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Nach einem gescheiterten Putsch ist die Feyde Calliope Barbot dazu verdammt, in der Welt der Sterblichen zu leben. Ihre einzige Chance, in das Feenreich zurückzukehren, besteht darin, den König der Hölle zu verführen und auszuspionieren. Vor Lila liegt eine schier unlösbare Aufgabe. Denn Abyssian Infernas ist ein furchteinflößender Dämon voll finsterem Begehr. Aber Lila wäre nicht sie selbst, fände sie nicht für alles eine Lösung. Dass sie dabei ihr Herz an den knurrigen Dämon verliert, war allerdings nicht geplant ...
"Kresley Coles Geschichten sind der Hammer - die polieren auch den langweiligsten Nachmittag auf!" Romantic Times
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Seitenzahl: 569
Es war einmal eine junge Feyden-Prinzessin, die wurde in die Welt der Sterblichen verbannt. Ihre Eltern wollten den König der Feyden stürzen, aber sie scheiterten und mussten mit dem Leben dafür bezahlen. Prinzessin Calliope wurde verschont und war nun dazu bestimmt, ihr Dasein unter Menschen zu fristen. In Lila brennt seither die Sehnsucht, heimzukehren und ihre Schuld zu tilgen. Als ihr die Walküre Nïx überraschend ein Angebot unterbreitet, kann die Feyde nicht ablehnen: Sie soll hinab in die Hölle steigen, um den König der Dämonen – Abyssian Infernas – zu verführen, auszuspionieren und ihn so zu Fall zu bringen. Gelingt Lila das, darf sie zurück zu ihrem Volk. Doch leichter gesagt als getan. Denn Sian ist ein gebranntes Kind: Ein grausamer Verrat hat ihn eiskalt werden lassen, und er hat starke Mauern um sein Herz errichtet, die niemand einreißen kann … bis sich die holde Feydenjungfer mit einer List in sein verzaubertes Schloss einschleicht und mit einem Mal die komplette Unterwelt auf den Kopf stellt. Sian würde nichts lieber tun, als, die kecke Feyde in hohem Bogen aus der Hölle zu werfen. Doch sie weckt gleichzeitig ein Feuer in ihm, das der Dämon längst vergessen glaubte. Seine Leidenschaft brennt heiß, auch wenn er weiß, dass er Lila nicht vertrauen darf …
KRESLEY COLE
Abgrund der Sehnsucht
Roman
Ins Deutsche übertragenvon Bettina Oder
All denen gewidmet, die immer noch von Märchen träumen …
Der Mythos
»… und jene empfindungsfähigen Geschöpfe, die nicht der menschlichen Rasse angehören, sollen in einer Schicht vereinigt sein, die neben der der Menschen besteht, ihnen jedoch verborgen bleibt.«
Die meisten von ihnen sind unsterblich und können sich nach Verletzungen regenerieren. Bei heftigen Gefühlsregungen verändert sich ihre Augenfarbe, die von Rasse zu Rasse variiert.Die Dämonarchien
»Die Dämonen sind so mannigfaltig wie die Stämme der Menschen …«
Eine Ansammlung dämonischer Dynastien. Die Höllen-Dämonarchie war das erste aller Dämonenkönigreiche.Primordial
»Die Mächtigsten aller Unsterblichen; erfüllt von Macht, Magie und Majestät.«
Die Erstgeborenen – beziehungsweise die älteste Generation – einer Spezies.Die Møriør
»In der Sprache der Anderreiche kann Møriør sowohl ›das Dutzend‹ als auch ›Untergang der Seele‹ bedeuten.«
Eine Allianz übernatürlicher Wesen, die von Orion dem Zerstörer angeführt werden.Sie haben die Reise zu unserer Welt aus bislang unbekannten Gründen unternommen.Die edlen Feyden des Grimm-Dominions
»Eine Klasse adliger Krieger, die über alle unfreien Dämonen ihres Reiches herrschten.«
Ursprünglich Féodals genannt, ein altertümlicher Ausdruck für feudale Lehnsherren, aus dem mit der Zeit die Bezeichnung Feyden entstand.Sie besitzen übernatürliche Schnelligkeit und Schläue.Das Sylvanische Königreich wird von König Saetthan beherrscht, der auch unter dem Namen Saetth bekannt ist.Die Akzession
»Und es wird eine Zeit kommen, da alle unsterblichen Kreaturen des Mythos kämpfen und einander vernichten sollen.«
Eine Art mystisches System zur gegenseitigen Kontrolle in einer beständig wachsenden unsterblichen Bevölkerung.Die drei bedeutendsten Allianzen: die Vertas-Liga, das Pravus-Regiment und die Møriør.Geschieht alle fünfhundert Jahre. Oder genau in diesem Augenblick …»Lausche der Erzählerin, und du wirst eine höchst ungewöhnliche Geschichte hören«, forderte Nïx die Allwissende ihre Schwester Regin auf, mit der sie in ihrer vorübergehenden Bleibe vor dem Feuer saß. »Es waren einmal zwei Frauen, die einen verzauberten Wald an gegenüberliegenden Seiten betraten. Die eine war eine liebliche und aufrichtige Märchenprinzessin, als alte Seele geboren, und möglicherweise ein wenig aufbrausend. Die andere war eine Verführerin, die man Feuerfrau nannte; sie war bekanntermaßen so wollüstig wie hinterhältig und möglicherweise ein wenig unbarmherzig.
Die Prinzessin war vor einem Bannblut-Bogenschützen auf der Flucht, der geschworen hatte, die gesamte königliche Familie der Feyden auszulöschen. Die Prinzessin wollte nur eines: leben.
Die Feuerfrau verfolgte einen feigen Herrscher, der sein gesamtes Volk in Gefahr gebracht hatte. Sie wollte nur eines: töten.
Auf ihrer Reise begegnete die Prinzessin einer geheimnisvollen, hinreißenden und arglistigen Wahrsagerin und Walküre, die sie hinterging. Als Nächstes begegnete die Prinzessin zwei Zauberinnen. Diese sandten sie in das Abenteuer ihres Lebens, in den Kaninchenbau hinab in eine fremde neue Welt, weil sie wussten, dass nicht alles Schlechte schlecht ist.
Zuletzt begegnete die Prinzessin einem König der Bestien mit zwei Gesichtern. Er könnte sie vor dem Bogenschützen retten, aber dazu müsste die Märchenprinzessin erst einmal die Braut der Bestie werden.
Auf der entgegengesetzten Seite des Waldes begegnete die Feuerfrau einer uralten Macht, die ihren Wagemut anerkannte und belohnte.
Als Nächstes begegnete sie einem weisen Drachen, der ihre Kühnheit bewunderte und entschied, ihr einen Wunsch zu erfüllen.
Zuletzt traf sie einen wunderschönen Märchenkönig, der ihr seine Hand zur Ehe darbot. Und wie jeder weiß, ist der beste Weg, eine Königin zu werden, einen König zu heiraten.
Die Feuerfrau und die Prinzessin trafen inmitten des Waldes aufeinander, und sie stießen mit solcher Wucht zusammen, dass sogar die Hölle erbebte. Wer von ihnen würde am Ende wieder aus dem Wald auftauchen? Wer würde triumphieren, ehe die Uhr Mitternacht schlug? Die Gefährtin der Erzählerin, eine ihrer Walkürenschwestern, blinzelte erstaunt ob dieser Geschichte und sagte dann …«
»Äh, Nïx, ich hab dich doch nur gefragt, ob du mit mir auf die Jagd nach ein paar Ghulen kommen willst.« Regin blickte mit gerunzelter Stirn auf ihre Schwester und fragte sich, wie viel verrückter die Wahrsagerin wohl noch werden könnte. Nach der Zerstörung der Villa der Walküren schritt der Verfall ihres Verstandes noch rascher fort als zuvor. »Und warum nennst du dich ›die Erzählerin‹ und gibst unsere Unterhaltung wieder?«
Nïx lächelte mit leerem Blick. »Die Erzählerin erwiderte: ›Weil ich eine Geschichte erzähle. Davon abgesehen kamen während der Entstehung dieses Märchens keine Ghule zu Schaden.‹«
FEIVL – Finde eine verdammte Lösung.
Calliope »Lila« Barbot,Prinzessin der Sylvanischen Feyden
Mein Erzeuger war der Teufel und meine Erzeugerin die fleischgewordene Dunkelheit. Ich bin ein Schatten, der dir selbst in die Nacht hinein folgen kann.
Abyssian »Sian« Infernas,König von Pandämonia und sämtlichen Höllen,Mitglied der Møriør (alias Der Teufel höchstselbst)
Burg Sylvan
Vor elf Jahren …
Während König Saetth gemächlich das Blut von seinem Schwert abwischte, schluckte Lila ihre Wut hinunter.
Er nahm sich alle Zeit der Welt, wie er dort gemütlich auf seinem Thron hockte, und ließ alle anderen zappeln. Nachdem zwei Exekutionen ausgeführt worden waren, blieb nur noch eine einzige Verhandlung übrig.
Meine.
Würde sie das Schicksal ihrer Eltern teilen?
Durch eines der hoch aufragenden Fenster des Thronsaals fiel ein Sonnenstrahl auf den König. Seine blonden Locken und seine kunstvolle Krone – ein Kranz aus vergoldeten Immergrünzweigen – schienen zu leuchten. Sogar die Sonne sehnte sich danach, ihn zu berühren.
Obwohl sie erst dreizehn Jahre alt war, war Lila genauso verliebt in ihn gewesen.
Von allen Seiten ertönte das Geflüster ihrer verräterischen königlichen Cousins und Cousinen.
»Gleich wird Saetth seine kindliche Verlobte enthaupten!«
»Dabei hatte sich das freche Gör doch so daran gewöhnt, die Favoritin des Königs zu sein.«
»Warum heult das kleine Miststück eigentlich nicht?«
»Oder bettelt um sein verfluchtes Leben?«
Heulen oder betteln? Darauf könnt ihr lange warten. Lila stand mit hoch erhobenem Kinn und durchgedrückten Schultern vor Saetth; ihr verhätscheltes Äußeres täuschte über ihre innere Stärke hinweg.
Die Tücken des Feyden-Hofes hatten ihr Mut beigebracht. Was sie aus den Fehlern anderer gelernt hatte, hatte sie Klugheit gelehrt.
Doch nichts hatte ihr ganz und gar unfeydenhaftes Temperament dämpfen können. Immerhin war sie seit ihrer Geburt mit Saetth verlobt, war dazu erzogen worden, Königin seines Reichs zu werden. Gerüchte besagten sogar, sie sei eine wiedergeborene Prinzessin.
Es war der Wunsch des Schicksals, dass sie einmal Königin würde.
Lila hatte zu dieser Gelegenheit ein violettes Seidenkleid angezogen; die Farbe war königlich – und herausfordernd zugleich.
Als der Glockenturm des Schlosses die Stunde schlug, beendete Saetth die Reinigung der Waffe, die er allzeit trug: das Schwert der Ahnen, das verbindende Symbol ihrer königlichen Linie.
Saetth hob die Klinge ins Sonnenlicht und musterte die Schneide mit seinen durchdringenden blauen Augen.
Zu Lilas frühesten Erinnerungen gehörten ihre Seufzer angesichts seines gut aussehenden Antlitzes und dass sie sich ausmalte, wie er ihr Ehemann und ihre Puppen die Untertanen waren, die sie gemeinsam beschützten.
Und dennoch verdächtigte ihr König sie nun des Verrats?
Wie hatten ihre kaltherzigen Eltern nur gegen einen so mächtigen Herrscher eine Verschwörung anzetteln können? Dazu waren sie noch so töricht gewesen, einem Spitzel zu vertrauen, sodass nun das Leben ihres einzigen Kindes auf dem Spiel stand.
An diesem Hof ist Verschwiegenheit mit Überleben gleichzusetzen.
Sie war ihnen immer schon gleichgültig gewesen; nie hatten sie vorgegeben, dass sie mehr als ein wertvolles Pfand sei, was einer der Gründe war, warum sie eine derartig starke Verbundenheit mit Saetth fühlte, der ihr zumindest Aufmerksamkeit geschenkt hatte …
Er schob sein Schwert in die Scheide. Dann begann er ihr Verfahren mit einer Frage, während er auf sie hinabblickte: »Warum sollte ich nicht glauben, dass du an der Verschwörung deiner Eltern beteiligt warst, die zum Ziel hatte, mir meine Krone zu stehlen?«
Lila hielt seinem Blick mit ihrem eigenen, unheimlichen, stand. Ihre Verteidigung bestand aus neun Worten: »Weil sie immer noch auf deinem götterverdammten Kopf sitzt.«
Fassungsloses Schweigen.
Saetths Schock verwandelte sich in Belustigung. »Und darum bleibst du auch meine Verlobte, Calliope von Sylvan, die Königin meines Herzens.« Er lachte und betrachtete sie mit einem dem Anschein nach warmen Blick. »Wenn es je ein Mädchen gab, das zum Herrschen geboren war, dann bist du es, Cousine. Aber auch ich wurde zum Herrschen geboren, und ich besitze diese Krone seit Jahrtausenden, weil ich keinerlei Bedrohungen um mich dulde.« Sein Lächeln verschwand, als ob es nie existiert hätte. »Hiermit verbanne ich dich aus unserem Königreich der Wälder.«
Sie sollte ihr geliebtes Sylvan verlassen? Da wäre es Lila beinahe lieber, zu sterben. Die Wälder waren das, was die Sylvaner von den anderen Feyden absetzte. Der Pracht jener gewaltigen Bäume kam einzig und allein die strahlende, penible Ordnung des Lebens bei Hofe gleich.
Erst vor zwei Wochen hatten sich bei einem Ball zu ihren Ehren die Flammen von tausend Kerzen in ihren Juwelen gespiegelt, als Saetth sie zum Tanz geführt hatte. Am nächsten Tag war sie mit springenden Hirschen durch die Wälder gerannt.
Sie von diesem Ort zu trennen, wäre, als ob man das Blut aus ihren Adern lassen würde. »Wohin?«
»In das Reich der Sterblichen.«
Laute des Entsetzens allenthalben. Einige ihrer Cousinen kicherten. Da hätte er sie auch gleich in die Hölle verbannen können.
Anstatt wie bislang voller Stolz zur Schau zur tragen, was sie zur Mythenweltbewohnerin machte, würde sie von nun an vor den neugierigen Augen der Sterblichen verbergen müssen, was sie als Angehörige ihrer Spezies auszeichnete. Von der Ordnung, die die Feyden so sehr schätzten, würde sie nun in das menschliche Chaos übersiedeln müssen.
»Wir werden sehen, ob meine verwöhnte Rose unter primitiven Menschen überleben kann«, sagte Saetth.
Sie fletschte die Zähne, als sie antwortete: »Vorsicht, Cousin. Diese verwöhnte Rose gedenkt zu gedeihen und scharfe Dornen zu entwickeln.«
Weitere Laute des Entsetzens.
In Saetths Augen flackerte Erregung. Er beugte sich hinab. »Darauf baue ich.«
»Und was, wenn der Feyden-Mörder mich findet?« Rune Dunkellicht, gemeingefährlicher Bogenschütze und einer der Møriør, hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die sylvanische Königsfamilie auszulöschen. Lila war eine von nur vierzehn, die noch am Leben waren.
Das Schloss besaß eine Barriere, die die Møriør am Eindringen hinderte, aber überall sonst wäre sie völlig schutzlos.
»Setze deine neuen Dornen gegen ihn ein«, erwiderte Saetth. Als ob man gegen einen dieser monströsen Møriør kämpfen könnte! »Wenn du wahrhaftig die Königin bist, die ich verdiene, wird dir sicherlich etwas einfallen.«
»Wann kann ich zurückkehren?« In sechs Monaten? Einem Jahr?
»Sollte der Zeitpunkt kommen, an dem du deine Loyalität mir gegenüber durch ein großes persönliches Opfer unter Beweis stellen kannst, werde ich dir die Chance bieten, deinen rechtmäßigen Platz an meiner Seite wieder einzunehmen. Bis dahin, warte auf meine Nachricht …«
Der glücklichste Ort der Welt
Gegenwart …
Lila stand auf dem Balkon des Schlosses, in ihrem kornblumenblauen Ballkleid und einer funkelnden Tiara blickte sie hinunter auf die nächtliche Schönheit ihres magischen Königreichs.
Während eine milde Brise hellbraune Strähnen aus ihrem Knoten lockte, erklang unter ihr die Symphonie des Königreichs.
Sie seufzte, als sie an ihren letzten Ball dachte. Der Duft von Rosen und Kerzenwachs hatte die Luft erfüllt, als Saetth sie durch den makellosen Ballsaal gewirbelt hatte.
Sie schloss die Augen, hob den Saum ihres Rockes mit einer behandschuhten Hand an und schwankte –
»Kommen Sie näher und teilen Sie die Magie«, verkündete ein Mensch über die Lautsprecheranlage und riss sie damit aus ihren Träumen. »Die Magie von Walt Disney World!«
Nur schade, dass Lilas Leben eine Illusion war.
Sie wurde dafür bezahlt, sich so zu kleiden. Ihr märchenhaftes Ballkleid bestand aus Polyester und war mit den klebrigen Flecken der sterblichen Kinder bedeckt, die es ehrfurchtsvoll mit bonbonverschmierten Händen berührten: Bist du wöörklich eine Prüünzessin aus dem Märchen?
Das bin ich. Das bin ich wirklich. Die spitzen Ohren hatte sie meisterhaft unter ihrer Frisur versteckt.
Mythenweltbewohner machten aus ihrer Existenz ein Geheimnis – paranormale Aktivitäten in Gegenwart von Menschen wurde schwer bestraft –, daher stellte ein Vergnügungspark voller Sicherheitskameras den schlimmsten Albtraum eines jeden Unsterblichen dar. Lila hatte entschieden, sich Rune dem Bogenschützen zu entziehen, indem sie sich genau dort versteckte, wo jeder sie sehen konnte, und hatte einen Job als sogenannter »face character« angenommen.
Nach jeder Schicht aber zog sie sich auf diesen Balkon in Cinderellas Schloss zurück und tat so, als ob ihre Tiara echt wäre.
Da sie stets fürchtete, vom Bogenschützen oder von Sterblichen entdeckt zu werden, unterhielt sie keinerlei Freundschaften und besaß praktisch kein Sozialleben. Kein Liebesleben. Wenn sie nicht arbeitete, ging sie laufen – wobei sie ihre natürliche Geschwindigkeit drosselte –, um sich danach in ihrer trostlosen Wohnung zu verkriechen und sich mit Schnelllesen zu beschäftigen oder sich online einen weiteren Abschluss zuzulegen.
Lila fiel ein junges Pärchen unter ihr auf. Sie seufzte voller Sehnsucht, als die beiden sich gegen eine Mauer lehnten und zu knutschen begannen. Was sie in diesem Park alles schon gesehen hatte …
Sie hatte niemals mit einem Mann geschlafen – irgendein Teil von ihr glaubte wohl immer noch daran, sie könnte eines Tages doch Königin werden –, aber sie hatte schon Verschiedenes ausprobiert, seit die Transition in ihre vollständige Unsterblichkeit begonnen hatte.
So wie sich dadurch all ihre Sinne in übernatürlichem Maße schärften, wuchs auch ihre Lust. Mythianer nannten diese Phase Überstimulation. Lila nannte es »rollig«.
Selbst aus dieser Entfernung war sie durch ihre überragende Sehkraft in der Lage, winzige Details zu entdecken. Wie sich die Fingernägel der Frau in die Schultern des Mannes gruben. Wie er sich sanft an ihr rieb …
Plötzlich begannen die Spitzen ihrer Ohren zu zucken. Vorsicht war geboten – ein anderer Mythianer näherte sich.
»Eine Märchenprinzessin, die vorgibt, eine Märchenprinzessin zu sein?«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihr.
Saetth. Bleib cool, bleib cool. Beruhige dich um Himmels willen! »Das hat ja echt gedauert, Cousin.« Sie wandte sich zu ihm um und hob den Kopf. Es verschlug ihr den Atem.
Er trug einen maßgeschneiderten beigefarbenen Anzug, der seine langgliedrige Gestalt betonte, sowie sämtliche Herrschaftsinsignien. Seine fesselnden blauen Augen leuchteten amüsiert auf. Das goldblonde Haar fiel ihm mit perfektem Schwung in die Stirn. Seine Schwertscheide verstärkte die königliche Ausstrahlung noch, und auf dem Kopf trug er stolz seine Krone.
Er war der Inbegriff männlicher Perfektion.
Scheißkerl. Wenn man mal von der Tatsache absah, dass er sie verbannt und sie mittlerweile mehr als ein Jahrzehnt damit verbracht hatte, ihn zu verfluchen … ich würd’s glatt mit ihm tun. Selbstverständlich war sie zu diesem Zeitpunkt ihrer Entwicklung nicht besonders wählerisch.
»Calliope, du bist zu einer wahren Schönheit herangewachsen.« Sein Blick maß sie von unten bis oben. »Was ist denn das? Deine Augen passen inzwischen zueinander?«
»Eine Kontaktlinse.« Ihr äußeres Erscheinungsbild musste erst einmal genehmigt werden, ehe ihr erlaubt wurde, sich unter die Gäste zu mischen. Ihre unterschiedlich gefärbten Augen hätten diese Prüfung niemals bestanden. »Warum bist du hier?« Bring mich nach Hause, verdammt noch mal. Ich will einfach nur nach Hause.
»Wie wäre es denn mit einer angemessenen Begrüßung deines Verlobten?«
Verlobt. War sie tatsächlich immer noch im Rennen, was den Posten der Königin anging? Ihr Herz stockte, aber nicht, weil sie immer noch auch nur das kleinste bisschen in ihn verliebt gewesen wäre.
Lila liebte die Vorstellung, so viel Kontrolle wie nur möglich über ihr eigenes Leben zu haben. Nicht dauernd auf der Hut vor dem Møriør sein zu müssen.
Eine Herrscherin zu sein würde ihr die größte Sicherheit und Kontrolle verschaffen, die sie sich nur erhoffen konnte. »Bist du denn immer noch mein Verlobter? Ich weiß es wirklich nicht, da ich ja nicht ein einziges verdammtes Mal etwas von dir gehört habe.«
Die Spur eines Grinsens umspielte seine Lippen. »Ist die Zunge der kleinen Calliope in der Zeit ihrer Abwesenheit etwa noch schärfer geworden?«
Scharf? Du hast ja keine Ahnung, Cousin. Das Exil hatte ihr Temperament nur noch gesteigert.
»Und doch wette ich, sie wird so süß schmecken.« Er packte ihre Schultern und zog sie näher. Um sie zu küssen?
Sie hatte sich schon viel zu lange gefragt, wie sich das wohl anfühlen würde. Vor allem in letzter Zeit. Selbst wenn sie andere Kerle geküsst hatte, hatte sie von Saetth geträumt. Sie konnte nicht leugnen, dass er vermutlich der ideale Partner für sie war, in sozialer, königlicher – und sexueller – Hinsicht.
Hatte er sie etwa auf irgendeine Weise geprägt?
Er beugte sich hinab. Als ihre Lippen aufeinandertrafen, explodierte ein Feuerwerk.
Die allabendliche Acht-Uhr-Feuerwerk-Show. Der Kuss hatte eher weniger damit zu tun. Da hatte sie ja mehr gespürt, als sie mit dem Sterblichen rumgemacht hatte, der Goofy spielte.
Saetth stöhnte, seine Zunge berührte die ihre.
Schon besser, aber immer noch nichts, worüber sie nach Hause schreiben würde. Nicht dass ich jemals nach Hause schreiben könnte, da meine Heimat in einer gottverdammten anderen Dimension liegt und es dafür leider keine Briefmarken gibt.
Sie löste sich von ihm und stemmte sich gegen seine Brust.
Was ihn keineswegs entmutigte. Er ließ sie los. »Süß wie Honig«, murmelte er.
Das war also ihr erster Kuss gewesen. Wie … enttäuschend.
Mit glühendem Blick wandte er sich um und stützte die Ellbogen auf das Geländer, um das Feuerwerk zu betrachten, das den Himmel mit Flammen überzog.
Sie hatte diese Show schon so oft gesehen, dass sie wusste, dass als Nächstes die Zickzackkaskade in Lila, Rot und Blau kommen würde.
»Wie schlau, Sterbliche als Deckung vor dem Bogenschützen zu benutzen«, sagte er. »Und sich als Märchenprinzessin zu tarnen, ist die kühnste Entscheidung, die du hast treffen können. Warum überrascht mich das nicht?«
Ich kann nicht glauben, dass ich gerade Saetth geküsst habe. »Bist du nun hier, um mich zurückzuholen, oder nicht?«
Er richtete sich auf und sah sie an. »Das bin ich nicht.«
Sie verkniff sich eine Tirade aus Beleidigungen. Wie lange denn noch?
»Ich bin mit einer Freundin hergereist, um etwas mit dir zu besprechen. Ah, hier ist sie ja schon.«
Eine atemberaubend aussehende, schwarzhaarige Frau mit goldenen Augen kam auf den Balkon herausspaziert. In ihrem scharlachroten Etuikleid sah sie einfach umwerfend aus. Auf ihrer Schulter hockte eine lebende Fledermaus wie ein Accessoire.
Fraß das Tier da etwa gerade ein Stück Zuckerwatte? In der gewaltigen Umhängetasche der Frau schien ein ganzes Paket von dem süßen Zeug zu stecken.
»Calliope, das ist Nïx die Allwissende, die Hellseherin der Walküren.«
Nïx? Sie war eine der berühmtesten – oder berüchtigtesten, je nachdem, welcher Allianz man anhing – Unsterblichen auf der ganzen Welt. »Ich habe in meinem Buch des Mythos von dir gelesen.« Dieses Buch stellte Lilas einzige Verbindung zur unsterblichen Welt dar und aktualisierte sich nach jeder größeren Schlacht oder Machtverschiebung. »Es ist mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen.«
Obwohl Nïx eine der bedeutendsten Anführerinnen der Vertas-Allianz war, hieß es, sie sei wahnsinnig. Anstelle einer Begrüßung sagte Nïx: »Wolltest du schon einmal mit dem Teufel im blassen Mondlicht tanzen?«
Häh?
»Ich glaube, was Nïx dich eigentlich fragen möchte, ist, ob du dir jemals gewünscht hast, gegen die Møriør zurückzuschlagen«, sagte Saetth.
Die auch als die Boten der Verdammnis bekannt waren. »Selbstverständlich.« Gerüchte besagten, dass sich diese Tyrannen von ihrer Seite des Universums aufgemacht hätten, um in dieses einzufallen. Der Bogenschütze bildete ihre Vorhut.
Seitdem sie alt genug war, um zu begreifen, was der Schwarze Mann war, lebte sie in Angst vor ihnen allen.
Gleichzeitig mit ihrer Angst wuchs ihre Wut; diese beiden Emotionen schienen miteinander verflochten zu sein. »Es vergeht keine Minute, in denen ich nicht über sie nachdenke. Ich habe so vieles aufgegeben, um mich vor ihrer Bedrohung zu verbergen.« Sie fügte hinzu: »Während meines Exils.«
Saetth hob eine blonde Braue. »Ich sagte dir doch, dass du nach Hause zurückkehren könntest, sobald du ein großes persönliches Opfer gebracht hast, um deine Loyalität zu beweisen. Bist du dazu bereit?«
Lila wurde ganz still und bemühte sich, ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie würde alles tun, um wieder in Sylvan zu leben.
Alles. »Ja. Und wie?«
»Nïx hat mir versichert, dass ein Sieg gegen die Møriør auf dem Schlachtfeld unmöglich ist, aber sie hat uns auch eine einzigartige Gelegenheit verschafft, dieser Allianz einen schweren Schlag zu versetzen.«
Nïx zog ein Dossier aus ihrer Tasche und reichte es Lila.
König Abyssian Infernas, der Teufel höchstselbst. Er war der primordiale Dämon der Møriør-Allianz. Lila blätterte durch die Seiten der Akte und überflog seine Beschreibung:
Körperlich makellos … die Phrase »handsome as the devil«, also »gut aussehend wie der Teufel« entstand aufgrund von Vergleichen zu seinem berühmt-berüchtigten, höchst verführerischen Erzeuger … von Frauen auf das Hartnäckigste verfolgt und begehrt …
Unter der Überschrift Verschiedenes las sie:
Der älteste noch lebende Dämon … in allen Waffen geübt, trägt aber schon seit zehn Jahrtausenden dieselbe Streitaxt … ist imstande, völlig allein eine ganze Armee hinzustrecken … frisch gekrönter König von Pandämonia, alias Hölle.
Dieses sagenhafte Reich hatte Lila schon immer in ungewöhnlichem Maße gereizt. »Was erwartest du von mir?« Sie schloss die Akte. »Ich habe nie einen Pfeil abgeschossen oder ein Schwert geführt.« Obwohl sie keine Erfahrung im Kampf besaß, hatte sie ausgiebig über Themen wie Krieg, Überleben und Waffen gelesen.
Sie war zu allem fähig, konnte ebenso einen Hinterhalt legen wie auch ein Tribok konstruieren – in der Theorie.
»Du besitzt drei angeborene Vorteile, die sogar noch wertvoller sind«, sagte Nïx. »Du kannst seine Sprache lesen und schreiben.« Unter vielen anderen. Sprachen zu lernen fiel ihr leicht. »Du hast als Kind gelernt, geistige Blockaden gegen das Gedankenlesen einzurichten.« Als Schutzmaßnahme am intriganten Hof der Feyden. »Und du bist seine Gefährtin.«
Lila zuckte zusammen. Der Schock traf sie wie ein Fausthieb in den Magen. Gefährtin??? Sie schwankte und musste sich am Geländer festhalten. »Auf gar keinen Fall. Unter keinen Umständen würde mich das Schicksal mit einem dieser Ungeheuer verbinden.« Ein Gedanke kam auf: Vielleicht ist meine Faszination für Pandämonia gar nicht so merkwürdig. Aber sie unterdrückte ihn rasch wieder.
»Du gehörst dem Teufel höchstselbst.« Nïx’ Augen funkelten. »Du wirst dich in die Hölle begeben und diese Verbindung dazu nutzen, Informationen von ihm zu sammeln: Pläne für bevorstehende Kämpfe, Einzelheiten über seine Allianz und so weiter. Ich bin besonders erpicht darauf, etwas über Orion zu erfahren, den Anführer der Møriør.«
In die Hölle begeben? Darüber zu lesen und diesen Ort aufzusuchen, waren zwei ganz und gar verschiedene Dinge.
»Sobald du ihre Schwächen ausgemacht hast, werden wir dich herausholen«, fügte Saetth hinzu.
Lilas Handfläche schwitzte dermaßen, dass ihr Opernhandschuh völlig durchnässt war, mit dem sie das Dossier umklammert. »Ihr wollt, dass ich als Spionin tätig werde? Dieses Reich der Sterblichen ist ja schon schlimm genug, aber wenigstens bin ich nicht verdammt.« Und habe keinen Gefährten!
Wie hatte das Schicksal sie nur dermaßen verarschen können? Lilas Tiara musste zu eng sein. Sie hatte wohl den Blutfluss zum Gehirn unterbrochen oder so.
Saetths Lippen wurden schmal. »Als ich Nïx’ Plan zum ersten Mal hörte, klang es so, als ob ich ein Lamm in die Höhle des Löwen senden würde. Aber der Instinkt wird den Dämon dazu zwingen, dich zu beschützen und für dich zu sorgen.«
»Und auch dazu, mich zu der Seinen zu machen.« Bei diesem Gedanken stieg Übelkeit in ihr auf.
»Ich habe Saetth versichert, dass der Dämon dich weder verletzen kann noch wird. Abyssians zärtliche Gefühle für dich werden es dir leichtmachen, ihm seine Geheimnisse zu entlocken«, sagte Nïx.
Sie tippte sich mit einer pinkfarbenen Klaue gegen das Kinn. »Selbstverständlich kann es sein, dass du diese Gefühle wirst fördern müssen …«
»Fördern? Ihr wollt also, dass ich ein Ungeheuer verführe, das einer ganzen Gruppe von Ungeheuern angehört, die ich mein Leben lang gehasst und gefürchtet habe? Das wird ja immer besser!«
»Du musst ja nicht bis zum Ende gehen.« Nïx zwinkerte. »Nur beinahe.«
Völlig entsetzt fragte Lila Saetth: »Es würde dir nichts ausmachen, wenn mich ein anderer Mann berührt? Wenn ein Møriør deine zukünftige Königin anfasst?«
Er seufzte, als ob er ihre Einstellung ermüdend fände. »Vielleicht wenn ich selbst ein Dämon wäre. Aber ich bin etwas Besseres. Ich weiß, dass dies der einzige logische Weg ist, und ich werde nicht von primitiven Instinkten geleitet.«
Nïx zog mehr Zuckerwatte für die Fledermaus aus der Tasche. »Apropos Instinkte … Es wäre möglich, dass Abyssian in letzter Zeit ein klitzekleines bisschen dämonischer geworden ist. Aber wer ist das nicht, wo doch die Akzession kurz bevorsteht, hab ich nicht recht? Verhalte dich nur immer schön lebhaft in seiner Gegenwart, bloß um ganz sicherzugehen. Das wird ihm gefallen.«
Lebhaft? Manchmal drohte Lila an ihrer Wut auf die Møriør geradezu zu ersticken.
»Wenn es irgendeine Alternative gäbe, würde ich sie ergreifen«, bemerkte Saetth.
Nïx’ Blick zuckte zu ihm, und Lila hätte schwören können, einen Funken … Feindseligkeit in den Augen der Walküre auszumachen.
Doch es war so schnell vorbei, dass Lila sicher war, sich alles nur eingebildet zu haben. »Ich wollte doch nur wieder nach Hause«, sagte sie, auch wenn die Gelegenheit, sich an einer Verschwörung gegen die Schwarzen Männer zu beteiligen, durchaus seinen Reiz besaß.
Als sie an die endlosen Albträume dachte, die sie ihnen verdankte – wie sie von ihrem eigenen Schrei erwachte, immer noch den Pfeil des Feyden-Mörders in ihrer Brust spürte –, wallte Zorn in ihr auf.
Und Saetth trug einen Großteil der Schuld daran. Er war es, der sie mit einigen wenigen Habseligkeiten ins Reich der Sterblichen geschickt hatte. Ohne Ausweis oder Geld. Ohne Möglichkeit, ihn zu kontaktieren.
Zunächst hatte sie immer wieder versucht, sich sein Verhalten verstandesmäßig zu erklären: Immerhin wollten meine Eltern ihn ermorden.
Doch in letzter Zeit hatte sie entschieden, ein Arschloch ein Arschloch zu nennen.
»Wenn du diese Mission erfüllst«, sagte Saetth, »wirst du nach Hause kommen. Als meine Königin.«
Lila hatte drei kaum zu erfüllende Träume: in Sicherheit in Sylvan zu leben, Königin zu sein und eine Familie zu gründen, die ebenfalls in Sicherheit leben würde. Außerdem hegte sie die schwache Hoffnung, dass sie sich eines Tages verlieben würde.
Saetth konnte drei dieser Dinge wahr werden lassen. Er war Mittel zum Zweck.
Dafür musste sie nur ihre kitschigen Hoffnungen aufgeben. Als Mitglied der berechnenden königlichen Familie der Feyden sollte das für mich kein Problem darstellen.
»Du weißt, dass wir das perfekte Paar sein werden. Mit deinem genialen Verstand und meiner Rücksichtslosigkeit werden wir unaufhaltsam sein. Was bedeutet, dass Sylvan unaufhaltsam sein wird.« Er blickte auf sie hinab. »Wir werden deinen Erfolg mit einer Hochzeit feiern. Du hast dir doch immer eine eigene Familie gewünscht. Du könntest unser Baby willkommen heißen, ehe das Jahr vorbei ist. Wir werden gleich nach deiner Rückkehr daran zu arbeiten beginnen.«
»Meiner Rückkehr.« Es kam Lila vor, als hätte man ihr ein Glas kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet. »Nachdem ich den ältesten noch lebenden Dämon verführt habe.« Trotz ihrer Fummelei mit diversen Disney-Figuren war Lila nicht gerade eine erfahrene Verführerin.
Nïx schmollte. »Aber du musst ja nicht das volle Programm durchziehen.« Dann wurde die Hellseherin übergangslos ernst, und ein spektakulärer Blitz durchzuckte den Himmel. Die Menschenmenge unter ihnen stieß Oohs und Aahs aus – sie hielten das Ganze für einen Teil der Show. Es folgte ein Donnerschlag, der das ganze Schloss erbeben ließ. »Ich habe diese Zukunft vorhergesehen: Wenn du in die Hölle reist, wirst du Sylvan vor den Møriør retten. Dein Volk wird aufgrund deines Opfers in Sicherheit sein. Für eine Ewigkeit von Ewigkeiten.«
Wir haben es wohl mit einer kleinen Drama-Queen zu tun, oder?
»Außerdem habe ich vorhergesehen, dass die Møriør Sylvan den Krieg erklären werden, solltest du nicht in die Hölle reisen. So wie sie mein Zuhause dem Erdboden gleichgemacht haben, werden sie auch das eure zerstören. Dann wird der Bogenschütze seine neue Stellung im Feydenreich dazu benutzen, weitere Angehörige der königlichen Familie zu finden.«
Ihre Cousins und Cousinen waren Lila ziemlich egal; sie deckten das gesamte Spektrum von schäbig bis niederträchtig ab. Das Einzige, was ihr je am Herzen gelegen hatte, war ihr eigenes Überleben, und vielleicht noch das von Saetth. »Wenn der Dämon weiß, dass ich eins der spezifischen Ziele des Bogenschützen bin, könnte er mich seinem Verbündeten ausliefern, auch wenn er mein … Gefährte ist.« Ein Satz, von dem sie nie gedacht hätte, ihn einmal zu sagen. »Und dann habe ich keine Gelegenheit, irgendetwas zu fördern.« Fang jetzt bloß nicht an zu kotzen.
Nïx schüttelte den Kopf. »Bei deinem menschlichen Akzent und deiner draufgängerischen Art, wird er niemals den Verdacht hegen, du könntest Prinzessin von Irgendwas sein – solange du nur nicht zu erkennen gibst, dass du weißt, dass du seine Gefährtin bist.«
Die Zerstörung Sylvans versus Thron und Familie.
Während Lila in den letzten Jahren ums Überleben kämpfen musste, hatte sie zumindest immer die Hoffnung gehabt, in ihr geliebtes Königreich zurückkehren zu können. Würde sie tatenlos zusehen, wie es vernichtet wurde, nur weil sie nicht bereit war, sich für ihr Volk zu opfern?
Ist es nicht genau das, was Königinnen tun – Opfer bringen? »Wie soll ich denn anfangen?«
»Führe einfach dein ganz normales Leben weiter, es ist eine ausgezeichnete Tarnung. Wir werden die Infiltration vorbereiten«, sagte Nïx.
»Wie?«
Der Blick der Walküre verlor den Fokus. Sah sie gerade die Zukunft? »Ich habe den Höllenkönig informiert, dass sich seine Gefährtin irgendwo im Universum befindet und nur darauf wartet, von ihm entdeckt zu werden, und ihm eine Beschreibung von dir gegeben. Er hat bereits ein Kopfgeld ausgesetzt. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich sicherstellen, dass du gefangen genommen und ihm wohlbehalten übergeben wirst. Selbstverständlich darfst du den Zeitpunkt nicht kennen, da die Gefangennahme echt aussehen muss.«
Dieser Plan klang zunehmend gefährlicher. »Falls ich dem zustimmen sollte, müsste ich warten, bis ich vollständig unsterblich bin.« Die Frauen in Lilas Familie machten die Transition für gewöhnlich mit dreiundzwanzig durch, das hieß, dass sie längst überfällig war. Bis dahin war sie allerdings genauso verletzlich wie ein Sterblicher und es wäre idiotisch, in direkte Konfrontation mit Unsterblichen zu gehen. »Vielleicht in ein paar Wochen.«
»Die Ereignisse um die Møriør überschlagen sich«, sagte Nïx. »So viel Zeit kann ich dir nicht geben.«
»Du hast den Kontakt mit der Mythenwelt verloren, daher weißt du nicht, wie schlimm es geworden ist«, sagte Saetth zu Lila.
»Ich habe im Buch des Mythos gelesen und bin auf dem Laufenden, was die bedeutenderen Schlachten der Møriør angeht.« Wenn man diese einseitigen Gemetzel denn als Schlachten ansehen wollte.
»Es ist genauso wichtig, was hinter den Kulissen vorgeht.« Mit zusammengezogenen Brauen fuhr Saetth fort: »Dieser feige Feyden-Mörder hat erst vor Kurzem einen heimtückischen Angriff auf mich durchgeführt. Er hat das Schwert der Ahnen zerstört.«
»Willst du mich verarschen?« Lilas Blick wanderte zur Scheide an Saetths Hüfte. Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass er ein anderes Schwert trug – nicht die Klinge des Königs. Das versetzte ihr einen genauso großen Schock wie alles andere, was sie heute Abend erfahren hatte.
Das Schwert, mit dem ihre Eltern geköpft worden waren, existierte nicht mehr.
Die Møriør hatten einen weiteren Sieg errungen. Wollte sich Lila also verstecken, während sie ihren Angriff auf das Königreich fortsetzten?
Niemals.
Sie wandte sich Nïx zu. »Wann würde die … Gefangennahme denn stattfinden?«
»Eher früher als später.«
Lilas Ohren zuckten. Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen in die gleichgültige Miene der Walküre. »Ich muss wissen, wie lange ich in der Hölle sein werde und die Einzelheiten über meine Rettung kennen.«
»Du wirst dort bleiben, bis der Dämon dir sagt, was ich wissen will, und wir werden dich herausholen, sobald es nötig ist.«
Lila schüttelte den Kopf. »Du musst mir schon ein bisschen mehr geben.«
»Nein.«
»Nein?«
»Ja.« Die Hellseherin zuckte mit den Schultern und versetzte damit ihre Fledermaus in Aufruhr. »Einige Einzelheiten übersteigen deinen Feydengrad.«
»Feydengrad? Hast du das wirklich gerade gesagt?« Du darfst der Walküre auf keinen Fall eine aufs Maul hauen.
Saetth nahm Lilas Hand und lenkte ihre Aufmerksamkeit damit wieder auf sich. »Du musst Vertrauen in Nïx’ Plan haben. Sie weiß, was am besten für Sylvan ist. Ich würde das nicht von dir verlangen, Cousine, wenn die Alternativen nicht so furchtbar wären.«
»Du verlangst von mir, mich in eine Hochburg der Møriør zu begeben?«
»Alles wird gut«, sagte er. »Denk immer daran: Ein Dämon kann seiner Gefährtin nichts antun.«
Burg Graven
Dimension Pandämonia
»Ich habe vor, sie so lange zu foltern, bis sie um Gnade fleht.« Sian wirbelte seine gewaltige Streitaxt herum. »Sie für all ihre Heimtücke in ihrem letzten Leben bezahlen zu lassen.«
Er und Uthyr, ein Drache und sein Verbündeter, standen auf einer Terrasse hoch oben in Sians Burg. Eine Wegstunde unter ihnen verliehen Dämonenlegionen lautstark ihrem Verlange nach Krieg Ausdruck.
Sian fühlte sich genauso blutdürstig wie sie. »Falls Prinzessin Kari überhaupt reinkarniert wurde.« Schon bei dem bloßen Gedanken an dieses hinterhältige Miststück spannten sich seine Muskeln an. »Dafür habe ich nur das Wort einer Hellseherin.«
Aber er hatte immer geglaubt …
Uthyr setzte sich auf die Hinterbeine und legte den stachelbewehrten Schwanz um seinen gigantischen Körper. Wie alle Møriør konnte er auf telepathische Weise kommunizieren: – Deine Gefährtin weiß vermutlich gar nicht, dass sie eine Reinkarnation ist. Womöglich wird sie sich ihr ganzes Leben lang nicht an eine vorherige Existenz erinnern und damit auch an keinen Verrat. Was dann? –
Sian hoffte, dass sie sich erinnern würde. Wenn nicht … »Ich habe mehr als genug Erinnerungen für uns beide.«
Uthyr stieß einen Drachenseufzer aus, und ein träger Feuerstrahl strömte über seine Lippen. – Willst du mir nicht von den Verbrechen deiner Gefährtin erzählen? –
Selbst nach so langer Zeit konnte Sian nicht über ihre Taten reden, ohne von Wut überwältigt zu werden. Als er den Griff seiner Axt packte, fühlte er Uthyrs forschenden Blick auf sich.
Der Drachengestaltwandler hatte beschlossen, sich einen Urlaub in Pandämonia zu gönnen. Er habe vor, »an seinen Schachkünsten zu arbeiten und die einheimische Drachenpopulation zu besuchen«. Höchstwahrscheinlich war er hier, um Sians schwindende Selbstbeherrschung und zunehmende Aggression zu verfolgen.
Sian war gleichgültig, was der Gestaltwandler tat, solange er ihm nicht in die Quere kam. »Du musst nur wissen, dass sie mich und jeden Dämon dieses Reiches verraten hat.« Ihretwegen war Sian seit zehn Jahrtausenden verstümmelt. Und seine inneren Narben waren noch weitaus schlimmer.
Seit Äonen wartete er auf seine Rache, nicht nur an seiner Gefährtin, sondern an ihrer gesamten verhassten Spezies.
Uthyr kratzte sich mit den Klauen einer Hinterpfote am Hals und löste damit eine metallische, blau-goldene Schuppe. – Du hast nie daran gezweifelt, dass sie wiedergeboren werden würde. Was hat dich so sicher gemacht? –
Er hatte keine Wahl gehabt. »Als ich von ihrem Tod erfuhr, schwor ich, lange genug zu leben, um ihre Wiederkehr mitzuerleben.« Wie hätte er sonst weitermachen können?
Er würde niemals vergessen, wie er neben dem Fluss aus Feuer auf die Knie gefallen war, wie er gebrüllt und sich mit den eigenen Klauen die Brust aufgerissen hatte, während Kummer und Hass in ihm gebrodelt hatten.
– Nichts Neues zu deinem Kopfgeld? –
»Unsterbliche durchsuchen das Universum nach ihr. Wenn sie ihre Spezies und ihr einzigartiges Aussehen behalten hat« – eine Feyde mit einem bernsteinfarbenen und einem violetten Auge – »werden sie sie finden.« Falls nicht, würde er die Jagd zwischen den nächsten beiden Kriegen selbst übernehmen.
Mit einem ersten Feldzug würde er eine Invasion von Eindringlingen vertreiben. Mit dem zweiten würde er seine eigene Invasion betreiben.
Nichts stellte Sian so zufrieden wie ein guter, blutiger Krieg, und er war dankbar, dass es genug Konflikte gab, um ihn abzulenken. Sonst wäre er noch verrückt geworden, seit er von der möglichen Reinkarnation seiner Gefährtin gehört hatte.
Und seit er von dem Höllen-Veränderungs-Fluch getroffen worden war.
Nach dem kürzlichen Tod seines Bruders war Sian widerwillig nach Pandämonia zurückgekehrt, um die Krone – und alle mit ihr verbundenen Nachteile – zu übernehmen. Er hatte begonnen, sich von einem Mann von auffallend gutem Aussehen in sein monströsestes Ich zu verwandeln.
Wer auch immer über die Hölle regierte, wurde zur Hölle. Als Sian sich zuletzt sein Spiegelbild angesehen hatte – vor Monaten –, hatte ein abscheulicher Fremder zurückgestarrt.
Seine früher glatte, gebräunte Haut war nun dunkelrot, mit leuchtenden Glyphen auf der Brust. Seine gemeißelten Gesichtszüge waren stumpfer geworden, brutaler. Mystisches Höllenmetall durchstach seine Haut – Stäbe auf seinem Nasenrücken und durch die Brustwarzen, von anderen Körperteilen ganz zu schweigen.
Ihm war ein Paar gewaltiger Flügel gewachsen, die denen einer Fledermaus ähnelten, und an den Fingern und den Zehen seiner tierähnlichen Füße prangten lange schwarze Klauen.
Seit zehn Jahrtausenden hatte er dank Kari keine Hörner mehr gehabt, aber nun war ihm ein neues, größeres Paar gewachsen, weitaus bedrohlicher als zuvor. Breite Streifen der Haut um seine Augen hatten sich verdunkelt, sodass sie einer dämonischen Maske glichen. Nur die Farbe seiner grünen Augen war dieselbe geblieben; es sei denn, er bekam einen Wutanfall, woraufhin sie sich schwarz färbten.
Die Höllen-Veränderung steigerte seine Aggressionen, manchmal so weit, dass er kaum noch in der Lage war, zu denken, und seine primitivsten dämonischen Instinkte die Überhand gewannen. So wie er befand sich auch die Hölle in Aufruhr. Seit Sian erfahren hatte, dass seine Gefährtin womöglich am Leben war, wurde das Reich von Feuerstürmen und Lavafluten geplagt. Die Luft war von Asche erfüllt. Die Himmel waren aufgewühlt.
Er fuhr sich mit der Hand über das immer noch unvertraute Gesicht. Selbst wenn sie noch Erinnerungen an ihr vorhergehendes Leben besaß – was unwahrscheinlich war –, würde sie ihn nicht erkennen.
Vor all diesen Jahren hatte er geglaubt, dass seine Gefährtin ein gewisses Maß von Zuneigung für ihn empfand. Jetzt würde sie sich abgestoßen fühlen.
Nur eines könnte ihm seine vorherige Gestalt zurückgeben. Aber nur darüber nachzudenken, könnte ihm endgültig den Verstand rauben …
Der wachsame Blick des Drachen ruhte auf ihm. – Wenn du lernen könntest, diese Wutanfälle zu beherrschen, was spielt dein Aussehen dann noch für eine Rolle? Wir Møriør haben eine Mission, Dämon. Unsere Leben stehen im Dienst einer höheren Aufgabe. –
»Ist das der Grund für unsere niemals endende Existenz?« Sians Leben schien ein einziges, langes Warten zu sein, gemessen von einem Stundenglas, in dem alle paar Jahrhunderte ein Sandkorn fiel. »Ist es diese Aufgabe, die dich morgens aufstehen lässt?«
– Das und das Fernsehen. –
Sian hob eine Braue. »Wie bedauerlich, dass weder das eine noch das andere eine Verlockung für mich darstellt.«
– Was berührt dich dann? –
»Eine Herausforderung. Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, wann es zuletzt einem Feind gelang, einen Sieg gegen einen von uns zu verbuchen.« Die Møriør fügten nach wie vor jeglicher Opposition vernichtende Niederlagen zu, obwohl sie nicht einmal in ihrer vollen Stärke kämpfen. »Unsere Macht ist gewaltig, aber das Leben ist lang, ohne Herausforderung. Ich würde meine Axt für einen würdigen Gegner hergeben.«
Würde er jemals wieder einen hart erkämpften Sieg erleben?
Uthyr hob seine riesigen Schwingen. – Deine Gedanken sind düster, seit du von der möglichen Rückkehr deiner Gefährtin hörtest. –
»Ich fühle mich schon seit einiger Zeit so, doch die Vorstellung ihrer Auferstehung hat mir vieles klargemacht.«
Er hatte zehntausendzweihundertvierunddreißig Jahre, drei Monate und siebzehn Tage auf die Rückkehr seiner Gefährtin gewartet.
Was, wenn sie nun tatsächlich endlich zurückgekommen war? Was würde mit ihm geschehen, wenn er seine Rache genommen hatte?
Was würde mit ihr geschehen?
Sian erinnerte sich an den Tag, an dem er Prinzessin Karinna von Sylvan zum ersten Mal getroffen hatte, als ob es gestern gewesen wäre. Er hatte sich vor dem neu entdeckten pando-sylvanischen Portal befunden, als er ihren betörenden Duft von der anderen Seite wahrgenommen hatte. Er war auf der Stelle durch den Spalt hindurchgeeilt, um die Quelle des Geruchs aufzuspüren, da in ihm der Verdacht gekeimt hatte, er würde dort seine Gefährtin finden.
Die ungefilterte Sonne hatte in seinen Augen gebrannt und ihn vorübergehend geblendet. Sein erster Anblick des Himmels war ihr Gesicht gewesen, der erste Laut ihre Stimme. Sie war vierundzwanzig gewesen, wohlbewandert in der Kunst des Flirtens und einfach nur hinreißend.
Er war ein Bengel von sechzehn gewesen. Gegen sie hatte ich niemals eine Chance.
Er hatte einer manipulativen, verräterischen Frau vertraut und beinahe ein Königreich zerstört –
Ihn überkam ein Gefühl von Déjà-vu, so stark, dass er ins Wanken geriet. Beinahe konnte er Kari riechen, als ob er noch einmal jenen ersten Tag vor so langer Zeit in Sylvan durchlebte.
Wie konnte das sein? Träumte er?
Seine Muskeln spannten sich an wie vor einer Schlacht. Dies war kein Traum. »Bei allen dunklen Göttern …«
Uthyr hob seine Schnauze. – Was ist mit dir? –
Sian bleckte seine Fänge. »Der Duft der Verräterin.«
Der glücklichste Ort auf Erden
»Hey, kann mir mal jemand aufmachen?«, rief Lila vor der verborgenen Tür, die für Angestellte reserviert war.
Sie wollte nur noch in ihre Wohnung und erst mal alles verdauen, was Saetth und Nïx ihr heute Abend erzählt hatten. Doch irgendein Trottel hatte Lila ausgesperrt.
Sie riss sich die Tiara vom Kopf und winkte in die Kamera über der Tür. »Ju-huu.« Dieses Kostüm wog über zwölf Pfund, und sie sehnte sich danach, ihren müden Körper endlich davon zu befreien. »Hallooo! Arschlöcher!«
Sie blickte sich um. Vermutlich war es nicht so toll, wenn irgendein Besucher Cinderella dabei filmte, dass sie wie ein Bierkutscher fluchte. »Riesenarschlöcher«, grummelte sie, als sie sich auf den Weg zu einem anderen Eingang machte. Sie war hungrig und erschöpft, aber zugleich immer noch total überdreht von ihrem Treffen.
Hingerissen von der Euphorie des Moments und trunken von der Aussicht, zurückschlagen zu können, hatte sie Saetth versprochen: »Ich werde nicht eher ruhen, bis ich einen Weg finde, Abyssian Infernas wehzutun.« MitanderenWorten:HalteteuerEntführungsteambereit.»Ich werde herausbekommen, was seine Schwächen sind und wie man sie ausnutzen kann. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn zu vernichten.«
Nun aber begannen sich Zweifel an diesem Plan einzuschleichen. Es blieben zu viele Fragen und Variablen übrig. Nicht vergessen, wenn es in Zukunft um politische Verschwörungen geht: Entweder du hast das Sagen oder aber du hältst dich fern davon.
Hätte, hätte, Fahrradkette. Scheißegal.
Sie zog sich die Opernhandschuhe aus und stopfte sie in ihre geheime Tasche. Dann zog sie ihr verstecktes Handy heraus, um sich etwas zu essen zu bestellen. Ihr vorgetäuschtes »echtes Leben« würde weitergehen, und sie hatte vor, eine neue Serie von Ratgeberbüchern im Schnelldurchlauf zu lesen.
Ihre Ohren zuckten und ihre Finger hielten im Wählen auf dem Bildschirm inne, als ein grelles Kreischen ertönte, so als ob Metall an Metall reibt. Das Rufen der Frösche und Zirpen der Insekten verstummte.
Dann ertönte noch einmal das Kreischen. »Ist da wer?«, rief sie, auch wenn sie wusste, dass jeder, der je diese Frage gestellt hatte, bereits tief in der Tinte saß.
Stille antwortete ihr. Es ist nichts. Nur meine Fantasie. Dennoch steckte sie das Handy rasch wieder ein und eilte den Weg hinab.
Natürlich war sie nervös. Sie lebte schon so lange in einem Zustand ständiger Wachsamkeit, und nun musste sie sich auch noch auf eine Entführung gefasst machen.
Lieber früher als später.
Offensichtlich würde sie alles tun, um nach Sylvan zurückzukommen; sogar als Beute eines Kopfgeldjägers dienen, um das Heim eines primordialen Dämons in der Hölle zu infiltrieren.
Allerdings beinhaltete das Warten auf die »Infiltrationsfalle« ein kleines Problem: Lila machte sich womöglich dem Bogenschützen gegenüber angreifbar –
Zwei Frauen materialisierten sich keine drei Meter von ihr entfernt auf dem Weg. Mythenweltbewohnerinnen.
Die eine hatte schwarzes Haar, die andere war ein Rotschopf. Beide sahen umwerfend aus. Sie trugen typische Sorceri-Kleidung: Bustiers aus Metall, schweren Goldschmuck und Handschuhe, die mit metallenen Klauen versehen waren.
War vielleicht eine von ihnen mit ihren Klauen über das Geländer neben dem Weg gefahren und hatte dieses Kreischen verursacht? Um mich zu erschrecken? Dann hatte es funktioniert. Lila verfügte über keinerlei Kräfte, um sich zu verteidigen. Ihr einziger Vorteil war ihre Schnelligkeit.
Sie standen vor einem schimmernden Portal. Auf der anderen Seite befand sich eine gewaltige steinerne Festung. Auf dem Boden lag ein seidiger Stoff, als ob die Sorceri ein zerknülltes Tuch durch den Spalt geworfen hätten.
Moment mal … das war Lilas pinkfarbenes Unterhemd! Wie hatten sie das denn aus ihrer Wohnung geholt?
Der Rotschopf hob einen Handschuh und schlug die Klauen aufeinander. »Das ist der Teil, wo du wegläufst«, verkündete sie mit unheilvoller Stimme.
Bin schon dabei! Lila wirbelte herum, sodass ihre ausgestellten Röcke flogen, und sauste davon.
Sorceri konnten sich nicht translozieren – teleportieren – und eine Feyde wie Lila niemals im Laufen schlagen. Wenn es ihr gelang, eine Gruppe von Sterblichen zu erreichen, würden sich die beiden verziehen.
Ihre Hochsteckfrisur begann sich aufzulösen. Waren ihre Ohren sichtbar? Hektisch wischte sie sich die Haare aus dem Gesicht.
Mitten im Schritt riskierte sie einen Blick zurück über die Schultern. Abgehängt! Gleich hinter der Fußgängerbrücke befand sich ein Übergang in den Hauptteil des Parks. Sie konnte schon das Lachen der Gäste hören –
Ihr drehte sich der Magen um, als sich ihre Füße plötzlich über ihrem Kopf befanden. Sie kullerte eine Böschung hinunter. Wie? Sie hatte gar nicht gesehen …
PLATSCH.
Mit dem Gesicht zuerst landete sie in einem flachen Auffangteich. Sie spuckte Dreck aus, während sie sich bemühte, sich aus dem Matsch zu befreien, aber ihre Schuhe blieben im Schlamm stecken, der auch ihr Kleid von oben bis unten bedeckte.
Die Sorceri schlenderten lachend auf die Brücke, als ob das alles nur ein harmloser Spaß wäre. »Der war gut, Schwesterherz«, sagte die Schwarzhaarige. »Ihr vorzugaukeln, der Weg würde sich bewegen. Hast du nicht eine ganz ähnliche Illusion verwendet, als du Rydstroms Wagen geschrottet hast?«
Die Rothaarige kicherte. »Das funktioniert immer. Warum meinen nur immer alle, das, was sie sehen, wäre real?«
Sie hatten Lilas Sehvermögen manipuliert! Sie krallte sich mit aller Kraft in die Böschung, aber ihre bloßen Füße verfingen sich in ihren Röcken wie in sich drehenden Rädern. Sofort fiel sie wieder aufs Gesicht.
Widerlich! Sie wischte sich den Schmodder aus den Augen. »Wie könnt ihr das machen, wo hier doch überall Sicherheitskameras sind? Habt ihr den Verstand verloren?«, fauchte sie.
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte der Rotschopf. »Ich habe alles hier unsichtbar gemacht.
Als Lila sich endlich aus dem Schlamm befreit hatte und zur Flucht bereit machte, sagte die Schwarzhaarige: »Klettere auf diese Brücke, Feyde. Stell dich vor uns auf. Ohne einen weiteren Laut von dir zu geben.« Ihre Worte waren mit Magie geladen! Eine Verstandeslenkerin? Lila versuchte mit aller Macht, sich dem Befehl zu widersetzen, begann aber zu ihrem eigenen Entsetzen, die Böschung in Richtung Sorceri hinaufzuklettern.
Als sie vor den beiden Frauen stand, sagte die Schwarzhaarige: »Ich bin Melanthe. Das ist meine Schwester Sabine.«
Sabine schuf aus dem Nichts die Illusion eines Mädchens, das genau wie … Lila aussah. »Ich würde sagen, diese Feyde ist die, die wir gesucht haben.«
Die Infiltration! Diese beiden würden sie in Abyssians Burg bringen. Lieber heute als morgen, Nïx?
Sabine ließ ihre Illusion wieder verschwinden. »Wir haben uns die Meistgesuchte der Hölle geschnappt.«
»Also, es läuft folgendermaßen«, sagte Melanthe zu Lila. »Mein geliebter Gatte Thronos und ich sind die Herrscher des Vrekener-Clans. Du hast sicher schon von uns gehört.«
Vrekener waren geflügelte Dämonen mit fanatischen Ansichten über Moral. Sie bildeten die Grundlage für Geschichten über Engel.
Was hatte eine Sorcera bei denen verloren, noch dazu als ihre Königin?
»Na ja, Thronos und ich, wir sind sozusagen in Pandämonia eingedrungen. Ein klitzekleines bisschen. Eigentlich war es kaum mehr die Andeutung eines unbefugten Betretens. Und möglicherweise haben wir eine ganze Population von Engeln in die Hölle gebracht. Könnte man behaupten. Aber wenn ich dich gegen ein Kopfgeld an Abyssian Infernas übergebe, wird er höchstwahrscheinlich seine dämonischen Legionen nicht loslassen, um meine Leute zu vernichten.« Sie legte eine Hand beschützend auf ihren Bauch. »Darum wirst du unser Ass im Ärmel sein. Und deshalb werden wir dich von nun an Ass nennen.«
»Wir werden eine Menge Profit aus dir schlagen, Ass«, sagte Sabine.
»Es ist nichts Persönliches.« Dann flüsterte Melanthe Lila noch etwas ins Ohr: »Übrigens soll ich dir noch etwas von Nïx ausrichten: Traue niemals einer Walküre. Jetzt schlafwandle, Ass.«
Lila versuchte sich zu widersetzen, doch der Schlaf überwältigte sie.
Sian konnte spüren, wann immer jemand Pandämonia betrat oder verließ. Ein Portal hatte sich geöffnet, dazu noch ausgerechnet in seinem eigenen Thronsaal. Von dort stammte Karis Duft.
Er translozierte sich in den Saal. Auf dem Boden lag ein pinkfarbenes Kleidungsstück. Er raffte das winzige Teil an sich, spürte erschaudernd die Seide in seiner Handfläche. Das Hemd ähnelte einem, das er ihr einstmals gestohlen hatte.
Erlaubte sich da jemand einen Scherz mit ihm? Er wandte sich zu dem Portal um. Sein Unterkiefer klappte gen Boden. Auf der anderen Seite, in einem entfernten Reich, befand sich … seine Gefährtin.
Obwohl sie von Schlamm bedeckt war, konnte Sian deutlich erkennen, dass ihre zarten Züge und vollen Lippen die gleichen waren. Was bedeutete, dass sie atemberaubend schön sein würde, wenn sie nicht gerade von oben bis unten verdreckt war.
Mit geschlossenen Augen – würden es wieder zwei verschiedenfarbige sein? – befand sie sich bewegungslos zwischen zwei Sorceri-Frauen. Stand sie unter einem Zauber?
Die schwarzhaarige Zauberin presste eine der Klauen ihres Handschuhs gegen Karis Halsschlagader. Höchstwahrscheinlich war die Spitze vergiftet. Die Sorceri waren für ihre Giftmischerkünste bekannt. Einige ihrer Gebräue konnten sogar einen Unsterblichen töten.
»Ihr habt meine volle Aufmerksamkeit«, stieß Sian mit rauer Stimme hervor. Behutsam näherte er sich dem Portal. Verdammt, ein Einwegportal. Er konnte sich Kari also nicht einfach schnappen.
Er versuchte, die Gedanken der Sorceri zu lesen, aber die Frauen hatten diese gut geschützt. »Wer seid ihr?« Er versuchte auch, in Karis Verstand einzudringen, doch selbst in diese Starre versunken hielt sie ihre eigenen Blockaden aufrecht.
Als die schwarzhaarige Frau zu ihm aufsah, erbebte ihr ganzer Körper, zweifellos angesichts von Sians grauenhafter Erscheinung. »Ich bin Melanthe, die Königin der Vrekener. Dies ist meine Schwester, Sabine, die Königin von Rothkalina.« Die Rothaarige winkte ihm unbekümmert zu.
»Ihr habt vielleicht Nerven, Kontakt mit mir aufzunehmen.« Die Vrekener waren es, die in sein Reich eingedrungen waren! Darum würde er sich schon bald kümmern. Vorerst aber konnte er einfach nicht die Augen von Kari lassen.
Die Spitzen ihrer Ohren lugten aus ihrer Mähne feuchten braunen Haars hinaus. Sie war also auch diesmal eine Feyde. Wie zuvor war sie nur wenig größer als anderthalb Meter. Ihr mit Schlamm beschmiertes Kleid ließ die gleiche gertenschlanke Figur erahnen.
Er hatte keine Kopie erwartet.
Als ihm bewusst wurde, dass er immer noch dieses pinkfarbene Hemdchen in Händen hielt, ließ er es mithilfe von Magie in seine Gemächer verschwinden. »Was ist mit eurer Gefangenen los?«
»Ich habe ihr befohlen, zu schlafwandeln.«
»Ich habe schon von deinen Kräften gehört.« Melanthe war imstande, den Verstand anderer Personen zu lenken und Portale zwischen verschiedenen Welten zu erschaffen. Ihre Schwester konnte ihre Opfer sehen lassen, was auch immer sie wollte. Ihre Talente waren für Kopfgeldjäger besonders wertvoll. »Warum versuchst du nicht, mich zu verzaubern?«
»Irgendetwas sagt mir, dass du im Laufe deines langen Lebens immun geworden bist.«
Das stimmte. Es wäre schon mehr als eine blutjunge Sorcera nötig, um seinen Verstand zu lenken. »Warum ist eure Gefangene mit Schlamm bedeckt?« Er wollte Karis Gesicht sauber sehen.
»Sie ist auf unsere List reingefallen«, sagte Melanthe. Beide Sorceri kicherten selbstzufrieden über ihr Wortspiel.
»Wie habt ihr sie aufgespürt? Nïx?«
»Es spielt keine Rolle, wie«, erwiderte Sabine. »Es reicht, wenn du weißt, dass deine reinkarnierte Gefährtin auf dem Spiel steht.«
»Nïx hat sich gegen mich verschworen, um mich zu Fall zu bringen. Wenn die Hellseherin will, dass ich Kari in die Hände bekomme, sollte ich vielleicht der Versuchung, mir Kari zurückzuholen, widerstehen.«
Kari zu widerstehen war nicht gerade Abyssian Infernas’ Stärke.
Was Nïx wissen musste. Bei seiner letzten Begegnung mit der Hellseherin hatte sie ihn gewarnt: »Zieh dich warm an.« So wie sie einer Gruppe von Møriør verkündet hatte: »Um diesen Krieg zu gewinnen, werde ich jeden Trick in meiner trickreichen kleinen Tricktasche benutzen.«
Die Walküre hat den ersten Schritt getan.
»Der Name deiner Gefährtin ist jetzt Calliope, nicht Kari«, sagte Melanthe.
»Ist mir scheißegal, wie ihr jetziger Name ist.«
»Du hast ein mythenweltweites Kopfgeld auf diese Frau ausgesetzt. Wirst du zu deinem Wort stehen?«
»Vielleicht hätte ich das getan, wenn dein Mann und du nicht einen der Berge der Hölle übernommen und zum Hoheitsgebiet erklärt hättet.« Die geflügelten Vrekener mochten technisch gesehen Dämonen sein, aber sie verhielten sich wie … Engel.
In der Hölle?
Das würde er nicht zulassen! »Ganz zu schweigen von dem Chaos, das ihr unter meinen Untertanen angerichtet habt.« Ihr Ehemann und sie hatten die Legionen – die größten Kriegshetzer unter Pandämonias dämonischer Bevölkerung – von ihren unendlichen Arbeiten der Hölle befreit.
Melanthe winkte ab. »Na und? Dann haben wir eben Tausende von Dämonen von ihrer ewigen Kämpferei befreit. Was soll’s.«
»Sie sollten für einen Aufstand gegen meinen Vater bestraft werden.« Auch wenn Pandämonia seit Ewigkeiten nicht mehr aktiv regiert worden war, hatten Sians Vater und Bruder gewisse Kontrollmechanismen eingesetzt. Diese autonome Dimension war voller Schutzeinrichtungen, um Eindringlinge zu bestrafen und seine renitenten Einwohner in Schach zu halten. »Sie sind blutdürstig. Nun gieren sie danach, euch mit Krieg zu überziehen.«
»Also, willst du nun deine Frau haben oder nicht?« Melanthe tippte mit der Klaue gegen Karis Hals.
Während er innerlich dem Wagemut der Sorcera Beifall zollte, würde er sich doch nicht von ihm einfangen lassen. Sian zuckte mit den Schultern. »Behaltet das Miststück. Wir werden Krieg führen. Ich werde euch vernichten und sie mir dann nehmen.«
»Du würdest ihr Leben aufs Spiel setzen?«, fragte Melanthe. »Offenbar hast du sie während ihres vorherigen Lebens nicht geliebt.«
Ich habe sie angebetet und hätte alles für sie getan. »Ich will sie nur haben, um Rache zu üben.«
Sabine seufzte. »Na, dann wünschen wir dir alles Gute.«
Melanthe schüttelte den Kopf. »Ich habe sie mit einem Zauber belegt, der sie innerhalb der nächsten Stunde töten wird – es sei denn, ich nehme meine Befehle zurück. Deine Gefährtin ist schon einmal ums Leben gekommen.«
»Eine dritte Chance wirst du mit ihr nicht bekommen, das versichere ich dir«, fügte Sabine hinzu.
»Was wollt ihr?«, verlangte Sian von Melanthe zu wissen.
Sie nutzte ihren Vorteil aufs Beste aus. »Den Berg, auf dem wir uns niedergelassen haben, zweitausend Wegstunden in sämtliche Richtungen, und deinen Eid, dass du unser Königreich Neuhimmel niemals angreifen wirst.«
Selbst ihre Schwester hob angesichts dieser gierigen Forderungen die Augenbrauen.
»Dieser Bereich würde meine Festung mit einbeziehen, Zauberin. Wenn du dir einbildest, ich würde Burg Graven aufgeben, bist du so wahnsinnig wie Nïx.«
»Erst kürzlich habe ich erfahren, dass der König von Pandämonia eins mit dem Reich wird und es beherrscht wie ein Gott.«
Diese Information musste Nïx ihnen gegeben haben. Nur wenige wussten, dass der König und das Königreich verbunden waren, sein Verstand die Welt nach seinem Willen formte und die Welt wiederum sein Erscheinungsbild steuerte. Die Hellseherin erwies sich als gewiefte Gegnerin.
Dann vergiss deine Frau einfach, Sian. Weigere dich, diesen gottverdammten Köder zu schlucken.
»Du kannst die Dimension nach Lust und Laune vergrößern«, sagte Melanthe. »Erweitere das Territorium zwischen uns. Lass deine eigenen Ländereien wie sie sind, aber dehne unsere aus.«
Das konnte er tun. In der Hölle war seiner Magie nur eine Grenze gesetzt: seine Lebenskraft. Aber dieser Prozess würde ihn vorübergehend entkräften, und er brauchte all seine Stärke für die Møriør.
»Die Zeit vergeht«, erinnerte ihn Melanthe. »Wenn deine Gefährtin stirbt, stirbt auch deine Chance auf Nachkommen.«
Auch wenn Sian fickte – eher unregelmäßig seit seiner Transformation –, hatte er noch nie seinen Samen vergossen. Und das würde er auch nicht, es sei denn, er machte seine Gefährtin zu der Seinen. Ein einziges Mal reichte, um sich endlich von seinem dämonischen Siegel zu befreien. Danach könnte er auch mit einer anderen Frau Kinder haben, einer, die er sich selbst ausgesucht hatte, statt der Partnerin, die ihm das Schicksal wahnwitzigerweise zugedacht hatte.
Hinter den Sorceri ertönte ein gewaltiges Krachen. Er kniff die Augen zusammen, als in einiger Entfernung ein Feuerwerk den Himmel erhellte; darunter entdeckte er ein hübsches Schloss. »In welchem Land haltet ihr euch auf?« Er hatte immer geglaubt, er würde Kari in Gaia finden – die Erde samt den mit ihr verbundenen Dimensionen.
»Wir befinden uns im Magischen Königreich«, sagte Sabine kichernd.
Sian war schon in Tausenden von Reichen gewesen, aber dieses kannte er nicht. »Gehört sie in diesem Leben einer königlichen Familie an?«
»Wohl kaum«, sagte Melanthe. »Ganz im Gegenteil, sie scheint eine fleißige Arbeitsbiene zu sein.«
»Eine was?«
»Dir läuft die Zeit davon, Dämon«, sagte Sabine ungeduldig. »Geh auf den Handel ein oder wir schicken dir ihre Leiche, damit du sie begraben kannst.«
Sian fletschte die Fänge, als seine dämonischen Instinkte ausbrachen wie die unzähligen Vulkane in seinem Reich. Letztes Mal hatte er Kari nicht vor dem Tod bewahren können, doch jetzt besaß Sian Macht.
Er konnte ihr Leben retten, um sie dann zu bestrafen. Wenn Nïx Spielchen spielen wollte, würde er die Walküre überlisten, sie austricksen. Er war der Sohn des Teufels, das Tricksen lag ihm im Blut.
»Unsere Zeit ist kostbar.« Melanthe begann, ein anderes Portal zu öffnen. »Schade, dass wir nicht ins Geschäft kommen konnten.«
Sabine lachte. »Zwei Portale auf einmal? Bravo, Schwester.« Sie steuerten Kari auf den neuen Spalt zu.
»Stopp.« Seine Klauen hatten sich geschärft, als er zu den Sorceri sprach. »Im Austausch für sie schwöre ich beim Mythos, dass ich euch eure Ländereien und ein Versprechen geben werde, sie niemals anzugreifen.« Die Gegenwart eines unabhängigen Königreichs in seiner Dimension würde ihm gewaltig zu schaffen machen! »Jetzt zieh deine Befehle zurück und schick sie durch das Portal.«
»Na gut.« Melanthe wandte sich zu Kari um. »Aufwachen, kleiner Schatz. Hast du feini Bubu gemacht?«
Die Feyde öffnete blinzelnd die Augen – diesmal waren sie beide bernsteinfarben –, aber es gelang ihr nur langsam, die Magie abzuschütteln. »Bin ich eingeschlafen?«
Götter, ihre liebliche Stimme war genau dieselbe. In seiner Erinnerung hörte er ihre ersten Worte: »Ich bin Prinzessin Karinna, und ich werde deine Führerin in Sylvan sein. Sind alle Dämonen so gut aussehend?« Sie hatte ihn angelächelt, und ihre zweifarbigen Augen hatten gefunkelt.
Sein Herz hatte wie wild geschlagen, und er hatte sich innerlich gewunden, als er merkte, dass sich seine Hörner unwillkürlich gerade bogen …
»Was ist mit dem anderen Befehl, Zauberin?«
»Ach ja. Wirf alle meine Befehle ab«, gebot Melanthe ihrer Gefangenen. »Viel Spaß mit deiner Schönen«, wünschte sie Sian lachend, während die beiden Sorceri Kari nach Pandämonia schoben »du Biest.«
»Ihr verdammten, widerlichen Hexen!«, brüllte er, doch sie waren bereits durch das andere Portal entkommen.
Als Kari, die nach wie vor benommen wirkte, stolperte, fing Sian sie auf und zog sie an sich. Diese Sorceri würde er sich später vorknöpfen. Jetzt genoss er erst einmal diesen Moment, und seine Glyphen leuchteten hell auf im Gefühl seines Triumphs.
Ich habe Kari bei mir in meiner Burg. Ich besitze sie, habe sie gekauft und bezahlt. Nach mehreren Lebenszeiten des Wartens ist sie endlich mein.
Als er seine Schwingen um sie schloss, hätte er beinahe gestöhnt, als er ihre Wange an seiner Brust fühlte.
Lila kam nur langsam wieder zur Bewusstsein. Irgendeine Kreatur hielt sie an ihren Körper gedrückt. Hatten die Sorceri-Schwestern sie nicht bedroht? Mein Verstand ist so umnebelt.