Words I Keep - Josi Wismar - E-Book
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Josi Wismar

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Beschreibung

Es gibt Worte, an die man sich für immer erinnern möchte

Die schüchterne Studentin und Buchbloggerin Emely lebt zusammen mit ihrer älteren Schwester Cassidy im wunderschönen Amber Falls in den Rocky Mountains. Cas, ihre Bookstagram-Community und ihre besten Freunde Lexie und Will sind für Em das Wichtigste im Leben. Als sie dem attraktiven, aber undurchschaubaren David begegnet, fühlt sie es sofort: die Aufregung des Neuen, das Knistern des ersten Verliebtseins. Jedes Mal, wenn sie sich begegnen, sprühen die Funken. Doch die Beziehung mit ihm verändert Em und treibt einen Keil zwischen sie und Cas. Kann er der Richtige sein, wenn er ihr Leben so durcheinanderbringt? Em muss sich entscheiden, oder sie verliert alles. Gibt es Happy Ends doch nur in Büchern und nicht im echten Leben?

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Das Buch

Die schüchterne Studentin und Buchbloggerin Emely lebt zusammen mit ihrer älteren Schwester Cassidy im wunderschönen Amber Falls in den Rocky Mountains. Cas, ihre Bookstagram-Community und ihre besten Freunde Lexie und Will sind für Em das Wichtigste im Leben. Als sie dem attraktiven, aber undurchschaubaren David begegnet, fühlt sie es sofort: die Aufregung des Neuen, das Knistern des ersten Verliebtseins. Jedes Mal, wenn sie sich begegnen, sprühen die Funken. Doch die Beziehung mit ihm verändert Em und treibt einen Keil zwischen sie und Cas. Kann er der Richtige sein, wenn er ihr Leben so durcheinanderbringt? Em muss sich entscheiden, oder sie verliert alles. Gibt es Happy Ends doch nur in Büchern und nicht im echten Leben?

Die Autorin

Josi Wismar, geboren 1999, lebt im Rhein-Main-Gebiet. Sie studiert Buchwissenschaft und hat sich als Buchbloggerin einen Namen gemacht. Während sie eigentlich Dinge für die Uni erledigen sollte, sortiert sie lieber ihr Bücherregal neu, steht auf dem Fußballplatz oder teilt anderen ihre Liebe für Bratapfeltee und Kürbisse mit. Die Amber-Falls-Trilogie ist ihre erste New-Adult-Reihe.

Josi Wismar

Words

I Keep

Roman

Wilhelm Heyne VerlagMünchen

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Originalausgabe 01/2022

Copyright © Josi Wismar 2021

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb

Copyright © 2022 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Nina Basovic Brown

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München, unter Verwendung von FinePic®, München

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-26798-8V001

www.heyne.de

Für meine Schwestern:

Für Juli, weil du meine Welt bist.

Für Jessi, weil du mich siehst, wie niemand sonst es kann.

Für Jacqueline, weil du so viel mehr bist als die große Große.

Und für Mama,

auf welchem Berg auch immer du gerade stehst.

Danke für all die großen und die kleinen Dinge.

Aber vor allem die kleinen.

Kapitel 1

Meine Decke lag auf mir wie eine Wolke aus Daunen. Ich drückte ein drittes Mal auf die Schlummertaste des Weckers und zog die Bettdecke über meine nackte Schulter. Aus der Küche drang das Klappern von Geschirr in mein Zimmer. Typisch Cassidy. Sicher stand sie schon frisch geduscht und energiegeladen in der Küche und spülte ihr Frühstücksgeschirr ab. Nur wenige Momente später hörte ich ihre Schritte auf dem Flur und meine Zimmertür, die sich knarzend öffnete.

»Morgen, Emely. Lieblingstee?« Cassidy setzte sich auf die Bettkante und stellte eine dampfende Tasse, die den intensiven Duft von Waldbeeren verströmte, auf den Nachttisch. »Du kannst heute das Auto haben. Andrew holt mich ab und bringt mich auch nach der Schicht wieder heim.«

Verschlafen blickte ich in die moosgrünen Augen meiner großen Schwester, die mit einem perfekt geschwungenen Lidstrich betont waren. Ich rutschte näher an sie heran und setzte mich auf. Sie hatte sicher ihren Tag schon komplett durchgeplant und die ersten Haken auf ihrer To-do-Liste gesetzt. Sogar heute, an einem Tag, der nicht wie alle anderen Tage war.

»Gut geschlafen?«, schob sie nach und checkte mit einem Seitenblick die Uhrzeit auf meinem Wecker.

Ich setzte mich auf, griff nach der Tasse und legte behutsam meine Finger um das warme Porzellan.

»Ja«, sagte ich knapp und lächelte, obwohl alles in mir NEIN schrie.

»Womit habe ich das verdient?«, fragte ich und pustete in die dampfende Teetasse.

»Weil nach einer Tasse Tee die Welt schon wieder ganz anders aussieht.« Cas musterte mich, ihre Augen hatten binnen Sekunden das Strahlen verloren.

»Ganz besonders heute«, fügte sie hinzu, und ich sah ihr an, wie die Trauer sich ihren Weg bahnte.

Dads erster Todestag fiel auf einen ganz normalen Wochentag, was nichts von alldem erträglicher machte. Hastig nahm ich einen Schluck Tee und rang mir ein Lächeln ab.

»Danke«, flüsterte ich, den Blick auf die Tasse gerichtet. Ich fand keine Worte, aber das musste ich auch nicht. Ich schaute Cas in die Augen und für diesen Moment war alles gesagt. Mir wurde wieder bewusst, wie froh ich war, sie zu haben.

»Cas«, begann ich leise und sah sie unsicher an. »Ich schaff das nicht … mit dem College heute.«

»Du weißt, dass das nicht geht«, entgegnete Cas mir mit einem leichten Kopfschütteln.

Ich will nicht ins College. Ich will den Tag hier verbringen. Oder irgendwo anders, Hauptsache mit dir, wollte ich ihr antworten, stattdessen nahm ich nur einen weiteren Schluck Tee und schwieg.

Cas wandte sich kurz von mir ab, wie immer, wenn ihre Gefühle sie überrollten. Gefühle zu zeigen war nicht ihr Ding. Leider.

»Em, ich weiß, wie schwer das ist«, begann sie und zupfte am Saum ihres Pullovers herum, vermied es aber, mich direkt anzusehen. »Dad fehlt mir auch, und ich denke jeden Tag an ihn, aber wir haben das letzte Jahr geschafft, wir werden die nächsten auch noch schaffen, nicht wahr?« Sie strich sich eine Strähne ihrer dunkelblonden Haare hinters Ohr und atmete tief durch, bevor sie mir wieder in die Augen sah.

Du sprichst von Jahren, und ich zweifle daran, ob ich es schaffe, nur diesen einen Tag zu überstehen.

»Aber wir sehen uns später im Basil. Nach deinen Vorlesungen. Okay?« Cas legte eine Hand auf meinen Arm. Ihre Berührung war sanft.

»Hmm«, brummte ich nur und stellte mich darauf ein, den Tag am College zu verbringen, den Tag zu überstehen. Irgendwie.

Anstatt dem Seminar über frühe englische Literatur zu folgen, widmete ich meine ungeteilte Aufmerksamkeit lieber dem Buch, das gut versteckt hinter meinem Laptop aufgeklappt lag.

Katniss aus DieTribute von Panem zeigte mir seit einer halben Stunde, wie wichtig es war, für das, was man liebte, einzustehen. Ich beneidete sie dafür, dass sie den Mut aufbrachte, nicht stumm zu bleiben, und ihre Angst sie nicht davon abhielt zu kämpfen.

Seufzend blickte ich von den Buchseiten auf und schaute mich im lichtdurchfluteten holzverkleideten Seminarraum um. Einige meiner Kommilitonen, die aufmerksam Mr. Arnolds monotoner Vortragsstimme folgten, gingen sicher heute Abend noch feiern. Im Bronze, einem der angesagtesten Clubs der Stadt, konnte man jeden Abend neue Freunde finden. Wenn man das wollte. Gedankenverloren blätterte ich eine Buchseite um. Ich hatte schon wieder ein Kapitel beendet. Wenn ich weiter in all meinen Seminaren so viel las, würden die Bücher für diesen Lesemonat kaum auf das Foto dafür passen. Doch ich freute mich jetzt schon auf den Post und hatte mir den gesamten Monat bereits Notizen zu den Büchern gemacht.

Ich nahm einen Schluck Waldbeerentee aus meiner Thermosflasche und fragte mich wieder einmal, ob ich das Richtige studierte. Literatur war mein Leben und gehörte zu mir wie Jon Snow zu Ygritte. Jeder, der mich und mein Bücherregal kannte, würde bestätigen, dass dieser Studiengang zu mir passte. Doch alle blickten immer nur an die Oberfläche. Kaum einer machte sich die Mühe, hinter das zu schauen, was man auf den ersten Blick wahrnahm, und so begann ich immer wieder an dem zu zweifeln, was ich hier tat. Ich wusste allerdings nicht, ob meine Bedenken wirklich etwas bedeuteten. Denn an wirklich allem zu zweifeln, was ich tat, war das Einzige, was ich in meinem Leben außergewöhnlich gut konnte. Meine Zweifel kamen mir allerdings auffällig oft, wenn meine Gedanken Vorträgen über altertümliche Literatur folgten. All diese Analysen nahmen den Büchern die Magie und den Zauber, den sie versprühten. Wenn ich in Illéa war, wollte ich nichts von der literarischen Aufarbeitung von Gesellschaftssystemen und Revolutionen wissen. Viel eher wollte ich wissen, warum ich nicht im Ballkleid vor meinem Prinz Maxon stand.

Ich blickte auf das leere Dokument, das auf dem Display meines Laptops leuchtete. Kurz dachte ich daran, was Dad dazu gesagt hätte, wenn er mich noch sehen könnte. Wäre er stolz gewesen, oder hätte er ein ernstes Gespräch mit mir über meine Zukunft geführt, so wie Cassidy es oft tat? Ich seufzte, hörte Gemurmel und begriff, dass ich wohl etwas zu laut geseufzt hatte.

»Langweile ich sie, Miss Glen?«, wandte sich Mr. Arnold an mich, und ich spürte die Hitze in meine Wangen aufsteigen. Vereinzeltes Gelächter übertönte mein Schweigen, während ich mir eine braune Haarsträhne hinters Ohr schob.

»Nein … Entschuldigung«, stammelte ich, zog meinen Laptop zu mir ran und richtete meinen Blick stoisch auf das Display, um dem Starren zu entgehen. Wie ferngesteuert öffnete ich Instagram im Browser und rutschte auf meinem Stuhl hin und her. Mit einem Mal fand ich es viel zu heiß hier drin. Mein Herz schlug so schnell, dass ich mir sicher war, jeder konnte es in meiner Brust pochen hören. Selbst Mr. Arnolds theoretische Ausführungen, die ohne hörbare Höhen und Tiefen sonst so meditativ auf mich wirkten, beruhigten mich nicht. Ich scrollte durch meine Timeline und las mir einige Rezensionen zu einem Buch durch, das ich in letzter Zeit überall auf Bookstagram gesehen hatte. Nach und nach verlangsamte sich mein Herzschlag wieder. Das Fantasy-Epos wanderte zusammen mit zwei anderen auf meine Wunschliste auf Goodreads, die mittlerweile auf eine beträchtliche Länge angewachsen war. Eigentlich machte ich einen Bogen um Hypes. Ploppten aber auf allen Plattformen Rezensionen auf, las ich das gehypte Buch doch manchmal, nur um mir eine eigene Meinung zu bilden und mitreden zu können.

Ich zog mein Buch wieder hervor und kehrte mit Katniss in die Arena zurück. Doch der peinliche Moment von vorhin hatte mir die Konzentration geraubt, und so zogen die Worte ohne jede Bedeutung an mir vorbei. Obwohl die Geschichte gerade so richtig spannend wurde, klappte ich das Buch wieder zu, schaute abwechselnd aus dem Fenster und schob mein Handy auf dem schmalen Tisch vor mir hin und her. Viel lieber säße ich jetzt mit meiner Thermosflasche auf meiner Lieblingsbank im Burberry Park.

Die Uhr auf dem Sperrbildschirm meines Handys zeigte an, dass mir noch quälende elf Minuten Seminarzeit bevorstanden. Also scrollte ich durch die Verlagsvorschauen und blieb bei den neuen Gedichtbänden von Rupi Kaur hängen, die ich mir für die Vorbestellung markierte. Sie erzählten in so wenigen Worten von Liebe, Akzeptanz und dem Kampf, den man mit sich selbst ausmachte. Jedes ihrer Gedichte war eine Reise, ein ehrliches Gespräch mit sich selbst. Das Gemurmel der anderen ließ mich aufschauen. Endlich war das Seminar vorbei. Ich schmiss alles, was quer über dem Tisch vor mir verteilt lag, in meinen Rucksack, warf ihn mir über die Schulter und hastete zum Ausgang. Die letzte Vorlesung für diesen Tag ließ ich ausfallen. Es wäre zwar die einzige gemeinsame Veranstaltung mit Lexie gewesen, aber selbst unter Anwesenheit meiner besten Freundin hielt ich es keine einzige weitere Minute hier drin aus.

Ich ließ das Auto auf dem College-Parkplatz stehen und schlug den Weg zum Burberry Park ein. Der Wind blies mir ins Gesicht und kündigte den nahenden Winter an. Am Horizont trafen die herbstlich gefärbten Amberbäume, die Amber Falls ihren Namen gaben, auf die schneebedeckten Rocky Mountains. Der Wind wehte buntes Laub durch die Luft, und auch wenn es hieß, Abschied von etwas zu nehmen, das starb, empfand ich keine Trauer bei diesem Anblick.

Die Straße war gesäumt von aneinandergereihten Backsteinhäusern mit geschwungenen Bögen über den meisten Fenstern, die ihnen einen besonderen Charme verliehen. Ich legte einen kurzen Stopp an meiner Lieblingsbuchhandlung, dem Book Attic, ein und musterte durch die grün umrahmten Fensterfronten die Buchcover. Ein paar davon standen bereits auf meiner Wunschliste. Es kostete mich einige Selbstbeherrschung, den Buchladen, der sich rühmte, Colorados älteste Buchhandlung zu sein, nicht zu betreten und nur schmachtend vor den Fenstern zu stehen. Wenn ich die Tische und Regale nach Schätzen durchstöberte, verließ ich den Laden nie wieder, ohne mindestens ein Buch zu kaufen. Außerdem war mir heute nicht danach, mit Helen, der quirligen Besitzerin des Book Attic, zu quatschen.

Eine gute halbe Stunde später erreichte ich den Burberry Park. Unter meinen Schuhen knirschte der Kies, die imposante Weide, deren Äste bis ins Wasser des Teichs reichten, war schon von Weitem zu sehen. Ich ging etwas schneller und erreichte kurze Zeit später die Bank aus verwittertem dunklem Holz im Schatten der Weide. Ich setzte mich und ließ meinen Blick über das ruhige Wasser schweifen. Hier im Park auf genau dieser Bank fühlte ich mich Dad immer ganz nah. Am Teichufer reichte ein Mann zwei Mädchen immer wieder etwas Brot aus einer Papiertüte. Die Mädchen warfen es den Enten zu, die sich bereits in einer Traube am Ufer sammelten und sich schnatternd um die Brotkrumen stritten. Ich fröstelte und schloss den obersten Knopf meines Mantels, zog dieses Mal Daisy Jones and The Six aus meinem Rucksack und schlug es auf meinem Schoß auf. Ich hatte gerade mal zwei Seiten gelesen, als mein Handy in der Manteltasche vibrierte.

Green Basil nach der Uni?

Oder doch lieber allein sein heute?

Wills Nachricht wurde mir bereits auf dem Sperrbildschirm angezeigt. Seine Fragen, die mir alle Möglichkeiten offenhielten, zauberten ein Lächeln auf mein Gesicht. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr tippte ich meine Antwort.

Basil 13:30? Freue mich auf euch!

Will gab Lexie Bescheid, darauf konnte ich mich verlassen.

Soll ich dich anrufen, wenn wir loslaufen?

Sonst versinkst du noch in deinem Buch oder vergisst die Zeit auf deiner Lieblingsbank im Park.

Ich blinzelte und las die Nachricht ein zweites Mal. Will kannte mich und wusste, dass ich öfter mal die Zeit vergaß. Aber Will wusste ebenso ganz genau, wo ich statt der Uni war. Er kannte diesen Platz. Er kannte mich.

Schaff ich schon, danke.

Vielleicht sollte ich mir aber doch lieber einen Wecker stellen. Nur zur Sicherheit …

Ich drückte auf Senden und blickte wieder auf, doch die beiden Mädchen und ihr Vater waren verschwunden. Dad, Cas und ich standen früher auch oft an diesem Teichufer und haben die Enten gefüttert, genau wie die zwei Mädchen eben.

Ich entsperrte den Fotoordner mit dem Namen Davor auf meinem Handy und wischte mich durch die Erinnerungen an die Zeit vor Dads Tod. Ausflüge in den Park, gemeinsame Kochabende, Wanderungen und Abende auf der Couch. Nicht wenige Aufnahmen waren verwackelt, weil wir vor lauter Lachen nicht stillhielten. Ich betrachtete das Lächeln meines Vaters, sein dunkelblondes Haar und die strahlend grünen Augen, die Cas von ihm geerbt hatte. Ich allerdings, mit meinen dunkelbraunen Augen und Haaren, war das Abbild unserer Mutter.

Unsere Mutter war auf keinem der Fotos der letzten zweieinhalb Jahre. Auch die verbliebenen Aufnahmen mit ihr habe ich gelöscht, weil ich es irgendwann nicht mehr ertrug, sie zu sehen.

Ich wischte weiter durch die Fotos und blieb bei einem Schnappschuss hängen, der Dad auf der Spitze des Mount Amber zeigte. Er trug den Wollpulli, der immer noch in meinem Kleiderschrank hing. Meine Trauer vermischte sich mit glücklichen Erinnerungen. Ich ließ das Handy wieder in meine Manteltasche gleiten, lehnte mich zurück und blinzelte meine Tränen weg. Hier auf dieser Bank fühlte ich mich wohl und geborgen, und dieses Gefühl wollte ich mir für die nächste halbe Stunde noch bewahren.

Pünktlich um halb zwei stieß ich die gläserne Tür zum Green Basil auf. Die Wärme umhüllte meinen Körper wie eine Decke und streifte die Kälte ab, die auf der Parkbank unter meinen Mantel gekrochen war.

Das Restaurant war gut besucht, größtenteils junge Leute, die sich angeregt unterhielten. Das Basil war momentan DER Treffpunkt für viele Studenten und natürlich auch Menschen, die – wie Lexie, Will und ich – immer Hunger hatten.

Der intensive Duft, den die vielen Pflanzen und Gewürzkräuter im Gastraum verströmten, beruhigte mich. Das Grün wucherte überall. Pflanzen verschiedenster Form und Größe standen oder hingen, wohin man auch blickte. Andrews Mutter Margret, der das Green Basil gehörte und die so etwas wie Familie für mich war, balancierte auf einer Trittleiter und goss einen Efeu.

»Kannst du mir kurz die Schere reichen?« Margret lächelte knapp, bevor sie die Gießkanne über dem grauen Blumentopf leerte. Ich griff nach der grünen Gartenschere zu ihren Füßen und reichte sie ihr an.

»Danke dir.« Margret widmete sich wieder dem Efeu. Sie schob mit der Hand einige Ranken zur Seite und knipste die vertrockneten Triebe ab.

Die Leidenschaft, mit der sie immer noch alles in diesem Laden anging, war offensichtlich. Sie hatte mit dem Basil ganz klein gestartet und es in den letzten zehn Jahren zu dem gemacht, was es heute war. In diesem Laden steckten ihre Seele und ihr gesamtes Herzblut.

»Wie war dein Tag?«

»Gut bisher.« Ich zuckte mit den Schultern. Sie schob die große eckige Brille auf ihrer Nase zurecht und musterte mich mit wachem Blick.

»Na ja, eher bescheiden, um ehrlich zu sein«, gestand ich und nahm ihr die Gießkanne ab.

Ihre Hände, an deren Fingern noch etwas Erde hing, legten sich um den Griff der Metallleiter.

»Will und Lexie sitzen schon hinten.« Margret stieg die Trittleiter Stufe für Stufe hinab und nickte in die Richtung unseres Stammtisches.

Unser Tisch stand direkt unter der Kräuterwand. Hier wuchsen in umgebauten Holzpaletten Kräuter und Gewürze, die das Herz jedes Kochs höher schlagen ließen. Wann immer der Tisch frei war, saßen wir dort. Nah an der Küche und den Treppen, die zum Büro im ersten Stock führten. Von hier aus trennten mich von Cas, Andrew und Margret nur wenige Meter, außerdem überblickte man den gesamten Gastraum und saß am Fenster.

Ich ging den Gang entlang durch das Restaurant, an der halb offenen Küchentür vorbei. Cas stand in der Küche und rührte in zwei Töpfen gleichzeitig, während sie Anweisungen gab. Wie immer hatte sie alles unter Kontrolle. Da Cas hier arbeitete, ging mein Mittagessen aufs Haus und die von Lexie und Will meist auch.

»Ich freu mich zwar, dich zu sehen, Em, aber ich glaube, du musst mir bitte Platz machen.« Andrew kam mir aus der Küche entgegen und grinste mich an. Er balancierte fünf Teller Suppe und sah nicht einmal angestrengt aus.

»Na, schickt Cas dich mal wieder von Tisch zu Tisch?« Ich lachte und hätte ihn am liebsten zur Begrüßung umarmt, doch ich wollte nicht für einen Haufen bunter Keramikscherben verantwortlich sein, also machte ich ihm seitlich Platz.

»Ach, und du würdest dich trauen, ihr einen Wunsch abzuschlagen?« Das Grinsen in seinem Gesicht wurde noch ein Stück breiter. Ich wusste nur zu gut, wovon er sprach. »Aber vielleicht habe ich auch einen Fehler gemacht, meiner Mutter zu sagen, ich steige ins Familiengeschäft ein.« Er zuckte mit den Schultern und ging an mir vorbei. Margret und Cas hatten nicht nur das Restaurant fest im Griff.

Will und Lexie saßen auf Stühlen und überließen mir die grau gepolsterte Fensterbank. Lexie winkte mir bereits hektisch zu. Auch wenn es gar nicht möglich war, sie zu übersehen, wenn man sich mit ihr im selben Breitengrad aufhielt. Ihre glänzenden blonden Haare fielen ihr weich über die Schultern, und ihre Ohrringe reflektierten das goldene Sonnenlicht. Will saß, wie immer die Beine weit von sich gestreckt, auf seinem Stuhl und begrüßte mich fröhlich. Das Lächeln, das sich auf seine Lippen legte, erreichte sogar seine Augen. Ich hatte ihm schon in der Highschool gesagt, dass er mit diesem Blick jedes Herz zum Schmelzen bringt.

Ich ließ mich auf die Fensterbank fallen und atmete laut aus. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf euch gefreut habe.«

»Du hast ja scheinbar einen großartigen Tag hinter dir.« Lexies Worte klangen gewohnt sarkastisch. Will schob mir eine Tasse Tee rüber, auf die ich mich schon den ganzen Tag freute. Ich umfasste den warmen Becher mit beiden Händen, dabei streiften meine Finger zufällig seine. Es war nur ein kurzer Moment, doch wir schauten beide auf. Will fixierte mich mit seinen tiefbraunen Augen, und ein zaghaftes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

»Hat Cas dir heute Morgen zufällig gesagt, was sie uns empfiehlt?« Lexie schaute mich nicht an, sondern ließ ihre Augen bereits interessiert über die Tageskarte in ihrer Hand wandern. »Die Spaghetti mit Kürbis und Zucchini schreien eindeutig meinen Namen.«

Unweigerlich lachte ich auf. Es tat gut, hier zu sitzen und die dunklen Wolken für eine Weile zu vergessen. Für Lexie gab es nichts Wichtigeres als Essen. Außer vielleicht Sex. Aber da war sie eben ganz eigen.

»Gutes Essen und Sonne im Herbst. Was braucht es mehr, um glücklich zu sein?« Lexie seufzte zufrieden auf und blickte weiter auf die Karte in ihrer Hand.

»Lex.« Wills Stimme klang sanft, aber bestimmt. Er blickte Lexie an, bis sie die Karte sinken ließ. Sie schaute unsicher zwischen mir und Will hin und her. Es war wirklich nicht mitanzusehen, wie Lexie auf der Leitung stand.

»Heute ist es genau ein Jahr her«, sprach Will aus, was so schwer auf meiner Seele lag.

Diese Worte sorgten dafür, dass Lexie, die sonst immer etwas zu sagen hatte – auch dann, wenn es nichts zu sagen gab –, verstummte und mich betroffen ansah.

»Können wir jetzt bitte nicht in betretenes Schweigen verfallen? Das ist nichts für uns«, sagte ich in die Stille hinein und lächelte, doch es fühlte sich unecht an. Der Blick meiner Freunde verriet mir, dass keiner von ihnen es mir abnahm. Ich schluckte. »Ihr macht alles besser. Ihr tut mir gut.« Erst blickte ich Lexie in die Augen, dann Will. »Okay?«

»Okay«, wiederholten beide fast einstimmig und nickten.

Lexie stand auf.

»So, und ich kümmere mich jetzt mal darum, dass wir Futter bekommen. Spaghetti für alle?«, sagte sie mit ihrem typischen Lexie-Lächeln, wartete kurz unser Nicken ab und machte sich auf den Weg in die Küche.

Will ließ seinen Blick auf mir ruhen, einen Moment schwiegen wir, und es fühlte sich überhaupt nicht komisch an, nur gut.

»Es ist okay, wenn dir heute nicht nach gemeinsamem Mittagessen ist, Em«, begann er und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. »Wenn ich irgendetwas tun kann …«

»Du tust schon mehr, als du ahnst, Will«, unterbrach ich ihn, und mein Blick hing an seinen Fingern, die durch seine dunklen dichten Locken fuhren.

Er nickte nur.

Ich versuchte nicht, mir ein Lächeln abzuringen, und Will versuchte nicht, krampfhaft ein Gespräch aufrechtzuerhalten. Wir schauten uns einfach an und schwiegen zusammen. Das ging nur mit ihm.

»So. Spaghetti sind unterwegs.« Lexie ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Ihr Blick wanderte verwirrt zwischen Will und mir hin und her. Sie ahnte, dass sie etwas verpasst hatte. Wenn sie erst mal anfing nachzubohren, hatte man gegen sie kaum eine Chance.

»Und, was gibt es Neues aus der Männerwelt?«, startete ich ein Ablenkungsmanöver. Lexie auf ihr Lieblingsthema zu stoßen funktionierte jedes Mal, und sie brachte mich immer damit zum Lachen.

»Ich muss sagen, aktuell finde ich es schwer, in der Uni Männer kennenzulernen.« Lexie blätterte halbherzig durch die Speisekarte und blieb auf der Seite mit den Desserts hängen.

»Weil da niemand Anständiges dabei ist, oder weil du mit allen, die Potenzial haben, schon mal was hattest?«, fragte Will sichtlich amüsiert. Lexie schaute auf und hob erstaunt die Augenbrauen.

»Ich bin doch nicht auf der Suche nach jemand Anständigem.« Sie schüttelte lachend den Kopf und ging auf Wills zweite Bemerkung überhaupt nicht ein. Vermutlich, weil wir alle wussten, dass das durchaus stimmen konnte. Sie klappte die Speisekarte zu und sah ihn prüfend an. »Außerdem spricht da sicher nur der Neid aus dir. Wann hast du denn das letzte Mal eine abgeschleppt?«

Ich lachte kurz auf, weil die Vorstellung des typischen Aufreißers einfach nicht zu meinem Bild von Will passte. Lexie musterte Will auffällig und ließ ihren Blick langsam von unten nach oben wandern, bis sie ihn verschmitzt anlächelte. »Genug Angebote bekommst du ja bestimmt.« Lexie lachte und schaute kurz auf ihr Handy.

Wills letzte Beziehung lag schon eine ganze Weile zurück. Er hat dieser Frau alles gegeben. Alles, was er hatte, und alles, was er war. Irgendwann hat er gemerkt, dass seine Ex einer dieser Menschen war, die immer nur nehmen und keine Grenzen kennen. Aus diesem Grund lernte er, seine eigenen Grenzen zu setzen, und hatte nach zwei Jahren Schluss mit ihr gemacht. Seitdem gab es ein paar Bekanntschaften, aber nichts Ernsthaftes.

»Ich warte auf die Richtige«, antwortete Will und sah mich dabei an.

Ich schluckte. Will sah mich weiter unverwandt an.

»Du kannst nicht ewig warten, Großer«, sagte Lexie bestimmt, ließ ihr Handy in die Jackentasche gleiten und legte beide Hände flach auf den Tisch. »Außerdem verpasst du wirklich etwas. Werd mal etwas aktiver, du hast SO viele Möglichkeiten. Vielleicht wäre eine aus der Uni etwas?« Lexie sah ihn erwartungsvoll an, während er die Lippen aufeinanderpresste und ich stumm dasaß. Ganz wusste ich nicht, warum, doch ich war verwirrt von Wills Reaktion. Mit mir allein war er eher der zurückhaltende Typ, oftmals wortkarg, doch mit Lexie war er so viel offener. Immer bereit, sich einen Schlagabtausch mit ihr zu liefern. Normalerweise jedenfalls.

»Ja … vielleicht eine aus der Uni.« Will zog seinen Pullover zurecht und wirkte für einen Moment unsicher.

»Apropos Uni,« Lexies Blick ging zu mir, »wo warst du vorhin eigentlich in der Kunstgeschichte-Vorlesung? Der Prof hat die ganze Zeit nur von der Klausur geredet, das wäre mit dir sicher deutlich erträglicher gewesen.«

»Hast du heute doch das College geschwänzt?«, hörte ich plötzlich Cas’ Stimme und fuhr erschrocken herum. Kurz drehte ich mich zurück zu Lexie, die mich verständnislos ansah, und wandte mich gleich wieder Cas zu, die verärgert einen Teller Pizzabrot auf dem Tisch abstellte und mir ein »Küche! Sofort!« ins Ohr flüsterte.

»Ich hoffe, es schmeckt euch«, sagte Cas lauter und schob Will und Lexie die Teller hin. Ihre Stimme klang auf einmal leicht und fröhlich, aber mir gab sie mit einem Kopfnicken zu verstehen, ihr zu folgen.

In der Küche zog mich Cas zu einem Ecktisch, der nur für das Personal gedacht war und etwas abseits stand.

»Also …«, begann sie, und ich wusste bereits, worauf es hinauslief, noch bevor sie weitersprach.

»Cas, ich …« Doch sie hob die Hand.

»Warum warst du heute nicht in der Uni?«

»Es war nur eine Vorlesung, Cas.«

»Emely, warum …«, begann sie.

Ich konnte das einfach nicht. Ich habe es dir gesagt, aber du hast mir ja nicht zugehört.

»Ich weiß es nicht«, unterbrach ich sie und verschränkte meine Arme locker vor der Brust.

Cas fuhr sich mit ihren Fingern durch die dunkelblonden Haare und schnaufte einmal tief durch. »Das geht so nicht.«

»Ich weiß.« Ich wollte ihrem Blick standhalten, doch ich schaffte es nicht.

»Es ist nicht mehr lange bis zu deinem Abschluss. Das musst du jetzt durchziehen.« Cas ging zum Herd und rührte in einem Topf. Mit der anderen Hand tastete sie in der Schürze nach ihrem Probierlöffel.

Ich bin mir ja nicht mal sicher, ob ich diesen Abschluss noch will. Woher soll ich das denn überhaupt wissen?

»Ja … ich versuche es ja. Wirklich Cas, ich gebe mir Mühe«, sagte ich und reichte ihr einen neuen Probierlöffel. »Aber … aktuell bin ich mir einfach so unsicher, was ich will.«

Ich hatte es ihr gesagt. Es war nicht viel, aber immerhin ein Anfang. Cas hielt mir wegen einer einzigen verpassten Vorlesung einen Vortrag. Ich stellte mir lieber nicht vor, wie Cas reagierte, wenn sie rausfand, dass ich in zwei Wochen einen ganzen College-Tag schwänzen würde, um einen Verlagstermin wahrzunehmen.

»Zweifel bringen dich nicht weiter. Zieh das Studium durch und fertig. Natürlich ist das deine Sache. Aber seit Dads Tod ist es auch meine.« Cas probierte von der Soße und salzte nach.

Es ist immer noch mein Leben, Cas!

»Vielleicht hast du recht«, stimmte ich ihr widerwillig zu und hoffte, dass ich dieses Gespräch damit beendete. Kurz schwiegen wir und vermieden es, uns in die Augen zu sehen. Cas richtete Spaghetti auf drei tiefen Tellern an.

»Em – zusammen ziehen wir das durch! Du und ich. Wir beide.« Cas goss die Soße über die Spaghetti. »Die nimmst du«, sie drückte mir zwei Teller in die Hand und nahm den dritten selbst. Ich folgte ihr in den Gastraum. Für Cas war dieses Gespräch offensichtlich erledigt.

Nachdem Cas betont fröhlich Will und Lexie die Spaghetti serviert hatte und wieder gegangen war, stocherte ich wortlos in meinem Teller. Mich wegen einer einzigen verpassten Vorlesung wie eine Zehnjährige zu behandeln war lächerlich.

Auf keinen Fall erzähle ich Cas von dem Verlagstermin. Wer weiß, wie sie dann reagiert? Am Ende vermasselt sie mir noch alles. Es war das erste Mal, dass alles nicht nur im Internet ablief, sondern greifbar und real wurde. Peak Press lud mich zu sich ein, weil sie mit mir zusammenarbeiten wollten. Mit mir. Emely Glen, einer Studentin, die das Lesen liebte und vor ein paar Jahren entschieden hatte, diese Liebe im Internet mit anderen Lesebegeisterten zu teilen.

»Alles okay? Ärger wegen der geschwänzten Vorlesung?«, fragte Lexie. »Tut mir echt leid, das wollte ich nicht.«

Ich sah auf. Lexie presste ihre Lippen aufeinander, und auch Will schien verunsichert, was er sagen sollte.

»Ein bisschen, aber alles gut«, versicherte ich ihnen.

Lexie richtete sich auf und fuhr sich durch die Haare. Ihre goldenen Kreolen wippten und funkelten im Sonnenlicht. »Morgen Filmeabend bei mir.«

Sie ließ es nicht wie eine Frage klingen. Ich nickte stumm, das reichte völlig aus. Wenn Lexie das so beschloss, hätte ich auch nicht absagen können, aber ich nahm es ihr nicht übel. Manchmal musste man mich zu meinem Glück zwingen. Ich leerte meine Tasse und lächelte noch einmal in die Runde. Wenige Stunden mit Lexie und Will reichten, um mich zu erden. Wie bei einem Kompass, der stundenlang verwirrt in alle Richtungen zeigte und sich im Kreis drehte, reichte eine Sekunde Kontakt mit dem richtigen Magneten aus, um ihn wieder einwandfrei funktionieren zu lassen.

Kapitel 2

Ich parkte so nah es ging am Campus. Die Sitzheizung hatte mir die gesamte Fahrt über gute Dienste geleistet. Wenigstens eine Sache, die bei der Blechbüchse noch funktionierte. Ich schnaubte genervt, während ich die Fahrertür ein zweites Mal zuschlug, damit sie richtig einrastete, und verriegelte den roten Ford.

Auch wenn andere noch im Hoodie rumliefen, war bei mir bereits die Zeit für Schal und Mütze angebrochen. Ein kühler Luftstoß blies mir ums Gesicht, und ich bedankte mich bei mir selbst. Die Herbstsonne schien zwar noch und wärmte angenehm, doch der Wind kündigte bereits kühleres Wetter an. Ich war mal wieder spät dran und eilte über den Parkplatz zum Hauptgebäude, wo ich meine heutige Zeit absitzen würde. Mit seiner schmutzig grauen Fassade ähnelte das Amber Falls College nicht nur von außen einem Gefängnis. Jedes Mal, wenn ich das College betrat, spürte ich, wie mich diese Mauern einschränkten und zurückhielten. Noch nie habe ich da drin etwas getan, für das ich Feuer und Flamme war. Doch wenn ich auf Bookstagram über Bücher sprach, fühlte es sich so natürlich, so gut an. Ich zog mein Handy aus meiner Jacke und machte ein Selfie für Cas von mir auf dem Campus.

Bin jetzt da. Das war doch die Abmachung, oder? Ich will aber genauso wenig den Tag da drin verbringen wie gestern. Kann ich bei dir vorbeikommen? Ich vermisse dich. Ich brauche dich.

Es war so einfach, ehrlich zu sein, wenn man wusste, dass niemand die Worte sieht. Ich drückte auf die Löschtaste, bis auch der letzte Buchstabe verschwunden war, und sendete nur das Foto, ehe ich den Chat mit Cas schloss und widerwillig meinen Weg fortsetzte.

Ich nahm eine Abkürzung und überquerte gerade den Rasen, auf dem ich im Sommer gerne meine Pausen verbachte, und geriet ins Stocken. Ein einzelnes weißes Rennrad lehnte am Stamm eines kahlen Baumes. Das allein wäre nichts Besonderes gewesen, doch am hinteren Reifen des Rads kniete ein junger Mann, der eine braune verschlissene Lederjacke und eine schwarze Strickmütze mit einem weißen Bommel auf dem Kopf trug. Diese eigenartige Kombination gab ein lustiges Bild ab. Allem Anschein nach reparierte er etwas. Ich wollte meinen Blick gerade wieder abwenden, da zog er sich die Mütze vom Kopf und schleuderte sie ins Gras. Er machte einen ziemlich verzweifelten Eindruck auf mich. Genau wusste ich nicht, was es war, das mich dort hintrieb, während ich abbog und geradewegs auf ihn zuging. Vielleicht redete ich mir ein, ihm helfen zu können, auch wenn ich noch nicht genau wusste, wobei. Ich ließ einen Sicherheitsabstand zwischen uns, respektierte seine Privatsphäre, die ich gerade dabei war zu betreten, und zögerte etwas, ehe ich ihn ansprach.

»Kann ich dir helfen?«, hörte ich mich sagen.

Er schreckte hoch, sah mich kurz an und wandte sich gleich wieder ab. Ich hatte seine geröteten Augen trotzdem bemerkt. Ich wagte es nicht, mich zu rühren, und war mir nicht sicher, was ich tun sollte. Er klaubte seine Mütze vom Boden auf und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht.

»Was?« Er richtete sich mit dem Rücken zu mir auf.

Mir fiel auf, wie groß er war. Er überragte mich um fast einen Kopf. Aber er blieb von mir abgewandt wie Cas, wenn ihr die Gefühle zu viel wurden. Wie ich, wenn ich meine Trauer versteckte. Seine Finger fuhren kurz durch die einzelnen weißen Fasern des Bommels, an denen noch immer ein bisschen Dreck hing, bevor er sie sich wieder auf den Kopf setzte.

Dann stieg er aufs Rad, hielt inne, einen Fuß auf dem Pedal, bereit, jederzeit abzufahren. Mit seinem Rad war also alles in Ordnung. Er brauchte gar keine Hilfe. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und jetzt stand ich hier. Vor einem gut gebauten, stark aussehenden Mann, der trotz seiner Versuche, es zu verstecken, so schwach und verzweifelt wirkte.

»Ich … es tut mir leid.« Unsicher trat ich von einem Fuß auf den anderen.

»Was ist?«, wiederholte er und musterte mich aus saphirblauen Augen, die so strahlend klar waren wie das Wasser im Lake Neelam oben auf dem Mount Amber.

»Ich …«, begann ich und brach ab, denn sein durchdringender Blick verunsicherte mich noch mehr. Ja … was gab es eigentlich? Ich hatte jemanden gesehen, von dem ich glaubte, er bräuchte Hilfe, und war ohne darüber nachzudenken hierhergelaufen. Mal wieder hatten meine Gedanken nur von der Wand zur Tapete gereicht.

»Ich dachte, du könntest Hilfe gebrauchen. Ich wollte dich nicht so … stören. Ich … es tut mir leid«, stammelte ich vor mich hin, machte auf dem Absatz kehrt und hoffte, dass der Typ mich noch vor dem Abendessen wieder vergessen haben würde.

»Warte«, rief er mir nach. Seine Stimme klang rau. Ob sie das immer tat, oder es nur der Tatsache geschuldet war, dass er bis vor Kurzem weinend vor einem Fahrrad gekniet hatte, konnte ich nicht beurteilen. Aber ich mochte den Klang. Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um. Er war vom Rad gestiegen und schob es neben sich her. Der Wind wehte in meine Richtung und trug einen herben, aber frischen Duft zu mir, der angenehm nach Zitrone roch.

»Danke.« Er vermied es, mich direkt anzuschauen, und trat von einem Bein aufs andere. Ich kannte dieses Gefühl der Unsicherheit. Dieses Gefühl, nirgends richtig Halt zu finden. »Wirklich.« Seine Stimme klang auf einmal viel sanfter.

Er sah mir in die Augen, während er seine Mütze noch mal zurechtrückte. Wollte er sich jetzt bedanken? Fast hätte ich seine Hand ergriffen, so nah waren wir uns, doch ich erinnerte mich daran, dass es unangebracht gewesen wäre.

»Wofür? Ich habe doch gar nichts getan«, entgegnete ich mit einem zaghaften Lächeln.

»Dafür, dass du hergekommen bist und gefragt hast, ob ich Hilfe brauche. Die meisten würden einfach weiterlaufen. Also danke.«

Ich nickte stumm und holte unbeholfen mein Handy aus der Tasche meines Mantels, blickte auf die Uhr und noch einmal kurz in seine ungewöhnlich blauen Augen. Ich verabschiedete mich mit einem knappen »Man sieht sich«, drehte mich hastig um und eilte zu meiner ersten Vorlesung. Während ich zum Unigebäude rannte, ärgerte ich mich über mich selbst. Man sieht sich? Wer sagte denn so was? Kaum hatte ich das Hauptgebäude betreten, vibrierte mein Handy mit einer Nachricht von Lexie.

Oben vor den Toiletten. Beeil dich.

Es waren nur noch fünf Minuten bis Vorlesungsbeginn. So wie ich Lexie kannte, hatte sie sicher einen heißen Kerl entdeckt, den sie mir natürlich unbedingt zeigen musste. Ich lief die Treppen hoch in den ersten Stock, und sah sie schon von Weitem mit dem Rücken zu mir am Ende des Ganges stehen. Ihre blonden Haare waren im Nacken zu einem Zopf gebunden und sahen aus wie aus einer Shampoo-Werbung. Auch ihr Outfit, eine eng anliegende schwarze Jeans kombiniert mit einer Bluse aus weich fließendem hellblauem Organzastoff, die sie letztes Jahr in einem Secondhandladen erstanden hatte, war wie immer großartig. Lexie hatte einen ganz eigenen Stil – etwas rebellisch und den aktuellen modischen Trends immer drei Monate voraus.

»Morgen, Lexie.« Ich setzte zu einer Umarmung an, sie roch nach Zimt und Vanille. Ein Parfüm, das nicht jeder tragen konnte, aber total zu ihr passte. Doch Lexie erwiderte meine Umarmung nur flüchtig, wandte sich gleich wieder von mir ab und blickte suchend in die andere Richtung.

»Morgen, Schönheit. Na, wie haben wir diesen zauberhaften Herbstmorgen begonnen?«, grüßte sie zurück, ohne mich anzusehen.

»Du meinst mich, ja?«, versicherte ich mich lächelnd und bewunderte Lexies glänzende Ketten, die in ihrem Ausschnitt baumelten.

»Wen denn sonst?«, antwortete sie schulterzuckend, ihren Männerradar auf vollen Empfang nach vorne gerichtet. Ich liebte sie für ihre ruppige und ehrliche Art.

»Na ja, mit Schönheit kannst du sicher auch den Kerl dahinten meinen, den du, seit ich hier bin, so auffällig anstarrst, dass eigentlich nur noch ein blinkender Pfeil fehlt, auf dem ›Nimm mich!‹ steht«, witzelte ich und stupste ihr in die Seite.

Langsam drehte sie sich um und stemmte die Arme in die Hüften. »Emely Glen«, sie holte einmal tief Luft und sah mich gespielt streng an. »Also erstens stehen dahinten mehrere heiße Kerle. Und zweitens: Falls du in naher Zukunft so einen Blinkepfeil auftreiben kannst, sag mir bitte Bescheid, denn das würde die Sache um einiges erleichtern.«

»Ach, hab ich dich vermisst.« Ich hakte meinen Arm bei ihr ein und zog sie Richtung Vorlesungssaal, da die Zeit langsam knapp wurde.

Lexie schaute mich schief von der Seite an. »Nicht gleich so sentimental. Das waren gerade einmal fünfzehn Stunden.«

»Na und?« Ich zuckte mit den Schultern und ging noch etwas schneller. »Fünfzehn Stunden ohne deinen Sarkasmus und deine freundlich gemeinten Beleidigungen sind fast schon Entzug.«

Lex verdrehte gespielt theatralisch die Augen. »Ich muss mir dringend neue Freunde zulegen.«

Im Hörsaal ergatterten wir zwei freie Plätze in der Mitte. Die mittleren Reihen waren perfekt. Weder zu ambitioniert noch zu desinteressiert. Kunstgeschichte war eines meiner Nebenfächer. Mich mit dem Damals zu beschäftigen, half mir oft, das Heute besser zu verstehen. Lexie, die Medieninformatik und Game Design studierte, hatte hier eigentlich nichts verloren. Erst hatte ich versucht, ihr Kunstgeschichte auszureden, aber sie überzeugte mich mit einem ausgezeichneten Argument. Durch unsere Studiengänge, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sahen wir uns sonst NIE im College. Und nur die Mittagspausen gemeinsam zu verbringen, war uns eindeutig nicht genug.

Die Vorlesung begann pünktlich auf die Sekunde, und ich war froh, dabei zu sein. Niemand wollte bei Dr. Taylor zu spät kommen. Ich folgte der Vorlesung wie schätzungsweise zweihundert andere Studenten, von denen ich höchstens ein paar flüchtig aus anderen Seminaren kannte. Der Vorlesungssaal war fast bis zum letzten Platz besetzt, die Luft bereits nach wenigen Minuten unerträglich stickig. Nach einer Viertelstunde hatte ich bereits drei volle Seiten Mitschrift. Ich wusste jetzt schon, dass ich mich für die Klausur ein paar Wochen in mein Zimmer einsperren musste, um den ganzen Stoff in mein Hirn zu bekommen und die Prüfung zu bestehen. Aber ein bisschen freute ich mich auch darauf, allein und ungestört Zeit mit mir selbst zu verbringen und viel zu oft mit neu erschienenen Büchern zu prokrastinieren, anstatt mich ernsthaft und intensiv auf eine Prüfung vorzubereiten.

Die Tür schwang auf, ein Typ betrat den Saal und ließ die schwere Tür hinter sich ungeachtet zudonnern. Alle Köpfe, meiner eingeschlossen, drehten sich zu ihm, nur Dr. Taylor fuhr völlig unbeeindruckt mit ihrem Vortrag fort und ignorierte ihn mit Absicht. Sie hasste Zuspätkommer und würde sich sein Gesicht sicher noch für die nächste spontane Abfrage einprägen. Benotet versteht sich.

Doch ihn ließ die kühle Begrüßung völlig kalt. Genauso wie die geballte Aufmerksamkeit eines voll besetzen Hörsaals. Vor allem ein auffällig hoher Anteil an Studentinnen war von seinem Anblick gefesselt und folgte kaum noch Dr. Taylors Ausführungen über spätgotische Architektur. Zwei Mädchen steckten die Köpfe zusammen und lächelten ihn an. Gleich würde eine von beiden den obersten Knopf ihrer Bluse öffnen. In mir bahnte sich spontaner Brechreiz an. Seine machomäßige Art, die Treppen des Mittelgangs hinaufzuschlendern, ließ ihn noch unsympathischer wirken. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Er steuerte ausgerechnet auf die Sitzbankreihe zu, in der auch ich saß. Und dann bemerkte ich die braune Lederjacke, die lässig über seinem Arm hing, und die schwarze Strickmütze mit dem leuchtend weißen Bommel, die in der Gesäßtasche seiner Jeans steckte. Mir stockte der Atem.

Scheinbar hatte er sich um seine Haare gekümmert und kaltes Wasser über sein Gesicht laufen lassen. Er sah ganz normal aus, bis auf die leichte Schwellung und den Rest eines Hauchs Rot um die Augen, den vermutlich nur ich bemerkte.

Er zwängte sich an Lexie vorbei und ließ sich auf den freien Sitzplatz zu meiner Rechten fallen. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich einzurichten. Ich nutzte die Zeit und überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte. Noch während ich den Entschluss dazu fasste, zweifelte ich bereits daran. Doch ich konnte nicht anders. Vielleicht war ich aber auch nur übergeschnappt.

»Hallo.« Meine Stimme klang leise und unsicher. Kein Wunder, dass ich oft für schüchtern gehalten wurde. Jetzt fehlte nur noch, dass ich mir verlegen kichernd eine meiner braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. Ich bemerkte, wie er mich kurz ansah, wie seine Augen den Bruchteil einer Sekunde zu lange auf mir verharrten. Er hatte mich erkannt. Ganz sicher. Doch eine Reaktion blieb aus. Im Gegenteil. Er schwieg und blickte nach vorne, gab mir damit deutlich zu verstehen, dass er nicht noch einmal angesprochen werden wollte. Ich verstand die Welt nicht mehr.

Hatte er mich gerade abgewiesen und so getan, als würden wir uns nicht kennen? Gut, zugegeben, ich wusste seinen Namen nicht und auch unsere Begegnung draußen vor dem College war nur sehr kurz gewesen, aber alles an ihm wirkte so anders, so aufgesetzt.

»Was zum …«, hörte ich Lexies Stimme, doch ich hob die Hand und schüttelte sanft den Kopf. Ich würde ihr das später erklären. Die Möglichkeit, es nicht zu tun, bestand sowieso nicht.

Ich versuchte, in dem Typen den Mann zu erkennen, der mir vorhin begegnet war und der mich so gefesselt hatte. Aber da war nichts. Nichts erinnerte mich an ihn. Weder seine gerade Haltung, noch sein selbstbewusstes Auftreten. Nicht einmal seine Augen, deren einzigartiges blaugraues Zusammenspiel mir vorhin so viel intensiver vorgekommen war. Da war einfach nichts.

Ich lehnte mich leicht zu ihm rüber und räusperte mich etwas lauter. Er wandte sich mir halb zu und schaute in meine Augen, die ihn voller Erwartung ansahen. Ich wollte, dass er etwas sagte, etwas tat. Nichts. Keine Reaktion von ihm.

»Okay. Dann wohl nicht«, murmelte ich und blickte mit aufeinandergepressten Lippen nach vorne zu Dr. Taylor, die gerade Aufnahmen gotischer Kreuzrippengewölbe von ihrem Laptop an die Leinwand projizierte. Vielleicht hatte er den Teil von ihm, der mit mir gesprochen hatte, genau wie sein Fahrrad, draußen vor dem Gebäude gelassen.

»Ich hab dich hier noch nie gesehen.« Seine Stimme hatte den rauen Unterton verloren und hielt jegliche Emotion versteckt.

Ich legte meinen Stift ab und schaute ihn an. Was sollte das bedeuten? War das eine Frage? Eine Feststellung? Er trug eine Maske, die perfekt passte. Nachdem ich ihn einige Sekunden stumm angeblickt hatte, atmete ich hörbar aus.

»Mag sein.« Ich machte eine Pause und sprach dann bewusst leiser weiter. »Zumindest nicht hier.« Dabei versuchte ich, das letzte Wort so auffällig zu betonen, dass er den Wink mit dem Zaunpfahl hoffentlich verstand.

Kurz sah ich etwas in seinen Augen aufblitzen. Ein feiner, kaum sichtbarer Riss drohte sich durch seine Maske zu ziehen. Ich war mir sicher, dass er sich erinnerte, aber warum er sich jetzt so unausstehlich aufführte, begriff ich wirklich nicht. Ich drehte mich weg und schrieb akribisch jedes Wort von Dr. Taylor mit, obwohl ich nicht mal in Ansätzen der Vorlesung folgte. Hätte ich ihm den Zaunpfahl doch lieber quer durchs Gesicht gezogen. Mein Herz pochte wild. Ich war nicht schlagfertig, dafür hatte ich Lexie. Ich war die Unscheinbare im Hintergrund, zumindest gegenüber Fremden.

»Was zum …?«, zischte mir Lexie ins Ohr. Sie schaute mich erstaunt an, hatte jedes einzelne Wort mitgehört. Natürlich. Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern und hoffte, sie würde verstehen, dass ich ihr das, was sie da eben miterlebt hatte, selbst nicht so recht erklären konnte. Ich würdigte den Kerl bis zum Ende der Vorlesung keines weiteren Blickes. Es fiel mir schwer, aber ich zog es durch.

Kaum hatte Dr. Taylor ihre Vorlesung beendet, packten alle ihre Sachen und strömten hinaus.

»Also was bitte war das? Details?« Lexie sah mich fragend an und warf ihren Rucksack über eine Schulter.

»Nicht so laut!« Ich blickte mich um und stellte erleichtert fest, dass der Typ bereits außer Hörweite war. »Ich erklär es dir später im Basil.« Wir reihten uns als Letzte ein und ließen uns von der Masse mitschieben. »Außerdem brauche ich noch ein paar Stunden, um selbst zu verstehen, was das genau war.« Ich lachte kurz auf.

»Ich hasse Pflichtseminare!«, schnaubte sie und schob genervt hinterher: »Dieses Studium zerstört mir mein ganzes Sozialleben.«

Lexie sah mich enttäuscht und verständnisvoll zugleich an. Enttäuscht, weil ein Seminar mit Anwesenheitspflicht ihrem Informationsbedürfnis im Weg stand, und verständnisvoll, weil sie meine beste Freundin war. Während wir uns einen Weg durch das Gedränge bahnten, schaute ich mich nochmals um, aber der Typ war bereits weg. Es erstaunte mich selbst, aber irgendetwas faszinierte mich an ihm.

Kapitel 3

Auf meinem Weg zum Green Basil hingen mir die Ereignisse der letzten Stunden nach. Die Fußgängerzone säumten herbstlich verfärbte Ahornbäume, die in regelmäßigen Abständen zwischen dem roten Kopfsteinpflaster wuchsen. Es war Mittagszeit, die Straße war belebt, aber nicht übermäßig geschäftig. Ein Fahrradfahrer klingelte mich zur Seite und überholte mich. Vielleicht würde auch ER an mir vorbeifahren, wenn ich mir Zeit ließ. Dann könnte ich ihn fragen, was genau das vorhin eigentlich war, oder auch nur in seine blauen Augen starren. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich beinahe am Green Basil vorbeigegangen wäre. Einen Moment lang betrachtete ich das hohe Eckhaus und blickte durch die breiten Fensterfronten, hinter denen das übliche rege Treiben herrschte. Ein Straßenmusiker spielte auf seiner Gitarre einen sentimentalen Song, dessen Name mir nicht mehr einfiel. Margret sah mich draußen stehen und winkte mir zu. Das Green Basil war mein zweites Zuhause. Margret und Andrew waren in den schwersten Zeiten für Cas und mich da. Ich legte dem Musiker im Vorbeigehen einen Dollar in seinen Hut und zog die Tür des Green Basil auf.

Ich steuerte meinen Lieblingsplatz an und atmete den würzigen Duft von wildem Basilikum und Oregano ein. Will saß bereits an unserem Tisch, sein brauner Wollmantel hing über seiner Stuhllehne. Sobald wir zusammen waren, hatten die negativen Gedanken keine Chance mehr. Wir bestellten nichts von der Karte, sondern ließen uns überraschen.

Der Keramikteller mit vegetarischem grünem Chili, den Andrew mir direkt vor die Nase stellte, ließ mich diese Entscheidung nicht bereuen.