Zahlensystem der Induskultur und Deutungsversuch der Indusschrift - Tapan Kumar Das Gupta - E-Book

Zahlensystem der Induskultur und Deutungsversuch der Indusschrift E-Book

Tapan Kumar Das Gupta

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Beschreibung

Ursprünglich wurden die Zahlzeichen der Induskultur mit kurzen und langen Strichen gebildet, es gab an den Rangschwellen einen langen Strich für 100 und ein zusammengesetztes Zeichen aus einem vertikalen und einem horizontalen Strich für 1000. Das Zahlensystem war centesimal. Irgendwann stieß man auf Schwierigkeiten, wenn die Zahlen mit größerer Anzahl von kurzen Strichen geschrieben werden sollten. Man führte ein eigenes Zeichen für 10 ein, und das centesimale Zahlensystem wandelte sich zu einem dezimalen System. Der Verfasser bemüht sich zu erkennen, inwieweit aufgrund der Befunde dieser Untersuchung eine Inschrift der Induskultur übersetzt werden kann.

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Vorwort

Nach der Entzifferung der Hieroglyphen und der Keilschrift sind auch die Zahlensysteme der beiden Hochkulturen der Antike bekannt geworden, das Zahlensystem in Altägypten war dezimal und in Mesopotamien sexagesimal. Trotz zahlreicher Bemühungen konnte bis jetzt jedoch die Frage des Zahlensystems der Induskultur noch nicht geklärt werden. Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, dieses Problem zu lösen. Angesichts der bekannten Schwierigkeiten, die Induszeichen zu verstehen (siehe Arlene R. K. Zide 1979, 259), kann ein solches Unternehmen im Rahmen einer Hypothese geschehen. Zuvor sollen in einem Rückblick die Ansichten der Forscher über die Zahlen bzw. das Zahlensystem der Induskultur dargelegt werden. Der Zweck dieser Ausführungen besteht einerseits darin, dass Leser einen ersten Eindruck erhalten mögen, was bisher über dieses Thema geschrieben worden ist. Andererseits erwartet der Verfasser selbst, daraus Anregungen zu seinen eigenen Untersuchungen zu bekommen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass oft die Gedanken über die Zahlen bzw. über das Zahlensystem im Gesamtkonzept der jeweiligen Forscher eingebettet bleiben, sodass zum besseren Verständnis des Sachverhaltes gewisse Kenntnisse ihrer Ansichten auch über die Indusschrift erforderlich sind. Da jedoch diese nicht das eigentliche Thema der vorliegenden Arbeit sein sollen, hat der Verfasser auf eigene Kritik bzw. Würdigung zu den Vorstellungen der hier behandelten Autoren verzichtet und in wenigen Fällen in den Fußnoten auf Ansichten anderer Verfasser hingewiesen. Würdigungen bzw. kritische Betrachtungen über die Entzifferungsversuche der Indusschrift finden sich in der Arbeit von Gregory L. Possehl (1996, 76-161).

Die fotographischen Wiedergaben der in dieser Veröffentlichung verwendeten Abbildungen sind in dem drei bändigen Werk „Corpus of Indus Seals and Inscriptions (CISI)“ enthalten. Es ist noch zu berücksichtigen, dass die Zeichnungen hier nicht maßstabgerecht wiedergegen worden sind. Stattdessen ist es versucht worden, die in Betracht kommenden Zahlzeichen auf den Funden hervorzuheben. Für das Durchsehen des Manuskripts dankt der Verfasser seiner Frau Brigitte Das Gupta.

Hamburg, im Mai 2016

Tapan Kuma Das Gupta

Vorwort zur 2. Auflage

In der 1. Auflage der Veröffentlichung mit dem Titel „Zahlensystem der Induskultur - eine Hypothese“ ist die Verwendung der Zahlen auf einigen Funden behandelt worden. In der 2. Auflage sollen weitere Funde berücksichtig werden. In einer Rezension der 1. Auflage macht Andreas Fuls darauf aufmerksam, dass das Zahlensystem der Induskultur polyvalent sein könnte. Zuvor hat auch Wells eine solche Möglichkeit erwogen, auf die der Verfasser der vorliegenden Arbeit jedoch nicht näher eingegangen war, dies soll hier nachgeholt werden. Der Verfasser bedankt sich bei Herrn Fuls dafür, dass er mit ihm korrespondieren konnte, um einige Fragen zu klären.

Der Beitrag ist zugleich eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Gedanken von Steve Farmer, Richard Sproat und Michael Witzel. Farmer et al haben ihre Arbeit betitelt „The Collapse of the Indus-Script Thesis: The Myth of a Literate Harappan Civilization”. Sie meinen, dass die Induszeichen keine Schrift einer gesprochenen Sprache, sondern Symbole waren, die von allen Bevölkerungsschichten eines nicht schriftkündigen Volkes verstanden werden konnten. In einer kritischen Betrachtung lehnt Massimo Vidale die Ansichten von Farmer et al entschieden ab (Vidale 2007). Der Verfasser der vorliegenden Arbeit vertritt die Auffassung, dass einige Argumente von Farmer et al ernst genommen werden sollten, und die von ihnen aufgerollten Probleme gelöst werden müssen. So ist zu hoffen, auf dem schwierigen Terrain der Indusschrift weiterzukommen. Schließlich bemüht sich der Verfasser zu erkennen, inwieweit aufgrund der Befunde dieser Untersuchung eine Inschrift der Induskultur übersetzt werden kann. Damit wird die Thematik der 1. Auflage durch Ergänzungen erweitert, entsprechend ist auch der Titel der 2. Auflage.

Als Vorlagen der Zeichnungen der Arbeit dienen die Fotographien aus CISI, darin werden abgekürzt M: Mohenjo-daro, H: Harappa, L: Lothal, K: Kalibagan, Dmd: Daimabad.

Hamburg, im August 2017

Tapan Kumar Das Gupta

Inhaltsverzeichnis

Rückblick

Induszahlen nach Wells

Zahlensystem der Induskultur

Zahlzeichen auf Funden

Zahlzeichen 10 und 12

Offene Fragen

Literatur

Zusammenfassung

Abstract

Fortsetzung

Induszeichen nach Farmer et al

Verwendung der Induszahlen

Darstellung und Bedeutung der Induszeichen

Deutungsversuch der Indusschrift

Induszeichen nach Priyanka

Offene Frage

Literatur (Ergänzung)

Zusammenfassung

Abstract

Personenregister

Sachregister

RÜCKBLICK

1931 veröffentlichte John Marshall den Bericht über die archäologischen Ausgrabungen in Mohenjo-daro, die in den Jahren 1922 und 1927 im Auftrage der damaligen Britisch-Indischen Regierung ausgeführt worden waren.1 Marshall äußerte seine Ansichten über die Zeichen auf den Siegeln und ging davon aus, dass es sich bei diesen um eine Schrift handelte. Nach seiner Meinung könnte man den Inhalt unter den damaligen Umständen lediglich mutmaßen, möglicherweise seien darauf die Namen der Eigentümer mit Rang und Titel angebracht. Was die Zahlzeichen anbelangt, wäre es zwar denkbar, dass die Anzahl der Objekte auf Behältern gekennzeichnet werden sollten. Dies erscheine jedoch nicht sehr logisch, denn es sei anzunehmen, dass die Menge der Objekte von Fall zu Fall sehr unterschiedlich gewesen sei. Es erhebe sich die Frage, wofür dauerhaft angelegte Siegel erforderlich wären.

Ein Zahlensystem in den Belegen lasse sich ebenfalls nicht erkennen: „…it should be observed that to extract a numeration-system from these writings seems impossible. Counting strokes, the only numbers found are 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, and 12, and even these occur in different sizes and arrangements of unknown significance. Nine, ten and eleven cannot be identified though there is a possibility that they are denoted by a different kind of signs; thirteen is, it may doubtfully be suggested… With so restricted a range of numerals, even admitting the possibility of others not identified, it is hard to believe that a complete numerical-system exits in these inscriptions... The general conclusion is that these collections of strokes, though obviously containing a certain number of units, are not here used in a numerical sense, but most probably with a phonetic value, which is perhaps derived from the native words expressing the respective numbers.” 2

In der 1934 erschienen Dissertation gelangte G. R. Hunter zu dem Ergebnis: Die Indusschrift war phonetisch und monosilbig und aus Ideogrammen und Piktogrammen hervorgegangen. Die Sprache der Induskultur gehörte nicht zur indoeuropäischen Sprachfamilie. Hunter bezeichnete die Indusschrift als proto-indisch und teilte die Auffassung des Assyriologen Stephen H. Langdon, dass die spätere Brāhmī-Schrift der Indusschrift zu Grunde lag.3 Die unterschiedlich dargestellten langen und die kurzen Strichen der Indusschrift sind nicht nur Zahlzeichen, sondern haben auch andere Verwendungen. So sind z. B. ein kurzer Strich () und zwei kurze Striche () zwei Vokale. Möglicherweise sind die Bezeichnungen der Zahlzeichen 1 und 2 und der beiden Vokale gleichlautend (homonym). Hunter nannte zwei Merkmale, um zu erkennen, ob die Striche der Indusschrift Zahlzeichen oder Wörter oder Silben sein sollen: „To decide whether in a given text a numeral sign is to be read as a numeral or as a word or syllable that happens to be a homophone of that numeral we have two indicators: (a) the recurrence of a particular sign accompanied by several different numerical signs, (b) the recurrence of one numeral sign, and one only, a number of times with one and the same non-numeral sign. In the former case the numeral sign is to be read as numeral, in the latter as a homophone unconnected with any numeral except by the accident of phonetic identity. There will remain a number of cases where a given sign is found only once or twice with a numeral sign. These will remain for the present dubious”.4 Hunter ging davon aus, dass ein Zeichen für 10 nicht sicher sei.5

1938 veröffentlichte Alan S. C. Ross die Arbeit über „The ‚Numeral-Signs‘ of the Mohenjodaro Script“. Es ging ihm in erster Linie nicht um das Zahlensystem der Induskultur, sondern um die Art der Verwendung der Zahlzeichen mit Strichen in der Indusschrift, auch wenn er beiläufig auf das Zahlensystem einging. Außerdem beabsichtigte er die Frage zu klären, ob eine mit der Indussprache verwandte Sprache existiert und legte zu diesem Zweck zwei Hypothesen vor, von denen unten gleich die Rede sein wird.

Um die Charakteristika der Zahlzeichen zu erkennen, stellte Ross die Belege aus der Publikation von Marshall tabellarisch zusammen und bemerkte, dass es zwar denkbar wäre, dass Zahlzeichen der Indusschrift tatsächlich als Zahlzeichen verwendet worden waren, was er jedoch nicht für wahrscheinlich hielt: „Let us first consider the obvious possibility - that some or all of the numeral-signs actually signify the numbers indicated, i.e., that the numeral-signs are simple ideograms… if some of the numeral-signs are ideograms signifying the numbers indicated, the positions of the numeral-signs relative to the other signs of the script might be expected tobe, in many cases similar. On the ideogram-hypothesis we should expect that the same sign would often be found to the immediate left or right (according to the direction of the script and the position of the numeral with regard to the thing qualified in the language concerned) of different numerals-signs. Actually this is not the case… Under these circumstances the obvious hypothesis - that the numeral-signs are in general used as ideograms signifying accrual numbers - is not tenable.”6 Nach Ross bleiben noch zwei Hypothesen übrig: I. Zahlzeichen werden für homonyme Wörter verwendet. Die Schwierigkeit einer solchen Hypothese besteht allerdings darin, dass es kaum Sprachen gibt, in denen ein Homonym zu jedem Zahlzeichen vorkommt. II. Zahlzeichen sind Phoneme. Ross hielt diese Hypothese für wahrscheinlicher und ging davon aus, dass es sich dabei um die Silben handelte.

Das Zahlensystem der Induskultur setzte Ross als dezimal voraus. Er berief sich dabei auf A. S. Hemmy, der einige Objekte im Hinblick auf ihre Gewichte untersuchte und feststellte, dass das dabei verwendete Zahlensystem teils dezimal und teils binär sein müsste.7 Aus den Belegen der Indusschrift lasse sich allerdings das System nicht erkennen: „All that we should be entitled to conclude from the script itself on this point would be that the base of the chief numeration-system was greater than 8 and that it was not 11; for the next number to the base is usually a change-point… and, as we have shown, none of the numbers 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, are change-points; further 12 is not a change-point.”8 Mit dem Ausdruck „change-point“ ist die Rangschwelle eines Zahlensystems gemeint. Die 12 soll ein Sonderfall sein, über deren Ursprung Ross lediglich mutmaßen konnte. Er implizierte, dass neben dem Dezimalsystem auch ein anderes System vorhanden sein könnte.9 Es könnte ähnlich wie bei den Sumerern auch in der Induskultur ein sexagesimales Zahlensystem gegeben haben, das aus einer 60er Basis und 10er Sub-Basis bestand, und die 12 der Induskultur wäre darauf zurückzuführen: „If we assume that ‚12‘ is intrusive in the Mohenjo-daro system we might suppose that it is of autochthonous origin here also. But it is tempting to seek its origin to the west, where, in Mesopotamia (between which and the Indus Valley there was close contact), the early presence of a compound system, part decimal and part sexenary, might easily have given rise to such a concept.”10

Schließlich verglich Ross mit der Indussprache vier Sprachen (dravidische, indonesische, Munda und Burushaski), um zu erkennen, ob zwischen ihr und einer der vier Sprachen eine Ähnlichkeit besteht. Das Ergebnis: die Bedingungen der Hypothese I werden von keiner und die der Hypothese II von allen vier Sprachen erfüllt, am ehestens aber von der indonesischen Sprache, denn sie weist ein dezimales Zahlensystem mit keiner Rangschwelle unter 11 auf.11 Ob dieser Befund allein einen brauchbaren Hinweis zum Problem des Zahlensystems der Induskultur liefere, sei freilich eine andere Frage.12

1958 teilte der Geistliche Pater Henry Heras die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungsarbeit über die Indusschrift in einem umfangreichen Werk mit.13 Darin nannte er 10 Voraussetzungen als Grundlage seiner Entzifferung der Indusschrift.14Heras vertrat die Auffassung, dass die Sprache der Induskultur proto-dravidisch war, und die Grammatik sich in einem frühen Stadium befand. Die Schrift ist eine „pikto-phonographische Schrift“. Die Zeichen der Schrift sind weder Silben, noch bestehen sie aus Konsonanten, sondern stehen für Wörter. Um den Inhalt der Schrift zu verstehen, sollte versucht werden, die Wurzel der protodravidischen Wörter zu erkennen. Anhand des Zeichens des Fisches zeigte Heras, wie sie ermittelt werden können. Dazu heißt es: „First of all, there are some signs in our script whose values can only be explained in Dravidian languages. To give an instance, let us take the three following signs which are evident pictographs of fish:-

Only in Dravidian languages these three signs have the same phonetic values corresponding to three different meaning, according to the three differences shown in the signs themselves. If we suppose for a moment that the language of Mohenjo-Daro was Sanskrit, we should read the three above signs mātsya or even mīna - a word borrowed from Dravidian languages; but these two words in Sanskrit have no other meaning than fish, and therefore we shall not be able to assign a proper meaning to the other two signs.”15 So soll das Zeichen des Fisches als ein proto-dravisches Wort min aufgefasst werden.

Heras präsentierte eine Liste der proto-dravidischen Wörter.16 Ein piktographisches Zeichen, z. B das Zeichen eines Mannes (ā), ist ein Mann. Unter den phonographischen Zeichen versteht Heras eine Klasse von Zeichen, in der keine konkreten Objekte, sondern abstrakte Ideen enthalten sind.17 Die Bedeutung solcher Zeichen sollen in piktrographischen Verwendungen anderer Völker der Antike gesucht werden. Z. B. hat ein Zeichen mit kleinen horizontalen Strichen darauf bei den Sumerern den phonetischen Wert „groß“, ein ähnliches Zeichen der Indusschrift hat den phonetischen Wert per und deshalb die Bedeutung „groß“. Es gibt in der Indusschrift auch Ligaturen, z. B. eine aus zwei Zeichen zusammengesetzte Wiedergabe - „ein Mann (ā) in der Hand (per) das Zeichen mit kleinen horizontalen Stichen darauf“ - hat die Bedeutung „ein großer Mann (perā)“. Eine eckige Klammer (van) über einem Zeichen ist als Determinativ zu verstehen, so hat z. B. das Zeichen aus drei Dreiecken (nila) mit der eckigen Klammer (van) darauf die Bedeutung „Landbesitzer (nilavan)“.

Heras schrieb schon im Jahre 1939 eine Arbeit über die Zahlzeichen der Induskultur.18 Dabei wurde ebenfalls zwischen der piktographischen und der phonographischen Verwendung der Striche unterschieden. In den piktographischen Darstellungen sind die Striche Zahlzeichen, dabei sind die kurzen und langen Striche Varianten, und ihre unterschiedlichen Platzierungen sind lediglich durch den zur Verfügung stehenden Platz bedingt. Heras verwendete folgende Bezeichnungen der Zahlzeichen: or (1), ir (2), mūn (3), nāl (4), ai (5), ār (6), ē (7), e (8), onpad (9), pad (10), padrā (12), mūnē (21), mūne (24), mūnpadrā (36).19 Die Benennungen der Zahlzeichen sind die „proto-dravidischen“ Kardinalzahlen, und es wird bei den phonographischen Wiedergaben der Striche davon Gebrauch gemacht. Die Zahlzeichen werden stets zusammen mit einem piktographischen bzw. phonographischen Nichtzahlzeichen verwendet. Z. B. bedeuten die sieben Striche neben dem Zeichen des Grabmales „sieben Tote (ē kā)“. Die Zahlzeichen werden nicht nur getrennt von dem piktographischen bzw. phonographischen Zeichen verwendet, sondern auch an das Zeichen angehängt. So ist das phonographische Zeichen einer Stadt (ūr) ein Zeichen eines Kreises bzw. eines Ovals. Werden drei Striche an das Zeichen der Stadt angefügt, dann heißt es „drei Städte (mūnūr)“. Soll darüber hinaus die Einheit der drei Städte hervorgehoben werden, dann wird zusätzlich ein langer Strich neben dem Zeichen der „drei Städte“ angebracht.

In Folgendem werden einige Beispiele zum phonografischen bzw. grammatischen Gebrauch der Striche darlegt: Die Bezeichnung des Zahlzeichens für die vier in der Indusschrift ist nāl und in der tamilischen Sprache heißt nal „gut“. Das Zeichen eines Mannes (ā), der den ersten Strich der neben ihm stehenden vier Strichen festhält (nālā), ist auszulegen als „ein guter Mann“. Es handelt sich also um eine homonyme Verwendung. Das Zahlzeichen für die eins, also ein Strich kann auch benutzt werden, um den Plural auszudrücken: Wenn der Mann in einer Hand einen Strich hochhält (āor), dann handelt es sich um „Mann mehrfach, also Männer“. Schließlich können die Striche auch ein Determinativ sein: Ein Zeichen aus zwei miteinander greifenden Ovalen hat die phonographische Bedeutung „zwei verbündete Staaten (kalakūr)“, erhält dieses Zeichen auf der rechten und auf der linken Seite jeweils zwei kurze Striche, dann heißt das Zeichen “Bürger der verbündeten Staaten (kalakūrir).

Heras hatte sich auch bemüht, einige Übersetzungen der Indusschrift vorzulegen.20 Er konnte aber Forscher von deren Richtigkeit jedoch nicht überzeugen, sein methodisches Vorgehen erhielt dagegen Anerkennung.21

1974 veröffentlichte der Assyriologe James V. Kinnier-Wilson eine Monographie über die Indusschrift und 1984 das Wesentliche des Inhaltes seiner früheren Veröffentlichung.22 Er vertrat die Auffassung, dass die Schrift der Sumerer und die Indusschrift auf eine gemeinsame Quelle zurückgingen. Später hatten sie sich zwar unterschiedlich entwickelt, einige der ursprünglichen Merkmale waren jedoch in den beiden Schriften noch erhalten geblieben.23 Kinnier-Wilson war der Auffassung, dass Inhalte der Indusschrift die Rechnungswesen/Buchführung betrafen.24 Er legte eine Tabelle mit einigen Zeichenkombinationen der Indusschrift vor. Darin ist mehrfach folgendes Zeichen zu erkennen:25

Aus praktischen Gründen bezeichnete Kinnier-Wilson es in seiner Arbeit als „Q-Zeichen“. Auf der rechten Seite vom Q-Zeichen erscheinen jeweils 3, 4, 5, 6, 7 und 8 Striche. Das Q-Zeichen mit 9 Strichen ist zwar nicht belegt, wird aber in der Tabelle ergänzt und mit einer eckigen Klammer wiedergegeben, um dies zu kennzeichnen. Es sind noch zwei weitere Zeichen vorhanden, ein Kreis, in dessen Mitte sich ein Q-Zeichen befindet und ein Q-Zeichen, an deren rechten Seite zwei ineinander greifende Kreise abgebildet sind. Kinnier-Wilson bemerkte dazu: “From these examples our first conclusion would be that the „numeral signs“ are indeed being used as numerals, and secondly that the sign „Q“ is most likely to have been a unit of measure.”26

Iravatham Mahadevan, Beamter des gehobenen Dienstes der indischen Regierung, befasste sich zunächst aus Interesse mit der Erforschung der Tamil Inschriften und dann später mit der Entzifferung der Indusschrift. Nachdem er in den Ruhestand getreten war, widmete er sich ausschließlich wissenschaftlichen Arbeiten. Sein größter Verdienst besteht darin, dass unter seiner Federführung eine Konkordanz der Indusschrift verfasst wurde.30 Mahadevan legte auch ein theoretisches Konzept zur Entzifferung der Indusschrift vor. Er nannte es „die bilingualen Parallelen“. 1988 hielt er anlässlich einer Tagung des Indian History Congress einen Vortrag, in dem er sein Konzept kurz so erörterte: „The Indian historical tradition has come down to us in two main linguistic streams, viz., Indo-Aryan and Dravidian. It is likely that due to prolonged bi-lingualism and racial fusion in the Indian subcontinent, Harappan names passed into the Indo-Aryan as loan-words and translations. It is therefore useful to search for bi-lingual parallels from both Indo-Aryan and Dravidian sources while attempting to interpret the ideographic signs. The advantage of the method of bi-lingual parallels is that it is not necessary to make any a priori assumption about the linguistic affinity of the Harappan language, even while hoping that accumulation of evidence would ultimately help to resolve this question.”31

Nach Mahadevan müssten in der Indusschrift die Zahlen vorhanden sein - wenn sich in den Strichen auf Töpferwaren und Objekten aus Bronze eine Sequenz von 1, 2, 3 usw. erkennen lasse, dann sei es logisch, dass es sich um die Zahlzeichen handele. Offensichtlich waren sie dafür gedacht, Gegenstände aufzuzählen. Allem Anschein nach war das Zahlensystem dezimal, in dem die Ziffer 1 bis 9 mit kleinen Strichen und 10 mit einem hufeisenförmigen Zeichen () verwendet wurden, wie bei dem Zahlensystem in