Zobeljäger und Kosak - Karl May - E-Book

Zobeljäger und Kosak E-Book

Karl May

4,6

Beschreibung

Ein Mitglied der Familie aus "Im Tal des Todes" ist weiterhin verschollen. Die Spuren weisen nach Russland, und so macht sich das "Kleeblatt" auf den Weg dorthin. Unter den Verbannten in Sibirien endet die lange Suche. Doch noch sind viele erregende und obendrein humorvolle Abenteuer zu bestehen. Die vorliegende Erzählung spielt in der ersten Hälfte der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Bearbeitung des 1885/1886 geschriebenen Kolportageromans "Deutsche Herzen - Deutsche Helden". "Zobeljäger und Kosak" ist der letzte Teil einer Trilogie. Weitere Bände sind: Teil 1: "Der Derwisch" (Band 61) Teil 2: "Im Tal des Todes" (Band 62)

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KARL MAY’s

GESAMMELTE WERKE

BAND 63

ZOBELJÄGER

UND KOSAK

Dritter Band der Bearbeitung von

Deutsche Herzen, deutsche Helden

ROMAN

VON

KARL MAY

Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid

© 1951 Karl-May-Verlag

ISBN 978-3-7802-1563-5

1. Auf dem Jahrmarkt in Werchne-Udinsk

Die sibirische Kreisstadt Werchne-Udinsk hielt regelmäßig zwei berühmte Jahrmärkte ab; der eine fiel in die Zeit des Frühlings, da kamen die Jäger, um die Felle, die sie im Winter in den schneebedeckten Wäldern oder in den öden, einsamen Tundren erbeutet hatten, zum Verkauf zu bringen. Zum Herbstmarkt aber versahen sie sich mit den Vorräten, deren sie während der winterlichen Pelzjagd bedurften.

In jenen unendlichen Ebenen, die man mit dem Namen Tundra bezeichnet, kann nur im Winter gejagt werden, wenn sie zugefroren sind. Im Frühjahr tauen sie auf zu unergründlichen, bodenlosen Sümpfen, worin alles versinkt.

Aber wenn der Winter eine feste Decke geschaffen hat, dann tun sich die Zobeljäger zusammen, um in Gesellschaften von zehn bis zwanzig Mann dem Fang der Tiere obzuliegen, deren kostbarer Pelz auf den russischen und chinesischen Märkten so sehr gesucht ist.

Solche Jäger waren zu jener Zeit, da diese Erzählung spielt, entweder Eingeborene, die jagen mussten, da sie dem Zaren ihre Abgaben nur in Pelzwerk bringen durften, oder Verbannte, die gezwungen waren, jährlich eine gewisse Menge dieser begehrten Felle zu liefern, wenn sie nicht schwere Strafe erleiden wollten.

Einzeljäger waren in jenen Gegenden schwer gefährdet. In der Tundra sind fünfundfünfzig bis sechzig Grad Kälte nach Celsius keine Seltenheit; fürchterliche Schneestürme brausen über Sibirien dahin und belasten die Bäume mit Schneemassen, die den Wald meilenweit niederbrechen und zusammendrücken. An milden Tagen steigen Nebel auf, durch deren dicke, fast greifbare Massen man kaum zwei Schritt weit zu sehen vermag, und bleiben wochenlang auf der Ebene liegen. Sie machen es dem Jäger unmöglich, seiner schwierigen Beschäftigung nachzugehen. Darum müssen sich die Sobolniki1 zu Gesellschaften vereinigen, sodass bei Gefahr einer dem anderen zu helfen vermag.

Hört man, dass einmal einer eine Woche oder gar vierzehn Tage lang allein in den Urwald oder auf die Tundra gegangen ist, so schütteln selbst kühne Männer den Kopf.

„On soschol s uma – er ist wahnsinnig!“, sagen sie.

Und sie haben Recht. Wenigstens gehört ein großes Maß Verwegenheit dazu, so etwas zu unternehmen.

Freilich fragt es sich, ob ein amerikanischer Trapper in grimmigster Kälte nicht ebenso gut im sibirischen Urwald herumspazieren würde wie in den Wäldern des Mississippi und Missouri. Der Trapper ist aber auch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als der russische Verbannte oder gar der Ostjake, Tunguse und Burjate. –

Heute war auf dem Herbstmarkt zu Werchne-Udinsk ein richtiges sibirisches Völkergemisch vertreten.

Gewöhnlich lag nur ein geringer Trupp Militär im Ort. Gegenwärtig indes war eine ganze Sotnie2 dorthin befohlen worden.

Aus den staatlichen Bergwerken in Tschita, wo hauptsächlich Verbannte unter der Erde arbeiten, war eine Anzahl dieser Unglücklichen entwichen. Man hatte erfahren, dass sie sich nach der Gegend von Werchne-Udinsk gewendet hatten. Nun waren die Kosaken hierher entsandt worden, um die ganze Umgegend abzusuchen, die Flüchtigen zu ergreifen und zu verschärfter Strafe abzuliefern. Der Rittmeister dieser Sotnie war der Sohn des Kreishauptmanns von Werchne-Udinsk. Er kannte diese Gegend wie seine Tasche und war im Stande, alle Verstecke aufzustöbern.

Der Kreishauptmannssohn war als ein strenger, finsterer Offizier bekannt und gefürchtet und es gab in seiner ganzen Schwadron keinen einzigen Mann, dessen Zuneigung er besessen hätte.

Sein Vater bewohnte das stattlichste Gebäude von Werchne-Udinsk, mit dem sich an Größe nur noch ein zweites messen konnte. Es war der Postojalyi dwor3, dessen Besitzer, der Chosiajin4, zu den wohlhabendsten Leuten der Stadt gerechnet wurde.

In dem Postojalyi dwor ging es hoch her. Die Russen hatten die eingeborenen Völkerschaften Sibiriens vor allen Dingen mit dem Branntwein bekannt gemacht. Der Sibirier aber kann nicht viel vertragen, er wird schnell betrunken. Und eigentümlicherweise ist seine Betrunkenheit nicht schwer, dafür aber umso anhaltender. Schon von einigen Glas Wodka ist er zwei Tage lang berauscht; er springt und reitet dann doppelt selig überall umher und trinkt, wenn er nüchtern geworden ist, gleich wieder ein neues Glas.

In der Wirtsstube sah man weder Tische noch Stühle. Rings an den Wänden des Gastzimmers lagen Schilfmatten. Darauf saßen mit untergeschlagenen Beinen die schlitzäugigen Gäste. Sie tranken, was vorhanden war – saure Milch, Wodka, Mehlwasser oder einen Topf voll Ziegeltee. Und dabei standen ihren Zungen niemals still.

Wer sie schreien hörte, hätte denken mögen, dass es hier gleich Mord und Totschlag geben würde, und doch war es nur eine freundliche und anständige Unterhaltung, die sie führten.

Plötzlich schwiegen alle Gäste. Ein Fremder war eingetreten, etwa mittelgroß – ein ‚Herr‘. Unter Herr versteht der Eingeborene jeden Mann mit kaukasischen Gesichtszügen und guter Kleidung.

Der neue Gast hatte weite, blaue Pumphosen an, die in den Schäften der hohen Stiefel verliefen, über den Hosen einen langschößigen Schnurrock und darüber einen leichten Ziegenpelz. Auf dem Kopf saß eine Lammfellmütze, wie sie in Persien und den Kaukasusländern gern getragen wird.

Ein dichter, schwarzer Vollbart versteckte sein Gesicht fast völlig. Nur die stechenden, unruhigen Augen konnte man deutlich sehen; sie machten keinen Vertrauen erweckenden Eindruck. Ein russisches Gesicht hatte dieser Mann nicht. Seinen Zügen nach musste man ihn für einen Franzosen oder Griechen halten.

Er grüßte knapp und überflog die Anwesenden mit einem stolzen Blick.

Der Chosiajin kam herbeigerannt, stieß mehrere der Gäste über den Haufen und verbeugte sich beinahe bis zur Erde.

„Zdrawstwuj, batjuschka – willkommen, Väterchen, in meinem Haus! Tschto prikaschesch – was befiehlst du?“

„Mogu-li ja proschitj u tebja – kann ich bei dir wohnen?“

„Da, batjuschka – jawohl, Väterchen! Aber doch nicht etwa du allein?“

„Nein. Ich habe meinen Diener mit.“

„Wo befindet er sich?“

„Draußen bei der Kibitka.“

„O heiliger Gott von Ostrolenka! Du hast eine Kibitka? Du bist mit einem Wagen gekommen? Und ich habe es nicht gemerkt? Verzeih mir, Herr! Ich werde meinem Hauspatron, dem heiligen Nikolaus, ein neues Bilderbuch schenken, damit er mir diese Nachlässigkeit nach meinem Tod nicht anrechnet. Gleich werde ich nach deinem Fuhrwerk sehen.“

„So komm!“

Die Männer gingen hinaus. Vor dem Eingang hielt, mit mehreren Koffern beladen, eines jener leichten, zweispännigen Fuhrwerke, die man mit dem Namen Kibitka bezeichnet. Der bärtige Kutscher stand bei den Pferden.

„Ich werde sofort befehlen, alles hineinzuschaffen“, sagte der Wirt. „Wie lange willst du bei mir wohnen?“

„Ich weiß noch nicht, wie lange ich von meinen Geschäften festgehalten werde. Ich habe gehört, dass Jahrmarkt hier ist.“

„Ja, Herr.“

„Dennoch sehe ich nichts davon. Wo ist der Markt?“

„Oh, einen Marktplatz gibt es hier in Werchne-Udinsk nicht. Der Markt wird draußen vor der Stadt im Freien abgehalten. Darf ich erfahren, woher du kommst?“

„Aus Irkutsk.“

„Also von Westen. Da konntest du freilich nichts vom Jahrmarkt sehen. Er liegt im Osten vor der Stadt.“

„Kommen da auch Zobeljäger hin?“

„Viele, Herr.“

„Ich möchte eine Anzahl von ihnen anwerben.“

„Du willst Zobeljäger in deinen Dienst nehmen? Hm, Herr, das ist eine gewagte Sache. Du kannst dabei eine sehr große Summe gewinnen, aber auch verlieren.“

„Wer gewinnen will, muss wagen.“

„Es fragt sich auch, welche Männer du anwerben willst.“

„Kannst du mir vielleicht einige gute Jäger nennen? Ich will eine Jagdgesellschaft gründen.“

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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