Worüber wird in der Pädagogik publiziert? Welche Themen bleiben ausgespart? - Bernd Ahrbeck - E-Book

Worüber wird in der Pädagogik publiziert? Welche Themen bleiben ausgespart? E-Book

Bernd Ahrbeck

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Beschreibung

Der Beitrag geht von der Hypothese aus, dass Eingriffe in die Wissenschafts- und Publikationsfreiheit weniger durch direkte staatliche Eingriffe erfolgen, sondern häufig aufgrund moralgeleiteter Vorgaben und Leitbilder, die aus den wissenschaftlichen Institutionen selbst stammen.

Untersucht wurden die Jahrgänge 2017 bis 2022 von vier führenden Fachzeitschriften aus der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft und Sozialen Arbeit: zum einen die „Zeitschrift für Pädagogik“ und die „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“, zum anderen die „neue praxis“ und die „Soziale Arbeit“. Die Hypothese wird exemplarisch an zwei Themenfeldern überprüft: Worüber wird in der Pädagogik zu den Themen Migration und Transgender publiziert? Welche Aspekte dieser Themen bleiben ausgespart?

Der Beitrag plädiert für ein formales, abwehrrechtliches Verständnis von Publikationsfreiheit. Entscheidend sei eine Haltung der Unvoreingenommenheit, die divergente Positionen im Diskurs zu klären sucht, indem zunächst das Selbstverständnis der anderen wahrgenommen und anerkannt wird.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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[11]

Jahrbuch Wissenschaftsfreiheit, 1 (2024): 11 – 36https://doi.org/10.3790/jwf.2024.1431001

Aufsätze

Worüber wird in der Pädagogik publiziert? Welche Themen bleiben ausgespart?

Eine Auswertung von vier Fachzeitschriften

Von Bernd Ahrbeck*, Marion Felder**, Axel Bernd Kunze***und Tobias Reichardt****

„Die Gesellschaft ändert sich gravierend, in einer Geschwindigkeit und Richtung, die noch vor einem Jahrzehnt kaum vorstellbar war. Grundfeste der bürgerlichen Ordnung werden infrage gestellt: Nicht nur punktuell, wie es im Laufe der Zeit immer wieder und teils mit erfrischender Wirkung geschah. Nunmehr kumulieren einzelne, ursprünglich separierte Anliegen zu einer Bewegung, die sich machtvoll in Szene setzt und zunehmend an Einfluss gewinnt. Sie strebt einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel an, ein neues kulturelles Selbstverständnis, das mit dem bisherigen an entscheidenden Stellen bricht“ (Ahrbeck 2022, S. 7).

Eine solche Zeitdiagnose äußert sich sehr praktisch in einem moralischen Druck, dem sich kaum noch jemand entziehen kann, der in politiknahen, wissenschaftlichen oder pädagogischen Berufen tätig ist. Der vorliegende Beitrag will dieser Hypothese anhand zweier exemplarischer Themenfelder durch eine Zeitschriftenanalyse nachgehen. Gefragt werden soll, wie in Fachzeitschriften der Erziehungswissenschaft und Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik) in den vergangenen Jahren die Themen Migration und (Trans-)Gender behandelt worden sind. Vorgeschaltet sind einige grundlegende Überlegungen zur wissenschafts- und bildungsethischen Bedeutung der Freiheit von Forschung und Lehre.

[12]

„Vorwürfe von Benachteiligung und Unmenschlichkeit, stehen allgegenwärtig im Raum, pauschale Anklagen, die sich dem Abgleich mit der Realität nur selten stellen“ (Ahrbeck 2022, S. 12) – so umschreibt Ahrbeck im Weiteren die Situation, der sich Wissenschaftler immer häufiger gegenübersehen. Abweichende wissenschaftliche Positionen würden in einem solchen Diskurs- und Forschungsklima zunehmend moralisch stigmatisiert. Differenzen sollen nicht mehr im argumentativen Ringen und im wissenschaftlichen Streit ausgetragen werden. Sie würden vielfach mit Boykott, Bashing, Mobbing oder Gewalt von vornherein aus der wissenschaftlichen Arena ausgeschlossen.

Weitere Strategien lassen sich benennen: Administrative oder politische Vorgaben aus Wissenschaftsministerien und Rektoraten greifen immer häufiger in die Wissenschaftsfreiheit des einzelnen Forschers ein. Problematische Inhalte sollen durch Warnhinweise gekennzeichnet, Seminarinhalte oder Literaturlisten quotiert, missliebige Zeitschriften aus Bibliotheken entfernt werden. Mitunter sind es ganze Fachgesellschaften, die Zensurmaßnahmen gegen missliebige Positionen oder Medien ergreifen (vgl. Kunze i. Dr.).

Eine „Cancel culture“ oder Löschkultur, die sich an amerikanischen und angelsächsischen Hochschulen immer stärker ausbreitet, kann mittlerweile auch in Deutschland nicht mehr geleugnet werden, erklärte der Deutsche Hochschulverband 2019 in einer Resolution:

„Die Toleranz gegenüber anderen Meinungen sinkt. Das hat auch Auswirkungen auf die Debattenkultur an Universitäten. Die insbesondere im anglo-amerikanischen Hochschulraum zu beobachtende Entwicklung, niemandem eine Ansicht zuzumuten, die als unangemessen empfunden werden könnte, verbreitet sich auch in Deutschland. Im Streben nach Rücksichtnahme auf weniger privilegiert scheinende gesellschaftliche Gruppierungen fordern einige Akteure das strikte Einhalten von ‚Political Correctness‘. Sie beanspruchen aber zugleich die Definitionshoheit darüber, was eine Grenzüberschreitung ist“ (Deutscher Hochschulverband 2019).

Wo der freie, plurale, ergebnisoffene, streitbare wissenschaftliche Diskurs, das freie Lehren, Forschen und Publizieren unterbunden werden, ist die Freiheit der Wissenschaft – und damit ein zentrales Grundrecht – in Gefahr. Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit begründet den Impuls, der zu seiner Entstehung geführt hat, im Gründungsmanifest folgendermaßen:

„Wir beobachten, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll. Wir müssen vermehrt Versuche zur Kenntnis nehmen, der Freiheit von Forschung und Lehre wissenschaftsfremde Grenzen schon im Vorfeld der Schranken des geltenden Rechts zu setzen. Einzelne beanspruchen vor dem Hintergrund ihrer Weltanschauung und ihrer politischen Ziele, festlegen zu können, welche Fragestellungen, Themen und Argumente verwerflich sind. Damit wird der Versuch unternommen, Forschung und Lehre weltanschaulich zu normieren und politisch zu [13] instrumentalisieren. Wer nicht mitspielt, muss damit rechnen, diskreditiert zu werden. Auf diese Weise wird ein Konformitätsdruck erzeugt, der immer häufiger dazu führt, wissenschaftliche Debatten im Keim zu ersticken“ (Netzwerk Wissenschaftsfreiheit 2021).

I. Grundrechtlicher und wissenschaftsethischer Rahmen

Die Freiheit von Forschung und Lehre ist durch Art. 5 Abs. 3 GG gesichert. Dieser Absatz schützt als subjektives Freiheitsrecht den Freiraum des einzelnen Wissenschaftlers, auch der nicht institutionell tätigen, dann aber auch das Selbstverwaltungsrecht der wissenschaftlichen Hochschulen. Ferner setzt der Artikel die staatliche Gewährleistung funktionsfähiger Hochschulen im Kulturstaat voraus.

Wissenschaftler haben die Rechte ihrer Studenten zu achten, gleichfalls können sie ihren akademischen Aufgaben aber auch nur dann nachkommen, wenn sie die ihnen selbst zustehenden Rechte geachtet sehen. Diese betreffen vor allem die Freiheit von Forschung und Lehre und das Recht auf freie Meinungsäußerung, welche durch die eingangs beschriebenen kulturellen Veränderungen in Gesellschaft und Hochschulen zunehmend bedroht werden. Eine wichtige Rolle bei Sicherung und Ausübung akademischer Freiheit spielt das Recht, sich in wissenschaftlichen Vereinigungen frei zu vergemeinschaften und die eigenen Gedanken frei von Einflussnahme Dritter zu veröffentlichen. Allerdings dürfen akademische Vereinigungen oder auch wissenschaftliche Medien sich nicht selbst in gesellschaftliche Kollektive wandeln, welche – jenseits von staatlicher Steuerung – wiederum die Freiheit des einzelnen Wissenschaftlers bedrohen.

Die verschiedenen Rechte, die für die Ausübung einer wissenschaftlichen Tätigkeit von zentraler Bedeutung sind, besitzen interaktiven Charakter. Denn institutionelle Bildungsprozesse gründen auf einer pädagogischen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden oder auf der Beziehung zwischen Autoren, Redaktionen, Herausgebern und Verlagen. Diese Beziehungen müssen (wie überall dort, wo Menschen fruchtbar zusammenarbeiten oder kooperieren wollen) im Interesse gelingender Interaktion sachlich und sittlich gestaltet werden: eine Aufgabe, die ein geregeltes, akademisch angemessenes Miteinander der verschiedenen am pädagogischen Prozess beteiligten Akteure sowie deren Möglichkeit zur Mitbestimmung voraussetzt.