1896 - Eine Turmbahn, X-Strahlen und andere Errungenschaften - Sibylla Vee - E-Book

1896 - Eine Turmbahn, X-Strahlen und andere Errungenschaften E-Book

Sibylla Vee

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Beschreibung

1896 gibt es in Athen nach einer Unterbrechung von 2672 Jahren wieder Olympische Spiele. 1896 treffen sich in Berlin über 2000 Frauen aus der ganzen Welt zum Austausch. 1896 wird in Paris das Gesamtwerk einer Malerin gezeigt und der neue Zar schaut vorbei. 1896 freuen sich Münchner über neue Zeitungen, Süßspeisen und Post aus der Ferne. Historische Fakten aus Kultur und Kunst, in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig. Was können wir von diesen Kulturschätzen heute im 21. Jh. noch finden und besuchen? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben zum selbstständigen Weiterforschen.

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1896 gibt es in Athen nach einer Unterbrechung von 2672 Jahren wieder Olympische Spiele.

1896 treffen sich in Berlin über 2000 Frauen aus der ganzen Welt zum Austausch.

1896 wird in Paris das Gesamtwerk einer Malerin gezeigt und der neue Zar schaut vorbei.

1896 freuen sich Münchner über neue Zeitungen, Süßspeisen und Post aus der Ferne.

Historische Fakten aus Kultur und Kunst – in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig.

Was können wir von diesen Kulturschätzen heute im 21. Jh. noch finden und besuchen? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben zum selbstständigen Weiterforschen.

Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmete.

2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:

KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien, – von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männern wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszutreten.

KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstlern und Werken.

Inhaltsverzeichnis

Kampf um Aufmerksamkeit

Durchblick und Rückblick

Spezialisten unter sich

Liebeserklärungen

An den Start

Alle in Bewegung

Schlechte Sterne im August

Explosiv und kontrovers

Fremde zu Besuch

Verstörte Gespenster

Zum Ausklang

Was blieb im 21. Jahrhundert?

Quellen, auch zum Weiterforschen

Personenverzeichnis

Ortsverzeichnis

Kampf um Aufmerksamkeit

MÜNCHEN – 1. Januar 1896

»Ferdl, er kommt!« rief Therese Thalmann ihrem Mann zu. Sie hatte Tom, den Zeitungsboten, schon durchs Fenster erspäht.

Für das großzügige Trinkgeld bedankte sich der junge Mann mit einem »Vergelt’ s Gott und a guts Neues«. Da er genau wusste, wieviel Wert der Herr Thalmann auf die Unversehrtheit seiner Zeitungen legte, hatte er diesmal die zwei Exemplare in ein Tuch eingewickelt, schließlich waren es Erstausgaben.

»Hast du zwei bestellt?« fragte Ferdinand Thalmann verwundert, als ihm seine Frau ein Exemplar reichte und das zweite für sich behielt.

»Ja, meinst du, ich warte, bis du die neue Zeitung fertig gelesen hast? Außerdem kannst du so die Erstausgaben als Schätze anlegen, und ich kann meine Lieblingsstellen ausschneiden.«

»Und was ist mit Maxi?« fragte Ferdinand.

»Heute ist Mittwoch und da kommt Molli zum Bügeln. Bis dahin wird der kleine Mann in seinem Laufstall alleine zurechtkommen müssen.«

»Heute kommt Molli? Am ersten Januar?« fragte Ferdinand ungläubig.

»Ja gerade heute, am ersten Januar. Da wird Molli von niemand anderem in Beschlag genommen.«

Ferdinand Thalmann schwieg und staunte, wie seine Frau immer alles so einrichten konnte, dass es sich für sie günstig entwickelte. Mit großer Behutsamkeit entfaltete er die Zeitung und widmete sich der ersten Seite dieser Neuen Münchner Wochenschrift für Kunst und Leben.

»Wir wollen die neue Wochenschrift JUGEND nennen: damit ist eigentlich schon Alles gesagt. Selbstverständlich wenden wir uns nicht an die Jahrgänge, sondern an das Herz, auch der in der Herbstsonne alter Jahrgänge Gereiften, die so glücklich sind von sich zu sagen: ›Altes Herz, was glühst du so!‹ Ein ›Programm‹ im spiessbürgerlichen Sinne des Wortes haben wir nicht. Wir wollen Alles besprechen und illustrieren, was interessant ist, was die Geister bewegt; wir wollen Alles bringen, was schön, gut, charakteristisch, flott und – echt künstlerisch ist.«

Therese Thalmann widmete sich erstmal dem Titelblatt, denn sie liebte die Kunst. Wie geschickt der Grafiker aus den Flammen der Fackel die Buchstaben JUGEND hatte entstehen lassen.

Der zweijährige Max hatte sehr schnell erfasst, dass das, was seine Eltern gerade bekommen hatten, ihre Aufmerksamkeit zu hundert Prozent in Anspruch nahm. Das wollte er nicht hinnehmen. »Papa!« … »Mamaaa!« Seine Eltern würdigten ihn keines Blickes. So versuchte Max es mit einer neuen Strategie. Er warf ein Bauklötzchen aus dem Laufstall in Richtung seines Vaters. Doch ohne Erfolg. Dieser war in das

Abb. 1 – Titelblatt der ersten Ausgabe der Zeitschrift JUGEND

»Durchschnitts-Einkommen der preussischen Volksschullehrer vertieft, …soll auf 900 Mark hinaufgeschraubt werden«. Das nächste Bauklötzchen in Richtung seiner Mutter war ebenso wenig erfolgreich.

Als es an der Haustür klingelte, nahm Therese ihre Zeitung mit zur Tür und begrüßte die kleine Frau mit einem »Dir ein gutes neues Jahr, Molli, der kleine Mann wartet schon auf dich.«

Max schöpfte Hoffnung. Als Molli vor seinem Laufstall stand, streckte er ihr beide Arme entgegen und gab ihr durch seinen Gesichtsausdruck zu verstehen, dass er tagelangen Liebesentzug hinter sich hatte. Molli schmolz dahin, wie Butter in der Sonne: »Ja mei Maxi, i bin do scho do«. Auf dem Arm von Molli war für Max die Welt wieder in Ordnung, sie war so wunderbar rund und weich und würde sich voller Hingabe um ihn kümmern.

Als die beiden in der Küche verschwunden waren, genoss das Ehepaar Thalmann die himmlische Ruhe im Salon und die Lektüre der neuen Zeitung.

BERLIN – Januar 1896

Um internationale Aufmerksamkeit kämpften drei Männer in Berlin. Es waren der Geheime Kommerzienrat Ludwig Max Goldberger – Vorsitzender des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller –, der Kommerzienrat Fritz Kühnemann – Organisator der Berliner Gewerbeausstellung 1879 – und der Architekt und Abgeordnete Bernhard Felisch.

Zum Ende des 19. Jhs. hatte sich Berlin immer mehr zur führenden Industriemetropole Europas entwickelt. London, Paris, Wien, Philadelphia, Chicago, Antwerpen, Amsterdam, alle hatten sie große, bedeutende Weltausstellungen präsentiert, nur Berlin nicht. Als Gast war Deutschland immer beteiligt gewesen, bis auf das Jahr 1889, nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 wurde es ausgeschlossen.

Die Zeit war reif, dass auch einmal Berlin Gastgeber einer Weltausstellung würde. Vor allem Goldberger, der ein Jahr in den USA gelebt und das Buch »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« geschrieben hatte, versuchte über Jahre hinweg alles, um Reichskanzler Bismarck und Kaiser Wilhelm II. von diesem Ziel zu überzeugen. Vergeblich. 1892 hatte der Kaiser jeden weiteren Versuch mit den Worten gekappt: »Ich will die Ausstellung nicht, weil sie meinem Vaterland und meiner Vaterstadt Unheil bringt …Ausstellung is nich, wie meine Herren Berliner sagen.«

Goldberger gab nicht auf, auch wenn seine geplante Ausstellung nicht mehr Weltausstellung genannt werden durfte. Er erhielt die Unterstützung der deutschen Industrie und verkündete noch im gleichen Jahr die Devise: »Berlin hat, was es der Welt zeigen darf, deshalb will Berlin der Welt einmal zeigen, was es hat.«

Von den vier Jahren Vorbereitungszeit waren keine vier Monate mehr übrig geblieben. Am 1. Mai 1896 sollte sie eröffnet werden, »Die Berliner Gewerbeausstellung 1896«, zum 25-jährigen Bestehen Berlins als Reichshauptstadt.

Die Stadt Berlin hatte den Treptower Park zur Verfügung gestellt, mit der Auflage, dass Ende Oktober alles von der Ausstellung wieder verschwunden sein müsse, als hätte die Ausstellung dort nie stattgefunden. Selbst ein neu angelegter See musste zum Bedauern vieler auch wieder verschwinden, obwohl gerade dieser See mit dem Hauptrestaurant und dem Aussichtsturm das Zentrum des Ausstellungsgeländes wurde.

Um die Millionen von Besucher vom Stadtzentrum nach Osten zu bringen, musste die gesamte Verkehrsstruktur ausgebaut werden, ob Zug, elektrische Straßenbahn, oder die große Berliner Pferde-Bahn.

Ein so spektakuläres Gebäude wie den Eiffelturm hatten sie in Berlin nicht erbaut, aber das gesamte Areal der Ausstellungsfläche war größer als bei allen bisherigen Weltausstellungen. Genug Platz war auch nötig, für die 23 verschiedenen Industriezweige, die sich präsentieren wollten. Dazu gehörten die Bau-, Chemie-, Glas-, Holz-, Leder-, Metall-, Papier-, Porzellan- und Textilindustrie wie auch Buchgewerbe, Film und Fotographie, Graphische Künste, Nahrungs- und Genussmittel, Fischerei und Gartenbau, Unterricht und Erziehung und Wohlfahrtseinrichtungen.

Sehr bedauerlich fanden die drei Initiatoren, dass die von Otto Lilienthal, dem bedeutenden deutschen Flugpionier, geplanten Flugvorführungen nicht genehmigt wurden.

BERLIN – Januar 1896

Was den drei engagierten Männern nicht gelungen war – ihre Ausstellung als eine internationale zu proklamieren – das hatten zwei Frauen erreicht.

Abb. 2 – Berliner Gewerbeausstellung 1896; Hauptrestaurant mit Aussichtsturm, Ausschnitt, s/w,

Fischereiausstellung, Ausschnitt, s/w, aus farbigen Postkarten

Ihre für September geplante Veranstaltung hieß: »Internationaler Kongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen«.

Abb. 3 – »Lina Morgenstern«, um 1900, Foto

Die 66-jährige Lina Morgenstern war in Berlin eine sehr bekannte Frauenrechtlerin und vor allem Sozialaktivistin. Schon im Alter von 18 Jahren begann ihr soziales Engagement mit der Gründung des »Pfennigvereins zur Unterstützung armer Schulkinder«. Zehn Jahre später gründete sie den »Berliner Frauenverein zur Beförderung der Fröbel’schen Kindergärten«, gefolgt von der Ausbildung von Kindergärtnerinnen.

Für die Berliner war sie am bekanntesten durch die Errichtung der »Volksküchen«. Ob der Preußisch-Österreichische oder der Deutsch-Französische Krieg, Lina Morgenstern milderte durch die Großküchen mit Mahlzeiten zum Selbstkostenpreis die sozialen Auswirkungen der Kriege auf die arme Bevölkerung. Sie gründete den »Kinderschutzverein«, den »Hausfrauenverein«, Krankenpflegeschulen und eine Akademie für die wissenschaftliche Fortbildung von Frauen. Über alle diese Themen schrieb Morgenstern auch in Zeitungen und Büchern.

Die zweite Frau, die den Internationalen Frauenkongress mitplante, war die elf Jahre jüngere Minna Cauer. Sie war erst Lehrerin, Ehefrau und zweimal Witwe geworden, bevor sie sich mit 40 Jahren ganz für die Frauenbewegung engagierte. Sie setzte sich besonders für die Unterstützung lediger Mütter ein, für eine freie Berufswahl für Frauen und für das Frauenstimmrecht. Seit vier Jahren war sie Mitglied in der von Bertha von Suttner gegründeten »Deutschen Friedensgesellschaft«.

Abb. 4 – »Minna Cauer«, 1899, Foto

Der Ort – das Rote Rathaus von Berlin – und das Datum – 19. bis 26. September – standen schon fest. Aber es bedurfte noch einer Menge an Arbeit, um ihr anvisiertes Ziel zu erreichen. Die beiden Frauen