Wölfe im Sweetwater-Country - R. S. Stone - E-Book

Wölfe im Sweetwater-Country E-Book

R. S. Stone

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Die großen Western Classic Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Dieser Traditionstitel ist bis heute die "Heimat" erfolgreicher Westernautoren wie G.F. Barner, H.C. Nagel, U.H. Wilken, R.S. Stone und viele mehr. Krachend sauste die Spitzhacke ins Gestein. Steinsplitter flogen auseinander. Mit entblößtem Oberkörper stand er da. Breitbeinig, die Spitzhacke erneut zum Schwung angesetzt, um sie mit voller Wucht ins Gestein zu schmettern. Ein hochgewachsener Mann mit schmalem Gesicht und kurzen blonden Haaren. Er war triefendnass vor Schweiß. Die sengende Hitze im Strafgefangenenlager brachte ihn fast um den Verstand. Sein Atem ging keuchend. Die Bewegungen waren nur noch mechanisch. Schon längst war er am Ende seiner Kräfte. Seine Augen, sonst von wasserblauer Farbe, waren von Hitze und Staub gerötet. Für einen kurzen Augenblick hielt er inne und sah sich um. Den Mithäftlingen erging es nicht anders. Auch sie waren völlig entkräftet. Auch sie reagierten nur noch mechanisch. Immer wieder sausten ihre Spitzhacken ins Felsgestein und fetzten es auseinander. Stück für Stück drangen sie vorwärts. Mühselig und voller Qual. Die sengende Sonne und der Staub als ständige Begleiter. Und jeden Tag füllte sich ein neues Grab.

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Die großen Western Classic – 84 –

Wölfe im Sweetwater-Country

R. S. Stone

Krachend sauste die Spitzhacke ins Gestein. Steinsplitter flogen auseinander. Mit entblößtem Oberkörper stand er da. Breitbeinig, die Spitzhacke erneut zum Schwung angesetzt, um sie mit voller Wucht ins Gestein zu schmettern. Ein hochgewachsener Mann mit schmalem Gesicht und kurzen blonden Haaren.

Er war triefendnass vor Schweiß. Die sengende Hitze im Strafgefangenenlager brachte ihn fast um den Verstand. Sein Atem ging keuchend. Die Bewegungen waren nur noch mechanisch. Schon längst war er am Ende seiner Kräfte. Seine Augen, sonst von wasserblauer Farbe, waren von Hitze und Staub gerötet.

Für einen kurzen Augenblick hielt er inne und sah sich um. Den Mithäftlingen erging es nicht anders. Auch sie waren völlig entkräftet. Auch sie reagierten nur noch mechanisch. Immer wieder sausten ihre Spitzhacken ins Felsgestein und fetzten es auseinander. Stück für Stück drangen sie vorwärts. Mühselig und voller Qual. Die sengende Sonne und der Staub als ständige Begleiter. Und jeden Tag füllte sich ein neues Grab. Erst gestern hatten sie Emmett Calhoun beerdigt. Der kleine Bursche mit dem ewig verkniffenen Gesicht fiel einfach um, die verdammte Spitzhacke in beiden Händen, mit einem leisen Fluch auf den Lippen.

Aber ihn würde dieses Gefangenenlager in Yuma, Arizona 1, nicht kleinkriegen. Nein, nicht Thyronne Noakes. Das hatte er sich geschworen. Noakes war hart und zäh. Und nur der Gedanke, irgendwann wieder durch die Tore nach draußen zu marschieren, hielt ihn aufrecht.

Ja, Thyronne Noakes war nicht der Mann, der in Yuma zugrunde gehen würde.

»Nummer 1975!«

Noakes rammte noch einmal die Spitzhacke in den verdammten steinigen Boden. Dann erst drehte er sich herum.

Thyronne Noakes sah den stiernackigen Sergeant Bully O’Hanion breitbeinig auf seinem Posten stehen, die Hände in die Hüften gestemmt. Sein brutales, aufgeschwemmtes Gesicht glänzte in der Sonne und blickte verächtlich zu ihm herunter. Noakes wischte den Schweiß von der Stirn und ließ die Spitzhacke im Geröll stecken.

»Was gibt es, Sergeant?«

O’Hanion kratzte sich hinterm Ohr, spuckte zur Seite aus und brüllte: »Zieh deine verdammte Sträflingsjacke an, Nr. 1975 und beweg deinen Hintern rauf! Der Direktor will dich sprechen. Sofort!«

Mühselig kletterte Noakes zu ihm hoch. Er stolperte und wäre beinahe ausgerutscht. Aber er hielt sich auf den Beinen und schaffte den Anstieg zum Aufseher. O’Hanion stierte ihn die ganze Zeit grinsend an.

Als Noakes den Aufseher erreichte, konnte er nur mühsam seine Atemnot unterdrücken.

»Wir beide sind noch nicht fertig, du gottverdammtes Stück Dreck! Los, beweg dich vorwärts!«, bellte O’Hannion.

Noakes presste die Zähne zusammen und setzte sich in Bewegung. Die schwere Kugel an seinem Bein schleifte scharrend über den Boden.

O’Hanion spuckte aus und ging hinter ihm her. Dabei hörte Noakes die Geräusche, die der Schlagstock machte, als der Aufseher ihn immer wieder in seine Handfläche schlug.

Noakes unterdrückte mühsam seinen Zorn. Irgendwann würde er mit ihm abrechnen.

Im Büro des Direktors salutierte O’Hanion zackig.

»Der Gefangene 1975, Thyronne ­Noakes, Sir!«

Stagmire saß hinter einem riesigen, eichenbeschlagenen Schreibtisch. Wie ein kleiner König thronte er in seinem großen Ledersessel. Ein kleines, schmächtiges Männchen mit kahlem Haupt, einem wuchtigen Dragonerbart und zwei starren Fischaugen, die fast schwarz waren. Und diese blickten zuerst auf den Sergeanten, dann auf den Strafgefangenen Thyronne Noakes. Letzteren betrachtete Stagmire ziemlich intensiv.

Noakes befand sich etwa einen Meter hinter O’Hanion und hörte ihn sagen: »Der berühmte und berüchtigte Revolvermann Thyronne Noakes. Verurteilt wegen Mordes an den beiden Dunn-Brüdern im August 1889. Waren keine netten Menschen, diese Dunn-Brüder. Und kein wirklicher Verlust für die Gesellschaft. Weder der eine, noch der andere. Dennoch: Mord bleibt Mord. Dabei siehst du eigentlich gar nicht zum Fürchten aus, so, wie du jetzt hier vor mir stehst. Eher wie ein Haufen Elend.«

Während er sprach, inspizierte er Noakes von oben bis unten mit verächtlicher Mine.

Der grinste schief. »Das liegt an der hiesigen Hausmannskost, Mister Stagmire. Ist nicht jedermanns Sache.«

O’Hanion machte einen Satz auf ihn zu. »Dir werde ich dein verdammtes, freches Schandmaul stopfen, du …«

Der Sergeant hatte den Schlagstock in seiner schwieligen Faust bereits erhoben, als ihn die scharfe Stimme des Direktors zurückpfiff.

»Lassen Sie das, Sergeant. Damit erreichen wir auch nichts mehr bei diesem Burschen.«

O’Hanion stierte Stagmire verständnislos an.

Stagmires schmale Finger nahmen ein Schriftstück vom Schreibtisch auf. Er wog es in den Händen. »Du hast mächtige Freunde in Wyoming, und diese haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dich hier rauszuholen. Sogar an den Gouverneur haben sie geschrieben, um deine Freilassung durchzusetzen. Nun, wie dem auch sei. In Wyoming liebt man wahrscheinlich Revolverhelden wie dich. Du hast ausgesprochenes Glück, Nummer 1975.«

Noakes zog die Augenbrauen zusammen.

Stagmire wedelte mit dem Schriftstück in seinen Händen. »Hier sind also deine Entlassungspapiere. Du kommst auf Bewährung raus, Revolverheld. Wenn es nach mir gehen würde, dürftest du deine verbleibende Zeit hier in der Hölle schmoren. Aber ich habe es nicht zu entscheiden. Glück für dich, Killer.«

Die Worte verschlugen Noakes glatt die Sprache.

Zuerst wollte er es nicht glauben. Aber als Stagmire ihm widerwillig das Schriftstück reichte und er es mit eigenen Augen las, gab es keinen Zweifel. Thyronne Noakes war die längste Zeit in Yuma gewesen.

Mit diesem Schreiben war er ein freier Mann. In den Gesichtern von Stagmire und O’Hanion sah er den Unwillen gegen diese Entscheidung des Gouverneurs.

Er grinste breit.

Am liebsten hätte er Stagmire umarmt, obwohl er den Mann ebenso hasste wie O’Hanion. Während er die Entlassungspapiere säuberlich faltete und in die Tasche seiner verschlissenen Hose verstaute, sagte er: »Ja, Mister Stagmire. Es ist wirklich ein Glückstag für mich heute. Pech für dich, Bully, denn von jetzt an musst du dir einen neuen Spielkameraden suchen. Aber ich bin zuversichtlich. Hier im Bau gibt es bestimmt genügend davon. Auswahl ist ja reichlich vorhanden.«

Noakes sah tausend Teufel in O’Hanions Augen tanzen. Ja, dieser sadistische Hundesohn vom Range eines Sergeanten war fast verrückt vor Wut. Sein aufgedunsenes Schweinegesicht lief puterrot an.

Aber er hielt sich zurück.

»Ich würde mich an deiner Stelle nicht zu sehr und nicht zu früh freuen, Nummer 1975«, verkündete der Direktor, »denn es kommt der Tag, an dem du da draußen einen Fehler machen wirst. Typen wie du ändern sich nie. Ja, und deshalb weiß ich ganz genau, dass du da draußen nicht durchhalten wirst. Irgendwann wird es dir zu Kopf steigen. Du wirst übermütig werden und wieder zu deinem verdammten Schießeisen greifen.« Er rieb sich die Hände in Vorgeschmack seiner folgenden Worte. »Durch deine einflussreichen Freunde und der Zustimmung des Gouverneurs bist du auf Bewährung raus. Aber deine Freude wird nicht von langer Dauer sein. Du kommst zurück. Und wir werden dich sehnsüchtig empfangen. Das ist sicher – so sicher wie das Amen in der Kirche.«

Immer mehr steigerte sich der schmächtige Stagmire in seine Worte hinein. Zu guter Letzt katapultierte er sich aus dem schweren Ledersessel und beugte sich drohend über seinem Schreibtisch. Aber das machte auf Thyronne Noakes keinen Eindruck mehr.

Es verging nicht ein Tag, an dem er gehofft und gebetet hatte, diesem Höllenloch zu entrinnen.

Er sah von Stagmire zu O’Hanion und wusste genau, was sich in ihren Köpfen abspielte.

Als die schwere Eisentür einige Stunden später hinter ihm ins Schloss fiel, war das grausame Staatsgefängnis von Yuma endgültig Geschichte für ihn.

Noakes fühlte sich unsagbar wohl in seiner Kleidung, die er wieder trug. Ein blaues Hemd, die braune Weste und seine blaue Levis. Sein brauner Texashut fühlte sich angenehm auf dem Kopf an, verdeckte sein kurzes blondes Haar. Und auch die Stiefel passten wie angegossen.

Teufel, wie hatte er das vermisst.

Aber etwas fehlte. Und daran musste er sich erst noch gewöhnen. Es war ihm untersagt worden, eine Waffe zu tragen. Zwei Jahre nicht. Ein Verstoß dagegen würde ihn wieder in diese Hölle zurückbringen.

Der Gedanke ließ ein Schauern durch seinen Körper fahren.

Alles, nur nicht wieder zurück ins Staatsgefängnis von Yuma! Das hatte er sich geschworen!

Vor ihm wartete die Kutsche, die ihn in die Stadt bringen sollte. Er drehte sich um und sah O’Hanion hinter der schweren Eisentür durch die Gitter glotzen. »Du wirst wiederkommen, Revolverheld. Ganz bestimmt wirst du das. Und dann werden wir mächtig viel Spaß miteinander haben.«

Thyronne Noakes lachte ihm verächtlich ins Gesicht.

»Zur Hölle mit dir, Sergeant Bully! Wenn ich dich jemals draußen in freier Wildbahn treffe, ziehe ich dir das Fell ab. Erinnere dich an meine Worte. Dort drinnen im Jail magst du ein kleiner König sein. Aber hier draußen nicht.«

O’Hanion rief ihm noch etwas zu, aber das hörte er nicht mehr. Insgeheim hoffte er allerdings, dieses Dreckschwein irgendwann wiederzutreffen.

Und das würde nicht im Gefängnis von Yuma sein.

Noakes grinste hart.

»Wenn du hier noch lange rumstehen willst, fahre ich ohne dich in die Stadt«, bellte der Kutscher unfreundlich vom Bock zu ihm herunter.

Noakes blickte zu dem Mann hinauf.

»Hör zu, Freund! Ich gehöre nicht mehr zu denen da drinnen.« Mit dem Daumen wies er in Richtung des Jails. »Also sei gefälligst ein bisschen freundlicher zu mir. Comprende?«

Als er ausstieg, streckte er sich ausgiebig und nahm das Gepäck auf. Er verharrte eine Weile neben der Kutsche. Dabei beobachtete er das Treiben rings um ihn herum. Er stellte seine Reisetasche auf die Gehsteigplanken. Gierig saugten seine grauen Augen das Geschehen auf. Noakes hatte noch nie Geschmack daran gefunden, sich inmitten zahlloser Menschen zu befinden.

Und genau das war jetzt der Fall. Doch im Augenblick genoss er es regelrecht. Denn er war ja jetzt ein freier Mann, der zwei Jahre auf alles verzichten musste, was das Leben lebenswert machte.

Trotz der Hitze, die sich wie ein Schleier über die Stadt gelegt hatte, pulsierte das Leben. Die Gehsteige waren überfüllt. Menschen drängten sich an ihm vorbei. In vielen Gesichtern sah er den gehetzten Ausdruck, als wären sie auf der Flucht. An den Straßenrändern parkten Fuhr- und Frachtwagen, die emsig be- und entladen wurden. Ein schmächtiger Dunkelhäutiger ließ einen Sack Mehl fallen, dessen Inhalt auf den Planken, statt im Wagen landete. Kurz darauf wurde er von einem dicklichen Burschen mit wilden Flüchen überschüttet.

Nach einer Weile hatte Thyronne Noakes genug gesehen.

Weil er glaubte, der Geruch des Gefängnisses würde noch an ihm haften, suchte er zunächst ein Badehaus auf und nahm ein ausgiebiges Bad. Großzügig gab er Rosenwasser dazu. Zwei Stunden später erkundigte er sich nach dem nächsten Zug in Richtung Sweetwater und gab anschließend ein Telegramm auf.

Der schnauzbärtige Alte im Telegrafenbüro rümpfte ständig die Nase, während er die Nachricht über die Drähte schickte. Als das Telegramm abgeschickt war, glotzte er über den Rand der Brille unverschämt zu Noakes auf. Noakes ärgerte sich über seine Musterung.

»Etwas nicht in Ordnung, Alter?«

»Mächtig viel Rosenwasser für einen, der gerade lebend aus dem Knast gekommen ist«, meinte der Alte und kicherte albern.

Noakes grinste. Aber seine Worte waren alles andere als freundlich, als er sagte: »Geht dich einen Dreck an, Alter.«

Das Kichern des Alten erstarb. Seine Mundwinkel klappten beleidigt herunter.

»Schon gut, Mister. Kein Grund, gleich unhöflich zu werden.«

Noakes erwiderte nichts. Ließ den Alten einfach stehen und trat hinaus.

Es ging auf den Abend zu und das Pulsieren auf den Gehsteigen und der Main-Street nahm langsam ab.

Der nächste Zug nach Sweetwater fuhr erst am nächsten Morgen. Das bedeutete für Noakes, eine Nacht in der Stadt zu verbringen.

In seiner Hosentasche befand sich ein Geldbeutel mit etwas Geld. Ein paar Dollar, mehr nicht. Aber das würde ausreichen für ein paar Bier, eine warme Mahlzeit und eine Nacht in einem weichen Bett.

Diese Dinge kamen ihm paradiesisch vor.

Das Wasser lief ihm bei dem Gedanken an ein großes Steak im Munde zusammen. Drüben auf der anderen Straßenseite befand sich der Pendleton Oak Saloon. Den steuerte er an, während er pfeifend die Main-Street überquerte.

Er ließ die Münzen im Geldbeutel klimpern. Das Geräusch klang wie Musik in seinen Ohren.

Was hatte ihn geweckt?

Ein Geräusch?

Eine Berührung?

Sein Blick fiel auf das Kopfkissen rechts neben ihm – es war leer. Er hörte das Rascheln von Stoff, da wusste er, dass jemand sich an seinen Sachen zu schaffen machte.

Er fuhr hoch und sah Sally, dieselbe Sally, die ihm gestern Abend schöne Augen gemacht und den Himmel auf Erden versprochen hatte – und die jetzt auf direktem Weg in die Hölle war.

Er sprang aus dem Bett, nackt wie er war, und stieß sie gegen die Wand. Sein Geldbeutel flog ihr aus der Hand.

»Hab’s nicht so gern, wenn man mich bestiehlt«, knurrte er. »Aber ich bleibe dir nichts schuldig.«

Noakes nahm die Geldbörse auf, kramte ein paar Dollarstücke heraus und warf sie vor ihr auf den Boden.

»Und jetzt raus hier, verdammte Hure!«

Schluchzend las sie die Münzen zusammen, raffte ihre Unterwäsche und flüchtete zur Tür hinaus. Als sie die Tür hinter sich zuschlug, fluchte er laut. Er starrte auf den Inhalt des Geldbeutels, der bedrohlich zusammengeschrumpft war und bereute es, ihr die Münzen vor die Füße geworfen zu haben.

Ein Tritt in ihren verdammten Hintern hätte es auch getan, dachte er grimmig.

Thyronne Noakes war ziemlich pleite.

Nun, bis zur Ankunft des Zuges nach Sweetwater war noch eine Stunde Zeit. Und für ein paar Tassen Kaffee würde das Geld noch reichen.

Verkatert wie er war, schlenderte er zur Waschschüssel. Daneben stand ein Bottich mit kaltem Wasser. Er machte sich nicht erst die Mühe, den Inhalt in die Waschschüssel zu kippen, sondern tauchte seinen Brummschädel in den Bottich. Die Prozedur wiederholte er so oft, bis das Hämmern im Schädel nachließ. Er beendete eine schnelle Morgentoilette, schlüpfte in seine Sachen, stülpte seinen Hut auf und verließ das schäbige Hotelzimmer.

Im Restaurant verzehrte er ein paar Spiegeleier und trank dazu vier Tassen Kaffee. Der war heiß und stark und schmeckte gut. Mit dem letzten Schluck hatte er das Gefühl, die hämmernden Teufel im Kopf endlich verscheucht zu haben. Als er das Restaurant verließ, besaß er noch einen einzigen Dollar.

Noakes trat hinaus auf den Gehsteig und erlebte eine Überraschung.

Drüben auf der anderen Seite zog sich die massige Gestalt Bully O’Hanions behäbig aus dem Sattel seines Pferdes. Mit gorillaartigen Bewegungen betrat er den Gehsteig und schob unsanft ein schmächtiges Männlein im grauen Anzug beiseite, das offensichtlich im Weg stand. Das Männlein schrie etwas, das Noakes als Empörung deutete. Kurz darauf hatte O’Hanion den Mann am Schlafittchen gepackt und stieß ihn auf die Straße.

Dabei brummte er etwas, was ­Noakes nicht verstand. Das Männlein, mit dem Hinterteil im Staub sitzend, hob drohend die Faust und schrie O’Hanion ein paar Unliebsamkeiten entgegen. O’Hanion stemmte seine mächtigen Pranken in die Hüften und lachte.

Die Szenerie fand kaum Beachtung.

Thyronne Noakes rieb sich die Hände. Bully O’Hanion außerhalb des Zuchthauses zu sehen, war eine wahre Freude. Der Gorilla schien seinen freien Tag zu haben. Noakes fand, dass er richtig albern aussah in einem Anzug, der ihm ein paar Nummern zu klein war. Zudem trug er eine Melone auf dem Kopf, die da nicht hinpassen wollte.

O’Hanion verschwand im Store. Das Männlein erhob sich, klopfte wütend den Staub vom Hosenboden und tauchte in der Menge unter.

Thyronne Noakes überlegte kurz und sah auf seine Taschenuhr.

Verdammt, dachte er, Zeit genug, um mich richtig von diesem Hombre zu verabschieden. Wird ja nicht ewig dauern …

Er nahm das Gepäck auf und ging über die Straße. Geschickt wich er dabei einem Fuhrwagen aus, dessen Sechsergespann rücksichtslos über die Main-Street getrieben wurde. Der Fahrer jagte im Vorbeifahren ein paar Unflätigkeiten in seine Richtung, die Noakes geflissentlich überhörte.

Er freute sich auf das Wiedersehen mit Bully O’Hanion. Vor dem Store lehnte er sich an einen Haltebalken und wartete geduldig, bis O’Hanion wieder herauskam. Und tatsächlich, da erschien seine bullige Gestalt in der Tür. Als er Noakes erkannte, zog sich ein Grinsen über sein hässliches Gesicht.

»Der Revolverheld!«, stieß er verächtlich hervor. »Dachte, du wärst schon längst über alle Berge, du Maulheld.«

Er hieb mit der rechten Faust in die linke Hand.

»Mit dem Denken war es bei dir nie sehr weit her, Bully«, antwortete ­Noakes, und im gleichen Augenblick stieß er sich vom Haltebalken ab.

Bully war in seinem Alter und nicht von der miesen Gefängniskost geschwächt. Seine Muskeln spannten sich unter dem Hemdstoff. Gewiss war er vierzig Pfund schwerer als Noakes. Und doch war da etwas, das es Noakes versuchen ließ. Er konnte diese gute Gelegenheit einfach nicht auslassen.

Der Hass brannte in ihm. Der Hass auf ihn und all den Schikanen, die er ihm und auch den anderen Mithäftlingen angetan hatte.

Thyronne Noakes wollte kein langes Palaver, sondern kam gleich zur Sache. Seine Rechte schoss vor und traf Bully O’Hanion mit voller Kraft gegen die Kinnspitze. Darauf war der nicht gefasst und taumelte mit den Armen rudernd nach hinten.

Noakes setzte sofort nach. Es folgte ein zweiter Schwinger, der in O’Hanions Bauch landete. Die Linke erwischte die Nierenpartie. Die Rechte traf den Solarplexus. Es folgte eine Gerade mitten ins Gesicht. Dann knallte Noakes ihm beide Fäuste an die Schläfen.

Das war zu viel für den bulligen Aufseher.

Thyronne Noakes hatte ihm in Sekunden eine ordentliche Abreibung verpasst. Damit kam er nicht klar.

Seine Augen wurden glasig. O’Hanion ging zu Boden. Die Planken bebten, als er aufschlug. Passanten sprangen entsetzt zur Seite.

Noakes trat einen Schritt zurück und wartete, bis er wieder auf die Beine kam. Dabei wusste er, dass dieser Hundesohn nicht so fair gewesen wäre. O’Hanion war ein brutaler Schläger. Ein Straßenschläger, der sich als Gefängniswärter hochgearbeitet hatte, um Gefangene zu schikanieren.

»Komm hoch, Bully«, stachelte ­Noakes ihn an. »Du bist doch nicht etwa schon k.o.? Nun komm schon, Bully, damit ich deine dreckige Visage noch ein bisschen bearbeiten kann.«

Den einzigen Laut, den Bully O’Hanion von sich gab, war ein schmerzvolles Stöhnen. Dann lag er still.

Noakes hatte seinen ganzen Hass der letzten zwei Jahre in die Schläge gesteckt. Das wurde ihm erst richtig bewusst, als er Bully bewusstlos am Boden liegen sah.