Inhaltsverzeichnis
Impressum 2
I. Die Welt der Clio und das Perseus-Projekt 3
1 49
2 109
3 163
4 201
5 229
6 260
7 304
8 332
9 366
10 396
11 431
12 463
II. Die Geburt und das Vergehen der Zwischenwelten 504
1 538
2 564
3 596
4 644
5 674
6 705
7 738
III. Epilog 771
Impressum
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© 2020 novum Verlag
ISBN Printausgabe: 978-3-948379-07-0
ISBN e-book: 978-3-948379-08-7
Lektorat: Mag. Eva Reisinger
Umschlagfoto: Tose,
Alteraposto | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum Verlag
www.novumverlag.com
I.Die Welt der Clio und das Perseus-Projekt
Die Nacht zündete am wolkenlosen Himmel über dem Planeten Clio nach und nach die Wunderwelt der Sterne an. Dabei wurden auch die Konturen der galaktischen Ebene, der die Menschen den Namen Milchstraße gegeben hatten, mit ihrer beeindruckenden Lichterpracht und den darin eingebetteten dunklen Wolken-Arealen mehr und mehr sichtbar.
Der Schamane Ao-aun-Sun schenkte dem beeindruckenden himmlischen Schauspiel an diesem Abend jedoch keine Aufmerksamkeit. Er kletterte den Berg zu einem Plateau hinauf, wo sich der Eingang zur Höhle der magischen Künste seiner Ahnen befand. Dort wanderteer mit einer hell lodernden Fackel durch die Halle der Stiere und betrachtete ehrfurchtsvoll all die Malereien und Zeichnungen, die sich ringsum an den Felswänden befanden. Sie stellten mächtige Tiere, Furcht einflößende Geschöpfe und tapfere Jäger in vielfältigen und tollkühnen Jagdszenen dar. Die Bilder zeigten, wie Angehörige der Horde Riesenhirsche, Rentiere, Büffel, Pferde, zottelige Nashörner und dicht behaarte Elefanten mit kühn gebogenen großen Stoßzähnen zu erlegen versuchten. Seine Vorfahren hatten die Kunstwerke vor hunderten Jahren mit farbigem Ocker, Rötel und Manganoxid in einer Zeichen-, Wisch- und Sprühtechnik auf die Wände der Höhle gemalt. Dabei nutzten die Schöpfer der Abbildungen zur plastischen Verdeutlichung ihrer Vorstellungen auch Reliefs, Buckel und Spalten im Gestein. Die Felsbilder faszinierten Ao-aun-Sun und inspirierten ihn, sich Gedanken über den göttlichen Schöpfer der eiszeitlichen Welt zu machen, in der er mit seinem Stamm lebte. Er bewunderte im flackernden Schein der Fackel die geheimnisvoll und magisch anmutenden Panoramen der animalischen Geschöpfe und die dramatischen Jagdszenen.
Allerdings war den Mitgliedern der Horde die Kunstfertigkeit der Höhlenmalerei, die seine Ahnen so meisterlich und beeindruckend beherrscht hatten, im Laufe der Zeit abhanden gekommen. Der Schamane betastete hier und da mit ehrfürchtiger Bewunderung die mit Holzkohle und Ockerfarben auf den Felsen aufgebrachten Zeichnungen und farbigen Darstellungen. Er strich vorsichtig über eine Linie oder Fläche, die der unbekannte Künstler seiner Ansicht nach in der schöpferischen und lebendigen Gestaltung meisterlich ausgeführt hatte. Ao-aun-Sun schwenkte dabei die rußende Fackel hin und her, wodurch die Tiere und die Phantasiegestalten an den Wänden um ihn herum lebendig zu werden schienen. Von der Halle der Stiere begab sich der Schamane in die Arena der Büffel und Nashörner und danach in den Palast der Elefanten. Hier schauten ihn von den Felswänden die dicht behaarten Giganten des pleistozänen Zeitalters an. Ao-aun-Sun empfand die Darstellungen der mächtigen eiszeitlichen Elefanten als so lebensecht, dass er bei der Betrachtung der Bilder sogar ein wenig zurückschreckte, weil er meinte, ein trompetendes Mammut mit seinen gewaltigen Stoßzähnen auf sich zukommen zu sehen. Die Abbildungen im Palast der Wollhaarelefanten schienen die ältesten künstlerischen Ausdrucksformen in dem Höhlenkomplex zu sein. Die Schöpfer der Kunstwerke mochten die Malereien und Zeichnungen vielleicht schon vor über 1 000 Jahren auf die Felswände gebannt haben. Ao-aun-Sun war das aber nicht bewusst. Die Zeitspanne eines Lebensalters, die zur Geschichte gewordene Zeit, die Dauer der Vergangenheit, das Empfinden von Gegenwart und das Hoffen auf eine sorgenfreie Zukunft stellten in seinem Bewusstsein nämlich keine klar umrissenen zeitlichen Kategorien dar.
In der Höhle gab es noch einen Hohlraum, den der Schamane jedoch nur selten und stets mit etwas gemischten Gefühlen aufsuchte. Die Leute des Stammes nannten das Areal den Tempel der Zauberer. An dessen Wänden hatten die Vorfahren rituelle Zeremonien und den nächtlichen Sternenhimmel, der sich über dem Planeten wölbte, abgebildet. Dieser Höhlenbezirk galt den Geschöpfen der Gattung „Homo“ als heilig. Der Schamane suchte die mystische Stätte auf, um dort mit seinem Herrn und Gott Schao-tun-San Zwiesprache zu halten. Der Gebieter über den borealen Nadelwald und die pleistozäne Eissteppe bestimmte das Denken und Handeln des Stammes der vernunftbegabten Hominiden. Seiner Gunst und Fürsprache war es zu verdanken, wenn die Jäger der kleinen Gemeinschaft Erfolg hatten und die Mitglieder der Horde ausreichend mit fleischlicher Nahrung versorgt werden konnten. Doch der Schamane haderte mit dem Schicksal und seinem Gott, denn das Jagdglück schien die Männer verlassen zu haben. Die Mitglieder des Stammes konnten sich daher nicht satt essen und mussten immer öfter hungern. Ao-aun-Sun wollte seinem Gott in einem mentalen Kontakt die missliche Situation vortragen und den Gebieter über den Wald und die Steppe um seine Gunst und Unterstützung bitten.
Als der Schamane den Tempelbezirk betrat, steckte er die Fackel in eine Vertiefung im Stein und betrachtete im Halbdunkel ehrfürchtig die rituellen Szenen und Bilder an den Wänden in der Höhle der Zauberer. Dann zog er sich auf eine steinerne, mit mystischen Zeichen bedeckte Plattform zurück, von der aus er in Andacht und Verbindung zu seinem Herrn zu treten pflegte. Ao-aun-Sun schloss die Augen und versuchte, sich seinem Gott in einer gedanklichen Zwiesprache zu nähern. Der Tempel der Zauberer war durch den flackernden Schein der Fackel und die an den Felswänden hin und her huschenden Schatten der Bilder in ein mystisches Licht getaucht. Das magische Spiel zwischen Licht und Schatten schien den phantastischen Szenen an den Wänden Leben einzuhauchen. Der Schamane bemühte sich, seine Furcht zu bezwingen und die ihn beängstigenden Eindrücke als bloße Einbildung zu verdrängen.
Als er mit geschlossenen Augen versuchte, einen mentalen Zugang zu Shao-tun-Sans Geist zu finden, spürte er plötzlich, dass ihm eine Person die Hände auf die Schultern legte. Als er die Augen aufschlug, vermeinte er seine Großmutter neben sich zu erkennen. Ao-aun-Sun vermochte sich der magischen Wirkung der Situation nicht zu entziehen und glaubte, sich mit seinen Gedanken und Empfindungen in einer anderen Wirklichkeit zu befinden.
„Junge, sei zuversichtlich, bleibe unverzagt, habe Geduld und zeige keine Furcht vor dem, was kommen wird“, sagte die Großmutter zu ihm. „Ich habe das Gefühl, dass in eurer Welt schon bald unerwartete Dinge geschehen werden. Aber auch das Jagdglück des Stammes in Wald und Steppe wird sich wieder zum Besseren wenden. Davon bin ich fest überzeugt, mein lieber Enkelsohn!“
Als der Schamane wieder zu sich kam, war der Geist seiner Großmutter verschwunden. Er hockte allein auf der mit rätselhaften Bildsymbolen bedeckten Steinplatte in der Halle der Zauberer, die der flackernde Schein der Fackel in ein geheimnisvolles Spiel von Licht und Schatten eintauchte. Ao-aun-Sun wirkte enttäuscht, da der Gott Shao-tun-San an diesem Abend offenbar nicht mit ihm zu sprechen gedachte. Er bedauerte das, erlaubte sich aber nicht, an dem unerforschlichen Ratschluss seines Gebieters Kritik zu üben.
Der Schamane stand auf, ergriff die Fackel und begab sich zu der Nische, an deren Wänden die Vorfahren den Sternenhimmel, der den Planeten in der Nacht umgab, aus ihrer Perspektive abgebildet hatten. Das nächtliche Firmament war in dieser Darstellung in den 4 Himmelsrichtungen dunkel gehalten. Kleine und größere Farbtupfer aus gelbem Ocker sollten gewiss bestimmte Sterne darstellen und Bilder bezeichnen, die sie am nächtlichen Himmel über seiner planetaren Welt formten. 2 unterschiedlich große gelbe Sicheln symbolisierten offenbar die beiden Monde, die den Planeten umkreisten. Dazwischen gab es andere helle Symbole, die durchbrochenen Linien glichen, weiße spiralige Flächen und Sterne, die Schwänze zu haben schienen. Dabei handelte es sich vermutlich um die Darstellung verglühender Meteore, ferner Nebel und Galaxien und um Kometen, denen bei der Annäherung an die beiden Sonnen Schweife aus den Köpfen wuchsen. Der Schamane versuchte in der Darstellung des Himmels über dem Planeten, so wie er seinen Vorfahren erschienen sein mochte, eine Orientierung zu finden. Dabei war er bemüht, sich ein paar markante Sternenkonstellationen einzuprägen. Schließlich ergriff er mit einer leisen Hoffnung im Herzen die Fackel und verließ den Höhlenkomplex, in dem sich die Malereien und Zeichnungen seiner Ahnen befanden.
Draußen hatte die Nacht über dem Kratergebirge längst einen wundervollen Sternenhimmel erschaffen, dessen Pracht Ao-aun-Sun in ehrfürchtiges Staunen versetzte. „Vielleicht gibt es einen noch mächtigeren Gott als Shao-tun-San“, dachte er. „Ein Gebieter, der all diese Herrlichkeit am nächtlichen Himmel unserer Welt gestalten kann, muss doch über unendlich viel Macht und Zauberkraft verfügen!“
Es war ziemlich kalt. Doch die Kälte in der Atmosphäre über dem Land sorgte am Firmament des Planeten Clio für eine ungewöhnliche Klarheit. Der Schamane kletterte noch ein Stück weiter den Berg hinauf, um einen besseren Blick auf die ihn umgebende nächtliche Sternenpracht werfen zu können. Am Kamm des Kratergebirges angelangt, ließ er seine Blicke über den großen Wagen, die Kassiopeia, den Pegasus und die Zwillinge bis hin zum Orion schweifen. In seiner Vorstellung und Sprache hießen diese Sternenbilder allerdings großer Höhlenbär, starker Auerochse, langer Mammut-Stoßzahn, mächtiger Büffelkopf oder gewaltiges Hirschgeweih. Aufgrund der mitternächtlichen Klarheit der Atmosphäre ließen sich am Himmel sogar die Andromeda-Galaxie, der Triangulum-Nebel und die Magellan’schen Wolken mit bloßem Auge erkennen. Wer weiß, welche Namen die Hominiden diesen Sternen-Archipelen in Raum und Zeit verliehen hatten?
In der Landschaft im Inneren des Kratergebirges herrschte in der Tierwelt weitgehend Ruhe und Eintracht. Die Individuen in den Herden der großen Pflanzenfresser standen eng aneinander gedrängt, um die Jungtiere in ihrer Mitte zu beschützen. Doch Wölfe und andere Raubtiere schienen in dieser Nacht nicht auf der Jagd zu sein. Die Tiergesellschaften grasten daher friedlich vor sich hin und vermittelten ein Bild von Ruhe, Harmonie und Eintracht. Ob sich allerdings auch das Raubtier aus der Gattung „Homo“ an diese friedvolle Dramaturgie der Natur halten würde, mochte dahinstehen.
Als die Monde Hymenaios und Hyazinth nach und nach mit ihren hellen Sicheln über den Kamm des Gebirges emporstiegen, tauchten sie die pleistozäne Landschaft mit den Tierherden im Inneren des gewaltigen Vulkankraters in ein fahles Licht. Der Aufgang der Trabanten zeigte dem Schamanen an, dass es schon weit nach Mitternacht sein musste. Ao-aun-Sun verließ daher die bizarre Welt des Kratergebirges und stieg eilig zum Rastplatz seiner Horde hinab. Dabei machte er sich Sorgen, denn dort drohte das lebensspendende Feuer offenbar zu verlöschen. Vielleicht war der Wächter der Flammen des großen Feuers eingeschlafen und hatte daher seine Aufgaben nicht erfüllen können.
Die Sternenwelt des Algieba-Systems bestand aus 4 Sonnen, 9 Planeten und 17 größeren Monden. Sie leuchtete 126 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Löwe am irdischen Nordhimmel der Milchstraßen-Galaxie. Das Wort Algieba stammte aus dem Arabischen und bedeutete so viel wie Mähne des Löwen. Die Himmelsstruktur im Sternbild Löwe setzte sich aus den engen Doppelsternsystemen Gamma A und B Leonis zusammen. Die Sonnenpaare, die eine Entfernung von ungefähr 20 Lichtstunden trennte, umrundeten sich in etwa 2 000 Jahren. Beide Doppelsternsysteme wurden von Planeten begleitet, doch nur die Trabanten der A-Komponente des Vierfach-Systems konnten dem Leben eine Heimstatt geben. Gamma A Leonis bestand aus einem großen orangefarbenen Hauptreihenstern der Spektralklasse K0 IIIb und einer gelben Sonne vom Spektraltyp G7 III. Die beiden Zentralgestirne bewegten sich auf engen, jedoch stabilen Bahnen um ein gemeinsames Gravitationszentrum.
Die planetare Welt von Gamma A Leonis umfasste 4 Gesteinsplaneten. Hinsichtlich der auf ihnen herrschenden physikalischen Bedingungen unterschieden sie sich jedoch beträchtlich voneinander. Bei der Migration der menschlichen Zivilisation in den Orion-Arm der Galaxie schien nur der dritte Trabant der beiden Sonnen das Interesse der Menschen geweckt zu haben. Sie gaben dieser planetaren Welt den Namen der Muse der Geschichtsschreibung, Clio. Der Planet umkreiste die beiden Sonnen am äußeren Rand der habitablen Zone und hatte ungefähr die Abmessungen und die Dichte der Erde. Die klimatischen Bedingungen auf seiner Oberfläche ähnelten den irdischen Verhältnissen in einer Warmzeit des Pleistozäns.
Euterpe, der den Sonnen nächste Planet, hatte nichts von lyrischer Poesie an sich. Er schien eine Höllenschwester der Venus zu sein, auf dessen Oberfläche kein Leben existieren konnte. Thalia, die innere Nachbarwelt der Clio, umrundete auf einer 100 Millionen engeren Bahn inmitten der habitablen Zone das Doppelsternsystem. Bei diesem Trabanten handelte es sich, nach allem was die Menschen wussten, um einen Wasserplaneten mit der 3-fachen Masse der Erde. Ob in dem globalen Ozean Leben existierte, war nicht bekannt. Der äußere Planet, Melpomene, stellte dagegen eine sauerstoffarme marsähnliche Welt dar, die vermutlich niederen Lebensformen eine Heimstatt bieten konnte.
Die Lebensbedingungen auf der Clio ähnelten den Verhältnissen auf der Heimatwelt der Menschen. Auf dem Planeten existierten 3 große Kontinente, im Westen zwischen den Polen Proto-Pangaea, im Norden und Osten Laurasia sowie im Süden und Osten Gondwana. Die geotektonische Situation auf der Clio entsprach den irdischen Verhältnissen am Ausgang des Oberkarbons im Übergang zum Perm-Zeitalter. Die 3 Kontinente rückten um ein System von Meeresarmen zusammen, das die Menschen wie das oberkarbonische Meer Thetys getauft hatten. Dort schickten sie sich an, in Millionen Jahren eine einzige große Landmasse zu formen, die dann nur noch von dem globalen Ozean Panthalassa umspült werden würde.
Das Klima auf dem Planeten erinnerte an die Bedingungen in der Eem-Warmzeit, einer irdischen Zwischeneiszeit vor 115 000 Jahren. Damals war auf der Erde ungefähr die Hälfte der grönländischen Gletscher abgeschmolzen und die globalen Durchschnittstemperaturen lagen etwa 5 bis 7 Grad über dem rezenten Niveau. Aus menschlicher Sicht herrschten daher zwischen den Wendekreisen und den 50. Breitengraden annehmliche Lebensbedingungen.
Für die Leute, die von der Erde in die interstellaren Weiten der Galaxie aufbrachen, schien der Planet niemals für ein Siedlungsprojekt interessant gewesen zu sein. Dazu lagen die Gamma A Leonis-Sterne zu weit abseits von den irdischen Migrationsrouten, obwohl die Entfernung zur Raumbasis Orion 3 in der Regulus-Region nur etwa 50 Lichtjahre betrug. Die Clio gelangte erst in den Fokus menschlicher Betrachtung, als die Föderation beschloss, auf dem Planeten ein Resort für pensionierte Astronauten einzurichten. Die von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragene Entscheidung stellte eine Verbeugung vor dem Berufsstand der Astronauten dar, dem beim Exodus der Menschen in die Weiten des Orion-Armes eine besondere Rolle zukam.
Die Seniorenresidenz für die pensionierten Astronauten wurde im Süden des Kontinentes Laurasia errichtet. Dort stießen die 3 Landmassen, nur von den schmalen Meeresarmen der Thetys getrennt, direkt aufeinander. Dieser Standort befand sich ein paar hundert Kilometer nördlich des Wendekreises auf der Nordhalbkugel des Planeten. Er schien aus geographischer und klimatischer Sicht für das ehrgeizige Vorhaben hervorragend geeignet zu sein. In dieser Region gab es nämlich ausgedehnte fruchtbare Böden, die eine Landwirtschaft und Viehzucht ermöglichten. Dieser Aspekt stellte für die Versorgung der Menschen auf der Clio mit Nahrungsmitteln ein unverzichtbares Erfordernis dar.
Die Planungen für das Resort, das man nach dem Schutzpatron der Sternenfahrer „Astroseidons Ruh“ benannte, hatten Jahrzehnte in Anspruch genommen. Die föderalen Institutionen scheuten bei der Errichtung der Seniorenresidenz weder Anstrengungen noch Mittel. Daher war an der Südspitze Laurasias schließlich eine großzügig geplante, moderne Ferienstadt mit vielen Freizeitangeboten entstanden. Dort konnten 10 000 bis 12 000 Ruheständler je nach Pensionseinkommen gut bis komfortabel leben.
Bei den Pensionären handelte es sich in der Regel zwar um trainierte, aber dennoch ältere Leute, die in der Kleinstadt versorgt, betreut und verwaltet werden mussten. Abschätzungen der Planer zufolge brauchte man dazu einen Personalkörper von etwa 1 500 bis 2 000 Personen mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen. Träger des Objektes war der Ältestenrat der Astronautenvereinigung „Kommandobrücke“. Als die Errichtungsarbeiten im Resort in das finale Stadium eintraten, stand dieses Gremium vor der Herausforderung, einen Personalkörper in dieser Stärke an den irdischen Siedlungsbörsen zu rekrutieren. Die Planer und Macher von Astroseidons Ruh hatten dabei nicht bedacht, dass die Gewinnung von qualifiziertem Personal einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen würde. Auf dem Projekt lastete jedoch nach den jahrzehntelangen Planungen und den immensen Kosten eine große politische Erwartungshaltung und ein enormer Zeitdruck. Daher war im Föderationsrat niemand bereit, einen Terminverzug zu verantworten.
Da traf es sich gut, dass etwa zum gleichen Zeitpunkt im Gliese581-System eine 2 000 Jahre alte irdische Kolonie wegen ihrer Unrentabilität aufgelöst wurde. Damit stand plötzlich ein insgesamt qualifizierter Personalkörper in dem erforderlichen Umfang für die Rekrutierung zur Verfügung. Dieser Umstand stellte sowohl für die Siedler auf Gliese581d als auch den Ältestenrat der Astronautenvereinigung als Projektbetreiber eine glückliche Fügung dar. So kam es, dass viele Menschen aus der aufgelösten Kolonie im arbeitsfähigen Alter auf der Clio eine neue Heimat fanden.
Als die Siedler von Gliese581d auf dem Planeten eintrafen, entfaltete sich in Astroseidons Ruh eine hektische Betriebsamkeit, denn die Terminplanung des Ältestenrates für die Inbetriebnahme des Resorts sollte unbedingt eingehalten werden. Doch dann ereigneten sich während der letzten Tests und Funktionsprüfungen der Systeme sowie baulichen und technischen Anlagen in Astroseidons Ruh und den peripheren Freizeitkomplexen auf einmal rätselhafte Dinge. Die unerwarteten Ereignisse stellten sich ein, als eine Gruppe überwiegend junger Menschen zu einer Testsafari in das Innere des Kontinentes Gondwana aufbrach. Sie sollten dort die touristische Konzeption für die Nutzung des Südkontinentes als Areal für Safari-Unternehmungen einer Prüfung unterziehen. Die Safari endete aufgrund der Unberechenbarkeit der pleistozänen Tierwelt in einem Fiasko und forderte Menschenleben. Darüber hinaus erwachte auf dem Planeten plötzlich eine fremde geheimnisvolle Macht, die fortan die Gestaltung der Geschicke auf der Clio übernahm.
Das SYSTEM, wie das mysteriöse Phänomen später genannt werden sollte, bestimmte plötzlich die Entwicklungen, Abläufe und Schicksale in der Welt der Clio nach seinem Programm oder Willen. Die rätselhafte Intelligenz legte eine Akkretionsscheibe aus kalter dunkler Materie um den Planeten, die ihn nach außen verbarg und mit ihrer Signatur einen Ereignishorizont simulierte. Dadurch wurde der Planet mit einer raumzeitlichen Maskierung versehen und war für die Schiffe der Föderationsflotte nicht mehr auffindbar. Auf dem Planeten im Inneren der Akkretionsscheibe herrschte eine schwerkraftbedingte Dilatation der Zeit. Sie verlangsamte alle physikalischen Prozesse in Astroseidons Ruh und ließ die zeitlichen Abläufe wie eingefroren aussehen. Die Dilatation der Zeit betraf jedoch nicht den Kontinent Gondwana. Dort schuf das SYSTEM nach einem unbekannten Muster eigene Welten mit mehreren logischen Ebenen. Die 4D-tauglichen raumzeitlichen Installationen, die eine Eigenzeit besaßen, wurden in den zeitlichen Abläufen vermutlich von einem Zufallsgenerator generiert. Die Teilnehmer der missglückten Safari-Tour mussten sich mit spukhaften Inszenierungen auseinandersetzen und dabei auch um ihr Leben kämpfen. Niemand, so schien es, würde diesem unheimlichen Szenario Einhalt gebieten und die fremde Macht in die Schranken weisen können.
Doch dann beauftragte das Flottenkommando den einst legendären Astronauten Pierre Trudeau, das Rätsel der Clio zu lösen. Trudeau war mit seiner Crew 42 Jahre lang am Südhimmel der Galaxie im Weltraum verschollen gewesen. Wohin Astroseidon, der Gott und Schutzpatron der Sternenfahrer, sein Schiff verbannt haben mochte, blieb zunächst ungeklärt, weil die Astronauten an einer hochgradigen Amnesie litten und dazu keine Auskunft geben konnten. Admiral Trudeau, seinem 1. Offizier Cochran und dem exzellenten Wissenschaftsoffizier Hübner gelang es schließlich, Licht in die unerklärlichen Ereignisse auf der Clio zu bringen. Sie konnten die Zufuhr der Energie, die dem SYSTEM von irgendwoher aus einer anderen Welt und wahrscheinlich auch einer anderen Zeit zugeführt wurde, unterbrechen und beendeten damit die raumzeitlichen Aktivitäten der unbekannten geheimnisvollen Macht auf dem Planeten.
Das rätselhafte SYSTEM selbst konnten sie jedoch nicht unschädlich machen denn es gelang der mysteriösen künstlichen Intelligenz, sich zu maskieren und in den Weiten auf den Kontinenten Gondwana, Laurasia oder Proto-Pangaea unterzutauchen. Obwohl die exzellente Crew um Admiral Trudeau das Rätsel der Clio letztendlich nicht hatte lösen können, führte ihr Einsatz doch zu einem Erfolg. Sie wurde dafür von der Admiralität mit einem Kommando im Rahmen des geheimen Perseus-Programmes ausgezeichnet, das die Migration menschlicher Siedler in den Perseus-Spiralarm unterstützen und absichern sollte.
Nach der Unterbindung der „systemischen“ Aktivitäten kam es in Astroseidons Ruh und auf Gondwana rasch zu einer Normalisierung des öffentlichen Lebens.
Dadurch wurde den Verantwortlichen des Projektes schließlich auch die lang herbeigesehnte Eröffnung der Seniorenresidenz für pensionierte Astronauten ermöglicht. Danach gewannen für die Menschen auf der Clio rasch wieder der Alltag mit seinen Problemen und Herausforderungen sowie die persönlichen Konflikte und Beziehungen untereinander die Oberhand. Inzwischen war nach den unerklärlichen Ereignissen ein reichliches Jahr vergangen. In Astroseidons Ruh dachte daher kaum noch jemand an den Stillstand des gesellschaftlichen Lebens und die raumzeitlichen Wirren in der von dem mysteriösen SYSTEM beherrschten Ägide auf dem dritten Planeten von Gamma A Leonis.
Ernest Whitman, der General-Manager des Resorts für pensionierte Astronauten in Astroseidons Ruh, hatte für sein Management-Team eine Konferenz zu aktuellen Fragen der Organisation, Funktion und Ausgestaltung des öffentlichen Lebens in der Pensionärsresidenz einberufen. Er lud dazu William Floyd, den Kommandanten des Stützpunktes der Föderationsflotte auf der Clio, ein. Die Anwesenheit des Kapitänleutnants schien dem Chef des Managements wichtig zu sein, weil viele Fragen der weiteren Entwicklung des Resorts nur in enger Zusammenarbeit mit Floyd und seinem Astronauten-Team gelöst werden konnten.
Die Tagung fand in dem mit viel Stahl und Glas elegant ausgestalteten und in der Nachahmung forcierter Bewegungsabläufe etwas futuristisch anmutenden Zentralgebäude der Verwaltung im Zentrum von Astroseidons Ruh statt. Der Sitzungssaal des Managements war großzügig mit feinster Computer-, Präsentations- und Kommunikationstechnik ausgestattet, die von einem Technik-Team des Hauses betreut wurde. Whitman und seine verantwortlichen Mitstreiter mussten sich daher bei ihren Vorträgen und Präsentationen um technische Dinge nicht kümmern. Außerdem verfügte der Versammlungsraum, der auch für die Treffen mit den Repräsentanten des Ältestenrates genutzt wurde, über eine Catering-Suite, in der man kalte Getränke und Nahrungsmittel lagern und heiße Getränke wie Kaffee und Tee sowie kleine Menüs und Büffets zubereiten konnte.
Laut Protokoll war das Führungsteam der Seniorenresidenz vollständig anwesend. Dabei handelte es sich um folgende Personen:
Ernest Whitman, General-Manager und Verantwortlicher für die allgemeine Verwaltung, innere Sicherheit sowie die Ver- und Entsorgung
Erik Moeller, Manager für Schul-, Aus- und Fortbildung und Stellvertreter des General-Managers
Isabella Albanese, Managerin für Finanzwirtschaft, Personalwesen und Immobilienverwaltung
Dr. Cornelius Bergson, Manager für das Gesundheitswesen und Ärztlicher Direktor des Staatlichen Klinikums
Garry Butler, Manager für Telekommunikation und elektronische Mediengestaltung
Evita McGrady, Managerin für Kultur und verantwortliche Redakteurin für Printmedien
Nele van Boyten, Managerin für Wellness und Sportangelegenheiten
Sebastian Orlen, Submanager für die touristische Nutzung des Südkontinentes Gondwana
Die Frauen in der Management-Runde kochten Kaffee und Tee, deckten den Konferenztisch mit Geschirr ein und stellten Teller mit Kuchen und Gebäck bereit. Die Herren kümmerten sich unterdessen um das Herbeischaffen von Mineralwasser, Obstsäften und anderen alkoholfreien Getränken.
Nachdem alle Platz genommen hatten, wurde Kaffee oder Tee eingeschenkt. Dann machten sich die Anwesenden erst einmal über die Kuchenteller her und schwatzten miteinander über Neuigkeiten und persönliche Dinge. Das Team kannte sich – außer Orlen – nämlich schon seit vielen Jahren von der Tätigkeit im Hohen Rat auf Gliese581d. Der General-Manager beendete schließlich den Small-Talk seiner Mitstreiter, indem er sich räusperte und offiziell das Wort ergriff. Er begrüßte noch einmal für das Protokoll offiziell alle Personen am Tisch namentlich unter Nennung ihrer Management-Verantwortungsbereiche und dankte dem Stützpunktkommandanten für sein Kommen.
„Ja, nun, Leute, machen wir es nicht zu förmlich“, fuhr er fort. „Ich möchte mit euch heute den erreichten Stand unserer Arbeit im Resort nach dessen Eröffnung vor etwa einem Jahr reflektieren, Schwachstellen ansprechen und neue anstehende Projekte diskutieren. Dafür habe ich es für zweckdienlich erachtet, unseren verehrten Stützpunktkommandanten zu einer Teilnahme an diesen Tisch zu bitten.“ Whitman lächelte seinem Freund Floyd zu und die Managerkolleginnen und -kollegen bedeuteten durch ein Nicken ihr Verständnis und ihre Zustimmung zu dieser Entscheidung.
„Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter“, sagte der Chef des Managements und blickte aufmunternd in die Runde. „Wir haben in unserer kleinen Ferienstadt aktuell 9 997 Pensionäre registriert. Da der Zuzug ungehindert anhält, schätzen Isabella und ich, dass wir in ein bis zwei Jahren die konzipierte Höchstgrenze von
12 000 Personen erreicht haben könnten. Einerseits ist es ja schön, wenn unsere Seniorenresidenz so lebhaft angenommen wird, denn das spricht für die Akzeptanz und den Erfolg der Projektidee. Andererseits bereitet uns der Zustrom der Ruheständler aber auch Sorgen und Probleme, denn bei einer ungebrochenen Nachfrage werden wir ernsthaft über städtebauliche Erweiterungsmöglichkeiten nachdenken müssen. Im Norden setzen uns die hohen laurasischen Gebirge eine Grenze für Erweiterungsvorhaben und im Westen und Süden begrenzen die Meeresarme der Thetys unsere Ausdehnungsbemühungen. Daher wird eine Vergrößerung des Resorts nur in Richtung Ost-Laurasia möglich sein. Aber dabei müssen wir aufpassen, dass wir die dortigen fruchtbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht einengen. Freilich könnten wir darüber nachdenken, uns an der Nordküste des Südkontinentes Gondwana mit den urbanen Vorstellungen weiter auszubreiten. Aber das würde eine Reihe infrastruktureller Probleme – man denke nur an den Fährbetrieb über die Thetys – aufwerfen. Außerdem sollte der südliche Kontinent, von den touristischen Angeboten mal abgesehen, eigentlich naturbelassen bleiben.“
„Chef, ich rate, daran weiterhin festzuhalten. Das sind wir schon der einzigartigen Tierwelt auf Gondwana schuldig“, meldete sich Sebastian Orlen, der für die spezielle touristische Nutzung des Südkontinentes verantwortliche Submanager, zu Wort.
„Ja. Sebastian, dafür gibt es gute Argumente“, erwiderte Whitman und nickte Orlen zu. „Ich wollte heute das künftige Problem nur mal ansprechen, die konkreten Entscheidungen müssen ohnehin mit dem Ältestenrat abgestimmt werden. Doch zurück zu näherliegenden Dingen.“ Whitman nahm einen Schluck Kaffee und kostete den selbstgebackenen Kuchen seiner Lebenspartnerin Isabella Albanese und meinte dabei kauend:
„Wir haben eine Umfrage zur Akzeptanz und zur Zufriedenheit der Pensionäre in Auftrag gegeben. Deren Ergebnisse liegen seit kurzem vor. Erik, stell doch bitte zusammengefasst die wichtigsten Erkenntnisse dieser Befragung vor“, wandte er sich an seinen Stellvertreter.
Erik Moeller hatte schon auf Gliese dem damaligen Gouverneur Whitman als Vize kompetent zur Seite gestanden. Er stellte daher mit seinem Chef ein gut eingespieltes Team dar. Moeller griff seinen Part auf und informierte die Runde:
„Die Aktion sollte ein Jahr nach der Eröffnung des Resorts Aufschlüsse über die Stimmungslage der Ruheständler und deren Ansichten zu unserer Verwaltungsarbeit bringen. Außerdem wollten wir Anregungen für das weitere Vorgehen erhalten. Ernest und ich haben in Abstimmung mit den Resorts einen Fragebogen ausgearbeitet. Garry hat ihn ins Intranet gestellt und eine elektronische Information dazu an alle registrierten Pensionäre verschickt.“ Moeller betätigte daraufhin ein paar Tasten und klickte einige Schaltflächen an seinem Tischcomputer an, worauf der besagte Fragebogen über einen Präsentationsadapter auf einen großen Monitor projiziert wurde.
„So, hier ist das gute Stück noch einmal für euch zum Überfliegen“, sagte der Schul-und Ausbildungs-Manager und räumte den Anwesenden für die Lektüre der zwei Blätter etwas Zeit ein. Dann fuhr er fort: „Die Rücklaufrate zu der Aktion erwies sich als erstaunlich hoch. Hm, Leute, das zeigt doch auch, dass wir in Astroseidons Ruh von den Pensionären als Verwalter und Gestalter des Lebens im Resort durchaus wahr und ernst genommen werden. Ich möchte mich kurz fassen und auf Einzelheiten und exotische Anmerkungen verzichten. Die wichtigsten Erkenntnisse sind die folgenden 5 Punkte:
Nach Ansicht der pensionierten Bewohner erfolgt die Vermittlung von Wohnraum, seien es nun Häuser, Appartements, Wohnungen oder auch nur Hotelzimmer und Unterkünfte in Pensionen, zu schleppend und zu unflexibel. Es wird bemängelt, dass den speziellen Wünschen und privaten Vorstellungen der Ruheständler nicht ausreichend entgegengekommen wird und eine Vermittlung offenbar nach einem Zufallsprinzip erfolgt. Dazu muss sich Isabella äußern“, sagte Moeller und blickte die Finanz-Managerin an, in deren Resort die Wohnaumvermittlung bearbeitet und der Verkauf von Immobilien gesteuert wurde. Dann fuhr er fort:„Die Vielfalt der touristischen Angebote wird allgemein gelobt und als positiv empfunden. Die Pensionäre erwarten aber, dass das Safari-Konzept weiter ausgebaut wird und der pleistozäne zoologische Garten schneller an Realität gewinnt. Dazu kann uns Herr Orlen bestimmt ein paar Detailinformationen zum Stand der Dinge zukommen lassen.Die Pensionäre haben anerkennend registriert, dass im Resort ein Intranet betrieben wird und der Zugang zum interstellaren Netz problemlos funktioniert. Sie hätten in Astroseidons Ruh aber gern so etwas wie eine lokale Rundfunk- und Fernsehanstalt, die sie mit internen Nachrichten und eigenen Sendungen sowie speziellen Informationen versorgen könnte. Das dürfte dein Part sein, Garry.Die höheren Offiziere vermissen offenbar ein qualifiziertes Konzertleben. Sie beklagen, dass sie sich in die Kirche zu Pater Josephus begeben müssen, wenn sie mal ein ordentlichen Orgelspiel oder ein schönes Stück auf der Violine hören wollen. Andere wiederum würden das Entstehen einer hiesigen Theater- oder gar Opernlandschaft begrüßen. Ob das realistisch und machbar ist, kann ich nicht beurteilen. Das muss Evita ausloten.Die medizinische Versorgung im Resort empfinden die Ruheständler offenbar als äußerst modern und kompetent. Ärzte, Schwestern und das Pflegepersonal seien höflich und zuvorkommend. Allerdings, Cornelius, wird die ausschließlich geriatrische Ausrichtung der chirurgischen Abteilung kritisiert.Eine Initiativgruppe von Astronautinnen verlangt in diesem Zusammenhang – man höre und staune – die Ermöglichung von kosmetischen Operationen und Eingriffen der plastischen Chirurgie. In diesem Kontext wurde auch die Vielfalt von Fitness- und Yoga-Kursen sowie das ausgezeichnete Angebot von hochwertigen Kosmetika und Wellness-Produkten gelobt.“
Bei diesen Worten des Vize-General-Managers glänzten die Augen Nele van Boytens, wobei sie hochmütig auf ihre Konkurrentin Evita McGrady herabblickte, die ihren Kulturladen offenbar nicht im Griff hatte. Frau McGrady schien ihrerseits dagegen bemüht zu sein, das Lob der Ruheständler für die angebotenen Wellness-Produkte und die Fitness-Aktivitäten ihrer Rivalin spöttisch wegzulächeln. Diesen kleinen Schlagabtausch der Blicke zwischen den beiden reifen, doch immer noch schönen, Damen nahm am Tisch aber keiner wahr. Erik Moeller, der sich inzwischen einen Schluck Kaffee gegönnt und ein kleines Stück Kuchen auf seinen Teller bugsiert hatte, kam dann zu einer Schlussbemerkung:
„Ja, nun soweit zusammengefasst, die Einlassungen, die Kritik und das Lob sowie die weiterführenden Vorstellungen unserer Ruheständler. Wir sollten ihre Anregungen zur Kenntnis nehmen und darüber nachdenken. Andererseits müssen wir die Dinge auf Sinnhaftigkeit, Machbarkeit und Finanzierbarkeit überprüfen und dürfen den Wunschträumen unserer Schutzbefohlenen nicht kritik- und grenzenlos folgen“, schloss Moeller seinen Vortrag ab.
„Danke, Erik. Ich bitte jetzt die Resort-Chefs um ihre Stellungnahmen zu den angesprochenen Punkten“, sagte Whitman und blickte seine Partnerin an „So, Isa, du bist die Erste.“ Die studierte Betriebswirtin Isabella Albanese nickte ihrem Ernest zu und wandte sich an die Runde:
„Also, liebe Verantwortungsträger, in Sachen Verwaltung und Gestaltung der Pensionärsbetreuung, ist, was die Mittelbereitstellung für das Projekt anbelangt, nach wie vor eine gewisse Großzügigkeit des Ältestenrates festzustellen. Wir sollten dieses Entgegenkommen aber nicht überstrapazieren, sondern mit den uns zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln sparsam und verantwortungsbewusst umgehen.“ Frau Albanese hielt einen Moment inne, und blickte wie ein Finanzaufseher ernst und mahnend in die Runde. Ihre Kolleginnen und Kollegen zeigten sich jedoch von Isabellas Appell weitgehend unbeeindruckt, weil die Finanz-Managerin zu Beginn ihrer Ausführungen wohl stets so ein derartiges Statement abgab.
„Was die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt und die angesprochenen Defizite bei der Vermittlung von Wohnraum anbelangt, komme ich nicht umhin, die Kritik zu bestätigen. Wir haben für diese Aufgabe viel zu wenig Personal. Zwei Mitarbeiter reichen dafür einfach nicht aus. Die permanente Überlastung macht die Leute nervös und gereizt. Daher bleibt manchmal vielleicht auch die Höflichkeit ein bisschen auf der Strecke. Wenn man sich zig Mal am Tag anhören muss, dass Pensionär A eine Wohnung aber nur nimmt, wenn Pensionär B im gleichen Stockwerk untergebracht wird, muss man schon Ruhe bewahren. Bei aller Flexibilität, aber solchen Wünschen sind auch materielle und organisatorische Grenzen gesetzt. Aber selbstverständlich werde ich die Kritik mit meinen Mitarbeitern auswerten.
Was die personellen Perspektiven betrifft, habe ich die Stelle einer Abteilungsleiterin Wohnungswirtschaft beantragt, um mich in dieser Angelegenheit zu entlasten. Darüber hinaus möchte ich nächstes Jahr meine Auszubildende, Olivia Bergson, einstellen. Der Ältestenrat hat bereits Zustimmung signalisiert.“ Frau Albanese wandte sich dann kurz an den Ärztlichen Direktor
und sagte:
„Cornelius, deine jüngere Tochter entwickelt sich entgegen meiner anfänglichen Bedenken gut. Sie verfügt über Sachkompetenz, ist kommunikativ, denkt mit und kann auch mit den Leuten gut umgehen. Sie wird daher für den Bereich Wohnungswirtschaft eine Bereicherung und Unterstützung sein.“
Dann kehrte die Finanz-Managerin gedanklich wieder zu den personellen Problemen in ihrem Resort zurück.
„Mimi McAllister, die an der Fernakademie Betriebswirtschaft studiert, hat neulich bei mir ein längeres Praktikum absolviert. Dabei konnte sie mich mit ihren Ideen und ihrer Auffassungsgabe richtig begeistern. Ich möchte daher die intelligente und zielstrebige junge Frau nach ihrem Studium in meinem Resort als leitende Mitarbeiterin einstellen. Aber das wird noch ein paar Jahre dauern, doch vielleicht kann ich schon nach dem 6. Semester mit ihr einen Probearbeitsvertrag abschließen.“ Frau Albanese nahm einen Schluck Kaffee und schien sich dabei innerlich Hoffnung zuzusprechen. Dann sagte sie:
„Na ja, Ernest, ich möchte die Situation nicht schön reden. Die personellen Engpässe auf dem Wohnungssektor werden wohl die nächsten 2 Jahre noch andauern. An die eingangs von dir erwähnte Erweiterung unserer kleinen Ferienstadt für Senioren mag ich dabei aber noch gar nicht denken.“
„Hm, Isa, wir nehmen deinen Problembericht erst einmal zur Kenntnis. Ich kann nur hoffen, dass sich mit dem vorhandenen Personal die Situation einigermaßen bewältigen lässt, unabhängig davon möchte ich etwas mehr Höflichkeit und Einfühlungsvermögen gegenüber unseren Kunden anmahnen. Was die Beantragung von Stellen beim Ältestenrat anbelangt, liegt dieser Part ja generell in deiner Hand. Was du konkret benötigst, wirst du selbst wissen! Das, meine Liebe, muss ich so einer gestandenen Finanzfrau wie dir nicht sagen.“ Frau Albanese nickte ihrem Partner etwas resigniert zu und der General-Manager wandte sich daraufhin an den Ärztlichen Direktor des Klinikums und bat um einen Status-Bericht zur medizinischen Versorgung in Astroseidons Ruh.
„Gouverneur“, setzte Dr. Bergson an, „Verzeihung, natürlich General-Manager“, korrigierte sich der leitende Arzt für den Management-Bereich Klinik/Krankenhaus/Pflege, der immer etwas zerstreut wirkte. „Unsere Einrichtungen sind passabel aufgestellt. Gegenwärtig können wir mit dem vorhandenen Personal und dem hochmodernen Equipment die medizinischen Probleme im Resort gut bewältigen. Diese komfortable Versorgungssituation wird sich auch nicht ändern, wenn wir noch 2 000 Ruheständler mehr betreuen müssen. Ob das auch dann noch zutrifft, wenn wir unsere Stadt erweitern, muss abgewartet werden. Aktuell gibt es noch ein paar Defizite in der Abteilung ‚Hausärztliche Versorgung‘ und im Pflegesektor, an deren Abstellung der Chefarzt Dr. Falk und ich arbeiten. Was die Kritik der Initiativgruppe der Astronautinnen an der Ausrichtung der chirurgischen Abteilung anbelangt, bin ich offen und bereit zuzuhören, was wirklich gewünscht wird. Zurzeit haben wir zwar keinen plastischen Chirurgen im Team, doch wenn die Nachfrage nach solchen Eingriffen wirklich so groß sein sollte, wie man uns glauben machen will, dann, Isabella, müssten wir noch einen solchen Facharzt rekrutieren. Ich möchte aber zunächst abwarten und mich erst einmal mit den Aktivistinnen der Initiative unterhalten. Einen bereits vorhandenen Chirurgen für das Fachgebiet Plastische Chirurgie zu qualifizieren, wäre aus meiner Sicht auch eine Option und bestimmt kostengünstiger.“ Dr. Bergson richtete seine Blicke auf die Finanz-Managerin, die mit einem Nicken die diesbezüglichen Vorstellungen des Ärztlichen Direktors zu befürworten schien.
„Ja, da wäre noch über den Fall Kitty Brown, der in dieser Runde allen bekannt sein dürfte, zu berichten. Die junge Frau wurde ja wegen ihrer Eitelkeit von einer Figur des SYSTEMS mit einer schnellen vorzeitigen Alterung bestraft. Nun, Frau Brown befindet sich nachhaltig auf dem Weg der Besserung. Es ist dem behandelnden Oberarzt Dr. Stenmark gelungen, mit speziellen Medikamenten, die die Hypothalamus-Region stimulieren, den Alterungsprozess weitgehend rückgängig zu machen. Na ja, Frau Brown sieht noch etwas faltig aus, aber da könnten die ausgezeichneten Kosmetika der Firma van Boyten bestimmt eine Verbesserung bewirken. Notfalls müsste sich halt ein plastischer Chirurg dieses Problems annehmen. Die junge Frau hat bei der Therapie übrigens 20 kg abgenommen. Sie dürfte sich daher auch figürlich jünger fühlen. Na ja, ich bin jedenfalls froh, dass ich sie bald wieder in meinem Team haben werde“, freute sich Dr. Bergson.
„Ja, ich sollte in diesem Kreis vielleicht noch über eine andere Personalie informieren“, überlegte der Ärztliche Direktor laut. „Also, Cynthia Falk, die ältere Tochter des Chefarztes, wird nach einem einjährigen Praktikum in unserer Klinik in Bälde zu einem Medizinstudium auf der Erde aufbrechen. Ich habe der jungen Frau in Abstimmung mit Isabella vertraglich zugesichert, dass sie nach dem Abschluss des Studiums in vielleicht 6 Jahren als Assistenzärztin in unserem medizinischen Imperium in Astroseidons Ruh angestellt wird. Wir werden die Studentin in ihrem Studium auch mit einem Stipendium unterstützen. Leute, das ist keine Vetternwirtschaft, sondern eine Facette des beruflichen Förderungsprogramms für unsere jungen Akademiker.“
„Cornelius, du musst dich, was Cynthia Falk betrifft, für dein Engagement nicht rechtfertigen“, meldete sich Schuldirektor Moeller zu Wort. „Die Gewinnung von Nachwuchsakademikern aus den eigenen Reihen ist eine Teilstrategie meiner Ausbildungskonzeption. Außerdem bin ich überzeugt, dass uns die außerordentlich intelligente und dazu noch bildhübsche Tochter unseres Chefarztes in ihrem Studium nicht enttäuschen wird.“
„Na gut, wenn ihr beide und auch Isa hinter der Entscheidung steht, ist das schon in Ordnung“, brummte Whitman. „Doch 6 Jahre sind natürlich eine lange Zeit, da kann viel passieren. Zu den Ausbildungsfragen, Erik, kommen wir aber später noch. Jetzt ist erst einmal Garry Butler zu den Fragen Telekommunikation und elektronische Medien dran.“ „Also, Leute, was die Telekommunikation anbetrifft, ist zunächst festzustellen, dass es mir in den vergangenen 2 Jahren mit meiner Firma gelungen ist, jede Immobilie auf diesem Planeten mit leistungsfähigen Intranet- und stabilen interstellaren Netzanschlüssen zu versehen“, sagte Butler mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Die Ausgestaltung und Pflege des Intranet-Blocks nehme ich mir persönlich vor. Das kostet mich jeden Tag viel Zeit.“ Doch dann blickte Butler den General-Manager schuldbewusst an und gab zu:
„Na ja, Ernest, im Bereich Medien läuft es allerdings nicht so gut. Was die Zeitung anbelangt, habe ich mich mit Frau McGrady abgestimmt, dass sie die Redaktion des Blattes übernimmt und der Clio-Anzeiger vom Kultur-Resort herausgegeben wird. Evita hat dafür als studierte Journalistin einfach mehr Kompetenzen als ich.“ Garry Butler rutschte ein bisschen nervös auf seinem Stuhl hin und her und gestand weiter:
„Hm, einen sogenannten Medienrat habe ich bisher nicht installiert, es sei denn, dass man mich und Evita dafür hält, denn wir haben als Medien ja sowieso nur das Intranet und die Zeitung. Ich wüsste gar nicht, was dieses Gremium regeln sollte! Na, und warum die Pensionäre den Aufbau einer lokalen Rundfunk- und Fernsehanstalt wünschen, ist mir, ehrlich gesagt, ein bisschen unverständlich. Die Leute können sich doch die Programme und Sendungen, die im Intranet hinterlegt sind, ansehen und auch jeder Zeit Filme und Beiträge gegen eine Gebühr aus dem interstellaren Netz auf ihren Computer herunterladen. Ich verstehe daher gar nicht, dass man noch eine lokale Rundfunk- und Fernsehlandschaft benötigt. Dazu müssten versierte Teams von Rundfunk- und Fernsehleuten auf die Clio geholt werden, die hier Beiträge aus dem gesellschaftlichen Leben produzieren. Wer weiß, ob die kleine Gesellschaft in Astroseidons Ruh so eine Medienorganisation beanspruchen kann, denn das dürfte für den Ältestenrat eine teure Angelegenheit werden.“
„Ja, nun, Garry, das weiß ich auch nicht“, kommentierte Whitman das Statement Butlers. „Doch diese Frage hättest du nicht vor dir herschieben sollen, sondern längst klären können. Mein Lieber, wenn ich das so höre, möchte ich den Bereich Medien – die Redaktion der Zeitung hast du ja schon abgegeben – am liebsten dem Kultur-Resort übertragen. Hättest du etwas dagegen?“
„Nein, Ernest, für mich wäre das eher befreiend“, erwiderte Butler betroffen und erleichtert zugleich.“
„Garry, dazu müssen wir aber unsere Kultur-Managerin hören, die nach meinem Ablaufplan ohnehin jetzt an der Reihe ist.“
„Also, ihr beiden, wenn man euch so reden hört, könnte man meinen, das ich hoffnungslos unterfordert bin“, begann Frau McGrady die Erläuterung ihres Standpunktes mit einer gehörigen Portion Empörung in der Stimme. „Ihr wisst doch ganz genau, dass ich mit den vielfältigen Aufgaben im Kultur-Resort schon jetzt überlastet bin, zumal mein studierender Sohn Jan, der mir die Zeitungsredaktion bereits weitgehend abgenommen hat, immer noch seinen Vater im Fährbetrieb unterstützen muss. Nein, Leute, und das sage ich klipp und klar, eine Übernahme der Verantwortung für die lokalen elektronischen Medien durch das Kultur-Resort ist mit mir nicht zu machen.“
„Na ja, Evita, ich wollte das halt mal ansprechen“, sagte Whitman mit säuerlicher Miene. „Dann muss Garry das eben weiter machen und vor allem baldigst die offenen Fragen klären.“
„Ernest, ich erkläre mich natürlich bereit, das Thema Rundfunk- und Fernsehanstalt gemeinsam mit ihm bei der nächsten Sitzung mit dem Ältestenrat anzusprechen. Dafür, Garry, müssen wir uns nicht schämen, denn hier handelt es sich um einen Wunsch der Ruheständler. Aber wie Erik schon richtig gesagt hat, sollten wir diese Vorstellungen auf Plausibilität und Machbarkeit überprüfen. Wenn ihr mich fragt, sehe ich hier ein gewaltiges Finanzierungsproblem. Außerdem vermag ich mir nicht vorzustellen, dass man für 12 000 oder von mir aus auch 15 000 Menschen eine solche Medienstruktur benötigt. Falls der Ältestenrat diese Vorstellung wider Erwarten für gut befinden sollte, dann, Garry, brauchen wir einen Medienrat. Dort müssen neben uns beiden auch 2 Vertreter der Rundfunk- und Fernsehleute vertreten sein. Aber so weit ist es eben noch lange nicht.“ Evita McGrady warf Garry Butler, der etwas zusammengesunken auf dem Stuhl hockte, einen aufmunternden Blick zu und konzentrierte sich auf ihren Bericht zur Situation im Kultur-Resort.
„Was unser Kulturangebot betrifft, möchte ich grundsätzlich eine positive Bilanz ziehen, wenn auch die Akzeptanz unterschiedlich ausfällt. Beispielsweise bin ich mit der Belegung der Tanzkurse nicht zufrieden. Vielleicht könnte man hier die Beteiligung mit der Ausrichtung von Astronauten-Bällen ankurbeln. In der Residenz sind die Seniorinnen zwar in der Minderzahl, doch bei den pensionierten Damen, mit denen ich gesprochen habe, handelte es sich allesamt um sehr selbstbewusste und ansehnliche Frauen.“ Frau McGrady blickte zu Dr. Bergson und meinte:
„Cornelius, daher hat mich der Wunsch nach Schönheitsoperationen gar nicht so überrascht.“ Sie blickte schelmisch in die Runde und fügte hinzu: „Vielleicht sollte man bei diesen Astroseidon-Tanzveranstaltungen sogar generell eine ‚Damenwahl‘ vorsehen, um dem meistens etwas tanzmüden männlichen Geschlecht auf die Sprünge zu helfen.“ Bei diesen Anregungen der Kultur-Managerin konnten sich die Anwesenden eines Lächelns nicht erwehren, doch Frau McGrady fuhr zügig fort:
„Zu dem angesprochen Kritikpunkt ‚Konzertleben‘ möchte ich anmerken, dass ich mich mit dem Ältestenrat über dieses Thema seit Wochen streite. Der Chef des Rates, Großadmiral
a. D. Dr. Floyd, hat mir neulich aber mitgeteilt, dass das Gremium geneigt ist, für Astroseidons Ruh ein kleines Kammerorchester mit bis zu 15 Musikern zu bewilligen. Das wäre immerhin ein verheißungsvoller Anfang, zumal wir hier so begabte Solisten wie Maria und Julia Olsen haben. Außerdem hätten wir sogar einen ausgezeichneten Dirigenten anzubieten. Pater Josephus, der Seelsorger der hiesigen christlichen Gemeinde, der ein begnadeter Musiker ist, hat sich bereit erklärt, das Dirigat des Orchesters für ein Jahr lang kostenlos zu übernehmen. Dass der Geistliche damit um Spenden für seine Kirche und Gemeinde werben möchte, ist wohl verständlich.“ Frau McGrady blickte am Tisch in überraschte Gesichter, denn diese Neuigkeit hatte sich offenbar noch nicht herumgesprochen. Die Kultur-Managerin war mit ihrem Vortrag aber noch nicht am Ende angelangt und fuhr fort:
„Was die Wünsche zur Schaffung einer Theater- und Opernlandschaft betrifft, möchte ich mich differenziert äußern. Der Aufbau eines professionellen Opernensembles auf der Clio ist meiner Meinung nach eine Art Wunschtraum. Wir haben hier viel zu wenig Publikum für ein qualifiziertes Musiktheater. Darüber hinaus würde die Finanzierung eines solchen Projektes Unsummen kosten. Der Ältestenrat ist daher gut beraten, wenn er diesen Gedanken schnell ad acta legt. Aber man könnte vielleicht Gastspiele organisieren. Ich habe herausgefunden, dass auf Regulus 3 ein Opernhaus existiert und Kontakt mit den Verantwortlichen aufgenommen. Es wäre vorstellbar, in Astroseidons Ruh einmal im Jahr so etwas wie eine Opernsaison zu veranstalten. Die Leute dort wollen das prüfen, doch die Künstler schrecken die mehrwöchigen Flüge hierher ab.“ Die umtriebige Kultur-Managerin stärkte sich mit einem Schluck Tee und setzte ihre Überlegungen fort:
„Prinzipiell gilt das auch für Theatergastspiele. Aber da kann ich eine andere Idee anbieten. Wir haben hier so viele talentierte junge und auch ältere interessierte Leute. Mir ist dabei der Gedanke an ein Laienspieltheater gekommen, das allerdings von einem professionellen Theatermann geleitet werden müsste. Doch ehe wir mit einer solchen Vorstellung in den Rat gehen, Isabella, möchte ich zunächst eine Interessentenumfrage durchführen. Wenn sich genügend talentierte Leute zusammenfinden, die sich eine ‚Karriere‘ als Laiendarsteller vorstellen können, sollte wir darüber noch einmal reden.“
„Danke, Evita, du glühst und sprühst ja regelrecht vor Innovation und Inspiration“, lobte Whitman Frau McGrady und wandte sich an seinen Vize und bat den Manager für Schule und Aus- und Fortbildung um den Situationsbericht in seinem Resort.
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verhältnisse in einer Schule, in die ihr ja alle einmal gegangen seid, müsstet ihr eigentlich kennen, auch wenn das freilich schon etwas länger her sein mag“, begann Erik Moeller seinen Bericht etwas flapsig. „Aber Spaß beiseite, unsere Schule ist in der Grundstufe als auch im gymnasialen Teil gut aufgestellt. Bei den gegenwärtig über 300 registrierten Schülern, denen wir Bildung für den Start ins Erwachsenendasein vermitteln wollen, handelt es sich überwiegend um Sprösslinge unserer Landsleute von Devon Eiland auf Gliese581d. Das führt zwischen den Kindern und Jugendlichen in den unteren Klassen zu einem gewissen Zusammengehörigkeitsgefühl. Aber wir achten im Lehrerkollegium natürlich darauf, dass auch Neuankömmlinge integriert und nicht ausgegrenzt werden. Bisher haben wir lediglich 4 neue Lehrer rekrutiert. Na ja, in den naturwissenschaftlichen Fächern klemmt es ein bisschen. Frau Linkstone, die als einzige das Fach Chemie unterrichtet, ist schon ein bisschen überlastet. Doch meine Frau Elisa bleibt an dem Problem dran und recherchiert an den Jobbörsen intensiv nach einem entsprechend ausgebildeten Pädagogen. Wir müssen jedoch auch strategisch denken und sollten unserem eigenen pädagogischen Nachwuchs nicht die berufliche Zukunft in Astroseidons Ruh verbauen. Schließlich gibt es ja schon einige Interessenten für eine pädagogische Laufbahn am hiesigen Schulkomplex. Soweit zur Schule in der Grund- und Gymnasialstufe!
Was die berufliche Ausbildung in einem dualen System anbelangt, kann ich in der Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen in der Verwaltung und in Absprache mit einer Reihe von Gewerbetreibenden Erfolge vorweisen. Die meisten jungen Leute werden daher einen Ausbildungsplatz erhalten. Der Aufbau der beruflichen Schule bereitet mir allerdings Kopfzerbrechen, denn der steckt noch in den Kinderschuhen. Wir wissen zudem nicht genau, welche beruflichen Ausbildungszweige wir dort etablieren sollten. Isabella, ich gehe davon aus, dass wir für den Lehrkörper der Berufsschule vielleicht 5 bis 6 geeignete Pädagogen rekrutieren müssen. Auf diesem Gebiet engagieren sich unsere Physik- und Mathematik-Lehrer und die Chemie-Lehrerin, aber nur so weit, wie sie es halt können. Daher kommt mir unser Berufsschulkonzept gegenwärtig etwas wie ein Nachhilfeunterricht vor. Das meiste theoretische Fachwissen bekommen die Auszubildenden zurzeit von den Ausbildungsverantwortlichen in der Praxis übermittelt. Diesen Part muss aber eine berufliche Schule übernehmen. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, das Problem in den nächsten 2 Jahren zu lösen und in Astroseidons Ruh einen qualifizierten Berufsschulkomplex zu strukturieren und zu installieren. Das hat für mich oberste Priorität!“
An dieser Stelle wurde Schuldirektor Moeller für seinen engagiert vorgetragenen Bericht von der Runde der Verantwortlichen im Resort mit Beifall bedacht. Er genoss das einen Moment, bedankte sich bei den Anwesenden mit einem Nicken und einem Lächeln und fuhr fort.
„Der dritte Punkt meines Schul- und Ausbildungsberichtes betrifft unsere angehenden Akademiker. Wir haben, um unserem intelligenten Nachwuchs das Studieren zu erleichtern, mit der Fernakademie in Montreal und Ottawa einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. Das Dokument enthält gegenwärtig 10 verschiedene Studiengänge, für die sich unsere studienwilligen jungen Leute einschreiben können, wobei eine Ausnahmeklausel im Einzelfall Abweichungen zulässt. Das Kooperationspapier regelt auch die Unterbringungsmodalitäten und die Zahlung eines Stipendiums während der 3-monatigen Hospitationen auf der Erde.“ Moeller atmete tief durch, sah seine Manager-Kollegen am Tisch erleichtert an und sagte gelöst:
„Leute, ihr wisst ja gar nicht, wie glücklich ich bin, dass es uns endlich gelungen ist, für unsere akademisch ausgerichteten Kinder einen Fernstudienkomplex zu organisieren. Dass das Konzept Grenzen und Einschränkungen hat, zeigt der Fall Cynthia Falk, die sich für das Studium der Medizin tatsächlich auf die Erde begeben muss. Fernstudiengänge sind übrigens auch für die Fachrichtungen Physik, Mathematik und Chemie ausgeschlossen. Der Gedanke mit dem Fernstudium, das uns der Transponder-Komplex auf dem Mond Hyazinth ermöglicht, geht auf Jan McGrady zurück, der seit fast 2 Jahren an der Fernakademie in Montreal Journalistik studiert und bereits eine Hospitation dort absolviert hat. Der junge Mann ist für mich so etwas wie ein persönliches Pilotprojekt. Nach allem, was ich weiß, läuft es bei ihm mit dem Studium außerordentlich gut. Das stimmt doch, Evita?“, erkundigte sich Moeller bei Frau McGrady.
„Ach, ja doch, Erik, der Junge schlägt sich wacker. Es ist schön, dass du so anerkennend über ihn sprichst“, freute sich die Kultur-Managerin und lächelte wie eine stolze Mutter in die Runde.
„Sei nicht so bescheiden, Evita“, rief ihr der Schuldirektor zu und gestand freimütig: „Das kann man hier ja durchaus mal sagen, der jüngere Sohn unserer Kultur-Managerin ist einer der intelligentesten Schüler, die mir in meiner gesamten Lehrerlaufbahn untergekommen sind.“ Danach konzentrierte sich Erik Moeller wieder auf seinen Bericht zur Situation der Studierenden.
„Gegenwärtig haben wir 3 junge Leute, die eine pädagogische Laufbahn einschlagen wollen. Dabei handelt es sich um Julia Olsen für die Fächer Musikpädagogik und Ethik, meinen Sohn Pieter für die Lehramtsdisziplinen Mathematik und Physik und Betty Linkstone, die sich für die Fächer Chemie und Biologie eingeschrieben hat. Darüber hinaus ist es Annalena Butler gelungen, über die Ausnahmeklausel für das Hauptfach Kunstgeschichte immatrikuliert zu werden. Ja, und Mimi McAllister, die unsere gestrenge Finanz-Managerin schon bei einem Praktikum beeindrucken konnte, studiert erfolgreich Betriebswirtschaft an der Fernakademie.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch unbedingt unsere beiden Fernstudentinnen für Veterinärmedizin, Emilia McGrady und Maxi Stansfield, erwähnen. Ich wundere mich zwar, dass man ein Studium der Tiermedizin in einem Fernstudiengang absolvieren kann. Doch die beiden Damen haben mir erklärt, dass es aufgrund des hohen Bedarfs an Veterinärmedizinern in den Kolonien für diese Fachrichtung schon immer eine starke Nachfrage gegeben habe. Daher hat der Hochschulrat der Akademie beschlossen, das Fach für einen Fernstudiengang zu öffnen.
Die Regelstudienzeit beträgt 6 Jahre und schließt 4 mehrmonatige Hospitationen in Kanada ein. Unsere angehenden Tiermediziner müssen allerdings ein halbes Jahr länger als die anderen studieren und sich auch 5 Mal auf die Erde begeben. Das ist freilich nicht einfach, zumal wenn man wie die junge Frau McGrady eine Familie mit Kind hat. Doch als Lehrer kenne ich Emilia als ein fleißiges, zielstrebiges und willensstarkes Mädchen. Sie dürfte daher ihr ehrgeiziges Vorhaben mit Unterstützung ihres Mannes und der Familien Olsen und McGrady bestimmt verwirklichen.“ Der Manager für Schule und Ausbildung „ölte“ seine Stimme mit einem Schluck Mineralwasser, ließ sich von Frau van Boyten noch eine Tasse Kaffee einschenken und kam zum Ende seines Vortrages.
„Ich habe mit allen Studierenden monatliche Konsultationen vereinbart. Dort können sich unsere Studentinnen und Studenten untereinander austauschen und ihre Probleme, Befürchtungen und Sorgen vortragen. Wenn es um die Klärung von Grundsatzfragen mit dem Prorektorat geht oder sich um Dinge handelt, die den Studienablauf und die Organisation der Hospitationen betreffen, biete ich ihnen meine Unterstützung an und setze mich erforderlichenfalls mit den Verantwortlichen in Montreal und Ottawa auf der Erde in Verbindung. Ich denke, dass wir unserem intelligenten Nachwuchs, der sich für so ein anspruchsvolles Vorhaben wie ein Studium entschieden hat, eine so fürsorgliche Begleitung schuldig sind.“
Für diese engagierten Worte erntete Erik Moeller erneut den Beifall seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Er bedankte sich dafür, blickte etwas amüsiert in die Runde und meinte: „So, ihr lieben Leute, da habt ihr nun gehört, dass in dem ach so kleinen Resort Schule und Ausbildung auch allerhand Bewegung und Aufregung los ist.“
„Danke, Erik, dieser Bericht war für mich wirklich aufschlussreich“, sagte Whitman anerkennend. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in deinem Schulladen so spannend zugeht. Richte doch deinen Schülern, Auszubildenden und den Studenten von der gesamten Resort-Leitung herzliche Grüße und die besten Wünsche für ein gutes Gelingen ihrer persönlichen Pläne aus.“ Der General-Manager räusperte sich, blickte zur Managerin für Wellness und Sport und meinte: „Na los, Nele, was gibt es in deinem Bereich für Fortschritte oder Probleme?“
„Zunächst, Ernest, möchte ich feststellen, dass die kritisch angemerkten Dinge aus der Umfrage meinen Verantwortungsbereich nicht betreffen“, merkte Frau van Boyten mit einer gewissen Genugtuung an. „Das größte Projekt der letzten Zeit betraf die Umgestaltung der Schwimmhalle und den Ausbau der zentralen Sauna im Wellness-Komplex südlich der großen Seen. Die im dortigen Landschaftspark befindlichen Sport- und Erholungsstätten erfreuen sich großer Beliebtheit. Es bleibt zu hoffen, dass sich durch die Erweiterungsmaßnahmen der Andrang entspannt. Zuletzt hatten sich vor der Schwimmhalle und Sauna nämlich schon Schlangen gebildet, die für Unmut gesorgt haben.
Eine ähnliche Situation haben wir bei den Golf- und Tennisplätzen, die allesamt ausgelastet sind, sodass es hier zu Reservierungen und Wartezeiten kommt. Isabella, es kann also durchaus sein, dass wir bei den Sportarten Golf und Tennis erweitern und nachbessern müssen. Ich möchte das Auslastungsgeschehen aber noch eine Weile beobachten.
Was das Schachzentrum anbelangt, könnte die Sportstätte etwas lebhafter besucht sein. Aber das liegt dort vielleicht an den fehlenden Catering-Angeboten, wie ich mir habe sagen lassen. Doch ob wir das kurzfristig ändern sollten, da bin ich mir nicht sicher“, Frau van Boyten griff zu einem Glas mit Mineralwasser, nippte daran und fuhr fort.
„Zur Frequentierung der Wassersportanlagen kann ich nicht viel sagen, denn die befinden sich größtenteils an der Nordküste Gondwanas. Für deren Auslastung ist meines Erachtens der Submanager für die touristische Nutzung des Südkontinentes verantwortlich.“
„Nein, Nele, der Wassersportkomplex gehört zu deinem Managementbereich“, stellte Whitman klar.
„Aber, Ernest, du hast doch für alles, was touristisch auf Gondwana läuft, Herrn Orlen verantwortlich gemacht“, wandte Frau van Boyten pikiert ein.
„Das musst du missverstanden haben, meine Liebe, die Wassersportanlagen betrifft das jedenfalls nicht“, erläuterte ihr der General-Manager die Sachlage und blickte seine Managerin für Wellness und Sport ein bisschen vorwurfsvoll an. Dann fügte er hinzu:
„Übrigens, Nele, was ist denn mit der Auslastung der Wintersportanlagen im laurasischen Gebirge? Mir ist zu Ohren gekommen, dass dort nur ganz selten Skisportler gesichtet werden. Das kann nicht hingenommen werde, die sündhaft teuren Anlagen in den Bergen müssen besser vermarktet werden, damit deren Auslastung steigt. Lass dir etwas einfallen, denn dafür bist du als Managerin für Sportangelegenheiten verantwortlich. Also, meine Liebe, was die Auslastung der Wasser- und Wintersportanlagen und die Maßnahmen zu deren Akzeptanzerhöhung betrifft, erwarte ich von dir bis nächste Woche einen Ergänzungsbericht.“ Der General-Manager lehnte sich zurück, musterte Frau van Boyten nachdenklich und sagte:
„Nele, dass deine Wellness-Produkte und Fitnessangebote hervorragend sind, ist bekannt und freut mich für dich. Doch das konnte man erwarten, denn dieses Geschäft betreibst du, nachdem du Schönheitskönigin im Gliese-Sektor geworden bist, schon seit mehr als 25 Jahren professionell. Du darfst aber deine Aufgaben und Verantwortungsbereiche in der Verwaltung nicht vernachlässigen und musst dich den diesbezüglichen Herausforderungen stellen.“
Nele van Boyten blickte daraufhin etwas enttäuscht und beleidigt in die Runde, Evita McGrady erfüllte die Kritik Whitmans an der Arbeit ihrer Konkurrentin im Kreis der Verantwortungsträger des Resorts mit Genugtuung. Normalerweise hätte sie das Versagen ihrer Lieblingsfeindin mit einer spöttischen Bemerkung kommentiert. Doch Frau McGrady verkniff sich eine entsprechende Anmerkung. Offenbar gelang es ihr seit einiger Zeit souveräner als früher mit ihrer Antipathie gegenüber der ungeliebten Management-Kollegin umzugehen. Whitman hatte sich indessen Sebastian Orlen zugewandt und um dessen Bericht zur touristischen Lage auf Gondwana gebeten.
Der Submanager, dessen Verantwortungsbereich den Safari-Tourismus und den Aufbau und das Betreiben des zoologischen Gartens betraf, schilderte zunächst die Situation im Safari-Bereich. Er informierte die Managerinnen und Manager darüber, dass neue Ausflugsbusse beschafft worden seien, die in einer kritischen Situation durch ein elektromagnetisches Kraftfeld hoher Feldstärke abgeschirmt werden konnten. Orlen gab damit auch der Hoffnung Ausdruck, dass sich so eine Katastrophe, wie sie von pleistozänen Elefanten auf der Testsafari in den Dschungel von Gondwana ausgelöst worden war, nicht wiederholen könne. Die Jeeps, mit denen die Rangers neuerdings auch in die pleistozänen Savannen hineinfuhren, verfügten über ein ähnlich strukturiertes Equipment. Daher stand auch in diesem sensiblen touristischen Bereich bei Panikattacken aufgeregter Tiere ein verlässlicher Schutzmechanismus zur Verfügung.
„Meine Damen und Herren, das Interesse für und die Nachfrage nach unseren Safari-Touren ist riesengroß. Wir haben, um den Ansprüchen gerecht zu werden, einfach zu wenig Busse, Savannenfahrzeuge und Personal. Dadurch sind Wartezeiten und ein Reservierungsregime entstanden, das die Stimmung unter den unternehmungslustigen Pensionären beeinträchtigt. Frau Albanese, ich würde mindestens noch 5 Busse, 10 Jeeps und 6 bis 8 Rangers brauchen, um den aktuellen Safari-touristischen Bedürfnissen unserer astronautischen Ruheständler gerecht zu werden. Die vor kurzem fertig gestellte Lodge Gondo 6 ist jetzt schon für Monate ausgebucht.“
„Herr Orlen, ich nehme ihren Appell zur Kenntnis und werde die Problematik den Vertretern des Ältestenrates vortragen“, erwiderte die Finanz-Managerin diplomatisch. „Aber diese neuen Busse und Jeeps kosten Unsummen und die von ihnen begehrten 6 bis 8 Stellen für weiteres Personal im Safari-Projekt sind auch kein Pappenstil, mein Lieber.“
Sebastian Orlen zuckte mit den Schultern und informierte die Runde über eine Personalentscheidung. Nach dem Tod von Dick Hunter während der raumzeitlichen Wirren der „systemischen“ Ereignisse auf der Clio war von ihm der Ranger Phil Morton zu seinem Stellvertreter ernannt worden. Morton hatte während der Katastrophe bei der Testsafari und danach in den Inszenierungen des SYSTEMS mit Umsicht und Überblick reagiert und sich dadurch für diesen Posten empfohlen. Danach kam der Submanager für den Gondwana-Bereich auf das Projekt des zoologischen Gartens zu sprechen.
„Meine Damen und Herren, der Tierpark ist zwar noch lange nicht fertiggestellt, aber Teilbereiche kann man schon besichtigen. Den Äußerungen meiner Frau zufolge soll der Andrang der Besucher zu diesen Anlagen sehr groß sein. Das Zoo-Vorhaben verspricht daher insgesamt ein Erfolgsprojekt zu werden. Doch es gibt auch Probleme. Um die Tiere möglichst artgerecht zu halten, sind sehr weitläufige Gehege vorgesehen. Dieses Konzept kann aber den Schauwert beeinträchtigen, wenn man die Tiere nicht oder nur selten zu Gesicht bekommt. Hier gilt es einen Kompromiss zu finden. Meine Frau überlegt in diesem Zusammenhang, ob niedrig schwebende Ballonkonstruktionen oder Gondellösungen geeignete Möglichkeitensein könnten. Doch sie hat die Finanzierung solcher Anlagen noch nicht durchgerechnet. Schließlich müssen die Individuen der Arten, die den Tierpark bevölkern sollen, auch erst einmal eingefangen werden. Das ist eine Aufgabe, die mir und meinen Leuten zugedacht ist. Insofern, Frau Albanese, sollten sie die 6 bis 8 von mir bezifferten Stellen für diese Truppe positiv überdenken.“
„Na, schauen mir mal, junger Mann, was der Projektträger dazu sagen wird“, ließ sich die Finanz-Managerin an dieser Stelle zu einer Einlassung hinreißen.
Orlen lachte und meinte: „Na ja, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, wie es so schön heißt.“ Dann informierte er die Runde über ein weiteres ehrgeiziges Vorhaben.
„Wie Sie wissen, hat der General-Manager meine Frau Kathleen mit der Leitung des Tierparks betraut. In dieser Funktion macht sie sich ständig Gedanken um ihre animalischen Schutzbefohlenen und um die Ausgestaltung der im zoologischen Garten zu präsentierenden Artenvielfalt der pleistozänen Tierwelt. Wir haben uns daher entschlossen, mit ein paar Leuten eine Expedition in den Norden Proto-Pangaeas zu unternehmen. In diese Gefilde hat meines Erachtens bisher noch kein Mensch einen Fuß gesetzt. Dort könnte es durchaus Wollhaarelefanten geben. So ein beeindruckendes Tier wie das Mammut wäre auf jeden Fall eine besondere Zierde unseres Tiergartens, wobei wir uns dann allerdings über den Transport der Giganten den Kopf zerbrechen müssten. Der General-Manager hat das Expeditionsvorhaben gebilligt und ich gehe davon aus, dass er nach wie vor zu seinem Wort steht.“ Dabei blickte Orlen den Chef der Runde an und bedeutete ihm, dass sein Bericht beendet sei.
„Danke, Sebastian“, sagte Whitman, der sich seit kurzem mit Orlen duzte, weil er die Kompetenz und Arbeitserfolge des Safari-Managers und studierten Geophysikers schätzte. „Den Ausflug in den Norden Proto-Pangaeas könnt ihr, wie abgesprochen, in Angriff nehmen. Aber seid bei der Tour nicht zu waghalsig, denn gesunde Rangers sind mir wichtiger als ein fideles Mammut im Zoo. Was deine finanziellen Hilferufe anbelangt, kann ich nur hoffen, dass sie von unserer gestrengen Finanzverwalterin erhört und gegenüber dem Ältestenrat engagiert vertreten werden.“
Frau Albanese schien das aber zu viel der Ehre zu sein, denn sie warf ein: „Komm schon, Ernest, hier wissen doch alle, dass nichts ohne deine Zustimmung entschieden wird.“
„Na ja, Isa“, lachte Whitman. „Aber das musst du doch nicht noch breitragen, meine Liebe.“ Er ließ sich eine Tasse Kaffee einschenken und stopfte sich ein Stückchen Kuchen in den Mund. Dann wandte er sich kauend an den Stützpunktkommandanten der föderalen Flotte auf der Clio: „Entschuldige, William, dass ich dir erst jetzt das Wort erteile. Aber du hast ja gehört, dass es in den Management-Bereichen allerhand Probleme und Entwicklungen gibt, die mal thematisiert werden mussten.“
„Ach, Ernest, das geht schon in Ordnung“, erwiderte Kapitänleutnant Floyd, der nicht zur Runde der Verantwortungsträger im Resort gehörte, und lächelte Whitman an.
„Was hat denn die Flotte für Vorhaben, von denen wir etwas wissen müssten?“, erkundigte sich der General-Manger neugierig.
„Na ja, da sind zunächst ein paar Personalien mitzuteilen“, antwortete Floyd. „Major Duncan, mein bisheriger kommissarischer Stellvertreter, und Hauptmann Jensen werden mein Team demnächst verlassen, was ich aufrichtig bedauere. Für diese Abgänge sollen ein Oberstleutnant Malrony und ein Leutnant Kinnock den Dienst auf dem Stützpunkt antreten. Der Oberstleutnant wird für etwa ein Jahr meine Stellvertretung wahrnehmen und ist dann für andere Aufgaben vorgesehen. Ernest, ich habe vor, euch den Offizier Malrony in einer der nächsten Management-Beratungen vorzustellen. Er soll jedenfalls, anders als Oberst Cunningham, ein ganz umgänglicher Typ sein. Das zu den Personalien!“ Floyd goss sich Mineralwasser in ein Glas ein, angelte sich einen Keks und setzte seinen Bericht zur Lage auf dem Flottenstützpunkt fort.
„Die Arbeiten an der Andockstation für sehr große Hyperraumtransporter auf dem Mond Hyazinth kommen gut voran. Über diese astronautische Schnittstelle sollte im Katastrophen- oder Bedarfsfall mit 4 bis 5 Großtransportern die Evakuierung der gesamten Bevölkerung auf der Clio ermöglicht werden. Ich vermute mal, dass unsere Erfahrungen, die wir mit dem Erwachen des SYSTEMS auf dem Planeten sammeln durften, die Verantwortlichen in der Flotte angespornt haben, das Projekt zügig zu realisieren.“ Floyd grübelte vor sich hin und murmelte: