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Wer träumt nicht davon, alles hinter sich zu lassen und auf einer tropischen Insel zu sein? Den stressigen Alltag vergessen, flirten und die Ruhe genießen. Genau das ist es, was Sam sich wünscht. Doch als sie unfreiwillig allein mit zwei vermeintlichen Traummännern auf einer Insel strandet, ist alles ganz anders als erträumt.
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Alina Jipp
Impressum
© 2020, Alina Jipp
https://www.facebook.com/AlinaJippAutorin/
Cover
Art for your book Sabrina Dahlenburg
Lektorat, Korrektorat & Buchlayout
Lektorat Buchstabenpuzzle B. Karwatt
www.buchstabenpuzzle.de
Bildmaterial Buchlayout
www.pixabay.com
Die geschilderten Personen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
2. Auflage
Imprint: Independently published.
ISBN-13: 979-8-6325-4965-3
1. Kennenlernen
Gerade machte ich es mir am Pool gemütlich, ein Cocktailglas in der Hand schloss ich für ein paar Sekunden genüsslich die Augen, als jemand ungeduldig an meiner Schulter ruckelte. Was sollte dass denn? Schließlich hatte ich Urlaub und ein Recht auf Entspannung.
»Miss, Sie müssen aufwachen und sich anschnallen.« Widerwillig öffnete ich nun doch meine Augen. Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, wo ich war. Ich saß im Flugzeug und lag leider nicht mit einem Glas in der Hand in einem Liegestuhl. Das alles war nur ein Traum gewesen.
»Miss, wir landen gleich. Sie müssen sich anschnallen«, erklärte mir die Flugbegleiterin, die mich geweckt hatte, erneut. Ich lächelte ihr zu, schließlich konnte sie nichts dafür, dass ich jetzt lieber ganz wo anders wäre. »Danke fürs Wecken.« Müde rieb ich mir über die Augen. Immerhin war ich seit vier Uhr dreißig auf den Beinen, da durfte ich jetzt wohl auch müde sein. Kurz darauf landete das Flugzeug. Ich sollte abgeholt werden. Zumindest hatte mir das Samuel Norris, der Vater meines zukünftigen Mandanten, versprochen. Nachdem ich mich abschnallen durfte, war ich eine der ersten, die das Flugzeug verließ. Es brachte schon Vorteile, wenn man erster Klasse flog. Obwohl ich im Augenblick lieber in der Touristenklasse in den Urlaub geflogen wäre, nur half jetzt alles Jammern nichts.
Aber nun musste ich aufhören, von Urlaub zu träumen und zusehen, dass ich nach Roswell kam, wo mein Mandat sich derzeit aufhielt. Das waren vom Flughafen hier in Albuquerque immerhin auch noch zweihundert Meilen. Ein Fahrer sollte mich erwarten und dorthin bringen, so war es abgesprochen. Brian Norris hatte – natürlich ganz zufällig – kurz nach der Razzia in seiner Wohnung, bei der die Drogen gefunden wurden, wegen denen er nun vor Gericht stand, die Universität gewechselt, um hier weiter zu studieren. Ich war mir sicher, dass er hoffte, so um eine Verurteilung in Washington herum zu kommen. Sein Vater allerdings wollte, dass er den Prozess wie ein Mann durchstand. Im Gegensatz zu seinem Sohn besaß er ein großes Ehrgefühl und wollte nicht, dass Brian vor dem Gesetz flüchtete. Zumindest waren das die Gründe, die er mir nannte. Aber wenn er meinem Vater nur ein bisschen ähnlich war, sorgte er sich wohl eher um seine politische Karriere, immerhin wollte der Herr Doktor nun außerdem noch Senator werden.
Als ich den Zollbereich verließ, sah ich mich suchend um. Eigentlich sollte ein Fahrer mich hier erwarten. Endlich sah ich ein Schild auf dem groß ›Für Hilton‹ stand. Ein junger Mann hielt es hoch. Er schien unter anderen afroamerikanische Vorfahren zu haben, zumindest ließ sein etwas dunklerer Teint darauf schließen. Er war etwa Mitte zwanzig und sehr gut gebaut. Sport war sicherlich kein Fremdwort für ihn. Genau so einen Typ hätte in meinen Urlaubstraum gepasst. Doch den musste ich jetzt leider verdrängen.
Schnell setzte ich ein leichtes Lächeln auf und ging auf ihn zu.
»Hallo, ich bin Samantha Hilton.« Erstaunt sah er mich an und musterte mich von oben bis unten, dann grinste er.
»Ronald Warren, aber Sie können mich gern Ron nennen. Wenn Sie mir bitte folgen würden, Miss Hilton. Es gab eine kleine Planänderung.« Dann griff er einfach nach meinem kleinen Koffer und der Laptoptasche, um vorauszugehen, drehte sich dann aber noch einmal kurz zu mir um. »Ist das Ihr ganzes Gepäck?« Er schien erstaunt darüber zu sein. Ich nickte zwar nur, fragte mich allerdings gleichzeitig, warum ihn das wunderte. Immerhin hatte ich nicht vor, ewig hierzubleiben. Spätestens in zwei Tagen musste ich wieder in Washington sein. Er ging weiter und ich folgte ihm wie ein braves Hündchen. Innerlich verdrehte ich über mich selbst die Augen. Der Anblick seines knackigen Hinterns in den engen Jeans war nicht zu verachten, wie ein Chauffeur sah er jetzt nicht wirklich aus. So leger, wie er gekleidet war. Bei Samuel Norris konnte ich mir eigentlich kaum vorstellen, dass einer seiner Angestellten so herum lief, aber vielleicht war sein Sohn da nicht so streng. Ronald Warren führte mich durch den Flughafen und dann durch eine Tür. Allerdings war das kein Ausgang, wie ich erwartet hatte, sondern sie führte in einen privaten Warteraum. »Einen Augenblick Geduld bitte, Brian wird gleich kommen, ich bringe schon einmal Ihr Gepäck an Bord und bereite alles vor.« Er war weg, ehe ich nachfragen konnte, was denn nun eigentlich geplant war. Würden wir jetzt nach Roswell fliegen, statt zu fahren? Das würde immerhin schneller gehen, wenn Brian Norris allerdings sowieso schon hier war, könnten wir die Gespräche doch auch einfach in einem Hotel hier in der Stadt führen, wozu dann noch extra nach Roswell fliegen? Ich setzte mich und griff nach einer der herumliegenden Zeitschriften. Es war sowieso gerade niemand da, der mir meine Fragen beantworten konnte.
Die Illustrierten langweilten mich schnell. Klatsch und Tratsch interessierten mich nicht. Ich lebte schon mein ganzes Leben lang in der sogenannten ›Welt der Schönen und Reichen‹, daher wusste ich, dass fünfundneunzig Prozent der Schlagzeilen entweder von den Magazinen selbst erfunden oder von den Leuten inszeniert worden waren. Für manche war halt einfach jede Schlagzeile gute Presse, die Hauptsache war, dass überhaupt über einen geredet wurde.
Meine Sache war das noch nie gewesen und ich hatte diese offiziellen Pressetermine schon als Kind gehasst. Da kam immer eine Horde fremder Menschen, man spielte ihnen einen frei erfundenen Alltag vor, wobei reichlich Fotos gemacht wurden. Die Fotografen hatten dann noch ihre eigenen Ideen, wie sie was unbedingt fotografieren wollten. Davor drücken ging nicht, mein Vater bestand immer darauf, dass ich brav alles mitmachte, was von mir verlangt wurde. Auch heute noch, sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht hier. Mein eigener Wille zählte für ihn nichts. Mir wurden von klein auf meine Hobbys und meine Freunde vorgeschrieben und wehe, ich war irgendwo nicht die Beste. Dad war dann immer völlig ausgerastet und hatte herumgeschrien, während meine Mutter mich tagelang ignorierte.
Zum Glück kam nun Ronald zurück, sodass ich nicht länger über meine Familie nachzudenken brauchte. Ich beschloss, ihn Ronald zu nennen, Ron war mir zu privat, schließlich kannte ich ihn gar nicht.
»Miss Hilton, würden Sie bitte mitkommen? Brian ist schon an Board der Maschine, wir können dann gleich starten.« Irgendetwas an ihm war anders als vorhin. Die ganze Zeit, während ich ihm zum Flugzeug folgte, dachte ich darüber nach, aber ich kam nicht darauf, was es war. Wir gingen ein kurzes Stück über ein Flugfeld, dann stiegen wir in eine wartende Privatmaschine. Ich wunderte mich über die fehlenden Kontrollen, eigentlich gab es so etwas doch nach den Anschlägen auf das World Trade Center nicht mehr, aber in der Welt der Superreichen schien wohl alles möglich zu sein. Unbehelligt stiegen wir ein und irgendwer schloss die Tür hinter uns.
»Setzen Sie sich bitte hin und schnallen sich an, Miss Hilton. Wir fliegen gleich los.« Ronald verschwand nach vorn ins Cockpit der Maschine. Ich fragte mich, wo wohl Brian Norris war. »Wo ist Mr. Norris?«, rief ich ihm laut hinterher und hoffte, Ronald würde mich hören und mir antworten. Irgendwie beschlich mich langsam ein mulmiges Gefühl. Hatte er mich wirklich im Auftrag von Mr. Norris empfangen? Aber woher hätte er sonst wissen sollen, wer ich war und wann ich ankommen würde?
»Sei nicht albern, Sam!«, schalt ich mich leise selbst. »Alberne Frauen können gelegentlich ganz amüsant sein.« Mr. Brian Norris grinste mich frech an, setzte sich neben mich, legte seinen Gurt an und drückte einen kleinen Knopf an der Armlehne seines Sitzes. »Ron, du kannst starten.« »Sowie ich die Startfreigabe habe.« Rons Antwort kam aus einem kleinen Lautsprecher in der Lehne.
Brian Norris stellte den Fernseher an und setzte sich Kopfhörer auf. Mich ignorierte er dabei völlig und ich war völlig perplex über so viel Unhöflichkeit. Wenn das Flugzeug nicht gerade losgerollt wäre, hätte ich wohl darauf bestanden, wieder auszusteigen. Schließlich wollte er doch etwas von mir, dann könnte er wenigstens den Anstand besitzen, mich zu begrüßen und sich vorzustellen, auch wenn ich dank meiner Internetrecherchen natürlich wusste, wer er war.
Sein Bild war ja ständig in allen Medien und er war auch wirklich eine Augenweide. Groß, schlank, etwas zu lange braune Haare und ebenfalls braune Augen. Er war schon ein herrlicher Anblick, aber was nutzte das alles, wenn er sich benahm wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen? Das Flugzeug hob ab und ich überlegte, was ich nun tun sollte. Mr. Norris zur Rede stellen oder ihn ebenfalls ignorieren? Da ich solche Spielchen lächerlich fand, griff ich beherzt nach seinen Kopfhörern und nahm sie ihm einfach ab.
»Guten Tag, Mr. Norris, ich bin Samantha Hilton, Ihre Anwältin. Stellen Sie sich eigentlich immer so nett vor?«, fragte ich ihn sarkastisch. Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, irgendwie wirkte er, als wäre er gar nicht richtig anwesend. Ich fragte mich, ob er wohl wieder Drogen konsumiert hatte, wenn ja, dann hätte ein Gespräch mit ihm zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich sowieso keinen Sinn.
»Ja, ja, ich hab Sie nicht her bestellt.« Sein verächtlicher Blick lag kurz auf mir. »Ich brauche nämlich keine dämliche, spießige Anwältin. So ein Theater wegen der paar Gramm Hasch.« Er rollte mit den Augen. »Mein Vater meint mal wieder, dass er mich retten müsse und schickt mir deshalb dich auf den Hals. Aber ich will gar nicht gerettet werden.« »Warum haben Sie mir das nicht bereits am Flughafen gesagt?«, fragte ich ihn, so sauer wie zur Zeit war ich schon ewig nicht mehr. Was für eine Zeitverschwendung. »Dann hätte ich mich gleich auf den Heimweg machen können und müsste hier nicht meine Zeit verschwenden. Wo fliegen wir überhaupt hin?«
»Nun reg dich doch nicht auf. Wir fliegen nach Brasilien, dort haben wir ein Ferienhaus. Wenn ich dort bin, kann Ron dich ja wieder zurückfliegen.« Ich starrte Brian mit offenem Mund an. War er noch bei Trost? Vielleicht hatte er sich sein Hirn schon völlig weg gekifft, das wäre eine Erklärung, warum er diese Nummer hier mit mir abzog. Ihn zu fragen, was das alles sollte, war vermutlich sinnlos.
Brian stand wortlos auf, um kurz hinter einer Tür zu verschwinden. Ich nahm an, dass dort die Toilette war. Nach einigen Minuten kam er wieder und ich fragte mich, ob er noch mal etwas eingenommen hatte. Sein zufriedener Gesichtsausdruck und die riesigen Pupillen ließen jedenfalls darauf schließen.
»Warum soll ich erst mit nach Brasilien fliegen?«, fragte ich ihn trotzdem. »Mein Dad hätte mir sonst das Flugzeug nicht überlassen,« erklärte er, als wäre es das Normalste der Welt. »Und ich habe keinen Bock, mit einer Linienmaschine nach Brasilien zu fliegen. Also habe ich ihm klar gemacht, dass ich sein Spielzeug brauche, um dich abzuholen. So einfach ist das.«
Ach, so einfach war das also, zumindest wenn man Brian Norris hieß. Und ich war die Dumme, die quer durch Amerika flog, damit er sich ins Ausland absetzen konnte, ich konnte es kaum fassen.
2. Der Absturz
Ich holte mehrmals tief Luft, um ihn nicht anzuschreien.
»Lass Ron umkehren und mich aussteigen. Ihr könnt mich doch nicht entführen!« Jetzt war nicht mehr die Zeit für Höflichkeiten, ich musste Klartext sprechen, doch Brian lachte nur. War das Ganze etwa ein Witz für ihn?
»Ach, komm schon, Tammy, das wird ein Spaß. Stell dich nicht so an. Zum Umdrehen ist es nun sowieso zu spät, also genieß den kostenlosen Urlaub.« Er hatte gut reden, ich wünschte mir zwar eine Auszeit, aber doch nicht so. Außerdem sollte er mich nicht Tammy nennen. Samantha oder Sam waren meine Rufnamen, nicht so etwas Verspieltes, denn das passte nicht zu mir. Erholsam würde es mit diesen Idioten sicher auch nicht werden. Ich beschloss, lieber nichts mehr dazu zu sagen, dafür allerdings in Brasilien den ersten Flug Richtung Heimat zu nehmen.
»Was musste Dad mir so eine spießige Tussi als Anwältin schicken?«, murmelte er kurz darauf leise. Dieser Satz war vermutlich nicht für meine Ohren bestimmt gewesen, ich hörte ihn trotzdem, war nun stinksauer und konnte mich nicht mehr beherrschen.
»Für dich immer noch Samantha«, fuhr ich ihn an. »Ich verschwende hier doch nur meine Zeit, weil du dich nicht getraut hast, Daddy zu sagen, wie feige du bist. Denkst du, ich habe nichts Besseres zu tun? Auf mich wartet Arbeit und Leute, die diese zu schätzen wissen.« Ich stand auf und funkelte Brian wütend an, aber das schien ihn gar nicht zu interessieren. Stattdessen gähnte er gelangweilt. »Bleib cool, Baby!«, sagte er mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht. Wenn ich nicht so ein friedliebender Mensch wäre, hätte ich ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Der Kerl war doch wahnsinnig! »Was bildest du dir eigentlich ein, Mr. Großkotz?«, fragte ich ihn. »Soll ich etwa erfreut darüber sein, dass du mich entführst?« Brian rollte mit den Augen. »Entführt, entführt … Mann, warum musst du so ein Theater daraus machen? Wir fliegen nach Brasilien auf eine tolle Insel. Wenn du willst, kannst du dort ein paar Tage Urlaub machen, das Haus ist groß genug und wenn du die Schnauze voll hast, fliegt Ron dich schnell zurück. Wo also ist dein verdammtes Problem?«
Ich konnte es nicht fassen, dass er das nun wirklich fragte. »Wo mein Problem liegt?« Am liebsten hätte ich ihm nun doch die Ohrfeige gegeben. »Nicht jeder lebt einfach in den Tag hinein und macht sich auf Daddys Kosten ein schönes Leben. Ich habe einen Job, Termine, Verpflichtungen … Aber wahrscheinlich weißt du gar nicht, was das ist.«
Brian blieb unbeeindruckt von meiner Ansprache. Lümmelte sich sogar provokativ in seinem Sitz. »Relax, Baby! Ich glaube, Urlaub täte dir mal ganz gut. Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit.« Ich kochte vor Wut, der Kerl war völlig unmöglich. »Nenn mich nicht so!«, zickte ich ihn an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diesen Kerl gar nichts aus der Ruhe bringen konnte.
»Oh Mann, du tust ja gerade so, als wollte ich was von dir. Du bekommst die Zeit sicherlich gut bezahlt, also stell dich nicht so an. Ich habe nicht vor, dich zu vergewaltigen oder so etwas. Du bist sowieso nicht mein Typ, ich stehe auf junge aufregende Frauen und nicht auf alte, spießige.« Autsch, das saß. »Alt?«, schrie ich ihn an. Immerhin war ich jünger als er. Es wäre wohl besser, gar nicht darauf zu reagieren, aber dazu kochte ich zu sehr. »Meine bevorzugte Beute ist zwischen achtzehn und fünfundzwanzig, Baby«, antwortete er grinsend. Dabei betonte er das Baby herablassend. Meine Wut auf ihn kochte immer höher.
»Na, freundet ihr euch schon an?«, kam plötzlich eine Stimme aus Richtung des Cockpits. Als ich mich umdrehte, erstarrte ich. Dort stand Ronald Warren, lässig an den Türrahmen gelehnt und sah grinsend zwischen uns hin und her. Was machte der denn hier? Sollte er nicht das Flugzeug steuern? »W…wer … wer fliegt jetzt?«, stotterte ich. War ein zweiter Pilot an Board, den ich nicht bemerkt hatte? Ich hoffte es, man konnte so ein Flugzeug doch nicht sich selbst überlassen. Seine Antwort versetzte mich allerdings dann fast in Panik.
»Der Autopilot.« »Spinnst du?«, schrie ich ihn an, was Brian zum Lachen brachte. »Ihr seid doch beide nicht mehr ganz richtig im Kopf. Das alles kann nicht euer Ernst sein.« Nun lachten sie gemeinsam und ich wurde immer wütender. Ich war von zwei Irren entführt worden, die das Ganze einfach nur komisch zu finden schienen. Ob ich bei der versteckten Kamera gelandet war? Das konnte doch wirklich nicht wahr sein. Vielleicht war ja wirklich noch jemand im Cockpit und die zwei wollten mich nur auf den Arm nehmen. Ich hoffte es zumindest.
Als ich mich allerdings an Ronald vorbeidrängelte, um einen Blick hinein zu werfen, sah ich, dass es ihr völliger Ernst war. Außer uns dreien war niemand an Board.
»Reg dich nicht auf, ich weiß schon, was ich tue.« Ronald wollte mich beruhigen, doch ich vertraute ihm nicht. Das Ganze war doch echt unverantwortlich, was da alles passieren konnte. Ich sah uns schon am Boden zerschellen. Meine Ängste wurden erst recht nicht besser, als Brian nun aus einem Tütchen ein weißes Pulver auf den Tisch kippte, eine Kreditkarte hervorzog und eine Line damit zog.
»Du willst jetzt hier nicht ernsthaft Drogen nehmen?« Die Frage war eigentlich überflüssig, trotzdem stellte ich sie. Brian grinste mich nur an, nahm einen Geldschein, rollte ihn auf und zog das Pulver in seine Nase. Dann legte er den Kopf in den Nacken und schloss entspannt die Augen.
Ich kannte mich mit Drogen zwar nicht wirklich aus, aber geschnupft wurde ja meist Kokain. Noch entsetzter war ich allerdings, als sich nun auch Ronald eine Line zog. Da konnte ich nicht mehr ruhig zusehen, ohne einzugreifen.
»Bist du bescheuert?«, schrie ich ihn an und wollte ihn vom Tisch wegdrängen. Was war er nur für ein Pilot? Erst überließ er einem Computer die Steuerung und nun nahm er auch noch während des Fluges Drogen. Ronald grinste mich hämisch an.
»Mach doch nicht so ein Theater, es passiert schon nichts.« Ich war geschockt. Doch Brian lachte, wahrscheinlich über meinen entsetzten Gesichtsausdruck. Das konnte doch wirklich alles nicht wahr sein.
Ob die Herren sich schon die letzte Hirnzelle weggekokst hatten? Ich setzte mich wieder auf meinen Sitz und schnallte mich vorsichtshalber an. Als ich aus dem Fenster sah, war unter uns nur das Meer zu sehen. Eine ganze Zeit lang überlegte ich, ob und wie ich einen Absturz überleben könnte, wenn es dazu käme. Wasser war doch weniger schlimm als Land, oder?
Eines war jedenfalls sicher, falls ich wieder Erwarten unversehrt auf dieser Insel ankäme, würde ich nie wieder ein Flugzeug betreten, das Ronald Warren flog. Und sobald ich sicher wieder zu Hause in Washington wäre, dann würde ich den Fall Brian Norris abgeben. Diesen Kerl vor Gericht zu vertreten, kam für mich nicht mehr in Frage.
Eher würde ich ihn selbst noch wegen Entführung anzeigen, allerdings würde dann wahrscheinlich mein Vater durchdrehen. Solche Sachen wurden in der Presse gern breit getreten und das würde er mir nie verzeihen. Obwohl er ja Schuld an allem war, er hatte mir diesen Fall aufgedrängt, weil er seinem Freund einen Gefallen tun wollte, und nun musste ich mich mit Mr. Arschloch Norris abgeben.
Während ich in Gedanken versunken aus dem Fenster starrte, zog es sich immer mehr zu. Die Sonne war verschwunden. Die Wolken wurden immer dicker. Sollte ich Ronald darauf aufmerksam machen? Nicht, dass wir noch in ein Unwetter fliegen würden.
Die Kerle lungerten auf einem Sofa im hinteren Teil des Flugzeugs herum und bekamen wahrscheinlich gar nichts mit, so voll mit Drogen, wie sie waren. Ich stand auf, um zu ihnen zu gehen.
»Na, hast du schon Sehnsucht nach uns?«, fragte Brian. Wieder grinste er mich dämlich an. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre gegangen, aber wir waren in einem Flugzeug. Wo sollte ich also hin? Außerdem könnte das, was sich da draußen zusammen braute, gefährlich für uns alle werden, also sollte ich sie zumindest warnen. »Ronald, schau mal aus dem Fenster, ich glaube, da braut sich ein Unwetter zusammen«, versuchte ich, ihn auf die Situation aufmerksam zu machen. Brian ignorierte ich dabei, sonst würde ich ihm doch noch den Hals umdrehen. Ronald reagierte nicht, stattdessen warf Brian einen Blick aus dem Fenster und fluchte dann laut. »Scheiße! Ron! Verschwinde ins Cockpit, wir fliegen direkt in ein Gewitter. Fuck!«
Ron brauchte einen Moment, bis er sich endlich bewegte. Mittlerweile zuckten draußen schon die ersten Blitze und der Donner grollte. Endlich kam Leben in ihn, fluchend lief er ins Cockpit, während die Blitze immer häufiger zuckten und der Donner immer lauter krachte. »Legt die Schwimmwesten an und schnallt euch an!«, kam seine Stimme über den Lautsprecher. Er klang nun nicht mehr so ruhig oder entspannt, sondern leicht panisch. »Die Elektronik spinnt, ich muss versuchen, die Kiste irgendwie in einem Stück runter zu bekommen.«
Brian zog zwei Schwimmwesten unter den Sitzen hervor und warf mir eine zu. »Anziehen!«, befahl er mir und ich beeilte mich damit. Oh mein Gott, wir stürzten wirklich ab. Panisch klammerte ich mich an den Armlehnen meines Sitzes fest, nachdem ich den Anschnallgurt besonders fest gezogen hatte. Brian holte noch einige Sachen, diese stellte er neben die Tür. Dann setzte er sich ebenfalls und legte seinen Gurt an. Dafür, dass die beiden vor kurzem erst Drogen genommen hatten, verhielten sie sich überraschend beherrscht und handelten überlegt. »Beugt euch nach vorne, Kopf zwischen die Knie!« Wieder gab Ron über den Lautsprecher Anweisungen. »Das wird jetzt ungemütlich werden, der Wellengang ist nicht ungefährlich.« Automatisch tat ich, was Ronald sagte, schluchzte dabei allerdings auf. Solche Angst, wie in diesem Moment, hatte ich mein ganzes Leben lang noch nie. Brian fluchte, beugte sich allerdings ebenfalls nach vorn. Auch wenn er ein Arsch war, er war der einzige anwesende Mensch und ich verspürte Todesangst. Meine linke Hand tastete nach seiner rechten und irgendwie war ich froh, als er sie festhielt.
3. Bruchlandung
Ich konnte das Zittern der Maschine spüren. Ein lauter Knall drang an meine Ohren. Das Vibrieren wurde immer schlimmer, bis ein heftiger Ruck das Flugzeug durchfuhr. Grelles Licht blendete mich kurz und verlosch schließlich ganz. War nun alles vorbei? Würde ich hier und jetzt sterben? Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Ich schrie in der plötzlichen Dunkelheit panisch auf, umklammerte Brians Hand noch fester. Auch wenn ich ihn nicht leiden konnte, er war der einzige Mensch, der gerade da war. Ich brauchte jeden Halt, den ich finden konnte.
»Bitte, lieber Gott, lass mich noch nicht sterben«, betete ich leise. Ich war wirklich kein gläubiger Mensch, obwohl ich jeden Sonntag mit meinen Eltern in die Kirche ging, aber in diesem Moment betete ich zum ersten Mal ehrlich. Ich wollte noch nicht sterben! Es gab doch noch so viel in diesem Leben, das ich noch nicht getan hatte.
»Ich mache eine Notwasserung. Versucht, euch gut festzuhalten.« Ron klang hoch konzentriert, wie konnte er in dieser Situation so ruhig bleiben?
Das Flugzeug sank immer tiefer. Mit jedem Meter wurde meine Panik größer. Ich zitterte am ganzen Körper, weinte leise vor mich hin. Waren wir nicht noch viel zu schnell? Wusste Ronald, was er tat? Vertrauen hatte ich keines in ihn. Wie sollte ich einem Piloten vertrauen, der das Flugzeug sich selbst überließ, um zu koksen?
Wir wurden erneut ziemlich heftig durchgerüttelt. Wieder schrie ich. Auch Brian konnte nicht mehr ruhig bleiben. Einen lauten Knall nahm ich noch wahr, dann wurde alles schwarz um mich herum.
Als ich wieder zu mir kam, wusste ich weder, wo ich mich befand, noch was passiert war. Es war stockdunkel. Der weiche Untergrund, auf dem ich lag, schaukelte hin und her. Wo war ich? Ich wollte mich aufrichten, doch ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Kopf. Gequält stöhnte ich auf.
»Sie wird wach.« Ronalds Stimme klang ehrlich erleichtert.
»Endlich«, antwortete Brian nur, allerdings klang seine Stimme ebenfalls besorgt. Ron kam zu mir, was scheinbar gar nicht so leicht war, weil der Boden schwankte. »Samantha?«, fragte er und hockte sich neben mich. »Hörst du mich?« Ich wollte nicken, aber sofort schoss erneut der Schmerz durch meinen Kopf, brachte mich zum Aufstöhnen. »Ja«, antwortete ich heiser. Das Sprechen fiel mir aus irgendeinem Grund ziemlich schwer. Er griff nach meiner Hand und drückte sie leicht.
»Es tut mir leid, ich bin schuld, dass wir abgestürzt sind und auch, dass du jetzt verletzt bist. Ein nicht gesicherter Karton hat sich selbstständig gemacht. Der ist dir an den Kopf geflogen. Es tut mir alles so leid.« Er klang ehrlich verzweifelt. Das erklärte meine Kopfschmerzen und warum ich bewusstlos gewesen war. Bei dem Geruckel vorhin im Flugzeug war es ja kein Wunder, dass dort Sachen durch die Gegend geflogen waren. Doch wo waren wir jetzt? Ich wollte es gerade fragen, als Ronald mir eine Flasche Wasser hinhielt.
»Du hast sicher Durst. Möchtest du etwas trinken? Auch wenn das Wasser warm geworden ist, es ist besser als nichts. Du warst ganz schön lange weg. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.« Er plapperte schneller, als ich im Moment denken konnte, aber Trinken war eine gute Idee.
Er half mir dabei, mich etwas aufzurichten, und dann trank ich gierig ein paar Schlucke. Mein Hals tat zwar immer noch weh, doch es ging mir schon viel besser. Auch das Schwindelgefühl ließ nach, das mich im ersten Moment überfallen hatte. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht. Wir waren in einem Schlauchboot, mitten auf dem Ozean, das erklärte natürlich das Schaukeln, das ich schon wahrgenommen hatte. Vom Flugzeug war weit und breit nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich waren Stunden vergangen, denn der Absturz war am frühen Nachmittag gewesen und nun war es dunkel.
»Wo sind wir?«, fragte ich, obwohl das wahrscheinlich eine dämliche Frage war. Das sah wohl auch Brian so, denn er lachte verächtlich auf. »In einem Boot auf dem Meer.« Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.
»Darauf bin ich auch schon gekommen«, zickte ich zurück.
»Was fragst du dann so blöd? Das Meer war durch das Gewitter ziemlich aufgewühlt, durch den Blitzschlag sind die Instrumente ausgefallen, außerdem sind wir mittlerweile wahrscheinlich meilenweit abgetrieben. Und der Trottel.« Er zeigte auf Ronald. »Hat das Funkgerät über Bord gehen lassen.«
Das klang nicht gut, wie sollten wir so nur gerettet werden? Brian war wahrscheinlich zu recht wütend auf Ronald, aber er selbst war ja auch nicht unschuldig an unserer Lage. »Vielleicht solltest du, wenn wir gerettet werden, es zukünftig unterlassen, während des Fluges mit dem Piloten zu koksen«, warf ich ihm an den Kopf.
»Ich werde daran denken«, blaffte er zurück. Wahrscheinlich war er es nicht gewöhnt, dass man ihm die Meinung sagte. Danach redeten wir nicht mehr miteinander, sondern saßen schweigend an entgegengesetzten Enden des überraschend großen Bootes. Hier könnten problemlos fünfzehn Personen Platz finden.
Kurz darauf war ich wohl wieder eingeschlafen, denn als ich die Augen erneut öffnete, wurde es langsam heller. Ron saß neben mir, mein Kopf lag auf seinem Schoß. Wie war der nur dorthin gekommen? Ich wusste es nicht. Außerdem waren wir beide in Decken gehüllt, in der Nacht hatte es sich ganz schön abgekühlt und ich war ihm dankbar, dass er an mein Wohlergehen dachte. Ich fröstelte so schon und fühlte mich klamm, ohne Decke wäre es noch viel schlimmer gewesen.
Brian lag zirka einen Meter von uns entfernt, er schnarchte leise. Ich sah mich nach der Wasserflasche um und sah sie neben ihm liegen. Vorsichtig erhob ich mich und war froh, dass das Schwindelgefühl fast weg war. Auch mein Kopf pochte nur noch leicht. An meinem Hinterkopf konnte ich zwar eine große Beule ertasten, aber zum Glück keine Wunde.
Ich holte mir das Wasser und trank vorsichtig ein paar Schlucke. Ich wollte nicht zu viel nehmen, da ich nicht wusste, wie viel wir dabei hatten und wann wir gerettet werden würden. Trinkwasser war überlebenswichtig und auch die Männer brauchten welches. Ich wollte keinesfalls schuld sein, wenn sie verdursteten. Die Sonne ging langsam auf und ich hätte dieses Naturschauspiel sicherlich genossen, wenn wir nicht in einer so schrecklichen Lage gewesen wären. So achtete ich kaum darauf, sondern grübelte nur darüber nach, ob und wann wir wohl gerettet werden würden. Die Sonne stieg immer höher, es wurde richtig hell und zum Glück endlich wieder wärmer. Als mein Blick über den Horizont schweifte, entdeckte ich plötzlich etwas Grünes. Es war eindeutig Land, aber noch in großer Entfernung. »Ron! Brian! Aufwachen!« Ich rüttelte die beiden abwechseln. Nach einer gefühlten Ewigkeit wachten sie endlich auf.
»Warum weckst du mich?« Brian war schon wieder richtig stinkig. Ich fragte mich, ob dieser Kerl jemals normal sprach oder ob er nur motzen, meckern und beleidigen konnte.
»Da hinten ist Land«, erklärte ich und zeigte in die Richtung. »Ich habe keine Ahnung, wie man das Boot dorthin steuern könnte.«
Zum Glück schien zumindest Ron zu wissen, was zu tun war. Er gab uns Anweisungen und beide Männer griffen beherzt nach den Rudern, die zur Ausstattung des Rettungsbootes gehörten. Langsam aber sicher kam das Land immer näher. Festland war es sicherlich nicht, doch zumindest sah es nach einer größeren Insel aus. Ich hoffte sehr darauf, dass sie bewohnt war. Es dauerte dennoch einige Zeit, bis wir endlich in die seichten Gewässer vor der Insel kamen, so weit weg hatte das gar nicht ausgesehen. Die Jungs sahen schon echt fertig aus, da die Strömung uns in eine andere Richtung treiben wollte und sie die ganze Zeit dagegen an gerudert waren. Brian keuchte sogar, das hatte allerdings den Vorteil, dass er nicht motzen konnte. Endlich waren wir fast am rettenden Ufer. Sie waren beide schweißgebadet, aber es gab nur zwei Ruder und mir hatten sie keins geben wollen. Als wir noch näher an den Strand kamen, warf Brian mir schließlich doch seines zu.
»Hier, du wolltest doch helfen.« Dann sprang er ins seichte Wasser und fasste nach einem Haltegriff an der Außenseite des Bootes. Das schien mehr zu bringen, als das Rudern. Ronald sprang nun ebenfalls aus dem Boot, um seinem Freund beim Ziehen zu helfen. Da das Rudern auf nur einer Seite nichts brachte, folgte ich ihnen. Zu dritt zogen und zerrten wir an den Griffen, bis das Boot schließlich am Strand lag. Dort ließen wir uns schweratmend in den Sand fallen. Mir war schon wieder schwindelig, die Anstrengung war wohl doch nicht so gut für mich gewesen. Deshalb sollte ich lieber aus der prallen Sonne raus, die mir zudem in den Augen wehtat und schleppte mich mühsam in den Schatten einer Palme. Dort ließ ich mich wieder fallen und schloss ermattet die Augen.
Mein Kopf pochte wieder stärker, mir war schwindelig und außerdem noch übel. »Samantha?« Ron war plötzlich neben mir. Warum hatte ich ihn nicht kommen hören? »Ist alles in Ordnung?« Er klang besorgt und wenn es mir nicht so schlecht gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich gelacht.
»Kopfschmerzen.« Mehr sagte ich nicht. Jammern würde ja sowieso nichts bringen. Keiner von beiden war Arzt und mit meinem medizinischen Wissen war es ebenfalls nicht weit her. Außerdem hatte ich von klein auf gelernt, Schmerzen zu verheimlichen. Mein Vater sah es als Schwäche an, Schmerz zu zeigen. Egal, ob ich krank war oder mich mal verletzte. Ich hatte es zu ertragen. ›Ein beziehungsweise eine Hilton zeigt niemals Schwäche!‹, war der Leitspruch meines Vaters. »Ich hol dir erst einmal was zu Trinken und schaue dann, ob wir etwas gegen Schmerzen dabei haben.« Nun kam auch Brian zu uns herüber. »Schmerzmittel haben wir keine«, erklärte er. »Es sei denn, du willst ihr etwas Koks geben.« Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Ich wollte mich aufrichten, schafften es aber kaum, weil sich alles um mich herum so drehte.
»Nie im Leben! Ich nehme keine Drogen!«, brachte ich wenigstens heraus.
»Ist auch besser so. Wer weiß, wann wir hier wegkommen. Wir haben nur fünfzig Gramm, das werden wir uns einteilen müssen.« Der Kerl machte mich wahnsinnig! Nur fünfzig Gramm? Das war eine Menge, für die er bei einer Verurteilung mehrere Jahre Gefängnis bekommen würde.
Ich hatte mir ja Urlaub auf einer einsamen Insel mit Strand und Palmen gewünscht, aber zukünftig sollte ich mit meinen Wünschen vorsichtiger sein. So hatte ich mir meinen ›Urlaub‹ sicherlich nicht vorgestellt.
4. Erkundungen
Nachdem wir einige Zeit im Schatten lagen und es mir etwas besser ging, hielt ich es nicht mehr aus. Mir war nicht mehr ganz so schwindelig. Außerdem war ich es nicht gewohnt, still zu sitzen und nichts zu tun, mal abgesehen davon, dass es einiges zu erledigen gab. Ich wusste nicht, wie viel Wasser wir dabei hatten, obwohl das eigentlich auch egal war, wir sollten auf jeden Fall nach einer Wasserquelle suchen. Wer wusste schon, wann wir gerettet werden würden. Außerdem bestand ja noch die Hoffnung, dass die Insel vielleicht bewohnt sein könnte. Das konnten wir nicht herausfinden, wenn wir nur hier herumsaßen.
Deshalb stand ich auf und weckte die Männer, die in der Sonne eingeschlafen waren. Sonderlich klug war das sowieso nicht von ihnen und sie hätten mir eigentlich dankbar sein müssen, dass ich sie vor einem Sonnenbrand rettete. Aber stattdessen motzten sie nur herum, weil sie weiterschlafen wollten.
»Wir sollten das Boot, die Sachen verstauen, außerdem nachsehen, ob die Insel vielleicht bewohnt ist. Obendrein müssen wir nach Nahrung und Wasser suchen.« Mein Vorschlag traf bei den Kerlen nicht auf begeisterte Zustimmung.
»Vielleicht später«, meinte Brian nur, drehte sich auf den Bauch, stützte dann seine Arme etwas auf, um mich besser ansehen zu können.
»Ihr könnt ja schon einmal suchen gehen und ich bewache das Boot.« Das konnte doch nicht sein Ernst sein.
»Muss das sein?«, grummelte Ronald ebenfalls und gähnte laut.
»Ja, das muss sein!« Ich bemühte mich wirklich, ruhig zu bleiben, aber diese faulen Hunde machten es mir unmöglich. Was dachten sie, was wir hier taten? Das war doch kein schöner Strandurlaub! Wir waren gestrandet und ich hatte keine Lust, hier zu verhungern oder zu verdursten.
»Relax, Tammy, wir werden bald gerettet. Das Flugzeug hatte GPS. Ich bin mir sicher, dass unsere Väter uns schon überall suchen lassen«, meinte Brian völlig gelassen. Bei seinem Vater konnte ich mir das sogar vorstellen, aber bei meinem? Wahrscheinlich war er froh über die Aufmerksamkeit, die er wegen des Absturzes von allen bekam. Nun konnte er den besorgten Vater spielen und dadurch Sympathiepunkte bei den Leuten sammeln. »Wir sind die ganze Nacht auf dem Meer gewesen. Woher sollen sie wissen, wo wir sind? Oder hat das Boot ebenfalls GPS?«, fragte ich. Ronald zuckte sichtlich zusammen.
»Nein … ähm … das Funkgerät … ähm …«, stammelte er. Irgendwie ergab das Ganze keinen Sinn für mich. »Was ist mit dem Funkgerät? Das ist doch versunken, oder?« Doch schon während ich die Frage stellte, wurde es mir klar und ich hätte seine Bestätigung gar nicht mehr gebraucht. Das Funkgerät, das normalerweise im Rettungsboot sein sollte, hatte einen GPS-Chip. Doch das war Ron ins Meer gefallen und abgesoffen. Wahrscheinlich gingen etwaige Suchtrupps nun davon aus, dass wir in der Nähe des Flugzeugs gekentert wären. Hoffentlich gaben sie die Suche nach uns nicht gleich wieder auf.
»Also siehst du nun ein, dass wir nicht einfach hier herumsitzen können?« Ronald konnte ich nun überzeugen, Brian fand allerdings noch immer, dass wir keinen Grund hatten, uns abzuhetzen.
»Der Stoff ist sicher bei mir«, erklärte er und klopfte auf ein kleines Päckchen, das neben ihm lag. Etwas anderes schien ihn nicht zu interessieren. Wenigstens Ronald half mir nun, die Vorräte aus dem Boot zu holen, um sie im Schatten zu lagern. Die Ausbeute war traurig genug. Wir besaßen gerade einmal fünf Liter Trinkwasser und ein paar Kekse als Proviant, das war alles. Sahen die beiden denn nicht, dass wir spätestens übermorgen, wahrscheinlich eher schon morgen, ein riesiges Problem bekämen, wenn wir jetzt nichts unternahmen? Ansonsten gab es nur noch drei Wolldecken und eine leere Umhängetasche, doch keinerlei Kleidung.
»Vom Gepäck konntet ihr nichts retten?« War alles so schnell gegangen? Bisher hatte ich nicht weiter danach gefragt.
»Nein, wir konnten nur das Nötigste aus dem Flugzeug holen, ein Flügel ist bei der Landung abgerissen und es ist ziemlich schnell untergegangen«, erklärte Ronald. Ich schluckte die Frage herunter, ob das Kokain zum Nötigsten gehörte. Für die beiden war die Antwort auf diese Frage sicherlich klar. Ich fragte mich, ob ihnen unsere prekäre Lage überhaupt bewusst war. Ob sie sahen, was nun auf uns zukommen würde. Ohne Nahrung, Wasser, Kleidung und Unterschlupf auf einer scheinbar unbewohnten Insel.
Nein, Brian sah es wohl wirklich nicht, denn er nahm sich gerade eine Wasserflasche und wollte sich den Inhalt über den Kopf kippen. Schnell rannte ich zu ihm, obwohl mir dabei wieder schwummerig wurde. Ich riss ihm die Flasche aus der Hand.
»Spinnst du?«, schrie er mich an. »Wer hier spinnt, ist wohl die Frage, ›Mr. Vielleicht später‹«, schrie ich zurück. »Willst du uns umbringen, oder was hast du vor? Wir haben fünf Liter Trinkwasser für drei Personen. Kannst du dir denken, wie lange das ausreicht? Wenn du dich abkühlen willst, spring ins Meer und verschwende nicht unseren winzigen Vorrat!« Dieser Kerl schaffte das, was sonst niemanden gelang. Ich schrie und tobte, dabei war ich normalerweise die Ruhe in Person. Oft wurde ich deshalb vor Gericht erst einmal unterschätzt, doch spätestens, wenn ich mein Plädoyer hielt, merkte die Gegenseite, was ich drauf hatte. Meine Argumente waren immer hieb und stichfest. Aber Brian schaffte es spielend, dass ich mich völlig vergaß und mich in eine keifende Furie verwandelte. Trotzdem oder gerade deshalb sah er nicht ein, uns zu begleiten, als wir aufbrechen wollten. Vorsichtshalber hatte ich vier der fünf Wasserflaschen in eine Tasche gesteckt, um sie mitzunehmen. Wer wusste schon, was Brian sonst noch damit anstellen würde?
Einige Zeit später, wie spät es genau war, konnte ich nur erahnen, da ich keine Uhr trug und Ronalds beim Absturz kaputt gegangen war, stapften wir durch den Dschungel. Obwohl ich ihm anfangs nicht vertraut hatte, musste ich zugeben, dass er ein idealer Fährtensucher war. Er konnte an den Bäumen ablesen, wo welche Himmelsrichtung war.
Endlich stießen wir auf einen kleinen Bach mit klarem Wasser, Ronald probierte vorsichtig und richtete sich dann lächelnd auf. »Das ist Trinkwasser. Wir sollten uns ein Lager hier irgendwo in der Nähe bauen. Wir brauchen einen Schutz vor der Sonne und vor Regen.« Ich fragte mich zwar, ob das wirklich sinnvoll war, so weit vom Strand wegzugehen. Wie sollten wir hier gefunden werden? Nur was gab es sonst für eine Wahl? Ich selbst besaß keinerlei Erfahrung mit dem Leben in der Wildnis.
»Du kennst dich wohl damit aus?« Ich wollte herausfinden, ob er wirklich wusste, was er tat und Ron erzählte gleich freimütig.
»Mein Vater war früher Ranger in einem Nationalpark. Er hat mir viel über das Leben in der Natur beigebracht. Sein Traum war es lange, dort ein Survivalcamp aufzubauen und wir waren seine Tester. Leider erlitt er dann einen Unfall, wodurch er sein halbes Bein verlor.« Trotz dieser Schreckensbotschaft, schien er gerade in Redelaune zu sein und erzählte noch so einiges über seine Abenteuer im Nationalpark.
»Freeclimbing ist genial, hast du das schon einmal gemacht? Das Gefühl dabei ist fast so genial wie beim Schnupfen.« Er redete und redete. Ich sagte manchmal »Hmmm« oder »Ja« und er schien gar nicht zu bemerken, dass ich ihm kaum zuhörte. Meine Gedanken waren im Hier und Jetzt. Ich sah mich genau um, ob es irgendwo in der Nähe des Baches einen geeigneten Lagerplatz gab, vielleicht eine Höhle oder so, wo wir vor Regenschauern sicher wären. Ich wusste nicht, wo wir genau waren und wie das Wetter hier sein würde, aber wenn ich an das Gewitter dachte, dass zum Absturz geführt hatte, wünschte ich mir wirklich ein Dach über dem Kopf. Leider war nichts in der Art zu finden. Da wir jetzt Wasser gefunden hatten, tranken wir etwas aus den Flaschen, füllten diese danach mit frischem Wasser auf. Dann wollte Ronald zurück zu Brian. Meiner Meinung nach könnte der ja ruhig bleiben, wo der Pfeffer wächst. Nur allein wollte ich auch nicht bleiben.
»Ich würde gern noch etwas Essbares und einen Unterschlupf für schlechtes Wetter suchen«, widersprach ich ihm trotzdem. Aber er hatte keine Lust mehr und da ich meinen nicht vorhandenen Orientierungssinn kannte, folgte ich ihm unzufrieden. Allein hätte ich mich wahrscheinlich hoffnungslos verlaufen. Außerdem wusste ich nicht, was es hier auf der Insel für Tiere gab. Ich rechnete zwar nicht wirklich mit großen Raubtieren, aber Schlangen oder Skorpione könnte es geben. Wobei ich fürchtete, dass Brian und Ronald bei einem Biss oder Stich auch keine große Hilfe wären.
Ron schien zumindest wirklich zu wissen, wie man sich orientiert, denn kurze Zeit später waren wir wieder am Strand, etwas oberhalb der Stelle, an der wir vorhin noch waren. Brian hatte sich mittlerweile tatsächlich aufgerafft und war in den Schatten umgezogen. Dort schlief er nun auf einer der Wolldecken. Ron schmiss sich neben ihn in den Sand und nahm eine zweite Decke als Kopfkissen. »Ich mach auch ein Nickerchen, Tammy«, sagte er.
»Ich heiße Samantha oder Sam und nicht Tammy. Tammy hieß das Pferd, auf dem ich in der Schule Reiten gelernt habe und ich denke nicht, dass ich wie ein Gaul aussehe«, antwortete ich nun wirklich genervt. Ich hasste dieses ›Tammy‹, eine meiner Lehrerinnen hatte mich in der Schule so genannt und einige Klassenkameraden fanden es daraufhin witzig, mir trockenes Brot und Karotten mit zur Schule zu bringen. Ich war das Gespött der ganzen Klasse gewesen.
Ich verdrängte den Gedanken an diese Zeit schnell wieder. Die Erinnerungen daran waren nicht gerade glücklich. Da meinem Vater kaum ein Kind gut genug war, um meine Freundschaft zu verdienen, galt ich in der Schule sowieso immer als eingebildet und wurde von den meisten Mitschülern ausgeschlossen. Wirklich verdenken konnte ich es ihnen nicht, nie lud ich jemanden zu mir ein oder erschien zu Geburtstagen oder anderen Veranstaltungen, warum sollte da jemand mit mir befreundet sein wollen. Kinder waren da schnell grausam und grenzten einen aus.
Meine Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl meldeten sich zurück. Ob das an den Grübeleien lag oder ob ich mich etwas übernommen hatte, wusste ich nicht. Deshalb schnappte ich mir die letzte Decke, um mich ebenfalls in den Schatten zu setzen.
»Einen Erste-Hilfe-Kasten haben wir auch nicht?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort eigentlich schon kannte. Bloß der Gedanke an eventuellen Verletzungen, die man sich hier sicher leicht zuziehen konnten, machte mir Angst.
»Der ist mit dem Funkgerät über Bord gegangen.« Ronalds Antwort war niederschmetternd. »Der Seegang war so hoch und ich musste ja auf das Koks aufpassen, da ist er mir ins Wasser gefallen.« Ich hätte am liebsten laut geschrien. Die Drogen waren also wichtiger gewesen, als das Funkgerät oder der Erste-Hilfe-Kasten.
»Und was hat Brian getragen? Die Verantwortung?« Natürlich war diese Frage nicht fair, aber ich konnte sie mir einfach nicht verkneifen.
»Der hat aufgepasst, dass du nicht ebenfalls über Board gehst.« Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich jetzt fies. Dabei konnte ich nun wirklich am wenigsten für unsere Situation. Doch es fiel mir einfach schwer, hier rumzusitzen, ohne etwas zu tun. Ausruhen war mir fremd.
Obwohl wir jetzt eine Trinkwasserquelle kannten, waren die Gegebenheiten nicht gerade gut. Wir mussten dringend die Insel weiter erkunden, wenn wir nicht verhungern wollten. Allerdings schnarchten nun beide Männer und ich traute es mir nicht zu, mich allein wieder auf den Weg zu machen.
5. Ein regnerischer Morgen
Es war noch fast dunkel, als ich aufwachte. Mir war kalt, jeder Knochen tat mir weh. Vor allem dröhnte mein Kopf furchtbar. Einen Augenblick lang wusste ich nicht einmal, wo ich war, und wunderte mich, warum ich auf dem harten Boden lag. Reflexartig wollte ich in meine Tasche fassen, um auf dem Handy nachzusehen, wie spät es war, aber das war natürlich weg. Dann fiel mir alles wieder ein, der Flug, das Gewitter, wie wir hier gelandet waren. Seufzend richtete ich mich auf. Am vernünftigsten wäre es wohl, weiter zu schlafen, bloß mir war zu kalt und der Boden war schon leicht feucht, sodass meine Decke sich mittlerweile klamm anfühlte.
Ich sah mich um und bemerkte, dass die Männer noch immer seelenruhig schliefen. Verständlich, wahrscheinlich war es mitten in der Nacht, trotzdem hätte ich sie am liebsten geweckt und kräftig geschüttelt. Warum konnte ich mich gestern nicht durchsetzen und sie davon überzeugen, nach einem Unterschlupf zu suchen? Oder zumindest Brennholz zu sammeln, um ein Feuer zu machen? Dann wäre mir jetzt nicht so kalt.
Nun fing es auch noch an, zu tröpfeln, es regnete zwar nicht stark, aber es wurde doch unangenehm, so ohne Dach über dem Kopf. Zumindest regten sich die Kerle nun endlich.
»Was soll der Scheiß? Mach das Wasser aus!«, motzte Brian herum.
»Fuck! Es regnet«, rief Ronald, der scheinbar schneller als sein Freund realisierte, was los war. Wahrscheinlich nahm er weniger Drogen als dieser oder sein Gehirn war noch nicht völlig zerstört … vielleicht war er einfach schon immer intelligenter gewesen.
»Fuck! Ich werde ganz nass. Was machen wir jetzt?«, jammerte Brian und ich verdrehte die Augen. Er war echt ein Blitzmerker.
»Du warst doch derjenige, der gestern keinen Unterschlupf mehr suchen wollte«, warf ich ihm vor.
»Du hättest ja selbst etwas tun können.« Er funkelte mich regelrecht an, als wäre ich schuld an unserer Situation. Der Kerl musste echt einen Dachschaden haben, schließlich hatte er nur faul am Strand herumgelegen, als Ron und ich Wasser suchten. Zudem wäre ich ohne ihn niemals hier auf dieser verdammten Insel gelandet.
»Im Gegensatz zu dir haben wir wenigstens etwas getan.« Schon wieder regte er mich auf. Brian schnaubte nur, wahrscheinlich weil ich recht hatte und ihm keine blöde Erwiderung mehr einfiel.