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Der Autor folgt den Gedichten. Am Ende kommt es zusammen, das Gedicht und der Blick aus ihm heraus auf es. Das ist etwas Neues.
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Lyrik, Poesie, Autofiktion, Goethe, Jena
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Seitenzahl: 127
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„Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen.“
Matthäus 5, 37
Im Süden
Im Wort
Coronation
Das kleine Leben
Selbster
Durch die Dornen
Oh Mutter
Der Mann schaut von innen zu
Die Frauen kommen
Abendblau
Seelenleben
Theorie des Verschwindens
Pfingstelegie
Schau dich an
Beisein
An der Sonne
Die Schwelle
Was Glück ist
Der kleine Junge
Saalerausch
Wohnzimmerbemerk
Sommeranfang
Döner in Gera
Erato
Henker der Liebe
Harte Schule Schlaf
Beischlaf der Worte
Heute starb Milan Kundera
Zu fest umarmt
In die Leere
Die Zärtlichkeit der Wölfe
Nimm es hin
Das Gespräch der Steine
Freisicht
Nachruf
Was wahr war
Drei Seiten
Lange Zeit
Angemessen
Die Haut gerissen
Einsamkeit
Freie Welle
Hingabe
Die grüne Fliege
Das Buch der Wut
So gewollt
Gut war es
Ich schwebt
Oppenheimer
Vorteilhaft
Lotte am Leben
Was wir nicht wissen
Zeit der Wahrheit
Sommer des Wartens
Fahrt über den Fluß
Enge Weite
Kreuzungssonate
Nach dem Nebel
Mont Sainte-Odile
Von der Liebe
Nicht nur
Schöner Film
Etwas geht
Die Leiden der Wölfe
Gekrampftes Herz
Lieblingskinder
Hommage an Helga Schubert
Anlasslose Empörung
Land der Lügen
Reconquista
Valencia
Relleu
Liebende Männer
Skyfall
Spanisches Sonett
Angeschwemmt
Jedermensch
Träumerei
Gliose
Jenaer Nächte
Gaza
Gesichtsfeldausfall
Goldkind
Herbstlos
Die reine Nähe
Knochenleiden
Schuld und Sühne
Was wäre
Verlasse die Stadt
Fragmente
Jenaer Jahre
Wahrheit und Dichtung
Paraphrastisches Gebet
Advent
Steine vom Himmel
Callas
Winter
Ankommen im Süden, das ist es. Er kommt an. Wir sehen ihm dabei zu. Da will er hin. Immer wieder. Über die Alpen, die Grenze zum wahren Leben. Das ist pathetisch. Wir korrigieren uns gleich zu Beginn. Es soll kein Buch der großen Worte sein. Es soll ein Buch aus dem Innern sein und doch soll es diskret sein. Das wird nicht einfach werden.
Jetzt sitzt er im Auto. Ein Mietwagen der Firma Firefly. Sie war ihm unbekannt. Am Flughafen erfuhr er, es sei eine Tochter von Hertz. Das flößte ihm Vertrauen ein und schon fragte man ihn, ob er Diesel oder Benzin bevorzuge. Er hatte die kleinste Kategorie gebucht, da wird man sonst nie gefragt, man bekommt, was da ist. Diesel, natürlich, das ist seine Welt, sparsam, mit Durchzug. Ohne Metaphern kommt Literatur nicht aus. Mit flachen Metaphern ist es keine. Wir beschreiben. Wir beschreiben ihn, bevor wir ihm zuhören. Wir sind er. Wie sollte es anders gehen. Wer schreibt, baut seine Welt. Diese Welt hier, zwischen Alicante und Dénia, sie ist von vielen erbaut, lange schon, Römer, Mauren, Habsburger, Bourbonen, Spanierinnen und Spanier, vor uns Benidorm, ein Foto aus dem Auto, es ist schwierig, er ist allein, er sieht nicht so gut, darum ist er hier. Spanien ist Süden, von Deutschland aus. Was ist das für ein Süden. Es ist nicht der globale Süden. Im Gegenteil.
Spanien hat den globalen Süden mit konstruiert. Es war eines der großen Kolonialreiche, vielleicht das grausamste. Darüber können wir Bücher lesen und schreiben. Der Freund schrieb über den Stierkampf. Das Buch änderte ihn. Es ist nicht einfach Gewalt, öffentliches Schlachten. Der Stier ist ein Opfer. Hier geht es um das Innere. Den Stierkampf in ihm, den wir begleiten. Wir wollen die Details der Weltbeschreibung nur nutzen, wenn sie etwas über das Innere aussagen. Das tun sie andererseits immer. Wir sind Welt, wir sind ihre Verlängerung und sie die unsere. Das ist allgemein. Konkret wird es schwieriger. Was hat er mit Spanien zu tun. Was habe ich mit Spanien zu tun.
Die Antwort ist schwierig. Weiter hinten in diesem Buch, beinahe an seinem Ende, das ich kenne, während ich den Anfang schreibe, finden Sie, findest Du, ein Gedicht. Lassen wir es beim du, schreiben wir es klein, dann wird es allgemeiner, fast zum Sie. Ein Gedicht aus meinem Verhältnis zu Spanien, aus, nicht über. Wie überhaupt alles aus sein soll, auf den Seiten, die kommen. Es ist ein Tagebuch in Gedichten. Das ist ein Experiment, jedenfalls für mich und wohl auch in der Literatur. Literatur soll sich vom Schreibenden, von der Schreibenden ablösen, Werk sein, für alle sein. Zugleich beginnt sie hier, noch beginnt sie hier. Es sind die Zeiten der Künstlichen Intelligenz. Die ersten Texte, Bücher gar, werden von Algorithmen erstellt. Irgendwann werden wir das vielleicht nicht mehr erkennen. Jetzt aber sitzt ein Mensch hinter den Buchstaben. Er sitzt dahinter, von dem die Rede sein wird.
Es wird ein Tagebuch der Gedichte. Sie sind nicht bearbeitet. Es ist kein Lyrikbuch. Sie sind nicht wie sonst nach ihrer poetischen Qualität redigiert und ausgewählt. Sie stehen da, mit ihrem Datum, Zeitmarken der Wirklichkeit. Hier, im Süden, soll daraus ein Buch werden. Gestern, das ist lange her, wenn du das liest, war Feiertag in der Region Valencia. Man feierte die Vertreibung der Mauren. Lassen wir die Details weg, sie würden Seiten um Seiten füllen, die Wahrnehmung von Bedrohung durch den Islam, Jerusalem und Granada, selbst die konvertierten Christen vertrieb man schließlich, auch die Juden. Aber hier feierte man nichts. Die Geschäfte waren geschlossen, das war alles. Vielleicht feierte man im Geheimen, weder das Internet noch Hotelrezeption und Tourismusbüro klärten auf. Überall ist Welt. Wir nehmen sie auf. Was machen wir damit.
Man kann deinen Schmerz lesen, schreibt sie, nachdem sie ein Gedicht las. Vom Schmerz war die Rede darin, aber warum las sie das nicht, was für ihn so unüberlesbar war, die Angst, die Angst vor dem Verlust des Lichts. Aber auch die Zuversicht, dass da etwas geht, dass etwas in Bewegung geriet, in ihm, in seinem Verhältnis zur Welt und dem, was sie war.
Während dieses Gedankens lag er mit geschlossenen Augen, die Hornhaut verletzt. Er hörte ein Hörbuch, das er selbst eingesprochen, aber nicht veröffentlicht hatte. Rudolf Steiners Klassenstunden, lange waren sie unveröffentlicht geblieben, dann hatte sie Dornach veröffentlicht. Das Urheberrecht lief ab. Er kaufte die vier Bände. Es ist Jahrzehnte her. Im Frühjahr sprach er sie ein. Nun hörte er sie erneut, sollen sie veröffentlicht werden, gegen den Widerstand vom Hügel, höre sie einfach an, höre hinein in die Berichte der geistigen Welt. Da ging es Steiner um das Wort, um das wahre Wort, die Verpflichtung zur Wahrheit für die Esoteriker, für die, die die geistige Welt suchen. Das verband das verdunkelte Auge mit dem Gedicht und dem, wie es die Schwester las. Eine der Schwestern.
Im Wort stehen. Sein Wort geben, ihr Wort. Also ehrlich sein, verbindlich, treu. Es ist so. Ganz einfach ist das nicht bei diesem Projekt. Wir brauchen Schutz vor der Welt, wenn wir uns ihr öffnen, über uns sprechen, uns zeigen. Was ist schon privat, sagen die Sozialmedienfreunde. Was wissen wir wirklich von uns selbst, sagen Kluge. Lass uns Nebel werfen. Das wäre nicht im Wort. Wie also die Balance wahren, wirklich sein und doch verborgen bleiben. Es wird die Schwester geben, aber womöglich gibt es mehrere. Es wird die Hornhaut geben, wir alle haben sie, sie schützt unser Auge, unser Sonnenkunstwerk, aber was genau geschah und warum, das lassen wir in der Schwebe.
Wir lassen überhaupt viel in der Schwebe. Wenn wir Gedichte schreiben, ist die Schwebe der Normalzustand. Gedichte sind Luftwesen, sie schweben wesenhaft, sie bestehen aus Worten, das unterscheidet sie von Musik, lassen wir die Doppelwesen der Lieder an der Seite. Aber sie sind nicht die Worte. Ein Wort ist noch kein Gedicht. Zwei Worte können es sein. Könnten es sein. Ihm fällt keines ein, das so knapp mit der Konjunktion spielt. Jetzt fällt ihm keines ein, während er das hier schreibt. Vielleicht fiel ihm eines ein oder auf, wenn das Buch fertig ist. Dann wird der Satz geändert oder ergänzt. Noch ist alles im Fluss. Noch sind nur die Gedichte da, jetzt, zu Beginn des Buches, sicher kommen noch einige dazu, bis er zum Ende hingeschrieben hat.
Denn darum geht es. In der Dunkelheit begann das Projekt. Seine Gedichte begleiten. Nicht interpretieren. Keine Poetologie schreiben, keine Siegburger oder Jenaer Anthologie, wie es die Frankfurter Allgemeine mit ihrer Frankfurter so macht, die über Gedichte schreiben lässt. Er will von den Gedichten schreiben, auch von ihm aus, aber vor allem von den Gedichten aus.
Noch sind sie unterwegs. Es sind die Gedichte seit hütet die Bilder der Liebe. Das Datum steht bei ihnen, das ist ihre Wirklichkeit. Noch sind sie kein Gedichtband, nicht redigiert, nicht ausgewählt, nicht alles ist gut genug für die Lyrik, die sich zeigen will. Tagebuch der Gedichte. Kein Tagebuch des Autors. Er folgt den Gedichten. Am Ende der Reihe vielleicht kommt es zusammen, das Gedicht und der Blick aus ihm heraus auf es. Jetzt, zu Beginn, ist Zeit vergangen, viele Monate zumindest, was war genau, woran kannst du dich erinnern, du Nichterinnerer, du Schlechterinnerer, du Liedtextvergesser. Das also hast du geschrieben, immer wieder Überraschung, dann die Anfühlung, die Einfühlung, es kam von ihm, oder, vielleicht so, er fand es, er hielt es an, er schrieb es auf.
Keine Interpretation, keine Poetologie. Wie sollte das auch gelingen. Er ist Soziologe, kein Germanist, kein Literaturwissenschaftler, was immer er von Rhythmen weiß, von Reimstrukturen, vom europäischen Sonett, ist Schulerinnerung und angelesen, nachgelesen, aus Neugier, nicht wissenschaftlich durchdrungen. Er steht vor dem Gedicht wie alle Laien, ein Bürger, der liest, ein Jedermann. Dolly Parton hat dreitausend Songs geschrieben, las er, er kannte sie nicht, er kennt keinen davon, ohne Noten zu kennen. So vielleicht schreibt auch er. So klingen sie, sagen die Spötter, oder sie schwiegen, wie fast immer über Gedichte geschwiegen wird, mit wem hat er wirklich über sie gesprochen, wer las sie so, dass sie wirken konnten.
Was verbirgt sich im Wort. Auch keine Etymologie, keine Semiotik. Sie sind oft aufschließend, erhellend. Onomatologie, auch die Namenskunde, das Wort als Wunderkammer. Überhaupt keine Wissenschaft auf diesen Seiten. Nur Literatur. Nicht über die Sprache. Aus der Sprache, aus den Worten. Das ist der Plan.
Natürlich könnte er mit den Worten spielen. Das Ich ist eine Frau. So machte es jüngst Navid Kermani. Alles bleibt Ich, nur das Geschlecht wechselt. Die Weltsicht wechselt. Szenen werden freilich auch wechseln müssen. Als Mann kommt man nicht hin, wohin Frauen kommen. Wir verzichten auf das Spiel. Er könnte dich ansprechen. Direkt und du. Leserin. Leser. Das wiederum hat er probiert. Noch ist unklar, ob es hilft. Vielleicht passt es einmal auf diesen Seiten. Keine Marotte. Keine Fliege in Worten, oder Baseballkappe, oder rosa Sneaker. Du wirst sagen, was für ein langer Disclaimer. Was es alles nicht ist. Was du alles willst und dann doch nicht. Fange einfach an. Nimm dein Ich zurück. Schaue auf ihn, der sie schrieb, auf die Gedichte, die wir lesen.
Corona lässt sich steigern
nicht nur Krone
Dornenkrone
jetzt die Krönung
Westminster Abbey
das interessiert mich nicht
denken viele schreiben es
mich aber interessiert es
Anglikanische Kirche
oben ein Erzbischof kein Papst
er soll mit dem neuen König
im Bunde sein ein Mann von Welt
heißt es in der Ölindustrie war er
bevor er sich berufen sah
von Gott von dem Gott ihn ihm
wer weiß das genau
Katholische Pracht
Würde auch vor allem sie
die Lust an der Form am Symbol
nichts ohne Zufall
nur das Lächeln da und dann
die kleinen Fehler im Ritual
wir sind Menschen sagen sie
wir brauchen die Form
Die Salbung hinter den Paravants
Öl aus Jerusalem vegan heißt es
der König macht sich bloß
damit er es wird kein Sakrament
und doch eines Zadok the Priest
Händel schrieb es dafür
der König als Priester wie wir alle
im Priestertum der Gläubigen
Die Kirche küsst den Staat
das macht uns grimmig
wenn er böse ist erobert mordet
es macht uns froh
wenn er achtet jeden nach ihrer Art
wie wir glauben lieben wie wir
uns kleiden in weißen Gewändern
singen acht von uns den Gospel
Auch die Queen wird gekrönt
das Drama der Familie die tote Mutter
der Knecht fuhr sie betrunken zum Pfeiler
die Dritte und das Tampon wie sie
lachten und giftig waren einer aber
liebte weiter und liebte die Natur
und die feine Welt der Geister
jetzt tragen sie Kronen
8-5-2023
Das erste Gedicht nach hütet die Bilder der Liebe. Was ist das denn, wunderten sich die ersten Leserinnen. Was für ein uninteressantes Thema. Was interessieren dich Pomp and Circumstances. Oder das Katholische und sein Abfall, die Kirche von England.
Ein einsames Gedicht. Es entstand einsam, schon vor dem Fernseher begann die Idee. Niemand der Nahen interessierte sich für die Krönung von Charles und Camilla. Das Gedicht stieß auf allgemeines Desinteresse. Er sandte es im Übermut an einige Redaktionen, das hatte er noch nie gemacht. Es könnte doch auch öffentliche Gedichte geben, irgendwie auch politische. Der englische Hof hat seinen eigenen Hofdichter, noch immer, einen Poet Laureate, für zehn Jahre. Auch Deutschland hat Stadtschreiberinnen und Stadtschreiber, aber keine Landschreiber oder Nationschreiber. Wer sollte sie auswählen. So viel Streit im Land.
Der Mut hat sich halb ausgezahlt. Die meisten Redaktionen, es waren nur drei, also zwei, reagierten nicht. Eine reagierte. Der Sender, den er immer hört, wenn er dort ist, wo er wohnt. Der Gedichtredakteur war nicht begeistert, nicht schlecht schrieb er, aber wir brauchen Champions League, so etwa, wir senden ein Gedicht am Tag, das muss sitzen. Das Krönungsgedicht sitzt also nicht. Der neueste Band der Gedichte gefiel ihm auch nicht. Dann noch einer, Erste Gedichte, ein Sammelband der ersten fünf Bände. Da fand er eines, das ihn ansprach. Es wird professionell eingesprochen und gesendet. Ich teile Ihnen das Sendedatum mit, schrieb er. Immerhin ein Gedicht von knapp fünfhundert. Man darf nicht eitel sein als Lyrikautor.
Warum beschäftigte ihn die Krönung. Im Grunde steht alles im Gedicht. Die Form, das Ritual, zieht ihn an, wenn sie stimmt, wenn die Werte stimmen, für die Rituale die Form sind. Charles und Camilla bemühten sich. Diversität. Fröhlichkeit. Aber auch Verantwortung. Demut. Die meisten Nahen finden Rituale nicht nötig. Bachelorurkunden, Masterurkunden werden mit der Post versandt. Allein das Kolloquium einer Promotion hat etwas Würde, wenngleich man sehr großzügig sein muss. Die Kirchen hüten die Form, sie tun sich schwer, aber sie versuchen es, Weihrauch, Messe, Gebete. Eine Feier der Verdichtung war die Krönung, rituell eine Fusion von Katholizismus und Protestantismus, im Grunde gut. Aber wer versteht das heute noch.
Auch hier das kleine Leben
die Wohnung der Arbeit
so wenige Tage im Jahr
schön schien sie ihm
die Künstlerwohnung sagte er
niemand teilte sie ein Spiegel
der leeren Seele er wird sie
verlassen niemand wird sie
vermissen sie beide
8-5-2023
Das ist ja ein melancholisches Etwas, längst vergessen und doch kein halbes Jahr alt. Es geht um die Wohnung in Jena. Nicht zu viel Nebel. Als es ihm einfiel, waren es noch knapp zweieinhalb Jahre bis zum Ende der Jenaer Zeit. Pension. Abschied. Die meisten freuen sich. Endlich Freiheit. Freizeit. Was auch immer.