6 Die Ameisen - Alex Gfeller - E-Book

6 Die Ameisen E-Book

Alex Gfeller

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Beschreibung

Einsicht in die übergeordneten Bedingungen, in die wahren Zusammenhänge und in die konkreten Tatsachen des Lebens wäre schon damals, also bereits in jungen Jahren, dringend gefragt gewesen, gründliche Umsicht, nötige Vorsicht und entschlossene Absicht.

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Seitenzahl: 79

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Gewürm als solches, also das Gewürm als biologischer Abfall, als rein organische Ausschussware, als eher inferiorer Kram, Plunder, Schund und überflüssiger Bio-Gerümpel, als genetischer Überrest längst überholter Entwicklungen, die Würmer als ausgesprochene Billigware, als Reststücke, Schleuderkram oder ewige Ladenhüter, die gesamte Wurmheit als gesellschaftlicher Schrott also, scheint dem Wurmausschuss selber erstaunlicherweise überhaupt kein Thema zu sein; man kann sich eigentlich nur wundern, weil sich genau hierin die fehlende Selbstreflexion auf fatale Weise deutlich manifestiert, selbst wenn einige nachsichtige Marabus dieses Fehlen nur als entwicklungsbedingten Mangel hinstellen mögen. Doch was immer die Meise von Seiten der Würmer jeweils zu Gehör bekommt, sei es in Form von animalischen Geräuschen oder sogar als erkennbare sprachliche Fragmente: Nie ist es etwas Interessantes, nie etwas Originales, nie etwas Persönliches, nie etwas Unverwechselbares, also nie etwas Authentisches und deshalb auch nie etwas Bemerkenswertes, etwas Außergewöhnliches oder etwas Unvergleichliches. Vergessen Sie das. Vergessen Sie das schnell, vergessen Sie die Authentizität der Würmer; es gibt sie nicht.

Nur die schlechtesten und billigsten Stereotypien aller Art feiern in jedem beliebigen Wurmausschuss Urständ, denn allein die generelle und globale Banalität steht bei den Würmern machtvoll und unverrückbar im Vordergrund, nichts anderes. Die televisive Trivialität bildet das Schwergewicht, und die gesellschaftliche Plattheit wird dabei richtiggehend abgefeiert, kurz, Würmer sind die personifizierte Imbezilität an sich, wenn nicht gar die Debilität im individuellen Wurm ganz generell oder gar die nackte Infantilität im würmischen Kollektiv substanziell, und als solche kann man sie getrost vergessen, ohne lange an einem schlechten Gewissen nagen zu müssen.

Ein jeder Ausschuss ist eigentlich nur ein Abfallhaufen der Kultur, ein Kehrrichtkübel der Zivilisation, ein Schrottplatz der gesamten Gesellschaft, und zwar als präzises Spiegelbild ebendieser Gesellschaft, in der er lebt, als mehrheitlich abstoßendes Abbild der ganzen, abfallübersäten Katzenwelt schlechthin, um genau zu sein. Die Meise darf deshalb die Würmer gar nicht erst ernst nehmen wollen, das wäre vom Übel, denn wer sie ernst nähme, würde bald, wie viele Meisen, auf dieselbe Stufe hinabfallen, auf der sich die Wurmausschüsse seit jeher unverrückbar befunden haben: auf die rundweg unterste Stufe der gesamten Darmflora und Darmfauna, als die ewigen Bandwürmer der Geschichte, die ausschließlich vom ausgelaugten Darminhalt der Katzengesellschaft leben und nie wirklich das Tageslicht erblicken werden, und die ihre eigene Welt allenfalls nur durch ein Arschloch erblicken und verlassen können, um gleich anschließend einzugehen.

Am besten ist es, die Würmer gar nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen und nie mehr etwas mit ihnen zu tun zu haben; das bewahrt uns vor weiterem biologischen Niedergang. Genau deshalb stellt für viele unglückliche Meisen die schnöde Anbiederung sowohl mit den gleichgültigen Ausschüssen, als auch mit den bösen Protektoraten die einzige und letzte, wenn auch billigste und weitaus schäbigste Überlebensstrategie dar.

Mit den Katzen miauen! Mit den Würmern suhlen! Doch dieses mehr als zweifelhafte Verfahren und abstoßend fraternisierende Vorgehen bedeutet leider den vollständigen und unwiderruflichen Selbstachtungsverlust, nicht mehr und nicht weniger, vorausgesetzt, eine gewöhnliche Meise sei dieser persönlichen Anforderung überhaupt jemals gewachsen gewesen. Auch von dieser Seite her gesehen ist es deshalb verständlich, dass die Meise – besagte Meise zumal – ihrerseits auch ausdrücklich auf besagtem Sicherheitsabstand besteht, obwohl sie ihn gar nicht selber ausgedacht, noch selber eingeführt hat. Aber es sollte nach all diesen ausführlichen Ausführungen durchaus nachvollziehbar bleiben, dass es der Meise unausgesprochen behagt und auch ausnehmend gefällt, den persönlichen Kontakt mit den Würmern und natürlich auch mit den Katzen längst verloren zu haben, ein Kontakt übrigens, den sie selber und von sich aus nie und nimmer suchen möchte, noch jemals suchen würde – das sollte allmählich allen klar geworden sein, die sich im Text bis hierher durchgekämpft haben. Selbstverständlich achtet sie heute sehr darauf, dass sie ihnen nicht etwa unabsichtlich begegnet, in ihrer Freizeit gar, und nichts ist ihr mittlerweile peinlicher als die unangenehme Vorstellung, ihrem eigenen Ausschuss an einem freien Samstag Morgen, zum Beispiel, auf offener Straße begegnen und ihn vielleicht sogar noch begrüßen zu müssen, eine geradezu erschreckende Vorstellung, die in der Folge zuweilen recht umständliche Vorkehrungen erfordert und eine ganze Reihe von Vorsichtsmaßnahmen auslöst, die, nur aus der Umsicht geboren, eine derartige Begegnung zu vermeiden gebietet, was übrigens in demselben Maße auch auf die Begegnung mit Katzen zutrifft.

Das hat schon vor langer Zeit dazu geführt, dass die Meise stets sorgsam darauf geachtet hat, nicht in denselben Supermärkten einkaufen zu müssen wie die Mehrheit der Katzen und der Meisen, und nicht in denselben Warenhäusern zu verkehren wie in denjenigen, welche die Würmer für ihre nahezu täglichen Plünderungsfeldzüge ausersehen haben. Sie möchte zudem in der Öffentlichkeit und auch in ihrer Privatsphäre nie an die Würmer erinnert, noch auf die Katzen hin angesprochen werden, unter gar keinen Umständen, noch möchte sie sich in Dinge hineingezogen fühlen – seien es nun in Angelegenheiten der Würmer oder der Katzen – mit denen sie gar nichts zu tun hat und auch nimmer zu tun haben möchte, denn verständlicherweise würde ein jedes Katzenprotektorat der Meise nur allzu gern rundweg alle Schuld für das konstant fehlbare Verhalten und das systematische, permanente Delinquieren eines nur durchschnittlich bekloppten, also ohnehin bereits völlig hoffnungslos durchgeknallten Gewürms in die Schuhe schieben.

Genau das würde ihm gefallen, denn das wäre sehr praktisch und auch ausnehmend einfach. „Die Meisen sind an allem schuld“, hört man denn auch in den Cafés der Stadt die Katzen immer wieder lauthals schimpfen, wenn sie wieder einmal überfallen und bestohlen worden sind und wenn sie sich wieder einmal über die Würmer und ihr missliebiges Verhalten und zügelloses Benehmen geärgert haben. „Sie sind einfach zu weich, zu nachgiebig und in allem zu inkonsequent, die Meisen.“ Und andere fügen genüsslich hinzu: „Man sollte die Körperstrafe wieder zulassen.“ „Ja, genau, die gute, alte, körperliche Züchtigung.“ „Die Würmerfolter, wie früher.“ „Ja, genau, Elektroschocks.“ „Hat noch keinem Wurm geschadet.“ „Daumenschrauben.“ „Oder das gute, alte Streckbett.“ „Ach was: Der öffentliche Pranger.“ „Oder gleich die Todesstrafe! Öffentlich aufhängen, das würde sie endlich richtig abschrecken, die verdammten Würmer!“

Aber natürlich sagen sie sowas nur, wenn niemand Unbefugtes zuhört. Man will sich ja nicht blamieren. Somit trennen sich auch diese Welten fein säuberlich, denn es gibt die simple, öffentliche Welt der Meisen, und es gibt die vielen versteckten und offenen Welten der Würmer und der Katzen, nebst der kleinen Einzelwelt dieser unserer einzigen und letzten Meise selber, um die es hierbei geht, die eigentlich völlig bedeutungslos ist, und sicher sind auch die Welten der Würmer und der Katzen wiederum zwei oder gleich mehrere an sich ganz unterschiedliche Welten, die sich womöglich nirgendwo berühren, noch überschneiden wollen, noch jemals decken sollen, kann man annehmen; das ist ganz grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn man die umfassende Abscheu und fundamentale Ablehnung kennt, die selbstverständlich auch zwischen Katzen und Würmern herrscht; das sind, alles in allem, mehrere strikte getrennte Welten, die sich in der Regel nirgendwo begegnen und auch nirgendwo begegnen sollen. Selbst die diversen kleinen Meisenwelten, die sog. Meisenreviere, sind ja völlig unabhängige, in sich abgeschlossene Einzelwelten, die sich nirgendwo treffen, noch jemals irgendwo überschneiden dürfen, auch nicht in freundschaftlicher Absicht, und es gibt ja unter den Meisen auch keine artfremden Kreuzungen und Durchmischungen. Blutschande! Du meine Güte! Meisensex! Das wäre ja noch schöner! Wurmmissbrauch! Himmel! Wurmvergehen! Halt! Aufhören! Wurmpornografie! Stopp jetzt! Pfui!

Darauf legt auch die Meise folglich größten Wert, wie wir jetzt erkennen, nämlich auf die fein säuberliche Einhaltung der Abgrenzung von anderen Meisen, Katzen und Würmern; sie geht sogar davon aus, dass ihr das Katzenprotektorat deswegen heimlich böse ist und nicht nur abgeneigt, nicht nur, weil es sich eigentlich gar nicht aus der bösen Welt des Wurmausschusses zurückziehen und sich ungesehen davonmachen und in seine eigene, unberührte und unbefleckte Welt verdrücken kann, sondern letztlich auch deshalb, weil das Gewürm als solches zum Leidwesen des Katzenprotektorats gewissermaßen protektoratsimmanent ist und bleibt, während allein der Meise vielleicht ein zumindest zeitweiliger Absprung vom allgemeinen Wurm- und Katzenhorror gelingt, eine elegante Umgehung, eine wohltuende Retablierung, ein Rückzug in die Etappe, zumindest in ihrer Freizeit, eine Flucht in die heilsame Privatheit einer Primatheit, sobald sie nämlich wieder einmal aus einer dieser völlig missratenen Unternehmungen ausgestiegen ist, wie wir uns jetzt gut ausdenken können, ganz abgesehen davon, dass es die Katzen selber niemals schaffen würden, sich in der Welt der Meisen jemals unbeschwert und ungefragt tummeln zu können, das versteht sich von selbst.

Das wäre ja noch schrecklicher; das wäre das endgültige Aus für die ganze Meisitüde, der definitive Schluss für das generelle Meisendasein überhaupt, das Ende aller gutgemeinten Meisenhaftigkeit schlechthin. Das wäre nichts als der sichere Tod.

Genau dies ist denn auch die heimliche Häme der Meise, dies ist ihre sorgsam verborgene Schadenfreude, die boshafte Rache für all die Ungerechtigkeiten, denen sie in Verbindung mit dem verdammten Gewürm täglich ausgesetzt ist, allerdings die einzige, aber gleichzeitig ist dies auch ihre mehr als nur heimliche Genugtuung, nämlich ihre oft ganz offen dargebrachte Befriedigung, ebenfalls ihre einzige. Das können wir jetzt auch als Außenstehende leicht nachvollziehen, denn wir verstehen: Natürlich werden die Katzen