Engel und ihre Geheimnisse in Grafik und Malerei - Sibylla Vee - E-Book

Engel und ihre Geheimnisse in Grafik und Malerei E-Book

Sibylla Vee

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Beschreibung

Wie stellen Sie sich einen Engel vor? Sanft, zart, leicht schwebend, mit blonden Locken? Ja, die gibt es, doch auch viele andere: kleine Lausbuben, schelmische und traurige, mitfühlende, manche kämpfen, manche richten, manche müssen die Heiligen Drei Könige verteten und mancher gibt Rätsel auf.

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Wie stellen Sie sich einen Engel vor? Sanft, zart, leicht schwebend, mit blonden Locken?

Ja, die gibt es, doch auch viele andere: kleine Lausbuben, schelmische und traurige, mitfühlende, manche kämpfen, manche richten, manche müssen die Heiligen Drei Könige vertreten, und mancher gibt Rätsel auf.

Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmete.

2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:

KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien, – von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männer wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszutreten.

KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstlern und Werken.

Inhaltsverzeichnis

Die Berühmten

Die Begleiter

In Nöten

Die Mitfühlenden

Matthäus und sein Engel

Göttliche Botschaft

Inmitten von Rätseln

Der Mächtige

Im Licht

Der Beschützende

Künstler- und Bildinformationen

Personenverzechnis

Ortsverzeichnis

Die Berühmten

»Wir sind die ersten!«

»Klar sind wir die ersten, wir sind ja auch extrem berühmt!«

»Wir kommen ganz sicher als Titelbild auf dieses Büchlein.«

»Wir nicht, nur ich!«

»Wieso nur du?«

»Zu zweit haben wir keinen Platz und ich bin kleiner!«

»Von wegen!«

B 1 – »Sixtinische Madonna«, Raffael, 1513/14, Ausschnitt

Die zwei Engelchen sind in der Tat weltberühmt und werden sehr geliebt. Gemalt hat sie Raffael – neben Michelangelo und Leonardo da Vinci – der dritte der großen Maler der italienischen Hochrenaissance.

Wer noch nie das Original gesehen hat, könnte leicht denken, dass die beiden Engelchen ein eigenständiges Gemälde sind. Doch sie sind nur ein kleiner Teil – gerade mal ein Fünfzehntel – eines großen Leinwandgemäldes mit dem Titel »Sixtinische Madonna«.

B 2 – »Sixtinische Madonna«, Raffael, 1512 / 1513

Wie war es möglich, dass ausgerechnet diese zwei Engel so berühmt wurden? Dass sie weltweit so beliebt sind?

Das erste Geheimnis besteht darin, dass wir ihnen sehr nahe kommen können. Wer in Dresden, in der Gemäldegalerie Alte Meister, Raffaels »Sixtinische Madonna« besichtigt, findet die zwei Engel am untersten Bildrand, ihre Köpfe zu denen der Besucher lebensgroß. Das Gemälde hängt so hoch, dass der Besucher den beiden Engeln von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, je nach eigener Körpergröße in Augenhöhe mit dem kleineren oder dem größeren Engel.

Das zweite Geheimnis liegt in ihrem Charakter. Hätte Raffael den beiden keine Flügel gemalt, wären sie die Verkörperung von zwei Lausbuben.

Engel haben in Gemälden immer etwas zu tun, sie müssen etwas halten oder beschützen, oder sie musizieren. Diese beiden aber stützen ihre Ärmchen auf eine Brüstung auf und faulenzen. Sie tun nichts außer schauen. Dabei blicken sie so unschuldig nach oben, als könnten sie kein Wässerchen trüben und hätten gerade beteuert: »Ich war’ s nicht!«

Raffael malte über 30 Madonnenbildnisse, kaum eines in der Größe von 2,70 m auf 2,01 m. Doch diese enorme Größe machte die »Sixtinische Madonna« nicht berühmt, obwohl Raffael schon zu seinen Lebzeiten ein hoch geschätzter und berühmter Meister war.

242 Jahre lang lebten die »Sixtinische Madonna« und die beiden Engelchen ganz unspektakulär in einer Klosterkirche, als Altarbild in San Sisto, im norditalienischen Piacenza. In dieser Kirche sind Reliquien zweier Heiliger aufbewahrt, die der Heiligen Barbara und die des Heiligen Sixtus, rechts und links im Bild. Der Auftraggeber war Papst Julius II. Sein Onkel, Papst Sixtus IV., hatte den Heiligen sehr verehrt, – deshalb in der linken unteren Bildecke eine Papstkrone – und deshalb der Beiname der Madonna »Die Sixtinische«.

Über 200 Jahre später war ein leidenschaftlicher Kunstsammler nördlich der Alpen, August III., der spätere Kurfürst von Sachsen und König von Polen, auf der Suche nach einem Raffael-Gemälde. Zunächst war ihm ein anderes Madonnenbildnis ins Auge gefallen, doch als er hörte, dass die Mönche von San Sisto Geld für die Restaurierung ihres Klosters brauchten, sah er dort seine große Chance.

Ein Raffael außerhalb Italiens, für immer ins Ausland verkauft? Das war unerhört. Zwei ganze Jahre dauerten die Verhandlungen, bis der Herzog von Parma und der damalige Papst, Benedikt XIV., endlich zustimmten. August III. musste einen astronomischen Preis zahlen und dann ging die »Sixtinische Madonna« in einer Holzkiste auf ihre Reise über die Alpen. Als sie fünf Monate später, am 1. März 1754, in Dresden ankam, begrüßte sie ihr neuer Besitzer mit den Worten: »Platz da für den großen Raffael!« Die »Auswanderung« der »Sixtinischen Madonna« nach Deutschland, das ist das dritte Geheimnis, denn je seltener desto kostbarer, je kostbarer desto berühmter.

Im öffentlichen Raum präsentiert, begann mit dem 19. Jahrhundert die Reproduktion des Gemäldes in Malerei, Grafik und Fotografie. Schriftsteller und Musiker widmeten sich ihm. Heinrich von Kleist soll sich täglich mehrere Stunden in die Betrachtung des Gemäldes vertieft haben.

Im Biedermeier und im Deutschen Kaiserreich wurde die »Sixtinische Madonna« schließlich ein Lieblingsmotiv und fand sich auch in Poesiealben wieder. Von da an durften sich die zwei Engelchen auch eines eigenen Auftritts erfreuen.

Das Gemälde überlebte beide Weltkriege unbeschadet, doch 1945 brachten es sowjetische Soldaten nach Moskau, wo es in einem Lager verschwand.

Seine Rückkehr nach Deutschland, 1956, wurde ebenso begeistert gefeiert wie sein 500. Geburtstag im Jahre 2012. Sozusagen als Geburtstagsgeschenk bekam das Gemälde einen neuen vergoldeten Rahmen, in Technik und Gestalt nach alten Rezepten und Vorbildern aus der Renaissance.

Und die beiden Engelchen? Sie waren inzwischen Werbeträger für die Stadt Dresden geworden und zieren fast jeden erdenklichen Alltagsgegenstand, vom Regenschirm bis zur Dresdner Christstollenverpackung.

Außer diesen drei Geheimnissen gibt es jedoch weitere, für die wir uns Raffaels Gemälde genauer betrachten müssen.

Die Epoche der Renaissance, die Wiedergeburt der Antike, entstand auf italienischem Boden, auf dem antike Bauwerke und Skulpturen in Menge erhalten geblieben waren, die die italienischen Renaissancekünstler auf das Genaueste studierten.

Wie die Künstler der Antike strebten auch die Renaissancekünstler die Harmonie in den Proportionen an. Dabei verbanden sie die künstlerische Gestaltung mit wissenschaftlichen Berechnungen. Eine solche Proportionslehre ist der Goldene Schnitt, den Raffael in seinem Gemälde gleich mehrfach anwandte. Sogar die Figur der Maria ist so proportioniert. Sie hat auf Raffaels Gemälde eine Körpergröße von 1,71 m. Von ihrem linken Unterarm bis zur ihrer rechten Fußspitze sind es 1,06 m, von ihrem linken Unterarm bis zum Scheitel 65 cm.

B 3 – Die »Sixtinische Madonna« im Goldenen Schnitt

Der Goldene Schnitt ist dann angewandt, wenn sich die kleinere zur größeren Strecke wie die größere zur gesamten Strecke verhält.

65 : 106 ergibt 0,61 und

106 : 171 ergibt ebenfalls 0,61

Raffael stellt Maria also in vollendeter Harmonie dar. (B 3) Und die zwei Engelchen? Sie sind in keiner Weise in den Goldenen Schnitt eingebunden, sie stören die Harmonie, führen ein Eigenleben und machen so auf sich aufmerksam.

In der Komposition sind die Hauptfiguren in gleichschenklige Dreiecke eingebunden. Der Heilige Sixtus, Maria und die Heilige Barbara bilden das große Dreieck, ein kleineres das Christuskind mit Oberkörper und Kopf der Maria, umhüllt von einem goldgelben Umhang.