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"Hundsfott, wer sich nach hinten ausdrängen lässt!", so stand es im Reglement der Zietenhusaren. Als Detlef von Rombeck 1756 zu den Husaren und ihrem Chef, dem alten Zieten, stößt, ahnt er noch nicht, dass sieben Jahre Krieg ins Haus stehen. Eine Zeit, in der die Durchsetzungskraft des vielversprechenden Husaren nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in der Liebe gefordert ist.-
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Seitenzahl: 299
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Roman aus der Zeit Friedrichs des Grossen
Saga
Der Stabsrittmeister Nikolaus von Samogy, der auf dem Rondell am Hallischen Tor die Schwadron einhetzte, ärgerte sich, wie jeden Morgen, über die losmäuligen Zwischenrufe der zuschauenden Berliner. Irgendein Bengel ahmte sogar seine Befehle nach. Als Ungar beherrschte er die Grammatik der deutschen Sprache nur mangelhaft; seine hurtigen Reiter verstanden ihn trotzdem. Diese faulen Gaffer aber, die mit aufgestützten Ellbogen in den Fenstern der Vorstadthäuser lehnten oder am Ausfluss der Friedrichstrasse im Sande sassen, schienen die schweisstreibende Schwadronsarbeit für ein Zirkusvergnügen zu halten.
„Ist sich Husar doch nicht Polichinell! Wie?“ Er rief es nicht den ihm verhassten Zivilisten zu, sondern seiner Truppe, die jetzt genau in der Mitte des grossen Platzes in Halbzugskolonne nordwärts trabte, Mann hinter Mann, scharf ausgerichtet. Und plötzlich schrillte sein Ruf übers Feld: „Mit Halbzügen fallt von die Flügels aus!“ Es war das neue Kommando für das Feuergefecht zu Pferde, das die Berliner noch gar nicht kannten. Samogy hatte den Degen gezogen. Auch die Klingen der Schwadronsoffiziere blitzten durch die Luft.
Die kleinen, behenden Husarenpferde fielen in Galopp und wirbelten eine Wolke auf, die in verblüffender Schnelligkeit über das Rondell fegte. Die Halbzüge waren halblinks und halbrechts ausgefallen; den Säbel liessen die Reiter in der Hand hängen, sie formierten zwei Glieder und hielten dann am Platzrand wie eine Mauer. Nur das Chargieren rasselte und pochte durch die Reihen. Ein kurzer Befehl gab ein unsichtbares Ziel an. Blitzschnell wurden die am Morgen verteilten Platzpatronen aus den Karabinern abgefeuert, zuerst vom vorderen Glied, dann vom zweiten.
Schreiend stoben die Zuschauer davon. Einige stolperten auf der Flucht und fielen in den Sand des Rondells oder aufs Kopfpflaster der Strasse.
„Da — da — es gibt Tote!“ riefen die aus den Fenstern voller Entsetzen.
Das mörderliche Geknatter ging weiter. In derselben Weise wie zuvor den Karabiner schossen die Reiter nun ihre Pistolen ab, indem die beiden Glieder abwechselnd vorrückten. Jeder Mann hatte zwei Pistolen. Sobald die Reiter ihr Feuer abgegeben hatten, jagten sie hinter den geschlossenen Halbzug zurück und luden von neuem.
Das überraschende Manöver machte den Husaren selber Spass. Keiner von ihnen hatte geahnt, dass der junge Stabsrittmeister hier dicht unter den Fenstern der Stadt den Berlinern ein Feuergefecht liefern würde. Natürlich verlief es unblutig. Nur ein dicker Mann in Schlächterschürze, der beim Ausreissen auf die Nase gefallen war, verliess das Schlachtfeld als Leichtverwundeter. Und als die Zuschauermenge einsah, dass nur blind geschossen worden war, hatte er auch noch den Spott seiner Nachbarn in Kauf zu nehmen. „Haste Angst jehabt vor die Wachtparade, Männeken? — Nu weene man nich, weene man nich, in die Röhre stehn Klösse, du kriegst se man nich!“
Alles lachte. Ein paar Jungens riefen „Vivat!“, als die Schwadron, die aus den Halbzügen rasch zur Marschkolonne abgeschwenkt war, nun nach der Kaserne in der Alexandrinenstrasse rückte.
Samogy schien von dem dramatischen Abschluss dieses Morgendienstes befriedigt. Das Berliner Exerzieren war ihm längst verhasst, er liebte nur die Hetzarbeit draussen im Gelände, wo man mit den Husaren weite Patrouillen ritt und ohne Weg und Steg querfeldein jagte. Die peinliche Ordnung, die der König auf dem Platze bei den Besichtigungen verlangte, mochte für Kürassiere und Dragoner taugen, für diese „Kolosse auf Elefanten“, nicht für das leichte Husarenvolk.
Stärker als sonst war heute auf dem Heimmarsch die Begleitung der Schwadron durch feiernde Zivilisten. Ein paar Strassen weit hatte man das Schiessen gehört. Viele Neugierige kamen aus den Häusern gelaufen, als die Hufe über das Pflaster rauschten. Kleine Wichtigtuer, die der Truppe voransprangen, gaben den Herzueilenden Bericht über das ausserordentliche Ereignis.
Ausserordentlich war es, weil die Verfügung über den Platzpatronenverbrauch dem Schwadronschef zustand, der sich auf dem Remontekommando befand, nicht dem Stabsrittmeister, der ihn vertrat. Auf dem Kasernenhof hielt denn auch schon der Generalmajor von Zieten mit seiner grimmigsten Miene. Er war von seinem Schimmel gestiegen und wirkte nun noch um einen Kopf kleiner als sonst, weil er sich seit ein paar Wochen ja besonders schlecht hielt. Noch bevor Samogy die Schwadron richtig aufgestellt hatte, um sie dem Chef zu melden, kam der Regimentsadjutant angelaufen: Der Herr General wünsche den Herrn Stabsrittmeister sofort zu sprechen. Und dann fegte dem Ungarn ein gewaltiges Donnerwetter um den Schädel. Zietens Stimme war nicht gross, sie klang dünn und gequetscht, aber sie wusste sich in viel spitzen Kehllauten Geltung zu verschaffen. Auf dem Rondell sei das Schiessen verboten. Wisse man das nicht? In der Standquartierdienstvorschrift, zum Henker, da gebe es doch überhaupt noch kein blindes Feuer! Wonach sich zu richten. Stets und stets habe man seinen Ärger mit dem Herrn Stabsrittmeister! Im inneren wie im Exerzierdienst! Wenn nun zufällig Seine Königliche Majestät von Potsdam herübergekommen wäre und das wahnsinnige Feuergefecht der Husaren miterlebt hätte: wer wäre dann für die Schlamperei verantwortlich gemacht worden? „Appliziere Er sich!“ schrie ihn der Chef zum Schlusse an. Er hatte sich immer mehr in Wut geredet, weil Samogy mit seinen schwarzen kleinen Augen blinkerte, als nähme er den Vorfall gar nicht ernst. Wahrscheinlich verstand der Ungar auch nur knapp die Hälfte. „Zu Befehl, General, jawoll, General!“ sagte er, sooft Zieten Atem holte, auch wenn das mitten im Satz geschah.
Auf dem Kasernenhof herrschte Totenstille. Auch die andern Schwadronen standen noch unbewegt. Nur die dampfenden Pferde stampften. Mit plötzlichem Schreck gewahrte Zieten, wie nass deren Hälse waren. „Absatteln! Abreiben!“ befahl er. „Stalldienst! Verflucht! Weitersagen!“ Und Samogy machte kurz kehrt und wiederholte: „Absatteln, abreiben, verdammich! Stalldienst! — Wollt ihr nicht weitersagen? Hundesöhne!“
Wie im Wirbel rannte nun alles durcheinander, den Ställen zu, bestrebt, sich dem durchbohrenden Blick des Reitergenerals keine Sekunde länger als nötig auszusetzen. Schlagartig erfüllte der Lärm den Hof: in fünf, sechs Sprachen schwatzten die Husaren auf ihre Pferde ein, schimpften und stritten unter sich; dazu klirrte und klapperte und rauschte es von Waffen, Hufen, Stiefelsohlen und Ketten. Um den unansehnlichen Husarenchef mit der grossen Pelzmütze über der kurzen Nase und den zornig blitzenden Augen war eine respektvolle Leere entstanden.
Ein junger Bursche, der einen kleinen, koketten Schimmel an der Trense führte, kam flotten Schrittes vom Eingangstor über den Platz, begleitet von einem Mann der Wache, der geheimnisvoll auf ihn einsprach und dabei mit dem Kinn auf den Chef und Kommandeur wies. „Det is er. Der Kleene mit dem Jeneralshut. Musst drei Schritt vor ihm halten bleiben, Menschenskind, und stillestehn. Maul nicht auftun, bevor er dir fragt!“
Der fremde Ankömmling zählte kaum achtzehn Jahre. Sein norddeutscher Typ fiel hier auf, denn das Husarenregiment setzte sich meist aus Ungarn, Polen und Balkanleuten zusammen. Er war gut gewachsen, grösser als Zieten und die diesen in weitem Kreis umsteheuden Offiziere, die noch auf die Erlaubnis zum Wegtreten harrten. Die Mütze trug der Bursche in der Hand; der Wind spielte mit seinem Haar, das fast weissblond war. Die Gesichtshaut war von Wetter und Sonne dunkel gebeizt. Seine grossen braunen Augen strahlten den berühmten Vater Zieten schon von weitem an.
Zieten gefiel das hübsche junge Schimmelchen. Als es drei Schritte vor ihm hielt, sah er sich den Jungen an. „Zu verkaufen?“ fragte er kurz und deutete mit dem Daumen auf das Pferd.
„Meine Stute? I bewahre! Die hat mir unser Stallmeister aus Becskerek mitgebracht, damit ich mich bei den Zietenhusaren melden kann. Erst wollten sie mich hier in die Werbestube schleppen. Ich aber muss zum Vater Zieten selber. Ich hab’ ihm einen Gruss auszurichten.“
„So. Von wem denn?“
„Vom verstorbenen General von Schwendy.“
„Der war ja einmal mein Gutsnachbar.“
„Jawoll, Herr General. Letzte Weihnachten ist er gestorben. Und er hat Sie vor vierzig Jahren in sein Regiment in Neuruppin eingestellt. Aber das sei leider bloss Infanterie gewesen, hat er noch gesagt.“
„Stimmt, mein Junge.“ Zieten lachte kurz auf. „Und wie kommt euer Stallmeister nach Becskerek?“
„Meine Mutter stammte doch daher. Sie ist aber schon lange tot. Bei der Überschwemmung der Theiss ist sie damals umgekommen. Der Obergespan vom Komitat, der hat jetzt geschrieben, ich solle im ganzen noch fünf Pferde haben. Jawoll. Als Erbe.“
Eine Anzahl Offiziere war hinter Vater Zieten getreten, auch Samogy. Sie hatten alle ihre Freude an dem beherzten und natürlichen Wesen des jungen Burschen. „Von Mutter her ist sich Ungar“, sagte Samogy, „aber sieht sich nicht so aus, so äusserlich, bitte schön.“
Zieten liebte es nicht, wenn Untergebene sich in ein Gespräch einmischten, das er führte. Ein kurzer Befehlsblick machte den Stabsrittmeister verstummen.
„Wie heisst Er?“ fragte der General weiter.
„Detlef von Rombeck, geboren in Becskerek im Jahre 1738. Jawoll, im November werde ich achtzehn. Vater ist im böhmischen Feldzug gefallen. Da hat mich dann mein Grossonkel Schwendy aus Ungarn nach Neuruppin kommen lassen. Der Kaspar Török, unser Stallmeister, der hat mich von Becskerek abgeholt, wo er dort zum Pferdekauf war.“
„Bist du ein Sohn vom Premierleutnant von Rombeck, der Anno vierundvierzig bei der Attacke auf das Dorf Klokot geblieben ist?“
„Jawoll, Herr General. Mit fünfhundert Zietenhusaren hat er den Sturm mitgemacht. Von den Schwarzen Husaren waren dreihundert mit, von den Grünen vierhundert. Fast sämtliche Zietenhusaren waren mit den Säbeltaschen der feindlichen Brüder geschmückt. Das hat mir der Török erzählt, der auch dabei war.“
Zieten nickte, von den Erinnerungen erfasst, und wandte sich den anderen Offizieren zu. „Das waren prächtige Säbeltaschen, meine Herren. Ja, vor Prag damals. Das Husarenregiment Esterhazy hat dran glauben müssen. Beim Dorf Klokot ritt ich dann mit meinen Roten die neue Attacke.“
„Und hundertsechzig feindliche Husaren hat da der Herr von Zieten noch gefangengenommen!“ fiel Detlef von Rombeck strahlend ein. „Der Török hat mir’s oft erzählt. Auch wie die Kartätschenkugel dem Vater, der dicht vor ihm ritt, den Schädel zerschmettert hat. Der Schimmel ist immer noch weiter hinter den Fliehenden hergelaufen, auch als Vater schon gestürzt war, jawoll.“
Zieten streckte die Rechte aus. „Dein Vater ist einen tapferen Husarentod gestorben, mein Junge. Gib mir deine Hand, mein Junge! Du bist hergekommen, um dich als Husar zu melden?“
„Jawoll, Herr General.“
„Also — was willst du bei uns werden, mein Sohn?“
„Auch General!“
Zieten lachte. Alle Herren lachten mit. „Aber von heute auf morgen geht das nicht. — Sie sollen als Kornett bei mir eintreten, Herr von Rombeck. Das heisst, wenn Sie Anlage zum Reiten haben. Und Husarengeist mitbringen. Und so weiter. Verstanden?“
Samogy hatte sich inzwischen mit dem koketten Schimmelchen angefreundet.
„Ist sich noch keine drei Jahre“, sagte er, dem Pferd den Hals klopfend. „Aber gutes Ungarblut ist es, das kann man sich sehen an Augen und Nüstern. Und an Nierenpartie, da, und wie sie Kopf hält, süsser kleiner Kanaille!“
Der Regimentsadjutant von Wahlen-Jürgas, der in Zietens Rücken stand, gab dem jungen Rombeck ein paar pantomimische Anweisungen. Der begriff, dass er aufsitzen und sogleich eine Probe seiner Reitfertigkeit abgeben sollte. Im Nu sass er oben. Gesattelt war der Schimmel nicht, nur mit einer Decke gegurtet.
Nun gehörte der ganze Kasernenhof dem Ankömmling. Zuschauer hatte er in allen Stalltüren, an allen Fenstern. Die Husaren erwarteten sich irgendeinen Spass, denn richtig reiten konnte ja doch kein Zivilist.
Detlef von Rombeck schien indes allerlei gute Handwerkskniffe zu kennen. Nach ein paar kurzen und geschwinden Volten jagte er quer über den Hof auf die Mauer zu, als sollte es mit dem Kopf durch die Wand gehen. Plötzlich hielt er und wendete. Kaum einen Schrittbreit Boden brauchte der Schimmel für die Kehrtwendung.
„Als ob er’s auf einem Suppenteller gelernt hätte!“ lobte Zieten.
„Gib ihm Sacktuch, Freund!“ rannte Samogy eifrig dem Adjutanten zu. „Soll er sich Sacktuch vom Boden aufheben, während sich Pferd in vollem Lauf bleibt!“
Das war ein Husarenstückchen, das die Ungarn von Jugend auf übten.
Mehrere Herren tasteten an ihre Taschen. Im Dienstanzug führte aber keiner ein Taschentuch bei sich.
„Mütze genügt“, entschied der General.
Auf ungarisch rief Samogy dem schon wieder vorbeisausenden Junker den Befehl zu. Der riss die Mütze aus der Jackentasche und schleuderte sie mitten in den Hof. In einer Kette kurzer Volten galoppierte er zur gegenüberliegenden Wand. Und dann jagte er mit dem Schimmel auf die Mütze zu. Kaum sechs Schritt davor tauchte er blitzgeschwind mit dem Gesicht bis zur Erde. Er hatte nur mit der linken Faust an einem Zipfel der Mähne Halt, und irgendwie schienen noch die Knie am Pferd zu kleben. Mit den Zähnen erfasste der junge Reiter im Vorbeifliegen die Mütze, richtete sich im Nu wieder auf und stülpte sich die Mütze auf das blonde Haar.
„Gut so!“ lobte Zieten.
„Nochmal, Kamerad! Gleich nochmal!“ rief Samogy eifrig. Und als das Kunststückchen ebenso sicher zum zweiten Male gelang, sagte er triumphierend: „Hat er sich in Becskerek gelernt, nicht in Neuruppin, darauf ich wette! Ungarisch er versteht auch! Der sich wäre gut anlernen als Husar, General, weisst du!“
Nun wandte Zieten, den das ewige Dreinreden des Stabsrittmeisters verdross, diesem sein fuchtig gewordenes Gesicht zu. Die von ein paar Säbelhiebnarben verunstalteten Lippen zeigten das schadhafte Gebiss, aus dem es in kurzen, drohenden Sätzen herausgrollte: „Jawoll, Samogy. Weiss ich alles selber, Samogy. Punktum. Der Junge wird als Kornett hier eingestellt. — Adjutant, nimmst alles in den Bericht auf, schriftlich, für Majestät. — Und du kriegst ihn in die Schwadron, Samogy. Aber der Deibel holt dich, Samogy, wenn er grade so ein ungarischer Windbeutel wird, wie du es oft bist. Verstanden?“
Samogy hatte zuerst lachend zugehört und mit dem Kopf genickt. Aber der „ungarische Windbeutel“ fuhr ihm gewaltig in die Nase. Das war das Schimpfwort, das der König zuweilen gebrauchte, doch nur, wenn er besonders missgestimmt war. Ein paar Augenblicke schien es, als wollte ihn wieder sein Jähzorn packen, der ihn schon in mancherlei Torheit und Schwierigkeit getrieben hatte. Indes war sein Vergnügen an dem hübschen Schimmel und dem blonden Reiter doch gross genug, dass er die freche Antwort noch eben unterdrückte, die sich ihm auf die Lippen drängen wollte. „Immer Schnauze halten, Alt-Samogy, immer Schnauze halten!“ knurrte er bloss vor sich hin.
„Wie bitte?“ fragte der Chef mit einem gewaltig drohenden Blick.
„Zu Befehl, jawoll, General. Kommt sich Kornett zu Alt-Samogy. Wird er sich erzogen von Alt-Samogy. Als Husar eingehetzt. Wirst zufrieden sein, General.“
Während Zieten mit seinem Adjutanten zum Schreibzimmer abzog und alle Offiziere die Rechte an die Pelzmütze legten, blinkerten ein paar von ihnen belustigt mit den Augen. Dieser Samogy war doch ein Teufelskerl. Wie er den Alten zu nehmen wusste! Es verlautete von ihm, dass er sogar Seine Majestät mit du anzureden wagte und dass König Friedrich sich’s gefallen liess.
Samogy winkte den jungen Kornett zu sich heran und erklärte ihm teils auf ungarisch, teils auf deutsch, dass er nun sofort dem Chef ins Schreibzimmer folgen müsse. „Dort werden sie dich ausfragen, ob du bist geboren, und werden Menge sagen, was nicht ist notwendig. Merke dir aber gleich zu Anfang, falls dich etwa lockt, eine Dummheit zu sagen: besser ist, immer Schnauze halten! Du nicht versteht sich? Oh, werde ich dir schon beibringen! Du kommst in meine Schwadron, Kornett Rombeck! Heute abend du sollst Ungarwein bei mir trinken, soviel du magst! Morgen früh fängt sich Dienst an. Da wirst du hören Engel im Wind pfeifen, mein Junge. Ungarischer Windbeutel? Sakrament, nein, Hussaren wir sind!“
Er sagte: Hussaren!
*
Die Stimmung war jetzt nicht nur in allen Kasernen von Berlin und Potsdam sehr gespannt. Auch in der Bürgerschaft wurde gewispert, es gäbe wieder Krieg, denn der König Friedrich lasse überall Rekruten anwerben. Über zehn Jahre hatte man in Ruhe gelebt seit den beiden Schlesischen Feldzügen. Nach der Schlacht bei Kesselsdorf hatte der kleine König den von Sachsen und Österreichern nachgesuchten Frieden unterzeichnet. Das war zu Weihnachten 1745 gewesen. Der kleine Friedrich hiess seitdem der Grosse. Viele seiner Offiziere hatten damals grosse Ehrungen erlebt. Auch Zieten, der als Major und Schwadronschef ausgerückt und als Oberst und Regimentschef, mit dem Orden pour le mérite geschmückt, heimgekehrt war. Im Felde hatte er seine zusammengewürfelten Husaren zu richtigen preussischen Soldaten erzogen, denn vom König lagen dafür strenge Anweisungen vor. „Rigoureuseste Ordnung während des Marsches und in den Einlagerungsorten!“ befahl Friedrich den Führern beim Ausrücken. „Besonderes Augenmerk auf die Packknechte und die Weiber! Plündern, Rauben, Stehlen schwer und empfindlich zu strafen!“ Und noch schärfer nach der Schlacht bei Mollwitz im April 1741: „Weiber, Husaren und Packknechte sollen sofort gehängt werden, wenn man sie beim Plündern trifft!“ Es war schon ein verdammt schweres Amt, diese hergelaufene Ausländerschar in Zucht zu halten und ihr doch ihre Abenteuerlust, ihren Todesmut, ihren Angriffsgeist zu lassen.
Auf dem Weg zu seinem Wohnhaus in der Kochstrasse blieb der General heute wortkarg. Der Adjutant schwieg also endlich. Seitdem Zieten seine Frau verloren hatte, im letzten Frühjahr, war er oft sehr vergrämt, auch sehr empfindlich. Die Unzufriedenheit mit dem inneren Dienstbetrieb bei den Husaren, die der König neuerdings immer wieder äusserte, kränkte ihn. Das kurze Gespräch mit dem neu eingestellten Kornett hatte ihn an die eigene bittere Jugend denken lassen, an sein schweres Ringen um den Erfolg. Er war auch nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren.
Zieten stammte vom Lande. Der Vater hatte auf kleiner märkischer Scholle bei Neuruppin geschuftet. Sechs Kinder lebten damals — man musste sich höllisch einschränken. Als Fünfzehnjähriger war Hans Joachim in das Infanterieregiment eingetreten, das Vaters Gutsnachbar, der Herr von Schwendy, im Lager von Stralsund kunterbunt zusammenstellte. „Fähndrich von Zieten ist gottesfürchtig, herzhaft, nüchtern, gut haushälterisch, fleissig im Dienst, ist aber klein von Gestalt und von schwacher Stimme für das Kommandieren“, hiess es nach ein paar Jahren in seinem Qualifikationsbericht. Leutnant wurde Zieten also nicht, und als er ein Bittschreiben um Beförderung beim König Friedrich Wilhelm einreichte, erhielt er glattweg seine Demission. Später kam er als jüngster Offizier beim Dragonerregiment Wuthenow an, das gerade seine Schwadronszahl verdoppelte. Aber hier war sein Pech noch grösser. Sein Schwadronschef behandelte ihn dienstlich wie ausserdienstlich so miserabel, dass eines Tages die Wut mit Zieten durchging. Er wurde für seine Aufsässigkeit auf Festung geschickt. Nachdem er ein Halbjahr abgesessen, forderte er den Dragonerrittmeister zum Zweikampf heraus, erhielt dabei kreuz und quer Säbelhiebe über Gesicht und Schädel und wurde durch kriegsgerichtliches Urteil kassiert. Wäre nicht im Jahre 1730 in Potsdam die Freikompanie Husaren zusammengestellt worden, für die man noch ausgebildeten Ersatz brauchte, so hätte der „auf Grasung“ geschickte Zieten sein Leben als kleiner Landmann in Wustrau beschliessen müssen. Doch der einunddreissigjährige Sekondeleutnant bewies bei der neuen Truppe seinen Soldatengeist so einwandfrei, dass er schon nach einem halben Jahr zum Rittmeister aufrückte und Befehlshaber einer zweiten Freikompanie Husaren wurde, die nach Beelitz in Standquartier kam. Mit fünfzig Talern Monatsgehalt hätte er hier vorbildlich leben können. Allein bei der ersten Besichtigung seiner Truppe erwiesen sich fünf Pferde als dienstunbrauchbar, und das trug Zieten vier Wochen strengen Arrest ein. „Rechte Husaren müssen in acht Tagen von Berlin nach Tilsit marschieren, ohne von hundert Pferden mehr als zwei zu drücken!“ belehrte ihn streng sein Vorgesetzter.
Sein Diensteifer liess nicht nach, im Gegenteil, er nahm danach um so grösseren Aufschwung. Man belobte ihn, schickte ihn nach Ungarn auf ein Remontekommando, vertraute ihm die Einschulung eines ungarischen Edelmannes zum preussischen Kornett an, und dann kam er zum Reichsheer an den Rhein, wo seine Husarenschwadron in einem Renkontre mit den Franzosen so flott abschnitt, dass er ganz ausser der Reihe zum Major befördert wurde. Nun verheiratete er sich auf Sommerurlaub in Wustrau mit einer Base. Er baute die kleine väterliche Bude, die seit dem Tod der Eltern und dem Wegzug der Geschwister wertlos geworden und verwahrlost war, von Grund neu auf. In Wustrau schenkte ihm seine Frau nach den Schlesischen Kriegen ein Töchterchen; dort war sie nun auch gestorben und bei der von ihm errichteten Dorfkirche beigesetzt.
Die Gefechte, die er unter dem jungen König siegreich geschlagen, der abenteuerliche Spazierritt nach Wien, sein Erscheinen als Deus ex machina im böhmischen Feldzug waren im Preussenvolk noch immer unvergessen. Tausende wussten von den zahlreichen glücklichen Husarenattacken des „Zieten aus dem Busch“ zu erzählen. Aber der König bevorzugte jetzt im Frieden andere. Den Herrn von Winterfeldt, der jünger war als er, hatte er zum Generalleutnant gemacht, er dagegen blieb noch immer Generalmajor. Das durfte er sich nicht bieten lassen. Er musste dem König sagen ... „Ich bin ihm nämlich nicht streng genug!“ entfuhr es ihm, als sie in die Kochstrasse einbogen. Der Adjutant legte sofort die Hand an die Pelzmütze mit einem dienstlichen „Zu Befehl, Herr General!“ Zieten schüttelte ärgerlich den Kopf und hob die fünf Finger seiner Linken, an denen ihm zwei Glieder fehlten, in die Höhe. „Fünf Rügen hab’ ich jetzt auf dem Buckel seit Hennersdorf, wo ich den letzten Schuss gekriegt hab’, den in die Wade. Der König hat zum Prinzen Heinrich gesagt: ‚In der Garnison taugt der Zieten den Teufel nicht; und seinetwegen kann ich keinen Krieg anfangen.‘ In Rheinsberg erzählt man sich das so weiter. Der Winterfeldt lässt sich jetzt Exzellenz schimpfen. Das würde ich nun ja nie zugeben, nie. Aber es ärgert einem doch die Hucke voll. Was hab’ ich mir schon alles bieten lassen! Himmelherrgott, allein die Schweinerei damals mit dem Nagy-Sandor, dem ungarischen Grossmaul, und seinen verrückten neuen Plänen, dem der König mein Regiment zur Verfügung gestellt hat. Wie, was? Lange vorbei? Ja, freilich, damals bist du noch ein Lausejunge gewesen, Freundchen, hast noch lange keine Adjutantenschärpe getragen —“
Es sprühte aus dem behenden kleinen Mann, um seine zersäbelten Lippen zuckte es, ein wildes Feuer blitzte aus seinen Augen. Der Adjutant von Wahlen-Jürgas war drei Schritte vorausgesprungen, um die Tür des Hauses Nr. 6o/61 aufzureissen, während der Ehrenposten neben dem Eingang salutierte. Zieten musterte den Wachtposten haarscharf. Dann trat er in den Hausflur ein und fasste den Adjutanten an einer Schnur seiner Attila.
„Im Feldlager bei Spandau hat mich damals der König direkt vor dem Saukerl gerüffelt. Jawoll. Weil ich dem Nagy-Sandor erklärt hatte, sein Manöverplan sei ein Hundedreck. Das hatte er übelgenommen, der Ungar, und dem König geklatscht.“
Der Adjutant kannte die Geschichte aus einem Dutzend verschiedener Darstellungen. Er kannte auch die steigende Wut, die den Chef jedesmal anpackte, wenn er darauf zu sprechen kam. „Aber der Herr General haben’s doch dem Oberst Nagy-Sandor damals so tüchtig heimgezahlt—!“
Zieten nahm die Pelzmütze ab und fuhr sich mit dem Ärmel über die nassgewordene Stirn. Ein grimmiges Lächeln furchte sein Gesicht. „Bei Gott, das hab’ ich. Ich musste doch am dritten Manövertag den Feind für den Ungarn machen. Hatte bloss drei Schwadronen — und der Nagy-Sandor ein ganzes Regiment. Aber aus den Wäldern hinter Spandau, wo wir auf der Lauer lagen, da brachen wir aus dem Busch heraus und schmissen ihm sein verschachteltes Regiment und seinen ganzen feinen Manöverplan zuschanden.“
„Jawoll, Herr General, und die Kerls von den drei Schwadronen nahmen den Herrn Oberst sogar persönlich gefangen!“ fiel der Adjutant ein.
„Als ob es Ernst gewesen wäre. Jawoll.“ Zieten fing nun stürmisch zu lachen an. „Sie holten ihn vom Pferd herunter, er wehrte sich, schlug um sich, da pufften sie gegen, es war schon eine richtige Holzerei, und in dem übeln Zustand schleppten sie ihn vor den König, den Nagy-Sandor. Auf der Nase war er ganz zerkratzt. Heillos sah das aus.“
„Und Majestät war kuriert, Herr General. Jawoll, ich weiss. Damit hatte Nagy-Sandor doch ausgespielt bei Majestät, ein für allemal.“
„Hatte er. Stimmt. — Ja, so hatt’ ich den König noch nie zuvor lachen sehn.“
„Das war doch ein Triumph, Herr General!“
„Mein Recht war’s!“ schrie Zieten. Er stülpte sich die Pelzmütze wieder auf. „Und mein Recht hol’ ich mir jetzt vom König wieder! Lass mir sogleich den Fulgo satteln, mein Sohn! Ich reite nach Potsdam. Steck dein Geschreibsel in die Satteltasche und komm mit, mein Junge.“
Der Kammerdiener Wagner war auf der Treppe erschienen. „Der Herr General werden doch nicht ohne einen Löffel Suppe nach Potsdam reiten?“ stellte er dem Hausherrn vor.
„Ich habe Hunger auf andere Schosen als auf Suppe. Mein Recht will ich. Exzellenz? Quatsch mit Hühnerbrühe! Den Stern will ich jetzt oder den Abschied. Majestät soll sich entscheiden.“
*
Das dreizehnjährige Töchterchen Zietens wartete schon hungrig im leeren Speisezimmer. Als es die schrille, zornige Stimme des Vaters hörte, öffnete es ängstlich lauschend die zur Treppe führende Tür, schloss sie aber rasch wieder, als die hastigen Schritte des jungen Adjutanten heraufkamen. Vater ritt vor Tisch noch zum König nach Sanssouci? Da gab es heute vor dem Abend kein warmes Essen. Albertine seufzte. Grosse Tafelfreuden duldete der sparsame Hausherr ja sowieso nicht. Natürlich gab es wieder gelbe Rüben. Wenn die Herren abgeritten waren, brachte Wagner ihr vielleicht etwas Obst von der Wustrauer Gartenernte. Damit setzte sie sich dann im Dachstübchen auf ihr Bett. Im ganzen Haus gab es keinen einzigen Polsterstuhl. Der Soldat dürfe sich nicht verwöhnen, sagte der Vater. Dass der König überhaupt gegen das Heiraten der Husaren war, wusste Albertine. Von dreiundzwanzig Offizieren des Regiments waren nur drei verheiratet. Man sprach noch oft verwundert davon, dass der König dem Chef der Zietenhusaren den Heiratskonsens gegeben hatte; eine besondere Ausnahme sei das gewesen. So kam es auch, dass Albertine in Berlin kaum Anschluss fand. Der Stabsrittmeister Samogy hatte nun seine Schwester aus Ungarn kommen lassen. Die war aber gerade so wild wie er selbst. Sie hatte den unaussprechlichen Namen Wladislawa. Und sie war schon fünfzehn, machte oft mit dem Bruder und anderen Offizieren weite Ritte mit. So ein unberechenbares Mädchen wäre kein passender Umgang für sie, meinte der Vater. Ach, hier im Hause war es so ernst und still, so nüchtern und sparsam! Besonders seit dem Tode der Mutter ging alles auf leisen Sohlen. Und wenn den Vater einmal der Koller anpackte, dann war es besser, ihm nicht zu begegnen.
Der Adjutant war in Zietens Schlafzimmer gerannt, um ein Taschentuch aus dem Wäscheschrank zu holen. Für eine Audienz beim König musste man damit ausgerüstet sein. Er kam für einen Augenblick in die Tür und rief Albertine leise an. Drei grosse Birnen hielt er in der Linken. „Attention!“ kommandierte er. Und Albertine musste auffangen. Beinahe hätte sie die dritte Birne verpasst. Das hätte dann gepoltert, und es wäre womöglich zu einer wichtigen Untersuchung gekommen, in die auch noch der Kammerdiener und die Köchin hineingezogen worden wären. Wahlen-Jürgas hob drei Finger, deutete nach der Strasse und verriet ihr damit, dass er drei von den Birnen, die ihm Wagner heimlich gegeben, im eigenen Mantelsack verwahrt hatte für den Potsdamer Aufenthalt. Schwapp, war er wieder draussen auf der Treppe.
Albertine versteckte die Birnen im Tellerschrank, bis der kleine Reitertrupp abgezogen war.
Dem General und seinem Adjutanten folgten noch drei Husaren. Sie ritten von Hause aus im Trab durch den Tiergarten, der bis an die Mauerstrasse reichte, die alte Stadtgrenze. Auf der Leipziger Strasse, an der nun auch schon ausserhalb der Mauerstrasse ein paar Häuser standen, stattliche Landhäuser, gingen sie gleich in Galopp über. Fünf Schimmel waren es. Husarenoffiziere ritten nur Schimmel; früher hatten ja alle Husaren auf Schimmeln gesessen.
Während Albertine die Birnen schmauste und durchs Fenster den Reitern nachsah, die rasch zwischen den Laubbäumen und den Kiefern verschwanden, dachte sie an Wustrau. Sie liebte das Stückchen Land nicht nur, weil es ihre Heimat war, sondern auch, weil sie dort ein bisschen mehr Freiheit hatte als hier in der Stadt. Der Pfarrer dort gab ihr Unterricht, die Frau Pfarrer unterwies sie im Nähen und Sticken, in der Gartenarbeit und der Tierpflege. Und ab und zu fand auch Wagner Zeit, mit ihr auf dem See im Kahn zu rudern. Hier in Berlin durfte sie das Haus kaum verlassen. Eine Hofdame kam zuweilen, mit der sie französisch sprechen musste. Von ihr lernte sie auch tanzen und Reverenzen machen. Aufs Pferd liess der Vater sie nicht. Er fand das unschicklich für Weiber.
Als sie noch so sass und über ihr einsames, stilles Berliner Leben nachsann, stellte sich Besuch ein. Fräulein von Samogy fuhr in ihrer kleinen Kutsche vor. Es waren schöne ungarische Pferde vorgespannt. Als Wladislawa ausgestiegen war und mit dem Kutscher sprach, ging sie vorn um die Tiere herum und kraute ihnen die Mähne. Albertine hörte durchs offene Fenster ihre weiche, einschmeichelnde, dunkle, fast tiefe Stimme. Besonders hübsch klang es, wenn sie lachte. Wladislawa sprach viel besser Deutsch als ihr Bruder, der sich kaum Mühe gab, die fremde Sprache richtig zu lernen. Nur der Akzent oder die Wortstellung verriet, dass sie Ungarin war. Albertine hatte etwas Bange vor ihr. Diese Fünfzehnjährige war schon so weit in der Welt umhergekommen, kannte fremde Länder, fremde Völker, wusste zu befehlen, verstand Offizieren wie Mannschaften zu imponieren, sie konnte selbst jedes Pferd satteln, und wenn sie besonders guter Laune war, dann sang sie auf dem Hof ihre melodischen Volkslieder mit soviel Wärme, dass den Ungarn, die im Husarenstall mit der Kartätsche arbeiteten, oft das Wasser in die Augen trat. Sie schwärmten alle für sie, die Mannschaften. Dabei konnte sie wie der Blitz dazwischenfahren, wenn ein Bursche eines ihrer Pferde einmal ungeschickt behandelte, gar beim Hindernisnehmen ins Maul riss. Gehorsam verlangte sie fast ebenso wie ihr Bruder Nikolaus, der ja auch als scharfer Vorgesetzter gefürchtet war und bei seinem ganzen Husarentrupp doch wieder eine fast kindlich-zutrauliche Gefolgschaft genoss.
Wladislawa steckte in einem reizend gemachten blauen Samtkleid mit Pelzverbrämung. In den Händen hielt sie einen kleinen Pelzmuff. Die rote Mütze war kalpakähnlich. Die Ausländerin sah man Samogys Schwester nicht nur an ihrer auffallenden Kleidung an. Ihr ganzes Wesen wich von der nüchternen, streng preussischen Art der Berlinerinnen stark ab. Mit ihren fünfzehn Jahren spielte sie auch schon die Dame. Sie hatte blaue Augen wie viele Norddeutsche. Aber wie sie damit Blicke warf! Ihre Wimpern waren ebenso dunkel wie ihre starken Brauen. Und ihr Haar hatte eine ganz seltene rotbraune Färbung. Zu der hellen Haut, die auch in der stärksten Sonne nicht zu verbrennen schien, wirkte das überraschend.
Als der Kammerdiener sie umständlich anmelden wollte, eilte sie ihm flink voraus und rief auf der obersten Stufe: „Albertine! Wo du steckst? Wladislawa ist da! Wladislawa Samogy!“
Da gab es nun ein aufregendes Viertelstündchen. Die junge Ungarin tat hier, wo niemand zusah, gar nicht damenhaft, sondern setzte sich zutraulich neben Albertine aufs Bett, umfasste sie und fragte sie sogleich, ob sie den neuen Kornett schon gesehen habe, der heute ins Regiment eingestellt worden sei.
„War er nicht hier im Haus? Oh, Albertine, ehrlich! Heute abend wird er bei Nikolaus sein. Aber ich esse nicht mit. Nein, wenn sie zum Wein kommen, die Herren, dann soll ich nicht dabei sein. Ich höre aber immer, wie sie toben. Manchmal sie tanzen. Jedoch ohne Weiber. Leute aus dem Trompeterkorps müssen ihnen aufspielen. Die können Geige spielen und Harmonika. Oft es klingt wie in Ungarn. Dann ich muss weinen. Oh, Albertine, der Neue ist aus Becskerek. Das ist zwischen Szegedin und Temesvar. Da ich bin oft gewesen. Vielleicht ich habe einmal seine Mutter getroffen, kann sein, irgendwo an der Theiss, sie war ja auch Ungarin. Sein Vater war Preusse. Er ist im Krieg gefallen. Offizier im Regiment Zieten war er. Aber wenn du ihn hörst ungarisch sprechen, den Kornett, dann ist das genau so, wie sie bei uns alle im Komitat Torontál sprechen. Ich hörte ihn zuerst mit Nikolaus im Stall reden, ungarisch, und ich dachte, er hat schwarzes Haar und schwarze Augen wie Nikolaus. Und dann sehe ich ihn — und da bin ich ganz erschrocken. Denn er ist ganz blond. Aber gleich wir waren gut Freund. Und auf du. Nachbarskinder, nicht?“
Wladislawa kam von ihrem Eindruck nicht los.