Words We Share - Josi Wismar - E-Book

Words We Share E-Book

Josi Wismar

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es gibt Worte, die man teilen muss, damit sie Sinn ergeben

Als Tia in Amber Falls ankommt, will sie neu anfangen. Nach einer schwierigen persönlichen Entscheidung kann sie der Realität nur noch in fremden Welten entfliehen. Da kommt der Aushilfsjob in einer Buchhandlung gerade zur rechten Zeit, denn er hat überhaupt nichts mit ihrem alten Leben zu tun. Langsam kann Tia ihren Panzer ablegen, auch dank ihrer neuen Freundinnen Em und Lexie. Als sie den gut aussehenden und hilfsbereiten Jake kennenlernt, scheint ihr neu gefundenes Glück perfekt. Aber ausgerechnet die Leidenschaft fürs Schwimmen, die Tia und Jake teilen, steht ihren Gefühlen füreinander immer wieder im Weg. Liebe verlangt Mut, und den hat Tia nicht mehr. Aber vielleicht hat Jake genug für sie beide?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen



Das Buch

Als Tia in Amber Falls ankommt, will sie neu anfangen. Nach einer schwierigen persönlichen Entscheidung kann sie der Realität nur noch in fremden Welten entfliehen. Da kommt der Aushilfsjob in einer Buchhandlung gerade zur rechten Zeit, denn er hat überhaupt nichts mit ihrem alten Leben zu tun. Langsam kann Tia ihren Panzer ablegen, auch dank ihrer neuen Freundinnen Em und Lexie. Als sie den gut aussehenden und hilfsbereiten Jake kennenlernt, scheint ihr neu gefundenes Glück perfekt. Aber ausgerechnet die Leidenschaft fürs Schwimmen, die Tia und Jake teilen, steht ihren Gefühlen füreinander immer wieder im Weg. Liebe verlangt Mut, und den hat Tia nicht mehr. Aber vielleicht hat Jake genug für sie beide?

Die Autorin

Josi Wismar, geboren 1999, lebt im Rhein-Main-Gebiet. Sie studiert Buchwissenschaft und hat sich als Buchbloggerin einen Namen gemacht. Während sie eigentlich Dinge für die Uni erledigen sollte, sortiert sie lieber ihr Bücherregal neu, steht auf dem Fußballplatz oder teilt anderen ihre Liebe für Bratapfeltee und Kürbisse mit. Die Amber-Falls-Trilogie ist ihre erste New-Adult-Reihe.

Lieferbare Titel

Words I Keep

Words You Need

Josi Wismar

Words

WE SHARE

Roman

Wilhelm Heyne VerlagMünchen

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 11/2022

Copyright © Josi Wismar 2022

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb

Copyright © 2022 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Nina Basovic Brown

Umschlaggestaltung: UNO-Werbeagentur, München, unter Verwendung von FinePic®, München

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-26800-8V001

www.heyne.de

Für alle, die sich schon mal verloren gefühlt haben.

Es wird besser, versprochen.

Prolog

Tränen brannten in meinen Augen, meine Hand, die das Annahmeschreiben festhielt, zitterte. Die Schrift vor meinen Augen verschwamm und vermischte sich mit den blau-rot-weißen Farben der amerikanischen Flagge auf dem Briefkopf. US National Swim Team. Das hier war es. Mein Traum. Das, worauf ich meine ganze Karriere und all die Jahre als Leistungsschwimmerin in Yale hingearbeitet hatte.

Herzlichen Glückwunsch!

Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen …

Ich wandte meinen Blick ab und griff nach dem dunkelblauen Team-Shirt mit der amerikanischen Flagge auf dem linken Ärmel. Ich hatte es schon so lange tragen wollen. Doch anstatt mich zu freuen, zitterte ich am ganzen Körper. Die Tränen liefen mir über die Wangen, meine Lippen bebten. Schluchzend verbarg ich mein Gesicht in dem weichen Baumwollstoff. Ich wollte nichts mehr sehen. Nicht den Brief, der mich zur Aufnahme ins US National Swim Team beglückwünschte, nicht die Medaillen an meiner Zimmerwand, nicht die eingerahmten Urkunden oder meinen allerersten Badeanzug, der auch an der Wand hing. Auch nicht die an die Wand geklebten Fotos, auf denen ich stolz mit triefend nassen Haaren einen Pokal in den Händen hielt. Weil ich auf jedem dieser Fotos geglaubt hatte, das alles wirklich zu wollen. Diese Zukunft, die mir jegliche Luft abschnürte, seit sie zu meiner Realität geworden war. Das Schwimmen hat alles kaputt gemacht. Das Schwimmen hat mich kaputtgemacht. Ich zerknüllte den Brief und hoffte, dass dadurch alles verschwinden würde, wenn ich nur stark genug zudrückte, wenn ich nur wütend genug war. Mein ganzer Körper bebte, und ich stieß einen weiteren lauten Schluchzer aus. Ich verlor die Kontrolle.

Fuck. Fuck. Fuck.

Atmen, Tia.

Wenn ich mich nur genug konzentrierte, den Fokus wiederfand, konnte ich es schaffen. So, wie ich es seit Jahren schaffte. Doch ich wollte mich nicht konzentrieren, wollte mich nicht länger zusammenreißen.

Stattdessen begann ich zu schreien.

Ich schrie die Erinnerungen an, die an meiner Zimmerwand festgeklebt waren. Ich schrie jede Version der früheren Tia an, die mich hierhergebracht hatte. Zu diesem Moment, in dem alles über mir zusammenbrach. Und ich gleich mit.

»Tia?«

Ich hörte die Stimme meiner Mom, noch bevor ich ihre Hände auf meinen Schultern spürte.

»Tia, was … was ist …«

Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, konnte ihr nicht sagen, was gerade passierte.

»Tia!«

Mein Dad stürzte ins Zimmer, und einen kurzen Augenblick später kniete er neben mir.

Ich sackte zusammen und weinte stumm alle Tränen dieser Welt. Ich bekam keine Luft, hatte keine Kraft, mich selbst zu halten, wollte aber auch nicht von meinen Eltern gehalten werden. Es sollte aufhören. All das sollte einfach aufhören.

Es. Ich atmete zitternd aus.

Sollte. Meine Finger krallten sich in den Teppichboden. Aufhören.

Die Leere in mir fühlte sich so schwer an, dass ich nie wieder aufstehen wollte.

»Tia. Sieh mich an.« Die ruhige Stimme meines Dads drang sanft an mein Ohr. Er legte einen Finger an mein Kinn, hob meinen Kopf, sodass er auf einer Höhe mit seinem war. Ich öffnete meine Augen. Ich brauchte einige Sekunden, musste ein paar der Tränen wegblinzeln, bevor ich ihn wirklich sah. Mein Dad blickte mich an und … lächelte?

Er lächelte, während Tränen in seine Augen stiegen. Es war ein schmerzhaftes Lächeln, das selbst mir einen Stich versetzte.

»Tia«, wiederholte er und lächelte mich weiter an. Doch in dem Moment, da ich aufhörte zu zittern und mir das Atmen etwas leichter fiel, wusste ich, dass ich genau das gebraucht hatte. Sein Lächeln, das mir zeigte, dass es okay war. Es war okay, und ich würde das schaffen. Ich schluckte, ließ den Brief und das Shirt los und griff nach den Händen meiner Eltern. Ich sah zwischen den beiden hin und her.

»Ich muss hier weg.«

Kapitel 1

Der Kies knirschte unter meinen Füßen, während meine Laufschuhe im immer gleichen Takt auf den Boden trafen. Meine Nikes leuchteten fast in der gleichen Farbe wie der Sonnenaufgang, der sich hinter den massiven Bergen hervorkämpfte. Ich war froh, dass ich mich für die lange Leggings entschieden hatte, da der September in den Rockys um einiges kälter war als in New Haven, wo ich die letzten zwei Jahre am College gelebt hatte. Vor allem morgens um sieben, wenn ich meinen Atem in Wölkchen vor mir sah.

Ich lief den Bergen entgegen und erinnerte mich nicht einmal mehr, wann ich das letzte Mal ohne Ziel laufen war. Ohne geplante Strecke, ohne exakte Kilometerzeiten, ohne … Druck. Einfach nur für mich.

Ich bog in einen kleinen Park ein, der an diesem Mittwochmorgen kaum besucht war. Der Teich, an dem ich vorbeijoggte, lag ruhig da, während die aufgehende Sonne, die sich im Wasser spiegelte, mich leicht blendete. Meine Oberschenkel brannten bereits. Mein Körper arbeitete, und ich liebte dieses Gefühl. Ich forderte ihn heraus, ging an meine Grenzen und bewies mir selbst, wozu ich fähig war. Meine Konzentration galt meinen Schritten, der Art, wie ich meine Knie immer höher hob, wie ich meine Fußballen in den harten Boden rammte, um mich mit geringer Kontaktzeit abzustoßen. Mein Atem ging flacher, meine Schritte wurden länger, und ich …

Fuck.

Abrupt blieb ich stehen. Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht weiter, schneller, besser laufen. Ich wollte … laufen. Ich stemmte die Hände in die Hüften, nahm ein paar tiefe Atemzüge und sah mich um. Der Park war wunderschön, und die Amberbäume, die die Berge im Hintergrund schmückten, verfärbten sich schon leicht und ließen erahnen, wie schön der Herbst hier sein würde.

Es war schwer, Ansprüche an sich selbst und den eigenen Körper hinter sich zu lassen, wenn es jahrelang um nichts anderes gegangen war. Um nichts als die Bestzeiten im Becken und das Hinterherschwimmen der eigenen Träume. Jahrelang war ich selbst es, die das wollte, bis … ich es nicht mehr wollte. Bis der bloße Gedanke daran mir die Kehle zuschnürte, weil ich das Schwimmen nicht länger liebte. Und nicht nur das. Ich hasste es.

Ich ging ein paar Schritte im Kreis, blickte mich ein letztes Mal um und entschied, in welche Richtung ich nach Hause zurücklaufen würde. Langsam. Entspannt. Ganz egal, wie lange es dauern würde.

Ich lief die Hauptstraße entlang und war wieder einmal froh über meine gut gepolsterten Schuhe, die jeden meiner Schritte abfederten. Die bunten Backsteinhäuser machten mich auf seltsame Art glücklich, und langsam hatte ich das Gefühl, die Stadt wachte auf. Das Vogelgezwitscher wurde vom zunehmenden Autolärm verdrängt. Die orangerote Morgendämmerung ging in einen wolkenlosen blauen Himmel über. Immer mehr Menschen drängten sich auf dem Bürgersteig, während ich meinen Blick neugierig umherschweifen ließ. Es entspannte mich, den Geräuschen der Menschen zu lauschen, die gerade in ihren Tag starteten und die Straßen füllten, nachdem es sich die letzten Stunden angefühlt hatte, als wäre ich allein in dieser Stadt. Mir wurde bewusst, dass ich hier nur mich und mein Leben kannte und jeden dieser Menschen von außen betrachtete. Und auch ich war eine Fremde für sie. Sie wussten nicht, wer ich war oder wie mein Leben bisher ausgesehen hatte. Genau deshalb war ich hierhergekommen. Deshalb, und weil Amber Falls, die Stadt inmitten der Berge, mich nicht mehr losgelassen hatte, nachdem meine Freundin Drew aus dem Schwimmteam mir jedes Jahr zum Start des Semesters erzählt hatte, was für schöne Sommer sie hier mit ihrer Familie verbracht hatte.

Ein süßer Buchladen mit grünen Fensterfronten fiel mir auf. Das unscheinbare Schild mit der verschnörkelten Aufschrift Book Attic ließ mich schmunzeln. Das passte. Mein Blick schweifte über die Bücher im Schaufenster, die bunten Cover und Titel in allen möglichen Schriftarten, die mir absolut gar nichts sagten. Früher konnte ich meinen Freundinnen auf Anhieb fünf Bücher empfehlen, die ich in den Wochen davor gelesen hatte. Jetzt war die einzige Fünf, die mit Büchern zu tun hatte, die Anzahl der Jahre, die vergangen waren, seit ich das letzte Mal ein Buch gelesen hatte. Ich dachte an die Abende, die ich heimlich mit einer Taschenlampe unter der Decke Die fünf Freunde gelesen hatte, und wie ich danach zu meinen Eltern ins Bett gekrochen war, weil die Geschichte auf der Geisterinsel doch zu gruselig war. Kurz stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen bei dem Gedanken daran, wie ich jeden Tag ein Buch in meinen Schwimmbeutel geschmissen hatte. So lange, bis neben den Trainingsplänen, Wechselbadeanzügen und Faszienrollen gegen die ständig verspannten Muskeln kein Platz mehr für ein Buch war.

Ich wollte gerade meinen Weg nach Hause fortsetzen, als ein weißer Zettel, der mit zwei Klebestreifen im Fenster des Buchladens befestigt war, mein Blickfeld streifte: »Aushilfe gesucht« stand da groß und fett geschrieben. Ich brauchte einen Job, und der Gedanke, umgeben von Büchern zu arbeiten, gefiel mir. Seit meiner Entscheidung waren alle Stipendien weggebrochen. Noch hatte ich genug Erspartes, und mein Dad hatte versprochen, mir immer finanziell unter die Arme zu greifen, doch ich wollte das Geld meiner Eltern nicht. Ich wollte für mich selbst sorgen.

Ich kam an meiner Einzimmerwohnung an, von der ich auf den Burberry Park schauen konnte. Zumindest hatte mir Google Maps das vorhin mitgeteilt, als ich auf meinem Handy die Karte hin- und hergeschoben hatte. Ich kramte einige Sekunden in der eingenähten Tasche meiner Leggings, bis ich den Schlüssel endlich zu greifen bekam. Das Schloss öffnete sich mit einem leisen Klicken, und noch während ich die Tür hinter mir zuzog, streifte ich die Schuhe von meinen müden Füßen. Ich tapste durch den kurzen Flur in das einzige große Zimmer und sah mich um. Ich hatte die Decke zwar ordentlich zusammengelegt, aber ein echtes Bett wurde aus der Matratze auf dem Boden dadurch noch lange nicht. Daneben lag mein großer Koffer, aus dem ich seit ein paar Tagen lebte und aus dem ich auch jetzt frische Wäsche fischte, die ich mit ins Bad nehmen würde. Ein trauriger Anblick. Ich stellte mir vor, wie die Wohnung aussehen würde, sobald meine restlichen Möbel und Kartons vom Umzugsunternehmen geliefert waren. Was ich vielleicht noch aus ihr machen konnte, wenn ich die Zeit fand, ein paar Pflanzen oder einen passenden Teppich zu besorgen. Ich wusste nicht, was ich in den kommenden Tagen tun oder was passieren würde. Das Wissen, oder eher gesagt das Unwissen, war beängstigend und doch aufregend schön. Es war neu, anders und außerhalb meiner Kontrolle, doch genau darum ging es.

Wohne direkt am Burberry Park!

Tipps für die nächsten Tage?

Ich schickte die Nachricht an Drew, die vermutlich gerade in der Schwimmhalle von Yale war. Ich wollte nicht an die Halle denken, genauso wenig wie an Aaron, meinen ehemaligen Trainer, der Drew vermutlich gerade über ihre Grenzen trieb, so wie er es auch mit mir immer getan hatte.

Du musst an den Stadtrand Richtung Berge spazieren oder auf den Mount Amber wandern!

Die Aussicht ist der Hammer.

Ihre Antwort folgte unerwartet schnell. Ich bedankte mich und freute mich auf alle weiteren Tipps, die Drew mir geben konnte. So fühlte ich mich nicht ganz so verloren in dieser fremden, neuen Stadt.

Ich nahm ein Top aus meinem Koffer, als auf einmal eine hellblaue Badekappe mit einem roten Luchs, dem Maskottchen der Madison High, vor meinen Füßen landete. Ich bewegte mich nicht, starrte sie an, als würde sie von selbst verschwinden, wenn ich nur lange genug wartete. Wie war dieses blöde Stück Silikon in meinem Koffer gelandet? Ich hasste es, dass eine Badekappe es schaffte, dass ich mich gleichzeitig wütend und schrecklich schwach fühlte. Ich ging duschen und wollte jedes dieser Gefühle mit ganz viel kaltem Wasser wegspülen.

2016 -- Madison High, letztes Jahr der Junior Highschool

»Ich glaube, ich mache mir gleich in die Hose.« Ich hüpfte von einem Bein aufs andere und musste aufpassen, auf den nassen Fliesen nicht auszurutschen.

»Na ja, falls es dir im Wasser passiert, sieht das immerhin keiner«, antwortete Dad.

Ich riss die Augen weit auf. »Dad!«

Meine Mutter sah ihn ebenfalls von der Seite an, doch ihr Lächeln verriet sie.

»Ihr seid so peinlich.« Ich schüttelte den Kopf und hoffte, der Wettkampf würde gleich beginnen.

Meine Mom zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, dann machen wir alles richtig.«

»Ja, ich habe auch gehört, Kindern im Teenageralter müssen die Eltern peinlich sein«, stimmte Dad ihr zu.

»Wir sind einfach der Knüller«, setzte Mom noch eins obendrauf und sah Dad ernst an.

»Abklatschen«, meinte Dad nur, und kurz darauf hörte ich, wie die beiden sich tatsächlich ein High five gaben. Mitten in der Schwimmhalle meiner Highschool.

Ich wollte im Boden versinken. Genervt verdrehte ich die Augen und starrte auf die Wanduhr. Ich hatte noch fünf Minuten, bevor wir uns mit dem Team an den Umkleiden treffen würden, um danach gemeinsam in die Halle einzulaufen. Das Warmmachen hatten wir bereits hinter uns gebracht, weshalb mein nasser Badeanzug eine kleine Pfütze um mich bildete. Es war üblich, dass wir etwa fünfzehn Minuten bekamen, bevor wir in die letzte Vorbereitungsphase gingen, die uns mental in den Wettkampfmodus brachte. Diese Minuten nutzte ich jedes Mal, um kurz mit meinen Eltern zu sprechen, die ausnahmslos immer da waren. Ganz gleich, wie weit weg ein Wettkampf stattfand, sie saßen auf der Tribüne und schrien am lautesten.

»Tia?«, fragte Dad.

Ich drehte mich zu ihm und sah ihn an. »Hmm?«, machte ich, obwohl ich genau wusste, was jetzt kam.

»Du schaffst das.« Er griff meine Hand und sah mich eindringlich an.

»Wir glauben an dich.« Meine Mutter nahm meine andere Hand, und ich sah sie kurz dankbar an, bevor ich mich wieder meinem Dad zuwandte.

»Und klar, keine Frage, wir sind heute ein bisschen extra nervös, weil diese ganzen Scouts da oben sitzen, die uns seit Wochen schreiben, dass sie dich auf ihren Colleges haben wollen«, sagte Dad und nickte in Richtung der Tribüne.

Ich ließ mich nicht verleiten, seinem Blick zu folgen, und sah ihm stattdessen weiter in die Augen.

»Du schaffst das, weil du DU bist, Tia Rhodes.« Er drückte meine Hand ganz leicht. »Ich glaube an dich, und deine Mom glaubt an dich. Aber das Wichtigste ist, dass du an dich glaubst.«

Ich machte eine Pause, atmete ein und langsam wieder aus. »Glaubst du an dich, Tia?« Dads Worte waren ein leises, aber eindringliches Flüstern.

Dieser Moment gehörte nur uns dreien.

»Ich glaube an mich«, antwortete ich, und meine Stimme strahlte die Sicherheit aus, die ich fühlte. Die Sicherheit, die meine Eltern mir gaben. Noch bevor ich etwas anderes sagen konnte, zog mein Dad mich und meine Mom an sich, und ich fand mich in einer festen Umarmung inmitten meiner Familie wieder.

»Ihr werdet ganz nass«, nuschelte ich an das Shirt meiner Mom gepresst, das den großen roten Luchs der Madison High vorne aufgedruckt hatte.

»Und du glaubst, das interessiert uns? Ein bisschen Chlorwasser an unseren Klamotten?« Meine Mutter lachte und strich mir über die feuchten Haare, die ich gleich wieder unter der engen Badekappe verschwinden lassen musste.

»Außerdem hatte ich sowieso vor, die Shirts nach dem heutigen Tag zu waschen, falls dich das beruhigt.« Die tiefe Stimme meines Dads brummte in seiner Brust, an der ich immer noch lehnte. Wir lösten uns langsam aus der Umarmung.

»Das glaubt mir doch niemand von den anderen Eltern, wenn ich erzähle, dass mein Mann mir die Wäsche wäscht.« Mom lachte auf. »Ich glaube, wenn ich das zu laut sage, bin ich in den Augen mancher eine wirklich schlechte Hausfrau. Ich darf auf keinen Fall erzählen, dass ich auch noch halbtags arbeite.« Sie zuckte mit den Schultern. Kurz sah sie mich an und drückte mir einen letzten Kuss auf die Stirn. Ich verabschiedete mich von den beiden und drehte mich um.

»Du könntest den anderen Müttern erzählen, dass du die Wäsche bügeln darfst, falls das hilft. Darin bist du nämlich unschlagbar«, hörte ich die Stimme meines Dads und sein leises Lachen, während ich schon ein paar Schritte entfernt war. Auf meinem Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. Sicher legte er gerade einen Arm um Moms Schulter und begleitete sie eng an sich geschmiegt auf die Tribüne.

Ich stand auf meinem Startblock, das erste Signal ertönte, und ich ging in die Hocke. Mein Herz pochte wild, das Adrenalin kribbelte bis in meine Fußspitzen, während ich jeden Muskel in meinem Körper anspannte.

Du schaffst das, Tia.

Das sagte ich mir in Gedanken wieder und wieder, und mit jedem Mal verstummten die Geräusche um mich herum ein kleines bisschen mehr, und ich konzentrierte mich voll und ganz auf mein Innerstes. So lange, bis ich ganz bei mir war, meinen Herzschlag hörte und meine Hände ein kleines bisschen fester um die Kante des Startblocks krallte.

Das hohe Piepsen ertönte, sofort stieß ich mich mit aller Kraft ab, streckte meine Beine und tauchte mit den Händen zuerst ein. Ich hielt die Luft an, machte einen großen Zug unter Wasser, war endlich in meinem Element. Und noch bevor ich auftauchte und die ersten schnellen Züge machte, war ich mir sicher. Ich würde gewinnen.

Kapitel 2

Der Karton rutschte mir fast aus der Hand, doch ich bekam ihn gerade noch so zu fassen und stellte ihn auf dem Treppenabsatz ab, um durchzuatmen. Das Umzugsunternehmen hatte heute Morgen um acht Uhr geklingelt, eine Menge Kartons und auseinandergebauter Möbel auf dem Bürgersteig abgestellt und mich auf einem Formular unterschreiben lassen, dass alles erledigt sei. Seit ungefähr einer Stunde schleppte ich Stück für Stück alles nach oben in meine Wohnung. Ich stemmte die Hände in meine Hüften, schaute auf den Karton und hatte das dringende Bedürfnis, frustriert gegen die Pappe zu treten. Ich fühlte mich wie nach einem stundenlangen Schwimmtraining. Morgens um halb zehn. Ich packte den Karton, trug ihn die letzten Meter in den ersten Stock, stellte ihn auf einem anderen ab und trat den Rückweg nach unten an. Zum Glück hatte ich heute nichts mehr vor.

Ich trat aus der Eingangstür und blickte auf meine restlichen Sachen, die auf dem Bürgersteig aufgetürmt waren. Kurz linste ich an den Kartontürmen vorbei in den Park, der direkt auf der anderen Straßenseite begann. Es war sehr verlockend, einfach an all meinen unerledigten Aufgaben vorbeizuschauen und mir einen Spaziergang in der Herbstsonne vorzustellen. Stattdessen krempelte ich meine Ärmel hoch und stemmte die Hände in die Hüften in der Hoffnung, meiner Motivation damit den nötigen Anschub zu verleihen. Beim näheren Anblick der auf mich wartenden Kartons, die mit Klamotten und Krimskrams gefüllt waren und an denen auseinandergebaute Regale lehnten, stieß ich resigniert die Luft aus. So hatte ich mir die Mission »Wir beauftragen ein Umzugsunternehmen, das den Umzug regelt« nicht vorgestellt. Scheinbar war irgendwo in der Eile ein Missverständnis passiert, denn meine Möbel allein in den ersten Stock eines Mehrfamilienhauses zu tragen, war nicht Teil meines Plans. Doch das Umzugsunternehmen wusste von nichts, und den Aufpreis von mehreren hundert Dollar für den Premium Einrichtungsservice wollte und konnte ich nicht bezahlen. Mein Blick klebte an der Kommode, in deren Schubladen bisher meine Schwimmsachen verstaut gewesen waren. Ich wusste, wie schwer das Echtholz war, seit ich mit vierzehn den von Tumblr ausgelösten Drang hatte, die Möbel in meinem Zimmer umzustellen. Damals hatte ich meinen Dad um Hilfe bitten müssen. Doch der war jetzt nicht hier. Ich blickte den Bürgersteig entlang und sah einen Mann mit blonden Haaren, der mir entgegenkam. Er musste Anfang zwanzig sein, etwa in meinem Alter. Sein weißes Shirt spannte an seinen breiten Schultern. Er nippte an einem durchsichtigen Becher, dessen Inhalt verdächtig nach einem Iced Matcha Latte aussah. Er trug eine Sporttasche, auf der in weißer Schrift Sharks stand, und schüttelte sich gerade lässig die blonden Locken aus dem Gesicht. Ich wollte ihn nicht ansprechen, trotzdem starrte ich ihn weiter an. Würde er mich für komisch halten, wenn ich ihn um Hilfe bat, oder einfach an mir vorbeigehen? Die ganze Situation war mir mehr als unangenehm.

Ich blickte zur Kommode und dann wieder zu ihm. Das Bedürfnis, eine andere Lösung zu finden, wie ich diese Kommode allein in meine Wohnung brachte, war groß, aber alles, was ich denken konnte, war: Jetzt oder nie, Tia.

»Hey«, sagte ich schnell, »Sorry, aber ähm … hättest du vielleicht fünf Minuten, um etwas mit mir hoch in meine Wohnung zu tragen?« Ich rieb mit meinem Schuh an meinem Schienbein und sah den Mann mit den blonden Locken an. Sein Blick wanderte von mir zu dem Berg voller Sachen und wieder zurück. »Ich bin umgezogen, und das Umzugsunternehmen hat alle Sachen angeliefert. Aber leider nur bis hierher«, plapperte ich weiter. »Und das ist gar kein Ding, echt nicht, die meisten Kartons sind eh schon oben, und ich schaffe auch den Rest, aber da ist so eine schwere Kommode aus Echtholz und …« Ich presste meine Lippen aufeinander in der Hoffnung, mich so davon abzuhalten weiterzureden.

Ich wartete gebannt, doch zu meiner Erleichterung fing der Mann nur an zu lächeln. Er steckte eine Hand in die Tasche seiner dunklen Jogginghose und nippte an seinem Getränk, während er mich einen Augenblick musterte.

»Klar.«

Klar. Als sei das selbstverständlich. Ich blinzelte ein paarmal. Ich weiß nicht, mit was für einer Reaktion ich gerechnet hatte, aber garantiert nicht damit, dass es so einfach sein würde.

»Danke«, sagte ich lediglich. Der Typ, der gerade dabei war, meinen Tag zu retten, ging zu meinen Sachen, und ich folgte ihm. Ich stellte mich neben die Kommode und zog den Haargummi von meinem Handgelenk, um meine Haare schnell zu einem Knoten zusammenzubinden. Er streifte sich seine Sporttasche von den Schultern und stellte sie zusammen mit seinem Getränk in den Hauseingang.

»Ich bin übrigens Tia«, sagte ich und suchte nach einer guten Stelle, an der ich die Kommode greifen konnte.

»Jake«, sagte er nur und tat scheinbar dasselbe wie ich.

Ich griff das raue Holz und schaute ihn an. »Es ist nur ein Stockwerk«, versuchte ich ihm Hoffnung zu machen. Oder mir.

»Das schaffen wir schon«, antwortete er.

Wir gingen beide in die Knie und hoben auf drei gemeinsam die Kommode an. Sie war noch schwerer als ich dachte, doch zu zweit ging es. Mein Griff war fest an das Holz geklammert, und auch wenn ich bereits nach wenigen Schritten am Schnaufen war, fühlte es sich nicht unmöglich an.

»Geh du vor«, hörte ich Jake schwer atmend sagen.

Ich musste zwar rückwärts die Treppe hoch, konnte aber im Gegensatz zu ihm sehen, wo ich meine Füße hinsetzte.

»Geht's?«, fragte ich, als wir die ersten Stufen erklommen hatten.

»Jap«, antwortete er knapp.

Wir kamen gut um die Ecke der Zwischenetage und schafften mit ein paar kurzen Absprachen auch den Rest des Treppenhauses.

»Abstellen«, keuchte ich, während ich die Kommode vorsichtig absetzte. Ich atmete durch und lehnte mich gegen das Holz. »Gib mir ein paar Sekunden, ich mach die Tür gleich auf, ich muss nur …«, ich streckte mich, » … meine Arme wieder spüren.« Ich dehnte meine Schultern und hörte Jake sanft lachen. »Hmm?«, machte ich, während ich ihn ansah und feststellte, dass er amüsiert den Kopf schüttelte.

»Ach nichts.« Er zuckte lässig mit den Schultern. »Ich kenne nur nicht viele Frauen, mit denen ich so ein Monstrum von Kommode hier hätte hochtragen können.«

Ich schmunzelte ebenfalls. »Ach ja? Wie viele Frauen fallen dir spontan ein?« Ich nahm den Schlüssel, den ich an einem Band um meinen Hals trug, ab und fragte mich, warum ich die Tür überhaupt zugezogen hatte.

»Na ja, mit dir eingerechnet, jetzt genau eine.«

Ich zog verwundert die Augenbrauen hoch und öffnete die Tür, bevor ich wieder zur Kommode trat.

»Aha.« Ich griff die Kommode wieder und ging bereits in die Knie. »Machen starke Frauen dir etwa Angst?« Ich sah Jake herausfordernd an. Mit einem Ruck hoben wir die Kommode wieder an und bewegten uns in kleinen Schritten in meine Wohnung.

»Haha«, stieß er aus, »das glaubst du auch nur so lange, bis du meine beste Freundin kennenlernst.«

Hatte er gerade wirklich laut »Haha« gesagt? Ich wollte lachen, doch die Angst, die Kommode fallen zu lassen, war zu groß. Wir stellten sie ab und schoben sie an die Wand im Flur. Ich war überglücklich, das Möbelstück endlich in meiner Wohnung zu haben.

»Aber eine Kommode tragen kann deine beste Freundin dennoch nicht?« Ich griff eine der Schubladen, die ich vorher bereits ausgehängt und hochgetragen hatte, und schob sie in die dafür vorgesehenen Schienen.

»Zugegeben, ich habe es noch nie ausprobiert.« Jake griff sich ebenfalls eine der Schubladen. »Aber Lexie würde es mit Sicherheit schaffen, andere Leute dazu zu bringen, eine Kommode für sie zu tragen. Und die wären auch noch glücklich darüber, das für sie tun zu dürfen.« Jake lachte, und mir fiel auf, dass ich den Klang seiner Stimme mochte.

Wir hatten die Schubladen alle eingehängt und betrachteten zufrieden unser Werk. Jake schaute sich in meinem kleinen Appartement um, das mehr als chaotisch war. Normalerweise würde ich hier niemanden reinlassen, solange es so aussah. Der explodierte Koffer voller durchwühlter Klamotten, eine Menge herumstehender Umzugskartons, scheinbar wahllos verteilte Regalbretter. Nichts hier drin glich einem einladenden Heim, in dem man gerne Besucher empfing.

»Danke noch mal«, sagte ich und hoffte ein bisschen, ihn mit diesen Worten aus meiner Wohnung schieben zu können. Immerhin hatte ich noch einiges zu tun.

»Gerne.« Er wartete auf meine Antwort, doch ich wusste nicht recht, was ich noch sagen sollte. Er ließ seinen Blick durch mein Zimmer schweifen. »Kommt gleich noch jemand, der dir mit dem Rest hilft?«

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Glaubte er, ich hätte ihn auf der Straße angesprochen, wenn ich jeden Moment Hilfe erwartete?

»Nein, ich mach das schon.« Ich winkte ab und ging zu einem der Kartons, auch wenn ich absolut nichts daran zu tun hatte. »Mach dir keine Sorgen, ich schaff das schon«, ergänzte ich und lächelte ihn verhalten an.

»Das habe ich nie infrage gestellt.« Jake musterte mich. »Immerhin hast du eine Kommode mit mir getragen.«

Der Sarkasmus seiner Worte brachte mich zum Schmunzeln.

»Ich habe nur gefragt, ob dir jemand hilft, oder ob du …«, er stockte.

»Ich bin allein«, nahm ich es ihm ab, die Frage zu stellen. Ich wollte noch etwas sagen, ihm erklären, dass das alles gar nicht so traurig und einsam war, wie es vielleicht wirkte, doch ich wusste nicht, wie. Ich schaute Jake an, hätte gerne gewusst, was in ihm vorging und was er gerade dachte. Denn er stand einfach nur da, inmitten des Chaos, das bald hoffentlich mein neues Leben sein würde, und musterte mich.

Er räusperte sich. »Ich … ich hab noch etwas Zeit. Ich bin sehr früh dran fürs Training und könnte noch ein paar Kartons tragen oder so.« Er sah mich unsicher an. »Natürlich nur, wenn du meine Hilfe möchtest. Ich will mich da jetzt gar nicht aufdrängen oder so«, fügte er schnell hinzu.

Kurz dachte ich nach. Auch wenn die Stille zwischen uns unangenehm war, ließ ich ihn warten.

»Okay«, sagte ich nach einer Weile lediglich. Natürlich könnte ich ihn auch fragen, ob er wirklich Zeit dafür hatte, aber wir waren erwachsen, und wenn er sagte, er hatte Zeit, würde das schon stimmen. Ich lief zurück ins Treppenhaus, Jake folgte mir.

»Findest du es nicht ein bisschen komisch, einer Fremden zu helfen, Kartons zu schleppen?«, rief ich ihm zu.

Ich hörte Jake hinter mir schnauben, während ich die letzten Treppenstufen runterging, doch in meiner Vorstellung war auch ein kleines Lächeln dabei.

»Findest du es nicht ein bisschen komisch, dir von einem Fremden Kartons schleppen zu lassen?«, konterte er.

Ich drehte mich zu ihm um. »Ich glaube, ich hab mir da einfach ein Beispiel an deiner besten Freundin genommen. Den Gedanken, andere für mich die Arbeit erledigen zu lassen, fand ich irgendwie reizvoll.« Ich zuckte mit den Schultern und ging zu einem der Kartons, die darauf warteten, hochgetragen zu werden.

»Du lernst schnell.« Er griff sich ein paar Regalbretter und folgte mir zurück ins Haus.

Wir liefen zahlreiche Male die Treppenstufen rauf und wieder runter, bis nur noch ein letzter Karton übrig war. Jake kam hinter mir aus dem Wohnhaus gelaufen, während ich ihn gerade angehoben hatte. »Der Letzte?«, fragte er.

»Jap«, antwortete ich und hob den Karton noch ein kleines Stückchen höher, als könnte ich meine Antwort damit noch unterstreichen.

»Dann haben wir es wohl geschafft.« Jake klang fast ein bisschen stolz.

Ich war auch sehr froh, dass ich nur noch einmal diese elenden Treppen hochmusste, bevor ich mich erschöpft auf meine Matratze fallenlassen konnte. »Sieht ganz so aus.« Ich lächelte Jake dankbar an.

Er griff nach seiner Sporttasche am Hauseingang und hängte sie sich über die Schulter. Doch anstatt zu gehen, stand er einige weitere Sekunden einfach vor mir.

»Wenn du dann jetzt in Amber Falls wohnst, sieht man sich bestimmt mal im Basil oder so.«

»Basil?«, fragte ich verwirrt nach und griff den Karton etwas fester.

»Du bist wirklich neu hier.« Er schmunzelte über meine Unwissenheit und sah dabei irgendwie … süß aus.

»Ich dachte, ich konnte das bisher ganz gut verstecken«, erwiderte ich.

Aus dem Schmunzeln wurde ein Lächeln. »Ich hätte dir sicher geglaubt, dass du nur innerhalb der Stadt umgezogen bist, aber das Basil hat dich verraten.«

»Jetzt hast du schon zweimal das Basil erwähnt, so als müsste ich wissen, wovon du redest, aber ich fürchte, du musst mir auf die Sprünge helfen.«

Jake nahm sein Getränk auf, das vermutlich nicht mehr so erfrischend war wie zuvor.»Das Green Basil ist nur so ungefähr DAS beste Restaurant in Amber Falls. Ich würde dir ja gerne noch länger davon vorschwärmen, aber ich muss jetzt leider zum Training. Außerdem bin ich mir sicher, dass du dich noch früh genug selbst davon überzeugen kannst.«

»Ist das so?« Ich wollte die Arme vor der Brust verschränken, doch mit dem Karton in meinen Händen musste ein skeptischer Blick reichen.

Jake nickte und schob die freie Hand in die Tasche seiner Jogginghose. »Na dann.«

»Na dann«, wiederholte ich und fragte mich, wie ich mich am besten von ihm verabschiedete.

Er lächelte mir noch einmal zu, und ich war froh, dass sich die Frage nach einer Umarmung wegen des Kartons in meinen Händen nicht stellte. Ich schaute ihm noch einige Sekunden nach und lief dann die Treppen hoch. Ich stellte den Karton im Flur ab, schmiss die Tür ins Schloss und ließ mich auf meine Matratze fallen.

Ich hatte es geschafft. Dank Jakes Hilfe waren alle meine Sachen in meiner Wohnung. Meine Wohnung. Diesen Erfolg würde ich erst mal mit einem ausgiebigen Mittagsschlaf feiern.

Ich schob die Schublade zu und atmete erleichtert aus. Wieder ein Karton ausgepackt. Ich hatte mir vorgenommen, jeden Tag ein paar Kartons auszuräumen und nach und nach anzukommen. Nur noch ein Karton für heute, dann war ich durch, beschloss ich. Im Anschluss wollte ich noch ein bisschen durch die Stadt spazieren, mein neues Zuhause erkunden und vielleicht noch irgendetwas zu essen finden.

Ich öffnete den Karton und stockte. Meine Hände krallten sich in die Pappe, mein Blick klebte fest am Inhalt. Die Medaillen spiegelten das Sonnenlicht, das durch mein Fenster fiel, und die Urkunden darunter weckten Erinnerungen, für die ich noch nicht bereit war. Wieso war dieser Karton hier? Ich griff nach meinem Handy. Das Freizeichen ertönte schnell.

»Tia?«

»Mom?«, fragte ich unnötigerweise. Wer sonst sollte an ihr Handy gehen und genau so klingen wie die Frau, die Jahre ihres Lebens meiner Schwimmkarriere gewidmet hatte?

»Alles gut, Schatz?« Sie klang besorgt. Natürlich.

»Ja, ich …« Ich schluckte. »Ich hab nur gerade den Karton mit den Schwimmsachen geöffnet.« Schwimmsachen. Dieses Wort klang nach einem Badeanzug und Schwimmflügeln. Dabei war in diesem Karton meine halbe Karriere verstaut. Der Beweis und die Erinnerungen an jeden gewonnenen Wettkampf und jedes weitere Jahr, in dem es mein Ziel war, die Beste zu sein. Und ich war es. Ich war die Beste.

»Luft oder Lösung?«, fragte sie mich lediglich.

Ich schmunzelte und war mir sicher, sie tat das Gleiche. Wann immer ich ein Problem hatte, stellte sie mir diese Frage. Wollte ich nur Dampf ablassen, meinen Problemen und Gedanken Luft machen, jemanden haben, der mir zuhörte? Oder fragte ich gerade wirklich nach Hilfe? Meine Mutter kannte mich. Ich musste bereit sein, ihren Rat zu hören, um ihn wirklich anzunehmen.

»Lösung«, schnaubte ich und kaufte es mir selbst kaum ab. Doch ich wollte hören, was sie zu sagen hatte.

»Es tut mir leid, dass der Karton bei dir gelandet ist. In der Eile muss etwas schiefgelaufen sein. Aber pack ihn nicht aus, Tia. Du hast Yale verlassen und bist umgezogen. Du hast dem US National Swim Team abgesagt, um das Schwimmen hinter dir zu lassen. Stell den Karton in den Keller, oder räum den Kram in die hinterste Schublade, die du finden kannst.«

Der Gedanke gefiel mir, doch ich bezweifelte, dass mir das wirklich half.

»Komm erst mal in Amber Falls an, Tia. Mach es dir nicht schwerer als nötig. Ich weiß, du willst, dass immer alles gleich funktioniert. Aber erlaub dir, kleine Schritte zu machen, Schatz.« Meine Mom atmete langsam aus. »Der Karton mit den Sachen, die deine gesamten letzten Jahre bestimmt haben, ist kein kleiner Schritt.«

Ich schlenderte durch den Raum, sah den Karton an, meine Kommode und dann wieder den Karton.

»Okay?«, fragte meine Mom, nachdem ich eine Weile nichts gesagt hatte.

»Okay«, sagte ich und faltete mit der freien Hand den Karton wieder zu. Ich wusste noch nicht, ob ich ihn genau so lassen würde, oder ob die Sachen irgendeine dunkle Ecke finden würden, doch das war kein Problem, das ich heute angehen musste. Kleine Schritte.

»Sonst alles gut? Wie ist die Stadt? Und deine Wohnung?«

Ich lachte in den Hörer, ging zu meinem Fenster und schaute nach draußen auf die Berge. »Ich bin gerade mal vier Tage hier, Mom. Was genau erwartest du jetzt?« Sie wollte immer alles wissen, um es dann am besten direkt Dad zu erzählen.

»Ich weiß nicht, vielleicht hast du ja bereits einen Lieblingsort oder irgendwelche coolen Freunde kennengelernt.«

»Hast du gerade ›coole Freunde‹ gesagt?« Ich lachte auf und schüttelte den Kopf.

»Vielleicht«, flüsterte sie.

»Falls so was passiert und ich ›coole Freunde‹ finde, dann sage ich dir Bescheid. Aber ich weiß nicht, wie realistisch das ist. Ich bin nämlich zum Glück weder in der Highschool noch zwölf Jahre alt.«

»Du machst dich über mich lustig.«

»Ach Mom, das würde ich nie tun. Ich bin einfach nur froh, dass du in deinem Alter noch gelernt hast, wie iMessage funktioniert.« Ich öffnete das Fenster und genoss die frische Herbstluft.

»Dann schreib mir doch das nächste Mal eine E-Mail anstatt anzurufen, wenn dir das lieber ist«, zog sie mich auf.

»Mom.« Ich holte tief Luft und wäre gerade lieber bei meinen Eltern gewesen. »Ich hab dich lieb.« Ich schluckte schwer, hätte sie jetzt gerne in den Arm genommen.

»Ich dich auch«, hörte ich sie antworten, während meine Augen sich mit Tränen füllten.

»Sag ihr, dass ich sie auch lieb hab und vermisse«, hörte ich meinen Dad im Hintergrund rufen.

Ich lachte leise und wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel. »Schon gut, Mom, hab es gehört«, sagte ich schnell.

»Dann ist ja gut«, meinte Mom.

»Ja … dann ist ja gut.«

Ich schwieg. Meine Mom schwieg. Wir alle schwiegen.

»Bis bald, Tia«, sagte Mom schließlich.

»Bis bald, Mom«, erwiderte ich und legte auf. Ich schmiss mein Handy auf die Matratze. Auch wenn es ein bisschen schmerzte, tat es gut, die Stimmen meiner Eltern zu hören. Und auch wenn ich sie vermisste, tat es gut, nach Amber Falls gekommen zu sein. Ich würde ab jetzt hier leben, ganz gleich, wie dieses Leben aussehen würde.

Ich blieb einige Minuten liegen, bis ich wieder nach meinem Handy griff und Drew eine Nachricht schrieb.

Der Ausblick aus meiner Wohnung hält schon mal,

was deine Erzählungen versprochen haben.

Ich richtete die Kamera auf das bodentiefe Doppelfenster und schickte Drew zusammen mit meiner Nachricht ein Bild meiner Aussicht auf den Burberry Park.

Drew antwortete mit ein paar Herzchenaugen-Smileys, und ich schmunzelte. Gleich darauf kam eine weitere Nachricht von ihr an.

Was hast du heute noch vor?

Ich stützte das Kinn auf meine Hand und starrte ein paar Augenblicke auf das Display, bevor ich ihr antwortete.

Keine Ahnung, überlege, mir Abendessen zu holen.

Mir wurde ein Restaurant empfohlen.

Green Parsley oder so.

Drew schickte zwei Reihen Lach-Smileys, und ich runzelte die Stirn, als bereits eine neue Nachricht von ihr eintraf.

Green Basil, Tia … Aber ja, das Essen dort

ist der Hammer! Finde, das wäre ein gebührender Abschluss für deinen Tag heute.

Ich schlüpfte in meine Schuhe und griff nach meiner Jacke, die hinter der Tür auf dem Boden lag. Gleichzeitig tippte ich meine Antwort.

Wie war dein Tag?

Mit unsicherem Gefühl schickte ich die Nachricht ab und hoffte, dass Drew verstand, wonach ich sie fragte.

Komisch … ohne dich ist es nicht dasselbe.

Ich schluckte schwer und wartete geduldig, was sie, Tausende Kilometer von mir entfernt, tippte, während ich in die Innenstadt ging.

Aaron ist schlecht drauf. Noch schlechter als sonst, und ich sag's dir, meine Muskeln merken das. Kann mich nicht mal mehr aufs Klo setzen, ohne zu ächzen wie eine 80-jährige Oma.

Ein kleines Schmunzeln trat auf mein Gesicht bei dem Gedanken an den Muskelkater, von dem Drew sprach. Ich hob meinen Blick, lief die Straße mit den bunten Backsteinhäusern entlang, über die ich vor ein paar Tagen erst gejoggt war. Ich stockte bei dem Anblick eines kleinen, unscheinbaren Schildes, das als Wegweiser in meine Richtung zeigte. Amber Falls College war darauf zu lesen, und ich hoffte, dass ich auf dem Weg ins Basil nicht daran vorbeilaufen würde. Dafür war ich nicht bereit.

Tut mir leid.

Drew war nie jemand, den ich mir als kleines Kind als meine beste Freundin vorgestellt hatte, doch sie war meine einzige Freundin. Wir hatten uns jeden Tag beim Training gesehen, und weil unser Leben aus nichts als dem Schwimmen bestand, lernten wir während der letzten zwei Jahre einfach alles über das Leben der jeweils anderen....Ende der Leseprobe