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"Du musst es ihnen sagen!" " Was soll ich ihnen denn sagen? 'Ich höre Stimmen'? Dann komme ich hier nie wieder raus." "Eine Stimme." "Was?" "Du hörst nur eine Stimme. Meine." "Klar, das ändert natürlich alles. 'Herr Doktor, ich höre eine Stimme seit dem Unfall', 'Ach, nur eine? Na dann …' "Das ist nicht witzig." Nein, dachte ich, es ist nicht witzig, plötzlich aufzuwachen und eine Stimme in seinem Kopf zu hören, die einem fremden Mann gehört. Als Anni nach einem schweren Unfall im Krankenhaus erwacht, hört sie eine fremde Stimme in ihrem Kopf. Sie gehört zu Ben, einem jungen Architekten, der behauptet, im Koma zu liegen und ihre Gedanken zu hören. Anni ist skeptisch. Doch am nächsten Tag ist Bens Stimme wieder in ihrem Kopf. Und am übernächsten auch. Schon bald werden die Gespräche mit Ben, die mal witzig und mal nachdenklich sind, zum Höhepunkt ihres Tages. Obwohl sie einander noch nie gesehen haben, kommen sich Anni und Ben immer näher. Zu nah, denn beide sind in festen Beziehungen. Trotzdem lässt sie die Stimme des anderen nicht mehr los, und Anni beginnt sich zu fragen, ob man sich wirklich in einen Unbekannten verlieben kann ...
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Das Buch
So etwas hätte sich Anni nicht einmal in ihren wildesten Träumen vorstellen können. Es ist eine Begegnung der dritten Art: Anni kann ihn zwar nicht sehen und auch nicht fühlen, aber als sie nach einem schweren Unfall im Krankenhaus aufwacht, ist da ein fremder Mann. Besser gesagt, eine Stimme. Und zwar in ihrem Kopf. Der Eindringling heißt Ben und gibt sich als im Koma liegender Architekt aus. Angeblich weiß Ben nicht, wie seine Stimme in Annis Kopf gekommen ist. Anni traut ihm trotzdem nicht über den Weg, und sie hat erst recht keine Lust, mit ihm ihre geheimsten Gedanken zu teilen. Ihn loszuwerden gestaltet sich allerdings schwieriger als gedacht, denn wann immer sie glaubt, Ben sei verschwunden, taucht seine Stimme plötzlich wieder auf. Anni will es zwar nicht zugeben, aber insgeheim ist sie froh darüber, denn sie fängt an, Ben zu vermissen, wenn sie ihn einmal nicht hören kann. Als Gesprächspartner ist er nämlich gar nicht mal so übel. Tatsächlich entwickelt sich schon bald eine innige Freundschaft zwischen den beiden, und sie kommen sich immer näher. Zu nah, denn beide sind in festen Beziehungen …
Die Autorin
Julia Hanel, geboren 1987, studierte Germanistik in Bamberg und arbeitete danach als Redakteurin für ein Lokalmagazin in Fulda. Heute lebt und arbeitet sie in Würzburg. Zwei fürs Leben ist ihr erster Roman.
Julia Hanel
Zwei fürs Leben
Roman
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
ISBN 978-3-8437-1099-2
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015
Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München
Titelabbildung: © bürosüd° GmbH, München
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Für Andy
Prolog
»Hast du es ihnen jetzt endlich gesagt?«
»Du schon wieder.«
»Hast du?«
»Nerv mich nicht.«
»Sag schon!«
»Nein. Hau ab.«
»Du musst es ihnen sagen!«
»Was soll ich ihnen denn sagen? ›Ich höre Stimmen‹? Dann komme ich hier nie wieder raus.«
»Eine Stimme.«
»Hä?«
»Du hörst nur eine Stimme. Meine.«
»Klar, das ändert natürlich alles. ›Herr Doktor, ich höre eine Stimme seit dem Unfall‹, ›Ach, nur eine? Na dann …‹«
»Das ist nicht witzig.«
»So ein Zufall. Seh ich genauso.«
»Du musst mit deinem Arzt reden. Es gibt sicher eine harmlose Erklärung.«
»Eine harmlose Erklärung dafür, dass ich Stimmen höre? Du bist echt ein Freak.«
»Eine Stimme. Es ist nur eine Stimme.«
»Und ein Korinthenkacker noch dazu!«
– Schweigen –
»Vielleicht ist das ganz normal nach einem Unfall.«
»Pah, einen Moment lang hatte ich gehofft, du wärst tatsächlich verschwunden.«
»Tja, Pech gehabt. Nicht weinen.«
»Wegen dir bestimmt nicht.«
– Schweigen –
»Wie heißt du eigentlich?«
»Bitte?!«
»Wie heißt du? Das hab ich dich noch gar nicht gefragt.«
»Und es geht dich auch überhaupt nichts an. Verschwinde einfach.«
»Würde ich ja gern. Und zu deiner Information: Ich habe mir das hier auch nicht ausgesucht.«
– Schweigen –
»Anni.«
»Wie?«
»Ich heiße Anni.«
»Dann bist du mindestens sechzig.«
»Warum?«
»Vor sechzig Jahren war dieser Name noch schön.«
»Idiot.«
»Stimmt doch. Würdest du dein Kind Anni nennen? Also ich nicht.«
»Nein, würde ich nicht, denn so heiße ich ja schon. Es gibt nichts Schlimmeres als Kinder, die den Namen ihrer Eltern tragen. Das ist wie im Mittelalter.«
»Mein Vater und ich haben den gleichen Namen. Hatten.«
»Das ändert rein gar nichts an meiner Meinung.«
»Soso, wir sind also eine kleine Zicke.«
»Ein ›wir‹ gibt es hier schon gleich gar nicht. Und ich bin sicher keine Zicke, nur weil ich keine Lust habe, mit einem Verrückten zu smalltalken.«
»Also, wenn das Smal Talk ist, beherrschst du ihn nicht sonderlich gut. Hättest wenigstens mal nach dem Wetter fragen können.«
»Haha. Witzig.«
– Schweigen –
»Also, wie heißt dein Vater?«
»Mein Vater? Ha, das ist ja so was von billig. Frag doch einfach, wie ich heiße. Das willst du ja anscheinend wissen.«
»Pah, dein Name interessiert mich nicht mal ansatzweise.«
»Aber der meines Vaters?«
»Jep.«
»Ben.«
»Wie?«
»Ben.«
»Das ist kein Name.«
»Sondern?«
»Eine Kurzform.«
»Ich heiße aber Ben.«
»Und ich habe nach deinem Vater gefragt.«
»Der hieß auch Ben.«
»Ben ist kein Name.«
»Ach, aber Anni ist einer?«
»Das ist eine Abkürzung, kein Name. Niemand heißt Ben.«
»Ich schon. Mein Vater auch. Und Anni ist auch nicht gerade viersilbig.«
»Na super. Ich höre eine Stimme, und sie heißt Ben. Geht’s schlimmer?!«
»Also, wenn ich so heißen würde wie du, würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen.«
»Pah.«
»Hat dieses ›pah‹ eigentlich einen Sinn? Ich meine, hat das was zu bedeuten? Du pahst nämlich ständig vor dich hin.«
»Sehr witzig. Ein kleiner Scherzkeks in meinem Kopf. Hab ich mir schon immer gewünscht.«
»Reg dich ab. Länger als zwei Minuten hat das mit uns bisher nie gedauert.«
»Es gibt kein ›uns‹.«
»Ja, ja. Bald hast du es geschafft.«
»Für heute. Außerdem warst du erst zweimal … da. Woher willst du wissen, wie lange das dauert?! Weißt du etwas, was ich nicht weiß?«
»Gesunder Menschenverstand.«
»Also, wenn man Stimmen hört, ist da gar nichts mehr gesund.«
»Eine Stimme.«
– Schweigen –
»Die längsten zwei Minuten meines Lebens.«
»Komm, hör auf zu jammern. Das bringt uns auch nicht weiter.«
»Wer jammert denn hier die ganze Zeit?!«
»Du! Dir passt ja nicht mal mein Name.«
»Na, weil das kein Name ist.«
»Wärst du glücklicher, wenn die Stimme in deinem Kopf Josef hieße? Oder Hans? Oder Fritz? Oder Georg? Oder …«
»Ist gut, ist gut. Du kennst beeindruckend viele konservative Namen.«
»Oder Manfred? Oder Klaus?«
»Auf jeden Fall. Das sind wenigstens normale Namen.«
»Dich hat’s echt am Kopf erwischt, Anni.«
»Tja, damit hast du sogar leider recht.«
– Schweigen –
»Okay, Schluss mit diesem Kindergarten. Sprich mit deinem Arzt, erzähl ihm, was passiert ist. Vielleicht hat er eine Erklärung. Das würde uns doch beiden weiterhelfen.«
»Vergiss es. Die stecken mich in die Klapse.«
»Blödsinn.«
»Ich muss hier einfach raus, raus aus diesem miefigen Zimmer, weg von diesem Fraß, diesen sterilen Gerüchen, diesem Scheiß-Krankenhaus. Dann verschwindest du von ganz allein.«
»Zu schön, um wahr zu sein.«
»Wenn ich wieder zu Hause bin, wird sich alles normalisieren, da bin ich mir sicher.«
– Schweigen –
»Noch da?«
– Schweigen –
»Hallo?«
– Schweigen –
»Ben?«
– Schweigen –
»Wo bist du denn hin?«
– Schweigen –
Anni erzählt
Juli
1
Wer möglichst unbemerkt auf einer deutschen Intensivstation sterben will, sollte es gegen 14 Uhr versuchen. Immer um diese Zeit treffen die Schwestern und Pfleger der Frühschicht auf die der Nachtschicht, sitzen für ein paar Minuten zusammen, reden und lachen, trinken eine Tasse Kaffee und genießen die Ruhe vor und nach dem Sturm. Ihr Gelächter dringt dann bis ins Zimmer nebenan, und an manchen Tagen kann man zwischen piepsenden Monitoren und Maschinen sogar ganze Gespräche belauschen. Zumindest bilde ich mir ein, dass es so war.
Die Gelegenheit, mich um 14 Uhr klammheimlich aus dem Leben zu stehlen, habe ich verpasst. Nach 13 Tagen und sieben Stunden auf der Intensivstation habe ich meinen Dornröschenschlaf beendet und die Augen geöffnet. Hannes hat mir erzählt, dass ich als Erstes wissen wollte, ob wir die Europameisterschaft gewonnen haben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, traue mir so eine Frage aber durchaus zu.
Wir haben sie nicht gewonnen, doch im Koma ist es auch nicht anders als sonst: Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. Bei mir ist also gerade Eiseskälte angesagt. Die vergangenen zwei Wochen gleichen einem großen schwarzen Loch. Meine letzte Erinnerung ist ein Song von Bruce Springsteen, der im Radio lief, als ich an jenem Tag im Bad stand, und ich finde es nicht gerecht, dass ausgerechnet so etwas Banales das Letzte ist, was sich mir eingeprägt hat. Jetzt hallt jedes Mal, wenn mich die Ärzte nach meiner Erinnerung fragen, »Dancing in the Dark« in einer Endlosschleife durch meinen Kopf, während Bruce Springsteen in engen Jeans und zerrissener Lederjacke vor meinen Augen das Mikro schwingt: I check my look in the mirror, I wanna change my clothes, my hair, my face.
In den Spiegel habe ich heute noch nicht gesehen – aber gestern, und das, was ich gesehen habe, hat mir gereicht. Ich habe selten so beschissen ausgesehen, nicht mal in den 90ern. Mein halber Kopf steckt in einem Turban aus weißen Binden, der Rest in einer Halskrause à la Queen Elizabeth, und über meiner rechten Augenbraue zieht sich die Naht einer Schnittwunde, die mich nie vergessen lassen wird, was am 27. Juni um 18.51 Uhr passiert ist – und die auch in zehn Jahren leider niemand als »interessant« bezeichnen wird. Andere tragen Erinnerungen im Herzen, ich auf meiner Stirn.
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