abgemurkst - Edda Minck - E-Book

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Edda Minck

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Beschreibung

Ihr Aufenthalt im schönen Kurort Bad Camberg endet alles andere als entspannend. Dafür ist nicht nur Winnie Blaschkes Oma Berti verantwortlich, denn bei einer Schnitzeljagd durch den Wald wird eine abgehackte Hand gefunden, die bei Maggie, wie üblich, zunächst nur mäßiges Interesse weckt. Oma Berti dagegen ist entzückt und korrigiert sogleich die Fahndungsmethoden der örtlichen Polizei. Zurück in Bochum gibt es statt erholsamer Nachkur noch mehr rätselhafte Todesfälle. Als auch noch ein alter Schulfreund von Maggie tot aufgefunden wird, muss sie sich ernsthaft Sorgen machen, denn ihre Fingerabdrücke sind am Tatort.

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Seitenzahl: 478

Veröffentlichungsjahr: 2024

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In dieser Reihe bisher erschienen

3501 Thomas Ziegler Überdosis

3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein

3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod

3504 Ulli B. Entschärft

3505 Udo W. Schulz Unter Blendern

3506 Alfred Wallon Die Escort-Lady

3507 Stephan Peters Die Hexe von Gerresheim

3508 Uwe Voehl Mörderisches Klassentreffen

3509 Andreas Zwengel Mörderisches Windeck

3510 Alfred Wallon Tod am Gaswerk

3511 Ralph Sander Semper und der tote Vulkanier

3512 Edda Minck totgepflegt

3513 Edda Minck abgemurkst

3514 Edda Minck umgenietet

3515 Edda Minck ausgeträllert

3516 Edda Minck totgequatscht

abgemurkst

Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben

Maggie Abendroth

Buch 2

Edda Minck

Copyright © 2024 BLITZ-Verlag  

Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH 

Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

Covergestaltung: Helge Jepsen

Titelbild: Helge Jepsen

Lektorat: Dr. Meike Fritz

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-68984-137-9

3513 vom 19.09.2024

Inhalt

Ensemble

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Anmerkungen

Danksagung

Über die Autorin

Ensemble

Maggie Abendroth lernt die scharfen Krallen der Eifersucht kennenWinnie Blaschke liebt, leidet und knutscht fremdWilma Korff macht den falschen Job zur falschen Zeit mit dem falschen MannBerti Blaschke findet ein herrenloses KörperteilNikolaj AndrejewitschBesuchow tanzt Maggie auf den Nerven herumHerr Matti hat hinter schwedischen Gardinen den totalen DurchblickMia Hoffstiepel betrauert den Verlust ihres GattenCarmen Sawatzki feiert den Verlust ihres GattenDr. Dr. Herzig weiß sich vor lauter Provisionen nicht zu rettenSibylle Schröder-Fröse mangelt es an therapeutischer IntuitionAriadne meißelt ihre Liebe in Stein und HolzDer Rettich war Maggies Licht am Ende des TunnelsWachtmeister Walther ist ein kluger Mann und hört auf eine FrauFox Mulder bedauert das Ausbleiben von fliegenden UnterassenHerrmanns und Borowski tun für Alkohol allesRita Thiel lernt, dass Ehescheidung wirklich wehtun kannKonstantin Sattelmann riegt mal wieder den Hals nicht vollKai-Uwe Hasselbrink küsst immer noch nicht besser als im letzten BuchKajo Kostnitz setzt seine Pianisten-Karriere aufs Spiel und findet eine LeicheDie abgehackte Hand fühlt sich zu Recht unvollständigDr. Thoma, Kater wird sich immer für Sekt statt Selters entscheidenWilly, Hund hat für Radsport gar nichts übrigBad Camberg ist schöner als Maggie uns glauben machen willBochum nie mehr zweite Liga

KapitelEins

Nichts Böses ahnend, lümmelte ich am Nachmittag des 1. April in meinem privaten Flüchtlingslager, dem Haus von Kajo Kostnitz, herum. Ich lag auf der guten Couch, mit dem Rauchen von vielen Zigaretten, der Lösung von mehreren Kreuzworträtseln und der halbherzigen Anzeigen-Recherche nach einem neuen Job beschäftigt, als Winnie Blaschke, mein persönliches Polizeischlachtschiff, hereingeschneit kam und den folgenschweren Satz von sich gab: »Hör mal, Maggie, meine Oma hat doch einen Bandscheibenvorfall. Ihr Arzt hat sie überredet, ein paar Tage zur Kur zu fahren.«

»Hm«, antwortete ich geistesabwesend, denn 41 senkrecht mit fünf Buchstaben – Auch ein an ihr erblindetes Geflügel findet ein Korn – brauchte meine ganze Aufmerksamkeit. Mein Kater, Dr. Thoma, lag auf meinem Bauch und hatte bei Winnies kleiner Ansprache noch nicht einmal den Kopf gehoben.

»Ich finde, Oma braucht eine Begleitung. Ich hatte da an dich gedacht.«

Er wird nicht aufhören zu reden, bis er eine Antwort bekommt, schließlich ist er Kriminalkommissar, dachte ich und legte das Rätselheft an die Seite. »Was, Winnie? Noch mal, bitte.«

»Hallo, Maggie Abendroth. Meine Oma hat doch einen Bandscheibenvorfall, und ihr Arzt hat sie überredet, ein paar Tage zur Kur nach Bad Camberg zu fahren. Ich finde, Oma braucht eine Begleitung. Ich hatte da an dich gedacht«, leierte er seine kleine Ansprache wie ein Automat herunter. Ich war sicher, einen 1,98 Meter großen Aprilscherz vor mir zu haben und wähnte mich auf der sicheren Seite, als ich lächelte und sagte: »Natürlich, Winnie. Bad Camberg, der Nabel der Welt. Nichts, was ich lieber täte. Trinkkuren, Spaziergänge, erbauliche Rezitationsabende – ich schätze mal Kästner und Droste-Hülshoff – und ein Kurorchester aus sechs halbverhungerten Ostblockmusikern in fleckigen Anzügen spielt dazu die neuesten Hits von Zarah Leander.«

»Na dann – abgemacht. Oma wird sich freuen. Ich ruf’ sie gleich mal an. Macht ja schließlich keinen Spaß, alleine durch die ‚Hautevolaute’ von Bad Camberg zu flanieren.«

Er klappte sein Handy auf.

»Halt, halt, stopp mal, Winnie. Das war doch jetzt nicht ernst gemeint mit der Kur, oder wie?«

»Weil heute der 1. April ist?«

»Hallooo …! Ich fahr’ doch nicht zur Kur! Bin ich meschugge?«

»Ja, warum denn nicht?!«

»Weil ich nicht alt und zittrig bin. Ich habe keine Gicht und kein Rheuma.«

»Ach, sieh mal an! Weihnachten, was noch gar nicht so lange her ist, wärst du fast umgebracht worden. Du hast traumatische Situationen erlebt. Also, ich finde, du brauchst Erholung. Die Klinik ist für Psycho und Orthopädie. Und Oma zahlt. Besser geht’s doch gar nicht.« Vor Freude über das Überangebot therapeutischer Maßnahmen in Bad Camberg warf er beide Arme in die Luft. Der Kater war auch endlich wach und stemmte mir eine Pfote unters Kinn.

»Aua, fahr die Krallen ein, Dickmops.« Der Kater gähnte, drehte sich einmal um und rollte sich wieder zusammen. »Und übrigens … ich bin nicht traumatisiert!«

»Bist du wohl.«

»Und ich brauche keine Kur.«

Winnie steckte sein Handy ein und warf mit großer Geste seinen neuen, sandfarbenen Frühjahrs-Burberry auf die Couch. Dann setzte er sich mit elegantem Schwung an den Steinway Flügel, strich sich eine Strähne seines roten Haarschopfes aus dem Gesicht und schloss die Augen. Und das alles in einer einzigen, fließenden Bewegung. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er sogleich mit der Psychofolter beginnen würde. Ich tippte auf All that Jazz. Das konnte ich locker aushalten. Stundenlang. Irgendwas aus Cats wäre schlimmer.

Aber er spielte Too shy von Kajagoogoo.

»Lass das!«, kreischte ich und fuhr von der Couch hoch. Dr. Thoma fauchte und machte einen Buckel, weil es ihn fast vom Sofa katapultiert hätte.

Winnie lächelte breit, hob zwar mit großer Geste die Hände, ließ sie aber weiter drohend über den Tasten schweben – jederzeit bereit, die mir verhasste Melodie weiterzuspielen.

»Ach, wir sind also nicht traumatisiert.«

Er schaute mich mit seinem Lassie-will-uns-was-sagen-Blick an und spielte den Refrain, ohne hinzugucken, mit der linken Hand in Moll.

»Woher weißt du das mit Kajagoogoo? Das ist gemein! Ich habe dir das nicht erzählt. Und es hat mit Weihnachten gar nichts zu tun. Das hat was mit meinem Ex zu tun, und das ist privat!«

»Die Polizei hat so ihre geheimen Quellen, Frau Abendroth. Und ich habe nicht nur von einem Trauma gesprochen.«

Endlich ließ er das Klavier in Ruhe und kam zur Couch. Er setzte sich auf die dick gepolsterte Lehne, schlug die Beine anmutig übereinander und faltete seine Hände auf dem rechten Knie. Ein echter Lord-Peter-Wimsey-Auftritt. Psychofolter Teil II war schon im Anmarsch.

»Maggie, wenn ich mal was sagen darf: Du gehst seit Wochen kaum vor die Tür. Du lässt nachts das Licht brennen, weil du Angst …«

»Ich habe einmal vergessen, es auszumachen«, fuhr ich ihm dazwischen.

»Ja, und zwar an dem Tag, als du hier eingezogen bist. Das war vor über drei Monaten.«

»Sag mal, bist du jetzt bei der SoKo ‚Licht-Aus!’?«

Touché, Herr Kommissar.

Aber Winnie blieb unbeeindruckt. Winnie Blaschke ist immer unbeeindruckt, wenn ich aus der Haut fahre. Muss wohl daran liegen, dass ich ihm nur bis knapp unters Brustbein reiche.

»Du kannst seit über einem Jahr nicht mehr schreiben. He, war das nicht dein Job? Drehbücher schreiben? Lustige Drehbücher? Erzähl mir nicht, dass es dir nichts ausmacht. Und dann noch dieser Horror beim Bestatter! Du warst eine Geisel, eingesperrt, du warst in Lebensgefahr … nach so einer Geschichte hätte der Polizeipsychologe selbst mir ein paar Gespräche aufgezwungen. Aber dir soll es nichts ausmachen?«

Danke Winnie, nur noch fünf Minuten Kreuzworträtsel-Therapie, und ich hätte die Geschichte vergessen gehabt … Ich werde auf deine Argumentation nicht einsteigen! »Natürlich macht es mir was aus, kein eigenes Geld zu verdienen! Aber jeder Autor hat mal eine schwache Phase. Und was weißt du schon? Dein Job sind Kriminelle, nicht Kreative.«

»Also gut, dann will ich es mal so formulieren: Gehört zur schwachen Phase auch, bei Wilma im Salon mit zitternden Fingern in Hochglanzmagazinen herumzublättern, weil du Angst hast, ein Foto zu finden, das dein Ex gemacht hat? Und wenn du eins findest, dann reißt du die Seiten raus. Wilma ist sehr besorgt, nicht nur um ihre Heftchen, sondern auch um dich. Vor allem seit du ihr erzählt hast, dass es hier spukt. Du hast Recht, man könnte es eine schwache Phase nennen.«

»Ich habe aber keine Angst, auf Friedhöfe zu gehen.« Unlogisch, aber wahr, kommentierte meine innere Stimme.

»Aha.« Winnie schaute mich an und blinzelte kein einziges Mal.

»Aber hier spukt es wirklich, Winnie. Manchmal riecht es nach Cognac. Da, immer in der Nähe vom alten Sessel. Ich schwöre, der tote Kostnitz tapert durchs Haus.«

Man mag von Geistergeschichten halten, was man will, aber in diesem Haus sind zwei Menschen umgebracht worden. Damit ist nicht zu spaßen.

»Tja, wenn Dr. Thoma nicht plötzlich zum Cognac-Liebhaber geworden ist, wird es wohl so sein. Frau Abendroth, ich habe den Eindruck, aus deiner schwachen Phase ist längst eine Paranoia geworden.«

»Dafür, dass wir uns erst seit vier Komma fünf Monaten kennen, weißt du erstaunlich gut über mich Bescheid.«

»Ja, erstaunlich, nicht wahr?«

Was soll man dazu noch sagen? Ich nahm demonstrativ mein Rätselheft und hielt es mir vor die Nase. Kreuzworträtsel sind konkret, da gibt es nichts zu deuteln. Auch ein an ihr erblindetes Geflügel findet ein Korn, auf 41 senkrecht mit fünf Buchstaben, ist eine konkrete Frage, und wenn ich die nicht beantworten kann, schaue ich hinten im Lösungsteil nach. Kann es sein, dass Winnie Blaschke im Besitz des Lösungsteiles für meine Lebensfragen ist? Oder tut er nur so? Guckt er sich jetzt seine polierten Fingernägel an?

Also, Maggie, 41 senkrecht, das kann ja nicht so schwer sein.

Wie schafft er das? Er atmet noch nicht mal.

Ich hielt es nicht mehr aus und linste über den Rand des Rätselheftes. Als hätte er auf sein Stichwort gewartet, sagte er sofort: »Nehmen wir also an, dass es hier wirklich spukt …«

»Bist du schon mal davon wach geworden, dass du nachts eine Hand auf deiner Schulter spürst?«, kam ich ihm zuvor.

»Ich wär’ froh, wenn ich nachts eine Hand auf meiner Schulter spüren …«, murmelte er und schaute sehnsüchtig an die Decke.

»Mach dich nur lustig über mich. Zwei Morde! Da bleibt was zurück. Das ist gar nicht ungewöhnlich.«

»Mein Reden: Traumatische Situationen … Sprichst du immer noch mit deiner toten Oma?«

»Natürlich.«

»Okay.«

Winnie wippte gedankenverloren mit dem rechten Bein. Denkt er jetzt darüber nach, wie die Krankheit heißt, die Leute haben, die mit ihren toten Omas reden? Soll er doch nachdenken, bis er schwarz wird.

»Aber, wie ist es damit: Du hast die letzten beiden Folgen von Emergency Room verpasst und es noch nicht mal gemerkt!«

»Ja, das nenne ich mal einen Hinweis auf eine echte Geisteskrankheit.«

»Margret Abendroth!«

»Winfried Maria Blaschke!«

»Hör auf mich. Hör auf Wilma. Wir sind doch deine Freunde. Nimm die Gelegenheit wahr, mit meiner lebendigen Oma ein paar Tage auszuspannen. Deine Nerven liegen blank. Du musst Berti nur ein bisschen Gesellschaft leisten. Ihr versteht euch doch wunderbar.«

»Das liegt daran, dass wir uns kaum kennen.«

»Immerhin ein Anfang.«

Winnies Oma war von weitem betrachtet ein Prachtexemplar von Oma. Aber was würde geschehen, wenn sie näher käme? Ich bin von weitem auch ein Prachtexemplar … mit dem magischen Makel behaftet, immer besser zu werden, je weiter man sich von mir entfernt.

»Was hat Wilma, die Verräterin, noch alles über mich getratscht? Wilma sagt: Maggie braucht einen Therapeuten, Wilma sagt: Maggie hat ihr Leben nicht mehr im Griff, weil sie nicht mehr Emergency Room guckt«, äffte ich meine beste Freundin nach. »Die hat dir das mit Kajagoogoo und meinem Ex gesteckt, stimmt’s?«

Die Story, die zu dem Song gehörte, kannten wirklich nur Wilma, mein Ex, genannt der Knipser, ich und ungefähr 176 weitere Partygäste; und sie war eigentlich ein richtiger Lacher, näher betrachtet aber dann doch ein bisschen peinlich. Na ja, wir waren jung, es war eine wilde Party, und der Flipper war gerade frei gewesen.

»Maggie. Wilma meint es nur gut mit dir, deswegen hat sie mit mir geredet. Sie weiß nicht mehr, wie sie dir helfen soll und macht sich Sorgen. Und ich ruf’ jetzt Oma an.«

Warum, um alles in der Welt, musste Winnie immer das letzte Wort haben? Warum redet meine beste Freundin mit ihm statt mit mir, wenn sie sich Sorgen macht? Geh’ ich etwa nicht mehr ans Telefon?

Eines wussten die beiden aber Gott sei Dank noch nicht: Seit ich vor ein paar Tagen das Klavier mitten in der Nacht hatte spielen hören, schlief ich nicht mehr in meinem Zimmer in der oberen Etage. Ich schlief unten auf der guten Couch bei laufendem Fernseher. Wenn die beiden das wüssten, würden sie mich sofort einliefern lassen.

»Aber mein Apartment soll in ein paar Tagen wieder bezugsfertig sein. Ich habe keine Zeit für Urlaub«, quengelte ich.

»Wer glaubt denn noch daran? Soweit ich weiß, ist wieder irgendwas beim Schweißen in Flammen aufgegangen«, triumphierte mein Freund und Helfer und schob hinterher: »Ich hab’ den Notruf gehört, als ich zufällig in der Telefonzentrale der Hauptwache war. War ein kurzer Einsatz. Ich schätze eine klitzekleine Winzigkeit von circa zwei bis drei Monaten, dann wohnst du wieder.«

Auch das noch! Mein Vermieter mühte sich seit Januar nach Kräften, aber im Apartment ging nix voran. Mal schmorten die Kabel durch, mal hob sich das Laminat, weil wieder Feuchtigkeit eingedrungen war; mal ein Kurzschluss, mal fielen die Tapeten von der Wand. Die Handwerker gaben sich wirklich alle Mühe, um meinen Rückzug ins Souterrain zu verhindern.

Ich wollte mich noch nicht geschlagen geben und bäumte mich ein letztes Mal auf: »Und überhaupt, guck mal hier, der Garten. Wenn Kajo in Wien mit seinen Prüfungen fertig ist, kommt er her, und dann will er das Haus verkaufen und dann muss das da draußen alles tipptopp sein. Ich hab’s ihm versprochen.«

Kajo Kostnitz, der Besitzer des Hauses, studierte in Wien Klavier und Komposition. Und während er das tat, passte ich auf sein Haus auf, solange mein Souterrain noch in Schutt und Asche lag. Seine Eltern waren im letzten Winter kurz hintereinander unter tragischen Umständen gestorben. Und eben diese Umstände waren Teil meines Weihnachtstraumas, an dessen Auswirkungen ich noch immer zu knabbern hatte. Dementsprechend war die Tatsache, hier zu wohnen, die Mutter aller Konfrontationstherapien. Aber was hätte ich denn machen sollen? Ohne Job und ohne Geld war mir Kajos Angebot zuerst wie ein Geschenk des Himmels erschienen. Es hatte allerdings keine drei Nächte in dem großen alten Kasten gebraucht, um meine Fantasie Amok laufen zu lassen. Und der Amoklauf war bis dato nicht beendet.

»Du kannst doch das Wort ‚Gartenarbeit’ noch nicht mal schreiben. Wenn ich dich mit einem Rasenmäher sehe, rufe ich die Redaktion von Explosiv an«, unterbrach Winnie meine Gedanken.

Psychofolter Teil III: Winnie rutschte von der Lehne und beugte sich zu mir herüber. Ich konnte Halston riechen, mein Lieblings-Aftershave. Winnie lächelte mich an und gurrte: »Die machen da auch Anti-Raucherkurse. Mit Akupunktur.«

Ich lächelte lieb zurück und fuhr ihm extra sanft durch seinen roten Haarschopf. »Du bist ein Widerling, Blaschke. Ein schwuler, unverschämter, arroganter, manipulativer Widerling. Aber du duftest gut, deshalb lebst du noch.«

»Und ich seh’ atemberaubend gut aus.«

Ich schnappte sein rechtes Ohr, drehte daran und zog ihn noch näher zu mir. »Und was hab’ ich davon? Du bist wie das Frühstück bei Tiffany: die tollsten Sachen in der Auslage, aber zwischen mir und den Preziosen – unüberwindliches Panzerglas.«

»Aua! Was kann ich denn dafür? Ich bin doch dein Freund – dein persönlicher Walker mit Nahkampfausbildung. Ehrlich, Maggie, mal im Ernst. Oma wäre wirklich froh, wenn du mit ihr fährst. Sie lässt dir ausrichten … Aua! … du hättest mindesten vier Stunden am Tag frei.«

Winnie rieb sich das knallrote Ohr. »Weib, bist du garstig … und Einzelzimmer, wollte ich noch sagen.«

»Ach, jetzt fange ich langsam an zu verstehen. Brauchst du eine Stadt ohne Zeugen? Werde ich gerade auf dem Altar der griechisch-römischen Männergymnastik geopfert? Wann ist die Super-Schwulen-Party noch gleich?«

»Am 25. April, und ich hab’ mir extra frei genommen … um nach Köln zu fahren.«

»… und du planst, dir ein Souvenir mitzubringen?«

»Warum nicht? Mensch, Maggie, Oma braucht wirklich jemanden, der mit ihr fährt. Du bist die Idealbesetzung.«

Ja, ja, da war er wieder, dieser Augenaufschlag von Winnie. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt. Es roch nach Zahltag. Wer nimmt, muss auch geben, Maggie. Aber ich hätte gerne selbst entschieden, wann.

In meinem Kopf war plötzlich ein leises Summen. Meine vernünftige innere Stimme war zum Leben erwacht: Winnie hat dir zu Weihnachten einen Pullover geschenkt und dich zum Trost mit Engeln aus Brausepulver gefüttert. Er ist mit dir geduldig durch alle Damenoberbekleidungsläden gerannt, als die Versicherung endlich das Geld für deine zerstörte Wohnung gezahlt hatte. Und stolz wie Oskar hat er neben dir gestanden, als du deinen neuen Laptop abgeholt hast. Und er hat gar nichts gesagt, als du ihn, ohne ihn auszupacken, unter den Schrank geschoben hast. Vergiss nicht, er ist derjenige, der dafür sorgt, dass in diesem Haus der Espresso nicht ausgeht. Und jetzt, Maggie, denk an Winnies rührendste Geste!

Never ever! Dann fang ich an zu heulen. Aber wo meine innere Stimme schon mal dabei war, hatte sie keinen Grund, ihre Klappe zu halten.

Erinnerst du dich: die verbrannten Steaks am Valentinstag?, säuselte sie. Oh ja, ich erinnerte mich an den Abend. Ich war zur Feier des Tages von meiner Nudel-Einheitskost abgewichen und hatte Steaks für uns gebraten, die leider ausgesehen hatten wie Kohlestückchen. Die grünen Bohnen hatten die Bissfestigkeit von Kruppstahl. Erst hatte er tapfer ein Kohlestückchen heruntergewürgt, quietschend den grün-gräulichen Kruppstahl auf dem Teller hin und her geschoben und dann auf einmal ein kleines Paket auf den Tisch gelegt. Es waren zwölf gebrannte CDs. »Dein Hirn«, hatte er lächelnd gesagt, »alles Gute zum Valentinstag.« Und ich? Ich wäre beinahe ohnmächtig vom Stuhl gekippt. Da hatte der Kerl mein schockgefrorenes Notebook aus dem Souterrain heimlich bei irgendwelchen BKA-Computerdoktoren zur Behandlung gegeben, und die hatten es tatsächlich geschafft, meine Daten zu retten. Zig Drehbücher, Ideenskizzen, Adressen und Verträge – ich hielt nicht weniger als ungefähr 85% meines Hirns in den Händen.

Während ich noch um Fassung gerungen hatte, war Winnie in der Küche verschwunden, hatte die Kohlestückchen entsorgt und Nudelwasser aufgesetzt.

Okay, ich gebe auf, bevor meine vernünftige innere Stimme einen Schluckauf kriegt. Zahltag.

»Aber nur unter einer Bedingung, Winnie.«

»Und zwar?«

»Ich muss nix mitmachen. Keine Verpflichtungen. Keine Kurse. Kein Sport. Kein nix, außer Oma-Gouvernante.«

»Werd’s ausrichten.«

»Und du kümmerst dich um Dr. Thoma – und befolgst die goldene Regel: Kein Sheba für den Dickmops!«

Er ließ sein Handy aufschnappen, bettete zufrieden seinen Kopf auf meine Knie, ließ seine Beine über die Sofalehne baumeln – und schon wurde über mich verhandelt. Und so kam es, dass ich vom attraktivsten Bullen im ganzen Ruhrgebiet an die Kioskbesitzerin Berti Blaschke verschachert wurde.

Das Summen in meinem Kopf hatte schlagartig aufgehört und Platz gemacht für kapitale Kopfschmerzen.

Ich schlug mein Rätselheft wieder auf und schaute im Lösungsteil nach: Auch ein an ihr erblindetes Geflügel findet ein Korn.

Da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Die Lösung lautete: Liebe.

KapitelZwei

Herrn Matti Paavo Bietiniemolainnen

Justizvollzugsanstalt Bochum

Krümmede 3

44791 Bochum

Niederbachklinik,

Bad Camberg,

26. April 2002

Lieber Herr Matti,

leider kann ich Ihnen erst heute schreiben. Die Kur verläuft ganz gut. Oma Berti ist schon wieder richtig fit. Wir haben zwei sehr nette Damen kennen gelernt, mit denen sie die meiste Zeit verbringt: Carmen Sawatzki aus Recklinghausen und Mia Hoffstiepel aus Bochum-Wattenscheid. Sie sitzen im Speisesaal am Tisch nebenan. Nachdem die beiden Oma Bertis Reaktion auf das geschmacksfreie Mittagessen mitbekommen hatten, haben sie uns sofort über örtliche Gastronomie, Preise, Entfernung und kulinarische Köstlichkeiten informiert. Seitdem sind die drei Damen unzertrennlich, und mein Job als Oma Bertis Adjutantin gestaltet sich relativ entspannt.

Wie geht es Ihnen? Ihr Anwalt, Dr. Herzig, gibt sich wirklich alle Mühe, Ihren Prozess ordentlich vorzubereiten, aber Sie sollten auch bitte auf ihn hören. Machen Sie um Himmels willen, was der Mann Ihnen rät, sonst wandern Sie für die nächsten zehn Jahre ins Gefängnis. Ich finde, das dürfen Sie nicht riskieren. Oma Berti lässt Sie herzlich grüßen. Ich soll Ihnen ausrichten, dass sie ganz meiner Meinung ist. Wenn ich aus der Kur zurück bin, dann komme ich Sie besuchen, und wir sprechen noch mal über alles.

Das Wetter ist nicht besonders. Es regnet, seit wir hier angekommen sind. Das passt nicht so ganz zu dem Namen, den diese Region hier trägt: Der goldene Grund. Bis jetzt passt eher: Der grau-matschige Grund.

Alles in allem geht es uns hier sehr gut, und wir erholen uns bestens. Sie würden staunen, wie fit ich mittlerweile bin. Ich mache jeden Tag Sport. Gott sei Dank bin ich hier ja nur eine Begleiterin, denn der Kennerblick der Ärztin, die eigentlich Oma Berti untersuchen sollte, auf meine Hüften hätte mir einen Platz in der Diätgruppe gesichert. Gerade noch mal davongekommen.

Ich hoffe, Sie üben weiter fleißig Lesen und Schreiben.

Woher haben Sie überhaupt die Formulierung aus Ihrem letzten Brief?

Mit lieben Grüßen

Margret Abendroth

»Hallo, Tee?«, schnarrte eine Stimme neben mir.

»Nee, danke«, antwortete ich, ohne zu gucken, wer mir da Tee anbot. Meine Nase sagte mir, dass es sich um einen Annäherungsversuch von einem Mitglied der Allergietruppe handeln musste. Es roch nämlich nach nichts.

Als ich endlich doch aufschaute, war ich schon wieder allein. Der Regen prasselte gleichmäßig auf das Holzschindeldach des Pavillons, der ein paar Meter abseits des Kurklinikgartens für uns Raucher aufgebaut war. Hierhin hatte ich mich verzogen, um endlich den längst fälligen Brief an Herrn Matti zu schreiben. Der Arme saß, seit den fatalen Ereignissen im Bestattungsinstitut, in Untersuchungshaft. Mein schweigsamer finnischer Thanatopraktiker lernte dort Lesen und Schreiben und schickte mir, wann immer der Staatsanwalt es zuließ, nämlich genau zweimal im Monat, exzentrisch formulierte Briefe. Ich vermutete, dass er sich bei seinem jeweiligen Schreibstil von den wenigen Büchern inspirieren ließ, die die Anstaltsbibliothek für die Inhaftierten bereithielt. Mal klangen sie nach Lore-Roman, mal nach Goethe oder Last Exit to Brooklyn. Bevor ich zur Kur verschleppt worden war, hatte ich ihm durch seinen Anwalt ausrichten lassen, dass er mir bitte kein Geld mehr schicken sollte. Herr Matti ließ mir nämlich jeden Monat 500 Euro überweisen, damit ich mich über Wasser halten konnte. Durch ihn hätte ich ja erst meinen Job verloren, war seine Begründung für den monatlichen Geldsegen. Er hatte mir versichert, dass er über genügend Geldmittel verfüge und ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Im Matti-Stil sah das so aus: Seid den Beweisen der Verehrung zugänglich, die ich Euch zu liefern gedenke. Weist solche also nicht zurück. Ihr ließet mich ein Verbrechen begehen, wenn Ihr mich hindertet etc. etc. … Euer sehr ergebener Diener …Wenn die Geschichte nicht so tragisch wäre, hätte ich mich sicherlich über diese gestelzten Wortschnörkel amüsiert. Aber ich war in großer Sorge um den schweigsamen, stillen Mann, der mir Weihnachten das Leben gerettet hatte. Und in gewisser Weise tat er es immer noch, denn ohne seine monatliche Zuwendung hätten Dr. Thoma und ich in der Fußgängerzone singen müssen.

Ich klebte eine Briefmarke auf das Kuvert und schaute mich im Garten der Kurklinik um. Obwohl es regnete, war der Raucher-Gulag um diese Zeit außergewöhnlich schwach frequentiert. Alle Kurgäste waren einem strengen Zeitplan unterworfen, der sie bis halb vier auf Trab hielt. Um spätestens eine Minute nach halb vier würde es in diesem Holzunterstand zugehen wie auf einem vietnamesischen Flüchtlingsschiff. Also noch genug Zeit, um einen Brief an meine Freundin Wilma zu schreiben. Da würden jetzt alle Dinge drinstehen, die ich Matti nicht geschrieben hatte, um ihn nicht zu beunruhigen. Er fühlte sich seit der Sache im Bestattungsinstitut mehr als verantwortlich für mich und fragte seinen Anwalt jedes Mal über mein Befinden aus. Ich hatte Herzig eingebläut, ihm nur gute Nachrichten zu übermitteln, egal aus welchen Fingern er sich das saugen musste. Anstatt sich über mich und mein Seelenheil Gedanken zu machen, sollte Matti sich lieber darum kümmern, seinen Prozess so gut wie möglich über die Bühne zu bringen.

* * *

Honey Hair Salon

Wilma Korff

Viktoriastr. 16c

44789 Bochum

Niederbachklinik,

Bad Camberg,

26. April 2002

Wilma, hol mich hier raus! Du kannst Dir nicht vorstellen, wen ich hier getroffen habe! Die dicke rosa Rita! Erinnerst Du Dich? »Madame Irrsinnig“? Ehemals 98 Kilo schwer. Ich hätte niemals auf Winnie und sein Gesülze hören sollen. Hier, meine Liebe, lauert das wahre Trauma.

Nach ewig langen zweieinhalb Wochen, gefühlten zwei Jahren, möchte ich mal sagen, sterbe ich vor Langeweile. Ich kann nichts daran finden, mein Frühstück mit 300 Leuten im selben Raum einzunehmen. 300 Leute, die alle wild durcheinander reden, rennen und stinken nach allem, was die Körperpflegeindustrie im Niedrigpreissegment auf den Markt wirft: Da prügelt sich das 99-Cent-Deo »Magnolie“ mit dem Duschbad »Caribbean Nights“ für 49 Cent. Leidtragender dieser olfaktorischen Scharmützel ist der Aufschnitt auf meinem Teller. Keine Scheiblette und keine Diätsalami, egal wie teuer, kommt gegen das Apfelshampoo meiner Tischnachbarin an. Ich liebäugele mit einem Umzug in das Allergiker-Reservat, aber da wollen sie uns Allesbenutzer nicht – wegen der Allergien eben.

Um exakt 7.45 Uhr wird wenigstens das Geschnatter durch die Durchsagen der Kur-Animateure kurzfristig unterbrochen. Es werden so spannende Aktivitäten wie etwa Spaziergänge (lang, mittel oder kurz), Boule-Turniere oder Vogelstimmenführungen durch den Kurpark angeboten. Seit dem ersten Tag überlege ich, wie ich dem Frühstücksterror entgehen könnte – aber Oma Blaschke liebt es, an Tisch 37 Hof zu halten, und sie liebt es noch mehr, wenn ich alle fünf Minuten zum Buffet renne, um ihr das Gewünschte zu bringen. Nicht, dass es so schlimm um sie stünde: Die Gehbehinderte gibt sie nur im Frühstücksraum. Ansonsten flitzt sie wie ein Wiesel durch die Kurklinik. Runter oder rauf – bloß nicht den Aufzug nehmen. Als gute Adjutantin dackel ich ihr hinterher. Einer muss ja schließlich die Gehhilfe tragen.

Ihr Bandscheibenvorfall ist noch keine sechs Wochen her, aber ihr Trainings- und Fitnessprogramm würde Madonna röchelnd zu Boden schicken. Aber seien wir mal froh, dass sie sich so gut erholt – ihr Kiosk muss schließlich bald wieder das Kläppchen öffnen, sonst gibt es eine Rebellion in Bochum Ehrenfeld. Winnie hat mich letzte Woche angerufen und erzählt, dass Omas Stammkunden, Herrmanns und Borowski, jeden Tag mehrere Schweigeminuten vor dem Kiosk einlegen. Es ist immerhin seit vierzig Jahren das erste Mal, dass der Kiosk so lange geschlossen hat. Würde mich nicht wundern, wenn das ganze Viertel auf Entzug ist.

»Nein, danke, ich möchte immer noch keinen Tee.«

»Vanille-Karamell.«

Jetzt bloß nichts antworten. Einfach weiteratmen und hoffen, dass Vanille-Karamell sich wieder verzieht. Ich beugte mich noch tiefer über meinen Schreibblock und kritzelte weiter:

In den engen Gassen von Bad Camberg packt mich ständig der Trieb, mich irgendwohin wegzuducken, weil putzig windschiefes Fachwerk auf mich herabstarrt – in die Dachbalken eingebrannt so Vertrauen erweckende Jahreszahlen wie etwa 1508 oder 1613. Ich fühle mich wie eine Figur in einer Modelleisenbahn-Landschaft und frage mich ständig, wann der kleine Kevin um die Ecke kommt und mit seinen Patschefingerchen die Häuschen umkippt.

Es gibt vier Modegeschäfte. Du wärst begeistert, Wilma: drei davon zeigen den Dernier Cri vom Frühjahr 1959. Man könnte einen ganzen Heinz-Erhardt-Film damit ausstatten. »Der Haustyrann – Reloaded“. Es gibt auch eine »Boutique“ (flippige Ibiza Mode, Flatterröcke und gehäkelte Oberteile), die sich bei den weiblichen Mitgliedern der »Ballermann-Fraktion“ größter Beliebtheit erfreut. Die Damen aus Dunkeldeutschland sehen allesamt aus, als wollten sie in ihren asymmetrisch geschnittenen Röcken und ihren mit Spiegelstückchen bestickten Oberteilen geradewegs zum Strand aufbrechen.

Aus dem angrenzenden Wäldchen ertönte ein schrilles Lachen. Ich zündete mir die nächste Zigarette an und wartete ab. Und richtig, zwei Mitglieder der Ballermann-Fraktion brachen Arm in Arm, pitschnass und kichernd wie die Teenager, aus dem Unterholz. Dieses Pärchen gehörte im normalen Leben nicht zusammen. Das wusste ich definitiv, denn der Herr hatte bei seiner Ankunft vor drei Tagen unter großem Geschluchze die Gattin verabschiedet. Drei Stunden später war der nächste Schwung Frischfleisch eingetroffen, und die Gattin war schnell vergessen.

Die beiden setzten sich in die andere Ecke der Holzhütte, um ihre postkoitale Zigarette zu genießen. Wenn das die Krankenkasse wüsste!

Du wirst es nicht glauben, Wilma, aber ich habe mit dem Walking angefangen, denn: je schneller man rennen kann, desto schneller entkommt man den kreischenden Damenkränzchen und den ausgelassenen Herrenclubs, die nur darauf warten, herrenlosen (haha!) Damen irgendwelche Anzüglichkeiten hinterherzuschmunzeln, was sie unglaublich lustig finden.

Was ist unterhaltsam an behaarten Rücken im Schwimmbad und der Aufforderung zu Partnerübungen? Nichts, sage ich Dir! Nur Gymnastik mit Gorillas, die das gymnastische Duett als Aufforderung zum Grabschen verstehen. Du glaubst gar nicht, wie schnell ich mittlerweile rennen und schwimmen kann.

Aber es gibt auch die kleinen Zückerli für den Kurgast. Die Damen-Gang von Oma besteht darauf, jeden Mittwoch, Samstag und Sonntag den Berkelbacher Hof aufzusuchen, um bei den ehemaligen Raubrittern zu schlemmen. Es ist leider wirklich so lecker, dass ich nicht nein sagen kann und die 7,3 Kilometer Fußmarsch dorthin gerne auf mich nehme. Oma Bertis Freundinnen, die Damen Sawatzki und Hoffstiepel, sind ja eigentlich auf Diät. Aber so ist das hier, die Polka- und Ballermann-Fraktion trifft sich im Café Plüsch und pflegt dort ihre Laster: Rex Gildo, Whisky-Cola, Disco-Fox und Maulhelden-Sex. Hier eine kurze Kostprobe: ’Isch hän doch jesaacht dat die Oide äääms mit die Schamlippe a no singe doot …’ HarHarHar! Da lacht der Zotenkönig über den funkelnden Diamanten teutonischer Verbalerotik, den sein vernebeltes Hirn spontan gebar – und sein Hofstaat im Promille-Nirwana applaudiert dazu. Und noch mal Chachacha und große Promenade, bis die Socken qualmen. Bis exakt 22.28 Uhr dröhnen sie sich mit allem voll, was breit macht. Dann springen alle auf – wenn sie das noch können – und torkeln die zwei Meter über die Straße zur Kurklinik. Im Eingangsbereich bemüht man sich dann allgemein um Haltung. Wer nicht mehr stehen kann, wird von seinen Saufkumpanen gestützt. Bis 22.30 Uhr muss der Pulk an der Nachtschwester vorbei sein. Kaum haben sich die Aufzugstüren geschlossen, holen die ersten schon wieder ihre Flachmänner aus der Tasche, und dann wird auf den Zimmern weitergepichelt. Ich habe im Abfallsammler der Putzkolonne schon mehr als einmal die Reste einer Mariacron-Orgie gesehen.

Die Diäter dagegen rotten sich im Berkelbacher Hof zusammen und verklappen, sowohl der geschmacksfreien Dampfkost als auch der Ballermann-Fraktion entronnen, Rinderbraten mit Klößen, radkappengroße Schnitzel »Wiener Art“ und Bratkartoffeln mit Speck und Frikadellenbeilage. Du könntest anmerken, dass der Fresstempel ja nur an drei Tagen in der Woche geöffnet hat, aber die ewig Hungrigen haben sofortige Abhilfe recherchiert. An der Hauptstraße gibt es im Klosterkeller als Interimslösung Spundekäs (das ist Schmalz pur) auf Brot und leckeren Rotwein, Marke Trollinger. Vor den Diätern ist keine auf dem freien Markt verfügbare Kalorie sicher. Pfarrer Kneipp, der hier an jeder Ecke und Kante verehrt wird, würde sich im Grabe umdrehen!

Seit wir hier angekommen sind, regnet es Bindfäden. Wenn ich noch einmal auf einen Therapiespaziergang durch den Taunus gejagt werde, um nach zweieinhalb Stunden Wandern pudelnass vor den Becken einer Forellenzucht Interesse zu heucheln, brauche ich wirklich einen Arzt. Als ob nicht jeder wüsste, wie eine Forelle aussieht und das dazugehörige Forellenzuchtbecken. Wie man sich fühlt, wenn man bis auf die Knochen nass ist, kann ich jetzt ganz genau beschreiben: Alles ist nass, sehr nass.

Die Turteltauben gingen mir mit ihrem Gekicher und Geknutsche langsam auf die Nerven. Endlich holte der Kerl seine Hand aus der Bluse der Dame, und die beiden trollten sich. Ich wollte wirklich und wahrhaftig nicht Zeuge dieses Dialoges werden, der trotzdem mein Ohr streifte: »Ich rubbel dich ab. Überall. So lange du willst …«

Wilma, hier gehen Dinge vor sich, das glaubst Du nicht. Ich brauche dringend einen Espresso, bevor es zu spät ist.

Und da dräut schon die nächste Katastrophe. Der Orthopäde ist im Anmarsch.

Der wirre graue Haarschopf des Orthopäden Doktor Müller schob sich in mein Blickfeld. Er beugte sich über die hölzerne Balustrade in den Pavillon hinein und starrte auf meine Turnschuhe. Ich starrte irritiert zurück und sagte: »Ja, Herr Müller? Kann ich Ihnen helfen?«

Müller riss sich vom Anblick meiner Turnschuhe los und schnulzte: »Mädchen, an Ihren Füßen ist aus orthopädischer Sicht nichts auszusetzen, schätze, Sie gehören zu den Psychos?«

Ich bewunderte insgeheim Müllers Fähigkeit, durch Schuhe zu gucken und in einem einzigen Satz sowohl ein Kompliment als auch eine Beleidigung loszuwerden. Tapfer ignorierte ich auch seinen nächsten Satz: »Weiter so mit Ihrem Training, dann ist auch bald in Ihrem Kopf alles besser.« Zufrieden marschierte er mit wehendem weißem Kittel in Richtung Cafeteria.

Nur noch bis Sonntag, Maggie, nur noch bis Sonntag musst du das hier aushalten.

Der Fußfetischist ist weg. Und jetzt zur Psychofraktion. Unsere Maltherapeutin, Frau Schröder-Fröse, sieht übrigens aus wie eine Forelle. Irgendwie fischig mit ihren wässrigen grauen Augen und ihrem zuppeligen, fransigen Blondhaar. Ich weiß gar nicht, was unser Musiktherapeut Herr Clauss, genannt Mister Pling, eigentlich von der will. Die steht doch gar nicht auf Männer. Jede Wette! Sogar unser hartnäckigster Dampfplauderer hat bei ihr das Handtuch, rsp. den Pinsel geworfen und geht stattdessen aufs Laufband. Jetzt ist nur noch eine männliche Heulsuse übrig, und die quält sie besonders gerne.

Mister Pling dagegen liebt die Frauen und macht bei seinen Charme-Attacken keine Unterschiede – er versprüht seinen Sexappeal nach dem Gießkannen-Prinzip, und wenn man sich nicht schnell genug wegduckt, ist man für den Rest des Tages kontaminiert. Und seine Pfoten kann er auch nicht bei sich behalten. Man munkelt, er habe vier bis sechzehn uneheliche Kinder über die Republik verteilt. Heute Morgen trug er übrigens ein »Metallica“ - T-Shirt. Wie jeden Tag. Für jeden Tag der Woche hat er ein anderes. Musiktherapeut, dass ich nicht lache – wohl eher Roadie einer unbedeutenden Heavy Metal Band. Er sieht immer so aus, als hätte er gerade seinen Tour-Bus verpasst. Ganz im Gegensatz zur Forelle, die in jeden verzitterten Pinselstrich frühkindliche Traumata hineingeheimnist, therapiert Mister Pling rein gar nichts. Wir dürfen bei ihm einfach plingeln und schingeln, Hauptsache heavy.

Das Abschiedsritual der Forellentherapiestunde kommt direkt aus dem Handbuch für Esoterikschaffende: Wir müssen uns alle am Ende der Stunde an den Händen fassen und einen Kreis bilden. Als wenn das noch nicht peinlich genug wäre, sollen wir auch noch ein helles, warmes Licht über unseren Köpfen visualisieren. Das Einzige, was ich visualisiere, ist das Datum unserer Abreise.

Nur noch zwei Tage und ein paar Stunden Knechtschaft zwischen Oma Bertis Damenkränzchen, dem Therapiegesäusel der Forelle und dem Crescendo des Mister Pling – dann bin ich erlöst.

Und im Übrigen, Wilma, wird man hier behandelt wie eine Entmündigte. Vorgestern Abend hat mich eine Masseurin (Kugelstoßkader UDSSR – Olympiade Anno ’ 72 in München) aus dem Schwimmbad kommen sehen und mich im Kasernenhofton darüber informiert, dass Brustschwimmen absolut kontraindiziert bei Bandscheibenvorfall sei. Ich habe mich zu einem »Frau General, melde gehorsam, aber ich habe gar keinen Bandscheibenvorfall« hinreißen lassen, woraufhin ich ein »Verdammte therapieresistente Psychos!« kassierte.

Aber ich will mich mal nicht beschweren: Drei warme Mahlzeiten am Tag, das Zimmer wird gemacht, und Gratis-Tee bis zum Abwinken gibt’s oben drauf. Selters muss man bezahlen, obwohl die Quelle um die Ecke ist.

Ich muss mich beeilen, Oma Berti und ich nehmen gleich am Seminar für progressive Muskelentspannung teil – beim allseits beweihräucherten Prof. Casapietra. Mal sehen, wann ich so entspannt bin, dass meine Faust von ganz allein in sein Gesicht fliegt. Das einzig Attraktive an dem Mann ist sein Ferrari. Sein Teint ist nicht echt, sein Grinsen auch nicht. An den meisten Tagen wirkt er wie ein Dauertester für Prozac und Piz Buin.

Maggie fährt zur Kur – toller Plan. Danke, Wilma. Ich fände jetzt selbst eine »Popstars“-Castingtour mit 5000 bekloppten Teenies entspannender.

Grüße aus dem Raucher-Gulag.

Maggie

Als ich von meinem Schreibblock aufblickte, sah ich, dass Gerhard Muhler, Patient der Psychosomatik, Doktor der Geologie, Ufo-Forscher und Tunguska-Experte, mit einem breiten Grinsen im fleckigen Gesicht auf mich zumarschierte. Wo sind Oma Blaschke und ihr Damenkränzchen, wenn ich sie brauche?

Dr. Muhler, der mich vom ersten Tag an mit Geschichten vollgetextet hat, die sich die Drehbuchschreiber von Akte X nicht besser hätten ausdenken können, war von mir sofort auf den Namen »Fox Mulder“ getauft worden. Das war zwar nicht besonders fantasievoll, aber bei dem Nachnamen und den Hobbys? Mein Pech war, dass er in mir offensichtlich eine würdige Scully gefunden zu haben glaubte. Vor allem, seit Oma Berti, in bester Absicht, den Mann schnell zu vertreiben, rumposaunt hatte, ich sei Bestatterin. Diverse Turbo-Nervtüten hatte es in der Tat davon abgehalten, uns auf die Pelle zu rücken. Aber einen Fox Mulder, der keine Gelegenheit ausließ, jedem seine Gegenwart aufzudrängen? Träum weiter. Noch ein frommer Wunsch, der leider nicht in Erfüllung ging.

Er ließ sich mit seinen kugelrunden 1,65 Metern auf einen wackeligen Plastikstuhl fallen, der dem Drang, zusammenzubrechen, knapp widerstand. Seine teigigen Wangen glänzten von einer übel riechenden Salbe gegen Ekzeme. Er hatte rote Hektikflecken im Gesicht, die er zu einer unheilbaren Krankheit hochstilisierte, welche er sich bei seinen Forschungen in Tunguska – »Sibirien! Verstehen Sie, Sibirien!« – eingefangen hatte. Bis dahin hatte ich nicht einmal geahnt, dass auf der Welt ein Fleckchen Erde dieses Namens existierte. Aber nach fast drei Wochen mit Gerhard Muhler war ich eines Besseren belehrt worden: Dieses Fleckchen Erde wird über den Fortbestand der Menschheit entscheiden.

»Interstellare Strahlenüberdosis«, raunte er jedem zu, der nicht schnell genug weglaufen konnte. Warum hatte ich bloß meinen ZX-BlahBlah-Eliminator im Zimmer liegen gelassen? Ich hätte sein Geschwafel damit in grünen Dampf aufgehen lassen können.

Fox schien es nichts auszumachen, dass ich bei seinem Eintreffen sofort in die Höhe schoss und mein Schreibzeug zusammenraffte, um die Flucht zu ergreifen. Wie sich vom ersten Tag an gezeigt hatte, verbanden sich Fox Mulders interstellare Logorrhoe und sein absolutes Desinteresse gegenüber den Lebensäußerungen seiner Kommunikationspartner zu einem nervtötenden Gesamtkunstwerk. Sogar Prof. Casapietra hatte ich in seiner Gegenwart schon ganz unentspannt werden sehen. Kein Wunder, dass Fox’ Frau kürzlich das Weite gesucht hatte. 25 Jahre lang Verschwörungstheorien zum Meteoriteneinschlag in Tunguska, zu Ufo-Landeplätzen und der Wahrheit über Roswell hatten ganz sicher ihre Spuren bei der bedauernswerten Frau hinterlassen. Der Ufo-Forscher allerdings verfolgte seine eigene Theorie: Seine Frau sei von Aliens entführt und »umgedreht“ worden – aus Rache, weil er den Geheimnissen der Außerirdischen bei seinen Forschungen in einem großen, großen, hundert Jahre alten Loch in Russland zu nahe gekommen war. Das hatte er ernsthaft zum Besten gegeben, bevor ihn die Forelle ohne einen Funken von Empathie aus der Malgruppe komplimentiert hatte.

»Na, Neuigkeiten von der Klingonen-Front, Herr Muhler?«, sagte ich, ohne ihn anzusehen, und wollte so schnell wie möglich an ihm vorbei.

»Maggie, schön, dass wir uns hier treffen. Ich habe auf den Listen gesehen, dass du dich für die Schnitzeljagd morgen bei der Diätgruppe eingetragen hast. Und da wollte ich …«

Ohjemineh! Das alljährliche Feuerwehrfest, das Grand Finale unseres Kuraufenthaltes. Oma Berti und ihre Gang fieberten seit Tagen dem Samstag entgegen, an dem Berti als Anführerin der Diätgruppe ihr Team bei der Schnitzeljagd zum Sieg führen wollte. Nicht, dass Berti Blaschke auf Diät wäre, aber sie hatte sich strikt geweigert, bei den »Krücken“ mitzulaufen, und Mia und Carmen hatten den Rest der Diäter davon überzeugt, dass der Sieg und das damit verbundene Gratis-Schnitzel nur unter der Führung von Berti Blaschke errungen werden konnte. Denn darum sollte es schließlich gehen: Eine Schatzkiste, versteckt in den Weiten des Goldenen Grundes, musste gefunden werden. Darin würde sich ein Gutschein für das Gewinnerteam befinden, und zwar für eine Schnitzelsause im Berkelbacher Hof. Mehr Motivation brauchte die Diätgruppe nicht, um Lethargie, Motivationsdefizite und Gehhilfen von sich zu werfen wie weiland die Lahmen im Angesicht der Madonna von Lourdes. Dass ich als Adjutantin von Oma Berti natürlich mit dabei sein musste, verstand sich von selbst. Wie hatte ich glauben können, dass Fox meinen Namen ausgerechnet auf dieser Liste nicht suchen würde?

»Ja, und? Möchten Sie mich für Ihr Neurosen-Team abwerben?«

»Also, warum eigentlich nicht? Du Maggie, bei den Diätern, bei deiner Prachtfigur.« Fox saugte gierig an seiner Zigarette. Seine Augen huschten nervös hin und her, als erwarte er jeden Augenblick hier, mitten im Klinikgarten, die Landung einer fliegenden Untertasse. Er klopfte einladend auf den nassen Plastikstuhl neben sich.

»Tut mir Leid, ich muss zur nächsten Anwendung.«

»Ja, ja, ich auch. Man ist ja hier nur im Stress.«

Was du nicht sagst, du interstellarer Superspinner! Ich drückte gerade meine Zigarette im überquellenden Aschenbecher aus, da kam Rita Thiel, geschiedene Brahms, ins Blickfeld gehuscht.

Nicht, dass ich nicht schon genug unter Langeweile, Therapiegefasel und unappetitlichen Frühstücks-Gesprächen, den Verdauungstrakt, speziell Flatulenzen betreffend, zu leiden hatte. Nein, auch Rita Thiel musste sich ausgerechnet hier in Bad Camberg materialisieren. Hatte ein Ufo sie vielleicht gebracht?

Gerade mal einen Tag nach unserer Ankunft in der Klinik war ich ihr auf dem Gang zur Bastelwerkstatt in die Arme gelaufen. Zunächst hatte ich sie gar nicht erkannt, denn ihr Spitzname im Gymnasium war ebenso treffend wie beleidigend »dicke rosa Rita“ gewesen. Geschlagene drei Minuten hatte ich gebraucht, um zu begreifen, wer da aus längst vergessenen Schultagen vor mir stand, denn diese Frau war weder dick noch rosa. Sie war schlank und dunkelgrün und sah sehr apart aus, bis auf die dunklen Ringe um ihre Augen. Während ich noch sprachlos glotzte, hatte sie auch schon losgeplappert wie ein Maschinengewehr: über ihre Scheidung, ihre Depression, wie sehr sie sich freue, mich hier zu treffen, und ob ich denn auch … blah … blah … blah … Prompt stand ich wieder auf dem Schulhof. Es roch im Gang nicht mehr nach Schwimmbad, es roch ganz plötzlich nach indischen Gewürzzigaretten und in Patchouli-Parfum getränkten Palästinensertüchern.

Um Ritas privaten Geständnissen zu entkommen, hatte ich »Atemtherapie!« zwischen ihr Stakkato gebellt und war geflohen.

Seit dem zickzackte ich durch die Gänge der Kurklinik wie ein Wiesel, immer auf der Hut vor der grünen Rita und Fox Mulder.

Aber Rita war wie Tinkerbell: sie materialisierte sich am Salatbuffet zwischen geraspelten Rüben und roter Bete; in der Bibliothek steckte sie so gut wie hinter jedem Buchrücken; während der Wassergymnastik schoss sie plötzlich vor mir aus dem Wasser, und selbst während der morgendlichen Atemübungen schaffte sie es, mich in der letzten Ecke der Turnhalle aufzuspüren. Und ganz egal, ob ich schnarchte, kaute oder mich mit jemand anderem unterhielt, sie plapperte jedes Mal wild drauf los. So war es die ganzen Jahre auf dem Gymnasium auch schon gewesen. Wie durch ein Wunder dematerialisierte sie sich nach der Abiturfeier, ohne auch nur einmal Tschüss zu sagen. Das Schicksal musste mich erst nach Bad Camberg verschlagen, um mich wissen zu lassen, wie toll die letzten zwanzig Jahre ohne sie gewesen waren.

Jetzt hatte sie aus der Tasche ihrer dunkelgrünen Regenjacke ihre schlanken Damenzigaretten genestelt und wisperte: »… ab nächste Woche schaffe ich das. Ich hör’ auf … nicht wahr, ha ha, Dr. Muhler? Das schaffen wir …«, dann zündete sie hastig die Zigarette an, inhalierte tief und strahlte uns an. Fox nahm das als Aufforderung zu bleiben und steckte sich auch eine an.

»Hach, hör mal Maggie, hab’ ich dir schon erzählt, dass der Konny Sattelmann mich bei der Scheidung vertritt? Ist das nicht ein irrsinniger Zufall?« Sie nahm ihre vertraute Rita-raucht-Pose ein: rechte Hand hält krampfhaft den Ellenbogen des linken Armes fest, Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand geklemmt, der Filter fast zerquetscht.

»Hast du, Rita, schon mehrfach, irrsinnig oft, würde ich sagen.«

»Der konnte dich doch so gut leiden. Weißt du noch? Seid ihr nicht sogar mal zusammen gegangen? In der Zwölften oder so?«

Jetzt fing sie an, mit ihrem langen, blass-rosé lackierten Daumennagel Riefen in den Zigarettenfilter zu drücken.

»Nein, nie. Ich konnte den nämlich noch nie leiden. Der war Stones-Fan.«

Ich sah aus dem Augenwinkel, dass sich Fox Mulders Kopf wie bei einem Tennismatch zwischen uns beiden hin und her drehte.

»Ja, ja, ich erinnere mich, die Abende im Partykeller von Kai-Uwe Hasselbrink«, seufzte sie, schaute in den grauen, regenverhangenen Himmel, inhalierte tief und fing tatsächlich an, Jennifer Juniper von Donovan zu summen.

»Is’ was, Rita? Wenn du alte Platten hören willst, geh ins Café Madrid. Kai-Uwe hat alles zu dem Thema.«

»Ach nee, ich dachte nur so. Kai-Uwe und du …«

»Was, Kai-Uwe und ich? Man kann mir alles vorwerfen, aber schlechter Geschmack ist nicht dabei. Hattest du nicht eben Sattelmann und ich gesagt? Wer denn noch alles?«

»Ihr kennt euch schon von der Schule?«, versuchte Fox sich ins Gespräch einzubringen. Aber Rita wechselte abrupt Gesichtsausdruck und Thema: »Geht ihr auch zur progressiven Muskelentspannung?«, fragte sie übertrieben munter.

Das war das Irritierendste an Rita – abgesehen von der Konsequenz ihrer monochromen Farbauswahl und des inflationären Gebrauchs des Wörtchens ‚irrsinnig’ – wenn man sich gerade auf ein Thema eingegrooved hatte, machte es Schnipp! – und Rita war schon wieder ganz woanders. Für einen Neuling im Rita-Universum konnte so eine Konversation im Schleudertrauma enden. Ich fragte mich, ob Fox und Rita wohl jemals zueinander finden würden. Irgendwie schienen sie mir füreinander bestimmt. Keiner der beiden würde jemals merken, dass sie ständig aneinander vorbeiredeten.

»Ja, Rita, ich geh’ da hin, und zwar jetzt!«

Ich schlug die Kapuze meines Regencapes hoch, schob mein Schreibpapier unter den Umhang und nahm Anlauf, den Raucher-Gulag so schnell wie möglich zu verlassen.

»Ach, Muskel …dings ist jetzt?«, schleimte Fox, »da wollte ich immer schon mal hin. Dafür lass ich die Kneippgüsse sausen. Es regnet ja sowieso.« Fox lachte meckernd über seinen Killerjoke, und schon hatte ich ihn wieder an den Hacken.

»Mensch, Maggie, dass du das immer so irrsinnig eilig hast«, rief Rita und rannte hinter uns her.

Ein paar Minuten später platzierte ich Oma Berti im großen Seminarraum in der ersten Reihe und hatte eine geniale Idee: Gerade wollten sich Fox und Rita neben mich setzen, da verspürte ich einen unwiderstehlichen Drang nach Kneippschen Wassergüssen.

»Wissen Sie was, Herr Muhler, wenn Sie die Kneippgüsse ausfallen lassen, geh’ ich da mal hin. Danke, dass Sie mir Ihren Termin überlassen.«

»Seit wann stehs du auf kaltet Wasser, Schätzken?«, torpedierte Oma Berti meinen Fluchtversuch, aber ein scharfer Blick von mir auf den Ufo-Forscher und Rita ließ sie verstummen, und ich durfte mich davon machen.

In der Tür prallte ich mit Prof. Casapietra, dem Klinikchef, zusammen. »Na, na, na … Sie wollen doch nicht etwa flüchten, Frau Abendroth?«

»Doch, Herr Professor. Kann ich für zwei Stunden Ihren Ferrari haben?«

Sein öliges Lachen perlte an meinem Regencape ab. Ich schob mich an ihm vorbei und rannte, so schnell ich konnte. Bis sich die Tür vom Seminarraum endlich geschlossen hatte, verfolgte mich seine sonore Stimme den Gang hinunter: »Was ist progressive Muskelentspannung? Meine lieben Kurgäste, Stress ist zu einer Geißel der modernen Welt geworden, aber wir können trotz der Belastungen des Alltags mit wenigen und einfachsten Mitteln in kurzer Zeit viel Gutes für uns tun …«

Oh ja, Herr Professor! – und wie wir das können! Ich bringe jetzt die Post weg und verbringe den Rest meiner gestohlenen eineinhalb Stunden Freizeit ganz alleine, trinke so viel Espresso und rauche so viele Zigaretten, bis mein Herzmuskel eine Hauptrolle bei Emergency Room kriegt. Splendid solitude ist ja so einfach, so progressiv und so entspannend.

KapitelDrei

Mein Asyl, das Café Amthof, war leer, weil alle Kurgäste außer mir andächtig Prof. Casapietras Heilsversprechungen lauschten. Seine Seminare waren der reinste Straßenfeger. Alle Damen, egal welchen Alters, vergötterten den Klinikchef. Und während ihre Augen selig entspannt geschlossen waren, dachten sie heimlich weiß Gott was, das man mit diesem Kerl alles anstellen könnte: Flucht im roten Ferrari, Sonnenuntergang, Traumschiff … So mancher Damenbrust entrang sich ein sehnsüchtiger Seufzer, der garantiert nichts mit progressiver Muskelentspannung zu tun hatte. In seiner Gegenwart verblasste die Erinnerung an Dr. Brinkmann und die Schwarzwaldklinik schneller als Harry Potters Zaubertinte auf altem Pergament. Denn der Mann hatte einen entscheidenden Vorteil – er war hier, und er war echt.

Meines Erachtens gehörte der Typ ins Fernsehen – oder war er vielleicht aus dem Fernsehen? Ein entlaufener B-Schauspieler, der hier den Klinikchef mimte? Kein schlechter Plot für eine Komödie. Ich sollte bei Gelegenheit mal darüber nachdenken.

Der letzte Tisch am großen Panoramafenster mit Blick in den mittelalterlichen Innenhof bot mir die perfekte Deckung, denn ich war nicht darauf aus, doch noch irgendeinem versprengten Kurgast zu begegnen, der wild auf eine Unterhaltung war. Und das waren alle. Durch die Bank. Bei Antritt der Kur erhielt hier jeder mit dem Zimmerschlüssel und seinem Therapie-Stundenplan so eine Art unsichtbaren Freibrief zum Bequatschen und Zutexten wildfremder Menschen mit der Lizenz zum Duzen. Alles schon in der Kurtaxe mit drin.

Egal, wo man sich gerade befand, wurden zu den Worten auch gleich die Narben hergezeigt: Hemden wurden hochgehoben oder Hosenbeine aufgerollt, um die Klagen über Ärztepfusch oder schlagende Ehemänner mit handfesten Beweisen zu untermauern.

Waren Narben und Holzbeine ausreichend beklatscht worden, wartete die Bande sabbernd vor Glück auf die nächste Horrorgeschichte. Es musste wenigstens eine gelungene Ehekrise sein, in der eine ordentliche Prügelei, zerschlagener Hausrat und ein ertränktes Haustier vorkamen.

Der Wucht dieser Lebensbeichten, die mir überall unvermittelt wie Schrapnelle um die Ohren flogen, galt es, geschickt auszuweichen, vor allem weil gegen all diese Schicksale die Zusammenfassung meiner letzten zwei Jahre wie Ferien auf Saltkrokan klang.

Ich war nur eine sitzengelassene Medienfuzzi-Liesel, Abteilung Drehbuch/Comedy, die mit einer Schreibblockade und so gut wie mittellos in ihrer alten Heimat Bochum festsaß, weil sie in Köln ihr Gesicht verloren hatte. Meinen Aushilfsjob als Sekretärin in einem Bestattungsinstitut hatte ich nur mit knapper Not überlebt – Weihnachten hatte ich vier Stunden mit zwei Leichen im Bestattungskühlhaus verbracht und war beinahe selbst die dritte Leiche geworden. Zum Ausgleich hatte das Schicksal mir einen schwulen Kommissar, einen dicken Kater, einen inhaftierten finnischen Thanatopraktiker, einen abwesenden Klaviervirtuosen und ein Haus mit Garten in mein Leben gespült … so what?!

Gegen zwanzig Jahre vom eigenen Mann verprügelt, seit sechs Jahren nach einem Treppensturz gelähmt und schizophrene Schwiegermütter, die in Zungen redeten, konnte ich mit meinem Curriculum vitae nicht anstinken. Das, was mein lieber Freund Winnie ‚ein Trauma’ nennt, reicht hier gerade mal für ein müdes Achselzucken; dafür wird einem hier noch nicht mal aufmunternd die Schulter getätschelt. Und mich damit unserer Maltherapeutin, der fischigen Schröder-Fröse, auszuliefern, dicke schwarze Balken auf DIN A1 zu schmieren und vor versammelter Mannschaft den emotional geblähten Luftballon platzen zu lassen, nur um dann ein schlappes, halb geflüstertes »Ja, das tut weh, Frau Abendroth« von ihr einzufahren … Also, nee …

Gleich in der ersten Stunde hätte ich meinem Impuls nachgeben und ihr meinen Pinsel zum Auswaschen in den Rachen schieben sollen. Da hatte es Carmen Sawatzki erwischt, die so unvorsichtig gewesen war, über die mit ihrem Bauunternehmer verschwendete Lebenszeit zu weinen.

Nur noch ein paar Tage, Maggie, dann bist du wieder in Bochum, redete ich mir gut zu. Dann kümmerst du dich um dein Apartment und hilfst Kajo, das Haus zu verkaufen. Und du suchst dir einen neuen Job. Diesmal etwas harmloses, vielleicht Burger braten bei MacDonalds oder telefonieren im Call Center. Hauptsache keine Leichen mehr.

Ich schaute auf die Uhr über der Kuchentheke. Noch eine halbe Stunde Freizeit, bevor ich mich wieder ins hessische Guantanamo Bay zurückbegeben musste. Ich bestellte noch einen Espresso und sah, wie ein paar schlecht gekleidete Musiker mit ihren Instrumenten am Café vorbei in Richtung Kurpark zogen. Bad Camberg hatte doch tatsächlich eine kleine, muschelförmige Bühne. Ts! Und ich hatte gedacht, das gibt es nur im Film.

Winnie, warte nur, bis ich nach Hause komme. Von wegen traumatisiert und ich brauche eine Auszeit! So viel gegruselt wie hier habe ich mich im Hause der Familie Kostnitz die ganzen letzten vier Monate nicht.

Ich trank meinen Kaffee aus, bezahlte, ging über den gepflasterten Innenhof des Cafés und warf meine Post bei der Kurverwaltung in den Briefkasten. Es hatte endlich aufgehört zu regnen, und ein paar Sonnenstrahlen ließen das nasse Kopfsteinpflaster glänzen. Ich überlegte, ob ich mich bis zum Abendessen auf meine Laufstrecke verziehen sollte, die an einem im Wald versteckten Hochsitz vorbeiführte, auf dem es sich prima abhängen und rauchen ließ, ohne entdeckt zu werden. Ich kam nicht dazu, einen Entschluss zu fassen. Irgendwie klangen die Wasserspiele im Kurpark heute anders. Das Kurorchester spielte nicht. Stattdessen hörte ich ein paar aufgeregte Männerstimmen und beschloss spontan, am Brunnen mal nach dem Rechten zu sehen. Da in diesem Kaff ja nie irgendwas Spektakuläres passierte, war man für jedes Ereignis dankbar.

Der Brunnen im Kurpark war mehr oder weniger eine ungefähr zwanzig Meter lange, terrassenartig angelegte Wasserautobahn. Im unteren Becken angekommen, quoll das Wasser über kanonenkugelgroße Steine, die sich in die Quadratur der Restarchitektur nicht so recht einfügen wollten. Die Ränder dieser gluckernden Tristesse waren mit den unvermeidlichen Stiefmütterchen bepflanzt.

Der Anblick, der sich mir heute bot, war allerdings spektakulär: Der Brunnen schäumte auf ganzer Länge, und zwar meterhoch. Aufgebrachte Einheimische und die Musikertruppe standen um den Brunnen herum, und ein paar Feuerwehrleute packten gerade ratlos ihre Schläuche wieder ein. Der Dorfpolizist, Wachtmeister Walther, allgemein bekannt als Onkel Walla, sagte gerade zu einem der Feuerwehrleute: »Das waren diese Punker, wer denn sonst.« Dabei sprach er das Wort Punker mit U aus.

Ja, in Bad Camberg gab es auch Punks. Drei, um genau zu sein. Ich hatte sie schon ein paar Mal im Kurpark gesehen, wo sie sich im Schatten eines halb zerfallenen Pavillons einen Joint durchgezogen hatten. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass sich diese drei lethargischen Gestalten dazu durchgerungen haben sollen, unten im Dorf eine Flasche Spüli zu kaufen, rsp. zu klauen, diese bis zum Kurpark hochzuschleppen und in den Brunnen zu kippen. So, wie die drei aussahen, war es wahrscheinlicher, dass sie schon auf halber Strecke vergessen hatten, was eigentlich ihr Plan gewesen war.

Ich ging an der Menschentraube vorbei und nahm die Abkürzung durchs Gebüsch zu Kurklinik. Oma Berti würde sich über den Dorfklatsch freuen. Progressive Muskelentspannung musste jeden Moment vorbei sein, da konnte sie was zu lachen gebrauchen.

Gerade wollte ich an der Rezeption vorbei zum Untergeschoss gehen, als mich die nette Empfangsdame aufhielt und mir in breitestem Dialekt mitteilte, dass ich einen Anruf bekommen hätte. Schon wieder eine Überraschung! Wenn es zum Abendbrot endlich mal Spaghetti Carbonara statt ungesalzenem Dampfgemüse geben würde, wäre die Sensation komplett. Die Rezeptionistin setzte umständlich ihre Lesebrille auf und überreichte mir einen handgeschriebenen Zettel mit einer Telefonnummer − einer Kölner Nummer. Der einzige Mensch, der mir unter dem Stichwort Köln einfiel, war mein Ex, der Knipser. Ich hatte vor Schreck gar nicht mitbekommen, was die Dame sagte.

»Was? Entschuldigung, ich habe gerade nicht zugehört.«

»Reidmann hat der g’heisse«, singsangte sie.

Ich kenne keinen Reidmann. Gott sei Dank, eine Verwechslung.

»Er hat saacht, dass es wischtisch wär. Se solle schnell zurückrufe.«

Plötzlich fiel der Groschen.

»Reitmeier«, rief ich erleichtert aus, »Rasmus Reitmeier!«

»Jo, so hat der g’heisse.«

»Der Rettich!«

»Nee, Reddisch … so hat der net g’heisse. Reitmeier, des wars.«

»Ja, ja … Danke.«

»Isses e gude Nachrischt?«

»Ich glaub’ schon. Darf ich mal telefonieren?«

»Hier«, sie zeigte auf ein altmodisches grünes Telefon mit Wählscheibe und Einheitenzählwerk. Dann setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch, um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, sie würde lauschen wollen.

Oma Berti musste leider noch ein paar Minuten auf mich warten. Rasmus Reitmeier, der Rasmus Reitmeier, in der Branche wegen seiner langen weißen Haare Rettich genannt, hatte mich angerufen! Mich! Kölns bekanntester Produzent für Film und Fernsehen hatte mich, mich, mich angerufen.

Ich wählte die Nummer, hatte aber nur seine Sekretärin am Telefon, die mir nicht sagen konnte, worum es ging. Der Rettich sei seit Tagen in Italien, aber sie werde ihm sagen, dass ich angerufen habe. Ich hinterließ meine Durchwahl und dass ich am besten nach 22 Uhr wieder erreichbar sei. Ein Zwei-Euro-Stück schob ich im Weggehen über den Tresen. Gerade drehte ich mich um, da kam schon Oma Berti mit ihren beiden Freundinnen Mia und Carmen die Treppe herauf. Oma schwang ihren Stock in meine Richtung. »Im Kurpark is die Hölle los, wat stehsse noch da rum, Maggie?«

Mia und Carmen drohten mir feixend mit dem Zeigefinger.

»Ich kann euch beruhigen, da haben nur die Dorfpunks Spüli in den Brunnen geschüttet. Die Feuerwehr muss jetzt den Brunnen leer schaufeln, und die Stiefmütterchen sind platt. Mehr ist da nicht.«

»Hört euch dat an. Endlich passiert hier überhaupt mal irgendwat, und dann is et ihr wieder nich aufregend genug. Lasst uns rübergehen, sonnz sind die besten Plätze widder beleecht.«

Oma Berti hakte sich bei mir unter. Mia und Carmen setzten sich in Bewegung. Weitere Kurgäste schlossen sich uns an. Sie wollten den heldenhaften Einsatz der Bad Camberger Feuerwehr gegen den Angriff des Killerschaums auch nicht verpassen.

Als wir am Minigolfplatz vorbeigingen, hörte ich hinter uns ein Schnaufen. Fox Mulder war schon ganz außer Atem, als er rief: »Was ist passiert?«

»Sie sind da. Wir haben Kontakt«, rief ich zurück.

»Wer?« Er fuhr sich aufgeregt mit dem Handrücken durchs Gesicht und verschmierte die Salbe gegen sein extraterrestrisches Strahlenekzem.

»Na, die eben. Sie sind doch der Experte für ungebetene Besucher.«

»Maggie, nu lass doch ma den armen Mann in Ruh. Wat musse den immer so auf’n Arm nehm«, zischte Berti mich an, dabei kniff sie mir lachend in die Seite.

Carmen Sawatzki hielt sich mit der rechten Hand an Mia Hoffstiepel fest und fixierte intensiv die Rosenbeete, um nicht laut loszulachen.