1710 - Sibylla Vee - E-Book

1710 E-Book

Sibylla Vee

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Beschreibung

1710 regiert in Frankreich Ludwig XIV. Im Januar wird ihm ein Urenkel geboren. Ob sich der Sonnenkönig vorstellen konnte, dass dieser Urenkel ihn als einzigen seiner Nachkommen überleben und sein Nachfolger werden würde? 1710 regiert in Sachsen König August der Starke und beschließt, in Meißen eine Porzellanmanufaktur zu gründen. Wenn sein junger Gefangener schon kein Gold herstellen kann, dann wenigstens mit dem "Weißen Gold" Einnahmen für Dresden schaffen. Historische Fakten aus Kultur und Kunst, in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig. Was können wir von diesen Kulturschätzen heute im 21. Jh. noch finden und besuchen? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben zum selbstständigen Weiterforschen.

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1710 regiert in Frankreich Ludwig XIV. Im Januar wird ihm ein Urenkel geboren. Ob sich der Sonnenkönig vorstellen konnte, dass dieser Urenkel ihn als einzigen seiner Nachkommen überleben und sein Nachfolger werden würde?

1710 regiert in Sachsen König August der Starke und beschließt, in Meißen eine Porzellanmanufaktur zu gründen. Wenn sein junger Gefangener schon kein Gold herstellen kann, dann wenigstens mit dem »Weißen Gold« Einnahmen für Dresden schaffen.

Historische Fakten aus Kultur und Kunst – in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig. Was können wir von diesen Kulturschätzen heute im 21. Jh. noch finden und besuchen? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben zum selbstständigen Weiterforschen.

Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmet. 2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:

KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien, – von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männer wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszu-treten.

KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstlern und Werken.

Inhaltsverzeichnis

Das Herz Seiner Königlichen Hoheit

Der Viel- und Ungeliebte

Ein ungeduldiger Künstler

Im Paradies

Ein bezauberndes Wesen

Luigis Einbruch

Ein wütender Schweizer in Berlin

Vielerlei Bürsten und vielerlei Freude

Der verlorene Freund

Die beste Prinzessin der Erde

Zwei Schönheiten auf Reisen

Geheimnisse und Erkenntnisse

Im Schatten der Genies

Admiral

Was blieb im 21. Jahrhundert?

Quellen, auch zum Weiterforschen

Personenverzeichnis

Ortsverzeichnis

Das Herz Seiner Königlichen Hoheit

DRESDEN – 23. Januar 1710

Es war ein sehr kalter Januartag, wenn auch nicht so eisig wie im Jahr zuvor, als im deutschen Lande der Bodensee und im italienischen der Gardasee zugefroren waren.

An diesem Januartage, dem 23. des Jahres 1710, hatte der König von Sachsen und Polen, der August der Starke genannt wurde, ein Dekret erlassen. Der 28-jährige Johann Friedrich Böttger bangte und hoffte, dass ihm dieses Dekret endlich die ersehnte Freiheit brächte. Jetzt müsste sich doch das Herz Seiner Königlichen Hoheit erweichen.

Acht Jahre zuvor war Böttgers Mutter persönlich bei Hofe vorstellig geworden und hatte eine Bittschrift um die Freilassung ihres Sohnes eingebracht. Doch erfolglos. August der Starke dachte gar nicht daran, Böttger wieder aus seinen Händen zu geben. 1701 war das Ringen mit dem Kurfürsten von Brandenburg um diesen jungen Spunt zäh genug gewesen, das der Sächsische König am Ende für sich hatte entscheiden können. Und schließlich hatte Böttger ihn selbst um Schutz und Protektion gebeten, als ihn die Wittenberger Stadtwache verhaftet hatte. Ja so war das mit der heißblütigen Jugend. Da hatte der junge Böttger vor seinem Lehrmeister, dem Apotheker Zorn, und drei weiteren Zeugen sein kleines Kunststück vorgeführt, die Verwandlung von Silber in Gold. Wie leichtsinnig, nicht an die Konsequenzen zu denken.

Ein solches Genie durfte der große König von Sachsen und Polen nicht wieder verlieren. Bisher konnte Böttger sein Kunststückchen nicht wiederholen, also musste er in Gewahrsam bleiben, bis er den Stein der Weisen gefunden hatte. Immerhin war der König großzügig gewesen und hatte ihm zwei Jahre später zwei Wohnräume im Schloss angeboten. Aus der Hofküche war er versorgt worden und an den Freizeitvergnügungen des Hofes hatte er teilnehmen dürfen, sogar an den Glücksspielen. Und wie hatte der junge Böttger es ihm, dem König, gedankt? Er war über Böhmen nach Österreich geflohen. Und hatte auch noch die Unverfrorenheit besessen, sich als Baron auszugeben. Das hatte sich das junge Genie so vorgestellt, aber des Königs Leute waren gut und hatten Böttger gleich wieder eingefangen und nach Dresden zurückgebracht. Böttger blieb nichts anderes übrig, als weiter zu experimentieren. Und er war erfolgreich, statt Gold hatte er die Herstellung von Porzellan erfunden.

Heute, am 23. Januar 1710 hatte seine Königliche Hoheit, Friedrich August I., König von Sachsen und Polen, die Königlich–Sächsische Porzellanmanufaktur gegründet. Zartes weißes Porzellan würde den Ruhm des Königs vergrößern, dieses Porzellan sei wie Weißes Gold, hatte Böttger ihn umworben. Aber des Königs Herz ließ sich nicht erweichen, seine Freiheit bekam Böttger nicht. Zu viel hatte den König der Nordische Krieg gekostet, zu groß war seine ausgeprägte Sammelleidenschaft auserwählter Kunstschätze und zu sehr hing sein Herz an seinem Dresden, das er zu einer prunkvollen Metropole des Barocks erblühen lassen wollte. Zu viele Künstler – Komponisten, Dichter, Bildhauer, Maler, Goldschmiede, Juweliere und Glaskünstler – wollten bezahlt werden. Und zu viele wunderschöne Frauen wollten verwöhnt werden, von denen der König neben seiner Ehegattin Maria Josefa, der Erzherzogin von Österreich und Prinzessin von Ungarn, im Jahr 1710 schon sechs weitere hatte. Am Ende seines Lebens sollen es elf Mätressen gewesen sein.

Nein, an all dem hing das Herz des Königs, da konnte er seinem jungen Goldmacher keine Freiheit schenken.

Abb. 1 – »Ludwig XV.«, 1748, Louis Michel van Loo

Abb. 2 – »Ludwig XV.« 1712, Pierre Gobert

Der Viel- und Ungeliebte

VERSAILLES – 25. Februar 1710

Einen Monat, nachdem der große König von Sachsen und Polen seine Porzellanmanufaktur gegründet hatte und seinen Goldmacher weiter in Gefangenschaft behielt, wurde etwa tausend Kilometer von Dresden entfernt, am 25. Februar des Jahres 1710, im Schloss von Versailles, ein französischer König geboren. Dessen Urgroßvater, der Sonnenkönig Ludwig XIV., hatte das einfache Landschloss zum größten barocken Königspalast von ganz Europa umbauen lassen, dessen Pracht auch August der Starke zum Vorbild für sein geliebtes Dresden nahm.

Das königliche Bübchen, das wie sein Urgroßvater Louis getauft wurde, wurde also in prallen Luxus hineingeboren. Und doch brauchte es auch an einem solchen Ort einiges Rüstzeug, um überleben zu können, ein kräftiges Herz, ein starkes Immunsystem und einen Schutzengel. All das hatte der Kleine, denn als er ein Jahr alt war, starben sein Großvater, seine Eltern, sein älterer Bruder, und 1715 sein Urgroßvater, der Sonnenkönig. So kam es, dass der kleine Louis der nächste Thronfolger, Ludwig XV. wurde.

Sein Schutzengel war die Königliche Gouvernante gewesen, die Herzogin von Ventadour. Es gibt das Gerücht, dass die Herzogin dem kleinen Louis das Leben rettete, indem sie jeglichen Zugriff der Ärzte verhinderte. 1710 war selbst Hofärzten kein Mittel gegen Masern bekannt und so taten sie das, womit sie selbst den Sonnenkönig in Zweifelsfällen immer behandelt hatten, nämlich ihre Patienten zur Ader zu lassen. Wenn schon alle Älteren an der mysteriösen Krankheit verstorben waren, kam es für Madame de Ventadour nicht in Frage, auch noch dem ebenfalls erkrankten Jüngsten Blut abzunehmen und ihn damit noch mehr zu schwächen. Es gelang ihr, den kleinen Louis gesund zu pflegen, der sie Zeit seines Lebens liebevoll Maman nannte.

Maman Ventadour hatte eine deutlich ältere Freundin, die Marquise von Maintenon. Diese war in jungen Jahren eine Geliebte des Sonnenkönigs gewesen. Der kleine Louis wuchs also die ersten sieben Lebensjahre unter der prägenden Obhut zweier Frauen auf, die ihm viele Freiheiten gewährten. Zeit seines Lebens soll der zukünftige König eine magische Anziehungskraft auf Frauen ausgeübt haben und ebenso soll er magisch von Frauen angezogen gewesen sein. Vielleicht war es auch der dunkle Schatten, sehr früh ein königliches Waisenkind geworden zu sein, dass er später in der Anzahl seiner Mätressen – die berühmteste war Madame de Pompadour – und in der Anzahl seiner ehelichen und unehelichen Kinder sowohl August den Starken als auch den Sonnenkönig übertreffen sollte.

Im Alter von sieben Jahren war seine Kindheit zu Ende und Männer übernahmen seine Erziehung. Mit dreizehn wurde er volljährig, mit fünfzehn heiratete er eine acht Jahre ältere polnische Prinzessin, deren Erbe er mit Österreich gegen Lothringen tauschte, und mit sechzehn übernahm er als Ludwig XV. die Regierung.

Er kämpfte gegen Richter, Parlamente und Adelsgruppen, die ihn »Le Mal-Aimé« – den Ungeliebten – nannten, und ihn für all die Missstände verantwortlich machten, die zur Französischen Revolution führen und seinem Enkel und Nachfolger, Ludwig XVI. und dessen Frau Marie Antoinette den Kopf kosten sollte.

Und er wurde »Le Bien-Aimé« – der Vielgeliebte – genannt, von denen, die seinen Geist und seine Bildung schätzten, und die Frankreich als nie wohlhabender an Manufakturen und Gelehrten sahen als zu seiner Regierungszeit.

Abb. 3 – »Ländlicher Tanz«, 1710, Jean-Antoine Watteau

Ein ungeduldiger Künstler

VALENCIENNES – März 1710

Als noch niemand in ganz Frankreich ahnte, dass das vor kurzem in Schloss Versailles geborene Bübchen der Nachfolger des Sonnenkönigs werden sollte, lief der junge Jean-Antoine Watteau ungeduldig im Atelier seines Elternhauses auf und ab. Er wartete auf eine Lieferung aus Berlin. Ein Farbtöpfchen sollte eintreffen, ein neues Blau, nach seinem Herstellungsort Berliner Blau genannt. Wenn der neue Farbton versprach, was man sich über ihn erzählte, wäre er ein großer Gewinn. Wie aufwendig und vor allem wie teuer war doch die Beschaffung von Lapislazuli, das einzige intensive Blau, das den Malern bisher zur Verfügung stand. Aus streng geheim gehaltenen Höhlen des weit entfernten Afghanistan kam es, und selbst der große Michelangelo soll oft mehrere Monate auf eine Lapislazulilieferung gewartet haben.

Eine kleine Leinwand, etwa 50 x 60 cm groß, stand auf der Staffelei. Watteau hatte die Szene eines Tanzes auf dem Lande kompositorisch schon angelegt: eine große Baumgruppe und ein altes Haus bildeten den natürlichen Abschluss einer Waldlichtung. Mit ihnen verschmolzen, erst auf den zweiten Blick erkennbar, drei Flötenspieler. In den Vordergrund hatte Watteau ein tanzendes Paar gesetzt, zur Rechten eine Tamburinspielerin, und zur Linken ein kleines Mädchen, das seine tanzende Mutter nachzuahmen versuchte. Doch ohne ein klares Blau konnte er das Ölgemälde nicht vollenden.