umgenietet - Edda Minck - E-Book

umgenietet E-Book

Edda Minck

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Beschreibung

Nach "totgepflegt" und "abgemurkst" wird in Bochum jetzt reihenweise "umgenietet". Und Maggie Abendroth ist mit ihrem Taxi auf Nachtschicht mittendrin. Porzellan wird zerschlagen, ein antikes Musikinstrument verschwindet, eine Leiche treibt im Pool und Herrmanns und Borowski, die Freunde von Oma Berti, stecken bis zum Hals in Schwierigkeiten. Wen wundert's da, dass Maggie den Überblick verliert? Und wo ist ihr Lieblingskommissar Winnie Blaschke, wenn sie ihn wirklich mal braucht? Antwort: Im Urlaub. Notgedrungen macht sich Maggie allein auf die Suche nach des Rätsels Lösung, zumal Herr Matti, frischgebackener Bestattungsunternehmer, auch noch zur falschen Zeit am falschen Ort war und dadurch dringend tatverdächtig ist. Zwischen Kiosk, Kiez und Kneipe lernt Maggie Abendroth vor allem eins: Schweigen ist Gold.

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Seitenzahl: 493

Veröffentlichungsjahr: 2024

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In dieser Reihe bisher erschienen

3501 Thomas Ziegler Überdosis

3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein

3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod

3504 Ulli B. Entschärft

3505 Udo W. Schulz Unter Blendern

3506 Alfred Wallon Die Escort-Lady

3507 Stephan Peters Die Hexe von Gerresheim

3508 Uwe Voehl Mörderisches Klassentreffen

3509 Andreas Zwengel Mörderisches Windeck

3510 Alfred Wallon Tod am Gaswerk

3511 Ralph Sander Semper und der tote Vulkanier

3512 Edda Minck totgepflegt

3513 Edda Minck abgemurkst

3514 Edda Minck umgenietet

3515 Edda Minck ausgeträllert

3516 Edda Minck totgequatscht

umgenietet

Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz

Maggie Abendroth

Buch 3

Edda Minck

Copyright © 2024 BLITZ-Verlag  

Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH 

Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

Covergestaltung: Helge Jepsen

Titelbild: Helge Jepsen

Lektorat: Dr. Meike Fritz

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-68984-138-6

3514 vom 03.10.2024

Inhalt

Ensemble

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Anmerkungen

Danksagung

Über die Autorin

Ensemble

Maggie Abendroth fährt Taxi und verliert dabei völlig die OrientierungHerr Matti will bei der Wahrheit bleiben und sagt ein Wort zu vielWilma leiht ihrer Freundin Maggie im falschen Moment GeldWinnie Blaschke macht viele Flugmeilen und kann das Schlimmste nicht verhindernOma Berti zeigt königliche Haltung in harten ZeitenRudi Rolinski will unbedingt ein besserer Mensch werden, fragt sich nur, wieMia Hoffstiepel hat Bedenken, macht aber trotzdem den Job, den Maggie nicht willHerrmanns undBorowski wissen nichts über die Macht der WorteElvis und Ritchie erweisen sich als dumm und dümmerElli hätte am liebsten, wenn die Bratwürste auch rosa wärenVan der Baack wird seine Sammelleidenschaft zum VerhängnisFrau Heckel sagt nicht alles, was sie weiß, das aber gründlichKommissar Seidel hatte mal einen sehr schönen Mordfall mit sehr verdächtigen VerdächtigenDer Knisper treibt es zu bunt, um im Spiel zu bleibenDr. Thoma wird auf seine alten Tage noch zum Gourmet umerzogenRaoul lässt Maggies Laune kochen und Dr. Thomas Herz höher schlagenBochum leuchtender Fixstern am Bratwursthimmel

KapitelEins

Der Sommer war vorbei. Ich hatte überlebt. Das war aber auch schon beinahe alles, was es dazu zu sagen gab. Ich war mit Oma Berti Blaschke zur Kur gewesen. Nicht, dass ich sonderlich entspannt wiedergekommen wäre, nein, diese Kur hatte sehr lange Schatten geworfen. Aber nicht lang genug, als dass die Weltöffentlichkeit Interesse daran gezeigt hätte, dass Maggie Abendroth von einer Irren beinahe zu Tode gehetzt worden war und ganz nebenbei ihrem Ex das Leben gerettet hatte. Talkshow? Fehlanzeige. Stern, Bunte, Gala? Nada. Sogar die Aussichten, vor Gericht meine fünf Minuten Berühmtheit zu kriegen, waren denkbar schlecht. Die Irre war geständig und eher ein Fall für die geschlossene Psychiatrie, und ich? Ich hatte mir nur aus all den Dingen, die ich nicht gesehen hatte, mithilfe von Herrn Matti den Tathergang zusammengereimt. Und auf Reime gibt Madame Justitia gar nichts. Die ist zwar blind, aber nicht blöd.

Die Welt hatte sich im Sommer außerdem nur für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft interessiert, und jetzt interessierte sie sich für die Lebensbeichte eines gewissen Dieter Bohlen und die Jahrhundertflut, die den Deutschen entlang der Oder mit authentischem Bangladesh-Feeling Angst einjagte.

Ich hatte das überaus große Glück, bei den vorgenannten Ereignissen nicht im Mindesten die Finger drin zu haben. Anstatt in Köln lustige Drehbücher mit fein geschliffenen Dialogen zu schreiben und an Wochenenden meine goldene Mastercard heiß laufen zu lassen, saß ich in Bochum herum, pflegte meine Schreibblockade, hatte keinen Knopf auf der Naht und freute mich wie eine Schneekönigin über Rabattkupons für dreimal Shampoo zum Preis von zweien und Gebinde von fünf Dosen Katzenfutter und eine Tüte Katzenstreu gratis.

Vor zwei Wochen hatte es bei Real tatsächlich für drei blaue Kupons zehn Tüten Milch zum Preis von acht und ein wasserdichtes Transistorradio gegeben. Obwohl ich Milch überhaupt nicht ausstehen kann, war ich an besagtem Morgen die Erste an der Tür des Einkaufsparadieses gewesen. ‚Ich freue mich eben über die kleinen Dinge im Leben‘ war mein neues Mantra, um den Pegel meines Missvergnügens unter der Land-unter-Grenze zu halten. Die Gratisproben dieser Welt waren meine Sandsäcke gegen die Flut, die da hieß: Maggie Abendroth, du bist ein Loser – du hast kein Haus, kein Äffchen und kein Pferd. Aber meine Realität scherte sich einen feuchten Kehricht um Sandsäcke, Mantras und Trostpflästerchen. Sie sickerte durch jede Ritze, vor allem, wenn das Gratisradio nach drei Tagen schon den Geist aufgab. Ich drückte mir die Nase immer noch an den Schaufenstern der teuren Damenoberbekleidungsgeschäfte platt, seufzte jedem ledergebundenen Notizbuch hinterher und hoffte auf ein Wunder. Vielleicht fällt mal eines Tages ein Dolce & Gabbana-Transportcontainer aus einem Frachtflugzeug, direkt vor meine Haustür. Vielleicht wird aber auch meine beste Freundin Wilma eines Tages so dick wie ich, und dann können wir endlich Klamotten tauschen. Von einem Transportcontainer erschlagen zu werden, war bestimmt die wahrscheinlichere Variante. Wilma war schließlich ein Ex-Model und so diszipliniert wie ein Olympionike, wenn es um ihr Aussehen ging.

Weil Wunder eben zuweilen lange auf sich warten lassen, hatte ich mir für die vor der Tür stehende Herbst-Winter-Saison ein paar Doc Martens auf dem Flohmarkt gekauft, und die halten bestimmt noch bis zum Sankt Nimmerleinstag. Laut den Versprechungen der Herstellerfirma könnte ich damit sogar begraben werden. Und wenn in 300 Jahren der Ururururur-Enkel von Indiana Jones eine Ausgrabung macht, wird er sehr viel darüber nachgrübeln müssen, wie die menschliche Zivilisation mit säurefesten Gummisohlen in Verbindung zu bringen war.

Ich fand also neuerdings Gefallen an Flohmarktschnäppchen, der Kuponsammelei und der Produktauswahl von Ein-Euro-Shops. Ich besaß zwei Jeans, ein schwarzes Jackett, vier T-Shirts, einen XXL-Pullover von Gaultier, ein Geschenk von meinem besten Kumpel Winnie Blaschke, den ich wie einen Schatz hütete; außerdem ein Apple Notebook, in Ermangelung von Schreibfluss völlig unbenutzt, und eine große Tasche, in die alles reinpasste.

Mein Souterrain, im dem ich eigentlich längst wieder wohnen sollte, war nach einem kapitalen Wasserschaden nach zehn Monaten ergebnisloser Renovierung durch meinen Vermieter immer noch nicht benutzbar. Im Bad gab es mittlerweile einen Stapel rosa Fliesen, die nicht an der Wand haften wollten, und einen Toilettentopf, unbefestigt.

Wenn sie bei den Aufräumarbeiten nach der großen Oderflut denselben Enthusiasmus an den Tag legen wie die Handwerker, die meine Kellerwohnung wieder bewohnbar machen sollten, steht dem Land ein Rücksturz ins finstere Mittelalter unmittelbar bevor.

Ich für meinen Teil hatte keine andere Wahl, als darauf zu warten, endlich wieder einziehen zu können. Eine neue Wohnung suchen? Wovon denn? Ich hätte noch nicht einmal das Geld, um mir einen halben Eimer Farbe zu leisten, geschweige denn eine Kaution zu bezahlen. Und wer nimmt schon eine Freiberuflerin, deren ganze Karriere daraus besteht, dass auf ihrer Akte ein fetter Stempel ‚Schnee-von-gestern‘ prangte.

Seit ein paar Wochen fuhr ich Taxi für den Kiezkönig Kieslowski – vorzugsweise in der Nachtschicht, und an so manchem Morgen wusste ich nicht, wie ich mein Frühstücksbrötchen bezahlen sollte. Aber dieser Job war besser als gar nichts. Ich hätte noch für 3,50 Euro pro Stunde in einer Spielhalle als Aufsicht anfangen können, aber Kieslowski hatte die besseren Argumente: ein Auto und ein Diensthandy.

Die Wohnung, in deren Küche ich saß und ein original Residents-Plakat von 1983 anstarrte, gehörte mir nicht. Der Stuhl, auf dem ich saß, und das Bett, in dem ich schlief, auch nicht. Das, was mir in dieser Küche gehörte, war der kleine Espressokocher von Bialetti und eine Tasse mit dem Werbeaufdruck von Bad Camberg. Kein würdiger Ersatz für meine Lieblingstasse, die mit dem Gesicht von Prince Charles. Die war vor ein paar Wochen in so kleine Stücke zerborsten, dass sie nicht mehr zu retten gewesen war. Konnte es ein besseres Bild für meinen derzeitigen Seelenzustand geben? An manchen Tagen wünschte ich mir etwas weniger Klischee in meinem Leben, aber warum sollte mein Leben interessanter sein als die Drehbücher, die ich früher geschrieben hatte?

Die Wohnung befand sich über meiner Stammkneipe, dem Café Madrid, und gehörte dem Kneipenwirt und schlechtestem Küsser vom Revier, Kai-Uwe Hasselbrink, der mit seiner neuen Freundin, der irrsinnigen grünen Rita und ihrem dämlichen Köter Willy einen Hippie-Revival-Urlaub ‚Im-VW-Bus-quer-durch-Europa‘ verbrachte. Dabei verprassten sie die Abfindung von Ritas Ex-Ehemann. Mir hatte sie nicht mal 100 Euro dagelassen, obwohl sie ohne mich und meinen selbstmörderischen Einsatz nicht einen Cent gesehen hätte. Mir blieb immerhin noch die Hoffnung, dass sich Kai-Uwe und Rita bei ihrer Europatour gegenseitig totquatschten – dann müsste ich hier nicht wieder ausziehen. Wäre auch eine Lösung, mit der ich gut klarkommen könnte.

Die beiden schwebten also auf Wolke 7, wie eigentlich alle meine Freunde. Sogar Herr Matti. Der schweigsame finnische Thanatopraktiker verlor zwar so gut wie kein Wort über seine Befindlichkeiten, aber er bastelte enthusiastisch an seiner Zukunft. Dr. Dr. Herzig, der beste Anwalt von ganz Bochum, hatte ihn mit Bravour durch seinen Mordprozess gepaukt. Aus Mord wurde, ohne auch nur einen Umweg über Totschlag zu nehmen, Nothilfe in zwei Fällen ... So kann es gehen, wenn man, wie Matti, an den richtigen Stellen den Mund hält und das Reden seinem Anwalt überlässt. Ich hatte vor Gericht nur eine winzige Komparsenrolle gehabt. Vier Sätze, die Herzig vorher mit mir geprobt hatte. Und sie waren so gut gewesen, dass der Staatsanwalt keine weiteren Fragen mehr hatte. Was ich schade fand. Aber wenn es der Wahrheitsfindung dient, mache ich alles – auch in vier Sätzen. Schließlich waren wir alle heilfroh, dass die Geschichte für Matti gut ausgegangen war. So gut, dass er, seit vier Wochen auf freiem Fuß, bereits mit den Renovierungsarbeiten in seinem Bestattungsinstitut begonnen hatte und mich zum Wahnsinn trieb. Seit er in der Untersuchungshaft Lesen und Schreiben gelernt hatte, gab es kein Halten mehr. Ich bekam täglich Post von ihm, immer einen Zweihundert-Euro-Schein im Umschlag mit seiner eindringlichen Bitte, diesen anzunehmen, damit ich meine Kreditraten weiter abbezahlen konnte. Diese Altschulden waren mir als Kriegsverletzung aus dem Trennungsscharmützel mit dem Knipser geblieben, und sie würde noch lange schmerzen, obwohl der Krieg längst vorbei war. Ich hatte nämlich versucht, nach der Trennung meine geschundene Seele mit einem sehr teuren Urlaub zu kurieren, was selbstverständlich nicht funktioniert hatte. Ein neuer Haarschnitt wäre billiger gewesen. Das macht aber jede Trennungsgeschädigte – nur Maggie Abendroth nicht.

Täglich fuhr ich diesen gelben Zweihunderter mit dem Taxi gleich zu Beginn meiner Nachtschicht wieder zurück zum Bestattungsinstitut, bahnte mir einen Weg durch Farbeimer, Leitern, Pinsel, Spachtel und sonstige Baumarktutensilien auf der Suche nach einem freien, sauberen Plätzchen für den Briefumschlag. Mittlerweile redeten Matti und ich so gut wie überhaupt nicht mehr miteinander. Sobald er den Benz kommen hörte, verschwand er im Keller, wo sich die Thanatopraxie, Kühl- und Aufbahrungsräume befanden, und wartete dort, bis ich wieder gegangen war. Ich konnte so oft rufen, wie ich wollte, er kam nicht nach oben. Das mochte wohl daran liegen, dass ich ums Verrecken weder seinen Zweihunderter noch sein Jobangebot annehmen wollte. Nein, wollte ist nicht das richtige Wort – ich konnte einfach nicht. Wie sollte ich hier wieder arbeiten, in den ehemaligen Räumen von Pietät Sommer? Nach allem, was hier passiert war? Schon, wenn ich beim Reinkommen die Türglocke hörte, bekam ich Schnappatmung – und der Gedanke, in den Keller hinunterzugehen, verschaffte mir beinahe Ohnmachtsanfälle. Ich hatte es ehrlich versucht – aber es ging nicht. Wenn ich nur in die Nähe der Wendeltreppe kam, hatte ich den Refrain aus ‚Mitternacht in Trinidad‘von den Flippers in den Ohren. Und wenn ich nicht die Flippers im Kopf hatte, hörte ich die letzten drei rasselnden Atemzüge des sterbenden Ex-Kommissars Kostnitz, der im Kühlraum in meinen Armen verblutet war. Ich bin den Umgang mit Gespenstern aus der Vergangenheit durchaus gewöhnt, aber diese Gespenster waren mir eine Nummer zu groß.

Wie schaffte es Matti an diesem grauenvollen Ort, wo er, wie ich vermutete, die schlimmsten Stunden seines Lebens verbracht hatte, so vergnügt den Pinsel zu schwingen und sich Gedanken über seine Werbemaßnahmen zu machen?

»Man muss die Toten ruhen lassen, Frau Margret«, hatte er gesagt.

»Ja, wie jetzt? Das soll alles sein? So simpel ist das? Wissen Sie, Herr Matti, Sie haben eine Art, die Dinge auf einen so kleinen Nenner zu bringen, dass sie unsichtbar werden. Aber nur für Sie. Für mich sind sie präsent wie eh und je. Da könnte ich mir tausendmal sagen, Maggie, lass die Toten ruhen. Aber die Schlingel tun mir den Gefallen einfach nicht.«

»Richtig ruhen lassen.«

»Und wie geht das?«

»Man tut die Dinge, die vor der Nase liegen. Sonst nichts. So lange, bis die Verwirrung aufhört.«

»Ist das eine Erkenntnis, die Sie aus dem Knast mitgebracht haben?«

»Ich hatte viel Zeit, um nachzudenken.«

»Tja, die habe ich nicht gehabt. Vielleicht kommt mir eines Tages auch noch eine Erleuchtung. Mir klebt alles an den Hacken: mein Ex, die Morde im Winter und die Morde im Sommer und meine Schreibblockade. Von den anderen Schwierigkeiten mal ganz zu schweigen. Und täglich kommt noch irgendwas dazu. Ich will es mal so formulieren: Während in Villariba auf’m Friedhof die Sargdeckel zu sind, ist in Villabacho der Totentanz noch voll im Gange.«

»Wo?«

Ich hörte seine erstaunte Nachfrage schon gar nicht mehr, so sehr war ich über seine Lebenshilfeweisheiten in Rage geraten. Ich wollte nicht tun, was vor der Nase war – ich wollte einfach nur vergessen. Je mehr ich vergessen wollte, desto wilder tanzten die Skelette auf meinen Gräbern. Und weil ich schon so schön in Fahrt war, war ich mit der Wahrheit herausgeplatzt, dass ich ihn mit meinem Versprechen, für ihn zu arbeiten, reingelegt hatte. Anders hatte ich ihn nicht dazu bringen können, auf die Verteidigungsstrategie seines Anwaltes einzugehen. Ich hatte gelogen, um ihn davor zu bewahren, für zehn Jahre oder mehr in den Knast zu wandern.

»Sie haben mich angelogen?«

»Ja! Für einen guten Zweck. Sie sind frei – Sie können Ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen – Tote zur Ruhe betten. Also hat es doch funktioniert, oder?«

Nach diesem Wortwechsel war er im Keller verschwunden, und seitdem beschäftigten wir uns mit diesem unsinnigen Briefwechsel. Vermutlich würde Matti das bis zum Sankt Nimmerleinstag durchhalten. Aber ich nicht. Mir machte es keinen Spaß, wochenlang ein und denselben Brief mit ein und demselben Geldschein zwischen Bochum-Wiemelhausen und der City hin und her zu fahren. Und noch viel weniger Spaß würde es mir machen, das Geld von Matti anzunehmen. Er hatte seine ‚Schulden‘, die natürlich nur in seinem Kopf existierten, mehr als reichlich abbezahlt. Was konnte ich dafür, dass er der Überzeugung war, dass ich meinen Job als Sekretärin im Bestattungshaus Pietät Sommer nur deshalb verloren hatte, weil er mich in diese Geschichte mit den Morden hineingezogen hatte? Während seiner Untersuchungshaft hatte er mir schon jeden Monat ungefragt 500 Euro zukommen lassen. Matti konnte sich das locker leisten, weil er durch die Lebensversicherung seiner vor Jahren verstorbenen Frau eine Menge Geld auf seinem Konto hatte. Aber ich konnte es mir nicht leisten, noch mehr von ihm anzunehmen, obwohl ich mit dem Rücken an der Wand stand. Oder gerade deshalb. Wenn man dann noch einen Diener machen muss, fällt man vorne rüber und haut sich die Nase platt.

Ich zündete mir an diesem Tag schon die fünfte Zigarette auf leeren Magen an. Gab es eigentlich Rabattkupons für Friseure? Jetzt hätte ich als Balsam für meine arme Seele gerne einen neuen Haarschnitt in Anspruch genommen. Keine Kupons – kein Friseur. Und meine beste Freundin Wilma war nicht da. Sie hatte sich den Mountainbike-Freak Acki unter den Nagel gerissen und heizte mit ihm die Rocky Mountains rauf und runter. Bevor Wilma abgefahren war, hat sie mir noch mal die Haare gemacht, aber seitdem waren schon vier Wochen vergangen. Einen genauen Rückflugtermin hatte sie mir nicht genannt, aber sie würde doch wohl über die stürmische Liaison mit Acki ihre Angestellten und ihre Stammkunden inklusive meiner Wenigkeit nicht vergessen haben? Inzwischen bekam ich knallbunte Postkarten aus Amerika. Da schien es eine neue Mode zu geben: Automaten, die Minibilder fotografieren und dann gleich als Klebesticker ausspucken. Acki und Wilma, Wilma und Acki. Vierundzwanzig Postkarten vollgeklebt mit ihren dämlich grinsenden und Grimassen schneidenden, braungebrannten Gesichtern. Zu meiner Postkartensammlung gesellten sich alle paar Tage auch noch meditative Motive aus Japan. Kajo Kostnitz, unser junger, aufstrebender Pianist, hatte das Haus seiner Eltern verkauft, das ich bis vor kurzem gehütet hatte. Seine Konzerttournee hatte ihn bis Japan gebracht. Danach standen noch Neuseeland und Australien auf dem Programm, und ich freute mich schon auf die Postkarten mit Känguruhs und Koalabären. Japan hatte mir bereits drei Geishas, einen Sumoringer – die Karte war für meinen Kater Dr. Thoma gewesen –, zwei Kirschbäume in voller Blüte und mehrere buddhistische Klöster im Morgennebel beschert. Vielleicht könnte ich versuchen, beim Sushi-Man in der Luisenstraße drei Geishas auf Papier gegen ein echtes Sushi auf Porzellan einzutauschen?

Im Liebes- und Ferienrausch meiner Freunde und Bekannten, nahm ein Liebespaar den absoluten Spitzenplatz ein: mein schwules Polizeischlachtschiff Kriminalkommissar Winnie Blaschke und sein Tänzer Nikolaj Andrejetwisch Besuchow. Die beiden weilten in der Stadt der Sommer-Winter-Frühling-Herbst-Paläste, der Mammutportionen Kaviar und der bunten Matjoschkas – St. Petersburg. Es schien ihnen gut zu gehen, denn bislang hatte ich noch keine einzige Ansichtskarte bekommen. Und angerufen hatte Winnie auch nicht. Wahrscheinlich war er im Mariinskij Theater vom männlichen Teil des Corps de Ballet schon adoptiert worden. Oder er hatte eine Wodka-Kaviar-Vergiftung. Oder er hatte aus Versehen in der Eremitage eine von den 2000 turmhohen Alabastervasen von Zar Nikolaus dem Viertelvorzwölften, die da an jeder Ecke herumstehen, versehentlich angerempelt und war nach Sibirien verbannt worden.

Die einzige Person, bei der alles so war wie immer, war Winnies Oma Berti. Ihr Kiosk lief wie eh und je – auch ohne meine Hilfe. Auf die hatte sie dankend verzichtet, als sie herausbekommen hatte, dass ich, ohne ihre Erlaubnis einzuholen, ihre beiden Lieblingsalkoholiker Herrmanns und Borowski vor ein paar Monaten als Privatdetektive angeheuert hatte. Durch meinen spontanen Rauswurf allerdings hatte sie das Finale meines letzten Abenteuers in Bad Camberg verpasst. Unsere diplomatischen Beziehungen waren seitdem merklich abgekühlt. Immerhin besaß sie die große Güte – man könnte es auch Geschäftssinn nennen –, mir weiterhin Zigaretten und Kaffee zu verkaufen. Gefeuert zu werden hat manchmal auch sein Gutes: Durch den Taxijob hatte ich auf einen Streich regelmäßig einen fahrbaren Untersatz und ein Handy. Sollte der alte Eso-Laberspruch ‚Man weiß nie, wozu irgendwas gut ist‘ tatsächlich wahr sein?

Wenn ich es also recht betrachtete, war ich auf dem besten Weg, bescheiden und demütig zu werden, geradezu anspruchslos; ich war kurz vor Zen. Kurz vor der Erleuchtung, kurz vor ...

... kurz davor, die Nerven zu verlieren, denn ich hatte vor nicht einmal acht Stunden einen schrecklichen Fehler gemacht. Und da kam er auch schon aus dem Schlafzimmer geschlurft.

»Um Himmels willen, wie spät ist es?« Der Fehler hüpfte auf einem Bein, um in seine Hose zu kommen.

Wozu antworten? Die große Küchenuhr zeigte unübersehbar exakt 15.30 Uhr.

»Halb vier!? Maggie, warum hast du mich nicht geweckt? Ich muss in einer halben Stunde in Köln sein. Verflucht ...!«

Sag ich doch, wozu antworten? Ah, bei Novo gibt es Neutralseife, und wenn man zwei Familienpackungen davon kauft, gibt es ein Paar bunte Flipflops gratis. Ich schnippelte den Kupon aus, zündete mir die nächste Zigarette an und vermied es, dem Knipser dabei zuzusehen, wie er mit fliegenden Händen versuchte, sein Hemd zuzuknöpfen. Funktioniert nicht so richtig gut, wenn fünf von acht Knöpfen auf dem Fußboden verstreut herumliegen. Manchmal darf man eben keine Zeit verlieren.

Aber was mir gestern Abend noch wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen war, entpuppte sich bei Tageslicht betrachtet als typischer Maggie-Horrortrip. Hätte ich nicht ein bisschen nachdenken können, bevor ich ihm das Hemd vom Leib reisse? Wenn ich ihn jetzt anschaue, wird sich mein Mund wie von Geisterhand öffnen, und ich werde ein paar Fragen stellen, die mir hinterher leid tun. Dämliche, erniedrigende Fragen wie: Rufst du mich nachher an? Kommst du wieder? Und, und, und. Bevor das passierte, wollte ich lieber zehn Stücke Arztseife lutschen und mit zehn Litern Milch nachspülen.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie mein Ex angewidert an seinen Schuhen roch und sie mir dann anklagend entgegenstreckte. »Katzenpisse!«

Dr. Thoma lag vor mir auf dem Küchentisch, und sein perforiertes Kämpferohr drehte sich wie eine Parabolantenne hin und her.

»Saboteur«, flüsterte ich ihm zu. Mit seinem Schwanz wedelte er die mühsam nach Supermärkten sortierten Kupons vom Tisch.

»Maggie, jetzt mach doch mal was. Ich kann doch unmöglich mit diesen Schuhen ... Herrgott, ich habe einen Termin bei einem Kunden in ...«

»Köln«, murmelte ich. Dr. Thoma zwinkerte mir zu, und weil ich mich noch tiefer über meine Kupons beugte, stieß er liebevoll seinen dicken Schädel in meine wirren Locken.

»Nicht Köln. Düsseldorf! Ich habe noch zehn Minuten – wo ist der nächste Schuhladen? Meine Güte, jetzt sag doch endlich mal was!«

Meine Güte, versteh doch mal, ich kann dich jetzt nicht anschauen, und ich kann jetzt nichts sagen. Dann kriege ich Speichelfluss und Nervenzittern. Nach dieser Nacht werde ich nicht auch noch das letzte Fitzelchen Würde, das mir geblieben ist, im Klo runterspülen.

»Scheiße, die Artbuyerin von Grey ... Und meine Schuhe stinken nach Katzenpisse«, grummelte er.

Tja, vielleicht findet die Artbuyerin einer der renommiertesten Werbeagenturen der Welt das ja antörnend?

»Deichmann ist ein paar Meter die Kortumstraße hoch. Nicht zu verfehlen«, sagte ich und versuchte, weitere Worte in meinem Mund zu behalten.

»Ich kauf doch keine Schuhe bei Deichmann! Ich schlag doch bei Grey nicht ...«

Zu meiner Rettung ging in dem Moment die Tür auf und Raoul, Kai-Uwes spanischer Koch, kam in die Küche und unterbrach das Referat des Knipsers über unpassendes Schuhwerk in Werbeagenturen. Unter Raouls Küchen-Clogs zerbröselte krachend ein Hemdknopf aus Perlmutt. Er hatte eine brutzelnde Pfanne in der Hand und blieb mit offenem Mund stehen, als er den Knipser in seinem ramponierten Hemd sah. Ungefähr so hatte ich gestern Abend auch ausgesehen, als es an der Tür geklingelt hatte. Mein einziger freier Tag, und dann das. Ich hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, Kai-Uwes Plattensammlung durchzuhören und war gerade bei The Cure angekommen, da steht unangemeldet mein Ex vor der Tür und begehrt Einlass. Mein Ex setzt sich an den Küchentisch, sieht mich lange an und sagt: »Entschuldigung, für, für ... du weißt schon, was. Und danke, dass du mich gerettet hast.« Und dann hat er mir die Narbe von seiner Knieoperation gezeigt, die er mir zu verdanken hatte, was er mir aber nicht mehr übel nahm. Weil, wie er mir versicherte , die Zeit im Krankenhaus und die anschließende Reha ihm endlich die Ruhe verschafft hätten, über alles und vor allem über uns und das Ende unserer Beziehung nachzudenken. Vor allem darüber, welchen Mut und welche Großzügigkeit ich bewiesen hätte, ihn nach allem, was er mir angetan hatte, das Leben zu retten. Und weil er sich bei alldem anhörte wie eine meiner Figuren aus einem Drehbuch und ich leider immer wieder auf das Gesülze, das ich mal geschrieben habe, auch noch selber reinfalle, hatte das Unheil seinen Lauf genommen.

Als ich neben dem Knipser aufgewacht und mir ganz allmählich der Tragweite meines Tuns bewusst geworden war, wünschte ich mir, ich hätte den Kurs fürs Apparieren in Hogwarts mitgemacht. Da ich leider nicht zaubern konnte, blieb mir nur die ‚Augen zu und durch‘-Methode. Wenn man Dinge schon nicht ungeschehen machen kann, dann kann man sie wenigstens totschweigen.

»Das ist übrigens Raoul, der Chefkoch. Raoul, das ist mein Ex. Danke fürs Frühstück, aber er mag keine Eier«, versuchte ich eine Konversations-Abkürzung zu nehmen.

»Seit wann mag ich keine ...?«

Raoul ignorierte den Einwand des Knipsers und rümpfte die Nase.

»Wasse stinkte so? Hatte Katze wieder gepinkelt gemacht?«, fragte er und wies mit der Pfanne auf Dr. Thoma. Der Kater krallte sich einen von meinen Kupons und kaute darauf herum.

»Endlich einer, der mich versteht«, sagte der Knipser und guckte begeistert auf die Pfanne. »Oh, das duftet aber wunderbar.«

Raoul starrte mit zusammengekniffenen Augen zurück. So guckte er immer, wenn er in der Küche eine Schabe entdeckte. Seine schwarzen, buschigen Augenbrauen berührten sich beinahe in der Mitte seiner Stirn, als er den Knipser anzischte: »Isse Omelette à la Raoul – mit Chili und mit Ei. Das magst du nicht.«

Der Knipser stolperte einen Schritt rückwärts. »Entspann dich mal, Maître.«

Aber Raoul hatte sich schon über den Küchentisch gebeugt und hielt mir das Pfännchen hin. »Wasse du denkst davon, Maggie? Neue Rezept.«

Es roch umwerfend. Obwohl mein Magen, seit ich die Augen heute aufgeschlagen hatte, zu einem kleinen Stein zusammengeschrumpelt war, hatte ich auf der Stelle Hunger. In der Hinsicht hatte ich denselben miesen Charakter wie mein Kater.

Raoul kostete Kai-Uwes Abwesenheit aus und nahm den Titel ‚Küchenchef‘ mehr als ernst – er war morgens der Erste in der Küche und in Nacht der Letzte, der das Lokal verließ. Dass niemand ihn kontrollierte, hatte den Nachteil, dass er sich neuerdings in dieser Wohnung wie zu Hause fühlte. Er marschierte mit seinem Schlüssel rein und raus, wie es ihm passte – ohne jemals anzuklopfen. Er konnte immer behaupten, etwas in Kai-Uwes kleinem Büro suchen zu müssen. Zigmal hatte ich versucht, ihm klarzumachen, dass der Weg dorthin über die Diele und nicht durch die Küche führte. Ich hätte mir den Atem sparen sollen.

Dass niemand den Küchenchef kontrollierte, führte, positiv betrachtet, aber auch dazu, dass es an manchen Tagen in der Küche des Café Madrid fast so aussah wie im Kochlabor von Ferràn Adriá. Raoul nutzte die Gunst der Stunde, um die unerfüllten Sehnsüchte eines ständig unterforderten Kochs Oberhand gewinnen zu lassen. Wie Kai-Uwe reagieren würde, wenn er bei seiner Rückkehr explodierenden Gurkenkaviar aus der Molekularküche in seinem Kühlschrank vorfände, wollte ich mir lieber nicht vorstellen.

»Lass mal probieren.«

»Was ist denn jetzt verdammt noch mal mit einem ordentlichen Schuhgeschäft?«, meckerte der Knipser.

Raoul stellte das Omelette auf den Tisch und reichte mir eine Gabel. Dann baute er sich mit verschränkten Armen vor dem Knipser auf: »So, du bist also Ex. Ex wie Ex. Was also du machst hier, wenn ex?«

»Bitte?! Ich habe meine alte Freundin Maggie besucht. Sind wir jetzt fertig mit der Heiligen Inquisition? Freut mich übrigens auch, Sie kennen zu lernen.«

»Ex, du brauche Schuhe. Warum so unfreundlich? Vielleicht ich leihe dir was?«

»Is schon okay, Raoul. Er hat geklingelt, ich habe ihn reingelassen. Du musst dich für meine Ehre nicht duellieren. Die ist schon lange futsch. Herrlich, das Omelette.«

Der Knipser ging ins Schlafzimmer, und ich konnte endlich mein Gesicht aus der Pfanne nehmen. Ich hörte, wie er hastig seinen Kram zusammensuchte und seinen Kamerakoffer schulterte. Er wollte doch wohl jetzt nicht wirklich auf Strümpfen nach Düsseldorf fahren?

»Was hätten Sie denn im Angebot, Maître? Fettige Gummiclogs in Kindergröße?«, rief der Knipser aus dem Schlafzimmer.

»Es war nur eine Angebot ...«, feixte Raoul zurück. »Niemals beisse Hand die füttert dich ...«

»Lass mal gut sein«, sagte ich, bevor das Testosterongeplänkel in Handgreiflichkeiten ausarten konnte.

Der Koch sah mich streng an und ging zur Tür, aber nicht ohne mir vorher noch zu sagen: »Das«, er deutete dezent mit dem Daumen in Richtung Schlafzimmer, »niemals gut. El Doctor pinkelt nie in Schuhe von nette Leute.«

Der Kater pinkelte seit unserer Umsiedlung in die Stadtwohnung ohne Garten überall hin, aber das schien Raoul entgangen zu sein. Denn Dr. Thoma war ein Outdoor-Kater und weigerte sich strikt, sein Geschäft in das eigens für ihn angeschaffte Luxuskatzenklo zu machen, das es gratis gegeben hatte – zu einem Zehnerpack Katzenstreu und zwanzig Dosen Katzenfutter.

»Das ... marschiert in der nächsten Minute hier raus, genauso wie du. Und alles Weitere geht dich echt nix an, Señor Raoul Masdéu-Canals Sáez de Astorga!«

Raoul schnippte mit dem Finger, und mit den Worten: »Zeñó mag keine Eier ... Que es toqui els collons!«, war er weg.

Warte nur ab, Maître, eines Tages werde ich mich bemüßigt fühlen, mich um deine Probleme zu kümmern: Vier Kinder von drei Frauen, und ein Ende seines Vermehrungswillens war nicht abzusehen. Und irgendwas lief da unten seit geraumer Zeit mit der Donnerstag-Freitag-Samstag-Kellnerin. Na ja, wenn ich auf südländische Typen stehen würde, könnte ich bei Raoul auch für nichts garantieren. Antonio Banderas für Arme mit Kochschürze und immer was zu essen dabei ... Wer kann da schon widerstehen? Dank Raoul war ich zwar nicht schwanger, aber trotzdem zehn Kilo schwerer als noch vor einem Monat.

»Also, tschüss dann«, sagten der Knipser und ich unisono.

»Tschüss«, wiederholte ich und klaubte die Kupons vom Fußboden auf. Nicht hinsehen, Maggie, sieh ihn um Himmels willen nicht an.

»War schön mit dir«, sagte der Knipser, und anstatt die Tür hinter sich zu schließen, stellte er den Kamerakoffer ab und tapste auf Socken über den Dielenboden. »Komm mal her und lass dich drücken.«

Kaum ausgesprochen, lag ich schon in seinen Armen und konnte nicht mehr wegsehen. Ich werde nicht fragen. Ich werde nicht ...

»Ich ruf dich an, sobald ich Zeit habe. Versprochen. Und ich plädiere übrigens für eine Wiederholungstat. Tschüss«, sagte er, küsste mich auf den Mund, küsste mich noch mal, nahm seinen Kamerakoffer und ging.

Hinter mir rülpste Dr. Thoma laut. Zumindest die Frage über die Qualität des Omelettes war in diesem Moment beantwortet. Die geschändeten Schuhe hatte der Knipser mitten in der Küche stehen gelassen. Ein paar Minuten später hörte ich, wie sein nigelnagelneuer Angeber-Volvo ansprang, Dr. Thoma machte einen Buckel; für mich war es höchste Zeit zu entscheiden, den Strick zu wählen oder ins Wasser zu gehen. Wenn das, was letzte Nacht passiert war, rauskommt, werden mich meine Freunde in die Irrenanstalt einweisen lassen. Und es wird rauskommen, früher oder später kommt immer alles raus.

KapitelZwei

»Hallo, jemand zu Hause?«

Ich stand mit dem unvermeidlichen Briefumschlag in der Hand im Empfangsraum des Bestattungsinstitutes und wartete.

»Herr Matti! Verflucht noch mal, jetzt kommen Sie doch endlich aus dem Keller! Ich muss zur Arbeit!« Und ich kriege schon wieder Schnappatmung, wenn ich noch lange hier ausharren muss, dachte ich. Es sieht doch gar nicht mehr sooo schlimm aus, mäkelte meine innere Stimme. Sieh dich doch mal um, was Matti schon alles geschafft hat. Ich guck mich nicht um, ich weiß, wie das hier aussieht. Nein, weißt du nicht. Du hast ja noch gar nicht hingesehen.

Und tatsächlich, ich war beim Reinkommen über gar nichts gestolpert und stellte fest, dass der neue Fußboden verlegt war. Mooreiche! Ich kniete mich hin, um zu überprüfen, ob es denn auch wirklich echtes Holz war. Es knarrte kein bisschen und war so blank poliert, dass ich mich darin spiegeln konnte. Weil mir allerdings nicht gefiel, was ich sah – um meine Augen herum waren mehr Jahresringe als in dem Jahrhunderte alten Holz –, lenkte ich meinen Blick auf die neue Wandgestaltung. Der Empfangsraum war mit dunkelgrauen Stofftapeten tapeziert, die dem Ganzen einen ungeheuer edlen und modernen Look verpassten, und die Möbel waren auch schon da. Ein dunkelbrauner Rollsekretär, natürlich komplett restauriert, prangte in der einen Ecke, und gleich daneben stand ein großes Buffet aus Kirschholz, auf dem zwei Urnen standen. Edle dunkelgraue Vorhänge mit einem kleinen Muster in Silber und Dunkelbraun hingen vor dem Fenster. Matti hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Nichts erinnerte mehr an das Blau-Gold-Gestümper, mit dem Herr Sommer selig hier versucht hatte, dem Begriff Bestatter-Design neue Weltgeltung zu verschaffen.

Nur zwei Tage nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte Matti es sich nicht nehmen lassen, mich zu einer Tour durch Tapeten- und Dekorationsgeschäfte einzuladen. Nicht ganz uneigennützig, wie sich herausstellte, denn ich musste das Reden übernehmen. Er hatte eine Liste dabei, wahrscheinlich im Knast schon vorbereitet, die ich dem Verkäufer nur vorlesen musste. Matti summte währenddessen finnische Tangos und notierte sorgfältig Preise, Farben und Lieferzeiten auf seinem Duplikat. Jedes Mal blieb ein verdutzter Verkäufer zurück, denn Matti ließ sich alles zeigen, kaufte aber nichts. Wenn wir wieder vor der Tür standen, wollte er sofort wissen, was mir am besten gefallen hatte, und er machte ein Kreuzchen auf seiner Liste. Aber nicht neben dem Produkt, das ich genannt hatte, sondern garantiert woanders. War ich für helles Ahorn, kreuzte Matti Mooreiche an. Favorisierte ich einen Anstrich in Rot, notierte er eine Idee mit Silber. So war es den ganzen Tag gegangen. Nebenbei waren wir in einem Lebensmittelgroßhandel vorbeigefahren, und Matti hatte endlich mal wirklich was gekauft: fünf Großpackungen Gummibärchen und ein Gebinde von 20 Platten Pfefferminz-Zucker-Blöcken, rosa-weiß. Ich konnte ihn gerade noch davon abhalten, eine ganze Palette Marshmallows zu kaufen, die an dem Tag im Angebot war. Matti konnte nämlich so viel Zucker verklappen wie kein Zweiter. Einem normalen Menschen wäre bei dem Süßigkeitenkonsum schon längst die Aorta verklebt, aber er war rank und schlank wie ein Langstreckenläufer, und der Arzt, den er nach seinem Knastaufenthalt auf mein Drängen hin aufgesucht hatte, war mit seinen Werten zufrieden gewesen. Ich hatte es angesichts hoch aufgetürmter Schokoladensortimente in 24 Geschmacksrichtungen gewagt, den Einwand vorzubringen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis er sich einen Diabetes angefuttert hätte, aber Matti bestand darauf, dass Gemüse was für Kühe sei. Die Menschen aus dem hohen Norden ernähren sich nun mal nicht von Gemüse – das hatte schon die Gutmenschen-Tierschutzfraktion bitter erfahren müssen, die einst den Eskimos statt fangfrischer Robbe Tiefkühlgemüse ans Herz gelegt hatte. Ein Nordmensch isst Fleisch, Fisch und Kohlenhydrate, hatte Matti mich freundlichst aufgeklärt. »Aber Sie sind kein Eskimo«, hatte ich eingewandt. »Sie sind ein Finne.«

»Aus Kemijärvi.«

Ich muss wohl ein sehr ungläubiges Gesicht gemacht haben, denn er fuhr fort: »Das liegt am Nordpolarkreis.«

»Ach, was?«, sagte ich.

»Dort gibt es Eisangeln, Seen, Rentiere und die schönsten Ansichtskarten der Aurora borealis.«

»Aha?«, sagte ich und war von seinem Redefluss und der Tatsache, dass Matti eine persönliche Information preisgegeben hatte, zutiefst beeindruckt. Bislang hatte ich mich damit begnügen müssen, dass er zugab zu existieren und dass er Süßigkeiten liebte. Einzig in einer sehr schwachen Stunde hatte er mir vor Monaten erzählt, dass seine Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Seit wir gemeinsam die seltsamen Todesfälle rund um Pietät Sommer aufgeklärt hatten, waren wir so was Ähnliches wie befreundet. Allerdings war das, was mich mit Matti verband, die seltsamste Freundschaft, die ich bislang erlebt hatte. Wir siezten uns immer noch, redeten so gut wie gar nicht miteinander, verbrachten aber jede Menge Zeit zusammen. Zuerst als Arbeitskollegen und Detektivdilettanten, dann im Besuchsraum der Justizvollzugsanstalt und jetzt eben in Baumärkten. Und nicht zu vergessen: Mattis Bedürfnis, für meinen Lebensunterhalt zu sorgen, und mein Bedürfnis, ihn davon abzuhalten und ihm den Genuss von Obst und Gemüse nahe zu bringen, was er wiederum strikt ablehnte.

Mein Blick fiel auf einen Bürostuhl, der noch in Folie eingewickelt war. Ein dunkler Holzdrehstuhl wie aus einer alten amerikanischen Fernsehserie. Den Stuhl hatten wir im Vorbeifahren im Schaufenster eines teuren Antiquitätenhändlers gesehen, der gar nicht auf der Liste gestanden hatte. Matti hatte ihn tatsächlich gekauft!

Ich konnte nicht widerstehen, packte den Stuhl aus, setzte mich darauf und rollerte damit hinter den Schreibtisch. Genau so hatte ich mir das Büro vorgestellt, in dem ich gerne sitzen würde, wenn ich denn im Büro eines Bestatters hätte sitzen wollen. Ich löste die Schraube für die Rückenlehne, kippte nach hinten, legte die Füße auf den Sekretär und fühlte mich wie der Sheriff von Dogde City.

»Kann ich Ihnen mit was behilflich sein?«

Ich fuhr vom Stuhl hoch. »Wer sind Sie?«

Vor mir stand ein kleiner, sehr drahtiger Mann in den Dreißigern, mit einem Pinsel in der Hand. Abgesehen davon, dass er das lautlose Anschleichen perfekt beherrschte, fiel mir sein bleiches Gesicht auf, beherrscht von einer Nase, die in der Vergangenheit mindestens fünfmal mit einem harten Gegenstand konfrontiert worden war. Eingerahmt war das leidlich schiefe Ensemble seines eckigen Gesichtes von einem schwarzen Piratentuch mit Totenkopfemblem. Unter seinem linken Auge sah ich eine tätowierte Knastträne. Seine muskulösen, tätowierten Arme steckten in den aufgerollten Ärmeln eines über und über mit Farbe verschmierten Overalls, dessen Reißverschluss bis zum Bauchnabel offen stand und ein ansehnliches Sixpack sehen ließ. Auf seinem linken Arm grüßte ein brennendes Herz mit einer kaum mehr zu entziffernden Unterzeile ,Mutter‘. An dieser Stelle war die Haut stark vernarbt, als habe jemand versucht, das Tattoo samt Haut mit einem Küchenmesser rauszuschneiden. Unter dem rechten Ärmel schlängelte sich der Kopf einer züngelnden Kobra hervor. Der Mann deutete eine kleine Verbeugung an.

»Rolinski, Rudi. Möchten Sie den Chef sprechen?«

»Allerdings. Wo ist er?«

Rolinski, Rudi bemühte sich um Haltung, schob den Reißverschluss des Overalls etwas höher, steckte achtlos den nassen Pinsel in die Brusttasche und schlug einen salbungsvollen Tonfall an.

»Herr Bietiniemolaiinnen weilt im Untergeschoss. Ich werde gleich mal nachsehen.«

Immerhin hatte er Mattis Nachnamen fehlerfrei ausgesprochen. Rudi ging auf das Sideboard zu, nahm eine der Urnen, öffnete den Deckel und hielt sie mir entgegen. »Wenn Sie in der Zwischenzeit vielleicht ein Gummibärchen ...«

»Nein Danke«, lehnte ich ab. Er machte ein enttäuschtes Gesicht und stellte die Urne zurück, an der jetzt zehn weiße Fingerabdrücke prangten. Dann sprang er die Wendeltreppe voller Elan mit einem Riesensatz und großem Gepolter drei Stufen herunter und rief nach Matti. Nur eine Minute später tauchte er wieder auf und schüttelte bedauernd den Kopf. »Er ist leider nicht hier. Vermutlich in geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs. Aber er sagt, Sie sollen bitte den Umschlag wieder mitnehmen.«

Rudi hatte, noch während er es aussprach, mitgekriegt, dass er sich soeben verplappert hatte und kaute auf seiner Unterlippe.

»Na, dann ... Wenn Sie bitte die überaus große Freundlichkeit hätten, dem in geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs seienden Chef auszurichten, dass ich den Briefumschlag hier auf diesem Tisch liegen lasse. Und zwar zum allerletzten Mal. Ich werde nicht mehr wiederkommen. Also, letzte Chance. Richten Sie ihm das aus.«

»Sehr wohl«, sagte Rudi und machte wieder einen Diener.

Ich knallte das Kuvert auf die Tischplatte. Rudi hatte sich wieder aufgerichtet, machte aber keine Anstalten, nach unten zu gehen.

»Worauf warten Sie? Soll ich es noch mal sagen?«

»Nein. Ich werde es ihm ausrichten.«

»Dann gehen Sie doch endlich.«

»Aber er ist doch nicht da. In geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs.«

Ich setzte mich wieder hin, rollte mit dem Stuhl rückwärts bis zur Wand, griff, ohne Rudi aus den Augen zu lassen, hinter mich und betätigte die Gegensprechanlage – ganz wie in alten Tagen. »Herr Matti, sind Sie jetzt da oder nicht? Ich habe nicht so viel Zeit. Meine Taxischicht ruft. Sind Sie da oder nicht?«

»Ich bin da«, kam seine tiefe Stimme aus dem Lautsprecher.

»Und warum nötigen Sie Ihren Dingens ... Rudi, für Sie zu lügen? Waren Sie es nicht, der noch vor ein paar Monaten zu mir gesagt hat, eine Lüge ist die Mutter von zehn neuen?«

»Das ist richtig.«

»Kommen Sie jetzt rauf?«

»Nein.«

»Warum nicht? Ich muss mit Ihnen reden. Seien Sie doch nicht so störrisch!«

»Reden Sie, ich höre.«

Rudi nickte mir aufmunternd zu.

»Herr Rolinski, haben Sie nicht zufällig noch was zu tun? Woanders vielleicht?« In die Gegensprechanlage raunzte ich: »Herr Matti, ich warte noch genau eine Minute. Kommen Sie endlich rauf.«

Rudi ging die Wendeltreppe hinunter, hielt aber auf halber Treppe inne.

»Sind Sie etwa Frau Margret?«

»Bin ich.«

»Ach, jetzt verstehe ich. Sie fangen hier nächste Woche an, hat Matti mir schon erzählt. Deswegen wollen Sie ihn sprechen.« Er reichte mir seine Hand, ich war zu verdutzt, schlug ein und hatte weiße Farbe an den Händen.

»Herzlich willkommen. Ich bin der Rudi, wissen Sie, ich arbeite jetzt hier. Mit Matti. Ich lerne bei ihm Bestatter, so wie Sie. Gestorben wird ja immer – krisenfester Job.«

Ich werde Matti auf der Stelle in der Luft zerreißen. Ich werde hier nicht am Montag anfangen! Wie oft soll ich es ihm denn noch sagen? Und wo hatte er bloß diesen Ex-Knacki aufgetrieben?

Ich musste nicht lange rätseln, Rudi erzählte es bereits: »Ich bin gestern rausgekommen. War wegen Totschlag drin. Gute Führung und so, weißt du ...«

»Nee, will ich eigentlich gar nicht wissen.«

»Ich hab meine Mutter ...«

»Ich will es nicht wissen, Rudi! Noch ein Wort, und du bist hier gleich der erste Kunde.«

»Okay, okay.« Er kratzte sich an der Nase, verteilte einen Streifen weißer Farbe unter seinen Augen und guckte verlegen auf den Boden. Plötzlich hellte sich seine Miene auf und er sagte: »Hey ... das war ein Witz, ne? Merkt man gleich, dass du vom Fernsehen bist. Hahaha, ich bin bald der erste Kunde ...«

Draußen im Hof wurde ein Motor angelassen, und im nächsten Moment schoss ein Leichenwagen aus der Einfahrt, bog links auf die Straße ein und parkte direkt vor der Tür. Matti stieg aus. Er hatte einen gelben Schutzhelm auf dem Kopf und einen Ledergürtel mit allerlei Werkzeug um die Hüften baumeln. Sein blauer Overall wies nicht den kleinsten Farbfleck auf. Hätte mich nicht gewundert, wenn er auch noch eine farblich passende Fliege zu seinem Overall getragen hätte.

»Er baut gerade das alte Kühlhaus aus. Morgen kommt das neue«, wurde ich von Rudi informiert. »Das alte konnte man ja von innen nicht aufma...«

»Ich weiß!«

Rudi verstummte auf der Stelle und wich einen halben Meter vor mir zurück. Matti kam herein, das Türglöckchen klingelte, vor meinem geistigen Auge tauchte das alte Kühlhaus auf, und ich hörte das Röcheln des sterbenden Kostnitz.

»Frau Margret, schön Sie zu sehen.«

Ich winkte mit dem Kuvert, und Mattis Miene verfinsterte sich.

»Herr Matti, was hat Rudi mir gerade erzählt? Ich fange hier nächste Woche nicht an. Ich habe längst einen Job. Ich fahre Taxi. Ist Ihnen das nicht klar?«

»Doch.«

»Ja, und ...? Was hat das zu bedeuten? Ich weiß, dass Sie nicht wollen, dass ich nachts fahre.« Ich versuchte, ihm den Briefumschlag in die Hand zu drücken, aber er drehte sich einfach um, als hätte er es nicht bemerkt.

»Wie gefällt Ihnen die Einrichtung, Frau Margret?«, fragte er und ging aus der Tür. Ich lief ihm hinterher.

»Okay, Sie wollen nicht darüber reden. Und ich, ehrlich gesagt, auch nicht mehr ... Wie ich sehe, haben Sie alles gekauft, was Sie angekreuzt haben.«

»Nicht alles.«

Was fehlte denn?

Er schob sich den gelben Schutzhelm in den Nacken.

»Ich habe auf ihren Vorschlag mit dem DVD-Player und der ersten Staffel Six feet under für das Besprechungszimmer verzichtet. Stattdessen habe ich mich für Ihren Vorschlag, den Schreibtischstuhl betreffend, entschieden.«

»Verstehe. Gute Wahl.« Meine Idee mit Six feet under war auch nicht ernst gemeint gewesen. Bei Matti musste man aufpassen, was man sagt – manchmal verstand er Ironie einfach nicht.

»Erkennen Sie den Sekretär wieder?«

Ich drehte mich um und schaute genauer hin. »Der ist aus dem Haus der Familie Kostnitz«, staunte ich. »Der alte Sekretär von der Prusseliese.«

»Sagen Sie doch bitte nicht Prusseliese zu Frau Kostnitz selig«, wurde ich von Matti ermahnt. Bevor ich ihm eine Antwort geben konnte, war ich schon in ihn hineingestolpert, denn er war vor dem neuen Leichenwagen stehen geblieben.

Er strahlte in Mitternachtsblau, hatte rund um die Fenster dezente, schmale Streifen in Silbergrau, und zu meinem Entsetzen war es ein Volvo. Dasselbe Modell, das auch der Knipser fuhr. Nur hatte diese Ausführung sämtliche Auf- und Umbauten für einen Leichentransporter.

Auf der Fahrertür war Mattis neues Firmenlogo angebracht: Eine Sonne mit einem zarten Strahlenkranz neben einem schimmernden Mond. Darunter prangte in Silber das Wort ‚Bestattungen‘.

Matti hatte die Hände in seinen Werkzeuggürtel gehängt und sagte nichts. Ich wunderte mich über seine neue Lässigkeit. Rudi kam hinter uns aus der Tür, baute sich breitbeinig in derselben Pose neben Matti auf und strahlte. »Das Logo hab ich entworfen, mit Airbrush gemacht. Super, ne?«

»Ja, wirklich großartig.«

»Ich bin nämlich eigentlich so was wie’n Designer. Früher hab ich Motorradtanks und gestohlene Autos und so ... weiß du. Und jetzt dachte ich, ich mach mal für den Matti ...«

»Ach. Ist der Wagen wenigstens gekauft?«

»Natürlich«, antworteten Matti und Rudi gleichzeitig.

»War’n Witz. Ich käme nie im Leben drauf, dass Herr Matti was stehlen würde.«

»Da bin ich ja beruhigt«, sagte Rudi und stieß Matti in die Seite. »Jetzt frag doch ...«, flüsterte er, aber Matti fixierte stumm einen Punkt außerhalb der Stratosphäre.

»Was sollen Sie mich fragen?«

»Ach, es ist so, Frau Margret ...«, druckste er.

»Uns fehlt noch ein Name, verstehst du? Das ist es, was er dir sagen will«, sagte Rudi. »Er braucht einen Namen für das Bestattungsinstitut.«

»Er hat doch einen Namen.«

Matti summte einen finnischen Tango und hatte sich aus der Konversation schon wieder verabschiedet.

»Aber Bietiniemolaiinnen kann doch keiner aussprechen«, sagte Rudi.

Ich wandte mich wieder Matti zu: »Was ist los? Haben Sie jetzt das Reden komplett aufgegeben? Soll ich mir jetzt für Sie einen Namen ausdenken? Mach ich gern.«

»Nein.« Matti fuhr mit ausgestreckter Hand über die freie Fläche unter dem Wort ,Bestattungen‘ und sagte mit fester Stimme: »Abendroth. Bestattungen Abendroth.«

»Was?«

»Bestattungen Abendroth«, sagte er noch einmal und zeigte mit beiden Händen, wo ungefähr der Schriftzug stehen würde. »In einer sehr schönen Schrift.«

»Super!«, pflichtete Rudi ihm bei. »Super. Abendrot. Toller Name. Absolut passend für das Ende des Lebens. Mann, dass ich da nicht selber drauf gekommen bin. Abendrot ... Ich fang gleich mal an, was zu zeichnen. Da mach ich um die Sonne und den Mond noch so’n orange-rosa Schimmer ... und so’ne schnörkelige Schrift.«

Ich konnte es schon direkt vor mir sehen und wurde auf der Stelle blind. »Wie alt bist du, Rudi?«

»Dreiundreißig.«

»Eben, und wir hatten vorhin schon besprochen, dass du noch ein bisschen älter werden willst, oder? Also, sieh dich vor. Gar nichts malst du auf das Auto, und schon gar nicht meinen Namen, und schon gar nicht in Schnörkeln.«

»Ja, ja, weil ich dann unser erster Kunde werde ... verstehe. Nee, also, nee.« Rudi wollte sich vor Lachen ausschütten. Matti guckte seinen Mitarbeiter verblüfft an. Rudi boxte ihn herzhaft in die Seite und prustete: »Du hast mir echt nicht zu viel versprochen, die ist echt witzig. Echt voll witzig.«

»Frau Margret, Abendroth ist ein schöner Name. Besser als meiner«, sagte Matti ernst.

»Ihrer wäre viel besser, eben weil es Ihrer ist.«

»Den können die Leute sich nicht merken.«

»Dann schreiben Sie doch Bestattungen Matti oder ... oder ... Suomi oder Nurmi ... Das kann sich jeder merken. Und eine einfache Telefonnummer.«

Rudi murmelte probehalber ein paar Mal Bestattungen Suomi und Bestattungen Nurmi vor sich hin.

»Sie freuen sich also gar nicht?« Matti guckte mich mit seinen himmelblauen Augen erwartungsvoll an, aber die klaren finnischen Seen trübten sich bereits. Was sollte ich denn jetzt dazu sagen? Ja, Herr Matti, ich fühle mich geehrt, meinen Namen für ein Bestattungsunternehmen beizusteuern? Bundesfilmpreisträgerin Abendroth, Design & Objekt Abendroth, meinethalben auch Café Abendroth oder Modehaus Abendroth, aber doch nicht

B e s t a t t u n g e n Abendroth!

Ich hatte zu lange mit der Antwort gezögert.

»Schade«, sagte Herr Matti und ging durch die Hofeinfahrt zurück zum Hintereingang.

»Schade«, sagte Rudi und rollte die Augen, »jetzt geht alles wieder von vorne los. Du hättest ihn sehr glücklich machen können.«

»Ja, aber ...«, wollte ich zu einer Erklärung ansetzen, aber Rudi musterte mich von Kopf bis Fuß und schüttelte den Kopf.

»Was ist jetzt schon wieder los?«

»Ich versuche rauszufinden, was der Matti an dir so toll findet.«

»Er findet mich ... toll? Im Sinne von was?«

»Rudi, hat er gesagt, diese Frau hat wirklich Mut. Und sie kann wunderbar reden – sogar ganz schnell. Und sie ist witzig. Wenn ich wieder raus bin, dann arbeite ich wieder mit ihr zusammen. Das wird schön.«

»Schön?« Schön in welchem Sinne? Im finnischen Sinne? In meinem jedenfalls nicht.

»Der Matti ist echt’n prima Kerl, ehrlich. Wie der mir gesagt hat, ‚Wenn du rauskommst, komm zu mir, ich gebe dir Arbeit‘, hab ich gedacht: ja klar, Superspinner. Wenn ich rauskomme, hab ich Arbeit ... Wär’ ja das Allerneueste. Die labern doch da alle ... Aber er hat Wort gehalten. Ohne den wäre ich nicht hier, sondern schon längst wieder in irgendwas reingeraten. Der hat mehr Grips in der Birne als ich – dafür hab ich mehr in den Muckis. Und ich find’ ihm’ne bessere Sekretärin, wenn du nicht willst. Und’n besseren Namen auch. Suomi und Nurmi! Weiß doch eh kein Schwein, was das ist. Hört sich ja an wie Dick und Doof.«

Er drehte sich auf dem Absatz um und marschierte zurück ins Haus, und ich stand plötzlich allein vor dem herrschaftlichen Leichenwagen. Die leere Stelle unter dem Wort ,Bestattungen‘ gähnte mich an.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich keine Zeit mehr hatte, hinter Matti herzurennen, um die Diskussion in den Ruinen des alten Kühlhauses weiterzuführen. Ich wettete mit mir selbst, dass wir in den nächsten Wochen das Spielchen ‚Briefumschlag-wechsel-dich‘ mit verschärften Regeln weiterspielen würden. Wie ich Matti kannte, würde er einfach den Einsatz erhöhen. Seine Hartnäckigkeit ist unübertroffen. Schließlich ist er ein Finne und seine Nerven gestählt vom Eisangeln bei Minus 40 Grad Celsius im ewigen, finnischen Winter von Kemijärvi, der nur ab und zu von einem gesprächigen Rentier und einer fotogenen Aurora borealis unterbrochen wird. Was hatte ich dem schon entgegenzusetzen außer, schnell zu reden?

Mir blieb noch knapp eine Viertelstunde, bis ich mit dem alten Benz auf dem Taxi-Halteplatz einfliegen musste. Gerade genug Zeit, um bei Oma Bertis Kiosk meinen Tabakvorrat aufzufüllen. Und wenig genug, um einen Grund zu haben, mir nicht das neueste Geschwätz von Herrmanns und Borowski anzuhören. Herrmanns hatte nämlich ein neues Thema, und das war nicht minder schlimm als seine alten Themen. Nachdem er genüsslich bis vor ein paar Tagen die deutsche Fußball-Nationalmannschaft und den Verlust der Weltmeisterschaft in letzter Sekunde und danach die große Oderflut von allen Seiten und mit allem, was die BILD-Zeitungsphilosophie so hergab, durchgekaut hatte, gab es jetzt Diddä. Herrmanns hatte alles, was über Bohlen in der BILD gestanden hatte, natürlich schon gelesen und beglückte jeden, der nicht schnell genug wegrennen konnte, mit den Erkenntnissen des Dieter Bohlen über Gott, die Welt und die Frauen. Wie sich herausstellte, war Herrmanns Diddäs Bruder im Geiste. Und Borowski seine Naddel.

KapitelDrei

Als ich am Kiosk vorfuhr, standen Herrmanns und Borowski, wie erwartet, an der Verkaufsluke, jeder eine Flasche Fiege-Pils in der Hand und prosteten mir zu. Ich stieg aus. Die Ohren auf Durchzug, mit starrem Blick auf mein Überlebenspack, bestehend aus Stern, Bunte und Gala von der letzten Woche, die Berti mir netterweise kostenlos überließ (dafür waren die Kreuzworträtsel leider schon gelöst), zwei Schachteln Gauloises und einem heißen Espresso. Berti reichte mir die Zigaretten und die Zeitungen, und ihre Freundin Mia kredenzte den Kaffee. Den Espresso hatte ich schon ausgetrunken, bevor Herrmanns auch nur ‚Diddää‘ ausgesprochen hatte. »Tut mir leid, Herrmanns, heute keine Teppichluder-Geschichte. Keine Zeit.«

Mia stellte die leere Tasse beiseite und sagte: »Ach, wie schade, ich dachte, du kannst mich nach Hause bringen.«

»Ruf ich dir eben’n anderet Taxi«, sagte Berti.

»Nee, kein Problem, ich fahr dich, Mia. Steig ein.«

»Ich war zuerst hier, dat Taxi gehört mir«, sagte Herrmanns.

»Hättste eher was sagen müssen. Sorry, Berti ruft dir ein anderes«, sagte ich.

»Der Herrmanns hat noch wat zu erledigen«, sagte Borowski und befreite eine kleine Flasche Underberg von ihrer Papierumhüllung.

»Das nenn ich eine sensationelle Nachricht. Termin mit Diddä?«

Oma Berti hatte den Telefonhörer schon in der Hand, als Herrmanns Mia vorschlug: »Wir können doch zusammen fahren, ne?! Erst setzt se mich ab und dann Sie.«

Ja, Herrmanns, und wer dann die Rechnung bezahlt, ist auch klar. Mia dachte wahrscheinlich dasselbe wie ich, denn sie schaute flehend gen Himmel. Berti kam uns zur Hilfe und sagte: »Is schon unterwechs, Herrmanns. Dein Bier is eh noch nich alle. Mach mal langsam, so dringend kann et ja nich sein.«

»Nee, nich dringend, abba pünktlich.«

»Dein neuer Chef wartet nich gerne, ne? Der feine Herr benötigt Herrmanns’ Dienste«, maulte Borowski in die Runde. »Wenn der sacht: ‚Spring‘, fracht der Herrmanns nur noch: ‚Wie hoch?‘«

Herrmanns drehte sich murrend von Borowski weg. »Pannhannes. Bis ja bloß neidisch, weil dich keiner irgendwat fracht.«

Borowski muckt auf? Ist ja das Allerneueste.

Mia kam aus dem Kiosk und stieg sofort in den Wagen. Ich nahm meine Zeitungen und die Zigaretten und machte, dass ich weg kam. Herrmanns als ersten Fahrgast des Tages ertragen zu müssen, war wirklich nicht das, was ich gerade brauchte. Seinem Tonfall nach zu urteilen, hatte er wieder mindestens drei Underberg und vier Flaschen Fiege intus. Da konnte man für Herrmanns’ Chef nur hoffen, dass es nicht darum ging, eine Atombombe zu entschärfen.

»Meine Herren, Maggie! Wenn ich jetzt noch eine Geschichte von diesem Bohlen gehört hätte ... Du bist wirklich die Rettung.«

»Tja, Herrmanns ist als Nervensäge unübertroffen.«

»Ich dachte, ich mach mir mal einen schönen Nachmittag mit Berti, und dann kreuzen die beiden da auf. Und gehen nicht und gehen nicht. Seit der Herrmanns diesen Job hat, sagt die Berti, hat er wieder mehr Geld. Kann er noch mehr Bier trinken und bei ihr rumlungern.«

»Ich denk’ der ist Rentner?«

»Und jetzt ist er auch noch Gärtner. Das kann er wohl ganz gut. Borowski ist neidisch, weil der Herrmanns dem den ganzen Tag die Ohren über seinen Chef vollsülzt. Als wär’ plötzlich sein Chef sein bester Freund. Kann der Borowski nicht vertragen. Und wie der Herrmanns immer angibt! Wie’n Sack Seife.«

»Womit denn? Verdient der da so viel?«

»Nee, der gibt mit seinem Chef an. Was der alles hat ... Eine Villa, einen Swimmingpool, ein volltemperiertes Zimmer für seine Zigarren, Kunst an den Wänden, und hasse nich gesehn ...«

»Kein Wunder, dass der Borowski eifersüchtig ist. Aber die kriegen sich schon wieder ein. Spätestens, wenn der neue Chef merkt, wie schnell sein Cognacvorrat alle wird.« ... und seine seit 80 Jahren kunstvoll hochgezüchtete Buchsbaumhecke nach Herrmanns Neuschnitt aussieht, wie’ne Kette Bierflaschen.

»Herrmanns sagt, der hat einen ganzen Keller voll davon.«

»Dann wäre ich an seiner Stelle noch vorsichtiger. Solche Leute führen Listen über ihre Bestände. Wie geht’s dir sonst? Lange nicht gesehen.«

Genau genommen seit der Knast-Entlassungsparty vor ein paar Wochen, die Oma Berti spontan für Matti gegeben hatte.

»Ach, wie soll es mir schon gehen? Ich hab den Hof verkauft, die Sophie hat ein schönes Plätzchen bei unserem Nachbarn. Ich wohne in drei Zimmern mit Balkon, da ist man auch schnell fertig mit allem.«

Mit anderen Worten, Mia fiel in ihrem neuen Zuhause die Decke auf den Kopf. Erst kürzlich war ihr Mann unter tragischen Umständen zu Tode gekommen, und so schnell, wie sie sich ihren neuen Lebensumständen gebeugt hatte, so schnell, schien es, ging ihr gerade dabei die Puste aus. Sophie war das Hausschwein der Hoffstiepels gewesen. Ihr ganzer Stolz. Dass Mia es übers Herz gebracht hatte, Sophie einem Fremden zu überlassen, ließ auf ihre Gemütslage schließen. Mia war knapp über sechzig und topfit. Das gemütliche Rentnerdasein mit zwei Zimmern, Küche, Diele, Bad, Balkon bekam ihr gar nicht.

»Kannst du nicht Berti ein bisschen im Kiosk helfen?«

»Ach, die hat doch jemanden. Hat sie dir das gar nicht erzählt? So einen jungen Kerl. Ritchie heißt der. Kommt zweimal die Woche. Das reicht ihr.«

»Nee, den kenn ich gar nicht.« Daran konnte ich mal wieder ablesen, wie tief ich bei Oma Berti gesunken war. Sie hatte mich nicht mal über meinen Nachfolger informiert.

»Und du fährst jetzt Taxi? Berti sagt, du machst Nachtschicht. Das ist doch gefährlich für eine Frau.«

»Es war nur noch die Nachtschicht frei. Was soll ich machen? So schlimm ist es gar nicht.« Na ja, das war ein bisschen gelogen. Man weiß ja nie, wer einem da in den Wagen steigt. Regelrecht Angst hatte ich nicht, aber ein mulmiges Gefühl beschlich mich schon, vor allem, wenn die Fahrgäste angetrunken waren. Während meines Studiums war ich schon mal ein paar Monate gefahren, aber das waren andere Zeiten und eine andere Maggie gewesen. Da gehörte es zum guten Ton, in der Nacht unterwegs zu sein – schräge Jobs zu machen und auf dem T-Shirt ,No Future‘ stehen zu haben. Das T-Shirt war längst in der Altkleidersammlung, und ich, beruflich auf dem Abstellgleis, erfuhr gerade am eigenen Leib, was der Slogan wirklich bedeute.

»Pass mal gut auf dich auf. Was sagen denn deine Freunde dazu? Der Winnie zum Beispiel, als Kommissar weiß der doch, was jede Nacht auf den Straßen passiert. Der hätte dir das ausreden müssen.«

Hatte er ja versucht, aber ich habe nicht auf ihn gehört. Aber er hat mir eine Dose Pfefferspray geschenkt.

»Und der Herr Matti, der könnte dir doch einen Job anbieten. Berti hat gesagt, der macht in ein paar Tagen das Bestattungshaus wieder auf«, argumentierte Mia weiter, weil ich ihr keine Antwort gab.

Genau, hat er ja gemacht, aber ich habe nicht auf ihn gehört. Und er hat mir eine Dose Pfefferspray geschenkt.

»Und deine Freundin Wilma, die hat doch einen eigenen Friseursalon ...«

»Mia, die haben mir schon alle ins Gewissen geredet, sogar Kajo, und Karin und Peter, Winnies Kollegen vom Kommissariat. Alle haben nichts ausgelassen – aber ich mach das jetzt und fertig. Und alle haben mir eine Dose Pfefferspray geschenkt. Willste mal sehen? Oder brauchst du zufällig eine? Da, im Handschuhfach, nimm dir ruhig.«

Mia öffnete das Handschuhfach, in dem das Selbstverteidigungsarsenal herumkollerte.

»Na, wenigstens bist du bewaffnet.«

Wir fuhren schon die dritte Runde im Kreisverkehr am Romanusplatz. Mia lachte und sagte: »Mensch, ich sollte dir mal sagen, wo ich jetzt wohne, was?«

»Könnte helfen.«

»Gar nicht so weit. Am Wiesental. Da lang.« Sie schloss die Klappe vom Handschuhfach. »Ich hoffe ja für dich, dass du das nie brauchen wirst.«

»Das hoffe ich auch, Mia.« Und deswegen mache ich zu später Stunde an dunklen Halteplätzen auch immer brav die Zentralverriegelung zu. In manchen Nächten wusste ich nicht, was schlimmer wäre – Taxikollegen, die einem die Nacht volltexteten, oder irre Axtmörder.

Ich nahm die Ausfahrt an der Drusenbergstraße, und ein paar Minuten später standen wir schon vor Mias Haustür.

»Schönes Haus.«

»Tja, und so nah am Park. Ich kann den ganzen Tag spazieren gehen, bis ich vor Langeweile tot umfalle.«

»Mia, du brauchst einen Job.«

»Ich werde nicht Taxi fahren«, lachte sie.

»Nee, aber vielleicht was anderes.«

»Zum Beispiel? Ich guck mir die ganzen Anzeigenblätter an, und alles, was die wollen, sind Achtzehnjährige mit 30 Jahren Berufserfahrung. Ich kann da nicht mithalten. Spielhallenaufsicht, Tankstelle, Call-Center. Was soll ich mich da bewerben?«

Na ja, ich hatte mich da beworben, auch ohne Erfolg. Deswegen fuhr ich ja Taxi. War ich mit 38 Jahren auch schon zu alt? Hatten sie mich deswegen nicht genommen?

»Also Mia, ich weiß, dass Herr Matti jemanden sucht, der sein Büro macht. Ich will den Job nämlich nicht. Das halten meine Nerven nicht aus nach allem, was da passiert ist, verstehst du.«

»Aber du denkst, dass meine Nerven das aushalten? Also Maggie!«

»Büroarbeit, Telefonieren, Ruhe bewahren, Rechnungen schreiben. Das ist alles. Du bist nett, du hast ein ansprechendes Äußeres, du bist gepflegt, hast gute Umgangsformen, du hast Buchhaltungskenntnisse, und wie ich weiß, kannst du sogar mit dem Computer umgehen. Hat mir Berti erzählt. Sag nicht, dass es nicht stimmt.«

»Doch, das stimmt. Aber das wird nicht gehen ... nein, das wird nicht gehen. Herr Matti braucht jemanden, der jünger ist. Für so eine Arbeit braucht man Kraft.«

»Okay, ich habe dir Bescheid gesagt. Und ich sage noch was – für so einen Job braucht man keine Kraft, man braucht die richtige Einstellung. Und die hast du. Soll ich mit ihm darüber sprechen?«

»Nein, Maggie, das lass mal lieber. Ich glaube nicht, dass das der richtige Job für mich ist.«

»Matti ist sehr nett, Mia. Ihr würdet euch gut verstehen.«

Vor allem wäre Mia ein gutes Gegengewicht zu diesem Spaßvogel Rudi, der ein Talent dazu hat, in ‚Sachen reinzugeraten‘.