Erdbeeren im Winter - Jürgen Wagner - E-Book

Erdbeeren im Winter E-Book

Jürgen Wagner

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Beschreibung

Erdbeeren im Winter und Mandelbäume in unseren Breiten geben uns das Gefühl, fast im Paradies zu sein. Doch wenn das Klima sind wandelt, stehen größere Veränderungen an, die auch verheerende Auswirkungen haben. In früheren Zeiten hatten die Menschen auch schon mit bitterer Kälte und sengender Hitze zu kämpfen, mit Fluten und Dürren, Gewitter und Stürme. Die Erfahrungen sind in den Volkserzählungen aufbewahrt, die auch uns Heutigen helfen können, nicht in Ohnmacht und Resignation zu verfallen, sondern klimatische Härten zu überstehen und vor allem ordentlich hauszuhalten im Erdenhaus. Das Hollemärchen zeigt beispielhaft, dass die Natur ihren guten Gang geht, ohne – und mit uns. Wir dürfen allerdings im Haus von Mutter Natur Dienst tun. Was wir auf Erden nicht brauchen, sind Habgier, Hochmut und Trägheit. Engagement, Liebe und Mitgefühl hingegen tun das, was nötig ist – und helfen mit, die Aufgaben unserer Zeit zu meistern.

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Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2025

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ERDBEEREN IM WINTER

Vom WETTER und KLIMAin den Volksmärchen

Jürgen Wagner

Impressum

© 2025 Jürgen Wagner

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Titelbild: Arthur Rackham, Die drei Männlein im Walde, Ausschnitt (KHM 13)

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

I WETTER UND GÖTTER

Thor, Holle und Jahwe

Europäische und Biblische Tradition

Der heilige Jahreslauf

Von den 12 Monaten – ein slawisches Märchen

Wer ist schuld an der Misere?

Wer ist der Sünder? - ein Märchen aus China

Annehmen, was ist

Warum der Schäfer jedes Wetter liebt – eine Geschichte von Anthony de Mello

II DER WINTER

Der Winter im Volksmärchen

Wie man den Dingen begegnet, so begegnen sie einem

Die 12 Monate – ein Märchen aus Griechenland

Wie man den Winter bewältigen kann

Der alte Vater Frost und sein junger Sohn – ein Märchen aus Litauen

Erdbeeren im Winter?

Die drei kleinen Männer im Wald – ein Märchen aus Deutschland

Der Kuss der Schneefrau - von Liebe und Tod

Yuki-onna – ein Märchen aus Japan

„Mir ist warm, lieber Frost!“

Der Frost auf Brautschau – ein russisches Märchen

Manchmal braucht es etwas Magie

Der Zauberhut – ein Märchen der Inuit

Die unbarmherzigen Winterstürme

Der Wilde Jäger – eine norddeutsche Sage

III DAS FRÜHJAHR

Der Frühling im Volksmärchen - Das Märchen vom Machandelbaum

Der Zyklus des Lebens

Der Engel der vier Jahreszeiten – ein parsisches Märchen

Was uns den Himmel öffnet

Die Himmelsschlüssel – ein Märchen von Manfred Kyber

Wenn der Regen ausbleibt ...

Der Donnersohn – ein estnisches Märchen

IV DER SOMMER

Sommer und Sonne

Die beseelte Natur – Die Regentrude, Theodor Storm

Der Hitze begegnen

Die besiegte Mittagsfrau – ein sorbisches Märchen

Warum Sonne und Wolken sich streiten

Die Sonnenmutter – ein Märchen der Roma

In Dürrezeiten trägt jeder etwas bei

Der Hase im Reich der Tiere des Dschungels – ein Märchen aus Guinea

Heftig oder sanft?

Der Wettstreit zwischen Sonne und Wind – Nach einer Fabel von Äsop

Da zog ein schreckliches Gewitter auf

Die Prinzessin auf der Erbse – ein Märchen von Hans-Christian Andersen

Eine Märchenhommage an den Donnergott

Donner, Blitz und Wetter – ein Märchen aus Süddeutschland

V DER HERBST

Der Wind, der Wind, das himmlische Kind – Der Wind im Märchen

Die Sehnsucht nach Willkommen-sein und Gemeinschaft

Der König des Nebelberges – ein estnisches Märchen

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Der Geist Lakalak – ein Märchen aus Grönland

Den Flutopfern helfen?

Die Perle, die bei Nacht strahlt – ein Märchen aus China

Wer kümmert sich um den Schmutz?

Das große Wasser – ein Märchen aus China

Wenn Sonne, Wind und Nebel nicht stark genug sind

Wie die Maus eine Braut für ihren Sohn sucht – ein ossetisches Märchen

Windzauber

Die Gänsemagd – ein Märchen aus Deutschland

Wer es mit den Elementen aufnehmen will ...

Von dem Burschen, der zum Nordwind ging und sein Mehl zurückforderte – ein Märchen aus Norwegen

Der Zusammenhang von Mensch und Natur

Vom Fischer und seiner Frau – ein plattdeutsches Märchen

Unzufrieden mit dem Wetter

Der Bauer als Wettermacher – ein Märchen aus Süddeutschland

VII DAS STERBEN UND WIEDERERWACHEN DER NATUR

Du trägst Verantwortung

Der Zorn der Taiga – ein sibirisches Märchen

Nachwort

Weitere Märchen zum Thema

VORWORT

‚Erdbeeren im Winter‘ gab es seither nur in den Volksmärchen. In heutigen Zeiten des globalen Wandels könnte ‚Maruschka‘ (im Märchen von den 12 Monaten) sie winters heute leicht in jeder größeren Stadt bekommen. Unsere hochtechnisierte Zivilisation hat vieles möglich gemacht, was früher als reines Wunder gegolten hätte. Doch die Kehrseite dessen ist, dass wir mit unserem Konsum die Erde ausbeuten, verschmutzen und das klimatische Gleichgewicht stören.

Die Folgen dessen werden immer deutlicher. Da lohnt ein Blick in die Märchenweisheit, was sie zum Wetter weiß und dazu, was der Mensch beitragen kann, dass die Natur im Gleichgewicht bleibt. Frau Holle ist hierzulande die himmlische Gestalt, die in Märchen und Sagen die Natur verkörpert und das Wetter hervorbringt. Sie macht das ohne den Menschen - und mit ihm. Im Bild gesprochen: der Mensch darf im Erdenhaus mit wirtschaften und es in Ordnung halten. Das bringt ihm selbst reichen Lohn - und der Erde die Winterruhe unter dem Schnee und den Gang der Jahreszeiten. Haben wir Menschen jedoch eigensüchtige Pläne, eine träge Grundhaltung und wenig Durchhaltevermögen, dann wird da nicht nur wenig dabei heraus-kommen, es kann sogar sein, dass Habgier und Bequemlichkeit einen Kessel von Pech heraufbeschwören. Die Natur macht schon das ihre - kann man aus dem Märchen herauslesen – und der Mensch soll das Seine tun.

Das Wetter spielt nur in einigen Märchen eine explizite Rolle, aber gerade in diesen verbergen sich die Erfahrungen, die frühere Generationen mit klimatischen Herausforderungen machten. Sie waren den Härten der Natur ja noch viel mehr ausgesetzt als wir heute. Deshalb können wir wohl von ihnen lernen.

Wetterphänomene sind ambivalent – und so sind es auch die Figuren, die sie im Märchen repräsentieren. Die „Sonnenmutter“ ist gütig, aber kann auch „gar zu heiß“ und sogar tödlich werden für die Kleinen und Schwachen. Die Erde bekommt den lebensspendenden Regen, aber wird immer wieder auch verheerend geflutet. Die Schneefrau ist schön - und man kann in ihrer Kälte erfrieren. Der Wind, das „himmlische Kind“ (KHM 15), ist so spielerisch wie unberechenbar. Wir Menschen müssen, wie alle anderen Wesen auch, damit klarkommen. Und je weiter die Entwicklung heute voranschreitet, desto wichtiger wird es werden, dass wir uns anpassen und das erkennen, was uns vom Segen der Natur trennt: unser eigensüchtiger und ewig neugieriger Fortschrittswahn, unsere zivilisatorische Bequemlichkeit, unser überzogenes Anspruchsdenken, unsere Überheblichkeit und Ignoranz gegenüber den anderen Wesen und anderes mehr. Die Märchen sprechen eine naive Sprache, aber sie sind nicht naiv. Sie legen, wie z.B. die Geschichte „Vom Fischer und seiner Frau“ den Finger präzise auf die richtige Stelle: das immer mehr Haben-wollen und nie zufrieden sein mit dem, was man hat.

Die Volksmärchen sagen, wie man mit dem Wetter umgehen und wie man auch persönlich für sich seine Lehren daraus ziehen kann. Wer die 12 Monate, die durch junge Männer dargestellt werden, lieben und annehmen kann, der wird von ihnen beschenkt. Wer sich nur aufregt über das, was ein Monat nicht bietet, wird dagegen verlieren. Wer den Wilden Jäger respektiert und ihm standhält, hat vor den Winterstürmen nichts zu befürchten. Wer den Weg zur Regentrude kennt und sie mit den rechten Worten anruft, kann auch mal magische Erfahrungen machen.

Die Volksmärchen sind zeitgebunden, aber ihre Botschaften sind fast zeitlos. Sie stehen dafür ein, dass wir nicht ohnmächtig den Ereignissen ausgeliefert sind, sondern dass, wenn die Zeit gekommen ist, man aufbricht und seinen Weg geht, wenn es sein muss, bis ans Ende der Welt. Und wenn man bis an die Grenzen seiner Welt gegangen ist und unterwegs freundlich war und die Hilfe angenommen hat, die einem immer wieder zuteilwird, dann kann auch mal etwas Außerordentliches gelingen.

Gegliedert ist das Buch in die 4 Jahreszeiten, die nicht alle Länder der Erde haben, die es uns aber erlaubt, alle wichtigen Wetterphänomene darzustellen. Aus dem Mund der Märchen lassen wir Hitze und Dürre, Kälte und Frost, Wind und Nebel, Regen und Flut zu uns sprechen.

I WETTER UND GÖTTER

Heutzutage reden wir von Natur und Klima in wissenschaftlichen, analytischen Begriffen. Die Natur besteht aus chemischen Stoffen, Verbindungen und deren Gesetzen. Das Klima sind die dynamischen Prozesse der Erdatmosphäre. Früher sprach man etwas unwissender, aber liebevoller in Bildern und Geschichten. Beides hat seinen Platz und sein Recht. Die Mythen, Märchen und Sagen personalisieren gerne, wenn sie von den Kräften der Natur und des Geistes sprechen. Man hatte z.B. in Hessen und im Harz schöne, kräftige Sprachbilder von der Natur und dem Klima:

Wenn Nebelschwaden um das Meißner-Massiv ziehen, heißt es: FRAU HOLLE feuert ihren Ofen an und kocht. Färbt sich der Himmel über dem Meißner rot, ist Frau Holle am Backen; schneit es, schüttelt sie ihre Betten aus und es fliegen die Federn. Sie ist sehr ordentlich und hält auf guten Haushalt.

Regnet es eine ganze Woche am Brocken, so wäscht Frau Holle ihre Schleier aus. Nur am Sonntag muss das Wetter sonnig sein, da müssen die Schleier trocknen. Wolken sind die Schafe der Frau Holle, die auf die Weide getrieben werden. Kämmt sie aber ihre goldenen Locken, so scheint die Sonne.

Ursprünglich jedoch war es eine andere, mächtige Gottheit, die für Wetter und Gewitter, für Regen und Fruchtbarkeit stand: THOR/DONAR. Warf er seinen Hammer, so blitzte es am Himmel – und der Hammer kehrte wie ein Bumerang von selbst wieder zu ihm zurück. Zog er mit seinem Streitwagen, von Ziegen gezogen, über den Himmel, dann donnerte es. Deshalb nannte man ihn auch Donar, der Donnerer. Sein Hammer hieß Mjölnir, der ‚Zermalmer‘: wo dieser Gott zuschlug, war das Problem nicht länger existent. Doch Thor selbst war eine gütige Gestalt, die nicht unbedingt für Intelligenz, aber für Stärke und Kraft stand, der für Ordnung sorgte und für Fruchtbarkeit. Die Kräfte, welche die Ordnung ständig bedrohten, die wilden Naturgewalten, die ‚Riesen‘, waren seine Widersacher. Menschen, die seinen Hammer bei sich trug, standen unter seinem Schutz. Wenn nötig, zeigte er jedem, wo ‚der Hammer hängt‘.

Die biblische Tradition hat andere Bilder. Auch dort war man nicht unbedingt zimperlich und pries den Gott JAHWE, dessen Wort ‚wie Feuer‘ ist und ein ‚Hammer, der Felsen zerschlägt‘ (Jeremia 23/29). In Israel bewunderte man in der Natur das Kleid der Gottheit, im Wetter seine Diener und Boten.

Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel, du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt. Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser. Du nimmst dir die Wolken zum Wagen, du fährst einher auf den Flügeln des Windes. Du machst die Winde zu deinen Boten, zu deinen Dienern Feuer und Flamme (Psalm 104/2-4).

Du suchst das Land heim und wässerst es und machst es sehr reich. Du lässt ihr Getreide wohl geraten; denn also baust du das Land (Psalm 65/5).

Werdet ihr in meinen Satzungen wandeln und meine Gebote halten und tun, so will ich euch Regen geben zu seiner Zeit, und das Land soll sein Gewächs geben und die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen, und die Dreschzeit soll reichen bis zur Weinernte, und die Weinernte bis zur Zeit der Saat; und sollt Brots die Fülle haben und sollt sicher in eurem Lande wohnen. (3. Mose 26/3-5).

Und es sprach Elia, der Thisbiter zu König Ahab: So wahr Jahwe, der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe, es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn (1. Könige 17/1).

Jeder Monat im Jahr hat sein Eigenes, seine Gaben, sein Wetter, sein Magie. Das Märchen macht aus jedem eine Person, so dass es bewusster wird: wir können immer beschenkt werden, wenn wir einer Jahreszeit offen begegnen.

VON DEN ZWÖLF MONATEN

Es war eine Mutter, und die hatte zwei Töchter. Die eigene Tochter hatte sie sehr lieb, die Stieftochter konnte sie nicht einmal ansehen, weil Maruschka schöner war als Holena. Maruschka musste alle Arbeit verrichten: die Stube aufräumen, kochen, waschen, nähen, spinnen, weben, Gras zutragen und die Kuh allein besorgen. Holena putzte sich nur und ging müßig und wurde dabei immer garstiger. Die Mutter dachte: „Wozu sollt' ich die schöne Stieftochter im Hause leiden? Die Burschen werden auf Brautschau kommen Maruschka wird ihnen gefallen, Holena werden sie nicht haben wollen!“ Von diesem Augenblicke an suchten sie die arme Maruschka loszuwerden; sie quälten sie mit Hunger, sie schlugen sie, doch sie ertrug's geduldig und wurde von Tag zu Tag schöner.

Eines Tages – es war in der Mitte des Eismonats – wollte Holena Veilchen haben. „Geh', Maruschka, bring' mir aus dem Wald einen Strauß Veilchen!“ – „Ach Gott, liebe Schwester, Hab' nie gehört, dass unter dem Schnee Veilchen wüchsen!“ – „Du nichtsnutziges Ding, du Kröte! Du wagst mir zu widersprechen! Geh in den Wald und bringst Du keine Veilchen, so schlag' ich Dich tot!“ Und die Stiefmutter fasste Maruschka und stieß sie zum Haus hinaus.

Bitterlich weinend ging das Mädchen in den Wald. Der Schnee lag hoch, nirgend war eine Fußstapfe. Die Arme irrte lange umher. Hunger plagte sie. Kälte schüttelte sie. Da gewahrt sie in der Ferne ein Licht. Sie geht dem Glanze nach und kommt auf den Gipfel eines Berges. Dort brennt ein großes Feuer, um das Feuer liegen zwölf Steine, auf den Steinen sitzen zwölf Männer. Drei sind graubärtig, drei sind jünger, drei sind noch jünger, und die drei jüngsten sind die schönsten. Sie reden nichts, sie blicken still in das Feuer. Diese zwölf Männer waren die zwölf Monate. Der Eismonat saß obenan; der hatte Haare und Bart weiß wie Schnee und in der Hand hielt er einen Stab. Maruschka trat näher und bat: „Ihr guten Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme, die Kälte schüttelt mich!“ Der Eismonat nickte und fragte sie: „Was suchst Du hier, Mädchen?“ – „Ich suche Veilchen!“ – „Es ist jetzt nicht die Zeit der Veilchen!“ – „Ich weiß wohl, allein, bringe ich keine Veilchen, so schlagen sie mich tot. Bitte schön, Ihr Hirten, sagt mir, wo ich deren finde!“ Da erhob sich der Eismonat, schritt zu dem jüngsten Monat, gab ihm den Stab in die Hand, und sprach: „Bruder März, setz' Dich obenan!“ Der Monat März setzte sich obenan und schwang den Stab über dem Feuer. In diesem Augenblicke loderte es höher, der Schnee begann zu tauen, unter den Buchen grünte Gras und unter Gesträuch verborgen blühten Veilchen, so viele, als ob wer ein blaues Tuch ausgebreitet hätte. „Schnell, Maruschka, pflücke!“ gebot der März. Sie pflückte freudig, bis sie einen großen Strauß beisammen hatte. Dann dankte sie den Monaten und eilte froh nach Hause. Es wunderte sich Holena, es wunderte sich die Stiefmutter, als sie Maruschka sahen und der Duft der Veilchen ergoss sich durch die ganze Hütte. Holena roch an den Veilchen, ließ die Mutter riechen und steckte sie hinter den Gürtel. Maruschka aber sagten sie keinen Dank.

Des andern Tages gelüstete es Holena nach Erdbeeren. „Geh', Maruschka, bring' mir Erdbeeren aus dem Walde!“ – „Ach Gott, liebe Schwester, Hab' nie gehört, dass unter dem Schnee Erdbeeren wüchsen!“ – „Du nichtsnutziges Ding, du Kröte! Du wagst mir zu widersprechen! Geh in den Wald und bringst Du keine Erdbeeren, so schlag' ich Dich tot!“ Und die Stiefmutter fasste Maruschka und stieß sie zum Haus hinaus.

Bitterlich weinend ging das Mädchen in den Wald. Der Schnee lag hoch, nirgends war ein Fußstapfen. Die Arme irrte, irrte lange. Hunger plagte sie. Kälte schüttelte sie. Da gewahrt sie in der Ferne wieder dasselbe Feuer. Mit Freuden eilte sie darauf zu. „Ihr guten Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme, die Kälte schüttelt mich!“. Der Eismonat nickte und fragte: „Warum bist Du wieder gekommen, was suchst Du?“ – „Ich suche Erdbeeren.“ – „Es ist jetzt nicht an die Zeit der Erdbeeren!“ – „Ich weiß wohl, allein, bringe ich keine Erdbeeren, so schlagen sie mich tot.“ Der Eismonat erhob sich, schritt zum Monat, der ihm gegenüber saß, gab ihm den Stab in die Hand und sprach: „Bruder Juni, setz' Dich obenan!“ Der schöne Monat Juni setzte sich obenan, und schwang den Stab über dem Feuer. In dem Augenblicke schlug die Flamme hoch empor, der Schnee schmolz, die Erde grünte, Bäume umhüllten sich mit Laub, Vögel begannen zu singen, vielerlei Blumen blühten im Walde und rote Erdbeeren reiften im Nu. „Schnell, Maruschka, pflücke!“ gebot der Juni. Sie pflückte freudig, bis sie die Schürze voll hatte. Dann dankte sie den Monaten und eilte froh nach Hause. Es wunderte sich Holena, es wunderte sich die Stiefmutter, dass Maruschka in der Tat Erdbeeren brachte und ihr Duft ergoss sich durch die ganze Hütte. Holena nahm die Erdbeeren, aß sich satt, und gab auch der Mutter zu essen. Maruschka aber sagten sie keinen Dank.

Am dritten Tag gelüstete es Holena nach roten Äpfeln. „Geh' in den Wald, Maruschka, und bring' mir rote Äpfel!“ – „Ach Gott, liebe Schwester, woher sollten im Winter Äpfel kommen?“- „Du nichtsnutziges Ding, Du Kröte! Du wagst es, mir zu widersprechen? Gleich geh' in den Wald, und bringst Du keine roten Äpfel, wahrlich, so schlag' ich Dich tot!“ Und die Stiefmutter fasste Maruschka und stieß sie zum Haus hinaus.

Bitterlich weinend ging Maruschka in den Wald. Der Schnee lag hoch, nirgend war eine Fußstapfe. Allein diesmal ging das Mädchen gerade auf den Gipfel des Berges, wo das große Feuer brannte und die zwölf Monate saßen. „Ihr guten Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme, die Kälte schüttelt mich!“ Der Eismonat nickte und fragte: „Weshalb bist Du wieder gekommen, was suchst Du?“ – „Ich suche rote Äpfel.“ – „Es ist jetzt nicht die Zeit der Äpfel!“ – „Ich weiß wohl, allein, bringe ich keine roten Äpfel, so schlagen sie mich tot.“ Da erhob sich der Eismonat, schritt zu einem der älteren Monate, gab ihm den Stab in die Hand und sprach: „Bruder September, setz' Dich obenan!“ Der Monat September setzte sich und schwang den Stab über dem Feuer. Das Feuer glühte rot, der Schnee verlor sich, die Bäume umhüllten sich mit Laub, blühten und es reiften die Früchte. Maruschka gewahrte einen Apfelbaum und hoch auf ihm rote Äpfel. „Schnell, Maruschka, schüttle!“ gebot der September. Sie schüttelte freudig und es fiel ein Apfel herab. Maruschka schüttelte noch einmal; es fiel ein zweiter herab. „Schnell, Maruschka, eile nach Hause!“ gebot der September und sie gehorchte. Es wunderte sich Holena, es wunderte sich die Stiefmutter, dass Maruschka Äpfel brachte. Maruschka gab ihnen die beiden Äpfel. „Wo hast Du sie gepflückt?“ – „Hoch auf dem Berg, dort gibt's ihrer genug.“- „Warum hast Du nicht mehr gebracht? Oder hast Du sie unterwegs gegessen?“ fuhr Holena zornig gegen sie los. „Ach liebe Schwester, ich habe keinen Bissen gegessen. Ich schüttelte einmal, da fiel ein Apfel herab; ich schüttelte zum zweiten Mal, da fiel noch einer herab; länger zu schütteln erlaubten sie mir nicht.“– „Dass der Donner in Dich fahre!“ fluchte Holena und wollte sie schlagen. Maruschka brach in Tränen aus und floh in die Küche. Holena ließ das Fluchen und begann einen Apfel zu essen, der schmeckte ihr so, dass sie meinte, noch niemals in ihrem Leben etwas so Köstliches gegessen zu haben. Auch die Stiefmutter ließ sich's schmecken. Und es gelüstete sie nach mehr. „Mutter, gib mir meinen Pelz! ich will selbst in den Wald gehen. Ich werde schon den Ort finden und die Äpfel alle herabschütteln, ob es wer erlaubt oder nicht!“ Vergebens riet die Mutter ab. Holena zog den Pelz an, nahm ein Tuch um den Kopf, und eilte in den Wald.

Alles lag voll Schnee, nirgend war eine Fußstapfe. Holena irrte, irrte lange; ihre Begehren trieb sie immer weiter. Da gewahrt sie in der Ferne ein Licht. Sie eilt darauf zu und gelangt auf den Gipfel, wo das Feuer brannte und die zwölf Monate saßen. Holena erschrickt; doch bald fasst sie sich, tritt näher zu dem Feuer, streckt die Hände aus, um sich zu wärmen. Sie fragt die Monate nicht und spricht kein Wort zu ihnen. „Was suchst Du hier?“ fragt verdrießlich der Eismonat. – „Wozu fragst Du, Du alter Narr? Du brauchst nicht zu wissen, wohin ich gehe!“ fertigt ihn Holena störrisch ab, und wendet sich vom Feuer in den Wald. Der Eismonat runzelt die Stirn und schwingt seinen Stab über dem Haupte. In dem Augenblick verfinstert sich der Himmel, das Feuer brennt niedrig, es beginnt Schnee zu fallen und eisiger Wind weht durch den Wald. Holena sieht nicht einen Schritt mehr vor sich; sie irrt und irrt. Sie stürzt in eine Schneewehe und ihre Glieder ermatten, erstarren. Unaufhörlich fällt Schnee, eisiger Wind weht, Holena flucht der Schwester, flucht dem lieben Gott. Ihre Glieder erfrieren in dem warmen Pelz.

Die Mutter harrte auf Holena, blickte zum Fenster hinaus, blickte zur Tür hinaus. Stunde auf Stunde verstrich, Holena kam nicht. „Vielleicht schmecken ihr die Äpfel so gut, dass sie sich nicht von ihnen trennen kann“, dachte die Mutter, „ich muss nach ihr sehen!“ Sie zog ihren Pelz an, nahm ein Tuch um den Kopf, und ging, Holena zu finden. Alles lag voll Schnee, nirgends war eine Fußstapfe zu schauen. Sie rief Holena; niemand antwortete. Sie irrte, irrte lange, Schnee fiel dicht, eisiger Wind wehte.

Daheim kochte Maruschka das Essen und besorgte die Kuh. Schon dämmerte es in der Stube, doch weder Holena noch die Stiefmutter kamen. „Ach Gott, was ist ihnen zugestoßen?“ klagte das gute Mädchen und sah zum Fenster hinaus. Der Himmel strahlte von Sternen, die Erde glänzte von Schnee, es ließ sich niemand sehen. Traurig schloss Maruschka das Fenster, machte das Kreuz, und betete ein Vaterunser für die Schwester und Mutter. Beide kehrten niemals wieder. Der guten Maruschka blieb die Hütte, die Kuh und ein Stückchen Feld; es fand sich auch ein Hauswirt dazu, und beide lebten in Frieden glücklich miteinander (Westslawisch).

Wenn schlimme Dinge geschehen, fragt man auch nach Ursachen und Schuldigen. Und manchmal ist es schlicht die eigene Tür, vor der man zu kehren hat.

WER IST DER SÜNDER?

Es waren einmal zehn Bauern, die gingen miteinander über Feld. Sie wurden von einem schweren Gewitter überrascht und flüchteten sich in einen halb zerfallenen Tempel. Der Donner aber kam immer näher, und es war ein Getöse, dass die Luft ringsum erzitterte. Kreisend fuhr ein Blitz fortwährend um den Tempel her. Die Bauern fürchteten sich sehr und dachten, es müsse wohl ein Sünder unter ihnen sein, den der Donner schlagen wolle. Um herauszubringen, wer es sei, machten sie aus, ihre Strohhüte vor die Tür zu hängen; wessen Hut weggeweht werde, der solle sich dem Schicksal stellen. Kaum waren die Hüte draußen, so ward auch einer weggeweht, und mitleidlos stießen die andern den Unglücklichen vor die Tür. Als dieser aber den Tempel verlassen hatte, da hörte der Blitz zu kreisen auf und schlug krachend ein. Der eine, den sie verstoßen hatten, war der einzige Gerechte gewesen, um dessentwillen der Blitz das Haus verschonte. So mussten die neun ihre Hartherzigkeit mit dem Leben bezahlen (Aus China).

WARUM DER SCHÄFER JEDES WETTER LIEBT

Ein Wanderer fragte: „Wie wird das Wetter heute?“ Der Schäfer entgegnete: „ So wie ich es gerne habe.“ "Woher wisst Ihr, dass das Wetter so sein wird, wie Ihr es mögt?"

"Ich habe die Erfahrung gemacht, mein Freund, dass ich nicht immer das bekommen kann, was ich gerne möchte. Also habe ich gelernt, das anzunehmen, was ich bekomme. Deshalb bin ich mir sicher: das Wetter wird heute so sein, wie ich es mag."

II DER WINTER: SCHNEE UND FROST

DER WINTER IM MÄRCHEN



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