1818 - Sibylla Vee - E-Book

1818 E-Book

Sibylla Vee

4,9

Beschreibung

1818 treffen sich die Monarchen Europas in Aachen, um die Ergebnisse des Wiener Kongress weiter zu verhandeln. Wer wirft ihnen aus einem Gasballon Gedichte und Blumen zu? 1818 ankern zwei Expeditionsschiffe in der Bucht vor Kapstadt, ein russisches und ein französisches. Auf beiden Schiffen werden die Reiseerlebnisse von einer Weltumsegelung niedergeschrieben. 1818 wird an Weihnachten ein Lied geboren, das in über dreihundert Sprachen um die Welt gehen wird: Stille Nacht, Heilige Nacht. Historische Fakten aus Kultur und Kunst - in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig. Was können wir von diesen Kulturschätzen heute im 21. Jh. noch finden und besuchen? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben zum selbstständigen Weiterforschen.

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1818 treffen sich die Monarchen Europas in Aachen, um die Ergebnisse des Wiener Kongress weiter zu verhandeln. Wer wirft ihnen aus einem Gasballon Gedichte und Blumen zu?

1818 ankern zwei Expeditionsschiffe in der Bucht vor Kapstadt, ein russisches und ein französisches. Auf beiden Schiffen werden die Reiseerlebnisse von einer Weltumsegelung niedergeschrieben.

1818 wird an Weihnachten ein Lied geboren, das in über 300 Sprachen um die Welt gehen wird, Stille Nacht, Heilige Nacht.

Historische Fakten aus Kultur und Kunst – in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig. Was können wir von diesen Kulturschätzen heute im 21. Jh. noch finden und besuchen? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben zum selbstständigen Weiterforschen.

Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmete. 2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:

KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien, – von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männer wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszutreten.

KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstlern und Werken.

Inhaltsverzeichnis

Vorfreude

Kampf eines Winzlings

Täglich eine kleine Runde

Verschlafen

Das Geheimnis des Kapitäns

Russische Berge und Draisinen

Miss Novello auf Reisen

Ankunft im Norden

Sänften und ein Schiffsfest

Aufstieg in die Lüfte

Die Hochzeitsreise

Unvergessliche Momente

Auf Timor

Charlotte und Ferdinando

Eine irische Stimme reist um die Welt

Stille Nacht, Heilige Nacht

Was blieb im 21. Jahrhundert?

Quellen, auch zum Weiterforschen

Personenverzeichnis

Ortsverzeichnis

Vorfreude

DRESDEN – 28. Januar 1818

Caroline stand am Fenster und lächelte, während sie die Wäsche zusammenlegte. Jetzt war sie verheiratet. Seit einer Woche war sie Frau Friedrich. Um wie vieles besser klang dieser Name als Bommer. Ihr Blick glitt aus dem Fenster in den klaren Januarhimmel, doch ihre Gedanken waren bei ihrer Hochzeit. Eine bescheidene, aber schöne Hochzeit war es gewesen, in der Dresdner Kreuzkirche. Caroline hatte sich nicht nicht irritieren lassen durch das Getuschel der Leute über den Altersunterschied von 19 Jahren. Wie könnte sie nur einen 44-Jährigen heiraten, noch dazu einen, der so ein seltsamer Kauz war. Das war er in der Tat, ein seltsamer Kauz, ihr Herr Friedrich, aber musste das nicht so sein? Wo er doch ein großer Künstler war?

Der große Künstler saß nicht vor seiner Staffelei, er saß an seinem Schreibtisch. Er wollte einen Brief schreiben, nein, er sollte einen Brief schreiben, darauf bestand seine junge Ehefrau. Er sollte seinen Verwandten endlich mitteilen, dass er geheiratet hatte. Nun denn, bei der Gelegenheit konnte er auch durchblicken lassen, dass er sich jetzt eine Familie leisten konnte, bekam er doch seit zwei Jahren 150 Taler Gehalt, als Mitglied der Dresdner Akademie.

Abb. 1 – »Frau am Fenster«, Caspar David Friedrich

Wie schön seine Line aussah, wie sie da am Fenster stand und die Wäsche zusammenlegte. Er würde nie ein Porträt von ihr malen. Ihr liebreizendes Gesichtchen gehörte ihm, das wollte er der Welt nicht zeigen. Doch ihre Rückenansicht war vollkommen, ein vortreffliches Bildmotiv. Und irgendwann würde er sie auch einmal malen, wie sie da so vor dem Fenster stand. Das tat er auch, sollte sich aber noch vier Jahre Zeit lassen, denn zu große Eile war nie seine Sache.

Caroline summte ein Lied vor sich hin, Sie war glücklich. Und sie würde ihren Herrn Friedrich glücklich machen. Sie musste ihn schon ein bisschen hinführen zum Glück, mit Sanftmut und Geduld, besonders an den Tagen, wenn die Schwermut über ihn kam. So war es ein erster erfolgreicher Schritt, dass er am Schreibtisch saß und den Brief schrieb. Caroline wollte kein Geheimnis bleiben, sie war jetzt die rechtmäßige Ehefrau des Künstlers Caspar David Friedrich.

Caroline war aus seinem Blickfeld entschwunden und Friedrich begann zu schreiben:

»Es ist doch ein schnurrig Ding, wenn man eine Frau hat, schnurrig ist wenn man zu Tische zu kommen einladet. Und endlich ist es schnurrig wenn ich jetzt des Abends fein zu Hause bleibe, und nicht wie sonst im Freien umher laufe. Auch ist es mir gar schnurrig, daß alles was ich jetzt unternehme immer mit Rücksicht auf meine Frau geschieht und geschehen muß.«

Caspar David Friedrich seufzte.

Im Sommer würden sie auf Hochzeitsreise gehen, Caroline wollte so gerne an die See. Ihr Herr Friedrich hatte es ihr versprochen. Die Frau Linden von gegenüber hatte ihr erzählt, dass die Luft an der See so anders sei, dass immer ein Wind ginge und das Kreischen der Möwen zu hören sei. Das musste himmlisch sein, eine Reise an die See.

Kampf eines Winzlings

AM ÄQUATOR – Chinesisches Meer – 8. Februar 1818

Während Caroline Friedrich von ihrer Hochzeitsreise an die See träumte, befand sich der Winzling bereits auf Hoher See, auf dem Expeditionsschiff Rurik unter der Zarenflagge Alexanders I.

Er war am Rande seiner Kräfte, völlig erschöpft durch den Sprung vom Piraten- auf das Expeditionsschiff. Zunächst landete er auf der Schulter von Kapitän Otto von Kotzebue. Was für ein Glück, denn so hörte er ihn deutlich fragen: »Hat sich Chamisso in Deckung gebracht?«

»Ja Käptn, unser adliger Franzos sitzt in der Kammer.«

Jetzt wusste der Winzling, er war kurz vor seinem Ziel, Chamisso an Bord, endlich! Es musste ihm unbedingt gelingen, den Dichter zu überzeugen, dass er ihm helfe, seinen Herrn wieder zu finden. Ganz bestimmt hatte Peter Schlemihl es schon bitter bereut, ihn an den Teufel verkauft zu haben.

Was war das für ein Höllenleben gewesen die letzten drei Jahre. Der Teufel hatte ihn ganz klein zusammengerollt und in die hinterste Manteltasche gestopft, wo er immer knittriger geworden war. Eines Tages hatte der Teufel einen Wutanfall bekommen und seine Manteltasche einen Riss. Da war es ihm endlich gelungen zu entkommen. Seitdem war er auf Schiffen rund um die Welt unterwegs, um seinen Herrn Peter Schlemihl oder den Dichter Adelbert von Chamisso zu finden.

Hier am Äquator war er ein Winzling, geradezu ein Nichts. Das hatte ihm geholfen, den Augen der Piraten zu entkommen. Doch Chamisso gegenüber musste er sich zeigen, konnte er als Schatten doch keinen Laut von sich geben. Aber wie sollte ihm das gelingen? Die Erregung, so kurz vor dem Ziel zu sein, holte die letzten Reserven aus ihm hervor und er suchte und fand den Dichter, der gerade ein Buch studierte, in seiner Kajüte. Dem Winzling gelang es auf die Buchseite zu springen, doch Chamisso sah ihn nicht. Da saß er nun, am Ziel angekommen, konnte sich nicht vergrößern, konnte sich nicht bemerkbar machen. Er musste erstmal verschnaufen.

Und so kam es, dass Peter Schlehmils Schatten – am Äquator nicht größer als ein Tintenklecks – am 8. Februar des Jahres 1818 zwischen den Seiten 126 und 127 einer Malaischen Sprachkunde eingeklemmt wurde. Doch die Rurik war auf dem Weg nach Kapstadt, und nahe dem Kap der Guten Hoffnung gab es auch für einen eingeklemmten Schatten die Hoffnung, sich wieder zur normalen Größe entfalten zu können.

Täglich eine kleine Runde

MOOSBACH – 9. Februar 1818

Nur einen Tag später, nachdem sich das Expeditionsschiff Rurik am Äquator nach Süden gewandt hatte, wurde in der Mitte Europas, in einem sehr kleinen Örtchen im österreichischen Tirol, ein pfiffiger Junge geboren, Christian Reithmann.

Sein Vater war in Moosbach Landuhrmacher gewesen und wie alle Handwerkskinder hatte Christian schon von klein auf die wichtigsten Handgriffe dieses Berufes mitbekommen. Mit 18 begab er sich auf Wanderschaft und machte eine Tischlerlehre in Salzburg, dann führte ihn sein Weg nach München. Dort wurde er mit 24 Mechaniker und Geschäftsführer in dem Betrieb einer Uhrmacherwitwe und hatte mit 30 Jahren sein eigenes Unternehmen.

Christian Reithmann war ein kreativer Kopf mit untrüglichem Instinkt für die praktische Umsetzung. Ihm gelang der Bau einer Uhr, deren Räderwerk unabhängig vom Pendel war. Diese stellte er 1867 auf der Pariser Weltausstellung vor und erhielt dafür eine Silberne Medaille. Sieben Jahre später wurde er zum Königlich Bayerischen Hofuhrmacher ernannt.

Doch nur Uhren herzustellen, das reichte Christian Reithmann nicht, er wollte auch die Maschinen herstellen, um Uhren herzustellen.

Abb. 2 – Glockenspiel am Münchner Rathaus

So konstruierte Reithmann eine Universal-Fräsmaschine, eine Räder-Schneide- und eine Poliermaschine. Um diese Maschinen anzutreiben, brauchte er eine eigene Maschine. Die bekannte Dampfmaschine war ihm zu groß, so erprobte er eine Luft-, eine Wasserstoff- und eine Leuchtgasmaschine. 1873 hatte er dann seine Antriebsmaschine nach dem Prinzip des Viertakt-Motors erfunden.

Doch drei Jahre später baute Nikolaus Otto in der Deutz AG ebenfalls einen Viertakt-Motor, den er sich sofort am 9. Mai 1876 durch ein Reichspatent schützen ließ. Andere Maschinenbauer sahen Reithmann als rechtmäßigen Erfinder, doch dieser wurde von der Deutz AG wegen Patentrechtsverletzung verklagt. Die Klage wurde abgewiesen und Christian Reithmann als Erfinder des Viertakt-Motors anerkannt.

Doch damit sollte der Kampf zwischen den Erfindern nicht zu Ende sein. Die Deutz AG bot Reithmann eine lebenslange Rente und 25 000 Goldmark für den Verkauf der Rechte. Neun Jahre lang widerstand Christian Reithmann allen Angeboten. Doch als seine Frau 1885 starb, gab er auf. Reithmann bekam das Geld, die Deutz AG die Rechte und der Viertakt-Motor den Namen Otto.

Zu seinen Lebzeiten wurde Christian Reithmann nicht vergessen. Als der deutsche Kaiser Wilhelm II. am 13. Februar 1906, – Reithmann hatte gerade seinen 88. Geburtstag gefeiert – in München den Grundstein für das Deutsche Museum gelegt hatte, erhielt Reithmann das Verdienstkreuz des Königlichen Bayerischen Michaelsorden.

Da Christian Reithmann auch noch das Alter von 91 Jahren erreichte, konnte er selbst noch erleben, wie eine für ihn kleine Arbeit, die er zehn Jahre zuvor vollendet hatte, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Am 18. Februar 1909 ging am Neuen Münchner Rathaus das Glockenspiel in Betrieb. Es wäre ein rein musikalisches Spiel für die Ohren geblieben – kaum ein Auge hätte zum Rathaus hochgeblickt – hätte Christian Reithmann nicht die 32 Kupferfiguren durch seine kinematische Konstruktion in Bewegung gebracht. Täglich ziehen seitdem Standartenträger, Fanfarenbläser, Harlekins und Ritter zu Pferde am 1568 frisch vermählten Brautpaar – Herzog Wilhelm V. und Renata von Lothringen – vorbei, und unter ihnen drehen sich die Schäffler zum Tanze.

So blieb der pfiffige Junge aus dem sehr kleinen Ort im österreichischen Tirol nicht aufgrund seiner vielen großen Maschinen für die Uhrenherstellung, nicht aufgrund seiner Erfindung des Viertakt-Motors im Gedächtnis der Menschen, sondern durch 32 kleine Figuren am Rathaus seiner Wahlheimat München, die täglich mindestens ein Mal ihre Runde drehen und Menschen aus aller Welt entzücken.

Verschlafen

KAPSTADT – 31. März 1818

Auf dem Expeditionsschiff Rurik wurde der Dichter und Naturforscher