Zweite Halbzeit - Nick Zachries - E-Book

Zweite Halbzeit E-Book

Nick Zachries

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Beschreibung

An der französischen Atlantikküste lernen sie sich kennen: Nick, 25, ein schwuler Student aus Hamburg und Jan, 39, Familienvater und mit seinen drei Kindern allein im Zelt-Urlaub. 'Renate braucht ´ne Auszeit,' hat er seiner 16-jährigen Tochter erklärt, trennen will er sich nicht. Streit mit dem Reisegefährten und ein starker Gewitterregen, bei dem Nicks Zelt kaputtgeht, führen dazu, dass Nick von Jan das Angebot bekommt, zu seinen Kindern und ihm ins Zelt zu ziehen. Der nimmt natürlich an, weil er schon längst in Jan verliebt ist. 'Vergiss es, Nick! Der ist totaler Hetero,' sagt er sich ständig, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

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Seitenzahl: 317

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Nick Zachries

Himmelstuermer Verlag, Part of Productionhouse Gmbh

Kirchenweg 12, 20099 Hamburg, www.himmelstuermer.de

E-mail:info@himmelstuermmer.de

Originalausgabe März 2005

E-book Ausgabe: Herbst 2012

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des  Verlages

Foto: Thorsten Hodapp, http:www.MalePerceptions.de

Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit demInhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus. 

 Umschlaggestaltung: OlafWelling, Grafik-Designer AGD, Hamburg, www.olafwelling.de

ISNB Print 978-3-934825-32-1ISBN ePub978-3-86361-257-3ISBN PDF  978-3-86361-258-0

Inhalt

Teil 1

Urlaubsplanungen

-  Ein fremder Typ im Bett

-  Die Ehefrau klinkt sich aus

-  „... aber bitte keine Pariser!“

Frankreich  

-  Café au lait

-  Ein schwedischer Austauschschüler

-  Ausnahmsweise Nutella

Urlaubsbekanntschaften  

-  Sportliche Aktivitäten

-  Wie Timo Hildebrand

-  Ein ziemlich mieser Vorschlag

Veränderungen  

-  Ein kaputtes Zelt

-  Zeichnungen am Strand

-  Ein Spaziergang am späten Abend

Wieder zurück  

-  Zwei Männer im Ehebett

-  Eine fremde Ehefrau

-  Erster Abschied

Verabredungen  

-  Ein Funken Hoffnung

-  WG-Zimmer

Training Mittwochs um halb Acht

Ein spezielles Wochenende

Aufmerksame Nachbarn

-  Gemüse liegt nicht schwer im Magen

-  „... hast du noch Nutella?“

Zukunftspläne  

-  Bis Mitte Oktober

-  Die „Ex“ und „Jacque Tati“

-  Besuch beim Kinderarzt

Zweifel  

-  Völlig undenkbar

-  Diverse Lügen

-  Rote Bettwäsche

Es geht nicht  

-  Kunst im Kinderzimmer

-  Heimlicher Besuch in der Nacht

-  „...Bettgeschichten sind tabu!“

Coming out  

-  Zwischenfall im Umkleideraum

-  Heidepark statt Schule

 - Ein cooler Typ

Teil 2

Die erste Zeit  

-  Katerstimmung

-  Nächtlicher Besuch einer jungen Dame

-  Ein verständnisloser Vater

Unverhofftes Wiedersehen  

-  Jeff Goldblum im Alten Land?

-  Ein italienischer Schwede

-  Nudeln mit Pesto

Schlechte Nachrichten  

-  Eiszeit in Eckernförde

-  Schwedische Belagerung

-  Wo ist der Sunset Boulevard?

Schwarzer Freitag  

-  Meryl Streep und Nicolas Cage?

-  Keine Chance gegen vier

-  Ein Dackel zur rechten Zeit

Winter in Dänemark  

-  Tierische Verstärkung

Urlaubsplanungen

-  Ein fremder Typ im Bett - Die Ehefrau klinkt sich aus - „... aber bitte keine Pariser!“

Nick

Gestern Nacht ist es wieder spät geworden ... Gott sei Dank hab’ ich nicht so viel gesoffen wie Uli, der wird heute Morgen ’n Kran brauchen, um seinen Kopf zu heben ...

Er ist ein echter Idiot, kann’s  nicht lassen.

Ich komme aus dem Bad in mein Zimmer und reiße erst mal das Fenster auf. Widerlich, dieser abgestandene Zigarettenrauch!

Wie hieß er doch?

Ich war auch ganz schön zu. Jetzt bei Tageslicht sieht er gar nicht mehr so aus wie Keanu Reeves, stelle ich fest.

Ganz und gar nicht.

Vor dem Bett unsere Klamotten. Ich sehe auch ein benutztes Kondom ... na, wenigstens hab’ ich meinen Geist nicht vollends ausgeschaltet ...

Ich muss raus. Sofort.

Ziehe Trainingsshorts, Socken und ein T-Shirt an, nehme meine Laufschuhe und gehe. Auf dem Flur zieh’ ich sie an.

Die drei Treppen runter, noch ungefähr 200 m, dann geht s in den Stadtpark.

Ich trabe los. Meine Strecke zum Meditieren und Nachdenken. ’ne Stunde ungefähr. Vielleicht lauf’ ich heute auch länger.

Jan

Ich hab’ also alles auf’m Tisch ausgebreitet, die Karten, die Frankreich-Bücher und den ADAC-Campingführer und beuge mich mit Christoph über den Tisch, da sagt Renate plötzlich:

„Ich hab’ keinen Bock ...Wenn ich’s mir genau überlege ... nein! Diese verdammte Enge im Zelt und überall liegen Klamotten und ich keife rum, weil ich den ganzen Scheiß wieder wegräumen muss ... nein! Es soll doch Urlaub sein, oder nicht? Auch für mich, oder? Das ist aber kein Urlaub, wenn ich den ganzen Tag am Wirbeln bin, weil ihr euch nämlich alle wieder verpisst!“

Sie hat sich richtig in Rage geredet. Mir steht der Mund offen, glaube ich.

„Reni”, beginne ich vorsichtig und da fährt sie mich an und zischt: „Renate. Ich heiße Renate, ja?“ Und sie geht aus dem Wohnzimmer und knallt die Tür hinter sich zu.

Die Kinder schweigen betreten.

Was sollen sie auch machen?

„Wartet mal”, sage ich und gehe hinterher.

Sie ist im Schlafzimmer und sitzt auf dem Bett.

Ich mache die Tür hinter mir zu.

„Ich hab‘s  satt”, sagt sie, ohne sich umzudrehen, „ich hab‘s echt satt ... weißt du, dass Katharina mich heute vor ihren Freundinnen zur Sau gemacht hat, weil ich ihr nicht die Jeans gewaschen habe, die sie unbedingt anziehen wollte? Kannst du dir vorstellen, was das für‘n Gefühl ist? Ich hab’ mich wie ‘ne Putze gefühlt ... Ja, Madame, entschuldigen Sie bitte ... und Christoph vergisst ständig, dass er auch mal mit anpacken soll ... ich habe echt keinen Bock mehr, weißt du? Und je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird‘s mir. Ich will nicht mit in den Urlaub. Ich bleib hier ... ich muss nachdenken.“

Sie meint es ernst. Ich kenne sie.

‘Verdammt’, denke ich, ‘das ist ein echter Schlag in die Magenkuhle ...’ Die Kinder freuen sich, ich hab’ schon Urlaub genommen im Geschäft, die Zeltausrüstung ist auch endlich fertig und neulich war ich doch extra noch mal los, um neue Gaskartouchen für den Kocher zu besorgen und dann habe ich auch noch einen Schrank gekauft, aus Alu und Stoff mit Reißverschluss, damit wir unsere Klamotten da reinpacken können. Damit nicht so viel rumliegt.

„Sag’ mal, fällt dir nichts dazu ein?“, ranzt sie mich an. „Hat dich das so sprachlos gemacht?“

„Ja ... irgendwie schon”, sage ich, „aber ich vermute, dass du‘s durchziehst, oder? Ich meine, du wirst tatsächlich nicht mitkommen ... und ich glaube auch nicht, dass du dir das erst heute überlegt hast.“

Sie sieht mich so eigenartig an.

„Ich will ausziehen, Jan”, sagt sie leise, „ich hab auch schon ein Zimmer. In ‘ner WG.“

Ich starre sie an. „Du hast ‘n anderen Kerl”, sage ich. Sie lacht freudlos auf.

„Das wär’ die Erklärung, was? Nein, hab’ ich nicht”, sagt sie, „ich will bloß nicht mehr ... Ich will mein Abi nachholen und studieren.“

Nick

Als ich zurückkomme, ist „Keanu“ verschwunden. Auch gut. Ich gehe ins Bad, dusche ausgiebig. Danach fühle ich mich schon sehr viel besser. Ich hab’ heute wahnsinnig geschwitzt ... wahrscheinlich ist mir der Restalkohol noch aus sämtlichen Poren gedrungen.

Stelle mich auf die Waage. 64 kg. Ich hatte schon mal 68, da war ich echt stolz. Ich bin 1,78 m – okay, nicht der Größte, aber eindeutig zu dünn. Josy und Uli könnten mir ruhig was abtreten von ihren Gewichtsklassen. Besonders Uli. Je fetter er wird, desto tuntenhafter verhält er sich.

Ich kann dieses Getue nicht ab. Ich weiß ja, dass Uli echt in Ordnung ist, aber ... muss man wirklich in Frauenfummeln auf den CSD, nur weil man schwul ist? Er und Dietlinde.

„Ich heiße Dieter. Dieter Linde, kannst Dietlinde zu mir sagen!“ Die Vorstellung wurde begleitet von einem feuchten, schlaffen Händedruck. Mir fielen damals fast die Augen raus, als ich Ulis ‚beste Freundin’ das erste Mal sah. Weit ausgestellte Jeans und so‘n Polyesterblüschen in pink mit lila Blümchen rundeten den Gesamteindruck ab. Das Ganze wurstpelleneng. Zwei Nummern zu klein, aber mindestens. Ziemlich viel Puder, um den Bartschatten zu tarnen und ‘ne Frisur, wie sie meine Oma auch nicht scheußlicher hingekriegt hätte.

Ich muss wohl ziemlich dämlich geguckt haben, denn Uli kam aus seinem Zimmer und sagte: „Oh, Nick! Ich hab’ dir ja noch gar nichts von Dietlinde erzählt – äh, ist dir nicht gut? Willst‘n Schnaps oder so? Du bist so blass!“

„Ist das der Neue? Der Kleine, der auch lieber mit Jungs spielt?“, fragte die rosa Wurst entzückt und sah mich von oben bis unten an. „Uli, der ist doch süß!“ Und zu mir gewandt: „Also wenn ich dich schminken würde, tät’ste sofort als Mädchen durchgehen ... musst du dich überhaupt schon rasieren?“

„Ja! Jeden Tag!“, fauchte ich und freute mich über meine tiefe Stimme.

Die wenigstens ist echt männlich.

Ich fön mir kurz die Haare und mach’ noch‘n  bisschen Gel rein.

„Hi, Nick!“, sage ich zu dem Typen, der mich aus dem Spiegel anstarrt.

Er streckt mir die Zunge raus. Ich muss grinsen.

Aus Ulis Zimmer höre ich Robbie Williams. Er ist also schon aus dem Koma erwacht. Ich klopfe an.

„Ja”, höre ich seine gequälte Stimme und gehe rein.

„Oh Mann, mach‘s Fenster auf”, sage ich und halt mir die Nase zu. „Was kokelst du denn hier? Weihrauch? Myrrhe?“

„Orientalischer Zauber”, stöhnt der Berg im Bett, der völlig mit Decken und Tüchern getarnt ist. Er arbeitet sich jetzt heraus. „Oh, mein Kopf ...“ Er sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Du bist ja widerlich sauber und frisch ....“  

„Ich bin schon gelaufen”, sage ich und atme tief die Luft von draußen ein. Autoabgase riechen allemal besser als diese exotische Mischung hier.

„Ist der hübsche Kerl noch da, mit dem du gestern Abend hier aufgekreuzt bist?“, fragt er mich neugierig.

„Du musst dich abschminken, bevor du ins Bett gehst”, sage ich ihm, „Himmel, wie du wieder aussiehst!“

„Lenk’ nicht ab ... sag’, wie war‘s?“ Uli sieht mich erwartungsvoll an. Ich kratze mich am Kopf.

„Ehrlich gesagt, ich weiß nicht‘s mehr ... ich war wohl auch ziemlich blau”, gestehe ich.

„Blau? Echt? Hat man dir nicht angemerkt ... du wirktest ganz cool ... ihr kamt hier rein und alle starrten euch an und du nahmst den Dunklen an die Hand und sagtest: ‘Hier geht‘s lang – wir haben ja noch was vor, oder?’ Und er hat dich verliebt angesehen und ihr seid raus ... Hach! War‘s schön?“

Bei mir dämmert‘s langsam.

Wir waren in meinem Zimmer und ich machte die Tür zu, lehnte mich dagegen und alles drehte sich auf einmal.

„Ich bin total blau”, sagte ich. Der Typ – wie hieß er bloß? – stand schwankend vor mir und kicherte und sagte: „Ich doch auch ... ehrlich gesagt, ich bin zu nichts mehr fähig ...“ Und ich musste auch kichern und dann stolperten wir zum Bett und ließen uns rückwärts fallen.

„Boah, alles dreht sich”, sagte der Typ, „gib’ mir deine Hand, ich muss mich festhalten!“

Mir ging‘s genauso. Ich schloss die Augen und dachte ‘Hauptsache, wir müssen nicht kotzen ...’ ich hasse es nämlich.

Dann war ich weg.

Ich wachte auf, weil mich einer küsste.

„Hey, du”, sagte der fremde Mund, „geht‘s dir jetzt besser?“

Ich sah in zwei dunkle Augen, die in einem hübschen Gesicht saßen, das von schwarzen Haaren umgeben war.

„Geht so”, murmelte ich, „ich muss erst mal was trinken ... ich hab tierischen Durst!“

Der Dunkle griff neben‘s Bett und stellte mir gleich darauf eine Flasche Wasser auf die Brust. Danach ging‘s mir bedeutend besser. Und nach ‘ner weiteren halben Stunde noch viel mehr ...

Laurent!

Stimmt ja, er hatte mir von seiner französischen Mutter erzählt, die kürzlich wieder nach Paris gezogen war!

„Äh, ja ... war nett”, sag’ ich zu Uli, der mich enttäuscht ansieht, weil‘s nicht meine Art ist, über Bettgeschichten zu plaudern.

Es klingelt.

„Hat Josy schon wieder seinen Schlüssel verschlampt?“, frage ich, zur Tür gehend. Seitdem St. Pauli abgestiegen ist, hat Josy Ausfälle...

Uli gibt unartikulierte Laute von sich.

Ich öffne.

Draußen steht Laurent mit ‘ner Tüte Brötchen. Er scheint auch frisch geduscht zu sein. Irgendwie hat er jetzt auch wieder fatale Ähnlichkeit mit Keanu Reeves.

„Haste Hunger? Woll’n wir zusammen frühstücken?“, fragt er und grinst.

Himmel, Grübchen hat er auch ...!

„Klar”, sage ich mit meiner einschmeichelndsten Stimme, „ich hab‘ dich schon vermisst, Laurent!“

Jan

Sie hat den Abi-Kurs schon angefangen.

Und für das Zimmer in Hamburg zahlt sie die Miete bereits seit einem Monat!

Ich trinke den letzten Rest Kaffee aus der Thermoskanne.

Seit zehn Stunden sind wir unterwegs. Um sechs Uhr abends sind wir dann endlich losgekommen ... Eigentlich wollte ich spätestens mittags losfahren, aber Christoph hatte sein verdammtes Meerschweinchen noch nirgends untergekriegt und wir mussten erst diverse Leute anrufen .... wir? Ich musste herumtelefonieren!

Eine frühere Arbeitskollegin war mir schließlich eingefallen. Die hatte immer von ihrem Hund geschwärmt. Also tierlieb war sie ja, die Marlene!

Sie wohnte bloß 50 km in der falschen Richtung. Sie war umgezogen.

Nein, alles kein Problem – herzlich gern! Und wenn wir mal wieder ...? Und wirklich keinen Kaffee?

50 km zurück. Stau vor’m Elbtunnel. Stau im Elbtunnel und Stau hinterm Elbtunnel.

Und Lily musste mal – „gaaaanz nötig, Papa, ich kann nicht mehr!“ Christoph fand ‘ne Plastiktüte. Zuhause ist Lily reingetreten, als sie ausstieg ...

Katharina half mir beim Saubermachen.

„Trennt ihr euch?“, fragt mich Katharina, als ich vom Pinkeln zurückkomme. Christoph und Lily schlafen.

Katharina ist fast 16, ihr kann ich nichts vormachen.

„Ich weiß es nicht”, sage ich wahrheitsgemäß. „Auf jeden Fall braucht Renate ‘ne Auszeit.“  

Katharina nickt.

Nick

Verrückt ist es ja, ich weiß. Da fahr ich also mit Laurent in den Urlaub, obwohl wir uns erst seit drei Tagen kennen ...

Diese drei Tage hatten es in sich.

Zwischendurch sind wir immer in die Küche, um was zu essen zu holen.

Wenn ich Uli auf dem Flur traf, starrte er mich an, als hätte er mich noch nie gesehen.

„Äh, dieses Müsli hier, das isst du doch nicht mehr, oder? Ich glaub, das ist auch schon abgelaufen”, sagte ich, als ich ihm bei einem meiner Raubzüge auf der Suche nach was Essbarem von der Küche in mein Zimmer über den Weg lief.

„Ich glaub‘s nicht”, sagte er nur. „Ich glaub‘s einfach nicht ...“

War mir völlig egal. Ich balancierte vorsichtig die Milch und die Müslipackung nebst Schüsseln auf dem Tablett in mein Zimmer, stieß die Tür mit dem Hintern zu.

„Kleine Stärkung gefällig?“, fragte ich Laurent, der schlapp im Bett auf dem Rücken lag und lachte.

„Oh, oui monsieur”, sagte er, „je vous aime ...“

„ Moi non plus”, gab ich zurück. Das Tablett stand neben dem Bett.

Die Milch wurde warm.

Irgendwann kam er auf die verrückte Idee, seine Mutter zu besuchen. Mit mir.

„Erst Paris, danach ein bisschen im Atlantik baden, wie wär‘s?“

Klar, warum nicht? Schließlich muss ich mein sauer verdientes Geld auch mal ausgeben.

Zelt? Hat er. Nagelneu. Erst zweimal an gute Freunde ausgeliehen.

„Und alles dabei ... also Kocher und Töpfe und all den Kram, den man so braucht ... hat mir‘n guter Kumpel überlassen, der Schulden bei mir hatte ...“

Er hat total schöne braune Augen und irre lange Wimpern.

Hab’ ich schon gesagt, dass er wie Keanu Reeves aussieht?

Ich bin dann noch am Nachmittag vor der Abreise zu Franziska gefahren. Sie war gerade aufgestanden. Sie arbeitet als Nachtwache in ‘nem Altersheim. Ach ja, meine Mutter übrigens.

Sie machte sich gerade ‘nen Kaffee.

„Willst du auch einen?“, fragte sie mich. Och ja, und ich guckte auch gleich in ihren Kühlschrank.

„Mmh, Chaumes ... lecker ... darf ich?“

Sie sah mich fragend an.

„Was ist?“, fragte sie. Sie kennt mich gut.

„Kannst du mir ein bisschen Geld leihen?“, fragte ich sie, als ich in mein Käsebrot biss.

Sie seufzte. „Was willst du dir zulegen?“, fragte sie mich. „Oder ist dein Auto kaputt?“

Mein Auto. Ach Gott ... wann hab’ ich das überhaupt das letzte Mal gesehen? Josy hat ein Dauerabo drauf.

„Nein, nein ...ich wollte bloß ein paar Tage Urlaub machen”, sagte ich und schielte auf den Joghurt, der vor ihr stand. Genau die Marke, die ich mag. Sie sah meinen Blick und schob ihn rüber. „Iss ihn”, seufzte sie.

„Mit wem?“, fragte sie dann.

Ich löffelte den Joghurt mit diesen kleinen Knusperstückchen, die man da reinschütten muss und nuschelte: „Laurent ...“  „Wer?“ fragte sie.

Ich erzählte ihr alles.

Gott sei Dank ist Franziska alles andere als prüde.

„Drei Tage”, war ihr Kommentar, „dann seid ihr ja so gut wie verlobt!“

„Das ist aber auch mit dein Geburtstagsgeld”, sagte sie mir noch an der Tür, „Capicce?“

Ich umarmte und küsste sie. „Du bist echt ‘n  Schatz”, sagte ich.

„Weiß ich doch”, grinste sie, „und keine Pariser, hörst du?“ Wir guckten uns verdutzt an und lachten los.

Frankreich

Café au lait und frische Croissants – Ein schwedischer Austauschschüler – Ausnahmsweise Nutella

Jan

Gerädert bin ich, als wir am nächsten Morgen in Le Mans sind.

Le Mans! Eigentlich wollte ich um diese Zeit schon längst am Atlantik sein.

Ist ganz schön anstrengend, die ganze Zeit allein zu fahren.

Renate und ich haben uns halt immer abgewechselt.

Meine Gefühle fahren Achterbahn mit mir ... Mal bin ich verzweifelt, dass sie einfach so für sich entschieden hat, dann wieder stocksauer, dass sie mich so hängen lässt.

Sie hat schon seit Februar das Zimmer gesucht!

Seit fünf Monaten schon!

Und nie hat sie was gesagt!

Hätten wir doch bloß geredet.

Doch, sie hat‘s versucht, muss ich mir eingestehen. Oft sogar. Und ich? Lag k.o. auf dem Sofa. Die Vergrößerung des Geschäfts hatte mich ganz schön beansprucht.

Ich musste früher weg und kam dafür später – haha.

Diverse Male hatte ich sie abgeblockt. „Ach, Reni ... ich bin so müde ...“ Sie hatte rumgedruckst und jetzt, im Nachhinein, da seh’ ich‘s ganz deutlich, ich hätte mit ihr reden sollen ...

Sie war auch oft genervt in der Zeit und ich hatte angenommen, es hätte daran gelegen, dass ich immer so spät nach Hause kam.

‘Wenn der Umbau fertig ist’, dachte ich damals, ‘und wenn Urlaub ist ... dann haben wir wieder Zeit.’

Jetzt ist Urlaub.

Mann, bin ich kaputt. Am liebsten würd’ ich jetzt nur noch schlafen, schlafen ...

„Papa! Vorsicht! Der Laster!“ Katharina hatte aufgepasst. Ich wär’ stur geradeaus gefahren. Diesen verflixten LKW auf der Einfädelspur hätte ich fast übersehen.

„Wir suchen erst mal ‘nen Campingplatz”, beschließe ich.

Nach noch einmal  anderthalb Stunden Sucherei finden wir einen.

An ‘ner großen Straße gelegen. Katharina macht ein langes Gesicht, Christoph reißt sich zusammen, um sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und Lily heult nur noch. Sie schwitzt und ist völlig fertig.

„Nur eine Nacht”, tröste ich sie, „morgen geht‘s ans Meer!“

Es dauert ewig lange, bis wir das Zelt endlich aufgestellt haben, dann noch den Wagen ausräumen, alles reinstellen, ich  lege die Matratzen hin und die Schlafsäcke und plötzlich bin ich weg ... einfach eingeschlafen.

Ich hab’ den ganzen Tag gepennt. Wie im Koma.

Als ich aufwache, geht‘s mir besser. Dann denke ich ‘Lily?’ und springe auf. Die Großen werden sie doch nicht alleingelassen haben?

Ich stehe vorm Zelt. Sehe Christoph, der mit einem Jungen in seinem Alter ein bisschen Fußball spielt. Und da ist Katharina, die mit Lily neben einer kleinen, dunkelhaarigen Frau steht. Sie sehen rüber. Lily läuft auf mich zu. Ich breite meine Arme aus und fange sie auf. Sie jauchzt auf, als ich sie herumschleudere.

Ihr Mund ist rot verschmiert. „Wir haben Spaghetti gegessen”, sagt sie, „bei der netten Frau!“

Na, wunderbar. Der Alte pennt, die Kinder fressen sich bei den Nachbarn durch. Der Urlaubsstart ist gelungen.

Nick

Also, ich bin ja wirklich nicht empfindlich oder so, aber Laurent fährt echt wie‘n Henker. Nervös sehe ich immer wieder auf den Tacho. 150 ? Und das mit ‘nem Opel Corsa?

Der röhrt ziemlich laut, Laurent dreht dafür die Anlage voll auf.

Aber Robbie Williams?

Ich trau’ mich nicht, meinen Discman auszupacken. Wäre unhöflich, oder? Trotzdem sehn’ ich mich nach Sting ...

Eigentlich hätten wir durchfahren können, aber ...

„Du bist total süß, Nick”, flüstert mir Laurent ins Ohr, als wir im Zelt liegen.

Hat was, so im Zelt. Man ist irgendwie draußen und doch so abgeschlossen und für sich. Gemütlich.

Am nächsten Morgen packen wir alles zusammen und fahren nach Charleroi zum Frühstücken.

Café au lait, frische Croissants und Laurent, der französisch spricht. Wow! Er turnt mich echt an!

Nachmittags sind wir da. Seine Mutter ist begeistert und redet irrwitzig schnell. Okay, Französisch war eh noch nie meine Stärke. Zumindest was die Sprache angeht ... Ich lächle freundlich und lasse mich von ihr auf die Wangen küssen. Sie sagt was zu Laurent über mich, der lacht.

„Was hat sie gesagt?“, frage ich ihn auf unserem Zimmer.

„Ein hübscher, schüchterner Deutscher”, sagt er lachend und wir küssen uns gutgelaunt.

Ich bin in Paris! Mit Laurent! Und ganz schön verknallt in den ...!

Jan

Ich wecke die Kinder früh am nächsten Morgen. Will heute den Rest der Strecke schaffen.

Auf dem Weg zum Waschhaus treffe ich die nette Französin, die meine Kinder gestern durchgefüttert hat. Sie fragt mich was. Ich verstehe nur Bahnhof, nehme aber an, dass sie fragt, ob wir abreisen. „Oui, oui”, antworte ich. Sie sieht mich bestürzt an und schüttelt mitleidig den Kopf.

Als ich es Katharina erzähle, runzelt sie die Stirn. „Wöff?“, fragt sie.

„Ja, so hat‘s geklungen”, sage ich.

„Veuf heißt Witwer”, sagt sie.

Am frühen Nachmittag sind wir mit allem fertig. Das Zelt steht, eingekauft haben wir auch und am Meer sind wir ebenfalls schon gewesen. Es ist ungefähr drei Kilometer entfernt, es gibt genügend Parkplätze da und der Strand ist herrlich. Die Kinder sind restlos begeistert!

Zufrieden essen wir frisches Baguette, Käse und Salat und ich bin schon nach dem zweiten Glas Rotwein blau, weil ich das erste schon vorm Essen getrunken habe. ‘Ne Schachtel Zigaretten habe ich mir auch gekauft, obwohl mich Katharina misstrauisch angesehen hat.

„Fängst du jetzt wieder damit an?“, fragt sie mich.

„Nur im Urlaub”, sage ich ihr.

Das wird auch meine einzige Sünde sein.

Urlaub mit drei Kindern.

Was soll da schon passieren?

Nick

Den ersten Abend bekocht uns seine Mama, ich schlage zu, in der Hoffnung, die 68 Kilo wieder zu erreichen, aber als wir spät abends in der Disco tanzen, weiß ich, dass ich mich eher wieder davon entferne ...

Ich liebe es, zu tanzen!

Überhaupt bin ich gern in Bewegung!

Zuhause laufe ich regelmäßig, dann spiele ich Badminton und neuerdings sogar wieder Fußball.

Josy hat mich dazu überredet.

Okay, ich hab’ schon als Sechsjähriger damit angefangen, aber mit sechzehn wieder aufgehört.

Wurde mir zu blöd, dieses doofe Gequatsche über Mädchen. Das war die Zeit, als ich meine erste Liebe erlebte.

Mats war schwedischer Austauschschüler und wohnte bei Patrick, einem aus meiner Klasse.

Irgendwie war mir schon klar, dass bei mir was anders tickte, weil ich all die Bilder und Zeitungen, die da so bei uns Jungs in der Klasse die Runde machten, nur nervig fand. Eigentlich mehr komisch, diese Frauen mit den abartig riesigen Brüsten!

Unseren jungen Sportlehrer dagegen fand ich unheimlich toll. Der hatte eine klasse Figur! Total durchtrainiert, kein Gramm Fett, Muskeln an den richtigen Stellen ... dunkles Haar und Dreitagebart. Und so schön braun war er!

Alle Mädchen aus der Klasse waren in ihn verschossen.

Auf  irgend so ‘nem Ausflug spielten ein paar Jungs mit ihm Volleyball und er zog sich irgendwann sein T-Shirt aus.

Ich saß am Rand und sah zu und ich starrte ihn an. Mein Blick fiel auf seinen Nabel. Ganz viele schwarze Haare hatte er darunter und ich spürte plötzlich, dass mein kleiner Freund in der Hose verrückt spielte ...

Da war ich vielleicht vierzehn oder so.

Und wenn ich abends im Bett lag, dachte ich an Herrn Beyer.

Sebastian Beyer ...! Meine Güte, es war ganz schön schwierig, die Sportstunden zu überstehen, ohne mich zu verraten. Gott sei Dank haben‘s die anderen nie mitgekriegt, damals hätte ich noch nicht das nötige Selbstbewusstsein gehabt.

Dann kam Mats und bei mir machte es „peng“!

Bei ihm übrigens auch.

Es war total schön.

Patrick kam mit ihm am Montag Morgen zur Schule und wir starrten uns an, als ob wir allein auf der Welt wären. Patrick stand daneben und raffte überhaupt nichts.

„Ist was?“, fragte er blöde, weil wir uns die ganze Zeit angrinsten.

„Nö”, sagte ich und wir gingen zusammen in die Klasse.

In der Zeit gingen meine Noten ein bisschen in den Keller, weil ich pausenlos irgendwelche Liebesbriefchen schrieb.

Mats hat, glaube ich, zumindest eine gewaltige Palette an Koseworten auf Deutsch gelernt...

Wir trafen uns jeden Nachmittag.

Erst rannte er zu dem Treffpunkt mit den anderen Schweden, danach zu mir.

Meine Mutter arbeitete manchmal auch tagsüber und war oft nicht da. Deutschland, beziehungsweise Hamburg, das war für Mats nur mein Zimmer.

Ich ging wie auf Wolken in der Zeit, machte einen Schuss in die Höhe von 1,68m auf 1,74m und stellte fest, dass ich mich häufiger rasieren musste.

Sechs Wochen war er da.

Wir probierten echt alles aus und es war klar, dass wir unvorsichtig wurden.

Eines Nachmittags kamen wir zu uns und wir fingen schon im Flur an, miteinander rumzumachen ... nichts Schlimmes, bloß so Geknutsche ... kann auch sein, dass ich meine Hand vielleicht schon in seine Hose geschoben habe aus lauter Vorfreude – na, jedenfalls ging plötzlich die Wohnzimmertür auf und meine Oma stand da. Wir haben alle drei blöde geguckt, dann sagte Oma ganz fassungslos „mein Gott ...“ und sie hielt sich am Türrahmen fest und dann tauchte auch schon meine Mutter hinter ihr auf. Sie sah erst mich an, dann Mats und sagte bloß:

„Ist er das? Dein Schwede?“ Ich starrte sie entgeistert an und wusste in dem Moment, dass sie es die ganze Zeit vorher schon geahnt hatte.

Nee, ehrlich, mir ist‘s nicht peinlich, ich sag‘s noch mal: Meine Mutter ist wirklich super nett.

Am gleichen Abend, als Mats und Oma weg waren, haben wir geredet.

Ich konnte ihr sogar von Herrn Beyer erzählen und sie fragte: „War das nicht dieser knackige junge Referendar, den ihr mal in Sport hattet?“ Echt, meine Mutter.

Und als wir auf diesem Familientreffen waren, irgendso ‘ne entfernte Cousine wurde 40 oder so, und Oma hatte was durchsickern lassen von wegen „der arme Junge ... hat ja auch keinen Vater ... kein Wunder“, da sagte sie „Na und? Und wenn schon! Nick bleibt trotzdem Nick und mir ist es wichtig, dass er glücklich wird, egal mit wem!“

Sie meint das wirklich so. Und dafür liebe ich sie.

Jan

Ich hab’ den Rasierapparat vergessen ... lass’ ich mir halt ‘nen Bart stehen.

Ist ja Urlaub.

Aus dem Grunde weigere ich mich übrigens auch, über Renate und mich nachzugrübeln, das klammere ich jetzt erst einmal aus.

Wenn wir wieder zurück sind ...

Christoph hat schon die Gegend erkundet und heute Morgen frische Baguettes geholt, ein kleines Dörfchen liegt zwischen dem Campingplatz und dem Meer. Vielleicht kann ich morgen früh ja mal laufen, wenn‘s noch nicht so heiß ist?

Täte mir gut, in letzter Zeit habe ich zugenommen.

Überhaupt sollte ich wieder mehr Sport treiben ... vielleicht mich auch mal wieder zum Tennis verabreden?

Früher war ich richtig aktiv, da habe ich auch Fußball gespielt. Zweimal wöchentlich zum Training. Aber als dann die Kinder da waren, wollte Renate nicht mehr, dass ich abends so oft weg war. Dann musste ich länger arbeiten, meine Zeit wurde knapper.

Früher ... das hört sich an, als wäre ich schon alt. Dabei werde ich doch erst vierzig. Und so schlecht gehalten hab’ ich mich nicht, denk’ ich.

Wir verbringen den ganzen Tag am Strand und abends fahren wir essen. Die Kinder trinken Cola, ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, dass Renate es nicht erlaubt hätte.

Sie hatte dieses Wochenendseminar an der Volkshochschule  mitgemacht und danach gab‘s bei uns nur noch Vollkornsachen ...

Okay, Vollkornbrot aßen wir sowieso, aber Vollkornnudeln und Vollkornpizza?

Renate wollte es ‘richtig’ machen und ständig hörte ich sie die Kinder ermahnen.

Morgens gab‘s auch keine Brötchen mehr, sondern Frischkornbrei.

Schmeckt ja gar nicht schlecht, aber irgendwie fehlte mir der richtige Kaffee (es gab nur noch Getreidekaffee) und das Käsebrötchen.

Als ich einmal diesbezüglich eine Bemerkung machte, fuhr sie mich heftig an.

„Du, hör’ mal, ich hab’ mich da echt informiert und weiß, dass es unheimlich gut ist – für uns alle – es ist wirklich ein richtig wertvoller Beitrag zur Gesundheit! Weißt du, was sich alles positiv verändert, wenn man die Ernährung umstellt?“

Sie hielt mir einen Vortrag  und ich in Zukunft den Mund.

Im Geschäft gab‘s ja richtigen Kaffee ...

Wir fahren einkaufen. Weißmehlnudeln und Ketchup wandern in den Einkaufswagen. Lily steht vor den Nutella-Gläsern. Sie sieht mich groß an, als ich eins davon einpacke. „Ausnahmsweise”, sage ich und sie strahlt.

Urlaubsbekanntschaften

Sportliche Aktivitäten – Wie Timo Hildebrand – Ein ziemlich mieser Vorschlag

Nick

Eiffelturm, Mont Matre, Sacre Coeur, dann ist‘s genug. Wahnsinn, diese vielen Leute! In der Stadt ist es heiß und der Weg hoch zum Sacre Coeur ist ziemlich zugeschifft. Es stank widerwärtig!

Am Vormittag des dritten Tages fahren wir ab, Richtung Nantes.

Ich ärgere mich, dass Laurent mir nicht sagt, wo er gestern Abend noch gewesen ist.

„Ich geh’ noch mal kurz weg”, hat er mir bloß gesagt und schon war er verschwunden. Blödes Gefühl. Ich packte meine Sachen zusammen und bin dann auch noch mal los. Nur so‘n bisschen spazieren, ich wollte nicht lange wegbleiben, da ich ja auch keinen Schlüssel hatte. Irgendwann nachts kam er dann nach Hause.

Ich fahre das letzte Stück Richtung Küste. „Hey, wach auf!“, sage ich zu ihm, der neben mir pennt, „guck’ mal in den Camping-Führer, wir sind gleich da!“

Wir finden einen ‘Municipal’. Die sind nicht so teuer und haben dafür keine besonderen Attraktionen. Aber auf ‘nem Zeltplatz steh’ ich sowieso nicht auf Disco.

Wir packen aus, bauen das Zelt auf, danach fahren wir noch zum Meer. Klasse!

Ich liebe die Brandung, könnte stundenlang nur dasitzen und zuhören, aber Laurent will schon bald zurück.

Wir fahren in einen Ort und essen. Er ist schweigsam heute. Als wir wieder am Zelt sind, geht er gleich rein.

„Bin müde, heute nicht, okay?“

Kein Problem, schließlich bin ich auch nicht Supermann.

In der letzten Woche hab’ ich so oft gevögelt wie in den letzten sechs Monaten nicht ...

Eine kleine Pause schadet nicht.

Ich hocke mich mit meinem Krimi nach draußen.

Nebenan haust eine deutsche Familie. Bisher hab’ ich nur den Vater und die drei Kinder zu Gesicht bekommen, vielleicht liegt Mama ja mit Sonnenbrand und Gurkenmaske im Zelt?

Jan

Heute Morgen hab’ ich tatsächlich die Lauf-Klamotten angezogen und bin losgejoggt. Christoph und Katharina wollen Frühstück machen – ich habe ihnen eingeschärft, auf Lily aufzupassen. Geld hab’ ich auch mitgenommen, auf dem Rückweg will ich gleich Baguettes kaufen.

Es tat richtig gut! Verschwitzt komme ich zum Zelt zurück. „Ich geh’ erst mal duschen”, sage ich, „aber ich beeile mich!“

Als ich losziehe, sehe ich einen der beiden Jungs, die gestern Nachmittag ihr Zelt neben uns aufgeschlagen haben, ebenfalls losgehen.

„Na, schon sportlich gewesen?“, fragt er mich grinsend und geht neben mir her. Ein Deutscher. Stimmt ja, die hatten ja  Hamburger Kennzeichen.

„Ja”, sage ich, „aber ich bin ganz schön aus der Übung!“

„Kann man hier gut laufen?“, fragt er danach.

„Ja ... es gibt einen netten kleinen geschlängelten Weg zum Strand durch den Pinienwald – ich bin jetzt nur hin und zurück gelaufen, aber der geht da noch weiter!“

„Aha ... na ja, dann lauf ich vielleicht auch mal”, sagt er freundlich, „morgens ist es von der Temperatur wahrscheinlich noch am günstigsten, was?“

Wir sind gleichzeitig fertig und treffen uns auf dem Rückweg wieder.

„Ihre Frau ist wohl Langschläferin, wie?“, fragt er mich, als er die Kinder am Tisch sitzen sieht.

„Nein ... ich bin mit den Kindern allein hier”, sage ich.

Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Respekt”, sagt er, „geschieden?“

Ich hole Luft.

„Sorry”, grinst er, „das geht mich nichts an.“

„Nein”, antworte ich dennoch, „wir brauchen ‘ne Pause.“

Warum erzähl’ ich dem das?

Nick

Der Vater von nebenan sieht aus wie ein ganz schlanker Russell Crowe.

Täte Russell auch mal gut, ein bisschen abzuspecken.

Er ist allein mit drei Kindern da. Alle Achtung.

Ob er sich erholen wird?

Heute morgen ist er gelaufen, wir sind uns auf dem Weg zum Waschhaus begegnet und ich habe ihn angesprochen. Er kommt  aus Stade oder der Gegend, zumindest hat er ein Stader Kennzeichen auf seinem VW-Bus.

Laurent schläft ewig lange. Ich habe Zeit, in Ruhe zum Bäcker zu gehen und Kaffee zu kochen, bis Monsieur geruht, sich endlich zu erheben und zur Morgentoilette das Waschhaus aufzusuchen.

Melone, Äpfel und Kirschen habe ich auch erstanden, ich ess’  total gern Obst.

Ich sitze also an unserem kleinen Tisch, warte auf ihn und esse Kirschen, wobei ich die Kerne ins Gebüsch spucke, da steht auf einmal dieses kleine Mädchen da, guckt mich an und schielt auf meine Kirschen.

„Na? Willste auch welche?“, frage ich sie und sie kommt sofort an.

Ich gebe ihr eine Handvoll. Sie will los. „Warte”, sage ich, „wir machen dich noch fein!“, und hänge ihr jeweils ein Kirschenpärchen über die Ohren.

Sie kichert. „Très chique, Mademoiselle”, sage ich, „pass auf, dass die Ohrringe nicht runterfallen!“ Sie geht hocherhobenen Hauptes zu ihren Leuten zurück.

Der Vater sieht sie erstaunt an. „Lily!“, sagt er, „sag’ mal, woher hast du die denn?“ Sie zeigt auf mich, ich grinse ihn an. Er lacht und schüttelt den Kopf.

‘Himmel, was für ein Lachen’, denke ich.

Bin ich bescheuert? Das ist der totale Hetero!

‘Vergiss’ es, Nick.’

Irgendwas ist mit Laurent. Er sieht ständig auf die Uhr und wirkt nervös.

Er will auch nicht mit zum Strand.

„Geh’ ruhig , kannst auch den Wagen nehmen, wenn du willst. Ich brauch’ mal ein Tag Ruhe.“

Na gut, ich hab schon kapiert, dass er mit der Sprache nicht rausrücken will. Also geh’ ich tatsächlich los. Aber zu Fuß. Rucksack mit Krimi, was zu trinken, ein paar Äpfel, zwei Handtücher, ein T-Shirt und die Sonnenmilch. Die Badeshorts habe ich schon an.

Ich bin vielleicht einen Kilometer gegangen, direkt neben der Straße ist noch ein schmaler Fußweg (der Jogging-Weg durch den Wald erschien mir in seinen Schlangenlinien zu lang), da hält neben mir der rote VW-Bus.

Das große Mädchen kurbelt die Scheibe runter. Der Vater beugt sich vor.

„Willst du mit?“, fragt er mich. Du? Na gut, brauch ich ihn auch nicht mehr siezen.

„Gern!“, sage ich und steige ein. Die Kleine grinst mich an. „Wo sind deine Ohrringe?“, frage ich . „Aufgegessen”, sagt sie.

Jan

Er heißt Nick.

Wir haben ihn auf dem Weg zum Meer getroffen und mitgenommen.

Lily war so dreist gewesen und hatte ihn heute morgen um Kirschen angebettelt.

Er ist mit ‘nem Freund unterwegs, aber der hatte wohl keine Lust, an den Strand zu gehen.

Wir packen unsere Sachen gemeinsam hin.

„Ich heiße Jan”, sage ich und er sagt: „ Ach, ehrlich? Soll ich dir was gestehen? Du könntest echt als Russell-Crowe-Double durchgehen! Äh ... ich heiße übrigens Nick!“

Ich muss lachen und zwinkere Katharina zu, die mich groß ansieht.

‘Halt bloß den Mund!’ bedeutet ihr Blick. Beim Frühstück hatte sie sich zu mir rübergelehnt und gesagt: „Der Typ von nebenan, mit dem du vom Waschhaus gekommen bist ... findste nicht auch, dass der so ’n bisschen wie Timo Hildebrand aussieht?“

Katharina ist Fußball-Fan. Und steht auf den Keeper vom VFB Stuttgart.

Ich hatte sie angegrinst. „Ja, das dachte ich auch sofort ... schade, dass er‘s nicht ist, was?“ Sie gab’ mir einen Klaps auf den Arm. „Wehe, du machst ‘ne Bemerkung”, drohte sie mir noch.

Lily zieht mit Eimerchen und Schaufel los. „Warte, erst die Schwimmflügel!“, rufe ich sie zurück..

Christoph hat seinen Fußball mitgenommen und wirft Nick verstohlene Blicke zu. Der packt seine Sonnenbrille weg und steht auf. „Na? Ein bisschen kicken?“, fragt er ihn und Christoph strahlt.

Katharina sieht uns zu. „Ey, mach’ doch auch mit!“ ruft Nick, „dann sind wir schon vier! Los – komm!“

Ich fass’ es nicht, sie kommt tatsächlich! Hätte ich das gewagt, sie hätte mir‘n Vogel gezeigt ...!

Wir jagen uns gegenseitig den Ball ab, es macht unglaublichen Spaß!

„Du spielst Fußball”, stelle ich ziemlich außer Atem fest, als wir uns auf die Decken fallen lassen und was trinken.

Er lacht. „Ja, jetzt wieder, nach ‘ner längeren Pause ... ich steh’ im Tor!“

Katharina wird rot und sieht weg.

„Nimm’ mir das nicht übel”, sage ich, „aber bist du nicht ein bisschen klein als Torwart?“

Er grinst mich an – verlegen, wie mir scheint.

„Soll ich euch was verraten?“ Er sieht in die Runde. „Ich hasse Kopfbälle.“

Wir lachen, bis uns fast die Tränen kommen.

Nick

Das war ein netter Vormittag!

Die Große heißt Katharina, sie wird sechzehn, Christoph ist vierzehn und Lily  vier.

Und Jan?

Ist verdammt nett. Und sieht echt aus wie Russell Crowe.

Vielleicht sogar noch ein bisschen besser …                                              

Wir haben Fußball gespielt und anschließend waren wir schwimmen.

Also Jan und ich. Die Großen waren vorn am Strand, wo sich die Wellen brechen. Ich wollte schwimmen. Jan kam mit.

„Ich liebe das Meer”, rief ich begeistert, als wir rausgeschwommen waren, „total!“

„Ich auch”, sagte Jan und dann drehte er sich plötzlich um zu mir und tauchte mich. Ich ging verblüfft unter, kam prustend wieder hoch und stieß hervor: „Na warte!“ Aber er war schon lachend davongekrault.

Schnell schwimmen ist nicht so mein Ding, aber laufen!

Ich sitze danach auf meinem Handtuch und lasse mich von der Sonne trocknen, da sehe ich Laurent. Er ist nicht allein.

‘Moment’, denke ich, ‘das ist doch der Typ aus der Disco von neulich in Paris?’ „Ein alter Bekannter”, hatte mir Laurent danach gesagt.

Aha. So‘n Zufall aber auch. Jetzt kann ich mir auch denken, wo er den letzten Abend in Paris gesteckt hat ... wie doppeldeutig übrigens.

Ein echtes Strohfeuer also.

Ich meine, irgendwo war‘s ja schon klar, dass das mit Laurent und mir nicht für die Ewigkeit geplant war ... aber ich hatte angenommen, wir hätten wenigstens einen netten Urlaub zusammen. Zwei oder drei Wochen ... nur wir zwei. Irrtum meinerseits. Anscheinend hab’ ich ihm nicht gereicht.

Ich hab’ keinen Bock auf den Typ an seiner Seite. Der war mir schon in der Disco unsympathisch. Geleckter Affe.

Sie bleiben da stehen und sehen sich um. Laurent entdeckt mich. Ich stehe auf und gehe ihm entgegen. Er sieht mich verlegen an.

„Hi, Cherie”, sagt er scheißfreundlich und ich denke ‘du verlogenes Stück’.

„Das ist Armand”, sagt er, „stell’ dir vor ...“ Ich habe keine Ahnung, was ich mir vorstellen soll, ich unterbreche ihn sofort.



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