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Dieses Buch lädt ein zu einer Begegnung von biblischen Geschichten und Märchenerzählungen. Es verzichtet auf Interpretationen und lässt die Geschichten selber sprechen. Je eine biblische Erzählung und ein Märchen kreisen um ein Thema, das unser Leben ausmacht: Freundschaft, Liebe, Heilung, Hilfe in der Not, Träume, Fügungen, Authentizität, der Erdengarten u.a.m. Diese Geschichten öffnen uns den Blick für die Wunder und Schätze unseres eigenen Lebens. Dieses Wunderbuch setzt keine Naturgesetze außer Kraft, sondern lädt ein zum Staunen und Danken, zur Herzensweisheit und zum Vertrauen. "Gott wird uns schon helfen!" sagt die Märchenfigur Hänsel in dem bekannten Grimm'schen Märchen. In solchem Zutrauen möge noch manches Wunder unser Leben bewahren und bereichern! Nicht zuletzt ist dies ein Buch, das Mut macht, den Weg für sich und für das Wohl aller aufrichtig und mutig zu gehen.
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Seitenzahl: 172
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Wunderin Bibel und Märchen
Eine Begegnung
Jürgen Wagner und Heidi Christa Heim
Impressum
Copyright 2024 Jürgen Wagner
und Heidi Christa Heim
Druck und Verlag: epubli
GmbH, Berlin, www.epubli.de
Titelbild: EvgeniT - Pixabay
Vorwort
Auswahl der biblischen Geschichten und Märchen
1. Aufrichtig und authentisch
Salomos Traum
Soniri, der Thronfolger
2. Fügungen des Lebens
Tobias und der Engel
Die verwundete Prinzessin
3. Das Leben annehmen
Hiob
Headley Cow
4. Die Kraft der Liebe
Jesus und die stadtbekannte Sünderin
Der schwarze Stier von Norroway
5. Vom Wunder der Heilung
Elisa heilt einen syrischen Soldaten
Der Zauberstein Revessada
6. Der unerwartete Fund
Saul, der die Eselinnen suchte und ein Königreich fand
Goldener
7. Berufen
Ein junger Hirte soll König werden: David
Die Frau, die auszog, ihren Mann zu erlösen
8. Vom Wunder der Freundschaft
David und Jonathan
Leila und Keila
9. Die große Flut
Die Arche Noah
Die großen Wasser
10. Der wundersame Fisch
Jona und der Walfisch
Der goldene Karpfen
11. Gott wird uns schon helfen!
Das Volk in der Wüste
Hänsel und Gretel
12. Wunderbar versorgt
Die Witwe aus Sarepta
Frau Holle im Sturm
13. Dennoch vertrauen
Daniel in der Löwengrube
Das Glück des Holzfällers
14. Der zukunftsweisende Traum
Josef, der Träumer
Der große Stern verneigt sich vor dem kleinen
15. Paradiesisch!
Der Garten Eden
Der Tschonguri-Spieler
Der Zaubergarten
16. Die wandelnde Kraft der Liebe
Vom Betrüger zum Wohltäter – Zachäus
Hans, mein Igel
17. Behütet werden
Maria und der Engel
Der gemeinsame Weg
18. Die Wunder der Alten
Abraham unter dem Sternenhimmel
Die Glücksblume
Nachwort
Anhang
Für den aufgeklärten, wissenschaftlich denkenden und technisch versierten Menschen scheint es keine Wunder mehr zu geben. Alles hat seine Ursachen und ist im Prinzip erklärbar. Da bleibt kein Platz für Irrationales und Wunderhaftes. Ein Sternenhimmel ist eine Ansammlung von Sonnen, Planeten und Kometen. Schön anzusehen, aber durchschaubar. - Für künstlerische, religiöse und nicht durchrationalisierte Menschen ist die Welt nach wie vor ein wundersamer Ort voller Überraschungen, Schönheiten, Unfassbarem. Solche können fast stundenlang unter einem klaren gestirnten Himmel stehen und staunen. Auf welche Seite soll man sich da begeben? Müssen wir uns da gegen den Verstand und für das Gefühl entscheiden, wenn wir lebendig bleiben wollen? Oder gibt es eine Möglichkeit, beides zu leben?
Ja: man kann den Nachthimmel naturwissen-schaftlich betrachten – u n d in seiner Pracht und Schönheit. Man kann die Gesetze kennen – und dennoch nicht genug bewundern, dass es überhaupt eine Ordnung gibt. Wenn am Anfang tatsächlich eine Explosion stand: was wäre einfacher, als dass alles auseinander strebt und sich verliert? Stattdessen ergaben sich Verbindungen, Konjunktionen, Systeme.
Auch unser Alltag bestimmt sich von daher, wie wir ihn angehen. Regnet es am Morgen, ist es für manche ein „Sauwetter“. Damit ist die Sache schon erledigt und kein Platz mehr für Wunder, für Segen oder für Kreativität. Man kann den Regen aber auch als Wohltat für das Land, die Wälder und das Wachstum ansehen. Man kann den Regentropfen zuhören oder einen Gang durch einen aufatmenden Wald machen. Man kann ein Dankgebet sprechen, einen Tanz aufführen oder schlicht die Zeit nutzen, etwas im Hause zu erledigen oder ein Buch zu lesen. Das Leben i s t wundervoll mit allem Drum und Dran, wenn wir es so sehen und nehmen können. Dann können wir es auch gestalten. Das Leben ist grau, wenn wir es nicht annehmen können oder nichts tun. Wenn wir auf das sehen, was wir gerade nicht haben, z.B. Sonnenschein und Trockenheit, dann versäumen wir die andere Seite des Lebens, die genauso wichtig ist: ohne Regen gibt es kein Wachstum, keine Fruchtbarkeit, keine Ernte, kein Essen. Das gilt auch für die technischen und künstlichen Dinge: es kommt auf unsere Sicht an, ob wir ein Auto als Wunderwerk der Technik und Ergebnis von viel Erfindungsreichtum und Arbeit betrachten - oder als bloßen Gebrauchsgegenstand.
Wissenschaft und Technik haben vieles erschaffen, was sich nicht mal die Götter hätten ausdenken können: das World Wide Web z.B. oder die Elektrizität, das Fernsehen, die Atomphysik, die Biomedizin u.a.m. Weil wir so kreativ geworden sind, scheint unsere heutige Welt so weit entfernt zu sein von der Welt früherer Generationen, aber wir Menschen sind weithin immer noch dieselben: nur etwas mächtiger und etwas gefährdeter, etwas sozialer und etwas zerstörerischer, etwas schneller und etwas ruheloser.
Biblische Geschichten wie auch die Märchen wurzeln im mythisch-magischen Bewusstsein und letztlich im schamanisch-animistischen Zeitalter. Da ist der Glaube, dass alles beseelt ist und der Geist alles durchdringt. Da sprechen Tiere, zaubern Hexen, wirken Götter, hausen Drachen, wohnen Riesen, suchen Menschen nach Heilung, Befreiung, Liebe, Glück und Heil.
Heute sehen wir, dass Geist und Seele nicht etwas sind, was einfach so da ist, sie werden vielmehr errungen und erkämpft, oft erzwungen und erlitten. Sie stehen am Ende der Entwicklung, nicht am Anfang. Am Anfang war nicht das Wort und auch nicht der Geist, eher das Zerbrechen der Schale eines Eies, eine Geburt, eine Explosion. So können wir nachvollziehen, warum das Universum expandiert.
So ist es auch in der menschlichen Entwicklung: weise und lebensklug ist man am Ende, am Anfang ist man unbewusst, neugierig und suchend. Deshalb ist es sehr stimmig, wenn Märchen und biblische Geschichten Kindern erzählt werden, denn diese entstammen einer frühen Entwicklungsstufe der Menschheit. Doch können ihre Botschaften genauso auch für Erwachsene lebendig werden, wenn wir uns auf ihre Bilder, Symbole und Weisungen einlassen. Sie bergen den kollektiven Erfahrungsschatz der Menschheit, der uns in Krisen helfen kann. Er ist nicht abgeschlossen und erweitert sich naturgemäß stets. Mögen die von uns gesammelten und vorgestellten Wundergeschichten dazu beitragen, die Schätze unserer Vorfahren zu entdecken und zu bewahren, aber auch offen zu bleiben für Neues. Mögen sie helfen, unser Leben mit offenen Sinnen, klarem Verstand und ganzem Herzen anzunehmen und anzugehen!
Biblische wie Märchen-Geschichten sprechen in Bildern, d.h. sie sprechen die Sprache der Seele. Sie können es, weil sie beide Menschheitserfahrung und Weisheit vermitteln, die besonders in kritischen Situationen wichtig werden, aber auch generelle Maßstäbe des Verhaltens vermitteln: Güte, Gerechtigkeit, Geben und Nehmen, mutig sein, einen Rat annehmen usf.
Märchen vermitteln keine Glaubenswahrheiten, sie setzen die Mythen einer Kultur immer schon voraus, greifen Motive und Redewendungen auf und bringen das Himmlische auf den Boden. Da heißt es nicht: ‚und Gott sprach‘, sondern: da war ein Alter am Weg, der sprach ihn an. Die Märchen schildern es so, wie wir es auch erleben: wir hören keine Stimmen von oben oder aus einer Transzendenz, wir hören sie entweder von Mitmenschen, aus unserem Inneren oder es ist eine Situation, die uns etwas deutlich macht. So helfen uns die Volksmärchen, die Mysterien des Lebens einfach anzunehmen, ohne ein riesiges Gebäude an Erklärungen, seien sie wissenschaftlich oder religiös, darüber zu bauen.
Wir haben hier je eine biblische Geschichte einem Volksmärchen bzw. einer Sage unter einem besonderen Gesichtspunkt gegenübergestellt. Wir verzichten auf Interpretationen, so dass der Leser selbst seine Entdeckungen machen kann. Es ist eine spannende Lektüre, wenn man bei zwei so unterschiedlichen Erzählungen merkt, wie sie doch zentrale Anliegen teilen. Auch wenn das Märchen nicht von Gott spricht und alles auf einer Ebene erzählt, sind die Mysterien gut bei ihm aufbewahrt, gerade dadurch, dass es viele Dinge n i c h t ausspricht (JW).
1. AUFRICHTIG UND AUTHENTISCH
Salomo, der Sohn von David und Bathseba, hatte eine Tochter des Pharaos geheiratet. Frisch vermählt brachte er in Gibeon ein Dankopfer dar und blieb dort über Nacht. Da hatte er einen ganz besonderen Traum. Die Gottheit sprach zu ihm: „Erbitte von mir, was du willst!“ Salomo antwortete: „Schon meinem Vater David hast du sehr viel Gutes getan, weil er dir treu gewesen ist. Und über seinen Tod hinaus soll ich das Königtum weiterführen. Ich aber bin noch jung und unerfahren. Ich weiß nicht, wie ich diese große Aufgabe bewältigen soll. Darum bitte ich dich: Gib mir ein Herz, das auf dich hört, damit ich dein Volk richtig führen und zwischen Recht und Unrecht unterscheiden kann. Denn wie könnte ich sonst ein so großes Volk gerecht regieren?“ Es gefiel dem Herrn, dass Salomo gerade eine solche Bitte ausgesprochen hatte. Darum wurde ihm geantwortet: „Ich freue mich, dass du dir nicht ein langes Leben gewünscht hast, auch nicht Reichtum oder den Tod deiner Feinde. Du hast mich um Weisheit gebeten, weil du ein guter Richter sein willst. Du sollst bekommen, was du dir wünschst! Aber ich will dir auch das geben, worum du nicht gebeten hast: Reichtum und Macht. Solange du lebst, soll kein König so weise und groß sein wie du. Wenn du den Weisungen gehorchst, dann werde ich dir auch ein langes Leben schenken.“ Da erwachte Salomo und merkte, dass er geträumt hatte. Am nächsten Morgen ging er nach Jerusalem zurück. Dort trat er vor die Bundeslade des Herrn und brachte Brand- und Friedensopfer dar. Danach lud er seinen ganzen Hofstaat zu einem Festessen ein. Und es kam, wie es ihm verheißen wurde: Salomo wurde ein weiser und gerechter Herrscher. Er trat in freundschaftliche Beziehungen zu den Nachbarländern, trieb Handel, baute Städte aus, hielt sich ein riesiges Gestüt, hatte viele Frauen und errichtete der Gottheit in Jerusalem den ersten Tempel (1.Könige 3).
Es war einmal ein weiser, alter König, der sein Reich gerecht regierte. Seine Untertanen lebten in Ruhe und hatten ihr Auskommen. Den König aber quälten düstere Gedanken. Er hatte keine Kinder - wem sollte er das Reich vererben? "Nehmt doch einen klugen Jungen aus dem Volk an und erzieht ihn als euren Nachfolger!", empfahlen seine Ratgeber. Der König aber zögerte: „Wie kann ich denn erkennen, welches Kind geeignet ist? Mein Nachfolger muss weise und gerecht sein, vor allem aber wahrheitsliebend!“
Der König überlegte so lange, bis er eine Lösung wusste. Er rief die Kinder aus der ganzen Umgebung zu sich und gab jedem Knaben und jedem Mädchen einige Samen in die Hand. Er sprach: "Legt diese Samen in einen Blumentopf und betreut sie gut. Wer von euch die schönste Blume züchtet, den will ich als Sohn oder Tochter annehmen." Die Kinder liefen mit den Samen nach Hause. Sie verschafften sich Blumentöpfe und gute Erde, säten die Samen und betreuten sie. Und jedes Kind sah sich schon als Prinz oder Prinzessin im königlichen Palast.
Auch Soniri, einer der Knaben, wollte sich nicht beschämen lassen. Er nahm einen großen Blumentopf, legte vorsichtig die Samen in die Erde und begoss sie morgens und abends. Er widmete dem Blumentopf seine ganze Zeit und sein ganzes Herz. Er wartete ungeduldig auf die ersten zarten Blättchen - aber vergebens. Es vergingen eine Woche und noch viele Tage - in seinem Blumentopf aber zeigte sich keine Veränderung. Soniri weinte und fragte die Mutter um Rat. Er versuchte die Samen umzutopfen, aber es half nichts: Sie wollten und wollten nicht aufgehen.
Endlich kam der Tag, an dem der König die Blumen besichtigen wollte. Schon im Morgengrauen hatten sich die vielen Kinder auf der Straße vor dem Palast versammelt. Sie waren alle festlich gekleidet und umklammerten ihre Blumentöpfe. Auch viel Volk hatte sich eingefunden und alle warteten nun gespannt darauf, welche Blume in den Augen des Königs die schönste sein würde. Zum Klang der Trommeln und Pfeifen bahnte die königliche Wache den Würdenträgern den Weg. An der Spitze schritt der König und besichtigte aufmerksam jeden einzelnen Blumentopf. Beide Seiten der Straße waren mit wunderschönen Blumen gesäumt. Rosa Azaleen, scharlachroter Mohn, blaue Glockenblumen, die großen Kugeln der Pfingstrosen, feuerfarbene Lilien, Maiglöckchen weiß wie Perlen - es war ein einzigartiger Anblick! Doch auf dem Antlitz des alten Königs breitete sich eine immer größere Enttäuschung aus. Teilnahmslos sah er die schönsten Blumen und die kleinen Gärtner an. Und die Sorgenfalten auf seiner Stirn wurden immer tiefer.
Auf einmal fesselte aber etwas seinen Blick. Ganz am Ende der Straße saß ein kleiner Junge und weinte. Auf dem Schoß hielt er einen großen Blumentopf, in dem sich nichts als Erde befand. "Führt diesen Jungen zu mir!", befahl der König. Als man Soniri zu ihm brachte, fragte der König ihn streng: "Warum ist dein Blumentopf leer?" Da erzählte Soniri dem König, wie sehr er sich bemüht habe, aus den Samen eine Blume zu züchten. Aber alle Mühe sei umsonst gewesen - aus den seltenen Samen des Königs wollte nichts wachsen. Vielleicht sei das die Strafe dafür, dass er einmal im Garten des Nachbarn Äpfel gestohlen habe, schluchzte der Junge.
Bei der Antwort Soniris erhellte sich das Antlitz des Königs. Freudig zog er den Knaben an sich und sprach: "Im ganzen Königreich gibt es keinen aufrichtigeren Knaben als Soniri. Er allein verdient es, mein Sohn und Thronfolger zu werden!" Unter den versammelten Menschen erhoben sich unzufriedene Stimmen: "Weshalb wollt ihr einen Knaben als Sohn annehmen, der nur einen leeren Blumentopf hat?" "Hört mich an!", sprach da der König. "Alle Samen, die ich an die Kinder verteilte, habe ich vorher gekocht. Sie konnten also gar nicht aufgehen." Da verstanden die Leute die Absicht des weisen Königs und nickten zustimmend. Die Kinder mit den blühenden Blumen aber senkten die Augen und ihre Wangen brannten vor Scham. Freilich, auch bei ihnen waren die Samen nicht aufgegangen, aber aus Sehnsucht, Prinz oder Prinzessin zu werden, hatten sie zu einem Betrug Zuflucht genommen und insgeheim die unfruchtbaren Samen mit anderen vertauscht.
So kam Soniri als des Königs Nachfolger ins Schloss und nach dessen Tod wurde er König und regierte das Land ebenso gerecht und weise.
Koreanische Märchen, V. Pucek, 1992; Erzählfassung: H.C. Heim.
2. FÜGUNGEN DES LEBENS
Tobit lebte mit seiner Frau Hanna und seinem Sohn Tobias in Ninive. Sie gehörten zu den Familien, die einst im Krieg von den Assyrern in deren Land verschleppt worden waren. Sie waren eine gottesfürchtige Familie geblieben. Sie waren arm, denn Hanna musste mit ihrer Webarbeit den ganzen Unterhalt der Familie bestreiten. Tobit konnte nicht mehr arbeiten, er war blind geworden. Das ist so geschehen: ein Landsmann war in Ninive ermordet worden und lag auf dem Marktplatz. Niemand kümmerte sich um ihn, niemand wollte ihn bestatten. Alle fürchteten, dass sie dasselbe Schicksal ereilen könnte. Als Tobit das hörte, stand er auf, ging in die Stadt, nahm den Mann vom Platz und schaufelte für ihn ein Grab. Er hielt die Trauermahlzeit für ihn und abends legte er sich in den Hof seines Hauses schlafen. Er lag nahe an der Hofmauer, in der einige Spatzen nisteten. Er hatte sie nicht bemerkt. So fiel ihr Kot in der Nacht auf sein Gesicht und kam in seine Augen. Der Kot war so scharf, dass er nichts mehr sehen konnte und fortan blind war.
Zuerst nahm er sein Schicksal ganz gut an. Aber eines Tages fing er an, seiner Frau Vorwürfe zu machen, als sie ein Ziegenböcklein geschenkt bekam und es nach Hause brachte. Er glaubte, sie hätte es gestohlen. Da fing auch Hanna an, ihm Vorwürfe zu machen: „Das hast du nun von deinen guten Taten! Immer hast du anderen geholfen – und wer hilft jetzt dir? Du kannst jetzt gar nichts mehr. Ich muss ganz alleine die Arbeit machen und unser Geld verdienen. Hättest du doch den Toten da liegen gelassen, wo er war, dann wäre dir nichts geschehen!“ Tobit traf das hart. Er wurde so verzweifelt, dass er nicht mehr leben wollte. Er bat Gott um seinen Tod.
Seine Gebete wurden gehört. Aber die Antwort kam anders, als er das wollte. Eines Tages erinnerte sich Tobit daran, dass er einem Verwandten einmal eine größere Summe Geld geliehen hatte. Er rief seinen Sohn Tobias zu sich und sprach zu ihm: „Vor langer Zeit habe ich unserem Verwandten Gabaël in der Stadt Ekbatana eine größere Menge an Silber geliehen. Ich bitte dich, gehe zu ihm und bitte ihn, dir das Silber zurück zu geben. Und damit du nicht alleine gehen must, such dir einen zuverlässigen Reisebegleiter!“
Tobias verließ das Haus und suchte jemand, der den Weg kannte. Da traf er den jungen Asarja und fragte ihn, ob er mitkommen wolle. Der wusste den Weg, zögerte nicht lange, obwohl sie sich nicht kannten und sagte ‚ja‘. Sie verabschiedeten sich von Vater und Mutter, vereinbarten einen angemessenen Tageslohn für den Begleiter und bekamen noch etwas Reisproviant mit. Als sie das Haus verließen, kam ihr Hund hinter ihnen hergelaufen – da nahmen sie ihn auch mit.
Am ersten Abend schlugen sie ihr Nachtlager am Ufer des Tigris auf. Tobias ging zum Fluss hinunter und badete seine Füße. Da schnellte ein großer Fisch aus dem Wasser und schnappte nach seinem Fuß. Tobias schrie laut: „Asarja, hilf mir, der Fisch will mich fressen.“ Asarja beruhigte ihn und meint: „Greif zu und fang ihn!“ Tobias fasste Mut, packte den Fisch und warf ich an Land. „Schneide ihn auf“, sagte Asarja, „nimm Galle, Herz und Leber heraus und bewahre sie auf. Sie können uns als Heilmittel gute Dienste leisten!“
Am nächsten Tag überquerten sie die medische Grenze und näherten sich Ekbatana, der Stadt Raguëls. „Tobias, Bruder“, sagte Asarja zu seinem Begleiter, ich weiß, dass dein Verwandter eine Tochter hat mit Namen Sara. Sie ist klug und tüchtig und sehr schön und sie ist eine Frau aus unserem Volk. Sie wäre die rechte Braut für dich. Ich schlage vor, ich spreche heute Abend mit ihrem Vater und bitte für dich um ihre Hand“. Tobias erwiderte: „Oh Bruder, ich habe auch von ihr gehört. Im ganzen Dorf wird über sie geredet. Sie hatte schon sieben Ehemänner und alle starben in der Hochzeitsnacht. Es heißt, ein böser Geist habe sie getötet. „Hab keine Angst vor diesem Geist“, sagte Asarja, „nimm sie zur Frau! Du kannst keine bessere bekommen! Wenn du aber in ihr Brautgemach eintreten wirst, dann nimm ein Stück von der Fischleber und vom Fischherz und lege sie auf die Glut im Räuchergefäß. Wenn der Geruch dem Geist in die Nase steigt, wird er die Flucht ergreifen und nicht wieder zurückkehren.
Tobias hatte Vertrauen zu Asarja und stimmte allem zu. So geschah es denn auch. Sie wurden herzlich empfangen und gut bewirtet. Der Vater hörte sich alles an, dass sie das Geld brauchten und dass Tobias heiraten wolle. „ Ja, mein Sohn“, sagte er zu Tobias, „ du bist unser nächster Verwandter, dir steht die Braut als erstem zu. Ich will dir unsere Sara gerne geben. Du musst aber wissen, dass ich sie schon sieben Männern aus unserer Sippe gegeben habe und keiner die Hochzeitsnacht überlebt hat. Willst du sie dennoch heiraten?“ „Ja“, sagte Tobias. „Dann nimm sie als deine von Gott gegebene Frau. Gott stehe euch bei!“.
Der Ehevertrag wurde aufgesetzt. Es wurde gegessen und getrunken und das Brautgemach vorbereitet. Als es Schlafenszeit war, führten sie Tobias in das Brautgemach. Er dachte an die Worte seines Begleiters und legte Herz und Leber des Fisches auf die glühenden Kohlen. Sie beteten und legten sich dann gemeinsam schlafen.
Saras Vater aber traute der Sache nicht und ließ noch mitten in der Nacht vorsichtshalber ein Grab ausheben und nachsehen, ob sein Schwiegersohn noch lebe. Eine Dienerin schaute vorsichtig in das Schlafzimmer, da lagen beide in tiefem Schlaf beieinander. Die Dienerin eilte zurück und berichtete: „Er lebt! Es ist ihm nichts geschehen!“ Da sprachen Raguël und seine Frau ein Dankgebet und sie befahlen, das Grab wieder zuzuschütten.
Am nächsten Morgen wurde die Hochzeit vorbereitet. Es wurden zwei Rinder und vier Schafe geschlachtet und es wurde zwei Wochen lang gefeiert, weil der Fluch endlich durchbrochen war. Nach den Festlichkeiten gab Raguël Tobias die Hälfte seines Vermögens mit und das Silber, das er Tobit schuldete. Er gab ihnen seinen Segen auf die Reise und verabschiedete sich von seiner Tochter: „Sei glücklich, mein Kind! Ich hoffe, dass ich gute Nachrichten von dir bekomme, solange ich lebe.“
Tobit und Hanna machten sich Sorgen, denn ihr Sohn blieb länger fort als es eigentlich nötig wäre. Doch als die zwei Wochen vergangen waren und ihr Sohn mit seinem Begleiter und einer schönen jungen Frau dazu vor der Türe standen, waren sie überglücklich und empfingen sie herzlich. Asarja sagte zu Tobias: „Nun nimm die Galle des Fisches und streiche etwas davon auf die Augen deines Vaters. Tobias tat es. Seine weißen Flecken verschwanden. „Ich kann dich wieder sehen“, rief der Vater und fiel ihm um den Hals. „Jetzt kann ich in Frieden sterben. Gott sei gedankt und gepriesen!“. Nun feierten sie noch einmal: das wiedergewonnene Augenlicht und die Hochzeit von Tobias und Sara.