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Nur einseitige Maßnahmen sind auch nicht das Gelbe vom Ei und sind es im Übrigen noch nie gewesen, doch einseitige Entscheide und ungerechtfertigte Entschlüsse haben auch noch nie zum Ziel geführt, denn die Zielsetzungen sind immer problematisch geblieben.
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Seitenzahl: 83
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Sie möchten nicht noch einmal jung sein und von vorne beginnen müssen, denn sie empfinden ihr bereits gelebtes und endlich hinter sich gebrachtes Berufs- und Arbeitsleben im Rückblick als eine einzige, lange, nie enden wollende Qual voller unausweichlicher Mißverständnisse, Irrtümer, langwieriger Meinungsverschiedenheiten, unverzeihlicher Fehler, unabsehbarer Unverständlichkeiten, krasser Fehlschlüsse, ewiger Mißhelligkeiten und Mißbildungen, die sie gar nicht verdient haben und die sie deshalb nicht noch einmal erleben möchten, insbesondere nicht die Auseinandersetzungen mit den lokalen Banken, die sie in den Ruin getrieben haben, und nur deshalb sind sie heute mit dem erreichten Zustand, also mit dem abgehobenen Rentnerbefinden, mit der angewandten Beschaffenheit ihres Zustandes und mit der erlauchten Bewandtnis ihrer Lage höchst zufrieden: Sie möchten es wirklich nicht mehr anders haben, denn nicht einmal die körperlichen Gebrechen des Alters empfinden sie als störend oder hinderlich, denn sie haben eingesehen, dass die körperlichen Beschwernisse im Alter einfach dazugehören. Mehr noch als das: Sie sind ihnen die ausreichende Bekräftigung und die zutreffende Bestätigung dessen, dass es endlich abwärts geht mit ihnen, dass es „dem Boden zu“ geht, wie hier die Landleute sagen, und sie beobachten gespannt den Fortgang, ohne sich jedoch mit medizinischen Problemen herumschlagen zu wollen oder abgeben zu müssen. Somit haben sie sich längst auf einen angenehmen modus vivendi eingependelt, der ihnen durchaus gelegen kommt; sie lassen sich durch nichts mehr beirren, noch lassen sie sich einschränken, und auch nicht mehr irritieren: Sie sind der unmaßgeblichen Ansicht, dass jegliche Beliebigkeit, dazu auch alle Belanglosigkeit der Welt und die ganze Gleichgültigkeit mindestens ebenso welthaltig sind, wie z.B. eine berufliche Verwirrung, eine tödliche Pandemie, eine außergewöhnliche Meteorologie oder ein forscher, illegaler Eroberungskrieg gegen deutlich schwächere Gegner. Ja, sie gehen hierin sogar noch weiter: Für sie sind Oberflächlichkeiten oder sog. Indifferenzen, wie auch Inhaltslosigkeiten oder Bedeutungslosigkeiten mindestens ebenso aussagekräftig wie alle anderen Thematiken dieser Welt auch, also Themen, Einsichten, Schlüsse, Einstellungen und Haltungen, von denen man sagt, sie seien ganz besonders wichtig und, vor allem andern, heute von geradezu außerordentlicher Bedeutung. Vergessen Sie das! Das kann man sich gleich abschminken, denn darin gibt es für sie keine Abstufungen mehr, so dass sie fürbaß erklären können, dass alle erdenklichen Obskuritäten, Phänomene und Kompositionen allesamt gleichgewichtig, gleichgewichtet, gleichwertig und gleichbedeutend sind, oder aber gleichermaßen bedeutungslos sein können und dass sie für sie somit auch gleich und gleichartig unbedeutend gewichtet sind oder werden können. Deshalb scheuen sie auch nicht mehr vor Banalitäten und Platitüden zurück, ganz im Gegenteil: Sie sind ihnen ebenso willkommen oder unwillkommen wie alles andere auch, denn sie sind für sie eindeutig genauso aussagekräftig wie jeder so genannte tiefe Einblick ins Weltgeschehen und jede noch so tiefe Einsicht ins angeblich Unabänderliche. „Scheiß drauf, Alter!“ ermutigen sie sich jeweils aufgeräumt, und: „Eine reine Lachnummer, Alter!“ Alle so genannten Bedeutungsträger werden somit auf einen Schlag gleichwertig und gleichartig bedeutungslos und auch gleichzeitig zu reinen Witzphänomena, was sie en réalité auch sind, Lachnummern der Weltgeschichte bestenfalls und aufgeblasene Wichte des drögen Tagesgeschehens und der billigen Tagespropaganda, die man gleich wieder vergisst, lauter Banalitäten und Platitüden, also reine Trivialitäten von kosmologischer Komik, aber auch kentaurische Spinnereien, kantabrische Fluktuationen, kanarische Philanthropien, kanadische Preziosen, römische Katakomben, keltische Kataloge und traumatische Assoziationen aller Art, sowie bestenfalls merkwürdige Apparenzen und beiläufige Appetenzen am Ende eines weiteren, langweiligen Fernsehabends. Vergessen Sie das nicht! Sie gehören für sie ebenso zu einer durchaus bemerkenswerten Wirklichkeit, wie alle anderen Phänomenologien auch. Somit ist und bleibt jeder Begriff eine Welt für sich, jeder Ausdruck eine Erscheinung an sich und jedes Versprechen eine göttliche Beigabe oder willentliche Synthese von Unvereinbarkeiten. Was haben sie sich nicht alles überlegt! Zum Schreiben, zum Beispiel. Was schreiben sie nicht mutwillig drauflos, ohne Plan, ohne Struktur, ohne Sinn, ohne Zweck und ohne auch nur eine Sekunde lang zu überlegen! Wie immer versuchen sie, stets den Rändern entlang zu schreiben, ohne dabei ins Innere der Reflexionen vordringen zu wollen oder vordringen zu müssen, aus lauter Furcht, völlig daneben zu liegen und ohne sich dabei überhaupt etwas überlegen zu können, ohne auch nur davon auszugehen, dass Strukturen und Pläne, aber auch Absichten und Einsichten durchaus dienlich wären! Forget it! Der geneigte Foxterrier entledigt sich endlich aller überflüssigen Strukturen, d.h. aller sinnlosen Zielvorstellungen, aller zwecklosen Richtungsweisungen, aller fadenscheinigen Gründe und aller entbehrlichen Grundsätze, denn die Strukturlosigkeit, die Ziellosigkeit, die Richtungslosigkeit, die Grundlosigkeit, zusammen mit der ganzen Grundsatzlosigkeit, sind ihr einziges literarisches Ziel, und jeglicher Zweck heiligt die Mittel, sagen sich die beiden befreundeten, grünen Wellensittiche in ihrem Käfig. Sie wissen auch, dass sie noch nie so unkonzentriert gearbeitet haben, und gerade dies sei ihnen durchaus erlaubt. Sie verschreiben sich mit Haut und Haar der Ziellosigkeit, der Sinnlosigkeit und der Zwecklosigkeit, denn die Mittellosigkeit haben sie ja bereits erreicht und errungen und geheilt überstanden, seitdem sie ihre Rente kriegen. Doch niemand würde ihnen für ihr gesamtes Schreiben und Malen von 50, 60 oder 70 Jahren auch nur zwanzig Rappen geben, und sie kennen die abschätzigen Blicke und die geringschätzigen Haltungen gut, die dahinter stecken, denn sie erleben sie jeden Tag. Sie wissen genau, wie hinter ihren Rücken über sie getuschelt und geredet wird; sie wissen um den Spott und den Hohn, die über sie ausgeschüttet werden, wenn sie nicht dabei sind, und sie kennen die liederlichen Pappenheimer, die angeblich alles über sie wissen, und zwar alles besser als sie selber, ohne auch nur jemals eine einzige Zeile von ihnen gelesen zu haben oder ein einziges Bild von ihnen gesehen zu haben. Sie kennen all diese Vorurteile und Vorverurteilungen; sie kennen mittlerweile alle Arten von Aburteilungen, Distanzierungen und Ausgrenzungen von Randständigen, und sie wissen genau, wie viele Hasser und Neider und Arschgeigen ihnen nur noch den baldigen Tod wünschen – und sonst nichts. Sie können sich also auf niemanden mehr verlassen, denn man hat alles daran gesetzt, sie als die beiden Dorfschwuchteln der Vergangenheit und der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, und zwar nicht ausschließlich aus pippilotischen Gründen; man will sie einfach nicht mehr im Dorf haben; man will sie nirgendwo mehr haben, in keiner noch so entfernten Ecke des kulturellen Geschehens. Man verzichtet also auf sie, denn man entsagt ihnen gerne. Man braucht ihre Anwesenheit nicht; man braucht nicht einmal mehr ihre Abwesenheit. Man ignoriert sie, und man will auch nicht, dass sie eine Bedeutung haben; sie gehören einfach nicht dazu, sind nicht Teil des Dorfes oder gar des offiziellen und öffentlichen Kultur- und Literaturbetriebes geworden. Sie haben übrigens noch nie dazugehört, zum staatlich tolerierten Kunst- und Kulturgeschehen; man weiß zwar, wie sie heißen und wo sie wohnen und dass es sie gibt, aber man hat sie überall sorgfältig ausgelassen, wegebeamt und wegretouchiert; man hat sie immer wieder gerne übersprungen, man ist von den ausgemusterten Titanen der Literatur und der Kunst direkt zu den jungen Hobbykünstlern und vor allem zu den zahlreichen Sonntagsmalerinnen übergegangen, denn die sind völlig harmlos, die tun nicht weh, die tun einem nichts, die wollen nur spielen und, vor allem andern: Die machen bestimmt keinen Ärger, denn die haben noch nie Ärger gemacht, die wüßten gar nicht, was das ist. Man will auch mit der Literatur keinen Ärger mehr haben wie zu Zeiten von völlig unbekannten Schriftstellern, deren Name man noch gar nie gehört hatte in Kehrsatz. Alle wollen ihre Friedhofsruhe haben, denn man will sich nicht mehr mit Leuten herumschlagen müssen, die nur stören, die nur provozieren, die das gepflegte, literarische Publikum, das bei Goethe und Thomas Mann Maß genommen hat, nur verärgern, die nichts als Ungemach verbreiten und sich aufspielen, als hätte sie jemand dazu auserwählt.
Man will an der mittlerweile eiskalt gewordenen Kulturfront eiskalte Ruhe haben; der Grabenkrieg wird zum ewigen Stellungskrieg und der Stellungskrieg zum ewigen Vernichtungskrieg, in der Hoffnung, dass der ständige Vernichtungskrieg auch den Krieg mit der Kunst und der Kultur selber vernichten wird.
Kurzum: Die Kultur, oder ihre Restposten sollen endlich endgültig vernichtet werden und wieder nur noch das sein, was sie längst geworden sind: gefälliges Beiwerk, flotter Zierat, schöne Dekoration und schmeichelhafte Lobhudelei für alle gewählten und ungewählten Arschlöcher und Schleimscheißer dieser Welt, die zudem nichts kosten soll, denn kritische Geister braucht keiner, auch nicht Widerspruch oder Einspruch, oh nein, danke! Man bricht definitiv und mit Gewalt mit der Kultur, also willentlich und wissentlich, bricht auch mit dem Wesen der Kultur, bricht auch mit dem Besen der Kultur, denn eigentlich braucht niemand Kultur. Niemand weiß, was Kultur überhaupt ist; man weiß nur, dass überall gespart werden muss. Nur in der Waffenindustrie, in den Bankenwelt und in der Landwirtschaft nicht; dort darf es ruhig krachen. Also fällt die Kultur als Erstes aus den Budgets raus, und zudem muss Kultur grundsätzlich selbsttragend sein, denn sonst ist es ja gar keine Kultur mehr, auch keine bürgerliche Kultur mehr, weil Kultur grundsätzlich nichts kosten darf. Nur Gratiskultur ist richtige Kultur, sagt man sich erleichtert, also Eigenmitverantwortungsselbstkultur, sowie die Kultur, die bestenfalls kostenlos von außen herangetragen wird: die selbstverantwortliche Eigenerhaltungsselbstkostenkultur, die eigenverantwortliche Selbstmitverantwortungskultur. Die ist eigentlich immer da und beglückt diejenigen, die davon etwas halten oder zu halten meinen, denn viele glauben, etwas davon zu halten, wissen aber nicht, was.
Sie können nicht sagen, ob wirklich etwas dran ist und ob überhaupt etwas dahinter steckt, oder nicht, setzen jedoch voraus, dass allenfalls etwas dahinter stecken könnte, und wenn es auch nur der meßbare Frankenwert ist. Darauf bestehen sie, das verstehen sie, das kennen sie, dort klingelt bei ihnen etwas, das vertreten sie und das befürworten sie: Je höher die Summen sind, die für Kunstobjekte gehandelt werden, desto eindrücklicher muss diese Kultur sein. Wenn ein Bild so viel kostet wie ein neuer Bentley, dann muss ja was dran sein, sonst würde ja etwas nicht stimmen.