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»Zeit und Energie sind begrenzt. Liebe ist es nicht.« Für Zephire sollte es der Sommer ihres Lebens werden: Abgelegene, schottische Inseln, Baby-Otter, süße Robben und Forschung mit einer bunten Expeditionsgruppe. Doch ihre neue Autismus-Diagnose beschäftigt sie. Zephire vertraut sich Murdoch und Thandi an, die als unschlagbares Paar ein Animal Rescue-Centre auf der Isle of Harris aufbauen. Allerdings überschlagen sich ihre Emotionen, denn sowohl die umwerfende Thandi als auch der attraktive Murdoch lassen ihr Herz gefährlich höher schlagen. Ist es möglich, sich in zwei Menschen zu verlieben? Und wenn ja, wie kann Zephire einen Platz in dieser Beziehung finden?
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Seitenzahl: 540
You make me dream
Murphy Malone (26) lebt dafür, die Welt zu erkunden und ihre Lebenserfahrungen in Geschichten festzuhalten. Ihr Debüt »You make me fly« basiert auf ihren Erlebnissen in Glasgow, wo sie vier Jahre an der Glasgow University Psychologie studiert hat und selbst Mitglied von zoologischen Forschungsexpeditionen nach Trinidad und Island war. Nun macht sie ihren PhD am King’s College London, wo sie Intergruppenkonflikte mit Hilfe von Virtual Reality erforscht. Außerdem ist Murphy als Sensitvity Readerin tätig. In ihrer Freizeit macht sie Fotos und ist als Aktivistin laut. Dabei setzt sie sich vor allem für Mental Health Themen und queere Repräsentation ein.
»Zeit und Energie sind begrenzt. Liebe ist es nicht.«Für Zephire sollte es der Sommer ihres Lebens werden: Abgelegene, schottische Inseln, Baby-Otter, süße Robben und Forschung mit einer bunten Expeditionsgruppe. Doch ihre neue Autismus-Diagnose beschäftigt sie. Zephire vertraut sich Murdoch und Thandi an, die als unschlagbares Paar ein Animal Rescue-Centre auf der Isle of Harris führen. Allerdings spielen ihre Emotionen ihre verrückt, denn sowohl die umwerfende Thandi, als auch der attraktive Murdoch lassen ihr Herz gefährlich höher schlagen. Ist es möglich, sich in zwei Menschen zu verlieben? Und wenn ja, wie kann Zephire einen Platz in dieser Beziehung finden?
Murphy Malone
Scottish Lovebirds
Forever by Ullsteinforever.ullstein.de
Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Juli 2023 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023
Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat E-Book powered by pepyrusISBN 978-3-95818-671-2
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Kapitel 1: Willkommen im Paradies
Kapitel 2: Neue Menschen, neue Möglichkeiten
Kapitel 3: Unscheinbare Wunder
Kapitel 4: Tierisch gut drauf
Kapitel 5: Vertraute Fremde
Kapitel 6: Lasset die Forschung beginnen!
Kapitel 7: Die Stille zwischen uns
Kapitel 8: Missverständnisse
Kapitel 9: Von Stürmen aus Farben
Kapitel 10: Das Feuer in ihm
Kapitel 11: Die Farben des Sonnenaufgangs
Kapitel 12: You make me fly
Kapitel 13: Trouble in Paradise
Kapitel 14: Offene Wunden
Kapitel 15: Wir schaffen das gemeinsam
Kapitel 16: Nicht heute Nacht
Kapitel 17: Sei ehrlich zu mir
Kapitel 18: Flatterhafte Freuden
Kapitel 19: Fragen für die Sterne
Kapitel 20: Ist es Eifersucht?
Kapitel 21: Eiskalter Donner
Kapitel 22: Helfende Hände
Kapitel 23: Hol den Vorschlaghammer
Kapitel 24: Don’t trust the internet
Kapitel 25: Kaffeewahrheiten
Kapitel 26: Ein Pinguinnest
Kapitel 27: Hellere Regentage
Kapitel 28: Heroes
Kapitel 29: Next to you
Kapitel 30: – oder war es –
Kapitel 31: Flackernde Wünsche
Kapitel 32: Polaroid Roadtrip
Kapitel 33: The Song of Purple Summer
Kapitel 34: Abgründe
Kapitel 35: Verzerrte Emotionen
Kapitel 36: You make me dream
Kapitel 37: Abschied
Epilog: You make me whole
Danksagung
Content Notes und Triggerwarnungen
Leseprobe: You make me fly
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Kapitel 1: Willkommen im Paradies
Playlist
I’m Gonna Be (500 Miles) – The Proclaimers
Riptide – Vance Joy
Breezeblocks – Alt-J
Train – Brick + Mortar
I’m Only Joking – KONGOS
Bad Vibes – K.Flay
Trampoline (Jauz Remix) – SHAED, Jauz
It’s Only (VIP Remix) – ODESZA, Zyra
Equal – ODESZA, Lapsley
stay – girl in red
Blue Jeans – Lana del Rey
Out of Touch (Acoustic) – CUT_
Heroes – David Bowie
After the Rain – Thor Rixon, Kyson
Nightmare/Losing Sleep – Dylan Fraser
The Run – MXMS
Who Are You – Draper
With You – Sun-El Musician, Desiree Dawson
New Mood – JPK
Girls Like You – The Naked and Famous
The Song of Purple Summer – Spring Awakening Original Broadcast Recording
Hinweis auf Content Notes und Triggerwarnungen:
Liebe Leser*innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Liste mit Content Notes und Triggerwarnungen. Diese Warnungen enthalten potenzielle Spoiler für das Buch. Ich wünsche allen das bestmögliche Leseerlebnis.
Murphy Malone
Wie konnte etwas gleichzeitig so schön und furchteinflößend sein?
Der Fahrtwind, der durch die geöffneten Fenster ins Innere des Wohnmobils strömte, roch nach Freiheit und Abenteuern. Aus den kleinen Bluetooth-Lautsprechern, die neben dem Wackelbison auf dem Armaturenbrett standen, dröhnte I’m Gonna Be (500 Miles). Sorina und Medea, mit denen ich die letzten Monate für unsere Forschungsexpedition Spenden gesammelt hatte, sangen lauthals mit.
Und ich? Ich klammerte mich auf der Rückbank an Angelou, als wäre die dösende Hündin mein rettender Anker. Es tat mir gut, meine Hände zu beschäftigen und etwas zu haben, auf das ich meine Sinne fokussieren konnte. Angelou schien sich nicht darum zu kümmern, sie zuckte nur freudig mit der linken Hinterpfote, während ich ihr den Bauch kraulte.
»Laut Navi sind wir in zehn Minuten da!«, rief Sorina mir zu, die den Song zum dritten Mal wiederholte. »Zephire, willst du nicht nach vorne kommen? Die Landschaft ist so schön!«
Ich knabberte nervös an meiner Unterlippe, nickte aber und rutschte von Angelou weg, die traurig aufsah.
Das soll mein Sommer werden. Nach vier Jahren in Glasgow wollte ich endlich Freundinnen und Freunde fürs Leben finden. Menschen, die mich mochten, wie ich war, und die nicht sofort wieder verschwanden. Wenn mir aber der erste Tag schon so schwerfiel, wie sollte ich diese Expedition dann überstehen?
Unsere Reise zur Isle of Harris war lang, von Glasgow nach Uig hatten wir über sechs Stunden gebraucht und auf der Fahrt mit der Fähre war ich seekrank geworden. Während die anderen Expeditionsmitglieder freudig an der Reling gestanden und die Wellen beobachtet hatten, war mir schon nach zehn Minuten auf See kotzübel geworden. Mit einem Hörbuch auf den Ohren hatte ich versucht, auf dem Schiff einen Ort zu finden, an dem mich das Schaukeln nicht ganz so belastete. Selbst jetzt im Wohnmobil war mir immer noch schwindelig.
Ich wollte mir nicht anmerken lassen, wie überfordert und reizüberflutet ich war. Ich wollte mir und den anderen beweisen, dass ich mich genau wie sie freute, hier zu sein.
»Bin schon unterwegs!«, rief ich also und tapste nach vorne, wo ich mich auf dem drehbaren Mittelsitz niederließ. Angelou folgte mir und ließ sich vor meinen Füßen nieder.
»Yay!«, machte Sorina und grinste mich an. Sie und Medea standen ganz oben auf meiner Liste von Menschen, mit denen ich mich wirklich anfreunden will.
»Geht es dir ein bisschen besser?«, erkundigte sich Medea, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
»Ja. Alles wieder gut«, log ich und konzentrierte mich auf die Landschaft vor uns, denn Sorina hatte definitiv recht: Die Isle of Harris war atemberaubend.
Die nachmittägliche Sonne schien auf endlose, bunte Wiesen, die von Stein und Felsen durchzogen waren. Dunkelgrünes Gras schmiegte sich an helleres Moos, aus dem violettes Heidekraut hervorstach. Hügel verdeckten den Horizont und ein glitzernder Bach schlängelte sich zu einem kleinen See. Weit und breit war kein einziges Haus zu sehen, dafür aber …
»Ziegenkitze!«, quietschte Sorina, zupfte an meinem T-Shirt und deutete an Medea vorbei aus dem offenen Fenster.
Medea bremste das Wohnmobil auf Schritttempo herunter, damit sie ebenfalls raussehen konnte. Die Ziegenmutter stand gemeinsam mit ihren beiden Kitzen am Bach und sah ein bisschen verwirrt zu uns hinüber, während ihre flauschigen Babys frisches Wasser tranken.
Der Anblick half mir, mich freier zu fühlen. Deswegen waren wir hier. Um uns gemeinsam an der Schönheit Schottlands und den vielen Tieren zu erfreuen – und diese zu untersuchen.
»Sie sind zum Sterben süß«, sagte ich und beugte mich über Medea, um die Kleinen besser sehen zu können. Eines der Kitze versuchte weiter in den Bach hineinzugehen, verlor auf seinem Stein den Halt und landete Kopfüber im Wasser.
Sorina und ich schlugen uns fast zeitgleich die Hand auf den Mund, und scheiterten beim Versuch, nicht über das Ungeschick zu lachen. Medea hatte das Wohnmobil inzwischen zum Stehen gebracht und lehnte sich ebenfalls aus dem Fenster.
»Auf einer Skala von eins bis zehn, wie sehr würde Cameron ausflippen, wenn wir eines der Kitze klauen und als Expeditions-Maskottchen adoptieren?«, fragte sie und sah verschwörerisch zu Sorina und mir.
»Wahrscheinlich fünfzig?«, erwiderte Sorina kichernd, während mir ein eisiger Schauer den Rücken hinunterlief. Mit Cameron kam ich von allen Expeditionsmitgliedern am wenigsten klar. Nachdem mir ein Fehler mit den Forschungsgeldern unterlaufen war, hatte er mich vor der ganzen Gruppe angeschrien und ich hätte die ganze Reise am liebsten hingeschmissen. Obwohl Sorina, Medea und Roisin mir wieder neuen Mut gegeben hatten, war ich froh, dass Cameron eines unserer beiden Expeditionsautos fuhr und mit Roisin unterwegs war.
»Also ich würde das nur ungern riskieren«, gab ich zu und Sorina nickte zustimmend, während sie das Gesicht verzog, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
Medea seufzte und schaltete den Motor wieder ein. »Ihr habt ja recht. Aber wenn ich ein verlorenes Otterbaby finde, kann ich für nichts garantieren.«
»Dafür wäre dann Thandis und Murdochs Rescue-Center die richtige Adresse. Soweit ich das verstanden habe, haben die beiden dort auch eine Auffangstelle für Tierwaisen. Du kannst sie heute Abend ja fragen, ob seit der Eröffnung vor zwei Monaten schon ein paar Tiere bei ihnen abgegeben wurden«, erklärte Sorina und ich nickte begeistert.
Nach allem, was ich von Thandi und Murdoch gehört hatte, waren die beiden unglaublich inspirierend. Obwohl sie nur ein paar Jahre älter waren als ich, hatten sie bereits ihre Doktortitel. Wir waren die erste Expeditionsgruppe, die mit ihnen und ihrem neuen Rescue-Center zusammenarbeiten würde, und ich hoffte, mich so gut mit ihnen zu verstehen, dass ich nach der Expedition ein Praktikum bei ihnen absolvieren konnte. Das würde mir nicht nur Praxiserfahrung verschaffen, sondern mir auch etwas zu tun geben. Denn die Frage, was ich nach meinem Studium machen sollte, hing über mir wie ein Damoklesschwert.
Allerdings gruselte mich der Gedanke, neue Menschen kennenzulernen. Was, wenn Murdoch genauso kühl war wie Cameron? Oder Thandi mich nicht mal bemerken würde?
Warte, bevor du dir die schlimmsten Szenarien ausmalst, sagte ich mir selbst, doch das Gefühl der Panik blieb.
Ich dachte, ich wäre mittlerweile besser darin geworden, Freund*innen zu finden, aber die Tatsache, dass ich außer Hiraya kaum Personen in meinem Leben hatte, die ich zu meinen engen Vertrauten zählte, verunsicherte mich. Und seit der Diagnose war alles noch mal ganz anders …
Vor allem an Tagen wie heute. Warum hatte ich bloß gedacht, mich zwei Monate lang rund um die Uhr mit Menschen zu umgeben, wäre eine gute Idee, wenn ich mich schon nach einem Tag wie ein ausgetrockneter Brunnen fühlte?
»Glaub mir, sobald die beiden Hilfe brauchen, bin ich schneller bei ihnen als sie ›Fischsuppe‹ rufen können! Ich bin immer noch so begeistert, dass sie mit uns kooperieren werden. Ein Tierarzt und eine erfahrene Forscherin sind perfekt für unsere Chaostruppe! Das kann nur gut werden«, sagte Medea.
Ich wollte Medea glauben und nickte, auch um mich selbst zu überzeugen. Das hier war meine letzte Chance gewesen, an einer der Forschungsexpeditionen der Glasgow University teilzunehmen. Seit Beginn meines Studiums hatte ich mich jedes Semester beworben und immer wieder im letzten Moment einen Rückzieher gemacht. Das hier war mein Traum. Aber warum fühlten sich Träume manchmal so beängstigend an?
Einer der Bäche zu unserer Rechten ging in einen kleinen See über. Loch Fincastle, wie ein Blick auf das Navi mir verriet. Nur ein dünner Streifen Land trennte den Loch von der Fadhail Losgaintir Meerenge, von der ich so viel im Studium und während der Expeditionsplanung gehört hatte.
Medea fuhr ein paar hundert Meter weiter, passierte Schlaglöcher und brachte uns geradewegs ins Paradies. Vor uns zeigte sich weißer Sand, der stellenweise von türkisem Wasser bedeckt wurde, das an den tieferen Stellen einem satten Azurblau wich.
»Wow! Ist das wirklich Schottland? Nicht mal in Griechenland haben wir so schöne Strände«, staunte Medea, die offensichtlich Schwierigkeiten hatte, sich beim Anblick dieser Landschaft aufs Fahren zu konzentrieren.
»Tja, willkommen in den Äußeren Hebriden!«, rief Sorina stolz und mit leuchtenden Augen.
Mein Herz schlug vor Aufregung und Freude so schnell, dass ich meine Übelkeit vergaß.
Deswegen bin ich hier.
Es juckte mich in den Fingern, meine Kamera herauszuholen. Je weiter wir die Meerenge entlangfuhren und je größer sie wurde, desto mehr sehnte ich mich danach, die Umgebung allein zu erkunden. Der Gedanke gab mir Hoffnung. Wenn die Anwesenheit der anderen, so lieb ich sie auch hatte, zu viel wurde, gab es immer noch diese magische Natur, in der ich Zuflucht finden konnte.
»Ist das der Seilebost Strand?«, fragte ich aufgeregt und deutete auf den langen weißen Sandabschnitt.
Sorina tippte auf das Navi. »Aye, das ist er!«, bestätigte sie. »Oh, ich würde so gerne direkt mit den Füßen ins Wasser. Aber ich glaube, wenn wir noch später ankommen, wird Cameron wütend.«
»Urgh«, machte Medea. »Da klaue ich lieber morgen früh noch mal eins der beiden Autos und komme mit euch her.«
»Das ist wahrscheinlich für alle am besten«, stimmte ich zu und konnte nicht aufhören mir auszumalen, wie der Strand bei Sonnenaufgang aussehen würde. Vielleicht konnte ich sogar einfangen, wie die morgendlichen Nebelschwaden gerade über die Gischt aufstiegen. Wie die Berge im Hintergrund aussahen, wenn das Licht sie noch nicht erreicht hatte …
Solange ich die Welt durch meine Linse betrachten konnte, war alles ein bisschen leichter. Während ich immer neuen Fotografie-Ideen nachhing, ließen wir den Seilebost Strand hinter uns und fuhren an der Küste entlang, bis wir einen weiteren Strand entdeckten. Er mündete direkt an eine Wiese, auf der ein paar vereinzelte Zelte aufgebaut waren.
»Oh, wir sind fast da!« Sorinas quirlige Freude war ansteckend. Sie und Medea gehörten zu den wenigen Menschen, die es schafften, mir Energie zu geben, statt mich zu erschöpfen.
Während der Vorbereitungen hatte ich gemerkt, wie tief Sorinas und Medeas Freundschaft ging und dass ich mir wünschte, ein Teil davon zu werden. Außerdem hatten beide unglaublich liebevolle Beziehungen. Sorinas Partner Leathan und Medeas Partnerin Niamh hatten mir geholfen, als ich gedacht hatte, Cameron würde mich aus der Expeditionsgruppe schmeißen. Die beiden hatten mit ihrer Musik weitere Spenden für uns gesammelt und so dafür gesorgt, dass mein Fehler mit den Bewerbungen um weitere Forschungsgelder nicht zu sehr ins Gewicht fiel. Für die letzten beiden Wochen würden auch sie Teil unserer Expeditionsgruppe sein.
»Horgabost Campsite«, las Medea das blaue Schild vor, als sie auf den Campingplatz einbog. Gemeinsam mit Sorina sah ich aus dem Fenster, um nach unserer Chaostruppe Ausschau zu halten. Hier würden wir also die nächsten zwei Monate verbringen. Vor den drei Containern, die die Waschräume zu beherbergen schienen, stand eine ältere Dame, die uns zuwinkte. Sorina lehnte sich lächelnd aus dem Wohnmobil.
»Feasgergar math«, begrüßte die Dame uns. Direkt fiel mir ihr starker schottischer Akzent auf. »Gehört ihr auch zu der Expeditionsgruppe?«
»Aye!«
»Euer Kollege Cameron hat sich schon um alles gekümmert. Die anderen haben nahe am Wasser, zwischen den Hügeln dort drüben, geparkt. Wenn ihr diesen Weg entlangfahrt, dürftet ihr sie nicht verfehlen.«
Die Dame deutete nach rechts, was Medea mit einem ausgestreckten Daumen kommentierte.
Medea manövrierte das Wohnmobil die schmale Straße hinunter. Der Campingplatz erstreckte sich über hügelige Wiesen und ich konnte die frische Brise des Meeres riechen. Bald sahen wir die anderen Expeditionsmitglieder. Roisin winkte uns aufgeregt zu und Thomas machte einen kleinen Luftsprung. Sofort musste ich lächeln, doch als ich Cameron sah, drehte sich mir der Magen um.
Er hatte die Arme vor dem Körper verschränkt, und ich ging in meinem Kopf die verschiedenen Emotionen durch, die ich schon immer wie Vokabeln gelernt hatte. Wenn ich mich nicht täuschte, bedeutete sein Verhalten, dass er genervt war.
In meinem Kopf hörte ich die Worte der Therapeutin, die mich als autistisch diagnostiziert hatte:
»Machen Sie sich keine Sorgen. Gerade, wenn man die Diagnose im Erwachsenenalter erhält, kann das erst mal eine Umstellung bedeuten. Auch wenn sich viel für Sie ändert, Sie bleiben dieselbe. Viele Patient*innen berichten, dass sie sich in den ersten Monaten nach der Diagnose so neurodivergent fühlten wie nie zuvor. Aber auch das geht vorüber.«
Um mich abzulenken, beugte ich mich zu Angelou hinunter, während Roisin, Sorina und Robert Medea beim Einparken halfen.
»Wir sind da«, teilte ich der Hündin mit, kraulte sie hinter den Ohren und ließ mir von ihr über die Hand schlecken. Kaum hatte Medea geparkt, öffnete Sorina die Tür, was Angelou dazu brachte, ihren Platz an meiner Seite zu verlassen. Mit einem tiefen Seufzen setzte ich ein Lächeln auf und folgte Sorina aus dem Wohnmobil.
»Na, seid ihr auch endlich angekommen? Wir wollten schon einen Suchtrupp losschicken«, motzte Cameron Sorina an und mein Brustkorb zog sich zusammen.
»Yo, Cam-Cam. Voll schön dich wiederzusehen. Ist das nicht ein absolut geiler Ort?«, rief Medea, die Cameron von hinten auf den Rücken sprang.
»Wir haben noch einen Toilettenstopp gemacht«, erklärte Sorina ruhig. »Aber jetzt sind wir da und können mit anpacken.«
»Das will ich hoffen. Die Zelte bauen sich schließlich nicht von selbst auf«, entgegnete er, schüttelte Medea ab und griff sich eines der Zelte, die vor dem Wohnwagen lagen.
»Ich denke, es ist sinnvoller, wenn wir erst mal kurz durchatmen und dann planen, wie wir die Basis gestalten wollen«, sagte Sorina selbstbewusst und am liebsten hätte ich sie dafür umarmt. Sie war die beste Teamleitung, die ich mir vorstellen konnte und definitiv angenehmer als Cameron, mit dem sie sich diese Position teilte.
»Wenn es sein muss. Aber beschwer dich nachher nicht, wenn es dunkel wird.«
»Dude, es ist Juni. Die Sonne geht erst nach zehn unter, also haben wir noch massig Zeit. Und wir sind sieben Menschen. Die Zelte bauen wir ruckzuck auf! Mach dir keine Sorgen«, beruhigte Medea ihn. Sie drehte sich von ihm weg und eilte auf Roisin zu, die sie in die Arme nahm. Während ich Sorina für ihre warme, fürsorgliche Art bewunderte, war Medea mein Vorbild, wenn es darum ging, kick-ass zu sein. Wieder beschlichen mich düstere Gedanken: Gab es zwischen ihnen überhaupt noch Platz für mich?
Cameron schüttelte den Kopf, gab sich geschlagen und ging ebenfalls zu den anderen. Während ich kurz unschlüssig dastand, legte Sorina mir eine Hand auf die Schulter und sah mich liebevoll an.
»Geht es dir gut? Du wirkst schon seit der Fähre ein bisschen überfordert«, flüsterte sie so leise, dass nur ich sie hören konnte. Da ich ihr am meisten vertraute, war sie die Einzige in der Expeditionsgruppe, der ich von meiner Diagnose erzählt hatte. Sie hatte mir versichert, dass sie meine mentale Gesundheit im Hinterkopf behalten würde, wenn es um die Aufgabenverteilung ging.
»Ich bin auch ein bisschen überfordert«, sagte ich, weil ich wusste, dass sie mich verstehen würde. »Tut mir leid, dass ich etwas zurückgezogen bin. Das wird nach einer Nacht mit ausreichend Schlaf wieder besser. Wenn ich erschöpft bin, sind alle Eindrücke viel intensiver.«
»Du musst dich nicht entschuldigen. Ich weiß, wie sehr die Überfahrt dich mitgenommen hat, und das ist okay. Wenn du dich hinlegen magst, während wir aufbauen, mach das gern.«
Dankbar drückte ich Sorina an mich, wobei ihre blauen Haare mein Gesicht kitzelten.
»Das ist so rücksichtsvoll von dir. Aber ich würde gern helfen. Auch, wenn ich ein bisschen neben mir stehe, bin ich froh, hier zu sein«, sagte ich und meinte es so.
»Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn es mal zu viel wird. Ich kenne das gut und finde es wichtig, dass wir aufeinander achtgeben.«
Gemeinsam mit Sorina trat ich lächelnd zu den anderen, die gerade von Medea abließen, um nun Sorina und mich zu begrüßen. Thomas, der das andere Auto gefahren war, war gerade dabei, den Wohnwagen abzukuppeln, den er auf die Insel manövriert hatte. Er unterbrach seine Arbeit, um erst Sorina, dann mich zu umarmen, wobei ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste. Er war mit Abstand der Größte in unserer Gruppe und jedes Mal, wenn ich neben ihm stand, fühlte ich mich mit meinen eins sechsundsechzig winzig. Seine Umarmungen waren fest und manchmal machte er sich einen Spaß daraus, Sorina, Roisin oder mich hochzuheben.
Robert hingegen gab schüchterne Umarmungen, die ich nur allzu gut nachempfinden konnte. Vor meiner Zeit in Glasgow hatte ich Umarmungen nur schwer über mich ergehen lassen können.
Roisins Begrüßungsumarmung war so kräftig, dass ich das Gefühl hatte, sie wolle ein paar meiner Gelenke wieder einrenken.
»So, können wir jetzt endlich einen Plan ausarbeiten?«, rief Cameron, stellte einen der Campingstühle auf und setzte sich demonstrativ darauf. Um keine Schwierigkeiten zu machen, ließ ich lächelnd von Roisin ab, und griff mir in der Hoffnung, Cameron damit zu verstehen zu geben, dass ich auf ihn Rücksicht nahm, ebenfalls einen Stuhl. Doch er sah mich nur naserümpfend an, was mir wieder einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Die anderen ignorierten Camerons ständige Rufe, und kamen nach und nach dazu. Sorina setzte sich neben Cameron, ihr blaues Notizbuch, auf das zahllose Sticker geklebt waren, lag auf ihren Beinen.
»Am besten, wir überlegen uns –«, fing Cameron an, aber Sorina fiel ihm ins Wort.
»Hallo Team. Es ist so schön, euch zu sehen. Lehnt euch kurz zurück. Atmet tief ein. Riecht ihr die Meeresluft? Hört ihr die Möwen? Wir haben es geschafft, wir sind hier. Weil wir das letzte Jahr hart gearbeitet haben. Darauf sollten wir stolz sein!«
Cameron wollte etwas erwidern, doch Medea stieß laute Jubelschreie aus, in die die anderen einstiegen. Obwohl ich wegen der Lautstärke kurz zusammenzuckte, klatschte auch ich in die Hände. Wir konnten wirklich stolz auf uns sein!
»Wir haben insgesamt vier Forschungsprojekte. Medea befasst sich mit den Fröschen, Molchen und Kröten, Cameron mit den Robben und ich mich mit den Ottern. Außerdem brauchen wir jemanden, der die Leitung der Vogelforschung übernimmt. Zephire, ich hatte an dich gedacht. Wärst du damit einverstanden? Du hast die meiste Erfahrung von uns und kennst das Projekt durch die Bewerbungen für die Gelder gut.«
Organisierte Forschungsexpeditionen hätten diese Fragen sicherlich vor dem Aufbruch geklärt. Unsere Truppe hatte bewiesen, dass wir alles andere als organisiert waren; tatsächlich hatten wir uns bis gestern darüber gestritten, wie viele Rucksäcke wir mitnehmen durften. Erst auf dem Weg von Glasgow nach Uig hatte Sorina begonnen, am Plan für die Aufteilung zu arbeiten.
Ich freute mich, für die Vogelforschung von ihr auserwählt worden zu sein. Bei dem Projekt ging es darum, zu zählen, wie viele Vögel gerade ihre Nester bauten und damit die Forschung aus den vorherigen Jahren zu erweitern. Es war eine ruhige, meditative Arbeit und deshalb genau das Richtige für mich.
»Sehr gern!«, erwiderte ich.
»Klasse«, sagte Sorina. »Roisin, Thomas und Robert, ich würde euch gern jeweils einem Projekt zuordnen, in dem ihr Expertise erlangt, die ihr anschließend mit den anderen teilen könnt.«
»Klingt super!« Roisin nickte.
Ich bemerkte, wie Cameron Sorina einen Seitenblick zuwarf. Wenn ich das nervöse Wippen seines Beins und sein zwanghaftes Lächeln richtig deutete, passte es ihm gar nicht, dass sie die Gesprächsführung an sich genommen hatte.
»Die folgende Verteilung ist erst mal nur ein Vorschlag und ihr könnt gern noch tauschen. Roisin, wir dachten bei dir an die Otter. Thomas, du wärst dann bei den Fröschen und Robert wäre der Experte für die Robben«, verteilte Sorina die Projekte.
»Wieso? Weil ich Robb-ert bin?«, fragte dieser grinsend und Thomas prustete vor Lachen. Cameron verdrehte die Augen und ich sah, wie er sich so stark an die Lehnen des Stuhls klammerte, dass seine Knöchel weiß hervorstachen.
»Ich würde gerne tauschen«, sagte Roisin. »Ich hatte gehofft, ich könnte Medea mit den Fröschen helfen.«
»Und ich hatte mit den Ottern geliebäugelt. Das wäre wie ein Gewinn in der L-otter-ie«, gestand Thomas und warf Robert einen Blick zu, der stolz nickte.
Cameron setzte zu einer Antwort an. Ich versuchte, aus seinem Gesicht zu lesen, was er erwidern würde. Sein Ausdruck war finster, sein Bein zuckte.
»Natürlich«, warf Sorina ein. »Ihr seid im zweiten Jahr und noch auf der Suche nach den Themen für eure Abschlussarbeiten. Sieht so aus, als wären damit alle glücklich? Was meinst du, Cameron? Passt das so?«
»Ich halte mich da raus. Du entscheidest ohnehin über meinen Kopf hinweg.«
Sorina seufzte. »Lass uns das nachher noch mal besprechen, ja? Dann können wir jetzt den Aufbau des Lagers planen.«
Während Sorina, Cameron und die anderen diskutierten, hörte ich vor allem zu. Angelou war erneut zu mir gekommen und ich beschäftigte mich wieder damit, sie zu streicheln. Ich wünschte, Sorina wäre die einzige Expeditionsleitung. Wenn ich Camerons Blick auf mir spürte, glaubte ich, er würde mich zum Schweigen bringen, bevor ich überhaupt eine Frage stellen konnte.
Konflikte waren schon immer schwer für mich gewesen. Im Kindergarten. In der Schule. Zu Hause. Ich hatte automatisch das Gefühl, andere waren wütend auf mich, selbst, wenn ich nichts gemacht hatte. Als würde ihr Zorn wie ein dunkler Nebel durch die Luft wabern, seinen Weg zu mir finden und mir den Atem rauben.
Würde ich es schaffen, zwei Monate in Camerons Nähe auszuhalten? Würde der Nebel sich mit der Zeit lichten oder mir die Sicht auf die Dinge nehmen, auf die ich mich so lange gefreut hatte?
Sie hielt ein kleines Wunder in ihren Armen. Ein quiekendes, flauschiges Wunder. Ihren Amahle. In dem Moment, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, wusste sie, dass dieser Zulu-Name perfekt passte. Auch am anderen Ende der Welt wollte sie ihre südafrikanische Kultur nicht aufgeben.
Amahle. Der Schöne.
Thandi hatte den Otterwaisen in eine Decke gewickelt. Sie drückte ihn an ihre Brust. Seine kleinen Pfoten ruhten auf ihren Fingern und sie hätte ihn für immer ansehen können. Wenn sie und Murdoch sich nicht täuschten, war er gerade mal vier Wochen alt. Er war das erste Baby, das ihnen zum Rescue-Center gebracht worden war, und Thandi wusste jetzt schon, dass es ihr schwerfallen würde, ihn wieder loszulassen. Sie musste sich zwingen, nicht zu viel Zeit mit ihm zu verbringen, da er sich nicht an Menschen gewöhnen durfte.
Der Otter machte Anstalten, auf Thandi zu klettern, während sie versuchte, ihn in die kleine Waagschale zu legen.
»Sho, sho. Du bekommst Essen, wenn ich hier fertig bin.« Beruhigend streichelte sie über seinen Rücken.
»Sehr gut. Du hast zugenommen«, lobte sie den Kleinen, der sich in der kühlen Waagschale wand und ein paar entrüstete Laute ausstieß. »Jetzt bekommst du deine Milch.«
Behutsam hob sie ihn hoch und er kuschelte sich augenblicklich an ihre Brust. Mehrere Herzschläge lang ließ sie es zu, spürte die Pfoten und die Wärme des Tieres auf sich, ehe sie das Fläschchen nahm und es ihm hinhielt. Gierig sog er daran. Erst, als die Flasche bis auf den letzte Tropfen leer war, gähnte er zufrieden und Thandis Herz schmolz.
Sie wickelte ihn in seine Flauschdecke und trug ihn ins Nebenzimmer. Dort versuchte sie, den Kisten auszuweichen, die überall herumstanden. Amahles Gehege war das erste von vielen geplanten. Murdoch hatte das Zimmer in zwei Hälften geteilt und mit einem Gitter getrennt. Hinter den Stäben warteten Sand, Hölzer, Gras und Decken auf den kleinen Otter. Thandi legte ihn auf den Decken ab, wo er sich einkuschelte und zufrieden mit dem Schwanz wedelte.
Sie kraulte ihm über den Rücken und Amahle drehte sich glücklich quietschend.
»Ich dachte, wir hatten uns darauf geeinigt, ihn nicht zu verhätscheln.«
Thandi zuckte ertappt zusammen und ließ von dem Otter ab, der sie mit großen Augen anstarrte.
Im Türrahmen stand Murdoch. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schüttelte tadelnd den Kopf. Doch seine Augen blitzten amüsiert und sie erkannte den Schatten der Grübchen, die sie so an ihm liebte.
»Wir wissen beide, dass du ihn ebenfalls verwöhnen willst, neh?«, erwiderte sie und wandte sich wieder demonstrativ dem Otter zu, der sich an ihre Hand schmiegte.
Murdoch schüttelte den Kopf, und ließ seinen kurzen Pferdeschwanz hin und her schwingen. Er ließ die Arme sinken, griff hinter sich, und streckte ihr ein großes Otterkuscheltier entgegen.
»Hier. Das habe ich dem Kleinen besorgt. So hat er auch ohne uns etwas, an das er sich schmiegen kann.«
»Super Idee!« Sie nahm Murdoch das Kuscheltier aus der Hand und legte es neben Amahle, der im Vergleich dazu winzig wirkte. »Schau mal, chommie. Du hast einen neuen Gefährten.«
Ein letztes Mal fuhr sie dem Otterwaisen über den Kopf und ließ ihn mit seinem neuen Spielzeug im Gehege zurück.
»Ich hoffe für den Kleinen, dass wir noch einen Otter finden, mit dem er sich sozialisieren kann«, sagte sie besorgt und griff nach Murdochs Händen. Er streichelte ihre Finger und die vertraute Berührung lief ihr wohlig warm über den Rücken.
Murdoch war alles, was sie sich immer von einer Beziehung gewünscht hatte.
Und trotzdem war da dieses Fleckchen Leere in ihrem Brustkorb. Seit Monaten versuchte sie herauszufinden, woher das Vakuum stammte, das ihr oft die Luft zum Atmen raubte. Vermisste sie Johannesburg? Cape Town? Ihre Familie? War Schottland doch nicht der richtige Ort für sie? Oder war es der Stress mit der Renovierung und den vier Tieren, die bereits eingezogen waren?
»Alles in Ordnung?«, fragte Murdoch und Thandi erinnerte sich daran, sich zusammenzureißen.
»Ja, natürlich. Ich habe nur über Amahle nachgedacht.«
Murdoch hauchte einen Kuss auf ihre Braids. »Wir werden ihn schon aufpäppeln. Mach dir keine Sorgen.«
Es sollte nicht so einfach sein, den Menschen, den man liebte, anzulügen, oder?
»Freust du dich auch schon auf heute Abend? Hast du das Chakalaka vorbereitet?«, wechselte sie das Thema und schloss das Ottergehege.
»Aye. Außerdem habe ich die Ujeqe zum Ziehen ins Wasser gegeben und das vegetarische Haggis in den Ofen geschoben.«
»Du bist der Beste«, erwiderte Thandi dankbar. Hoffentlich würden die anderen ihr Essen wertschätzen.
»Ich bin schon gespannt, die Forschenden kennenzulernen«, sagte Murdoch, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
»Ich auch! Allerdings sollte ich vorher noch duschen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Studierenden es angenehm fänden, wenn ich nach Otter-Pipi rieche.«
Murdoch platzierte lachend seine Hände auf ihren Schultern und begann, sie zu massieren. Ein angenehmer Schauer lief ihr den Rücken hinunter und ein leises Seufzen entfuhr ihr, als Murdoch seine Lippen an ihren Hals legte.
»Also ich finde, du riechst bezaubernd wie immer.«
»Tjoh, Docky! Falls du auf Otter-Pipi stehst, müssen wir darüber reden.«
Murdoch lachte dunkel. Seine Hände wanderten weiter und glitten unter ihr T-Shirt. »Oder wir reden nicht, sondern duschen zusammen. Wir haben nicht umsonst so eine riesige Kabine eingebaut.«
Mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt, stand Thandi vor dem großen Bett und starrte auf die verschiedenen Kleidungsstücke, die vor ihr lagen. Die Ankunft der Expeditionsgruppe hatte sie endlich dazu motiviert den Karton mit der Aufschrift ›Zulu‹ auszupacken.
»Ich kann mich nicht entscheiden, Docky!« Sie sah von dem goldenen Kleid unter dem Perlenschmuck zu dem Blumenrock mit der weißen Bluse.
»Auf was hast du denn Lust?«, erkundigte sich Murdoch, der gerade seinen schwarzen Kilt um die Hüften band.
»Vielleicht das Kleid mit dem Perlenschmuck. Wenn du deinen schottischen Kilt anziehst, will ich ein bisschen Südafrika mitnehmen.«
»Dann haben wir doch deine Antwort. Ich liebe deinen Zulu-Schmuck!«
»Danke. Du weißt, wie viel mir das bedeutet.«
»Nicht dafür.«
»Ich muss mich bei dir nicht verstellen. Ich kann beides sein. Zulu und Schottisch«, erwiderte sie und Murdoch
trat ein paar Schritte vor und schloss sie in die Arme. Sie lehnte ihren Kopf an seine starke Brust, die nach dem Duschen den Geruch von Süßorange und Zedernholz angenommen hatte.
»Ich gehe noch mal nach unten, um nach dem Essen zu schauen, ja?« Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwand.
Thandi blickte ihm hinterher. Er war so gut zu ihr. So perfekt. Gleichzeitig bemerkte sie die nervösen Schmetterlinge in ihrem Bauch. Was, wenn in der Expeditionsgruppe eine Person war, die sie anziehend fand? Murdoch würde das nicht gutheißen. Das wusste sie.
Weil er es nicht verstand. Weil noch niemand verstanden hatte, wieso sie fühlte, wie sie fühlte. Warum sie liebte, wie sie liebte.
Sie ließ sich aufs Bett fallen und strich mit den Fingern über die Perlen ihres Schmucks. Auch in ihrer Heimat war sie eine Außenseiterin gewesen, wenn es um ihre Einstellung zu Beziehungen ging. Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie es leicht gefunden, sich zu verlieben: Während ihres Bachelorstudiums hatte sie für drei Menschen gleichzeitig geschwärmt. Schon damals hatten ihre Freund*innen es ebenso wenig verstanden wie die beiden Frauen und der Mann, mit denen sie gleichzeitig ausgegangen war. Kaum erfuhren sie, dass Thandi noch eine weitere Person mochte, distanzierten sie sich. Aber Thandi hatte sie auch nie anlügen wollen.
Nun saß sie hier. In ihrem Haus, das sie erst vor ein einem halben Jahr zusammen mit Murdoch gekauft hatte, und war beim Gedanken an die neuen Bekanntschaften so aufgeregt wie ein Cape Town Pinguin, dem man einen Fisch hinhielt.
Denn tief im Inneren wusste sie: In ihrem Herzen war Platz für mehr als nur einen einzigen Menschen.
Unser Lager war zu einem märchenhaften Ort geworden.
Zwischen dem Wohnmobil und dem Wohnwagen hatten Medea und Robert Hängematten und solarbetriebene Lichterketten angebracht. Sorina und ich waren währenddessen damit beschäftigt gewesen, die beiden Schlafzelte ebenfalls mit leuchtenden Kugeln zu schmücken. Cameron und Thomas kümmerten sich um Petroleumlampen und Roisin hatte Holz aus dem Wohnwagen geholt, das sie nun in der Feuerstelle im Zentrum des Camps platzierte.
Wir hatten die Zelte windgeschützt hinter dem Wohnmobil und dem Wohnwagen aufgebaut. Neben unseren Schlafunterkünften standen zwei größere Zelte, die als Lager dienen würden.
In eine fluffige Decke gewickelt, hatte ich es mir auf einem der Campingstühle bequem gemacht und betrachtete stolz unser Werk. Die frische Luft und die Bewegung hatten dafür gesorgt, dass die Übelkeit und der Kopfschmerz verschwunden waren und ich mich wie neu geboren fühlte. Über dem Feuer vor mir hing ein Topf, in dem wir Wasser für Tee und heiße Schokolade kochten.
Die anderen wuselten noch herum, als Robert sich zu mir setzte.
»Alles gut bei dir, Zephire?«, fragte er und ich nickte schnell.
Das hier war die perfekte Gelegenheit, ihn besser kennenzulernen. Doch was sollte ich ihm sagen? Wie führte man noch mal ein tiefgründigeres Gespräch? Ich hasste Small Talk. »Freust du dich, bei den Robben mit dabei zu sein, Robb-ert?«, fragte ich nach einer Weile. Er lachte und grinste mich an, was ich als gutes Zeichen interpretierte.
»Absolut! Robben sind meine Lieblingstiere. Ihr Speck ist nicht nur super niedlich, sondern schützt sie auch vor Kälte. Adaptives Dicksein für evolutionären Vorteil? Yes, baby. Da bin ich sofort dabei!« Wie um seine Worte zu bekräftigen, klopfte er sich ein paarmal auf den Bauch und ich kicherte. »Wie sieht’s bei dir aus? Welches Tier wärst du gern?«
»Hmm …«, machte ich, um ein wenig Zeit zu schinden. Plötzlich kam ich mir vor wie in einer Prüfung, in der es nur eine richtige Antwort gab. Ich hatte das Gefühl, ein genauso witziges Tier nennen zu müssen, um mit Robert mithalten zu können. Mir fiel partout nichts Passendes ein. Ich erinnerte mich nur an einen Test, den Hiraya mir geschickt hatte, und bei dem wir beide die gleiche Antwort erhalten hatten.
»Ich glaube, ich wäre eine Eule.«
Robert kicherte. »Wusste ich doch, dass du ein komischer Vogel bist!«
Obwohl der Ton seiner Stimme freundlich war, verursachte der Kommentar ein stechendes Gefühl in mir. Fand Robert mich komisch? Mein Gesicht wurde heiß und ich überlegte angestrengt, was ich sagen konnte, doch ehe mir etwas einfiel, hörte ich Medea rufen: »Hey Leute! Hat jemand von euch das destillierte Wasser gesehen?«
Sie kam aus dem Wohnwagen, in dem sie den Teil ihres Labors aufbaute, der ihre Amphibien beherbergen würde.
»Das war glaube ich im Stauraum des Wohnmobils«, rief ihr Roisin entgegen, die sich gerade zu Robert und mir setzen wollte.
»Da ist nur das stille Wasser zum … Kochen.« Medeas Blick wanderte zu dem großen Topf über dem Feuer. Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte zum Wohnmobil. Es dauerte kaum eine Minute, bis sie mit einem Kanister Wasser wieder vor uns stand.
»Kommt ihr bitte mal alle her?«, rief sie. Thomas war sofort zur Stelle und setzte sich neben Robert, dem er ein sanftes Lächeln schenkte. Fehlten nur noch Sorina und Cameron. Genervt ging Medea zu einem der großen Lagerzelte, in das Sorina und Cameron sich zu einem Leitungsgespräch zurückgezogen hatten.
»Hey, ihr zwei. Das ist vor allem für euch wichtig. Kommt ihr bitte?«, fragte sie, mit dem Kopf halb im Inneren des Zelts.
»Was ist denn, Medea? Merkst du nicht, dass wir gerade beschäftigt sind?«, herrschte Cameron sie an.
»Das ist wichtiger!«, beharrte sie. Hilfesuchend sah ich zu Thomas und Robert, die verwirrt dreinblickten. Ich hasste die Anspannung, die in der Luft lag. Jedes Mal, wenn Menschen die Stimme erhoben, schnürte sich meine Kehle zusammen.
»Kommen ja schon«, nörgelte Cameron. Es war faszinierend zu sehen, wie er Medea Konkurrenz im Störrisch-Schauen machte. Sorina folgte ihm, offensichtlich irritiert.
»Was ist los?«, fragte sie und Medea sah nun in die ganze Runde. Etwas in der Art und Weise, wie sie mich anstarrte, ließ mich die Decke enger um mich ziehen. Hatte ich schon wieder einen Fehler gemacht?
»Irgendjemand«, begann sie und kickte mit ihrem Stiefel gegen den vollen Kanister, den sie geholt hatte. »Hat mein destilliertes Wasser in den Kochtopf gekippt! Ich habe jeden Liter für meine Lösungen eingeplant. Wenn wir nicht irgendwo auf der Insel Neues finden, kann ich meine Bachelor-Arbeit vergessen!«
Plötzlich verstand ich, wieso Medea so aufgebracht war. Ich erinnerte mich noch an meine Thesis und wie ängstlich ich geworden war, wenn etwas nicht funktioniert hatte.
»Oh scheiße«, flüsterte Robert. Sorina fasste Medea am Arm, um sie ein wenig herunterzubringen.
»Brauchst du das Wasser noch heute?«, fragte sie, lösungsorientiert wie immer.
»Nee, ich brauche heute noch nicht alles, aber mich kotzt das an. Kann sich jemand bitte verantwortlich erklären?«
Wie gut, dass ich mich nicht um das Wasser gekümmert hatte. Neugierig sah ich zu Cameron. Es wunderte mich, dass er nicht in Medeas Rage eingestiegen war und den Konflikt weiter befeuert hatte. Doch Cameron sagte gar nichts. Im Gegenteil, er starrte nur auf seine Schuhe.
»Sorry, Medea. Ich weiß es nicht. Nachdem ich das Feuer vorbereitet habe, musste ich erst mal Hände waschen«, meldete sich Roisin und sah ebenfalls in die Runde. Ich zuckte mit den Schultern, um Medea zu verstehen zu geben, dass ich es nicht war. Reichte das? Wieder sah sie mich scharf an.
Thomas räusperte sich und rutschte unruhig auf seinem Campingstuhl hin und her.
»Ich … ich glaube, Cameron hat das Wasser aufgesetzt.«
Ein wütendes Schnauben entfuhr Medea und sie drehte sich wie eine Löwin zu Cameron.
»Sag, dass das nicht wahr ist!«
Mit eiserner Miene zuckte Cameron nur mit den Schultern. »Hab doch gesagt, wir sollten so Zeug nicht im Dunkeln machen.«
»Willst du mich verarschen?« Medea machte einen Satz auf ihn zu, doch Sorina packte sie schnell an der Hand. Doch das reichte nicht aus, um Medea an der Explosion zu hindern. »Du bist die ganze Zeit am Rummotzen, aber schaffst es nicht, ehrlich zu sein? Sorry, Cameron. Aber du bist so was von unten durch bei mir. Wenn ich meine Forschung wegen der Aktion nicht durchziehen kann …«
»Hey, Medea«, versuchte Sorina es erneut und zog Medea weiter von Cameron weg. »In Stornoway gibt es einen großen Tesco. Wir können direkt morgen hochfahren.«
»Danke.« Medea schnaubte. »Wenigstens eine Expeditionsleitung, die was draufhat«, spuckte sie Cameron entgegen, der ihr den Mittelfinger zeigte. Sie drehte uns den Rücken zu und verschwand im Wohnwagen. Roisin stieß ein tiefes Seufzen aus. Betrübt sah ich zu ihr und nickte. Ich hatte mich auf einen ruhigen Abend am Lagerfeuer gefreut. Cameron verkroch sich wieder im Zelt, aus dem er gekommen war, und Sorina stand ein wenig hilflos da. Sie war vorhin so lieb zu mir gewesen und nun wollte ich sie unterstützen.
Obwohl meine Beine zitterten, erhob ich mich und ging auf sie zu.
»Kann ich dir was Gutes tun?«, fragte ich.
»Weiß nicht«, murmelte sie niedergeschlagen. »Vielleicht können wir im Wohnmobil nach den Marshmallows und Keksen schauen?«
Jetzt, da Sorina das Essen erwähnte, realisierte ich erst das Loch in meinem Magen. Ich war fürchterlich darin, zu merken, ob und wann ich hungrig war. Ich folgte ihr ins Wohnmobil, wo sie sich auf der Rückbank niederließ und müde den Kopf in die Hände stützte.
»Findest du das Ganze auch so auslaugend?«, fragte sie plötzlich und ich ließ mich neben ihr nieder.
»Oh ja«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Ich finde es bewundernswert, wie du damit umgehst.«
»Bewundernswert? Ich will bei jedem Konflikt im Boden versinken und mich einer Maulwurffamilie anschließen.«
Ich musste lachen und der Knoten, der sich seit dem Streit in meiner Kehle geformt hatte, löste sich ein wenig.
»Wirklich? Ich dachte, da wäre ich die Einzige. Sag Bescheid, wenn du ein paar nette Nager gefunden hast, und frag, ob sie Platz für eine zweite Person haben.«
Sorina sah mich mit großen Augen an und legte einen Arm um meine Schulter. Kurz verkrampfte ich mich, überrascht von der plötzlichen Nähe, dann freute ich mich darüber.
»Mache ich. Und du sagst mir auch Bescheid, ja? Vielleicht können wir irgendwo auf dem Campingplatz unsere eigene kleine Maulwurfhöhle errichten.«
»Oder wir bauen hier drinnen eine Deckenburg«, schlug ich vor und deutete nach oben auf die Schränke, zwischen denen sich bestimmt perfekt Laken spannen ließen. Dieser Gedanke war mir auf dem ersten Teil der Fahrt gekommen, aber dann kindisch erschienen. Doch Sorina nickte wild.
»Zephire, du bist ein Genie! Lass uns das machen!«
»Geht es dir wieder ein bisschen besser?«, erkundigte ich mich lächelnd.
»Ja, danke. Du bist die Beste! Manchmal muss ich nur durchatmen. Also, wo sind die Marshmallows?«
Obwohl sich Sorina wohl nicht viel bei ihren Worten dachte, bedeuteten sie mir in diesem Moment die Welt.
»Thomas, kannst du die bitte Cameron bringen?«, fragte ich und hielt dem Franzosen eine Tasse mit heißer Schokolade hin.
»Drück mir die Daumen, dass er mich nicht beißt«, erwiderte er und erhob sich. Sorinas und mein Plan war es gewesen, Medea und Cameron mit etwas Süßem ans Lagerfeuer zu locken. Robert hatte seine Gitarre ausgepackt, während Roisin weitere Hölzer auflegte.
Wenige Momente später kamen sowohl Cameron und Thomas als auch Medea und Sorina zurück. Ich beobachtete, wie Cameron und Medea aufeinander zuschritten, und musste unweigerlich an zwei Hunde denken, die knurrend ihre Schwänze zwischen die Beine geklemmt hatten. Sorina stupste Medea in die Seite.
»Sorry, dass ich ausgerastet bin«, presste sie hervor und hielt Cameron die Hand hin.
»Auch sorry, dass ich dein Wasser benutzt und nicht nachgedacht habe«, erwiderte er und ergriff ihre Hand. »Frieden?«
»Nur, wenn du mir Freude und Eierkuchen dazugibst«, entgegnete Medea und ich war erleichtert, wieder ein Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Cameron nickte.
»Mit Eierkuchen kann ich nicht dienen, aber Thomas hat etwas von Marshmallows gesagt. Zusammen mit meinen Graham Crackern kann ich dir S’Mores machen.«
»Deal!«
»Was sind denn S’Mores?«, fragte Thomas verwirrt und bedeutete Cameron, sich neben ihn und Robert zu setzen.
»S’Mores werden dein Leben verändern«, schwärmte Cameron. »So nennt man Sandwiches aus Schokoladenkeksen mit Marshmallows in der Mitte.«
Thomas nickte bedächtig, doch ich meinte, auch Skepsis in seinem Blick zu erkennen. Zumindest, wenn ich die zusammengekniffenen Augen und seine leicht gerümpfte Nase richtig deutete.
»Klingt, als würde das für einen ganz schönen Zuckerschock sorgen.«
»Das ist es mir wert«, entgegnete Cameron und ich freute mich, ihn ein wenig ausgelassener zu sehen. Medea hatte sich ebenfalls einen Platz am Lagerfeuer gesucht und feuerte Sorina an, die etwas von dem weißen Fluff auf einem Stock aufspießte.
»Gib ihm den Rest! Genau so. Stell dir vor, das da ist ein Tory! Zerdrück ihn und halte ihn in die Flammen.«
Roisin, die sich neben die beiden gesetzt hatte, kam aus dem Lachen kaum mehr heraus, und stieß hin und wieder niedliche Grunzlaute aus.
Die ganze Atmosphäre kam mir jetzt angenehmer und freier vor. Die Hitze des Feuers erfüllte mich mit einem Gefühl tiefer Zufriedenheit, das so gut schmeckte wie die heiße Schokolade, an der ich nippte. Hatten Gefühle einen Geschmack? Oder war das wieder so eine Ich-Sache, die niemand anders nachvollziehen konnte?
Der Himmel, der mittlerweile eine tiefdunkle Farbe angenommen hatte, war übersät mit Sternen, zwischen denen ein sichelförmiger Mond ruhte. Der einzige Ort, an dem ich schon mal so viele Sterne gesehen hatte, war San Marcelino, auf der philippinischen Insel Luzon. Als Kind war ich dort jeden Sommer mit meiner Familie hingeflogen, um meine Großeltern zu besuchen. Bevor mein Großvater gestorben und meine Großmutter zu meinen Eltern nach London gezogen war. Seitdem war ich nicht mehr auf den Philippinen gewesen.
Ich holte mein Handy heraus und öffnete meinen Chat mit meiner besten Freundin Hiraya. Durch die Zeitverschiebung hinterließen wir uns meist kleinere Briefe im Chat, genau wie damals, als wir uns noch auf Papier schrieben. Genau das liebte ich an unserer Freundschaft.
»Hey matalik. xx Wir sind endlich angekommen. Die Insel ist toll! Du würdest es hier lieben. Ich schicke dir bald Fotos. Der Sternenhimmel erinnert mich an San Marcelino und da musste ich an unsere nächtlichen Spaziergänge denken. Weißt du noch, wie Lolo uns die Sternbilder erklärt hat? Die Stimmung ist bisher ganz gut. Erinnerst du dich an Cameron, von dem ich dir erzählt habe? Der Kerl, der mich in Glasgow angeschrien hat? Er ist schon wieder nur am Rummeckern. Aber gerade sitzen wir am Lagerfeuer und rösten Marshmallows. Außerdem hatte ich einen tollen Freundschaftsmoment mit Sorina. Ich hoffe wirklich, dass wir auch nach der Expedition miteinander zu tun haben werden. Ich wünschte, du wärst hier und könntest sie auch kennenlernen. Ich vermisse dich sehr.«
Ich schickte die Nachricht ab und ließ mich von Roberts Gitarrenspiel treiben. Er machte eine Pause, um einen Schluck von seinem Kakao zu trinken, und ich empfand es als guten Zeitpunkt für einen kleinen Beifall, in den Roisin und Thomas einstiegen. Er grinste, drückte den Rücken durch und setzte wieder an. Diesmal begann er auch zu singen. Seine Stimme klang singend anders als die, die er am laufenden Band für seltsame Wortwitze nutzte.
Das Lied erzählte davon, wie furchteinflößend Zahnärzte, die Dunkelheit und Gespräche mit interessanten Frauen waren und sprach mir aus der Seele.
Die sanften Klänge nahmen mich mit sich und zum ersten Mal an diesem Tag fühlte ich mich wirklich entspannt. Das Lagerfeuer knisterte und schaffte es, mich zu hypnotisieren.
Ich liebte es, nach Formen in den Flammen zu suchen.
»Bin gleich wieder da«, sagte ich leise. Niemand schien es zu bemerken. Alle schienen mit sich selbst beschäftigt zu sein, was ich sehr angenehm fand. Roberts Gesang begleitete mich ins Wohnmobil, wo ich meine Kamera Nimuel aus dem Rucksack nahm. Ich hatte sie nach meinem Lolo, meinem Großvater, benannt, da ich durch ihn die Liebe zur Fotografie entdeckt hatte.
Mit Nimuel in der Hand ließ ich mich im Schneidersitz auf meinem Campingstuhl nieder. Ich nahm die Schutzkappe ab und blickte durch den Sucher, während ich einen passenden ISO auswählte und Zeit und Blende einstellte.
Perfekt.
Ein Lächeln umspielte meine Lippen beim leisen Klick-Geräusch des Auslösers. Ich sah mir das Foto auf dem Display an, änderte die Einstellungen und versuchte es erneut.
Klick.
Besser. Ich wurde ganz aufgeregt, während ich das Feuer durch meine Kamera beobachtete. Ob ich es schaffen könnte, den Phönix einzufangen? Oder den Drachen, der kurz Funken sprühte und augenblicklich wieder verschwand? Da war ein tanzendes Pärchen, dann plötzlich ein Hund, der zu einer weißen Wolke wurde.
Moment. Weiße Wolke? Ich roch die Marshmallows bevor ich realisierte, dass ich sie fotografiert hatte. Ich senkte meine Kamera und sah, wie Robert einen Stock über das Lagerfeuer hielt. Wann hatte er aufgehört zu spielen? Jetzt lief schottische Volksmusik aus Medeas kleiner Bluetooth-Box.
Ich zuckte mit den Schultern und sah mit schnellen Fingerbewegungen die Bilder durch, die ich gemacht hatte, bis ich eines fand, das mein Herz höher schlagen ließ.
»Hey, Thomas?« Ich wandte mich dem Franzosen zu, der sich entspannt zurückgelehnt hatte und der Musik lauschte.
»Hm?«
»Kannst du mir sagen, was du auf diesem Bild siehst?«
Ich reichte ihm meine Kamera und beobachtete gespannt seine Gesichtszüge, die konzentriert wirkten. Dann riss er die Augen auf und sein Mund öffnete sich zu einem kleinen, runden Kreis.
»Das sieht aus wie ein Drache, der nach dem Hals schnappt! Den habe ich in den Flammen gar nicht gesehen.«
»Ein Drache?«, fragte Roisin überrascht und ihr Marshmallow fiel vom Stock. Sie fluchte leise, legte ihn weg und beugte sich zu Thomas hinunter. »Krass. Guckt mal, Leute! Zephire hat einen Drachen im Lagerfeuer fotografiert.«
Mein Gesicht wurde heiß und ich war mir sicher, dass das nicht nur an der Hitze der Flammen lag. Roisin reichte meine Kamera herum und alle stimmten ihr und Thomas zu.
Alle bis auf Cameron.
»Keine Ahnung, was ihr meint. Ich sehe nur Holz und ein paar verkohlte Scheite.«
Medea seufzte schwer. »Cameron, mein Schatz. Du wirst die nächsten zwei Monate die Medea-Therapie unterlaufen. Wir müssen dringend daran arbeiten, dass du dich ein bisschen entspannst und auf die schönen, kleinen Dinge im Leben achtest.« War das ihre Art, sich mit ihm zu versöhnen? Ich konnte absolut nicht sagen, ob sie das liebevoll oder drohend meinte.
»Ich bin total entspannt!«, protestierte Cameron, wobei er alles andere als entspannt wirkte. Diesmal schien er selbst die Ironie seiner Worte zu bemerken und sein Gesicht wurde so rot wie die Glut zu seinen Füßen. Er lachte und kratzte sich am Hinterkopf. »Du gibst keine Ruhe, oder?«
»Auf keinen Fall.« Medea klatschte in die Hände. »Ich finde, wir sollten gleich mit ein paar Spielen anfangen, um die Therapie zu starten.«
»Spiele? Da kommen wir ja gerade richtig.«
Eine fremde Stimme ließ mich irritiert aufschauen. Der Klang der Worte erinnerte mich daran, wie Wälder rochen – frisch, rau und holzig.
Mir stockte der Atem. Zwei der interessantesten Menschen, die ich jemals gesehen hatte, betraten unser Lager. Der Fremde war noch größer als Thomas und seine Schultern muskulös. Seine weiße Haut war so sonnengebräunt, als würde er die meiste Zeit des Tages draußen verbringen. Seine Wangenknochen waren so markant, wie ich es von männlichen Models kannte. Nur seine Nase wirkte ein bisschen zu groß für sein schmales Gesicht. Doch gerade diese kleine Asymmetrie machte ihn für mich so faszinierend.
Die Haut der Frau an seiner Seite war schwarz wie Obsidian und ihr Lachen ließ sie funkeln. Bunte Bänder waren in ihre Braids geflochten, und passten farblich perfekt zu dem Perlenschmuck, den sie über ihrem Kleid und um ihren Hals trug. Sie hatte silbernen Lippenstift auf ihre vollen Lippen aufgetragen und hielt stolz einen Topf vor sich.
Würden sie es komisch finden, wenn ich sie fragte, ob ich sie fotografieren durfte? Ich wollte ihre Schönheit und ihr Charisma einfangen, und festhalten.
»Murdoch! Thandi!« Sorinas Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
»Heita!«, rief die Frau, stellte den Topf ab und schloss Sorina in die Arme. »Schön, dich endlich live und in Farbe kennenzulernen.«
Während Murdochs Stimme wie ein Wald roch, war Thandis Stimme wie die Gischt von Wellen – lebendig, rau und abenteuerlustig.
»Die Freude ist ganz meinerseits«, erwiderte Sorina, ließ Thandi los und machte eine Geste, mit der sie uns alle einschloss. »Thandi, Murdoch – das ist unser Team. Team? Trefft unsere Heldin und unseren Helden aus dem neuen Isle of Harris Rescue-Center.«
Wir begrüßten die beiden. Thandi war genauso hibbelig wie Sorina und Medea. Murdoch hingegen stellte die Kiste mit Essen, die er gehalten hatte, ab und hob schüchtern die Hand.
»Tjoh, Queen! Ich liebe deine Haare«, rief Thandi und sah zu Medea, die ebenfalls aufgesprungen war.
»Und ich deine!«, erwiderte Medea und schloss Thandi in die Arme. Ein leises Lachen entfuhr mir. Wurde ich gerade Zeugin von dem, was Menschen als Liebe auf den ersten Blick bezeichneten? Manchmal wünschte ich mir das auch. Mich sofort auf der gleichen Wellenlänge mit einem Menschen wiederzufinden und den Mut haben, zu fragen, ob wir gemeinsam auf ihr surfen wollten.
Ich rutschte ein bisschen unsicher auf meinem Stuhl hin und her. Wann war ich an der Reihe mich vorzustellen? Wann war es angebracht? Sollte ich ebenfalls aufstehen und sie in den Arm nehmen? Ich schielte zu Roisin und den Männern unserer Gruppe. Sie alle waren aufgestanden und auf die beiden Fremden zugegangen. Das nahm ich als Zeichen, mich ebenfalls zu erheben. Warum raste mein Herz? War ich nervös? Aufgeregt? Eingeschüchtert? Von ihrer Attraktivität überwältigt?
Ich wischte mir die schweißnassen Hände an der Hose ab, ehe ich zu Murdoch trat. Jetzt, wo ich vor ihm stand, fühlte ich mich noch winziger.
»Zephire. Freut mich, dich kennenzulernen«, murmelte ich und streckte ihm meine Hand entgegen. Moment, vergaß ich nicht etwas? Ach ja, Augenkontakt. Es war unhöflich, Menschen zu begrüßen, ohne sie dabei anzusehen. Als ich ihm schnell ins Gesicht schaute, wünschte ich, es nicht getan zu haben. Seine graugrünen Augen rissen mich sofort in ihren Bann. Er nahm meine Hand in seine und drückte einmal kurz zu. »Die Freude ist ganz meinerseits. Ist neben dir noch Platz? Ich glaube, ich habe Thandi an Medea verloren.« Er deutete neben sich, wo die beiden Frauen schon in ein lebhaftes Gespräch vertieft waren.
»Was? Ihr habt ein Otterbaby? Wirklich?«, rief Medea so laut, dass alle anderen innehielten und zu den beiden sahen.
»Ja, ich versichere es dir, ek sê! Der Kleine heißt Amahle und wird dir das Herz stehlen.«
»Ich glaube, du wirst uns alle an das Otterbaby verlieren«, sagte ich zu Murdoch, der auflachte. Rau und tief. So, dass sich eine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete. Murdoch hatte einen der coolsten Berufe überhaupt, war entgegenkommend und unfassbar attraktiv. Wie viele Punkte konnte ein einzelner Mensch in der L-Otter-ie gewinnen?
»Gibt es etwas Schöneres, als sich das Herz von Tieren stehlen zu lassen?«
Da war etwas Warmes, Fürsorgliches in seiner Stimme, das meinen Herzschlag und die Nervosität beruhigte.
»Auf keinen Fall. Also, wenn du neben mir sitzen willst, da ist noch Platz auf der Picknickdecke.«
»Sehr gut. Danke dir, Zephire.«
Wieder suchte er meinen Blick, und ich hatte große Mühe, ihn nicht zu lange regungslos anzustarren.
Nachdem wir alle unsere Plätze eingenommen hatten, erhob sich Thandi und wandte sich den Töpfen und der Kiste zu.
»Wir haben ein kleines Willkommensgeschenk vorbereitet«, teilte sie begeistert mit und begann Pappschalen und zusammengewürfeltes Besteck herumzureichen. »Murdoch hat vegetarisches Haggis mit Kartoffelbrei gemacht und ich etwas aus meiner Heimat: Chakalaka und Ujeqe.«
»Was sind denn Chakalaka und Ujeqe?«, erkundigte sich Robert.
»Chakalaka ist ein südafrikanisches Zulu-Gericht mit viel Gemüse, Gewürzen und Bohnen. Und Ujege ein traditionelles, gedünstetes Brot«, erklärte Thandi stolz. Ich wünschte, ich könnte auch so über die Philippinen reden. Gleichzeitig wusste ich, dass meine Antwort auf ein Gericht aus meiner Heimat Fish and Chips wäre.
»Das klingt lecker«, kommentierte Thomas und sah mit großen Augen zu den Köstlichkeiten, die Thandi auspackte. »Wir können euch leider nur … Snores anbieten.«
»S’Mores«, korrigierte Robert ihn und strich spielerisch über seinen Arm.
»S’Mores sind doch das perfekte Lagerfeuer-Dessert«, antwortete Murdoch und der Klang seiner Stimme ließ meinen Herzschlag kurz aussetzen.
Reiß dich zusammen, Zephire. Du musst nicht gleich Gummibeine bekommen, wenn jemand eine schöne Stimme hat. Und toll aussieht … Und Tierarzt ist …
»Wer möchte was?«, fragte Sorina, die Thandi mit den Schüsseln half.
Einige Momente später hatte ich Haggis, Kartoffelbrei, Dampfbrot und Chakalaka auf dem Teller in meinem Schoß und wurde direkt in den Himmel der Geschmacksempfindungen katapultiert. Alle lobten das Essen und kurz herrschte genüssliches Schweigen, bis Thandi sich erneut an die Gruppe wandte.
»Ich sterbe vor Neugierde. Wo kommt ihr her?«
Die Frage ließ mich für den Bruchteil einer Sekunde zusammenzucken. Immerhin war es Thandi, die das fragte. Kein weißer Mann in einem Londoner Kaffee, der mich anstarrte und ›Aber wo kommst du wirklich her?‹ von sich gab.
»Rumänien«, begann Sorina.
»Griechenland«, erwiderte Medea. »Athen, um genau zu sein.«
Thomas machte weiter: »Südfrankreich bei Marseille.«
»Ich bin nur ein langweiliger Schotte aus Inverness«, sagte Robert.
»Hey! Wir Schott*innen sind nicht langweilig«, rief nun auch Roisin. »Immerhin haben viele von uns Wikinger-Wurzeln.«
»Mein Clan zum Beispiel«, erklärte Murdoch grinsend und nahm eine heroische Pose auf der Decke ein. »Murdoch MacLeod, Nachfahre der gallóglaigh oder auch gallowglass.«
»Angeber. Ich sag euch, in meinem Docky steckt so viel Wikinger wie in den Robben, die wir aufpäppeln. Meist liegt er nur in unserem Bett herum und will, dass ich ihm den Rücken kraule.« Thandi lachte und warf ihm einen Luftkuss zu, der Murdochs Pose zerfließen ließ.
»Erstens: ich habe dir doch gesagt, du sollst mich nicht vor anderen so nennen. Es ist schlimm genug, dass du diesen schrecklichen Spitznamen für mich hast. Zweitens: Robben können ganz schön gefährlich werden!«
Wir alle lachten, Thandi und Murdoch eingeschlossen, doch ich musste mich selbst davon abhalten, mir mit der flachen Hand gegen die Stirn zu schlagen. Die beiden waren ein Paar. Meine Reaktion auf sie war also mehr als unangebracht gewesen.
Typisch. Natürlich finde ich ausgerechnet die beiden Menschen hinreißend, die aneinander vergeben sind …
Ich krallte die Fingernägel meiner linken Hand in meinen rechten Unterarm und bemühte mich, nicht an das zu denken, was ich damals in der Bibliothek gesehen hatte.
Dabei wollte ich so gern jemanden kennenlernen, mit dem ich herausfinden konnte, wie es war, eine Beziehung zu führen. Sich alles zu erzählen, sich nicht verstecken zu müssen. Sich geborgen zu fühlen. Wie eine enge Freundschaft, nur mit dem Unterschied, dass sie von Herzrasen, Schmetterlingsflattern und Zärtlichkeiten begleitet wurde. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich würde bis in alle Ewigkeiten allein bleiben.
Meine einzigen Erfahrungen mit Bumble waren in komischen Dates und zwei One-Night-Stands geendet, die ich am liebsten vergessen wollte. Und wenn jemand außerhalb von Apps mit mir flirtete, bekam ich es meist nicht mit. Zumindest, wenn ich Hiraya Glauben schenken konnte, die mein Erwachsenenleben nur über WhatsApp kannte. Ich hatte erst ein einziges Mal geglaubt, eine Person gefunden zu haben, mit der ich glücklich sein könnte.
Phil.
Sie war so vieles für mich gewesen. Meine erste Beziehung, mein erster Liebeskummer. Natürlich war es zu schön gewesen, um wahr zu sein. Natürlich hätte ich auf all die Warnungen hören müssen.
Denn Phil war bereits in einer Beziehung gewesen. Mit einem Kerl. Ich war nichts weiter als ihr Versuchskaninchen für ihren ersten Sex mit einer Frau gewesen.
Jackpot. Nicht.
»Und du? Wo kommst du her, Zephire?«, fragte Thandi und lächelte mich breit an. Wie konnte ein Mensch nur so ein wunderschönes Lächeln haben? So herzlich, warm und … Stopp, Zephire. Hör auf. Hör auf, oder du wirst dich nur selbst verletzen.
»London, Putney.«
»Tjoh! Ich liebe London. Auch, wenn mir die Stadt ein bisschen zu laut ist.«
»Ich weiß, was du meinst, aber sobald du die richtigen Orte kennst, oder gute Kopfhörer hast, bekommt London einen ganz eigenen Charme«, erklärte ich. Einen Großteil meiner Jugend hatte ich im Richmond Park verbracht, wo ich dem Lärm der Stadt zumindest ein bisschen hatte entkommen können.
»Das glaube ich sofort. Du musst mir unbedingt mal die Zephire-Tour geben«, rief Thandi aufgeregt und wieder merkte ich, wie Hitze in mein Gesicht stieg. Der Gedanke sie durch London zu führen war verlockend. Ich war mir sicher, sie würde meine Lieblingsorte, die versteckten Cafés und die besten Street Food Stände wertschätzen. Doch frühere Erfahrungen hatten mir gezeigt, wie unwahrscheinlich es war, dass das jemals passieren würde. Ich hasste es. Hasste es, ständig zu versuchen, Verbindungen zu knüpfen, voller Zuneigung zu häkeln, nur damit sich der Faden bei der ersten Gelegenheit trennte und fallen gelassen wurde.