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Es sollte der schönste Tag in Alexis´ Leben werden, aber dieser Traum stirbt bereits in der Hochzeitsnacht. Sie flieht und trifft auf Cole. Der Besitzer des Resorts bietet ihr an, eine Nacht in seinem Gästezimmer zu verbringen und am nächsten Tag alles zu klären. Doch das stellt sich als unmöglich heraus, denn der treulose Ehemann ist weg und mit ihm auch Alexis´ Kleidung, ihr Geld und ihre Papiere. Mit gebrochenem Herzen sitzt sie elf Flugstunden von zuhause entfernt fest. Cole ist ein Workaholic, dem außer seinem Resort eigentlich nur sein Hund Carlos wichtig ist. Doch dann stolpert er buchstäblich über Alexis und obwohl er sie zuerst nur aus Mitleid mitnimmt, stellt sie schon bald seine Welt auf den Kopf. Kann er die Scherben ihres gebrochenen Herzens wieder zusammensetzen?
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von
Alina Jipp
Broken – Alexis & Cole
© 2021 Alina Jipp
Alina Jipp, Am Georgstollen 30, 37539 Bad Grund
Coverdesign: Eyrisha Summer
Bildmaterial: Shutterstock, Pixabay
Lektorat, Korrektorat, Buchlayout:
Lektorat Buchstabenpuzzle B. Karwatt
www.buchstabenpuzzle.de
Auch als Taschenbuch erhältlich.
Kapitel 1 - Alexis
Es war ein seltsames Gefühl, den letzten Karton zu schließen und ihn zu beschriften. Irgendwie fühlte es sich an, als würde ich mein ganzes altes Leben aufgeben – und das zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre – und im Grunde tat ich ja auch genau das. Mein Studium hatte ich mit guten Noten abgeschlossen, obwohl ich nicht zu den Besten des Jahrgangs gehörte. Meinen Nebenjob im Café hatte ich gekündigt und gleich sollten meine letzten Kisten aus meinem WG-Zimmer abgeholt werden. Ein Lebensabschnitt war damit beendet. Mir blieben nur die paar Kartons mit meinen persönlichen Sachen und der wichtigste, in dem ich die Erinnerungen an meine Eltern aufbewahrte.
Aber dafür begann ja ein ganz neuer Abschnitt, auf den ich mich unheimlich freute, auch wenn ich etwas Angst vor dem nächsten Schritt verspürte. Denn bevor ich offiziell bei meinem Verlobten einziehen würde, wären wir nicht länger nur verlobt, sondern sogar verheiratet. Ich konnte es noch immer nicht so ganz glauben. In weniger als drei Stunden würden wir zum Flughafen aufbrechen, um in die Karibik zu fliegen. Total verrückt, fast zwölf Stunden Flug auf uns zu nehmen, nur um dort ein paar Tage zu verbringen. So etwas hatte ich mir noch nie geleistet. Überhaupt war ich bisher nicht einmal mit einem Flugzeug geflogen und konnte es mir allein auch gar nicht erlauben, aber das störte Edward nicht. Er wollte möglichst weit weg von seinen Eltern heiraten, die mich für unter seiner Würde hielten und da ich irgendwann mal erwähnt hatte, dass die Karibik ein Traum von mir war, verbanden wir das nun miteinander. Edward und ich würden nicht nur einen Urlaub verbringen. Nein! Wir würden dort tatsächlich heiraten. Heiraten! Und zwar schon gleich morgen. Irgendwie konnte ich es noch immer nicht ganz begreifen, dass es wirklich wahr werden sollte. Obwohl es mein sehnlichster Wunsch war, endlich anzukommen und wieder eine Familie zu haben, hatte ich dennoch kurz gezögert, ›Ja‹ zu sagen, als er mir den Antrag recht unromantisch auf dem Sofa meiner WG gemacht hatte. Ich war zwar nicht der romantische Typ, aber wenigstens ein paar Blumen wären schon schön gewesen.
Doch nun war es egal. Ich wollte nicht meckern. Edward und ich gehörten zusammen und das Gelübde würde das noch verdeutlichen. Na gut, mir hätte es wahrscheinlich gereicht, wenn wir erst einmal nur zusammengezogen wären, aber seine Familie war da sehr altmodisch und würde ein Zusammenleben ohne Trauschein nicht akzeptieren. Wobei ich auch nicht glaubte, dass sie mich nach der Hochzeit billigen würden. Ich war ein Waisenkind, ohne einen Cent Ersparnisse und damit unter ihrer Würde, obwohl Edward mir immer wieder versicherte, dass sie ihre Meinung schon noch ändern würden, wenn sie mich denn erst besser kannten.
Das Erbe meiner Eltern, die kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag bei einem Autounfall gestorben waren, und mein Job im Café hatten mich gerade so durchs Studium gebracht. Nun würde ich allein für meinen Unterhalt sorgen müssen. Solche Probleme hatte Edward natürlich nicht und würde sie auch nie kennenlernen. Er war der einzige Sohn reicher Eltern und würde bei ihnen in der Firma sein ganzes Leben lang einen sicheren Job haben. Deshalb war das Studium für ihn auch nie so wichtig gewesen, wie für mich und hätte ich ihm nicht ständig geholfen, hätte er jetzt wahrscheinlich keinen Abschluss. Doch das sahen seine Eltern natürlich nicht.
Da ich bisher auf der Jobsuche noch nicht so erfolgreich gewesen war, hatte ich zugestimmt, erst einmal in der Firma seiner Eltern für ihn zu arbeiten. Das war zwar nicht unbedingt mein Traum, vor allem nicht, seine Assistentin zu sein, aber es wäre ein Anfang. Eigentlich hatte ich ja Marketing und Wirtschaft studiert, doch Edward meinte, das würde passen. Er würde irgendwann der Leiter der Marketingabteilung und dann würde ich schon den passenden Job im Unternehmen bekommen und bis dahin half ich ihm halt. Für ihn war das ganz einfach, doch mich kostete es große Überwindung, mich so abhängig von ihm zu machen. Das war nicht gesund für eine Beziehung, oder? Aber wenn ich damit anfing, küsste Edward mich so lange, bis ich alles um mich herum vergaß und das tat, was er wollte. O Mann, konnte er küssen.
»Bist du so weit? Die Möbelpacker kommen gleich und kümmern sich um den Rest. Wir könnten dann schon mal die Koffer nehmen und zu mir fahren.« Edward sah ungeduldig auf seine Uhr. Dabei hatten wir noch so viel Zeit bis zum Abflug.
»Gib mir ein paar Minuten, ich muss mich doch von allem verabschieden.« Er verdrehte zwar kopfschüttelnd die Augen, sagte aber nichts dazu. Wahrscheinlich konnte er nicht verstehen, warum ich diesem kleinen WG-Zimmer hinterhertrauern würde. Für ihn war es ein winziges Loch und unter seiner Würde, obwohl er sich viel hier aufgehalten hatte, solange er noch bei seinen Eltern wohnte, denn dort durfte ich nicht über Nacht bleiben. Nun zogen wir zusammen in seine neue Wohnung, die er von ihnen zum Abschluss bekommen hatte. Aber für mich war diese WG ein Zuhause gewesen. Eine Heimat, die ich mir selbst geschaffen hatte, nachdem ich die alte verloren hatte. Er dagegen besaß nun ein riesiges Apartment, aber ein Heim war es noch nicht, dazu mussten wir es erst einmal machen. Er verstand nicht, wie schwierig es war, völlig auf sich gestellt, in einer fremden Stadt neu zu beginnen und nicht zu verzweifeln, weil man sich absolut allein fühlte. Wobei ich das ja nur ganz am Anfang gewesen war, bis ich ihn und Emily gefunden hatte. Die beiden waren die einzigen Menschen in den letzten Jahren, mit denen ich privat Kontakt hielt. Früher als Kind und Teenager hatte ich so viele Freunde gehabt, doch nach dem Tod meiner Eltern waren sie alle aus meinem Leben verschwunden. Als hätte ich eine ansteckende Krankheit oder so. Seitdem fiel es mir schwer, Menschen zu vertrauen. Aber neben Edward und Emily hatte ich auch gar keinen Platz mehr für andere in meinem Leben. Die beiden brauchten mich ständig und das gab mir ein gutes Gefühl. Gebraucht und geliebt zu werden war mir wichtig.
»Ich gehe schon mal in den Gemeinschaftsraum und bespreche mit Emily, wann wir losfahren wollen. Meinst du, sie hat ihren Koffer bereits gepackt? Deine Freundin ist immer so unzuverlässig und chaotisch.« Erst wollte ich protestieren, dass es gar nicht so war, ließ es dann allerdings doch sein. Ja, Emily war ein bisschen chaotisch, aber wenn es darauf ankam, konnte man sich meistens auf sie verlassen. Ihren Koffer hatte sie gestern schon gepackt und er stand zusammen mit meinem neben der Wohnungstür. Im Gegensatz zu den Kartons, die wir streng getrennt und außerdem mit farbigen Aufklebern markiert hatten – ihre mit pinken, meine mit blauen – konnte unser Gepäck ja zusammenbleiben. Denn zum Abschluss unseres WG-Lebens würde sie mit uns in die Karibik reisen als meine Brautjungfer. Obwohl Edward und Emily sehr verschieden waren, verstanden die beiden sich gut und er hatte sogar zuerst die Idee geäußert, sie mitzunehmen, damit ich meine beste Freundin am großen Tag an meiner Seite hatte. Er hatte ihr obendrein das Ticket für die Reise geschenkt und bezahlte auch ihr Hotelzimmer. Alles nur mir zuliebe, wie er immer wieder betonte. Sie wäre überhaupt die Einzige, die mit uns feiern würde. Edwards Eltern hatten es abgelehnt, so eine unkonventionelle Hochzeit am Strand mit uns zu begehen. Nach unserer Rückkehr sollte es dafür irgendwann einen Empfang in ihrem Golfclub geben. Dabei sollte ich dann auch in die höhere Gesellschaft von Los Angeles eingeführt werden. Wobei ich nicht wusste, ob ich dorthin passen würde. Diese ganzen versnobten Reichen waren einfach nicht meine Welt.
Aber wir hatten diesen Kompromiss geschlossen, nachdem ich mich geweigert hatte, ihr Geld anzunehmen, um Edward zu verlassen. Sie hatten mir allen Ernstes hunderttausend Dollar geboten, wenn ich für immer aus seinem Leben verschwand und dann die Summe noch einmal verdoppelt, nachdem ich abgelehnt hatte. Keine gute Voraussetzung für eine glückliche Beziehung zu meinen Schwiegereltern, aber egal. Ich heiratete ja nicht sie, sondern ihren Sohn und die Stelle in ihrer Firma wollte ich auch nicht lange besetzen. Gleich nach unserer Rückkehr wollte ich anfangen, mir etwas anderes zu suchen, um nicht von den Keetons abhängig zu sein. Die Familie dachte, sie könnte mit Geld alles kaufen und manchmal wunderte ich mich, dass Edward nicht so wie seine Eltern war. Okay, er hatte natürlich auch seine Macken, aber dabei sah er nie auf mich herab, weil ich weniger als er besaß.
»Alexis, komm endlich. Emily und ich warten schon auf dich. Wir können noch etwas essen, bevor wir zum Flughafen fahren. Den Fraß im Flugzeug kann man sowieso nicht genießen und vielleicht kann ich dann schlafen, um den Jetlag abzumildern.« Ich musste ein Seufzen unterdrücken. Manchmal war mein Schatz echt ein kleiner Snob.
»Ich komme ja gleich.« Er war doch gerade erst aus dem Zimmer gegangen. Warum war er nur immer so ungeduldig, wenn es um Sachen ging, die mir etwas bedeuteten. Wieder hatte ich dieses seltsame Gefühl im Magen. War es nur die Aufregung vor dem Neuanfang und vor meinem allerersten Flug? Ganz bestimmt. Ich freute mich auf ein Leben mit Edward. Seit wir an meinem ersten Studientag gegeneinandergeprallt waren, und sich mein Kaffee über seinem Poloshirt verteilt hatte, gab es kaum einen Tag, an dem wir uns nicht gesehen hatten. Emily sagte immer, es wäre Vorhersehung gewesen. Genau wie unsere WG. Vielleicht stimmte das ja sogar. Als ich neu nach L.A. gezogen war, kannte ich hier niemanden. Aufgewachsen war ich in einer Kleinstadt und L.A. kam mir anfangs viel zu groß vor. Ohne diese beiden hätte ich es nie geschafft, die letzten Jahre hier zu überstehen. Wenn man nicht so gut darin war, Menschen kennenzulernen, fiel es schwer, Freunde zu finden. Dabei war ich nicht wirklich schüchtern, in meinem Beruf wäre das auch völlig fehl am Platze. Im Café hatte ich nie Probleme damit gehabt, auf Gäste zuzugehen. Aber an der Uni hatte es immer nur Edward und Emily für mich gegeben. Ein Leben ohne die beiden konnte ich mir nicht vorstellen. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum ich den Heiratsantrag sofort angenommen hatte. Ihn nicht anzunehmen, hätte bedeutet, Edward zu verlieren. So gut kannte ich ihn. Sein Ego vertrug keine Ablehnung.
»Alexis! Wir wollen los.« Dieses Mal war es Emily, die nach mir rief. Also strich ich ein letztes Mal über den Fenstersims, auf dem ich so oft zum Lernen gesessen hatte. Drehte mich noch einmal um mich selbst, um das Bett, die leeren Regale und den ausgeräumten Wandschrank zu überblicken und seufzte. Dann verließ ich das kleine Zimmer, in dem ich vier Jahre gelebt hatte.
»Auf in ein neues Leben«, sagte ich leise zu mir selbst. Und ging zu den einzigen beiden Menschen auf dieser Welt, die mir etwas bedeuteten. Edward und Emily.
»Hier bin ich. Von mir aus können wir los.« Die beiden fuhren herum, als ich das sagte. Hatten sie irgendwas zu verbergen? Wohl kaum, schließlich drängelten sie ja schon die ganze Zeit. Einen Moment stutzte ich, doch dann ignorierte ich das seltsame Gefühl. Wahrscheinlich planten sie nur irgendeine Überraschung für die Hochzeit. Die beiden taten wirklich alles, um mir meinen Traum zu erfüllen. Von allein wäre Edward nie auf die Idee gekommen, an einem Traumstrand in der Karibik zu heiraten. Aber für mich tat er das. Womit hatte ich einen Mann wie ihn nur verdient? Mein Herz quoll über und ich überbrückte den Abstand zwischen uns, fiel ihm um den Hals und küsste ihn stürmisch. Edward schwankte einen Moment, erwiderte dann aber den Kuss kurz, bevor er sich von mir löste.
»Wir müssen jetzt los, wenn wir noch essen wollen. Emily möchte noch mal Pasta, weil sie Angst hat, sie könnte auf der Insel keine bekommen.« Wir lachten alle drei. Emily war echt ein Pastajunkie, dabei sah man ihr das gar nicht an. Sie war groß, na ja zumindest zehn Zentimeter größer als ich mit meinen eins-sechzig, blond und schlank mit verführerischen Rundungen an den richtigen Stellen. Ich war dagegen eher der sportliche Typ, obwohl ich kaum Sport trieb. Aber die Rundungen an den richtigen Stellen fehlten mir einfach. Emily war der Traum eines jeden Mannes und das wusste sie auch. Sie spielte mit Männern und hatte gar kein Interesse an einer festen Beziehung. In diesem Punkt unterschieden wir uns sehr, aber das tat unserer Freundschaft keinen Abbruch. Wir ergänzten uns einfach.
Kapitel 2 – Alexis
Die Ankunft auf unserer Urlaubsinsel verschlief ich halb. Nachdem wir den riesigen Flughafen in Los Angeles überlebt hatten, war ich vor Spannung beinahe gestorben. Aber immerhin war das die erste Flugreise meines Lebens und dann gleich zu einer Trauminsel in der Karibik. Während des Fluges hatte ich im Gegensatz zu Edward und Emily kein Auge zubekommen. Die Aufregung war einfach zu groß gewesen. Der nicht so riesige Flughafen von Nassau war schon etwas weniger schlimm für mich. Von dort aus waren wir dann weiter mit einem Bus zum Hafen gebracht worden und im Anschluss mit einem kleinen Schiff hierher, zu unserem Resort auf einer Insel. Das Schaukeln des Schiffes hatte mich dabei extrem schläfrig gemacht.
»Sieh dir nur dieses kristallklare Wasser an, Alexis. Hast du vorher jemals so ein blaues Meer gesehen?« Emily war total aufgeregt und ich konnte sie verstehen. Vor Los Angeles war der Ozean nie so schön wie hier. Nachdem ich endlich wieder richtig wach war, würde ich nun am liebsten sofort hineinspringen. Aber das ging jetzt natürlich noch nicht, erst einmal mussten wir unsere Hotelzimmer beziehen, hinterher würde ich es allerdings mit Sicherheit tun. Schließlich wollte ich jede einzelne Sekunde ausnutzen. Durch die langen Flüge hatten wir leider nur drei Tage auf der Insel, bevor es zurück nach L.A. und in ein völlig neues Leben ging. Genau so hatte ich mir meinen Traumurlaub schon immer vorgestellt. Kilometerlange Sandstrände, das kristallblaue Meer und dazu meine beste Freundin und den Mann, den ich über alles liebte. Was war ich nur für ein verdammter Glückspilz?
»Ich kann immer noch kaum glauben, dass ich jetzt hier bin. Kneift mich mal, damit ich weiß, dass ich nicht träume.« Edward schüttelte den Kopf über meine Aufregung, lachte dann aber. Aber für ihn war das auch nichts Besonderes, bereits während des Studiums war er mindestens zwei bis dreimal jährlich mit seinen Eltern oder allein an irgendwelche tollen Orte geflogen. Schließlich brauchte er Urlaub, um sich zu erholen, ich dagegen hatte alle Semesterferien mit Praktika und Extraschichten im Café zugebracht. Irgendwie konnte ich noch immer nicht fassen, dass das nun vorbei sein sollte. Es war nicht so, als wollte ich nicht arbeiten und mich auf Edwards Geld ausruhen. Im Gegenteil, wir hatten im Vorfeld schon einen Ehevertrag aufgesetzt, in dem geklärt wurde, dass ich im Falle einer Trennung keinerlei Anrechte auf sein Geld stellen konnte, es sei denn, es würde gemeinsame Kinder geben. Edwards Eltern hatten darauf bestanden und für mich war es kein Problem. Schließlich hätte ich ihn auch geheiratet, wenn er bettelarm gewesen wäre.
»Lasst uns endlich aussteigen. Wir wollen doch den Urlaub nicht auf dem Schiff verbringen.« Da hatte er natürlich recht. Ein Angestellter des Hotels erklärte uns, dass das Gepäck gleich in unseren Bungalow gebracht würde und wir in der Zwischenzeit zur Rezeption gehen sollten, um einzuchecken. Dort würde uns auch ein Begrüßungscocktail erwarten. Was für ein Luxus. Ich liebte diese Insel schon jetzt.
Als ich Edward davon erzählt hatte, dass ich einmal in die Karibik fliegen wollte, dass es mein größter Traum wäre, an einem Sandstrand zu heiraten, war es genau das gewesen. Träume. Doch er hatte es wirklich geschafft, dass sie wahr wurden. Ich konnte mich gar nicht zurückhalten und hätte ihn am liebsten schon wieder geküsst. Wie sollte ich das jemals wieder gutmachen können?
Ein Mitarbeiter des Hotels führte uns bis zur Rezeption. Dort wurden wir von dem nächsten erwartet, ein junger, dunkelhaariger Mann in Anzughose und T-Shirt stand bereit und begrüßte uns mit einem strahlenden Lächeln. Irgendwie wirkte er in diesem Aufzug etwas fehl am Platze, doch als ich mich genauer umsah, bemerkte ich, dass die meisten Angestellten so herumliefen. Eine seltsame Dienstkleidung. Aber wahrscheinlich hielt man es in Oberhemd und Sakko nicht den ganzen Tag aus bei diesen Temperaturen hier. Wobei es in Los Angeles auch nicht kälter war und die Leute dort ständig Anzüge trugen. Mir war das ja eigentlich egal, nur sah ich, dass Edward etwas die Nase rümpfte. Vom casual look hielt er nicht viel. Dabei stand es dem Angestellten wirklich gut. Er stellte sich uns als Cole Archer vor.
»Sie wollen also heute gleich heiraten, wenn ich richtig informiert bin. Der Trauredner steht bei Sonnenuntergang für Sie bereit.« Er ging mit uns noch einmal den Ablauf durch und es klang alles so romantisch. In Edwards und meinem Honeymoon Bungalow erwartete Emily und mich schon ein leichtes Essen. Edward sollte den Tag in Emilys Zimmer verbringen und ich würde ihn erst zur Trauung wiedersehen. Den Tag über waren einige Spa-Anwendungen, Entspannung und Kosmetikbehandlungen geplant. Leider keine Zeit fürs Meer, dann halt morgen.
»Bis später. Ich liebe dich und danke noch mal für alles.« Zum Abschied gab ich Edward noch einen Kuss und sah ihm dann zu, wie er davonging. Am liebsten wäre ich ihm gefolgt und hätte den Tag mit ihm im Bett verbracht, wenn ich schon nicht ans Wasser konnte, statt getrennt von ihm. Aber Emily ahnte meine Gedanken wohl und schüttelte energisch den Kopf.
»Es sind nur ein paar Stunden, bis ihr euch wiederseht. Die wirst du schon aushalten.« Natürlich hatte sie recht. Trotzdem kam es mir irgendwie falsch vor, Edward den ganzen Tag nicht zu sehen. Doch sie schaffte es, mich schnell abzulenken. Der Tag verging dann auch in einem Wahnsinnstempo. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, die Zeit würde überhaupt nicht vergehen. Konnte man so verwirrt sein wie ich heute? Na gut, man heiratete ja schließlich nicht jeden Tag. Wahrscheinlich war es völlig normal, da vorher etwas durch den Wind zu sein.
»Hier, nimm und trink. Das haben wir uns jetzt verdient. Ich habe noch nie Champagner getrunken.« Irgendwann am späten Nachmittag hielt Emily mir plötzlich ein Glas entgegen. Dabei wusste sie, dass ich sonst niemals Alkohol trank. Ein betrunkener Autofahrer hatte meine Eltern auf dem Gewissen. Deshalb hatte ich nie einen Tropfen angerührt. Nein! Auch heute würde ich nicht trinken. Ich lehnte höflich ab, aber Emily wurde auf einmal richtig komisch.
»Sei doch nicht die ganze Zeit so langweilig, Alexis. Zum Erwachsensein gehört das Trinken dazu. Meinst du echt, wenn du nach der Hochzeit mit Edward auf irgendeine Dinnerparty gehst, kannst du immer nur Wasser saufen? Es wird erwartet, dass du dich in der Gesellschaft angemessen benimmst.« Wovon zum Teufel redete sie da? Klar würde ich Edward auf Events begleiten, aber deshalb musste ich doch keinen Alkohol trinken. Angemessenes Verhalten und Alkohol gehörten schließlich nicht zwingend zusammen.
»Du kennst meine Einstellung zum Alkohol. Er hat meine Eltern getötet.« Sie zeigte mir einen Vogel. Was sollte das denn auf einmal? Normalerweise waren Emily und ich zwar auch nicht immer einer Meinung, akzeptierten die Entscheidungen der anderen aber, ohne sie runterzuputzen. Sie hatte mich stets so genommen, wie ich war. Warum benahm sie sich auf einmal so komisch?
»Was soll der Scheiß? Versuchst du gerade, mir mit aller Macht meinen Hochzeitstag zu ruinieren? Du bist meine beste Freundin, also was soll das jetzt?«, wiederholte ich noch einmal. »Du kannst ja gerne trinken, aber ich rühre das Zeug nicht an.« Sie stöhnte genervt auf, nahm ihr Glas und kippte es in einem Zug hinunter. Dann holte sie ihr Handy aus der Tasche und tippte darauf herum. Meine Blicke ignorierte sie und ich war schon dabei, mich umzudrehen, um wegzugehen, als sie mich aufhielt.
»Echt mal, Alexis, du musst wirklich ein bisschen lockerer werden. Ja, es ist traurig, dass deine Eltern bei einem Autounfall gestorben sind, aber wenn der Fahrer nichts getrunken hätte, wäre das genauso mies. Warum kannst du dich nicht mal von deinen Prinzipien trennen? Das Leben ist so langweilig, wenn man sich immer an Tausende von Regeln hält. Wir sind jung und sollten Abenteuer erleben. Sei doch nicht ständig so spießig. Man lebt nicht nur, um zu schuften. Kannst du eigentlich auch mal entspannen?« Einen Moment lang war ich sprachlos und musste schlucken. Ja, ich hatte die letzten Jahre all meine Energie in mein Studium gesteckt. Nebenbei Edward bei seinem geholfen, denn ohne mich hätte er die Prüfung nicht bestanden, gearbeitet und dadurch war mir nicht mehr viel freie Zeit geblieben. Als meine beste Freundin sollte sie das doch eigentlich wissen. Sie war doch immer hautnah dabei gewesen. Wir hatten uns eine Wohnung geteilt und zu Zeiten, in denen es ihr finanziell nicht gut ging, auch das Essen. Denn meistens war sie es, die mit ihrem Geld nicht zurechtkam. Oft sogar, weil sie ihre letzten Dollars für irgendwelchen Mist ausgegeben hatte und sie sich dann darauf verlassen hatte, dass ich sie durchfütterte. Sie selbst hatte zwar auch einen Nebenjob gehabt, eigentlich waren es sogar unzählige in den letzten Jahren gewesen, so oft wie sie gewechselt hatte, aber wir hatten es immer geschafft, irgendwie zurechtzukommen. Na gut, ihr waren meistens Party und Männer wichtiger als Geldverdienen oder Lernen. Mich hatte sie dafür mit ihrer Art auf Menschen zuzugehen und Kontakte zu knüpfen aus meinem Schneckenhaus geholt, wenn ich mich zu tief vergraben hatte. Ohne sie hätte ich lange nicht so viel erlebt und wahrscheinlich außer Edward überhaupt keine Bekanntschaften an der Universität geknüpft. Im Grunde ergänzten wir uns also prima. Aber warum war sie dann jetzt so zu mir? Das verstand ich einfach nicht.
»Du kannst ja gerne trinken. Ich habe es dir nicht verboten, auch nicht, wenn du es manchmal etwas übertrieben hast. Nur hast du mich nie dazu gedrängt. Das Thema hatten wir vor zwei Jahren das letzte Mal. Ich dachte, du hättest es akzeptiert. Was soll das also?« Da hatte ich mich wohl geirrt. Nur warum musste sie ausgerechnet heute so sein? Es war mein Hochzeitstag und sie meine Brautjungfer. Sollte nicht ich es sein, die zwischendurch austicken durfte? Aber so was lag mir einfach nicht. Eine Dramaqueen war ich noch nie gewesen. Und deshalb wollte ich jetzt tief durchatmen und dann versuchen, etwas Entspannung zu kriegen, bevor ich zum Altar schreiten würde.
»Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was heute mit mir los ist. Vielleicht bin ich einfach eifersüchtig und habe Angst, dass sich alles zwischen uns verändert.« Emily trat näher auf mich zu und zog mich in ihre Arme. Mit so etwas hatte ich nun echt nicht gerechnet. Eifersüchtig? Ich würde ihr doch nicht die Freundschaft kündigen, nur weil ich heiratete.
Kapitel 3 – Cole
Normalerweise arbeitete ich nicht an der Rezeption. Als Besitzer und Chef des Resorts war das eigentlich auch nicht meine Aufgabe. Aber eine meiner Angestellten hatte sich vorhin wahrscheinlich den Fuß gebrochen und musste auf dem Festland ins Krankenhaus gebracht werden. Selbstverständlich sprang ich in so einem Fall ein. Schließlich konnten wir die Rezeption nicht unbesetzt lassen. Vor allem heute nicht, denn ein neues Brautpaar reiste an. In Zukunft wollten wir zu der angesagtesten Hochzeitslocation der Karibik werden und wir rührten fleißig die Werbetrommel dafür. Der Bräutigam hatte zugestimmt, dass wir Hochzeitsfotos für unsere Werbung nutzen durften, und er bekam als Gegenleistung allen Luxus, der sonst zusätzlich kosten würde, umsonst. Von dem Deal hatten beide Seiten etwas. Der neue Hochzeitspavillon aus Holz, den wir extra hatten errichten lassen, damit das Brautpaar nicht nass wurde, falls es mal regnete, war ein echtes Highlight des Strandes.
Gut, das würde um diese Jahreszeit eher nicht passieren, aber man konnte ja nie wissen und es war auch bei Sonne ein schöner Schutz. Leider wurde es noch zu wenig genutzt und deshalb war die Werbung dringend nötig. Honeymoonweekends brachten viel Geld ein, da die Paare nicht so auf jeden Cent schauten wie andere Reisende. Zumindest der Großteil von ihnen.
Das heutige Brautpaar reiste nur mit einer Brautjungfer an. Das war selten, meistens kamen die Paare entweder allein oder mit einer größeren Gesellschaft zu uns. Aber jeder sollte die Hochzeit bekommen, die er haben wollte. Wenn die Leute meinten, dass so ein Schwur sie ewig aneinanderbinden sollte, bitte schön. Mir sollte es recht sein. Das Konzept ›Eheglück‹ gefiel mir persönlich überhaupt nicht, aber ich verdiente gutes Geld damit. Geld, das ich dringend brauchte, um Modernisierungsarbeiten zu erledigen und meine Teilhaber zufriedenzustellen. Von einem befreundeten Hotelier, der das Konzept seit Jahren in seinem Hotel umsetzte, wusste ich, dass er sogar Wiederholungstäter unter seinen Gästen hatte. Manche erneuerten alle paar Jahre ihr Gelübde oder kamen zur Feier des Hochzeitstages wieder zu ihm. Gut für die Kasse und mich zwang ja niemand, ebenfalls zu heiraten. Für eine Frau hatte ich sowieso keine Zeit. Ab und zu ein schneller Fick, wenn ich die Insel verließ – schließlich hatte ich auch Bedürfnisse – musste reichen. Angestellte und Gäste waren absolut tabu. Die Regel galt eigentlich für alle und als Chef musste ich da natürlich mit gutem Beispiel vorangehen. Wobei es beim Personal ein paar Ausnahmen gab, vor allem bei Paaren, die schon zusammen auf die Insel gekommen waren. Aber bei amourösen Abenteuern mit Gästen kannte ich kein Pardon.
Wir boten hier sowieso so einiges an, was nicht mein Fall war. Solange es niemanden schadete – auch der Natur nicht – sollten die Gäste jeden Wunsch erfüllt bekommen. Schließlich trug ich die Verantwortung für meine Angestellten und die mussten gut bezahlt werden. Und meine Geldgeber wollten ebenfalls mitverdienen.
»Das zweite Zimmer brauchen wir ab morgen nicht mehr. Wäre es möglich, das noch zu stornieren?« Der Bräutigam des eben angekommenen Paares stand auf einmal wieder vor mir. Seine Frau oder zukünftige Ehefrau und ihre Freundin hatten sich schon verabschiedet, um sich auf den Tag vorzubereiten. Was meinte er damit, dass sie das zweite Zimmer ab morgen nicht mehr brauchen würden? Sie blieben doch sowieso nur drei Nächte. Würde die Brautjungfer etwa gleich nach der Hochzeit wieder abreisen? Eigentlich mochte ich das gar nicht. Zumal wir das so kurzfristig wohl nicht neu vermietet bekommen würden. Aber es ging nur um zwei Übernachtungen, also sagte ich zu.
»Das ist kein Problem. Das Zimmer müsste nur bis zehn Uhr geräumt sein, damit die Zimmermädchen es reinigen können, bevor neue Gäste anreisen.« Er nickte und bedankte sich, ehe er davonging. Wenigstens das. Trotzdem war der Typ irgendwie seltsam, aber das sollte nicht mein Problem sein. Es ging ja nicht darum, ob ich einen Gast persönlich mochte oder nicht. Sofern er bezahlte, nichts beschädigte oder jemanden angriff – egal ob verbal oder körperlich –, blieb ich stets freundlich. Schließlich sollten die Leute wiederkommen.
Die nächsten drei Stunden vergingen mit den alltäglichen Aufgaben an der Rezeption. Einchecken, Auschecken, Auskünfte erteilen, ein Gast hatte seine Schlüsselkarte verloren und fragte nach Ersatz … Erst dann kam ein Anruf aus dem Krankenhaus auf dem Festland.
»Sorry, Boss. Ich konnte mich leider nicht eher melden. In der Klinik hatte ich null Empfang«, meldete sich Elian, einer meiner zuverlässigsten Angestellten. Er war vorhin mit Isabella gefahren, um ihren Fuß versorgen zu lassen.
»Kein Problem. Wie geht es Isabella? Ist der Fuß wirklich gebrochen?«
»Ja, das Sprunggelenk ist gebrochen und hat sich auch noch verschoben. Deshalb muss sie operiert werden. Da sie aber gerade vor dem Unfall gegessen hat, haben sie den Fuß erst mal ruhiggestellt und operieren erst morgen früh.« Das klang sinnvoll.
»Wünsch ihr bitte gute Besserung von mir. Hast du die Kreditkarte dabei, wie ich es dir gesagt habe?« Für Notfälle bekamen die Angestellten immer eine vom Hotel mit. Die Versorgung im Krankenhaus war zwar eigentlich über eine Krankenversicherung gesichert, die ich für alle Mitarbeiter finanzierte, trotzdem mussten oft noch Sachen extra gezahlt werden. Andere Chefs bezahlten so was nicht für ihre Leute, aber bei mir gehörte es zur Firmenphilosophie dazu. Dafür hatte ich kaum Fluktuation bei meinem Personal. Viele meiner Angestellten waren schon im Hotel, bevor ich es von meinem Vater übernommen hatte.
»Ja, wir brauchten sie aber bisher nicht. Die Behandlung wird von der Kasse bezahlt und Wechselsachen und Hygieneartikel haben wir ja mitgenommen. Sogar an ihren E-Reader hat sie gedacht, so dass sie sich beschäftigen kann. Wenn bei der Operation morgen alles gut geht, darf sie übermorgen mit Krücken schon wieder entlassen werden.« Das hieß, dass sie als Arbeitskraft erst mal ausfiel und das mitten in der Hauptsaison. Aber gut, da mussten wir durch und vielleicht konnte ich irgendwo eine Aushilfe auftreiben. Das war nicht so ganz einfach um diese Jahreszeit, denn der Tourismus boomte in der ganzen Gegend, trotzdem würde ich eine Lösung finden. Spätestens morgen früh beim Mitarbeitermeeting konnte ich das ansprechen. Die meisten Angestellten fand ich nämlich nicht durch Anzeigen oder so, sondern über Empfehlungen.
»Wünsch ihr gute Besserung von mir und sie soll sich melden, wenn sie entlassen wird. Damit wir ihre Abholung organisieren können. Möchte sie nach Hause oder auf die Insel?« Schon während ich noch mit Elian telefonierte, ging ich gedanklich die Dienstpläne durch und überlegte, wer einspringen könnte, bis wir eine Aushilfe gefunden hatten. Kurz darauf beendeten wir das Gespräch und ich kümmerte mich den Rest der Schicht über um die Rezeption. Dabei bekam ich so einiges mit, was mir im normalen Alltag nicht so auffiel. Abläufe, die wir optimieren könnten. Obwohl alles schon sehr gut lief. Manchmal half es, wenn man näher an den Leuten dran war. Natürlich schloss ich mich auch sonst nicht im Büro ein oder war nicht ansprechbar. Aber ein Rundgang am Tag brachte halt nicht den direkten Kontakt zu Gästen und Personal, wie ich jetzt mitbekam. Vielleicht sollte ich mich in Zukunft wirklich öfter im Eingangsbereich und auch an anderen Stellen einfach mal länger aufhalten und das Tagesgeschehen beobachten.
Kapitel 4 - Alexis
Als die Dämmerung einsetzte, waren Emily und ich wieder ein Herz und eine Seele. Allerdings wuchs meine Aufregung mit jeder Sekunde. Inzwischen war mir regelrecht übel. Vielleicht hätten wir mit der Hochzeit doch lieber etwas warten und einfach nur zusammenleben sollen. Egal, was Edwards Eltern dazu sagten. Schließlich war es seine Wohnung, sie hatten sie ihm schon geschenkt. Ansonsten hätte mir aber auch eine bescheidenere Unterkunft völlig gereicht, der Luxus war sowieso nicht meine Welt. Auf einmal fühlte es sich irgendwie falsch an, mich zu binden. Was, wenn es ein Fehler war? Ich hatte doch noch gar nichts erlebt und nichts von der Welt gesehen, außer meiner Heimatstadt und L.A., wobei ich dort auch nur die Gegend rund um den Campus und Edwards Wohnung kannte. Sollte ich nun nicht erst mal reisen? Etwas erleben, Erfahrungen sammeln und mich dann erst ewig binden?
Ein paar Mal atmete ich tief durch, um mich zu beruhigen. Was war nur mit mir los? Ich sollte doch gerade jetzt der glücklichste Mensch der Welt sein. Schließlich sah ich wie eine Prinzessin aus, die kurz davor war, ihren Traumprinzen zu heiraten. Mein Kleid war ein Traum, Emily war im Gegensatz zu sonst mal meiner Meinung gewesen beim Einkaufen und so trug ich nun mein Kleid. Es war schlicht, mit ein wenig Spitze am Dekolletee, nicht schneeweiß, sondern eher Eierschalenfarben, genau wie ich es mir immer erträumt hatte. Meine Haare hatte Emily geglättet und zu einer Hochsteckfrisur aufgesteckt, so dass sie ausnahmsweise nicht wie ein brünetter Wischmopp aussahen, der mir vom Kopf abstand. Naturlocken waren manchmal echt kompliziert. Das Make-up hatte sie mir auch noch einmal aufgefrischt, obwohl es vorhin ja bereits im Spa von einer Visagistin aufgetragen wurde, aber es sah wirklich toll aus. Alles war perfekt. Warum fühlte es sich dann nicht so an? Waren es nur die berühmten kalten Füße? Bestimmt, denn ich wollte das doch alles. Ein Leben mit Edward, zu einer Familie gehören und nicht mehr allein auf der Welt dastehen …
Emily warf einen Blick auf die Uhr und ging dann voraus in Richtung Zimmertür.
»Es wird Zeit. Komm.« Ich unterdrückte die Unruhe, indem ich einmal ganz tief einatmete, und folgte ihr dann. Das hier war mein Traum und die Übelkeit sicher nur meiner Aufregung geschuldet, deshalb straffte ich meine Schultern und setzte ein Lächeln auf. Schließlich liebte ich Edward und konnte den Start unserer gemeinsamen Zukunft kaum abwarten. Mit ihm an meiner Seite wäre ich nicht mehr allein. Mit ihm konnte ich das haben, was meine Eltern so viele Jahre hatten. Er war der Mensch, der immer für mich da sein würde, mein bester Freund, mit dem ich alles teilen konnte. Vor dem ich keine Geheimnisse haben musste.
Das alles sagte ich mir selbst immer wieder, während ich Emily den kurzen Weg hinunter zum Strand folgte. Unser Bungalow befand sich nicht weit entfernt von dem Teil des Strandes, an dem auch der Hochzeitspavillon stand. Als ich dort ankam, musste ich schlucken. Der Pavillon war komplett mit verschiedenfarbigen Orchideen geschmückt. Es war eine wahre Pracht und mir kamen fast die Tränen, ob dieser rührenden Geste. Ich wusste ja, dass Edward eigentlich nichts für Blumen übrighatte und mein Versuch einer Orchideenzucht, der kläglich gescheitert war, hatte ihm nur ein müdes Lächeln entlockt. Wahrscheinlich hatte Emily das organisiert, denn so sehr ich Edward liebte, er war nicht der Typ, der an so etwas dachte. Blumen und Dekoration besaßen für ihn keine Bedeutung.
Unter dem Pavillon stand Edward und neben ihm noch jemand. Offensichtlich war das der Standesbeamte oder wie auch immer man das hier nannte. Auf jeden Fall derjenige, der uns trauen würde. Weitere Personen waren nicht zu sehen. Oder doch! Da stand noch ein Mann mit einer Kamera. Hatte Edward etwa daran gedacht, einen Fotografen zu beauftragen? Das war ja zu süß von ihm. Oder gehörte das alles hier zum Standardprogramm der Insel? Plötzlich erklang Musik und während ich auf den Altar zuschritt, lief ›Make You Feel My Love‹ von Adele. Ich liebte dieses Lied. Auf einmal waren alle Zweifel und das schlechte Gefühl verschwunden. Es war einfach nur noch perfekt. Genau so hatte ich mir meine Hochzeit immer vorgestellt. Na gut, meine Eltern hätte ich natürlich gern dabeigehabt. Aber sie sahen bestimmt von oben auf mich herab und beobachteten, wie ich den glücklichsten Tag meines Lebens erlebte. Leider sandte mir der Himmel kein Zeichen. Er war blau, wolkenlos und die Sonne begann im Meer zu versinken. Die ganze Fläche leuchtete auf einmal orange und es war einfach ein atemberaubender Ausblick. Beinahe hätte ich nur aufs Wasser hinausgesehen, anstatt auf meinen Bräutigam, der wartend am Altar stand.
Edward griff nach meiner Hand und ich legte die meine in seine. Der Trauredner begrüßte mich und Emily stellte sich neben mich. Dann ging es los. Es war eine kurze Trauung, aber es fühlte sich gut an. Der Trauredner sprach von ewiger Liebe, Treue und wie wichtig es in der heutigen Zeit war, sein Gegenstück zu finden. Zuerst fragte er Edward, ob er mich heiraten wolle. Er antwortete mit einem lauten und deutlichen: »Ja!« Dann wurde ich gefragt und natürlich sagte ich ebenfalls ja.
Er steckte mir den Ring an und ich schluckte kurz über die Protzigkeit. Er war so wunderschön, auch wenn ich ihn mir selbst wahrscheinlich nicht ausgesucht hätte. Der große, eckig geschliffene Stein in der Mitte, der leicht lila schimmerte, und die vielen kleinen Steine drumherum sahen alt und verdammt wertvoll aus. Es verschlug mir regelrecht die Sprache. Der musste ein Vermögen wert sein. Etwas Schlichteres wäre eher meine Wahl gewesen, aber ich hatte ihn vorher nicht gesehen, denn Edward wollte mich unbedingt überraschen. Und das war ihm eindeutig gelungen. Ich steckte ihm den so viel bescheideneren Ring an, der vor mir auf einem kleinen herzförmigen Kissen gelegen hatte, und dann erklärte der Trauredner: »Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut jetzt küssen.« Genau das taten wir nun auch. Edward legte vorsichtig seine Lippen auf meine und seine Zunge tauchte in meinen Mund ein. Obwohl kurz der Gedanke in meinem Kopf aufploppte, dass das für eine Hochzeit zu viel war, erwiderte ich seine Zärtlichkeit. Vielleicht dauerte der Kuss ein bisschen zu lang, aber wen sollte das stören? Außer Emily bestand unsere Hochzeitsgesellschaft schließlich nur aus uns beiden.
Der Fotograf schoss noch ein paar Bilder von uns im Pavillon und vor dem Meer. Da die Sonne inzwischen allerdings untergegangen war und wir nur von einigen Lichterketten beleuchtet wurden, wusste ich nicht, ob diese Fotos überhaupt brauchbar wären.
Aber selbst wenn nicht, würde ich keine Sekunde dieser Trauung jemals vergessen. Emily gratulierte uns und fiel erst mir und dann Edward um den Hals.
»Ihr seid so ein süßes Paar und ich wünsche euch alles Gute für eure gemeinsame Zukunft. Hoffentlich vergesst ihr mich nicht dabei.« Wie sollten wir sie jemals vergessen können? Sie war immerhin meine beste Freundin.
»Du gehörst doch zu uns und wenn Bigamie nicht verboten wäre, würde ich dich einfach auch noch heiraten«, sagte Edward. Irgendwie hörte sich das komisch an, aber ich verdrängte das Gefühl der Eifersucht, das mich überkam, und strahlte ihn an. Welche Frau konnte schon sagen, dass ihr Mann ihre beste Freundin überall mit einbezog? Oft gab es da ja Probleme, weil Partner und Vertraute nicht miteinander auskamen. Dieses Problem würde ich nie kennenlernen. Deshalb versuchte ich nie, mich zwischen sie zu stellen. Auch wenn sie manchmal fast zu eng miteinander waren, so als wären sie das Paar, nur ohne Zärtlichkeiten. Aber ich schaffte es nicht immer, das Ziehen in meinem Herzen zu ignorieren, obwohl ich es stets versuchte.
Ich war am Ziel meiner Träume und der glücklichste Mensch der Welt. Oder? Doch bevor ich mich näher mit diesem Gefühlschaos beschäftigen konnte, kamen auf einmal mehrere Personen an, brachten einen Tisch, Stühle, Tischdekoration und bauten alles in Windeseile auf. Mir blieb fast die Luft weg.
»Ich habe mir gedacht, dass wir bei diesem Traumwetter ja auch hier essen können. Am Strand, mit den Geräuschen des Meeres als Hintergrundmusik.« Damit hatte ich so gar nicht gerechnet. Eigentlich dachte ich, nach der Zeremonie wäre es das mit der Feier gewesen. Doch da hatte ich mich geirrt, stattdessen wurde uns hier jetzt auch noch ein köstliches Essen serviert und dazu Champagner gereicht. Ich schluckte kurz, aber dieses Mal griff ich nach dem Glas und stieß mit Edward und Emily an. Wie sollte ich da nein sagen? Ein Schluck würde mich schon nicht gleich betrunken machen, oder? Einmal nippte ich an meinem Glas, es schmeckte nicht mal besonders gut, trotzdem trank ich ihnen zuliebe das Glas in kleinen Zügen aus. Was fanden die nur daran? Emily grinste und ich erwartete fast, dass sie etwas wegen unseres Streits vorhin sagen würde, aber sie ließ es zum Glück. Zu dritt nahmen wir Platz und ein Kellner fragte, was wir zum Essen trinken wollten. Ich entschied mich für Wasser, während Edward und Emily bei Champagner blieben und noch Wein zusätzlich orderten.
Das Essen war wirklich ein Gedicht. Zuerst gab es eine Kürbiscremesuppe mit Kokos, dann ein Gericht mit Fisch und Garnelen. Für mich schmeckte es total exotisch, aber superlecker. Im Anschluss kam ein Gang mit Huhn, Reis und einer Currysoße und zum Nachtisch stellten sie sogar noch extra einen Schokoladenbrunnen auf und Platten mit verschiedenen Obstsorten. Dazu wurden auch immer passende Weine angeboten, aber bei denen sagten nur Emily und Edward ja, ich trank weiterhin Wasser. Solange sie nicht wollten, dass ich mittrank, hielt ich allerdings den Mund. Obwohl ich nicht wirklich begeistert war, als sie die vierte Flasche Wein orderten. Ich kannte Edward leider bereits betrunken und wusste, dass das nicht immer angenehm war. Er kannte seine Grenzen nicht und irgendwann kippte dann meistens die Stimmung von witzig zu ekelhaft. Darauf hatte ich gerade in meiner Hochzeitsnacht eigentlich keine Lust.
»Wollen wir nicht langsam reingehen und zu zweit weiter feiern?«, fragte ich daher wenig diplomatisch. Aber Emily würde mir das schon nicht krummnehmen. Die Hochzeitsnacht sollte schließlich nur dem Brautpaar gehören.
Leider schien Emily das heute nicht so zu empfinden, denn sie machte keine Anstalten, sich zu verabschieden, sondern folgte uns zu unserem Bungalow, als ich die beiden letztlich dazu gebracht hatte, den Tisch zu verlassen. Die Hotelangestellten waren wahrscheinlich froh, uns endlich los zu sein und nicht noch ewig Sachen durch die Nacht tragen zu müssen. Sie hätten sich ein großzügiges Trinkgeld verdient. Leider hatte ich kein Bargeld, da ich im Hochzeitskleid natürlich keine Geldbörse bei mir trug. Edward schien gar nicht an so etwas zu denken, denn als er aufstand, wollte er sofort gehen.
»Wie sieht es mit Trinkgeld aus? Hast du das schon mit bezahlt?«, fragte ich ihn leise. Doch er winkte ab, ohne mir direkt zu antworten. Was sollte das denn jetzt?
»Kümmere dich nicht um so etwas, das ist meine Aufgabe als dein Ehemann.« Emily kicherte und griff nach meiner Hand. Was sollte der blöde Spruch? Und auch ihr Kichern traf mich, auch wenn die beiden eindeutig zu viel getrunken hatten und ich es mir eigentlich nicht zu Herzen nehmen sollte. Das Thema konnte ich morgen noch ansprechen und dann notfalls zur Rezeption gehen und Trinkgeld auf das Zimmer schreiben lassen, falls Edward das wirklich vergessen haben sollte. Irgendwie würden wir schon alles geregelt kriegen. Aus eigener Erfahrung wusste ich schließlich genau, wie wichtig für Mitarbeiter im Service das Trinkgeld war und Edward hatte genug Geld, um ihnen die Arbeit angemessen zu vergüten.
Kapitel 5 - Alexis
In unserem Bungalow angekommen, warf Emily sich regelrecht aufs Sofa, so dass ihr hellblaues Kleid völlig zerknittert wurde und auch noch verrutschte. Nun konnte man den Ansatz ihres Pos unter dem Stoff erkennen. Musste das jetzt sein? Ich liebte Emily ja wirklich wie eine Schwester, aber im Augenblick wollte ich mit Edward allein sein. Musste ich das denn echt erst laut aussprechen, bis sie es verstand?
»Wollt ihr noch etwas trinken? Die Minibar ist gut gefüllt. Oder wir können uns auch noch eine Flasche Champagner beim Roomservice bestellen.« Das konnte jetzt wirklich nicht Edwards Ernst sein.
»Meinst du nicht, dass ihr langsam genug getrunken habt? Und außerdem ist es schon spät.« Das klang wahrscheinlich zickiger als beabsichtigt, aber langsam konnte ich mich einfach nicht mehr beherrschen. Doch die beiden zuckten nur mit den Schultern und grinsten sich an. Was zum Teufel sollte das jetzt? Plötzlich stiegen mir die Tränen in die Augen. So hatte ich mir das irgendwie nicht vorgestellt. Nun setzte Edward sich auch noch neben Emily, beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ich fühlte mich wie das fünfte Rad am Wagen. »Emily, es ist unsere Hochzeitsnacht. Meinst du nicht, dass du uns langsam alleine lassen solltest?