Frau Holle - Jürgen Wagner - E-Book

Frau Holle E-Book

Jürgen Wagner

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Beschreibung

Frau Holle kennen wir aus Kindertagen als die alte Frau mit den großen Zähnen aus dem Märchen, die im himmlischen Haus für Schnee und das Wetter sorgt. Doch wer ist sie? Sie geht zurück auf die alte Muttergöttin Frigg unserer Vorfahren, die den Beinamen Hulla, die Huldreiche trug. In diesem Buch wird gezeigt, dass sie in Märchen und Sagen die Erbin fast aller Göttinnen der alten Zeit ist: sie hütet die Apfelbäume, die einst Iduna gehörten, sie wacht über Geburt und Tod wie Frigg und Hel, sie sorgt sich um die Fruchtbarkeit des Landes wie Freya, sie gibt Arbeit und Essen, Lohn und Strafe, Segen und Fluch und webt darin Schicksalhaftes wie einst die Nornen. Sie ist unter verschiedenen Namen und Nuancen bekannt: als Frau Frigg in Brandenburg, Frau Holle in Mitteldeutschland, Frau Gode in Mecklenburg, Frau Berchta im süddeutschen Raum, Frau Herke im Westen u.a.m. In Gedichten und Geschichten präsentieren wir den Geist dieser Sagengestalt, die viel vom alten vorchristlichen Erbe für uns bewahrt hat.

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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2025

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FRAU HOLLE

Gedichte und Geschichtenzur verhüllten Göttin

Jürgen Wagner

Impressum

© 2025 Jürgen Wagner

Druck und Verlag: epubli

GmbH, Berlin, www.epubli.de

Titelbild: Claus Rabba

INHALTSVERZEICHNIS

PROLOG

I FRAU HOLLE – ERBIN UND NACHFAHRIN DER ALTEN GÖTTINNEN

1. Die Frau Wodans

2. Das Erbe der Muttergöttin Frigga

3. Das Erbe der Liebesgöttin Freya

4. Das Erbe der Göttin der Jugend Iduna

5. Das Erbe der Todesgöttin Hel

II ELEMENTE VORCHRISTLICHER SPIRITUALITÄT

1. Heilige Zeit

Wenn Stürme über Felder jagen

Die schwere Wahl

2. Schicksal und Gerechtigkeit

Der krumme Lutz

Das harte Herz

3. Die Arbeit

Goldmarie

Gute Arbeit!

4. Das Heilige

Die nicht versiegenden Bierkrüge

Am Hohlweg stand ein kleiner Tisch

5. Die Holle bitten

Die drei Schwestern

6. Prüfung der Menschen

Großmutter Immergrün

Gastfreundschaft am Hörselberg

7. Die Holle und ihre Pflanzen

Der klagende Strauch

Der Holunder

8. Die Holle und ihre Tiere

Des Abends klopft es an die Tür

Das Kätzchen

Der kleine Hund

9. Die Huld der Holle

Der Glasbläser

Der schwere Heimweg

10. Das Geheimnis der Holle

Die gleißende Kammer

11. Der Tod

Der Tränenkrug

Frau Holles Apfelgarten

Die letzte Reise

MYSTISCHER EPILOG

TEXTE UND LITERATUR

Wenn Stürme über Felder jagen

Die schwere Wahl

Der krumme Lutz

Hoher Besuch

Die Holundermutter

Gute Arbeit!

Die nicht versiegenden Bierkrüge

Am Hohlweg stand ein kleiner Tisch

Die drei Schwestern

Großmutter Immergrün

Das harte Herz

Gastfreundschaft am Hörselberg

Der klagende Strauch

Des Abends klopft es an die Tür

Das Kätzchen

Frau Frigg im Märkischen Heideland

Der Glasbläser

Der schwere Heimweg

Das Tränenkrüglein

Frau Holles Apfelgarten

Weitere Bücher des Autors

PROLOG: Die letzten Spuren der Göttin

„Bevor das Christentum sich über das nördliche Deutschland verbreitete, da war es die gute Frau Hare (oder Harke, Hertha), welche den Menschen alles, was sie brauchten, gewährte. Zwölf Nächte nach dem kürzesten Tage flog sie über das waldige, schneebedeckte Land, und wo sie in den Häusern fleißige und geschickte Arbeiter fand, da zog sie ein durch irgend eine Öffnung und segnete die Wohnung mit Glück und Freude für das nächste Jahr; wo sie aber Unreinlichkeit und Versäumnis sah, da bestrafte sie die Nachlässigen. Am großen Juloder Weihnachtsfeste opferte man ihr fette Schweine, überall ertönte der Ruf: »Frow Hare da vlughet« und lud die fliegende Frau zum Besuch ein. Als nun die christlichen Priester die heidnischen Götter vertrieben und die Tempel derselben brachen, blieb doch die gute Frau Hare, oder wie man sie später nannte, Holle im Lande und flog in den 12 Nächten vom heiligen Abend bis zum hohen Neujahr oder Dreikönigstag nach wie vor durch die Lüfte und besuchte die Häuser, namentlich auf dem Lande“(Aus Preußen).

I FRAU HOLLE – ERBIN UND NACHFAHRIN DER ALTEN GÖTTINNEN

In Volksmärchen und Sagen erscheint Frau Holle als eine volkstümliche himmlische Gestalt. Alles spricht dafür, dass wir in ihr die Nachfahrin und Erbin der alten germanischen Göttinnen sehen dürfen. Sie hat die Huld und hohe Würde der Göttermutter FRIGGA, aber sie repräsentiert auch die Fruchtbarkeit der Liebesgöttin FREYA, ihre magischen Fähigkeiten und ihr umtriebiges Wesen. Als Spinnerin ist sie den NORNEN nahe, als Besitzerin des Apfelgartens der Göttin IDUNA, als Hüterin der ungeborenen und der verstorbenen Seelen der Totengöttin HEL.

Frau Holle, die vor allem in Mitteldeutschland bekannt und verbreitet war, gibt es in anderer Ausprägung als Frau Percht(a) im süddeutschen Raum, in den Alpen, in Slowenien und Tschechien. Mit keltischen Einflüssen ist sie wohl ebenfalls eine Nachfahrin der Frigga. In ähnlicher Weise finden wir Frau Herke im Westen, Frau Gode oder Frau Gaur in Mecklenburg u.a.m. Es scheint ein Grundbedürfnis der Menschen in Mittel- und Nordeuropa gewesen zu sein, eine weibliche Bezugsperson in der Geistwelt zu haben, die das abdecken konnte, was weder der Vater- und Schöpfergott noch die Jungfrau und Gottesmutter Maria ausfüllen konnten. Die großen elementaren Bereiche des Schicksals und der Natur wären verwaist geblieben.

Die neue Religion – und die Reste der alten

Der jüdisch- christliche Vatergott war der allmächtige Gott der Liebe und der Vergebung; aber es war unklar, warum es in der Welt dann so zugeht und wie der Mensch mit seinem Schicksal umgehen soll, das er manchmal so deutlich fühlt. Man lebte von Saat und Ernte, aber die Jungfrau Maria war nicht dafür geeignet, die Fruchtbarkeit des kommenden Jahres zu fördern oder zu gewährleisten oder den Jahreskreis und Gang der Natur zu hüten und zu begleiten. Auch der Gott selbst hatte andere Anliegen, die mit den Menschen zu tun hatten, aber nicht so sehr mit den natürlichen Lebensgrundlagen. All das war der jüdisch-christlichen Religion fremd, die in der Wüste geboren wurde und in dieser Lebenswelt entstanden war. Sie stand schon immer auf Kriegsfuß mit den Bräuchen und Kulten des Kulturlandes und hat sie bis auf’s Blut bekämpft, gerade dort, wo es um Regen und Fruchtbarkeit ging. Die Geschichten um den Propheten Elia zeigen das beispielhaft (z.B. 1. Könige 18).

In Europa wie später in allen Erdteilen wiederholte sich dieser religiös-kulturelle Kampf ab zwischen Israel und den Bewohnern Kanaans, zwischen einem eifernden Wüsten- und später alleinigen Schöpfergott und den Traditionen der naturgebundenen Völker. Immer galt:

„ …ihre Altäre sollst du umstürzen und ihre Götzen zerbrechen und ihre Haine ausrotten; denn du sollst keinen andern Gott anbeten. Denn der HERR (Jahwe) heißt ein Eiferer; ein eifriger Gott ist er“ (2. Mose 34/13f).

Nach der europäischen ‚Götterdämmerung‘ durch die Christianisierung war es im Mittelalter nicht mehr so ohne weiteres möglich, die alten Götter anzurufen: sie mussten sich wandeln. Ihre einzige Chance waren die Lücken, die das Christentum nicht besetzen konnten. Dem himmlischen Vater und dem Gottessohn lag viel an den Menschen, aber wenig an Pflanzen und Tieren oder am Wachsen und Gedeihen. Deshalb überlebten in einigen Gegenden der Wode und seine Frau, die man besonders in der Winterzeit und in den Rauhnächten nahe wusste. Noch im 16. Jh. weihten niederdeutsche Bauern Wodan die letzte Garbe der Ernte und riefen drei Mal:

Wode Wode hale dinem Rosse nu Foder!

Nu Distel und Dorn, tom andern Jahr beter Korn!

Wode, Wode, hole deinem Ross nun Futter!

Nun Distel und Dorn, über’s Jahr besser Korn!

Es war ein Spruch mit Hintersinn: der Gott möge nun diese Garben für sein Pferd nehmen, denn es kommt nun die dürre Zeit, wo nur Distel und Dorn wachsen. Ist ihm aber auch im kommenden Jahr an Futter für sein Pferd gelegen, möge er doch die Fluren heuer reich segnen.

Das spiegelt gut den alten Geist wieder, wie unsere Vorfahren mit den Himmlischen kommunizierten: sehr praxisorientiert und klug. Es ging nicht um eine Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch, sondern um die Unterstützung in lebenswichtigen Dingen, was die Menschen mit Opfern, Worten und Gaben erbaten – und so auch dankbar beantworteten. Das entspricht auch der schamanischen Tradition, dass man die Hilfe von Geistwesen nur beansprucht, wenn es einen dringenden Grund gibt. Ansonsten lässt man die Geistwelt in Ruhe. Keinesfalls ist man ständig mit ihnen in Verbindung, sondern man lebt sein ganz normales Alltagsleben.

In Braunschweig spornte man auch die weibliche Gottheit an: man fasste eine mit Blumen geschmückte Garbe mit den Händen und rief drei Mal:

fru Gaue, haltet ju fauer,

düt jar up den wagen,

dat ander jar up der kare!

Frau Gaue, nimm dein Korn (Futter)

Dieses Jahr auf dem Wagen,

nächstes Jahr auf dem Karren

In Niedersachsen rief man:

hâl ves thu folde, fira môdor!

Heil sei du Erde, der Menschen Mutter!

Anmutiger ging es in Litauen zu, wo man Bier trank, etwas davon auf den Boden goss und rief:

Blühende Erde, segne unserer Hände Werk!

Es grenzt an ein Wunder, dass wir uns heute wieder für Wodan und seine Frau interessieren. Das hat seine tiefe Berechtigung darin, dass wir hier unseren germanisch- schamanischen Ursprüngen begegnen, den ältesten greifbaren Wurzeln unserer Spiritualität.

Die Anfänge der Hulda/Holle

Die Anfänge jedoch sind erstmal nur im Volksglauben greifbar. So wurde in einem Beichtspiegel des christlichen Mittelalters wurde denn u.a. folgendes abgefragt:

„Du hast geglaubt, dass es ein weibliches Wesen gibt, das vom Volk in seiner Dummheit Hulda genannt wird und das tun kann, was einige Frauen behaupten, die vom Teufel verführt sind: Sie müsste nämlich notwendig und auf Grund einer Vorschrift in gewissen Nächten mit einer Schar von Dämonen in Frauengestalt auf irgendwelchen Tieren reiten und gehört zu deren Gesellschaft“(Burchard von Worms).

Antike Quellen berichten ebenso von einer nächtlichen Geisterschar der griechischen Göttin Hekate, das nachts umherzog und Schrecken verbreitete, ebenso von Artemis. Dieser Volksglaube scheint auch hier zugrunde zu liegen, den man der Hulda, oder in einem Paralleltext, der Göttin Diana zuschrieb.

Doch was steht dahinter? Der sog. Hexenritt- oder Hexenflug hat einen schamanischen Hintergrund: in einer durch Musik oder Gesang erzeugten Trance reist man mit seinem Krafttier in der inneren Welt, um Hilfe oder Antworten zubekommen für drängende Probleme einer Person oder Gemeinschaft. In diesem veränderten Bewusstseinszustand ist man in der geistigen Welt, nicht mehr in der materiellen. Der Geistführer kann ein Tier sein, aber auch eine Gottheit. Was in christlicher Unkenntnis und Abscheu als dämonisch erscheint, kann durchaus einen ernsthaften Hintergrund gehabt haben. Die Hulda war, wie ihr Name sagt, keine Unholdin, sondern eine Gestalt, die den Wesen zugeneigt war, eine ‚Huldreiche‘. Doch im Mittelalter schlug man fast alles, was sich außerhalb der jüdisch-christlichen Tradition bewegte, dem göttlichen Gegenspieler zu, dem Teufel und seinen Dämonen. Frau Holle hatte ihre Entsprechung in der römischen Göttin Diana, der Göttin des Mondes und der Jagd, die besonders von Frauen und Mädchen verehrt wurde. Im Mittelalter war sie auch die Göttin der Hexen, d.h. der Frauen, die noch die Reste der schamanischen Kultur pflegten. Dazu gehörten auch die Naturgeister, die Krafttiere und Repräsentanten der Natur in Bergen und Felsen, in Seen und Brunnen, in Bäumen und Wäldern. Die man gerne das „Kleine Volk“ nennt, nannte man auch die ‚Holden‘. Das konnten ‚guote holden‘ sein – dann waren die Orte heilig. Waren es solche, die Schaden anrichteten, mied man solche Plätze. Für die Kirche waren dies alles Dämonen und der Umgang mit ihnen Teufelsdienst.

Tatsächlich wurde Frau Holle auf ihrem Hauptberg in Mitteldeutschland, dem Hohen Meißner und an seinem Teich als Mutter der kleinen Geister gesehen und verehrt. Dass die Kleriker der damaligen Zeit nichts anderes sehen konnten und durften als des ‚tiefels holde‘, können wir heute hinter uns lassen. Wir müssen die Kräfte und Reiche der Natur nicht mehr als vergängliche und böse Welt verurteilen, wir dürfen sie wieder als das sehen, was sie ist: das große Ringen des Lebens auf dieser Erde um seine Erhaltung und seinen Fortbestand. Man wird weit reisen müssen im Universum, um einen zweiten so schönen und lebendigen Planeten zu finden wie die Erde. Dem Kampf von Jahrmilliarden verdanken wir unsere Existenz heute. Kein Gott und keine Göttin können dies angemessen zum Ausdruck bringen, was es bedeutet, sich von einer glühenden Kugel zu einer bewohnbaren Erde zu entwickeln. Was wir davon in Frau Holle sehen können, ist ihr Himmelshaus, in dem die Mädchen in Dienst genommen werden. (KHM 24). Das kann für den großen Haushalt der Natur stehen, in dem wir als Menschen ein kleines Stück mitwirken können. Der jüdisch-christliche Schöpfergott könnte für die Kreativität dieses Prozesses stehen, der dem ganzen Universum eigen ist; ob Kugeln oder Spiralen, überall im Weltall finden wir eine unglaubliche Vielfalt von Formen und Farben, von Klängen und Schwingungen, von Licht und Dunkel. Von Ewigkeit zu Ewigkeit scheint dieses göttliche Wort zu wirken, sich zu entfalten und sich wieder zu schließen.

Wie kam Frau Holle zu ihrem Namen?

Da in christlicher Zeit die Namen der alten Götter nicht mehr angerufen werden durften, hat sich ein Nebenname der Frija/Frigga durchgesetzt, Hulla, die Huldvolle, die Mutter, die sich in ihrer Huld uns zuneigt (s. Erika Timm a.a.O.). Mit dieser Eigenschaft wurde sie gerne und weiterhin von den Frauen und Mädchen angerufen, die sich mit ihren Sorgen weder an den wilden Wodan noch an den eifernden und strafenden Christengott wenden wollten.

Der Name ist insofern besonders bedeutsam, da sich hier mehrere Linien treffen. Der Name geht in Resonanz mit anderen Namen, die seit langem bekannt waren. Da gibt es in der skandinavischen Tradition die Waldfee Huldra mit dem Huldrevolk, aber auch eine Zauberin Huldr. Der andere große Bereich ist die ‚Hel‘, die das Verborgene hütet. Hier ist die Unterwelt genannt und die Totengöttin, deren Reich man zur ‚Hölle‘ umdeutete. Das alles liegt sprachlich eng beieinander.

Auch heute noch nennt ein Mann seine Frau manchmal seine ‚Holde‘. In diesem Sinn war auch Frau Holle eine grundpositive Gestalt, die vielleicht deshalb bis heute in unserer christlichen Kultur überlebte und zu einer Rückbesinnung auf unsere vorchristlichen Wurzeln viel beigetragen hat. Sie entspricht in gewisser Weise sogar dem liebenden Vatergott der Christen, der

den Menschen trotz vieler Vergehen gnädig ist. Jedenfalls passt Frau Holle auch in unsere heutige Kultur, die Liebe, Zuwendung und Freundlichkeit als hohes Gut schätzt und praktiziert.

Hulda/Holle steht für die Göttin, die mal für Fruchtbarkeit sorgt, mal hilft sie in Todesnot, mal nimmt sie einen in Dienst, mal prüft sie die Menschen. Sie deckte das ab, was früher auf mehrere Göttinnen verteilt war. Das war sogar ein Gewinn an Konzentration, drängte sie aber auch in eine monotheistische Rolle, die sie niemals innehatte. Sie steht, anders als der jüdisch-christliche oder der islamische Gott, in keinerlei Spannung zu anderen Geistwesen oder Göttern.

Wenn wir in die Geschichten hineinhören, werden wir erleben und erfahren, was aus den alten Göttinnen in der Auseinandersetzung mit dem Christentum geworden ist. Sie mussten einiges an Federn lassen, aber sie haben auch gewonnen, z.B. Mitgefühl und Klarheit. Sie mussten sich an die neue Zeit anpassen und ihren Erfordernissen gerecht werden. So hören wir, wie man dem Sturm begegnen oder sich im Sturm verhalten kann, wie man Verluste erleidet, wie man Trauer verarbeitet, wie für Gerechtigkeit eingetreten wird, wohin Neugier führen kann u.v.m. Wir präsentieren hier einige dieser alten Geschichten in neuer, poetischer Gestalt, so wie man auch früher das Wissen der Vorfahren in Reime gefasst und tradiert hat. Das schließt keineswegs aus, dass man die Holle auch heute noch in einer Trance erleben oder auf einer Geistreise um Begleitung und Leitung bitten kann, aber sie braucht u.E. keinen Götterthron (mehr). Sie ist und bleibt lebendig in den Herzen der Menschen, die mit ihr verbunden sind.

Die Rolle der Frauen

Um die Holle zu verstehen, brauchen wir aber etwas Wissen von den alten Gottheiten und der früheren Gesellschaft. Die Frauen spielten bei unseren Vorfahren eine gewichtige Rolle, auch in religiösen Dingen. Während im römisch geprägten Christentum sich über viele Jahrhunderte das Patriarchat ausgebreitet hat, staunte schon Tacitus darüber, dass den germanischen Frauen ‚eine gewisse Heiligkeit und Sehergabe‘ eigen war und man deshalb auf ihren Rat hörte. Wie auf Erden, so war es auch im Himmel: Frigga war seherisch begabt und Freyja magisch versiert, so dass die Frauen in Verbindung mit ihnen schon immer ihre Gaben entwickeln und entfalten konnten. Die Völva mit ihrem Stab waren in Nordeuropa hoch angesehene, schamanisch-magisch begabte Frauen, die man vielfach um Hilfe bat. Die Seidhkona allerdings pflegten neben Divination und Fruchtbarkeitsgesängen auch Schadzauber, der schon in heidnischer Zeit als arg und ehrlos galt.