1506 - Marmorschlangen, Intrigen und andere brisante Verstrickungen - Sibylla Vee - E-Book

1506 - Marmorschlangen, Intrigen und andere brisante Verstrickungen E-Book

Sibylla Vee

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Beschreibung

1506 erlaubt sich Albrecht Dürer einen kleinen Scherz in einem Altargemälde. 1506 wird Leonardo da Vinci wegen provozierender Säumnis angeklagt. 1506 kämpft Michelangelo um seine Leidenschaft und erliegt einem Irrtum. 1506 sind die Genies der Kunst umgeben von Intrigen und Machtkämpfen kleiner und großer Herrscher. Historische Fakten aus Kultur und Kunst, in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig. Was wurde über die Genies der Hochrenaissance im 20. und 21. Jh. Neues herausgefunden? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben.

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1506 erlaubt sich Albrecht Dürer einen kleinen Scherz in einem Altargemälde.

1506 wird Leonardo da Vinci wegen provozierender Säumnis angeklagt.

1506 kämpft Michelangelo um seine Leidenschaft und erliegt einem Irrtum.

1506 sind die Genies der Kunst umgeben von Intrigen und Machtkämpfen kleiner und großer Herrscher.

Historische Fakten aus Kultur und Kunst – in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig.

Was wurde über die Genies der Hochrenaissance im 20. und 21. Jh. Neues herausgefunden? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben.

Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmete.

2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:

KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien, – von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männern wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszutreten.

KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstler*innen und Werken.

Inhaltsverzeichnis

Von nördlich der Alpen

Erwartetes und Unerwartetes

Erkenntnisse

Wieder und wieder

Auf der Suche

Gesetze und Schätze

Lebensgefährliche Verwandtschaft

Meinungsänderung

Uneins und einig

Anerkennung

Durchkreuzte Pläne

Was folgte bis zum 21. Jahrhundert?

Quellen, auch zum Weiterforschen

Personenverzeichnis

Ortsverzeichnis

Von nördlich der Alpen

VENEDIG – Januar 1506

Der Augsburger Kaufmann Hans Buchmeister stand neben der Rialtobrücke und schaute auf die Baustelle am gegenüberliegenden Ufer des Canal Grande. ›Niemals werden die in diesem Jahr fertig‹, dachte er sich. Buchmeister misstraute den Venezianern, auch wenn er mit ihnen Geschäfte machte. Im Sommer 1504 hatte er mit dem Handel begonnen und noch den alten Fondaco dei Tedeschi kennengelernt, Handelskontor, Lagerhaus und Wohnstätte für die deutschen Kaufleute. Vor einem Jahr war das Gebäude abgebrannt. Buchmeister vermutete einen Brandanschlag der venezianischen Kaufleute gegen die fremden von nördlich der Alpen. War es nicht seltsam, dass die hölzerne Rialtobrücke völlig unbeschädigt geblieben war? Der Doge hatte sofort den Wiederaufbau veranlasst, denn für ihn war die tassa doganale, die Zollgebühr, vom immenser Bedeutung.

Während Buchmeister über die Lage nachdachte, erblickte er nicht weit von sich entfernt einen Mann, dessen Blick ebenfalls auf die Baustelle gerichtet war. Buchmeister hatte keine Ambitionen, mit dem Nürnberger Kontakt aufzunehmen, den jeder durch seine auffallende Erscheinung sofort erkannte. Der Künstler war ihm zu eitel, zu exzentrisch und auch zu geschäftstüchtig. Nach dem rasanten Aufstieg des Bankhauses Fugger in Augsburg, erhoffte sich Buchmeister zudem, dass die Augsburger Kaufleute den bisher immer noch den Ton angebenden Nürnbergern den Rang ablaufen würden.

Ein plötzlich aufziehender Nebel ließ die Baustelle verschwinden und die Gondeln wie Geisterschiffe erscheinen.

»Giacomo, da bist du ja!« freute sich Scarpagnino, als er den jungen Boten auf der Baustelle erblickte. »War Spavento zufrieden?«

»Ja«, antwortete Giacomo, »nur rechts oben hat er eine kleine Notiz hinzugefügt.« Giacomo transportierte wie Hunderte von Venezianern Waren zu Fuß durch die Gassen und über die Brücken, wohin auch immer ihn seine Auftraggeber schickten. Er war von zierlicher Statur, aber das war nicht von Belang, denn seine Waren waren leicht, aber kostbar und manchmal heikel: kleine Flaschen mit Medizin, Dosen mit Schmuck, Säckchen voller Dukaten, versiegelte Briefe und Dokumente, aber auch offene Schriftstücke, wie der nur mit einem Lederband lose umwickelte Plan, den er dem Architekten überreichte. Scarpagnino entrollte den Bogen mit dem Fassadenaufriss des Neubaus, las die Notiz seines Kompagnons und lachte. Palazzo Ducale hatte Spavento neben die Zinnen geschrieben, um darauf hinzuweisen, dass er trotz der Renaissancefassade auf diesem mittelalterlichen Detail als oberstem Fassadenabschluss bestand. Zinnen krönten den Dogenpalast und sollten beim Fondaco dei Tedeschi die Kaufleute von nördlich der Alpen daran erinnern, dass hier der Doge das Sagen hatte, dass er den Neubau finanzierte.

Abb. 1 – Venedig, Rialtobrücke, 1506

Der 66-jährige Giorgio Spavento war der leitende Baumeister am Markusdom und zuständig für dessen Erhaltung und Erweiterung. Spavento hielt sich vorwiegend am Markusplatz auf und war froh, den eine Generation jüngeren Antonio Abbandi – den alle nur Scarpagnino nannten – an seiner Seite für den Neubau des Fondaco dei Tedeschi zu haben, wie auch den flinken und vertrauenswürdigen Giacomo, der Pläne und Notizen der beiden Architekten überbrachte.

»Und was gibt es Neues?« fragte Scarpagnino.

»Den Deutschen mit den langen Locken und dem gezwirbelten Schnurbart habe ich wieder gesehen«, berichtete Giacomo.

»Ja, ja, der Dürer aus Nürnberg, glaubt ernsthaft, er könne hier am Neubau mitgestalten. Das kann er vergessen«, murrte Scarpagnino. Er und Spavento waren sich schnell einig gewesen – mit Zustimmung des Dogen – dass die deutschen Kaufleute viel Raum für ihre Waren bekommen sollten, alles gut proportioniert, aber schlicht gehalten. Bei der Fassade wollten sie auf eine teure Marmorverkleidung verzichten, Fresken reichten aus, die aber sollten selbstverständlich von Venezianern ausgeführt werden. Der Doge dachte an Giorgione und seinen Schüler Tizian.

»Und was noch?« fragte der Architekt.

Giacomo zögerte ein wenig.

»Nur raus mit der Sprache«, forderte ihn Scarpagnino auf.

»Fra Giocondo ist aus Rom zurück. Der Papst hat seine Entwürfe für den neuen Petersdom abgelehnt.«

Scarpagnino nickte zustimmend. »Gut so!« Der in Verona geborene Dominikanermönch Giocondo diente vielen Auftraggebern als Architekt, nicht nur der Republik Venedig. Das kam für den gebürtigen Venezianer Scarpagnino niemals in Frage. »Hast du gehört, für wen sich der Papst entschieden hat?«

»Nein, es gibt viele Gerüchte, nichts aber ist sicher. Sicher ist nur, dass der neue Petersdom größer werden soll als alle Kirchen der Christenheit.«

Scarpagnino stieß einen kurzen Schrei aus und ballte die Faust. »Oh dieser Papst Julius! Will wohl die römischen Kaiser übertrumpfen. Giacomo, die Nordmänner brauchen wir nicht zu fürchten, aber vor den Römern müssen wir Venezianer auf der Hut sein.«

Mit diesem Satz wollte sich der Architekt verabschieden, doch Giacomo machte keine Anstalten, die Baustelle zu verlassen.

»Also, die Nordmänner«, begann er schließlich vorsichtig, »also, dass wir die nicht fürchten müssen...«

Der Architekt betrachtete den jungen Boten aufmerksam, er hatte eindeutig noch eine Botschaft auf dem Herzen.

Nach einer Pause fuhr Giacomo fort: »Also ich habe da was gehört. Gestern war ich beim Buchdrucker Giunta, um im Auftrag ein Buch abzuholen.« Dass es sich um einen Band mit Liebesgedichten für Signora Isabella handelte, behielt er für sich, das gehörte zur Schweigepflicht seines Berufes. »Da gab es viel Aufregung. Einer hat erzählt, ein Heer zieht durch unser Land. Hundertfünfzig Mann sollen es sein. Sie kommen aus dem Norden, aus dem Gebirge. Einer sagte, es seien Schweizer. An Venedig sind sie vorbei. Sie sollen auf dem Weg nach Rom sein. Keiner weiß, wer der Heerführer ist, und was die im Schilde führen.«

Scarpagnino runzelte die Stirn, dann klopfte er dem Boten auf die Schulter: »Danke dir, Giacomo, pass gut auf dich auf!«

Erwartetes und Unerwartetes

ROM – Januar 1506

Während in Venedig ein Augsburger Kaufmann am Ufer des Canal Grande stand, wartete in Rom ein Florentiner Bildhauer am Quai der Riga Grande ungeduldig auf die Schiffe, die den Tiber heraufkamen, schwer beladen mit Marmorblöcken aus Carrara. Michelangelo Buonarroti hatte sie alle persönlich ausgewählt, für einen Großauftrag des Papstes. Auch wenn er ein starker junger Mann von 30 Jahren war, hatte er noch keine rechte Vorstellung, wie er diesen Auftrag kräftemäßig bewältigen sollte. Für seine Pietà, die hier in Rom, in der Petersbasilika stand, hatte er zwei Jahre gebraucht, und für die Figur des fast fünf Meter hohen David, der ihm großen Ruhm eingebracht hatte und der Stolz von Florenz war, drei Jahre. Wie sollte er da für das Grabmal des Papstes dreißig bis vierzig Figuren schaffen? Jacopo Galli, Florentiner Bankier in Rom, hatte dem Künstler geraten, mindestens zehn Jahre und zwanzigtausend Dukaten auszuhandeln. Aber wer konnte schon mit einem Papst handeln? Und schon gar mit Papst Julius II.? Der war zwar ein Liebhaber der antiken Kunst und von Michelangelos Fähigkeiten überzeugt, aber er duldete keinen Widerspruch und ließ seine Gegner schneller beseitigen als ein Marmorblock von Carrara nach Rom kam. Der Papst hatte ihm nur zehntausend Dukaten und nur fünf Jahre zugebilligt. Michelangelo hatte angenommen, war doch das Gestalten von Marmorskulpturen seine große Leidenschaft.

Nördlich von AUGSBURG – Januar 1506

»Gnäd’ger Herr! Ein Brief! Aus Venedig! Vom Herrn Dürer!« rief Clara laut und lief so schnell sie konnte mit der Post in die Wohnstube von Willibald Pirckheimer. Sie war glücklich, dass der hohe Gelehrte aus Nürnberg auf seinem Landsitz weilte. Dann konnte sie etwas Geld verdienen, denn im Leben des Herrn Pirckheimer gab es keine Frau mehr, und jemand musste schließlich den Haushalt führen.

»Danke dir, Clara.« Pirckheimer nahm voller Vorfreude den lang erwarteten Brief seines guten Freundes entgegen. Er und Dürer liebten beide das Briefeschreiben und den Austausch, ganz besonders, wenn einer von ihnen in der Ferne weilte.

Als Clara Willibald Pirckheimer ein duftendes Mittagsmahl servierte, fragte sie mutig: »Was schreibt er denn, der Herr Dürer?« Diese Frage einer Frau vom Lande an einen studierten Mann der Stadt war in der Tat gewagt, doch Pirckheimer rührte die junge Frau in ihrem Eifer, lesen und schreiben zu lernen, und etwas von der Welt zu erfahren, und so antwortete er: »In Frankfurt bekommt man bessere Ware für weniger Geld, denn bescheissen tuns, die Venezianer.«

»Hat der Herr Dürer wirklich dieses Wort geschrieben? Oder sagt Ihr das nur zu mir?«

Pirckheimer lachte. »Ja, bescheissen hat er geschrieben, der Herr Dürer hat durchaus eine Vorliebe für deftige Ausdrücke.« Dass er diese Vorliebe und den Humor mit Dürer teilte, das musste seine Haushälterin nicht wissen. »Und einen großen Auftrag hat er bekommen«, fuhr Pirckheimer fort, »von den deutschen Kaufleuten in Venedig. Er soll ein Altarbild malen. Das muss bis Ostern fertig sein.«

»Oh«, staunte Clara beeindruckt, »das ist eine Gottesaufgabe, welch ein Segen für ihn!«

›Nicht nur ein Segen für ihn, auch für mich‹, dachte sich Pirckheimer, denn Dürer hatte ihm geschrieben, dass er 110 Gulden für diesen Auftrag bekommen hatte. So stiegen die Chancen, dass er von seinem Freund die 100 Gulden wieder zurückbekommen würde, die er ihm für die Venedigreise geliehen hatte. Zudem freute er sich über den Großauftrag für seinen Freund, denn so bekam Dürer die Gelegenheit, in Venedig auch als Maler bekannt zu werden.

ROM – Januar 1506

Am 14. Januar erreichte Papst Julius II. die Nachricht von einem spektakulären antiken Fund. Ein Bote war sofort in den Vatikan geeilt, denn ganz Rom wusste, dass Julius II. die größte Sammlung antiker Kunstschätze besaß. Eine großzügige Zuwendung wäre dem Finder sicher, aber das Verschweigen eines Fundes würde seinen geheiligten Zorn heraufbeschwören. Der Papst war skeptisch und schickte einen Reitknecht zu seinem bevorzugten Architekten, Giuliano da Sangallo. Er solle sich vor Ort ein Bild machen, um was es sich handle, und die Bergung des Fundes überwachen.

Der zwölfjährige Francesco spürte sofort die elektrisierende Wirkung, als der Reitknecht mit dem Auftrag des Papstes bei seinem Vater eintraf. »Vater, ich will mit, bitte, ich will mit!«

Abb. 2 – Die antike Laokoongruppe, 1506 in Rom gefunden

Sangallo war einverstanden. Außer seinem Sohn nahm er auch seinen Freund mit, Michelangelo. Als Bildhauer würde er ihm eine große Unterstützung sein, würde schneller als alle anderen die Echtheit und den Wert des Fundstückes erkennen können. So folgten die drei dem Reitknecht, der sie zum Weinberg des Felice de Fredi bei Santa Maria Maggiore führte und ihnen einen Weg durch die dichte Menschenmenge bahnte, die sich dort angesammelt hatte. Ein sensationeller Fund blieb in Rom nicht lange geheim. Sie stiegen vorsichtig in die Tiefe und waren überwältigt von der Größe des bärtigen Kopfes, den sie als erstes erblickten.

Es handelte sich in der Tat um eine Skulpturengruppe, drei männliche Figuren, in der Mitte eine sehr große, links und rechts zwei kleinere. Arme und Beine der drei Figuren wurden umschlungen von zwei kräftigen Schlangen. Michelangelo ließ seine Hände über den Marmor gleiten und war begeistert von der Ausarbeitung der Muskeln.

»Wie fantastisch!« rief Sangallo aus. »Michelangelo, das ist die Figurengruppe des Laokoon, wie sie Plinius beschrieben hat, ich habe es gerade gelesen. Plinius hat dieses Kunstwerk mit eigenen Augen gesehen, im Palast von Kaiser Titus, diese Figuren im Kampf mit den Schlangen, …so hat Plinius sie beschrieben.«

Es wurde ganz still. Francesco schaute von einem zum anderen.

Dann sagte Michelangelo: »Ja, das muss sie sein, die Laokoongruppe, das ist sie, ich habe Plinius auch gelesen. Die drei großen Bildhauer von Rhodos haben sie geschaffen, Athanadoros, Hagesandros und Polydoros!«

Francesco wollte so viel fragen und wissen, wer war dieser Laokoon, wer war dieser Plinius und warum kämpften die drei Männer mit Schlangen? Aber er spürte, er musste sich gedulden. Es war ein besonderer Moment, den alle Anwesenden erlebten, ein heiliger Moment, ein Moment, der für alle immer bedeutend bleiben würde.

Als Francesco mit seinem Vater wieder zuhause war, zeigte ihm dieser das Buch des antiken Schriftstellers Plinius d. Ä., und las ihm die Beschreibung der Skulpturengruppe in italienischer Sprache vor, denn das Werk war aus dem Lateinischen schon übersetzt worden.

»Wer war der Laokoon?« wollte Francesco wissen, der wie sein Vater auch davon überzeugt war, dass Plinius genau diese Skulpturengruppe beschrieben hatte.

»Es herrschte Krieg zwischen den Griechen und den Trojanern. Und eines Tages stellten die Griechen ein Geschenk vor die Tore Trojas, sozusagen ein Friedensangebot, ein riesiges Holzpferd. Laokoon war Priester in Troja. Er war misstrauisch. ›Was es auch sei, ich fürchte die Griechen, auch wenn sie Geschenke bringen‹. Das soll Laokoon gesagt haben, als seine