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Sie freute sich auf einen Heiratsantrag, doch alles kam anders …
Das Leben der 29-jährigen Mia ist fast perfekt. Sie führt mit Arda seit vier Jahren eine wunderbare Beziehung. Zu ihrem perfekten Glück fehlt nur noch der Heiratsantrag.
Als sie und Arda in Antalya Urlaub machen, rechnet sie fest mit einem Antrag. Doch an ihrem 30. Geburtstag teilt er ihr mit, dass er sie nicht heiraten wird. Für Mia bricht eine Welt zusammen.
Tief enttäuscht und wütend fliegt sie zurück nach Köln und will nichts mehr von Männern wissen. Aber dann begegnet sie Tom und trotz ihres Liebeskummers ist er wie ein Magnet, der sie unwiderstehlich anzieht ...
Findet sie in Tom endlich den Mann, nach dem sich ihr Herz ein Leben lang gesehnt hat, oder ist sie für ihn nur eine weitere Trophäe?
Ab sofort auch Band 2 erhältlich: Wo ist der Bräutigam?
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Veröffentlichungsjahr: 2019
NORA GREEN
Zerbrochene Liebe
1 Auflage März 2015
Autor: Nora Green
Lektorat: Christiane Saathoff, www.lektorat-saathoff.de
Covergestaltung: Casandra Krammer
Foto-/ Motivrechte: © DeviantArt / Frame of Thoughts/ Lostandtaken.com
Erstveröffentlichung: 2015 als E-Book
Copyright © 2015 by Salim Güler
INHALTSVERZEICHNIS:
INHALTSVERZEICHNIS:
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Eine Bitte
Kleines Wörterbuch
Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich.
(Hermann Hesse)
Kapitel 1
Seit vier Jahren wartete sie auf diese eine Entscheidung, weil sie ihn liebte und ihm vertraute. Er liebte sie auch und vertraute ihr, das stand für ihn außer Frage. Dennoch kamen ihm die vier gemeinsamen Jahre sehr kurz vor und immer wieder ertappte er sich dabei, wie er bei dem Gedanken an diese Entscheidung erschrak.
Aber warum machte er es sich so schwer? Wenn man jemanden liebte, wollte man dann mit dieser Person nicht den Rest seines Lebens verbringen? War es nicht das Normalste, gar Erstrebenswerteste, ein Nest zu bauen und eine Familie zu gründen?
Sein Herz sagte Ja, hämmerte ihm diese Antwort regelrecht ein. Noch immer hatte er dieses Kribbeln im Bauch, wenn sich ihre Blicke trafen und er vermisste sie schon in dem Moment, wenn er sich von ihr verabschiedete, weil der Berufsalltag nach ihm rief.
Sie war nicht nur seine bessere Hälfte, Freundin und Geliebte, sondern auch sein Gewissen. Sein Seelenpartner. Und er wusste, dass er nie wieder so eine wunderbare Frau kennenlernen würde. Dennoch brachte er die Worte: »Willst du mich heiraten?«, auf die sie nun so lange wartete, nicht über die Lippen. Er hatte sie vertröstet, immer wieder, und irgendwann hatten sie ein Abkommen getroffen, dass es so weit sein würde, wenn sie ihren dreißigsten Geburtstag feierte. Und das war in genau vierzehn Tagen.
Angst überkam ihn und er verdrängte den Tag der Entscheidung so gut es ging. Sie hingegen war aufgewühlt, aufgedreht und freute sich so offensichtlich, dass sein schlechtes Gewissen mit jedem Tag zunahm. Obwohl sie die perfekte Beziehung führten und sich selten stritten, stand ihre Beziehung auf der Kippe.
Arda war sich bewusst, wenn er an ihrem dreißigsten Geburtstag nicht die Frage stellen würde, würde sie sich von ihm trennen. Es würde sein Herz brechen, aber auch ihres. Und dieses Wissen machte es noch unerträglicher für ihn.
Liebe konnte so verdammt ungerecht sein. Vor allem, wenn der Liebe gesellschaftlicher Druck folgte. Warum konnten Menschen sich nicht einfach lieben, ohne einen Ehering? War dieses Stück Edelmetall wirklich so wichtig? Seine ehrliche Antwort wäre: Nein! Aber er hatte es bis heute nicht gewagt, diese Einschätzung über die Lippen zu bringen, weil die Hochzeit für Mia verdammt wichtig war und ihr alles bedeutete.
Mia scherzte immer wieder, dass gerade Türken Traditionen wichtig seien und es doch unehrenhaft sei, wenn man unverheiratet zusammenlebte oder gar Sex miteinander hatte. Allein deswegen müsste er sie schon längst geheiratet haben. Scherzhaft antwortete er: »Ich bin doch integriert.«
Diese Diskussionen waren immer scherzhaft, aber er wusste, dass es ihr ernst war und dass sie tief in ihrem Herzen von diesen Traditionen überzeugt war.
Lächelnd stellte er wieder fest, dass sie es war, die auf Traditionen viel Wert legte. Heirat, Familie, Kinder, alles Schlagworte, die andauernd über ihre Lippen kamen, aber selten über seine. Er hielt mehr von Freiheit, Lebensqualität oder Unabhängigkeit und genau diese fürchtete er zu verlieren, wenn er erst einmal in den Bund der Ehe eintrat. Was bedeutete es schließlich zu heiraten? Natürlich Kinder zu bekommen. Er liebte Kinder, keine Frage. Seine ältere Schwester hatte zwei wunderbare Kinder, aber eigene Kinder bedeuteten viel Verantwortung und Arbeit. Da konnte man nicht mehr spontan entscheiden, das Wochenende in Paris oder London zu verbringen.
Arda war ein Karrieremensch, dementsprechend war auch sein Gehalt. Er war nicht geizig, denn er vertrat die Meinung, dass das Geld wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen müsse. Das bedeutete nicht, dass er verschwenderisch war. Von seinem monatlichen Nettogehalt von knapp 9.000 Euro legte er jeden Monat 3.000 Euro beiseite. Den Rest investierte er, wie er es nannte, in Lebensqualität.
Mia genoss den Luxus ebenso wie er. Wieso konnte sie dann nicht verstehen, dass es damit ein Ende hätte, wenn sie Kinder hatten? Er wollte ihr nicht glauben, dass sie wirklich bereit war, auf Business Class Flüge oder Suiten in den teuersten Hotels zu verzichten, wenn sie Kinder hatten. Wie konnte man freiwillig diesen Luxus aufgeben?
Ihm jedenfalls fiel es sehr schwer, diesen Schritt zu gehen. Er hatte sich an den Luxus gewöhnt und liebte ihn auch. Sein Blick wanderte zu seiner Rolex Submariner Date, die er sich letztes Jahr gegönnt hatte. Er wusste, dass er viel Geld verdiente, weitaus mehr als die meisten anderen Angestellten in Deutschland. Dennoch war er noch nicht zufrieden. Arda war sehr ehrgeizig und mit seinen einundvierzig Jahren im besten Alter, die Karriereleiter aufzusteigen. Sein Ziel war es, ein C in seiner Berufsbezeichnung zu haben. Das C stand für Positionen auf Vorstandsebene.
Seine Eltern waren einfache Menschen. Sein Vater war Hilfsarbeiter und seine Mutter hatte als Putzfrau gearbeitet. Andere Berufe hatte Deutschland der Generation seiner Eltern nicht zugedacht, als sein Vater beschloss, die Heimat zu verlassen, um in Deutschland ein besseres Leben zu führen. Denn in der Türkei ging es seinen Eltern noch schlechter. Sie kamen aus Anatolien, wie die meisten Türken, die in Deutschland leben, und waren dort einfache Bauern, denen die Ernte gerade zum Überleben reichte.
Deutschland war für seinen Vater das Land, in dem es für jeden gute Arbeit und gutes Geld gab. Geld, um seinen Kindern eine gute Ausbildung zu garantieren, und für diese Ausbildung verzichteten seine Eltern wo es nur ging.
Er wusste somit, was es hieß, in ärmlichen Verhältnissen aufzuwachsen. Vielleicht war dies mit ein Grund für seinen übermäßigen Ehrgeiz. Der Ehrgeiz hatte ihn erfolgreich gemacht und ihm dieses Gehalt beschert. Er wusste auch, dass er, wenn er weiter so fleißig war, in einigen Jahren einen Vorstandsposten innehaben würde. Dann würde er genug Geld verdienen, um an Kinder denken zu können.
Das konnte er Mia aber nicht sagen. Noch einmal vier Jahre warten, das würde sie nicht mitmachen und er könnte ihr das nicht einmal übel nehmen. So in Gedanken versunken bekam er erst nach einigen Sekunden mit, dass sein Smartphone klingelte.
Er nahm das Gespräch an.
»Arda.«
»Hey, Arda, ich bin‘s, Maik. Wie geht’s, Jung? Seid ihr gut angekommen?«
»Hey, ja danke. Sind ja schon seit Samstag hier.«
»Und wie ist das Wetter?«
»Super. Echt schön hier, waren die ganzen Tage am Meer.«
»Cool, beneide dich. Bei uns hat es den ganzen Tag geregnet.«
»Na komm, ihr fliegt doch bald nach Kuba.«
»Ja, freue mich schon voll drauf. Die Kinder sind auch ganz aufgeregt. Wie geht’s Mia?«
»Super, sie ist noch shoppen.«
»Typisch Mia. Aber was sage ich da, Caro ist ja nicht besser. Sie denkt im Urlaub auch nur ans Braunwerden und Shoppen.«
»So sind die Ladys nun mal. Zum Glück ist Mia da ganz entspannt und drängt mich nicht immer mitzugehen.«
»Caro auch.« Beide lachten.
»Und, schon nervös?«
»Wieso?«
»Na, wegen des großen Tages.«
»Achso, geht eigentlich«, antwortete Arda, aber ihm war, als würde ihm jemand einen heftigen Schlag versetzen. Natürlich war er nicht bereit, ganz und gar nicht. Hätte er eine Zeitmaschine, dann würde er einige Jahre zurückreisen, damit er nur keine Entscheidung treffen musste.
»Na, mein Lieber, vor einigen Wochen hat sich das noch ganz anders angehört.« Maik lachte in den Hörer.
»Da war ich auch betrunken«, versuchte Arda sich zu rechtfertigen.
»Egal, Arda. Du machst schon das Richtige. Eine Frau wie Mia wirst du nie wieder kennenlernen. Verbock es nicht, mein Lieber.«
»Nein, nein, natürlich nicht. Du hast ja recht.« Seine Stimme wurde immer dünner.
»Und denk dran, als dein bester Freund organisiere ich die Bachelorparty, habe da noch eine Rechnung offen mit dir von meiner Bachelorparty«, gab Maik von sich und er lachte aus dem Bauch heraus. Arda mochte Maiks Lachen, es war sehr ansteckend und ehrlich. Maik und er kannten sich seit ihrer Kindheit, sie waren beste Freunde und wussten, dass sie sich alles anvertrauen konnten.
»Na, so schlimm waren doch die Aufgaben nicht, du Memme.«
»Also, wenn du in Windeln die Ehrenstraße runterlaufen nicht schlimm nennst …«
»Hat dich ja keiner gezwungen«, versuchte Arda sich zu rechtfertigen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Na, wart‘s ab, mein Lieber. Ich denke mir schon ein paar coole Aufgaben für dich aus.«
»Oh Mann, dann sage ich die Hochzeit lieber ab.«
»Mach keinen Scheiß!«
»War doch nur Spaß«, lächelte Arda diesen Gedanken weg. Dabei war es alles andere als Spaß, nur konnte er diese Wahrheit niemandem anvertrauen. Vor einigen Wochen, als Maik und er betrunken waren, hatte er ihm anvertraut, dass er eigentlich gar nicht heiraten wollte. Doch Maik hatte anders reagiert, als er es erhofft hatte. Er hatte ihn ermahnt, nicht dumm zu sein und einen Fehler zu machen, den er sein ganzes Leben lang bereuen würde.
Niemand konnte Arda verstehen, und wenn er ehrlich war, konnte nicht mal er verstehen, warum ihm der Gedanke an Hochzeit und Kinder solche Angst machte. Mia war, so stellte er immer wieder fest, das Beste, was ihm je widerfahren war. Dennoch stand diese Kleinigkeit, genannt Hochzeit, spürbar im Weg.
»Das will ich für dich hoffen. Bekomm bloß keine kalten Füße«, ermahnte ihn Maik mit ernster Stimme.
»Nein, nein, keine Sorge. Oh, es klopft an der Tür, ist bestimmt Mia.«
»Okay, richte ihr liebe Grüße aus. Wenn was ist, meld dich.«
»Ja, mach ich«, antwortete Arda, verabschiedete sich, steckte das Smartphone wieder in seine rechte Hosentasche und eilte zur Tür.
Als er die Tür mit einem Lächeln öffnete, stand nicht Mia davor, sondern ein Mann. Ein fremder Mann. Ardas Lächeln verschwand augenblicklich und Angst machte sich breit, denn seine Augen blickten in den Lauf einer Waffe.
Kapitel 2
Gerade als Mia den Dessous-Laden verließ, klingelte ihr iPhone.
»Hallo?«, fragte sie und setzte sich auf eine Bank, die in kurzer Entfernung zum Laden stand.
»Hi, Mia. Ich bin’s, Steffi. Wollte mal hören, wie es dir geht.«
»Super, Schnucki. Wo bist du?«
»War eben beim Sport und bin gerade auf dem Rückweg.«
»Ach, und da war dir langweilig und du hast gedacht, rufe ich mal Mia an.« Mia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Richtig, Süße. Wie ist das Wetter bei euch?«
»Echt super. Nächstes Mal musst du mit Hendrik mitkommen. Euch würde das auch gefallen.«
»Das machen wir. Habt ihr denn genug Platz für uns drei?«
»Na klar, die Ferienwohnung ist groß genug – für uns sechs dann.« Mia konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
»Wie? Sag nicht, dass du schwanger bist?« Steffi schrie vor Aufregung in den Hörer.
»Nein, noch nicht. Aber rate mal, wer nach dem Heiratsantrag die Pille absetzen wird ...«
»Süße, verarsch mich nicht! Oder willst du riskieren, dass deine beste Freundin einen Herzinfarkt bekommt?« Steffi lachte und fügte hinzu: »Das wäre so toll, dann hätte Ben einen Spielkameraden.«
»Ja, das wäre der Hammer. Ich bin so aufgeregt, das kannst du dir gar nicht vorstellen!«
»Doch, schließlich hat er dich ja lang genug hingehalten.«
»Sag das nicht, Steffi. Bei ihm dauert halt alles … ein bisschen länger …« Mia grinste.
»Alles? Du …” Steffi grinste auch, weil sie die Anspielung verstand.
»Er ist halt ausdauernd …«, bestätigte sie vielsagend, denn Steffi und sie hatten keine Geheimnisse voreinander.
Mia wusste alles über Steffis Sexleben und umgekehrt. Sie wusste, dass Arda es hasste, wenn sie darüber sprach, daher hatte er es ihr auch verboten. Arda war in dieser Hinsicht ganz anders als sie, und sie glaubte ihm, dass er gegenüber seinen Freunden nicht über sein Sexualleben oder ihre Vorlieben sprach. Mia sah das nicht so eng. Sie war eine Frau und Steffi ihre beste Freundin, da war es normal, dass man darüber sprach. Anderen Freundinnen erzählte sie nichts.
»So wie du dich anhörst, habt ihr heute bestimmt eine heiße Nacht.«
»Klar, ich war extra Dessous kaufen. Das ist ja das Schöne im Urlaub: Keine Arbeit, kein Stress, der Schatz ist die ganze Zeit da, keine Termine, die ihn mir wegnehmen, und gaaaanz viel Sex.« Mias Augen leuchteten, was Steffi natürlich nicht sehen konnte. »Was macht dein Sexleben?«
»Rühr nicht an diese Wunde, Süße. Das ist der Preis, den man zahlt, wenn man Mama geworden ist. Der Kleine weckt uns so oft, dass wir beide zurzeit keine Lust haben. Überleg dir gut, ob du wirklich schwanger werden willst«, bemerkte Steffi ironisch.
»Tzzz … nix da. Für einen kleinen Arda verzichte ich sehr gerne auf Sex.«
»Kann dich sehr gut verstehen. Es gibt für mich auch nichts Wichtigeres als Ben. Und was, wenn es eine kleine Mia wird?«
»Das glaube ich nicht. Ich fühle, dass es ein Junge wird.«
»Süße, du spinnst, du bist doch noch nicht mal schwanger!« Steffi lachte.
»Ich weiß, aber ich fühle es, keine Ahnung warum. Ach, am Ende ist es egal, Hauptsache gesund.«
»Das stimmt. Es wird höchste Zeit, dass meine beste Freundin schwanger wird. Dann können wir endlich über Windeln, schlaflose Nächte und Babyklamotten reden. Stell dir vor, wir beide mit Kinderwagen am Meer und hinter uns die Männer mit unseren Shoppingtüten …« Steffi lachte in den Hörer und Mia ebenfalls.
»Oh ja, das wäre sehr schön«, bestätigte Mia verträumt und ihr Blick wanderte über die Strandpromenade aufs Meer. Es war Mitte April und das Wetter in Antalya mit 22 Grad sehr angenehm. Ein leichter Wind wehte ihre Haare aus dem Gesicht und die Wellen rollten ruhig in die Bucht. Sie mochte Antalya.
Einige Male im Jahr reisten sie und Arda nach Antalya, wo sie vor zwei Jahren eine Ferienwohnung direkt am Meer gekauft hatten. Meistens blieben sie für zwei bis fünf Tage, um der Hektik Deutschlands zu entfliehen. Diesmal entschieden sie sich, drei Wochen zu bleiben, da Arda am ersten August eine neue Stelle antreten sollte und nun seine über 400 Überstunden abfeierte. Arda war sehr ehrgeizig, manchmal zu ehrgeizig, fand sie. Viel lieber hätte sie ihn öfter bei sich, aber sie wusste, dass Arda seine Karriere sehr viel bedeutete und wollte dem nicht im Weg stehen.
»Ach, sieh zu, dass du schwanger wirst, Süße«, grinste Steffi in den Hörer. Mia war so in Gedanken, dass sie den Satz nicht hörte.
Sie sah noch immer zum Strand, als ein Schäferhund ihren Blick kreuzte. Der Schäferhund sah zu ihr herüber. Sein Blick war traurig, Mia bekam eine Gänsehaut. Sie folgte dem Hund mit ihrem Blick, aber er lief, als hätte er ein Ziel vor Augen.
»Süße, bist du noch da?«
»Oh ja, Schnucki. Sorry, war gerade in Gedanken.«
»… oder hast einen schnuckeligen Kerl gesehen …« Steffi lachte.
»Nein, eher einen Hund …« Mias Stimme war ernst.
»Einen Hund? Du meintest doch, in Antalya würde es nur so von Straßenhunden wimmeln.«
»Ja, aber ein Schäferhund?«
»Vielleicht der Hund von Touristen?«
»Magst recht haben, aber ich hatte eine Gänsehaut, als ich ihn sah. Es war fast, als würde er mir direkt in die Augen schauen.«
»Das bildest du dir nur ein. Wenn ich an Oscar denke, habe ich auch manchmal das Gefühl, er würde mich anstarren. Aber im nächsten Moment weiß ich, dass der faule Racker nur Hunger hat.«
»Selbst schuld, wenn du dir einen Mops zulegst«, lachte Mia und fügte hinzu: »Also ich würde mir einen Schäferhund holen, wenn …«
»… Arda nicht gegen Haustiere wäre«, beendete Steffi den Satz. Mia liebte Haustiere. Als sie noch bei ihren Eltern wohnte, hatte sie auch einen Hund, einen Labrador, Arda hingegen konnte mit Haustieren nichts anfangen. Er behauptete immer, dass sie keine Zeit für ein Haustier hätten, da sie beide berufstätig waren, deswegen unternahm sie auch keinen Versuch, ein Haustier anschaffen zu wollen.
Wenn ich erstmal verheiratet und schwanger bin, sieht die Sachlage anders aus, grinste Mia in Gedanken.
»Ja, aber er hat schon recht. Wir arbeiten beide, wer soll sich dann um den Hund kümmern?«
»Ach komm, Süße. Er ist einfach kein Tierfreund.«
»Sag das nicht.«
»Ist doch so, oder hat er jemals mit Oscar gespielt? Er ignoriert ihn förmlich, als wäre Oscar Luft. Dabei ist der Mops so lieb.«
»Ja, der ist total knuffig. Aber Arda ist nun mal nicht mit Haustieren aufgewachsen, deswegen ist er da ein bisschen eigen.«
»Nimm ihn doch nicht immer in Schutz, er mag einfach keine Tiere. Ist meine Überzeugung. Aber egal, Süße, ich muss jetzt Schluss machen, sonst bringt mich die Telefonrechnung noch um.« Steffi lachte.
»Na, klar. Oder bist du gerade zu Hause angekommen?« Mia lachte auch, da sie ihre beste Freundin natürlich kannte. Ein Gespräch dauerte bei ihr genau so lang wie ihr Weg vom Fitnessstudio nach Hause.
»Ertappt.« Lachend fügte sie hinzu: »Viel Spaß heute Abend, hab dich lieb.«
»Den werde ich haben. Drück mir alle und hab dich auch lieb.« Mit diesen Worten beendeten sie das Gespräch.
Mia stand auf und winkte ein Taxi herbei. Auf Türkisch teilte sie dem Taxifahrer die Adresse mit. Der Taxifahrer war sichtlich überrascht und fragte, ob sie Türkin sei, was sie verneinte. Sie erklärte nur kurz, dass ihr Mann türkischstämmig sei und sie deswegen Türkisch gelernt habe, obwohl Arda das nie von ihr forderte. Für Mia war das aber selbstverständlich, sie wollte die Sprache ihres Freundes und baldigen Ehemannes schließlich verstehen.
Schon ziemlich früh in ihrer Beziehung stand für sie fest, dass sie mit ihm eine Familie gründen wollte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie schon nach wenigen Monaten geheiratet, sie liebte Arda. Er war ihre große Liebe, warum hätten sie mit Hochzeit und Kindern warten sollen? Aber er sah das anders und sie gab nach, weil sie ihm vertraute und er ihr Traummann war.
Dennoch hatte sie schwer zu kämpfen, wenn sie sich mit ihren Freundinnen traf, von denen die meisten verheiratet waren und Kinder hatten. Nach jedem Besuch bei Steffi fühlte sie, dass ihr etwas fehlte: eine eigene Familie. Aber bald würde sie auch Kinder haben und sie war sich sicher, Arda und sie würden wunderbare Eltern abgeben, wobei sie sicherlich die Strengere wäre. Arda war einfach zu gutmütig, das sah sie schon daran, wie seine Nichten ihm auf der Nase herumtanzten.
Mia schaute aus dem Fenster, während der Taxifahrer fuhr. Der Verkehr in Antalya war abends fürchterlich, jeder versuchte, aus der Stadt herauszukommen. Sie war immer wieder erstaunt, dass es nicht regelmäßig zu Massenkarambolagen kam. Aus einer dreispurigen Straße wurde innerhalb weniger Sekunden eine vier- oder fünfspurige Straße. So etwas war in Deutschland undenkbar, aber die Türken versuchten mit solchen Tricks, den Verkehr einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Nur noch wenige Minuten trennten sie von ihrem Freund. Mia dachte an die heiße Unterwäsche, die sie gekauft hatte. Sie hoffte, dass sie Arda gefallen würde. Beim Gedanken daran wurde ihr ganz warm, daher versuchte sie, sich abzulenken und schaute aus dem Fenster. Sie kniff die Augen zusammen. Sie konnte nicht glauben, was sie da sah: Knapp 20 Meter vor ihr bog der Schäferhund, den sie an der Strandpromenade gesehen hatte, nach rechts ab und entzog sich ihrem Blickwinkel.
Wem auch immer der Hund gehört, er sollte besser auf ihn aufpassen, dachte sie. In Antalya gab es viele angriffslustige Straßenköter, denen ein Haustier nicht gewachsen war. Kurze Zeit später parkte das Taxi vor der Einfahrt der Ferienwohnung. Mia bezahlte und verabschiedete sich. Die Ferienwohnung lag in Lara, einem Stadtteil von Antalya, in dem große Themenhotels wie das Titanic oder Delphin standen, und war damit eines der beliebtesten Reiseziele von Touristen.
Auf der Anlage befanden sich nur Ferienwohnungen, die überwiegend von Ausländern oder vermögenden Türken bewohnt waren. Sie war bewacht, wobei Mia oft das Gefühl hatte, dass der Wächter des Öfteren gar nicht darauf achtete, wer die Anlage betrat. Das Taxi wurde auch nicht angehalten, sondern einfach durchgewunken.
Vielleicht hat er mich ja erkannt, dachte sie, als sie nur noch wenige Meter von der Haustür trennten. Gerade in dem Moment, als sie die Haustür öffnen wollte, hörte sie ein Geräusch. Es war ein Hundebellen. Sie drehte sich um und sah ihn. Den Schäferhund.
Kapitel 3
Arda brauchte einen Moment, bis er realisierte, was gerade geschah. Der fremde Mann drängte ihn mit der Waffe bis ins Wohnzimmer. Ardas Hemd war klitschnass und seine Stirn kalt vor Schweiß. Nur mit Mühe brachte er heraus: »Was wollen Sie?«
»Sus«, sagte der Einbrecher, was bedeutete, dass er seinen Mund halten sollte. Arda wechselte nun auch ins Türkische.
»Lütfen ...«, bat ihn Arda.
»Halt‘s Maul, wo ist dein Geld, dein Schmuck, deine Uhr ...«, antwortete der Mann auf Türkisch.
Arda sah an seinem Gesicht, dass auch der Mann angespannt war. Arda schätzte ihn auf Ende zwanzig. Er war knapp 1,80 Meter groß und somit ein bisschen kleiner als Arda. Auf der Stirn des Einbrechers sammelten sich kleine Schweißperlen, ein Zeichen, dass er wohl ein Amateur war. Außerdem hatte sich der Einbrecher nicht die Mühe gemacht, eine Maske zu tragen.
»Nimm alles, was du willst, aber mach keine Dummheiten.«
»Wenn du tust, was ich sage, passiert dir nichts. Wo ist deine Frau?«
»Frau?«, fragte Arda irritiert.
»Ja, diese deutsche Schlampe.«
»Woher weißt du, wer meine Frau ist? Wehe ...« Seine Stimme wurde laut, da er plötzlich heftige Angst bekam, dass Mia etwas geschehen sein könnte.
»Halt‘s, Maul, Pesevenk, wo ist die Nutte?« Der Mann machte einen Schritt auf Arda zu und drückte ihm den Lauf seiner Waffe an die Stirn.
»Bitte, alles gut, sie ist nicht da. Sie ist shoppen.«
»Wehe, du lügst mich an, du Hurensohn.«
»Nein, nein, sie ist wirklich shoppen.«
»Wann kommt sie?«
»Ich weiß nicht, aber bestimmt nicht vor zehn«, versuchte Arda ihn zu täuschen.
»Wenn du mich anlügst, töte ich euch beide«, fluchte der Mann und Speichel tropfte aus seinem Mund zu Boden. Arda warf einen kurzen Blick in seine Augen und sah dort sehr viel Wut und Hass. Seine rechte Gesichtshälfte durchzog eine lange, recht frische Narbe. Er vermutete, dass sie aus einem Zweikampf stammte. Der Einbrecher war zwar kleiner als er, aber dafür umso kräftiger und er hatte die Waffe. Ein Risiko wollte Arda nicht eingehen, lieber sollte er nehmen, was er wollte. Jedenfalls musste er ihn loswerden, bevor Mia zurückkam, da er nicht wusste, wie der Mann reagieren würde, wenn sie gleich durch die Tür kam.
»Nein, wirklich, ich lüge nicht. Hier, nimm.« Arda nahm die Rolex vom Handgelenk und reichte sie dem Einbrecher.
Dieser grinste. »Ich wusste es doch, hat er also recht, du reicher Esel. Wo ist das Geld?«
Wieso hat er »er« gesagt, dachte Arda und fragte sich, wer mit »er«gemeint war. Das konnte doch nur bedeuten, dass der Einbrecher einen Komplizen hatte. Einen Komplizen, der die Anlage kannte, der ihn kannte. Ein Mitarbeiter? Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, er wollte nicht glauben, dass ein Mitarbeiter dieser Anlage der Komplize von diesem Wahnsinnigen sein konnte. Warum auch? Soviel er wusste, wurden die Mitarbeiter hier gut bezahlt, weit besser als in üblichen Positionen. In der Türkei war der Durchschnittslohn von umgerechnet 700 Euro noch immer deutlich niedriger als in Deutschland, aber würde man deswegen zum Verbrecher werden?
Er hoffte nicht, musste aber unweigerlich an einen Artikel denken, den er vor kurzem gelesen hatte. In Hurghada fiel ein Schweizer Ehepaar einem Raubmord zum Opfer, der Mörder war der Wächter der Anlage. Er hatte mit zwei Freunden das Ehepaar ermordet, um an die Einrichtungsgegenstände zu gelangen. Die Polizei fand in der Wohnung von einem der Täter Gegenstände aus dem Haus des Ehepaars, wie einen Staubsauger und einen Kühlschrank. Mochte hier Gleiches geschehen? Wenn er den Artikel nicht in der Zeitung gelesen hätte, hätte er es nicht für möglich gehalten, dass Menschen wegen eines Staubsaugers zum Mord bereit waren!
Das Leben schrieb die brutalsten Geschichten. Würde ihm das gleiche Schicksal drohen? Ein plötzlicher Gedanke ließ ihn erstarren: Der Einbrecher war nicht maskiert, also konnte er ihn identifizieren. Bedeutete das nicht, dass er ihn töten musste? Arda schluckte. Aber welche Möglichkeiten hatte er? Der Mann war bewaffnet und sicherlich zu allem fähig, aber Arda? Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie geprügelt, geschweige denn eine Waffe in der Hand gehabt. Klar, er war stark und durchtrainiert, aber er rechnete sich keine Chance gegen diesen Einbrecher aus, weil er Angst hatte. Somit gab es nur eine Antwort: Deeskalation!
Gib ihm, was er will, und stell ihm noch mehr in Aussicht, war seine Strategie.
»Hier, meine Geldbörse.« Er reichte ihm sein Portemonnaie. Der Mann nahm es und riss die Geldscheine heraus.
»Ist das alles, du Esolesek?«
Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte Arda leise gelacht. Türken waren schon ein komisches Volk. Sie waren sehr stolz und viele hielten ihre Nation für die beste der Welt. Und sie beleidigten für ihr Leben gerne. Er kannte kaum ein Volk, das so ungehemmt beleidigte wie Türken. Aber sie beleidigten nicht nur ihr Gegenüber, sondern gleich die ganze Familie mit. Esolesek bedeutete nichts anderes als »der Sohn eines Esels«. Türken reichte es nicht, »du Esel« zu sagen, nein, es musste gleich die ganze Familie miteinbezogen werden.
Es gab Wörter, für die gab es im Deutschen nicht mal eine Übersetzung, so derb und erniedrigend waren sie. Natürlich waren nicht alle Türken so, er und seine Familie waren das beste Beispiel dafür, seine Eltern hatten diese Worte nie gebraucht. Klar, sie hatten auch geflucht und beleidigt, aber nicht auf so eine heftige Art, obwohl seine Eltern einfache Bauern aus der Türkei waren und in Anatolien diese Art von Beleidigungen alltäglich.
Wobei es hier auch feste Regeln gab: Ein Jüngerer durfte einen Älteren niemals auf die gleiche Weise beleidigen wie ein Älterer einen Jüngeren. Das Beleidigen und Fluchen war den Erwachsenen vorbehalten. Wehe, ein Sohn oder eine Tochter wagten es, die Eltern zu beleidigen. Die Folge waren nicht selten Schläge. Deswegen fluchten und beleidigten sich die Kinder untereinander, wobei es auch dort schnell zu einer Rangordnung kam. Mädchen durften Jungs nicht beleidigen, sonst wurden sie schnell zu »Huren« und »Schlampen« abgestempelt, und jüngere Kinder durften die älteren nicht beleidigen, sonst gab es eine Tracht Prügel.
Es war das Abbild einer archaischen, patriarchalischen Gesellschaft: die Ordnung von oben nach unten. Sicherlich war die Türkei keine Ausnahme, viele Länder teilten dieses Rollenbild.
Er war seinen Eltern dankbar, dass sie trotz ihrer einfachen Herkunft erkannten, was wirklich im Leben zählte: Bildung und ein respektvolles Miteinander.
Viele dieser Schimpfwörter lernte er erst im Studium kennen, als er mit anderen türkischen Kommilitonen in Kontakt war, für die diese archaische Sprache ein Teil ihrer Persönlichkeit war. Türken nannten die Deutschen gerne abfällig Gavur, dabei waren, so stellte es Arda leider immer wieder fest, sie die eigentlichen Gavurs, was nichts anderes bedeutete als »Ungläubige« im Sinne von »Barbaren/Unzivilisierte«. Und genau diese türkischen Gavurs waren es, die dazu beitrugen, dass bis heute in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung Vorbehalte gegenüber Türken herrschten.
Das Leben war komisch, da befand er sich in höchster Gefahr, seine Gedanken aber waren beim soziomoralischen Verhalten von Nationen.
Aber so war er schon immer, er ließ sich gerne ablenken. Das war etwas, was ihm Mia auch immer wieder vorwarf. Wenn sie mit ihm stritt (er nannte es diskutieren), kam ihm plötzlich ein neuer Gedanke, so dass er schnell vom eigentlichen Thema abkam, was sie oft zur Weißglut brachte. Bis heute wollte sie nicht akzeptieren, dass er das nicht mit Absicht tat, es war einfach sein Naturell. Sie warf ihm vor, dass er einfach keine Streitkultur besäße und jedes Mal ablenkte, dem war aber nicht so.
Ein unwilliges Schnaufen holte ihn in die Realität zurück. Der Einbrecher trat bedrohlich näher.
»Das ist alles an Geld. Ich zahle fast nur mit Kreditkarten«, antwortete Arda in möglichst ruhigem Ton.
»Das glaube ich dir nicht, Köpek. Wo ist der Schmuck? Deine Schlampe trägt doch Schmuck.«
»Nein, nein, Mia trägt kaum Schmuck.« Das war nicht mal gelogen. Mia war in dieser Hinsicht nicht wie die meisten Frauen. Sie besaß eine Halskette, die ihre Oma ihr vor Jahren als Erbstück geschenkt hatte, und sie trug eine Rolex. Die wenigen Schmuckstücke, die sie besaß, waren alle in Deutschland.
»Lüg mich nicht an, jede Frau hat Schmuck. Und sie trägt doch bestimmt auch eine Rolex?« Der Mann riss seine Augen weit auf und seine Mundwinkel waren nach unten gezogen. Seine Augen blitzten gierig.
»Nein, wirklich, sie trägt keine Rolex, nur eine günstige Uhr. Wirklich, bitte, nimm, was du willst. Aber mehr haben wir nicht.«
»Ich glaube dir nicht. Ihr seid reich. Also lüg mich nicht an!«, schrie der Mann. Sein Blick wurde immer wahnsinniger. Arda befürchtete das Schlimmste. Er musste ihn irgendwie besänftigen, sonst wäre dieser Einbrecher sicher zu allem fähig.
»Nein, ich schwöre es. Aber mit der Kreditkarte kannst du viel Geld abheben. Ich habe ein Limit von 10.000 Euro.«
»Wirklich?«, fragte der Mann, wobei sein harter Gesichtszug augenblicklich weicher wurde, fast lächelte er.
»Ja, ja. Ich gebe dir die PIN.«
»Gut, schreib sie mir auf.« Der Mann öffnete die Geldbörse und sah die EC-Karte und zwei weitere Kreditkarten.
»Was ist mit diesen Karten?«
»Ja, da kannst du auch Geld abheben, ich glaube 2.000 Euro. Ich schreibe dir alle Geheimzahlen auf, aber bitte geh dann.« Arda machte einen Schritt auf den Tisch zu, wo Papier und ein Kugelschreiber lagen. Der Mann beobachtete jede seiner Bewegungen mit großer Anspannung. Er reichte dem Einbrecher den Zettel.
»Wehe, du lügst mich an«, drohte er Arda.
»Nein, nein. Ich kann dich gerne begleiten.« Er warf dem Mann einen Blick zu. Sein Gegenüber schien abzuwägen.
Sag Ja, dachte Arda, der genau dies erreichen wollte, damit er den Mann aus der Wohnung bekam. Schließlich rechnete er damit, dass Mia jeden Moment hereinplatzen konnte.
»Gut ...«, wollte der Mann antworten, wurde aber durch ein Bellen unterbrochen. Instinktiv drehte er sich in Richtung des Geräusches. Arda sah nun auch, was es war.
Mia betrat die Wohnung. Und mit Mia ein Schäferhund! Dieser machte keine Anstalten, sondern rannte einfach auf den Täter los. Mit einem Sprung fiel er über den Einbrecher her, der sichtlich überrascht war und zu Boden fiel. Während er fiel, feuerte er einen Schuss ab. Dann rutschte ihm die Waffe aus der Hand und landete einige Meter entfernt auf dem Boden. Ohne weiter zu überlegen, sprang Arda zur Waffe und hob sie auf.
Der Mann kämpfte mit dem Schäferhund, der sich in seinem Nacken festgebissen hatte. Arda richtete die Waffe auf den Täter, wagte aber nicht zu schießen, da er mit der Situation komplett überfordert war. Während er die Waffe auf den Täter richtete, kämpfte dieser weiter mit dem Schäferhund am Boden. Der Mann schrie. Immer wieder versuchte er, den Hund mit Schlägen von sich zu lösen, aber der Hund dachte gar nicht daran loszulassen.
»Lauf weg!«, schrie Arda Mia zu, aber Mia bewegte sich nicht. »Mia, lauf weg!«, wiederholte Arda. Mia schüttelte nur den Kopf und machte einen Schritt auf Arda zu. Schnell schob er sie hinter sich. Er sah in ihren Augen, dass sie unter Schock stand, sie war zu keinem Wort fähig.
Für einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er Mia packen und mit ihr so schnell wie möglich das Haus verlassen sollte, entschied sich aber dagegen. Schließlich war er im Besitz der Waffe und somit lagen alle Vorteile auf seiner Seite. Auch der Hund schien gute Arbeit zu leisten, denn die Schläge des Mannes wurden immer schwächer, bis sie komplett nachließen und auch das Schreien verstummte.
Eine gefühlte Ewigkeit später ließ der Hund den Einbrecher los, der Mann bewegte sich nicht mehr. Die Schnauze des Hundes war blutverschmiert und auch der Boden war vom Blut des Mannes rot gefärbt. Der Schäferhund bellte einige Male. Arda machte einen vorsichtigen Schritt auf den Mann zu und tastete mit dem rechten Fuß, ob er sich bewegte. Er rührte sich nicht.
»Ich glaube, der ist tot.«
»Sei vorsichtig, Schatz, lass uns die Polizei rufen!«
Arda bückte sich ganz langsam, die Waffe auf den Einbrecher gerichtet, jederzeit bereit abzudrücken, und fühlte den Puls.
»Der ist tot. Der Hund hat ihn getötet.«
»Er hat uns das Leben gerettet«, antwortete Mia und ging auf den Hund zu, der beide vorsichtig beäugte.
»Nicht, wer weiß, was der hat«, versuchte Arda sie von ihrem Unterfangen abzuhalten. Mia ignorierte ihn und streichelte den Schäferhund, der dies geschehen ließ. Der Atem des Hundes wurde langsamer, ein Anzeichen dafür, dass Mia ihn mit ihrem Streicheln beruhigte.
»komm weg von ihm«, ermahnte Arda sie.
»Er hat uns das Leben gerettet! Du süße Maus …«, antwortete Mia und schien gar nicht daran zu denken, das Streicheln, welches der Schäferhund immer mehr genoss, beenden zu wollen. Der Hund wedelte mit dem Schwanz. Mia hatte Tränen in den Augen.
Kapitel 4
Keine dreißig Minuten später traf die türkische polis ein.
»Merhaba«, sagte ein kleiner, dicklicher Mann. Arda schätzte ihn auf Ende vierzig. Der Mann stellte sich als Ali Gökmen vor. Er war der leitende Kriminalpolizist. Arda schilderte ihm den gesamten Vorfall, so gut er konnte.
»Sie haben großes Glück gehabt.«
»Ja, das glaube ich auch.«
»Nein, Sie verstehen nicht, Arda. Ich vermute, dieser Mann ist ein von uns gesuchter Mörder.«
»Wie bitte?«
»Nun, vor knapp einem Monat wurde eine deutsche Rentnerin brutal ermordet.«
»Wie schrecklich! Aber wie kommen Sie drauf, dass es der gleiche Täter ist?«
»Die Rentnerin hatte einen Hund, einen Schäferhund, und es wurden Haarbüschel am Tatort gefunden. Wir gehen daher davon aus, dass es zu einem Kampf zwischen dem Hund und dem Täter kam.« Gökmens Blick war auf den Schäferhund gerichtet.
»Das ist unser Hund«, warf Mia in das Gespräch ein, auf Türkisch.
Der Kriminalpolizist schaute überrascht.
»Sie sprechen Türkisch?«
»Ja, ein bisschen. Verstehen tue ich es aber besser.«
»Sind Sie ganz sicher, dass das Ihr Hund ist?« Er warf Arda einen Blick zu. Arda presste die Lippen zusammen, da ihm Mias übereilte Antwort gar nicht gefiel. Vielleicht machten sie sich strafbar.
»Ja, meine Frau hat recht, das ist unser Schäferhund. Er hat uns das Leben gerettet«, antwortete er, da er Mia nicht in den Rücken fallen wollte. Mia nahm seine Hand und drückte sie zärtlich, ein deutliches Signal dafür, dass sie ihm dankbar war.
»Wie Sie meinen. Es mag nur ein Zufall sein, aber wenn das nicht Ihr Hund ist, sollten Sie mit ihm dringend zum Tierarzt gehen. Ein Hund, der fast einen Monat auf der Straße gelebt hat, kann Krankheiten haben.«
Arda schluckte. Er hatte die Botschaft verstanden.
»Wieso hat der Täter den Hund nicht getötet?«, fragte Mia.
»Das wissen wir leider nicht. Aber wenn ich mir seine rechte Gesichtshälfte anschaue, bestätigt das unsere Annahme, dass es zu einem Kampf zwischen dem Hund und dem Täter kam. Vielleicht hatte der Hund Glück und ist davongelaufen.«
»Und was werden Sie mit dem Hund machen, wenn Sie ihn finden?« Mia schien ziemlich beunruhigt, Arda konnte es an ihrem angespannten Gesichtsausdruck deutlich sehen.
»Einschläfern.«
»Was?« Mias Stimme wurde laut.
»Er hat einen Menschen angegriffen, somit müssen wir den Hund als gefährlich einstufen. Außerdem ist er bestimmt verletzt. Kein Türke würde einen Hund, der einen Menschen angegriffen hat und verletzt ist, bei sich aufnehmen. Aber vielleicht ist er auch schon tot.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte nun Arda.
»Bei den Straßenkötern in Antalya sollte mich das nicht wundern, aber es soll mich nicht kümmern. Sie sagten ja, dass dieser Hund nicht der Schäferhund der deutschen Rentnerin ist, nicht wahr?«
»Ja!« Mias Blick war entschlossen. Sie streichelte den Hund und stellte sich vor ihn. Arda war von ihrer Entschlossenheit beeindruckt, obwohl er wusste, dass dieser Hund sie vor neue Probleme stellen würde. Das Letzte, was er wollte, war ein Hund. Das würde er aber mit Mia in einer ruhigen Stunde klären.
»Hat der Täter irgendetwas über seine Hintermänner erzählt?«
»Ja, ich vermute, dass Angestellte in den Überfall verwickelt sind. Schließlich wusste er, wie meine Frau aussieht. Und er meinte, dass er von jemandem wisse, dass wir vermögend sind.«
Gökmen rieb sich die Stirn. »Vielleicht haben Sie recht, vielleicht wurden Sie aber auch observiert. Wir werden uns die Mitarbeiter genauer anschauen. Wollen Sie in ein Hotel ziehen?«
»Das müssen wir noch besprechen«, antwortete Arda und warf Mia einen Blick zu.
»Gut, ich werde veranlassen, dass eine Streife hier vorbeischaut, seien Sie unbesorgt. Wir gehen davon aus, dass es sich um Amateure handelt, die Komplizen dürften wir auch bald haben. Sie sind nicht in Gefahr.«
»Danke«, antwortete Arda, fühlte sich durch diese Worte aber nicht wirklich sicherer.
»Die Kollegen werden hier noch zu tun haben. Sie sollten vielleicht in der Zwischenzeit Ihren Hund zum Tierarzt bringen. Ich informiere Sie, wenn Sie wieder in Ihre Wohnung können.« Arda nickte und schrieb ihm seine Mobilnummer auf.
»Kennen Sie einen guten Tierarzt?«
»Ja, eine Deutsche. Ich schreibe Ihnen die Adresse auf. Wollen Sie ein Taxi?«
»Ja, danke.«
Gökmen reichte ihm einen Zettel mit der Adresse der Tierärztin, Arda und Mia verabschiedeten sich und verließen die Wohnung.
Keine zwei Minuten später traf auch schon das Taxi ein, Arda gab dem Fahrer die Adresse. Der Taxifahrer weigerte sich zunächst, den Schäferhund in sein Auto zu lassen. Arda gab ihm 20 Euro und der Fahrer änderte seine Meinung.
In der Türkei war zwar die türkische Lira offizielle Währung, aber jeder nahm Euros an. Es war somit die zweite inoffizielle Währung, vor allem in den Urlaubsregionen. Und viele Türken bevorzugten den Euro, weil der Wertverlust der Lira einfach zu stark war.
»Danke«, sagte Mia, während sie Ardas Hand streichelte.
»Wofür?«
»Dass du nicht gesagt hast, dass er nicht unser Hund ist.«
»Kein Thema«, antwortete er, obwohl es ein Riesenthema war. Sie hatten die Polizei belogen und wer wusste schon, wie gefährlich dieser Köter war. Arda wollte den Hund nicht bei sich haben. Er wusste jedoch, wann es klug war, mit Mia darüber zu sprechen, und wann nicht, und gerade war der unpassendste Moment. Ihm war nämlich nicht entgangen, wie Mia den Schäferhund anschaute und sich schützend vor ihn stellte. Fast so, als sei es ihr Kind. Er bekam eine Gänsehaut bei diesem Gedanken, da es ihn noch an etwas anderes erinnerte, was ihm große Sorgen bereitete: Der Tag, an dem Mia den Heiratsantrag erwartete.
»Ich liebe dich, Arda.«
»Ich dich auch.«
Mia lehnte ihren Kopf an Ardas Schultern. Er mochte das. In solchen Momenten vergaß er alles um sich, selbst seinen Ärger über ihr voreiliges Handeln. Er streichelte ihre langen braunen Haare und war überrascht, als er sah, dass der Hund seinen Kopf auf Mias Schoß gelegt hatte. Soviel er wusste, war das eine Geste der Unterwerfung und des völligen Vertrauens.
Komischer Köter, dachte er. Seine Schnauze war nicht mehr blutig, stellte er erschrocken fest. Hatte der Hund das Blut mit seiner Zunge abgeleckt? Er fand diesen Gedanken geradezu eklig und das bestätigte seine Abneigung gegenüber Hunden oder Haustieren. Mia hingegen schien das nichts auszumachen, sie streichelte den Kopf des Schäferhundes. Arda hoffte, dass sie den Hund nicht in ihr Herz schloss. Es war schließlich unmöglich, ihn mit nach Deutschland zu nehmen.
Nach dreißigminütiger Fahrt kamen sie bei der Tierärztin an. Sie betraten die Praxis, eine ältere Dame kam ihnen entgegen.
»Deutsch?«, fragte sie in akzentfreiem Deutsch.
»Ja, aus Deutschland. Sind Sie Dr. Kraus?«, fragte Arda.
»Ja, das bin ich. Was kann ich für Sie tun?«, antwortete Kraus. Arda schätzte sie auf Ende fünfzig. Sie war knapp 1,70 Meter groß, schlank und hatte hellgraue, mittellange, gelockte Haare. Ihr Gesicht hatte die für das Alter typischen Falten, sie wirkte auf ihn sehr herzlich. Ihre Augen strahlten eine Wärme aus, die sofort Vertrauen erweckte.
»Wir sind wegen …«, sagte Mia und ehe sie ihren Satz beenden konnte, wurde sie von Dr. Kraus unterbrochen.
»… Dina, bist du das?«, fragte sie mit großen, strahlenden Augen und lächelte. In diesem Moment fing der Schäferhund an zu bellen und wedelte mit dem Schwanz.
»Sie kennen sie?«, fragte eine sichtlich erstaunte Mia.
»Ja! Wo warst du denn, du Schöne?«, sagte sie und streichelte Dina am ganzen Körper, was diese sichtlich genoss. Arda und Mia warfen sich einen Blick zu. Mia nickte. Er verstand, dass sie die Ärztin nicht belügen sollten.
»Sie hat uns das Leben gerettet.«
»Das Leben?«, fragte Kraus, die sichtlich überrascht war.
»Ja«, antwortete Arda, stellte Mia und sich kurz vor und schilderte ihr in kurzen Sätzen die Vorkommnisse.
»Das hast du gut gemacht«, bestätigte Kraus zu Dina gewandt und gab ihr einen Kuss auf die Schnauze.
»Woher kennen Sie … Dina?«, wollte Mia wissen.
»Ich kannte ihre Besitzerin sehr gut, bevor sie ermordet wurde.« Sie hielt kurz inne, da ihre Stimme zu versagen drohte. Ihre milden Augen wurden feucht.
»Waren Sie mit ihr befreundet?«
»Ja, Else war so ein liebenswürdiger Mensch. Sie liebte Antalya. Bevor sie sich entschied, hierher auszuwandern, kam sie jahrelang zum Urlaub. Jeder mochte sie. Eine schreckliche Tat. Nach ihrem Mord fehlte jede Spur von Dina … aber jetzt bist du ja da, Prinzessin«, antwortete sie, griff in die Tasche ihres Arztkittels, holte einen Hundekeks heraus und gab ihn ihr.
Arda gefiel, was er hörte, da es ihn auf eine Idee brachte, wie er Dina loswerden konnte, ohne dass Mia es ihm übelnahm.
»Die Polizei denkt, es war der gleiche Täter. Sagen Sie, Dr. Kraus, kann es sein, dass Dina auf der Suche nach dem Täter war?«, fragte Mia.
»Hunde kennen keine Rache«, warf Arda ein. Mias Augen wurden schmal. Arda schenkte ihr gleich ein Lächeln, damit sie seine Bemerkung nicht als Angriff verstand.
»Da muss ich Ihnen leider widersprechen. Natürlich kennen Hunde keine Rache in dem Sinne, wie wir Menschen es verstehen. Aber Dina ist eine exzellent ausgebildete Hündin und sie sollten Tiere niemals unterschätzen, Arda.«
»Wollen Sie mir sagen, dass Dina den Einbrecher wirklich angriff, weil er Else getötet hat?«
»Ja, sehr gut denkbar. Else und Dina waren ein Herz und eine Seele. Es ist gut möglich, dass Dina den Mann anhand des Geruches erkannte und ihn dann angriff. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie die ganze Zeit verschwunden war.«
»Meinen Sie, sie hat den Täter gesucht?«