhl, um sich nicht zu überanstrengen. Es ist nicht weit bis zu Anderssons Pub, in dem eine kleine Zusammenkunft stattfindet, um der Verstorbenen zu gedenken. Ich habe mich angeboten, Björn, dem Besitzer, ein bisschen bei der Bewirtung heute zu helfen, aber er hat nur dankend abgewunken und gemeint, ich solle mich lieber unter die Gäste mischen. Er weiß nicht, wie schwer es mir fällt, untätig herumzusitzen. Meine Hände brauchen Beschäftigung und mein Kopf ebenso. Schlimm genug, dass Stine nicht mehr da ist, bei der ich einen Teil meiner Freizeit verbrachte, um ihr Essen zu bringen – wenn Hedda verhindert war –, mit ihr spazieren zu gehen oder ihr einfach so Gesellschaft zu leisten, wie sie es früher für mich getan hat. Ablenkung. Eine ausgezeichnete Methode, meine Gedanken etwas zu besänftigen. Und vielleicht auch Stines, wenn sie es brauchte.

Also muss ich zusehen, wie ich die Zeit im Pub anderweitig fülle. Vielleicht kann ich, wenn der Andrang besonders groß ist, bei Lotta, Björns Frau und meiner besten Freundin, ja noch einmal meine Hilfe anbieten. Oder ich könnte eine Weile auf das Baby von Inga Omdahl aufpassen, um die junge Mutter etwas zu entlasten.

»Warum Ida wohl nicht gekommen ist«, reißt Marit mich aus meinen Überlegungen, und ich schaue auf.

Auch mich wundert es, dass Ida, Stines Tochter, nicht hier ist. Ich frage mich oft, was in anderen Menschen vorgeht, dass sie ganz plötzlich alle Brücken hinter sich abbrechen und nie mehr einen Blick zurückwerfen. Das hat Solveig nicht anders gemacht. Bis jetzt. Solveig Jakobsen, Idas Tochter und Stines Enkelin, habe ich schon vor Beginn der Zeremonie inmitten der Trauergemeinde entdeckt. Es freut mich, dass wenigstens sie es geschafft hat herzukommen. Nun stöckelt sie Arm in Arm mit ihrem Begleiter wenige Meter vor uns in Richtung Pub. Mit ihrem großen schwarzen Hut könnte sie kaum auffälliger aus der Masse hervorstechen. Dazu trägt sie einen ebenfalls schwarzen Kurzmantel, unter dem ein knielanges Kleid hervorlugt. Es ist nicht zu übersehen, wie sehr sie friert. Anscheinend sind dreizehn Jahre genug, um sie die Temperaturen hier im Norden vergessen zu lassen. Und so manch anderes.

Als ich ihr vorhin am Grab mein Beileid zum Tod ihrer Großmutter ausdrückte, schien es, als würde sie selbst mich nicht mehr erkennen. Ihr Blick war ausdruckslos und starr, ging fast durch mich hindurch. Aber wahrscheinlich war es nur die Trauer, die sie so sehr gefangen nahm, oder der Schock über den plötzlichen Verlust saß noch zu tief.

»Jetzt kann Stine auch nichts mehr mit Idas Anwesenheit anfangen«, bemerkt mein Vater bitter. »Zu spät ist zu spät.«

»Ja, du hast schon recht, Magnus«, erwidert Marit. »Aber trotzdem. Zur Beerdigung der eigenen Mutter nicht zu erscheinen nenne ich schon ein starkes Stück!«

»Vielleicht hat sie Angst, sie würde damit alte Wunden aufreißen«, bedenke ich, doch mein Vater gibt nur ein missbilligendes Schnauben von sich.

»Was manchmal nicht das Schlechteste wäre, um sie endlich sauber heilen zu lassen«, entgegnet Marit und wirft meinem Vater einen Seitenblick zu.

»Weißt du, ob Ida und Stine noch Kontakt hatten?«, frage ich sie, doch sie hebt nur die Schultern.

»Müsstest du das nicht besser wissen? Du warst doch viel öfter bei Stine als ich.«

»Schon, aber wir haben nie darüber geredet. Und irgendwie hatte ich nicht den Eindruck, als würden sie regelmäßig miteinander sprechen«, grüble ich. Hätte Stine mir nicht vielleicht erzählt, wenn es hin und wieder Neuigkeiten von ihrer Familie gegeben hätte? Ich erinnere mich, dass ich sie als Kind öfter gefragt hatte, wie es Solveig ging. Aber ich bekam nie eine zufriedenstellende Antwort, und so ließ ich die Fragerei irgendwann bleiben.

Marit sieht mich an und drückt tröstend meine Schulter. Sie kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ich in Momenten wie diesen an meine Mutter denke. Daran, wie schmerzhaft es war, meine Jugend ohne sie verbringen zu müssen, nachdem sie uns verlassen hat, als ich zwölf war. Und auch, wenn man älter wird, ist es einfach traurig, wenn es zwischen Familienangehörigen gar keinen Kontakt gibt.

Ich nehme mir vor, Solveig im Pub anständig zu begrüßen. Früher waren wir Freundinnen, vielleicht können wir wieder daran anknüpfen. Aus unserer Schulzeit sind nicht mehr viele geblieben. Die meisten sind wie sie weggezogen und kommen nur mehr hin und wieder zu besonderen Anlässen zurück auf die Inseln.

Björn hat das Pub heute nur für die Trauergemeinde geöffnet. Daher hängt – für alle gut sichtbar – ein großes Schild vor der Tür, auf dem auf Norwegisch und Englisch steht: Geschlossene Gesellschaft. Das macht er immer so. Er findet, bei solchen Anlässen haben Touristen nichts verloren, und scheut sich auch nicht, diejenigen, die sich dem widersetzen, aus dem Pub zu werfen.

Lotta winkt mir kurz mit einem Lächeln von der Bar aus zu, als wir eintreten, und verschwindet dann wieder in der Küche.

Wir trinken Kaffee und essen Zimtschnecken und Marzipantorte, von Lotta selbst gebacken. Ich bin sicher, diese gemütliche Runde hätte Stine gefallen. Solveig und ihr Begleiter sitzen am anderen Ende des Schankraumes, und ich hatte noch keine Gelegenheit, auf sie zuzugehen. Vielleicht fehlt mir aber auch schlicht der Mut. Als sie sich jedoch beide erheben und der Mann Solveig den Mantel über die Schultern legt, entschuldige ich mich bei meinem Vater, Marit und meinem Onkel Sten und gehe zaghaft zu ihr. Ihr Freund oder Mann, was auch immer er ist, scheint auf die Toilette verschwunden zu sein.

»Hallo, Solveig«, sage ich freundlich lächelnd.

Solveig mustert mich von oben bis unten, und ihr Blick ist so durchdringend und kühl, dass mein Lächeln erstirbt.

»Es ist schön, dich zu sehen«, füge ich trotzdem hinzu.

»Das kann ich leider nicht zurückgeben«, antwortet sie, und ihre Worte kommen einer eiskalten Dusche gleich. Mein Blick huscht suchend in Richtung der Toiletten, doch ihr Begleiter taucht nicht auf und auch sonst niemand, der mich aus dieser seltsamen Situation retten könnte.

»Ich denke, Stine hätte es viel bedeutet, dass du gekommen bist.«

»Das ist auch der einzige Zweck meines Aufenthaltes«, entgegnet Solveig und sieht nach draußen in den tristen Nieselregen. Sie fühlt sich offenbar nicht weniger unwohl als ich.

»Vielleicht sollten wir uns mal unterhalten«, wage ich einen erneuten Versuch. Mir ist klar, dass es damals sehr schwierig war, als Solveig mit ihrer Familie weggezogen ist. Aber das ist eine halbe Ewigkeit her.

»Es gibt nichts, was wir beide zu bereden hätten, Finja!« Jetzt sieht sie mich direkt an mit einem harten, verschlossenen Ausdruck. »Kristian, komm lass uns gehen«, wendet sie sich an den Mann, der in dem Moment wieder zurückkommt, während ich noch immer nicht weiß, was ich erwidern soll. Er sieht erst mich, dann Solveig fragend an, und dann verlassen die beiden Hand in Hand das Pub.

Kristian

»Was ist passiert?«, frage ich, als wir das Lokal hinter uns lassen.

»Nichts.« Solveigs Stimme klingt gereizt und ganz sicher nicht nach nichts.

»Wer war das?«

»Finja Eriksen.«

Langsam nervt es mich, dass ich Solveig jedes Wort aus der Nase ziehen muss. »Aha«, antworte ich. »Und wer ist Finja Erik­sen?«

Abrupt bleibt sie stehen und entzieht mir ihre Hand.

»Ich kenne sie von früher. Zufrieden?«

»Offensichtlich gab es ja gerade ein Problem zwischen euch. Hat das auch etwas mit früher zu tun?«

»Nein, es gab kein Problem.«

»Warum bist du dann so aufgebracht?«

»Ich bin überhaupt nicht aufgebracht!«, schreit sie jetzt beinahe, und ich hebe irritiert meine Augenbrauen. Dieser Blick scheint sie aber noch mehr auf die Palme zu bringen. »Schau mich verdammt noch mal nicht so an!«

Ich stehe nur da, ohne etwas zu sagen, doch auch das scheint nicht richtig zu sein. Wütend stampft sie mit einem frustrierten Laut auf dem Boden auf und rauscht davon. Jetzt bekomme ich auch eine Ahnung davon, warum manche Leute sie als Diva bezeichnen. Kopfschüttelnd sehe ich ihr hinterher.

Wir hatten noch nie richtig Streit. Was auch kaum verwunderlich ist. Wenn man sich so selten sieht wie wir, ist es leicht, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Es bleibt einfach zu wenig Zeit, um über Weltbewegendes zu sprechen, weshalb man dann auch nicht unterschiedlicher Meinung sein kann. In unserer Beziehung ging es bisher nur um Kleinigkeiten und nicht um wirklich wichtige Dinge. Mir ist klar, dass es Solveig nervt, wenn ich Fragen stelle, die zu tief gehen. Aber wie sollen wir uns je richtig kennenlernen, wenn wir es nicht schaffen, über Gefühle zu reden?

Während ich noch überlege, ob ich ein bisschen spazieren gehen soll, um Solveig Gelegenheit zu geben, sich zu beruhigen, flaut langsam auch der leichte Regen ab. Entschlossen schlage ich den Kragen meiner Jacke hoch und wandere auf den zerklüfteten Felsen zum Ufer des Fjords hinunter. Über dem Horizont bricht die Sonne durch die Wolken und wirft einen glitzernd hellen Schimmer aufs Wasser. Lange stehe ich auf einer der weißen Sandbänke und bin fasziniert von der Schönheit dieses Ortes. Ich wünschte, Solveig wäre hier, um mit mir diesen Augenblick zu teilen.

Zurück in unserem Ferienhaus, öffne ich leise die Tür, falls Solveig schlafen sollte. Aber sie ist wach und sitzt an ihrem iPad.

»Hei«, begrüße ich sie sanft, ziehe meine Jacke aus und setze mich zu ihr aufs Bett.

»Hallo«, erwidert sie, ohne aufzusehen.

»Solveig«, beginne ich zaghaft, »wenn ich dir vorhin zu nahegetreten bin, dann tut es mir leid.«

Sie lässt diese Worte kurz auf sich wirken, und endlich schaut sie mich an. »Mir tut es leid, dass ich so ausgeflippt bin.«

Wenn ich mit einer ausführlicheren Erklärung gerechnet habe, so werde ich enttäuscht.

»Weißt du, wenn du reden willst –«

»Will ich nicht«, unterbricht sie mich, macht das iPad aus und legt es auf das Nachtschränkchen. »Ich will etwas ganz anderes!« Sie zieht mich am Kragen näher zu sich und fängt an, mich zu küssen. Das ist natürlich auch eine Art, mich auf andere Gedanken zu bringen.

Als ich am nächsten Morgen erwache, ist mir vor Hunger schon ganz flau im Magen, weil wir seit dem Leichenschmaus gestern am späten Nachmittag nichts mehr zu essen hatten. Ich beobachte Solveig, deren entblößter Körper zwischen den zerwühlten Laken liegt. So gefällt sie mir am besten: ohne Make-up und Show. Denn anders als andere Modepüppchen ist Solveig wirklich natürlich schön. Für mich bräuchte sie nie gestylt zu sein. Als würde sie meinen Blick spüren, beginnt sie, sich zu rekeln, und blinzelt mich an.

»Guten Morgen«, sage ich lächelnd und küsse sie auf die nackte Schulter. Das ist der guten Laune aber schon zu viel, denn Solveig verzieht das Gesicht und vergräbt sich unter ihrem Kopfkissen.

»Wir haben gestern was vergessen«, erkläre ich und hebe das Kissen ganz leicht an, um zu ihr durchzudringen.

»Was denn?«, murmelt sie.

»Einkaufen.«

»Was machst du dann noch hier?«, entgegnet sie, aber so leicht lasse ich mich nicht aus dem warmen Bett verjagen.

»Das könnte dir so passen!« Ich beginne, sie zu kitzeln, und sie windet sich unter meinen Händen.

»Lass das, ich hasse das!«, kreischt sie, doch ich denke nicht dran, meine Attacke zu beenden. »Du Idiot, ich warne dich, wenn du nicht sofort aufhörst, dann werde ich richtig wütend.«

Abrupt lass ich von ihr ab. An Solveigs ärgerlichem Tonfall erkenne ich, dass sie das wirklich ernst meint und ich vielleicht sogar schon übers Ziel hinausgeschossen bin.

»Okay, okay«, lenke ich ein. »Aber dann komm mit.«

»Wohin?«, fragt sie, nun wieder etwas milder.

»Frühstück kaufen. Schließlich bist du die Ortskundige hier. Und so ein kleiner Morgenspaziergang …«

»Wieso bestellst du nicht einfach, was wir brauchen?«, schlägt sie vor und zieht die Decke fast bis zu den Ohren hoch. »Ich will noch überhaupt nicht aufstehen.«

»Kennst du einen Laden, der Lieferservice anbietet?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Anbieten vielleicht nicht. Aber wir würden es ja entsprechend honorieren.« Das klingt einen Hauch überheblich, und das nervt mich. Offenbar gehört Solveig auch zu den Leuten, die denken, dass man mit Geld alles regeln kann. Eine Seite, die sie mir so bisher noch nicht gezeigt hat. »Außerdem sind die in dem Dorfladen bestimmt froh, wenn sich in dem verschlafenen Nest mal etwas rührt und sie nicht hinter ihrer Wursttheke versauern.«

»Schon gut«, kapituliere ich und stehe auf, »sag mir, was wir für die nächsten Tage brauchen, und ich gehe runter und besorge es.«

»Ach … sei doch kein Spielverderber«, flötet sie. »Am Kühlschrank hängt ein Zettel, da stehen alle wichtigen Nummern drauf. Auch die vom Laden. Wir können ja zumindest mal nachfragen, ob sie es liefern würden. Und du kannst wieder zurück zu mir ins Bett. Hier ist es so kuschelig warm.« Mit ihrem Schmollmund sieht sie irgendwie süß aus, und außerdem ist es wirklich zu verlockend, sich noch einmal an ihrer Seite unter der Decke einzurollen. »Und mit dir zusammen könnte es sogar noch heißer werden«, haucht sie verführerisch, und ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass das nicht noch reizvoller ist.

Ich tapse barfuß in die Küche und tippe die Nummer des einzigen Geschäftes in Skjærvik in mein Handy ein, dann gehe ich zurück ins Schlafzimmer. Bevor ich aber wähle, stellen Solveig und ich gemeinsam eine kurze Einkaufsliste mit den wichtigsten Dingen zusammen, wobei unsere Prioritäten dabei in ziemlich verschiedene Richtungen driften. Avocados, Voss-Wasser und die teure Feuchtigkeitscreme, die Solveig zu Hause vergessen hat, sind meiner Meinung nach absolut verzichtbar, während ich Brot, Kaffee, Wurst und Käse schon wichtiger finde. Schließlich einigen wir uns doch, und ich lausche dem Freizeichen im Telefon.

»Guten Morgen, hier spricht Kristian Haugen«, beginne ich, als sich ein Mann meldet. »Ich möchte gerne eine Bestellung aufgeben.«

»Eine Bestellung?«, fragt er. »Was soll das heißen?«

»Es wäre schön, wenn ihr ein paar Sachen liefern könntet«, erkläre ich.

»Liefern? Wir sind doch kein Versandhaus! Wer, sagtest du, bist du?« Mein Gesprächspartner klingt ein bisschen ungeduldig.

Solveig, die alles mitanhört, verbeißt sich ein Lachen. Nachdem der gestrige Tag doch etwas schwierig war, ist es schön, sie fröhlich zu sehen.

»Mein Name ist Kristian Haugen, ich bin der Freund …« Solveig fuchtelt wild mit der Hand an ihrem Hals herum und schüttelt heftig den Kopf. Anscheinend will sie nicht, dass ich ihren Namen nenne. Warum auch immer. » … äh … ich bin ein Gast und wohne in einem der Ferienhäuser von Familie Svensen.«

»Mir ist egal, wo du wohnst. Wir haben keinen Lieferdienst. Wenn du etwas kaufen willst, komm her, und kauf, was da ist.«

Ehe ich noch etwas sagen kann, hat der Kerl aufgelegt. So behandeln die also ihre Kunden. Gut zu wissen.

Solveig krümmt sich vor Lachen.

»Wahnsinnig freundlich die Leute hier«, sage ich etwas perplex, stimme dann aber mit ein.

Langsam wird mein Hunger unerträglich, und ich stehe diesmal endgültig auf und ziehe mich an.

»Kommst du jetzt mit?«, frage ich wenig später mit der Zahnbürste im Mund.

»Du schaffst das schon allein. Immerhin bist du schon groß«, erwidert sie, und ich bin ein bisschen enttäuscht. Ich hätte sie gerne mitgenommen. »Ich erkläre dir den Weg auch ganz genau«, spottet sie.

»Und du hast wirklich keine Lust auf einen gemütlichen Spaziergang?«, frage ich noch einmal, bevor ich das kleine, rot gestrichene Holzhäuschen verlasse. Aber Solveig ist schon wieder ganz in ihr iPad vertieft, um ihre Mails zu checken.

Kapitel 4

Finja

Seit Stunden stehe ich schon hier im Laden und bediene Kunden, nehme Lieferungen entgegen und räume Regale ein. Ole, der vor Kurzem eine Lehre bei uns begonnen hat, unterstützt mich, wobei ich auf ihn aber auch immer ein Auge haben muss. Sten, mein Onkel, der gleichzeitig mein Chef ist, hängt am Telefon, weil das Kühlaggregat im Kühlhaus eine Macke hat und er versucht, noch vor dem Wochenende einen Techniker zu bekommen. Immer wieder steckt er in der Warteschleife fest, legt voller Ungeduld wieder auf, und das Spiel beginnt von Neuem. Zwischendurch musste er sich mit irgendeinem Kunden herumärgern, der sich erhofft hat, wir würden einen Lieferservice anbieten. Dafür fehlen uns aber einfach die Kapazitäten. Zu allem Überfluss ist auch noch unsere Kollegin Ester krank.

Zum Glück sieht Tante Marit hin und wieder nach meinem Vater, wenn ich arbeite. Es ist nicht so, dass wir uns rund um die Uhr um ihn kümmern müssen, aber seit seinem zweiten Herzinfarkt gehen wir lieber auf Nummer sicher und schauen in regelmäßigen Abständen, wie es ihm geht. Es nervt ihn gewaltig, und er klagt dauernd, dass wir ihn nicht wie ein kleines Kind behandeln sollen. Aber er war schon immer ein Miesepeter, und wenn es nicht dieses Problem wäre, so würde er ein anderes finden, weshalb ich seine Vorwürfe an mir abprallen lasse. Und Tante Marit sowieso. Als seine Schwester weiß sie so gut wie keine andere, wie sie mit ihm umgehen muss.

»Hallo«, grüßt mich jemand von der anderen Seite der Feinkost-Theke, und ich schaue auf. Es ist der junge Mann, der Solveig gestern auf die Beerdigung begleitet hat.

»Guten Tag, was kann ich für dich tun?«, sage ich mit fester Stimme und hoffe inständig, dass Solveig nicht gleich hinter einem der Regale auftaucht.

»Du bist Finja, oder?«, will er wissen, und ich nicke. »Ich bin Kristian Haugen. Solveig hat uns gestern nicht vorgestellt.«

»Freut mich«, sage ich aufrichtig, und weil er mich so geradlinig ansieht, landet mein Blick direkt in seinen Augen. Sie sind blaugrau und nehmen mich einen Moment so gefangen, dass ich mich geradezu losreißen muss.

»Ganz meinerseits«, erwidert er und lächelt mich mit einer Offenheit an, die mich vermuten lässt, dass Solveig ihm nicht erzählt hat, was zwischen uns vorgefallen ist. »Wir wohnen im Ferienhaus der Familie Svensen, und gestern haben wir es nicht mehr geschafft einzukaufen.«

»Da schau an«, unterbricht uns Sten, »wenn das mal nicht der Typ ist, der zu faul zum Einkaufen ist!«

»Sten«, grätsche ich dazwischen, bevor es noch peinlich für alle Beteiligten wird. »Bitte!«

»Du warst doch gestern mit Solveig Jakobsen auf Stines Beerdigung«, stellt Sten jetzt fest, nachdem er Kristian einer genauen Musterung unterzogen hat.

»Ja, das stimmt«, pflichtet dieser ihm nach kurzem Zögern bei, was Sten mit einem undefinierbaren Schnauben quittiert. »Und es tut mir leid«, fügt Kristian entschuldigend hinzu, »wir dachten wirklich, dass ihr auch einen Lieferservice anbietet.«

»So fortschrittlich sind wir nicht«, kommentiert Sten, »hat deine Freundin wohl alles vergessen.«

»Das konnte Solveig wirklich nicht wissen«, antwortet Kristian, während Sten vom Klingeln des Telefons an seine Pflichten erinnert wird.

»Sie hat ja nur ihr halbes Leben hier verbracht«, murmele ich und wende mich einer älteren Kundin zu, die etwas zu suchen scheint.

Kristian steht etwas unschlüssig da und wartet, bis ich die Dame bedient habe, wählt einige verpackte Lebensmittel aus und legt sie in seinen Einkaufskorb.

»Natürlich, Greta«, höre ich Sten lautstark am Telefon sagen, »ich bringe dir die Sachen wie üblich um die Mittagszeit vorbei. Keine Sorge, kannst dich auf mich verlassen.«

»Ich dachte, ihr liefert nicht«, sagt Kristian perplex, der das Gespräch mitgehört hat.

»Tun wir auch nicht«, antworte ich.

»Aber ich habe doch gerade gehört, wie er gesagt hat …«

»Greta ist ziemlich alt«, erkläre ich.

»Was hat das damit zu tun?«

»Sie kann nicht mehr selbst einkaufen. Also bringen wir ihr die Sachen vorbei.«

»Dann habt ihr doch einen Lieferservice.«

»Wenn man es genau betrachtet«, überlege ich, »ja. Für ausgewählte Kunden.«

»Ausgewählte Kunden? Was ist das für ein Schwachsinn?« Ich widerstehe nur schwer dem Impuls, verständnislos den Kopf zu schütteln und mit den Augen zu rollen. Ich hätte ahnen müssen, dass jemand wie Solveig einen Freund anschleppt, der ähnlich tickt wie sie. Einen, der sich sofort benachteiligt fühlt, wenn man jemand anderem einen Gefallen tut. Ich verschränke die Arme vor der Brust und gehe auf Abwehr.

»Schon mal was von Gleichberechtigung gehört?«, braust er auf.

»Natürlich. Und haben alte und kranke Menschen nicht auch ein Recht auf Grundversorgung? Hast du dich schon mal gefragt, wie Stine die letzten Monate klargekommen ist?«, kontere ich, und er sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Von mir aus nenne es Nachbarschaftshilfe! Und wenn es dir schon zuwider ist, wie wir mit unseren Kunden umgehen, kannst du dir ja mit deinen zwei gesunden Beinen gerne einen anderen Laden suchen. Der nächste ist ungefähr zehn Kilometer nördlich von hier«, schließe ich meinen Vortrag und lasse ihn stehen, um dem alten Gustav seine Einkaufstaschen abzunehmen und zu seinem Auto zu tragen. Dass ich Kristian wenig später mit einem prall gefüllten Korb bei Sten an der Kasse stehen sehe, erfüllt mich mit leiser Genugtuung.

Kristian

Obwohl sie mir ordentlich die Meinung gegeigt hat, beeindruckt mich Finjas Einstellung, und mir wird klar, wie dämlich ich mich gerade verhalten habe. Das ist eigentlich gar nicht meine Art. Und was sollte diese Aussage, dass Solveig schon ihr halbes Leben hier verbracht hätte? So wie ich es bisher verstanden habe, war sie lediglich früher in den Sommerferien hier. Warum sollte Solveig mir das verschwiegen haben? Aber andererseits: Warum sollte Finja das behaupten, wenn es nicht stimmt? Könnte es mit der Abfuhr zusammenhängen, die Solveig ihr gestern erteilt hat? Ist in ihrer Kindheit irgendwas vorgefallen? Vielleicht hätte ich Finja fragen sollen. Womöglich wäre sie gesprächiger als Solveig. Aber mit der Mentalität dieser Inselbewohner muss ich offenbar erst zurechtkommen.

Auf dem Weg zum Ferienhäuschen genehmige ich mir eine Zimtschnecke, die ich im Laden gekauft habe, für den größten Hunger. Ich wollte Solveig vorschlagen, heute die Umgebung zu erkunden, doch erst muss ich ihr ein bisschen auf den Zahn fühlen. Es ist eigenartig, so wenig über sie zu wissen. Für mich ist das mit ihr mehr als eine lockere Affäre, auch wenn ich noch nicht über die Zukunft nachgedacht habe. Trotzdem will ich wissen, mit wem ich meine Zeit verbringe, und vor allem, mit wem ich das Bett teile. Immerhin hat sie mich gebeten, zur Beerdigung ihrer Großmutter zu kommen. Das ist schon ein weiterer Schritt.

»Wieso hast du mir nicht erzählt, dass du mal hier gelebt hast?«, frage ich ohne Umschweife, als wir kurz darauf die mitgebrachten Einkäufe ausräumen.

»Woher weißt du das?«, will sie wissen und weicht meinem Blick aus.

»Spielt das eine Rolle?« Ich halte inne.

»Spielt es eine Rolle, dass ich hier gelebt habe?«, fordert sie mich heraus.

»Nein. Du hättest es nur mal erwähnen können.«

»Hast du die im Laden über mich ausgefragt?«

»Nein. Das musste ich gar nicht. Es hat sich einfach im Gespräch ergeben.«

»Wer ist denn da unten so redselig?« Sie ist genervt. Da sind wir schon zwei. Abwartend stieren wir uns gegenseitig an.

»Na los, sag schon. Wer hat dir das erzählt?«

»Finja«, antworte ich schließlich.

»Finja«, wiederholt sie und wirft verärgert die Arme in die Höhe. »Das war ja klar!«