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»Fang nie etwas mit einem Stripper an!« Die Studentin Tessa hat ihre Wurzeln nie kennengelernt. Ihre Mutter tat alles, um sie von Las Vegas und ihrem Vater fernzuhalten. Er besitzt dort den Stripclub ›Blue Moon‹. Tessa reist heimlich in die Stadt der Sünde, um ihn kennenzulernen. Dabei ahnt sie nicht, was sie damit auslöst. Gleich nach ihrer Ankunft bricht ihr Vater mit einem Herzinfarkt zusammen. Gegen alle Widerstände beschließt sie, zu bleiben und sich um ihren Vater zu kümmern. Josh ist Stripper im Blue Moon und die rechte Hand des Besitzers. Für ihn ist klar: Wäre Tessa nicht aufgetaucht, ginge es Bill noch gut. Er hasst die Tochter seines Chefs. Als sie jedoch in Las Vegas bleibt, kommen sich die beiden ganz langsam näher. Trotz aller Abneigung knistert es gewaltig zwischen den beiden. Kann Tessa ihr Herz für einen Stripper öffnen? Und kann Josh seine Vorurteile ihr gegenüber überwinden? Das Blue Moon ist ein Stripclub in Las Vegas. Jeder Teil ist in sich abgeschlossen, aber mit wiederkehrenden Charakteren.
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(K)ein Stripper fürs Herz
Alina Jipp
Am Georg-Stollen 30
37539 Bad Grund
Coverdesign: Renee Rott, Dream Design ‒ Cover and Art
Bildmaterial: Shutterstock.com, depositphotos.com
Lektorat und Korrektorat Sandra Paczulla
Korrektorat Ulrike Limacher
https://alina-jipp.de/newsletteranmeldung/
1. Auflage, 2023
© Alina Jipp – alle Rechte vorbehalten.
Alina Jipp
Am Georg-Stollen 30
37539 Bad Grund
Coverdesign: Renee Rott, Dream Design ‒ Cover and Art
Bildmaterial: Shutterstock.com, depositphotos.com
Lektorat und Korrektorat Sandra Paczulla
Korrektorat Ulrike Limacher
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Kapitel 1
Tessa
Mein Herz klopfte wie wild, als ich aus dem Uber stieg, mich beim Fahrer bedankte und dem Wagen nachsah, wie er davonfuhr. Mein Blick fiel auf die Leuchtreklame des Blue Moon und ich versuchte, das alles hier in mich aufzunehmen.
Das Gebäude war verdammt groß, zumindest im Erdgeschoss, nichts erinnerte an den kleinen, dreckigen Hinterhofclub, von dem meine Mutter gesprochen hatte. Der Name stimmte, aber war ich hier wirklich richtig? Und wenn ja, wie sollte ich in diesem riesigen Komplex William Collins finden? Vielleicht war das Ganze doch eine blöde Idee gewesen und ich hätte nicht herkommen sollen.
Wie so oft in den letzten Stunden holte ich den Brief aus der Tasche und starrte auf den Umschlag. Den Umschlag, auf dem diese Adresse stand. Inzwischen war das Papier schon richtig abgegriffen, aber mich störte es nicht. Ich musste ihn einfach immer wieder lesen. Obwohl der Brief gar nicht so lang war – nur eine einzige Seite – und ich ihn mittlerweile fast auswendig kannte.
Zwei Frauen kamen schwatzend vorbei und ich steckte den Brief schnell weg, als wäre er ein verbotener Gegenstand. Kurz beobachtete ich die beiden. Sie sahen glücklich aus und steuerten direkt auf mich und den Club zu. Wollten sie sich eine Show ansehen? Die beiden musterten mich, dann sprach die eine mich an.
»Hi, willst du ins Blue Moon? Falls ja, muss ich dich leider enttäuschen. Der Club ist heute geschlossen, da hier eine private Feier stattfindet.« Sie lächelte und ihre weißen Zähne blitzen in dem dunklen Gesicht, das von schwarzen Locken umrahmt wurde. Das war ja wieder typisch. Nichts funktionierte, das ich geplant hatte. Schon übermorgen musste ich zurückfliegen, damit meine Mutter nicht bemerkte, dass ich überhaupt weg war. Mir wurde übel. Was, wenn ich ihn bis dahin nicht gefunden hatte? Sollte ich dann unverrichteter Dinge zurückkehren und brav so tun, als gäbe es diesen Mann nicht? William Collins, der vor vierundzwanzig Jahren kurz mit meiner Mutter verheiratet gewesen war. Mein leiblicher Vater, an den ich keinerlei Erinnerungen hatte und dessen Nachname ich nicht einmal trug und von dem meine Mutter gern so tat, als hätte es ihn nie in unserem Leben gegeben.
»Eigentlich will ich zum Besitzer des Clubs, William Collins, er soll hier auch wohnen«, hörte ich mich selbst sagen und ich zog den Umschlag wieder aus der Tasche, um ihnen die Adresse zu zeigen. Leider war dieser Brief schon einige Wochen alt gewesen, als ich ihn gefunden und meine Mutter zur Rede gestellt hatte. Vielleicht lebte er gar nicht mehr hier. Aber es war mein einziger Anhaltspunkt, solange sie sich weigerte, mir weitere Infos über meinen Vater zu geben.
Eigentlich hatte ich ja niemanden in meinen Plan einweihen wollen, doch jetzt brauchte ich einfach Hilfe, wenn ich nicht unverrichteter Dinge nach Twin Falls zurückkehren wollte. Die weite Reise und die teuren Flüge verlangten, dass ich mein Ziel erreichte, sonst würde ich wahrscheinlich noch Jahre warten müssen, um ihn zu treffen. Natürlich hätte ich ihm auch schreiben können oder über die Nummer des Clubs versuchen können, ihn telefonisch zu erreichen, aber ich wollte ihn einfach persönlich kennenlernen. Musste wissen, was für ein Mensch er war und warum er so lange keine Rolle in meinem Leben gespielt hatte.
»Ja, Bill wohnt dort oben.« Die Frau deutete am Gebäude hoch auf die zweite Etage. »Aber heute ist er hier unten, da wir feiern. Soll ich ihn rufen?« Wollte ich das? Was sollte sie ihm nur sagen? Er wusste ja nicht, dass ich hier war oder dass ich seit Jahren nach ihm suchte. Etwas hilflos schüttelte ich den Kopf. Irgendwie hatte ich mir das alles ganz anders vorgestellt. Eine Tür, an der ich klingeln konnte und dann er, der sie öffnete und mich hereinließ … Eine Party in einem Stripclub hatte nichts mit meinem Plan zu tun. Vielleicht sollte ich morgen früh wiederkommen.
»Lieber nicht. Das, was ich ihm zu sagen habe, möchte ich nicht unter lauter Fremden besprechen. Außerdem will ich ihm auch die Feier nicht verderben.«
»Wieso solltest du ihm die verderben?«, mischte sich nun die Blondine ein und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
Warum waren die beiden so freundlich? Laut meiner Mutter gab es in dieser Stadt nur selbstsüchtige Menschen. Niemand kümmerte sich um den anderen und man war völlig allein. Ganz anders als in Twin Falls, Idaho, wo wir eine tolle Nachbarschaft hatten und man sich kannte. Sie hatte wirklich alles getan, um mich davon zu überzeugen, dass ich meine Suche nach meinem leiblichen Vater aufgab. Wahrscheinlich bereute sie zutiefst, den Brief nicht entsorgt zu haben, sodass ich ihn finden konnte.
»Was möchtest du denn von ihm? Suchst du einen Job oder eine Wohnung? Die im ersten Stock wird ja bald frei.« Die Blondine lächelte noch immer. Ihr war wohl gar nicht aufgefallen, dass ich gedanklich ganz weit weg war.
Eine Wohnung? Nein, ich wollte meinen Vater kennenlernen, an ein Danach hatte ich noch nie gedacht. Zurück nach Hause fliegen, weiterhin im Bistro kellnern, zum College gehen und von einer Zukunft träumen, die ich nie erreichen würde. Mühsam unterdrückte ich die Tränen, die sich in meinen Augen sammeln wollten. Nein, ich würde jetzt nicht losheulen wie ein überfordertes Kind. Die beiden wirkten so selbstbewusst und glücklich. Wahrscheinlich würden sie sich totlachen über mich Landei mit den großen Träumen.
»Nein, ich suche keine Wohnung und bin auch nur für zwei Tage in Las Vegas. Wegen seines Briefes bin ich hier.« Der Umschlag in meiner Hand, der alles verändert hatte. Der eine Tür geöffnet hatte, die ich nun nicht mehr so einfach schließen konnte. Er wog schwer, obwohl er so leicht war, und für eine Sekunde wünschte ich, ihn nie gefunden zu haben und nie hierhergeflogen zu sein. Verdammt. Ich hatte inzwischen fast tausend Dollar für Flug, Hotel und Uber bezahlt. Ich durfte jetzt nicht aufgeben.
»Wenn Bill etwas von dir möchte und dir extra geschrieben hat, dann komm bloß mit. Sonst verschwendest du ja einen Tag.« Die dunkelhäutige Frau lächelte mich wieder so freundlich an. Wahrscheinlich hielt sie mich für unhöflich, weil ich mich so seltsam verhielt.
»Ich bin übrigens Amber und das ist meine Freundin Lilly.« Sie deutete auf die kleinere Blondine. »Und du bist?«
»Tessa«, brachte ich leise heraus. Wussten sie vielleicht, wer ich war? William hatte mir geschrieben und offensichtlich nicht nur diesen einen Brief, wenn ich seinen Worten Glauben schenken konnte. Aber er hatte niemanden in seinem Brief erwähnt, der ihm nahestand. Trotzdem musste ich es versuchen, diese Frauen schienen ihn zu kennen. Vielleicht hatte er ihnen von mir erzählt. Doch sie reagierten nicht auf meinen Namen, also kannten sie ihn wohl nicht.
Lilly legte ihren Arm um meine Schulter. »Komm. Hier beißt niemand.«
Wie von selbst setzten sich meine Füße in Bewegung. Wir gingen durch den Eingangsbereich und hier waren einige Menschen, die die Ankommenden mit lautem ›Hallo‹ begrüßten. Jeder hier kannte anscheinend jeden. Nun fühlte ich mich erst recht als Außenseiterin. Vielleicht hätte ich doch lieber gehen und morgen noch einmal herkommen sollen. Während die beiden weitergingen, flogen Namen, Neckereien und Gratulationen durch die Luft. Mir war es fast zu viel. Obwohl ich von zu Hause her viele Menschen gewöhnt war. Dave, der Mann meiner Mutter, war ein Anwalt und wir hatten oft Gäste im Haus. Bei diesen Abenden ging es allerdings immer eher steif zu, nicht so gelöst wie hier.
»Bill, hier ist Besuch für dich.« Amber lief direkt auf einen älteren Mann zu, der sich gleich erhob. Mein Herz begann wie wild zu klopfen und mir wurde regelrecht übel. War das mein Dad? Wie oft hatte ich von ihm geträumt und jetzt stand ich ihm wirklich gegenüber? Er sah blass aus, oder war das nur das Licht hier im Club?
»Tessa? Bist du das?« Seine Stimme zitterte leicht.
»Ja, Dad. Ich bin wegen deines Briefes hier.«
Um uns herum wurde es plötzlich seltsam still. Der Mann wurde noch blasser, kam aber mit einem Lächeln auf den Lippen auf mich zu.
»Tessa.« Seine Stimme brach fast. Er sah mir in die Augen und die Gefühle, die ich dort sah, überwältigten mich. Es schimmerten sogar Tränen darin. Plötzlich fing er allerdings an zu schwanken.
»Bill!«, rief jemand und drängte sich an mir vorbei. »Lilly, hol sein Notfallmedikament.« Einer der Männer stützte Bill und führte ihn zurück zu seinem Stuhl. Doch er schien alle Kraft verloren zu haben, beinahe wäre er gestürzt. Deshalb legten sie ihn auf den Boden. Einer rief nach einer Decke, jemand anderes nach einem Kissen. Während ich noch immer völlig überfordert hier stand und mich nicht rührte, zückte der eine Mann sein Handy und rief einen Krankenwagen. So hatte ich mir das erste Treffen mit meinem Vater wirklich nicht vorgestellt. Ich wollte irgendetwas tun. Nein, musste etwas tun. Aber was?
Josh
Nein! Nein! Nein! Das durfte einfach nicht sein. Bill hatte sich von seinem Herzinfarkt so gut erholt. Er konnte jetzt nicht gleich den nächsten haben. Und an allem war nur sie schuld. Diese verdammte Tessa. Warum musste sie ausgerechnet jetzt auftauchen und dann noch unangekündigt? Wusste sie denn nicht, was sie damit anrichten konnte?
Endlich kamen zwei Rettungssanitäter und alle traten zurück, um ihnen Platz zu machen. Auch ich, obwohl ich lieber bei Bill geblieben wäre. Doch jetzt durfte ich nicht im Weg stehen. Hätte ich doch nur Medizin studiert, dann hätte ich ihm selbst helfen können. Aber irgendwie war ich von diesem Plan immer weiter abgekommen. Während der eine Sanitäter Bill untersuchte, wanderte mein Blick zu seiner verdammten Tochter. Sie stand ein wenig abseits, hatte schreckgeweitete Augen und wischte sich eine Träne weg. Hah! Als würde irgendwer ihr glauben, dass er ihr etwas bedeutete. Sie hätte sich ja bei ihm melden und ihn vorwarnen können, dass sie kam. Aber nein, die Prinzessin musste ja einfach hier auftauchen und Bill so aufregen, dass sein Herz wieder zu versagen drohte.
»Wir müssen ihn mitnehmen.« Damit hatte ich gerechnet.
»Kann ich mitfahren?«, fragte ich und die Männer nickten.
»Wo liefern Sie ihn ein? Wir packen eine Tasche und bringen sie dann später vorbei«, sagte Lilly.
»Centennial Hills Hospital«, antwortete einer der Sanitäter, während sein Kollege Bill auf der Trage festband.
»Tessa!«, brachte Bill mit einem Stöhnen heraus. Warum fragte er jetzt nach ihr? Und weshalb rührte sie sich nicht?
»Tessa«, wiederholte ich etwas lauter als Bill. »Er ruft nach dir.« Warum tat er das nur? Sie war doch an allem schuld. Aber ich wollte ihn nicht noch mehr aufregen.
»Ich bin hier. Es tut mir alles so leid.« Sie rückte näher heran und lächelte Bill mit Tränen in den Augen an. Was für eine verdammte Schauspielerin. Als täte ihr wirklich leid, was sie ihm antat. Nur mühsam konnte ich eine Antwort darauf zurückdrängen. »Soll ich mitfahren?« Das war doch nicht ihr Ernst.
»Nein! Ich fahre mit. Ich kenne seine medizinische Vorgeschichte.« Zum Glück akzeptierte sie das jetzt und ich folgte den Sanitätern hinaus und stieg in den Krankenwagen, nachdem sie Bill hineingeschoben hatte. Das Letzte, das ich vorm Schließen der Tür sah, waren blau-graue Augen, die mich beobachteten. Sie sah so verzweifelt aus, aber ich weigerte mich, Mitleid mit ihr zu haben. Wäre sie doch nur nie hier aufgetaucht.
Die Wut, die ich auf sie verspürte, schütze mich vor den anderen Gefühlen, die ich nicht zulassen wollte. Angst, Verzweiflung und die Erinnerung an meinen Vater, bei dem damals alle Hilfe zu spät kam. Während der Krankenwagen durch die Stadt raste, versuchte ich, die Bilder zu verdrängen, wie mein Vater damals im Wohnzimmer zusammenbrach. Bill würde nicht sterben, er hatte das schon einmal überlebt und würde es auch dieses Mal schaffen. Er musste einfach.
Einer der Sanitäter gab per Funk ans Krankenhaus Bills Werte durch und ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, die Erinnerungen zu verdrängen. Da ich ja eigentlich selbst einmal Medizin studieren wollte, verstand ich einen Teil davon. Bills Blutdruck war viel zu hoch und die Sauerstoffsättigung etwas zu niedrig. Aber sein EKG sah nicht so schlecht aus. Vielleicht war es gar kein weiterer Infarkt?
Der Krankenwagen hielt und ich stieg schnell aus, um aus dem Weg zu sein.
Die Sanitäter holten Bill heraus und schoben ihn durch die sich automatisch öffnende Tür der Notaufnahme. Drinnen wurden sie gleich von einer Pflegefachkraft empfangen. Sie gaben Bills Werte durch, während sie durch die nächste Tür eilten, ich wollte mitgehen, aber eine andere Krankenschwester bedeutete mir, ihr zu folgen.
»Es wird alles gut«, versicherte Bill mir mit erstickter Stimme und ich sah ihm nach, bis die Schwester meine Aufmerksamkeit verlangte.
»Sind Sie ein Angehöriger des Patienten?« Vielleicht hätten wir diese Tessa mitnehmen sollen.
»Nein, aber ein guter Freund. Hier ist seine Versicherungskarte. Er hatte vor ein paar Monaten schon einmal einen Herzinfarkt.« So gut ich konnte, beantwortete ich alle Fragen der Krankenschwester und danach bedeutete sie mir, zu gehen.
»Das wird dauern und ich darf Ihnen leider keine Auskunft geben, da Sie nicht verwandt sind.« Als würde ich mich jetzt hier wegbewegen.
»Ich rufe seine Tochter an«, quetschte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. Natürlich hatte ich ihre Nummer nicht, doch vielleicht war sie noch im Blue Moon, oder einer der anderen wusste, wo sie sich aufhielt. Eigentlich wollte ich sie zum Teufel wünschen, aber verdammt. Sie würde hier Auskunft bekommen, also brauchte ich sie.
Schnell ging ich hinaus, zog mein Smartphone aus der Tasche und wählte die Nummer von Jayden. Er war mein bester Freund und wusste wahrscheinlich am ehesten, wie ich dieses Weib erreichen konnte. Seine Freundin Lilly hatte die doch überhaupt erst angeschleppt. Dafür würde ich sie später einen Kopf kürzer machen.
»Hi, wie geht´s Bill?« Zum Glück meldete Jayden sich nach dem zweiten Klingeln.
»Er hat die Fahrt gut überstanden und war bei Bewusstsein, als wir hier eingetroffen sind. Aber jetzt erfahre ich nichts mehr, weil ich kein Angehöriger bin und er es immer noch nicht geschafft hat, mich schriftlich zu seinem Notfallkontakt zu machen.« Nach seinem Herzinfarkt hatten wir darüber gesprochen und eigentlich hatte er das längst erledigen wollen, aber als es bergauf ging, war das Thema irgendwie von ihm verdrängt worden. Genau wie alle anderen Vorsichtsmaßnahmen. Nur im Blue Moon hatte er mich offiziell zum Geschäftsführer ernannt. »Weißt du, wo diese Tessa ist? Sie würde Auskunft kriegen.« Es fiel mir verdammt schwer, diese Frage zu stellen, weil ich diese Frau am liebsten einfach vergessen würde. Wäre sie nicht aufgetaucht, wäre wahrscheinlich gar nichts passiert.
»Ja, sie ist hier bei uns. Am besten machen wir uns auf den Weg zur Klinik. Feiern will sowieso keiner mehr.« Er seufzte.
»Okay.« Mehr brachte ich nicht heraus. Heute hatte eigentlich ein toller Abend werden sollen. Wir wollten die Wiedereröffnung des Blue Moon und die Eröffnung von Lillys Tanzschule feiern. Dann war dieses Weib aufgetaucht und hatte alles kaputtgemacht. Bill war es gut gegangen, bis sie aufgetaucht war. Warum musste sie auch so plötzlich auftauchen nach all diesen Jahren? Sie hatte sich doch nie für ihren Vater interessiert, keinen seiner Kontaktversuche erwidert und dann stand sie auf einmal einfach vor der Tür? Wahrscheinlich wollte sie sowieso nur Geld. Das konnte ich mir gut vorstellen. Immer weiter steigerte ich mich in meine Wut auf diese Tessa hinein, obwohl eine kleine Stimme in mir sagte, dass sie gar nichts dafür konnte. Aber die ignorierte ich. Die Wut war zu groß.
Kapitel 2
Tessa
»Komm, lass uns reingehen.« Lilly griff nach meinem Arm, als ich mich nicht rührte.
»Vielleicht sollte ich lieber gehen. Schließlich bin ich an allem schuld.« Wäre ich doch nur in Twin Falls geblieben. Dann hätte ich meine Mutter nicht belogen, wäre jetzt nicht pleite und Bill möglicherweise noch gesund.
»Blödsinn, das bist du nicht und außerdem müssen wir ja auf Nachricht aus der Klinik warten. Oder willst du nicht wissen, wie es ihm geht?« Doch, das wollte ich. Also nickte ich. Obwohl ich am liebsten ins Hotel fahren würde, um meine Mutter anzurufen und ihr zu beichten, wo ich war und mich ausheulen. Mom würde mir hoffentlich verzeihen, auch wenn sie zuerst wüten würde, mir dann jedoch trotzdem helfen. So war es zumindest bisher immer gewesen, aber in diesem Fall? Sie und Dave hatten mich so viele Jahre lang belogen, wenn es um meinen Vater ging und der Stachel saß noch tief.
»Na, siehst du.« Amber legte ihren Arm um mich und ich zuckte kurz zusammen. So viel Nähe von Fremden war ich nicht gewohnt. »Lass uns reingehen und etwas essen. Feiern mag jetzt zwar wahrscheinlich niemand mehr, aber wir wollen doch all die Köstlichkeiten auf dem Buffet nicht verkommen lassen.« Die anderen gingen nun nach und nach hinein, nur ich zögerte noch, ihnen zu folgen. Dann gab ich mir allerdings doch einen Ruck und folgte ihnen, obwohl mir irgendwie alles zu viel war. Aber ich wollte auch nicht einfach weglaufen. Drinnen setzten sich alle wieder an den Tisch, wobei Bills Platz leer blieb, und ich wurde zwischen Amber und Lilly platziert, die mir ein paar der Anwesenden vorstellten. Allerdings waren es zu viele Namen und ich zu aufgeregt, daher merkte ich mir nur Jayden, der zu Lilly gehörte.
»Es tut mir so leid, dass deine Einweihung nun verdorben wurde.« Die Stimme klang aber gar nicht so, als täte es ihr leid, sondern eher etwas gehässig. Die blonde Frau, die neben uns stehen geblieben war, grinste Lilly an und ignorierte Amber und mich völlig. Mir war das recht, aber Amber sah sie an, als wolle sie die Frau und den großen, dunklen Typen, an dessen Arm sie hing, am liebsten ermorden. Gut, dass Blicke nicht töten konnten. Normalerweise hätte allein der Anblick dieses Mannes ausgereicht, um ins Schwärmen zu geraten, aber er sah zu Boden, als wäre ihm die ganze Situation unangenehm. Trotzdem. Wie konnte ein Kerl nur so verdammt heiß sein? Wobei alle Männer hier so gut aussahen, so viele Sixpacks hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Aber heute interessierte mich das nicht. Zu groß war die Sorge um Bill, denn ich fühlte mich schuldig. Wäre ich nur nicht einfach so hergekommen. Wobei, dass mein Anblick ihm so zusetzen würde, hatte ich doch nicht ahnen können. Wie von selbst wanderte meine Hand in meine Tasche und ich holte den Brief wieder heraus. Er war schuld, dass ich jetzt hier war.
»Schon gut. Der Tag der offenen Tür war erfolgreich. Aber nun mache ich mir Sorgen um Bill, hoffentlich bekommen wir bald Entwarnung. Letztes Mal ging es Bill ja sehr schnell wieder besser.« Letztes Mal? Er hatte so was also schon öfter gehabt? In mir zog sich etwas schmerzhaft zusammen. So viele Jahre hatte ich meinen Vater nicht gekannt und jetzt? Meine Mutter verweigerte mir schon mein ganzes Leben lang, über ihn zu sprechen. Ich schluckte trocken. Bill musste wieder gesund werden, damit ich ihn kennenlernen konnte. Es gab so viele Fragen, die ich ihm stellen wollte. So viele Dinge, die ich wissen musste. Aber vor allem eine. Warum hatte er sich nie um mich gekümmert und sich erst so spät bei mir gemeldet? Obwohl er ja von anderen Briefen geschrieben hatte. Wie viele das wohl gewesen waren?
»Gibt es nicht bald etwas zu essen? Ich verhungere!« Wieder diese Frau. Obwohl ich sie nicht kannte, war sie mir schon jetzt unsympathisch.
»Aurora!« Der entsetzte Ausruf kam von ihrem Begleiter. Alle Augen richteten sich auf die beiden.
»Was denn? Wir sind zum Feiern hergekommen. Wenn wir jetzt hungern, macht das Bill auch nicht wieder gesund.« Wie konnte ein Mensch nur so taktlos sein? Lilly und Amber warfen sich verärgerte Blicke zu, wie ich bemerkte, als ich aufsah. Sie schienen die Frau genauso unmöglich zu finden wie ich gerade.
Doch dann stand Lilly auf. »Nehmt euch ruhig etwas zu essen. Es ist ja genug da.«
Die Frau stürmte zur Seite des Raumes, wo ein langer Tisch mit verschiedenen Speisen aufgebaut war, und bediente sich. Alle anderen blieben sitzen.
»Ihr könnt euch wirklich ruhig bedienen. Wir wollen ja nicht, dass das ganze Essen verdirbt.« Lilly setzte sich wieder und seufzte.
»Ich hasse sie«, murmelte Amber. Ihr Blick wanderte zu der Frau, die nun mit ihrem vollen Teller wieder am Tisch Platz nahm und etwas zu ihrem Begleiter sagte. »Was findet Dark nur an ihr?«
Bevor irgendjemand darauf antworten konnte, klingelte das Telefon von Lillys Freund. Sofort setzte ich mich gerader hin. Waren es Neuigkeiten aus dem Krankenhaus? Alle sahen jetzt Jayden an.
»Ja. Klar. Das macht sie bestimmt.« Sein Blick wanderte zu mir. »Josh bekommt keine Auskunft, weil er nicht mit Bill verwandt ist. Könntest du mit ins Krankenhaus fahren? Du bist schließlich seine Tochter.«
»Natürlich«, sagte ich sofort. Verschwieg aber, dass ich keinerlei Papiere hatte, die das bewiesen. Na ja, außer dem Brief, doch der war sehr persönlich und ich wollte ihn ungern fremden Menschen zeigen. Ob die mir im Krankenhaus einfach so glauben würden?
»Ich fahre euch und warte dann mit dir.« Lilly und Jayden standen auf und sofort bekam ich ein noch schlechteres Gewissen. Es war doch Lillys Feier und die wollte sie nun wegen mir verlassen.
»Danke, aber ich kann auch ein Uber nehmen. Das ist doch deine Party.«
»Quatsch, mir ist eh nicht nach Feiern und ich will außerdem wissen, was mit Bill ist. Er bedeutet mir sehr viel. Du kannst es ja nicht wissen, aber ich habe Bill nach seinem Herzinfarkt vor ein paar Monaten geholfen. Zumindest war das der ursprüngliche Plan. Im Grunde hat er mir geholfen.« Sie lächelte versonnen. »Er hat mir die Wohnung gegeben, sodass ich aus der Bruchbude ausziehen konnte, in der ich vorher gelebt habe. Und er hat mir die ehemalige Boxschule vermietet, in der nun meine Tanzschule ist und über der ich bald leben werde. Ich verdanke ihm so viel und will ihn nicht verlieren.« Sie sah wirklich besorgt aus und das versetzte mir einen Stich. Er schien echt ein toller Mensch zu sein, der sich um alle kümmerte, nur nicht um mich. Ich hatte so viele Fragen an ihn. Wieso er nie da gewesen war? Warum er vorher nie geschrieben hatte? Aber im schlimmsten Fall würde ich nie eine Antwort darauf bekommen. Nein. Da durfte ich jetzt nicht daran denken. Bill musste gesund werden, damit ich ihn zur Rede stellen konnte.
Josh
Ungeduldig lief ich im Wartebereich des Krankenhauses auf und ab. Die bösen Blicke, die mir die anderen Wartenden zuwarfen, ignorierte ich. Meine innere Unruhe ließ es einfach nicht zu, dass ich nur ruhig dasaß. Eine Frau hatte sogar ein Buch ausgepackt und las seelenruhig. Wie konnte sie nur in der Notaufnahme lesen? Die Tür ging auf und eine Krankenschwester erschien. Alle Blicke, selbst die der lesenden Frau, richteten sich auf sie. Auch ich blieb sofort stehen und beobachtete sie genau. Aber sie rief eine andere Wartende zu sich und erklärte ihr leise etwas. Die automatische Tür öffnete sich wieder. Dieses Mal waren es allerdings keine Mitarbeiter des Krankenhauses, sondern Jayden, Lilly und Tessa, die hereinkamen. Kurz sahen sie sich um, dann steuerten sie direkt auf uns zu.
»Hi, Josh, weißt du schon etwas?« Jayden kam auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter. Lilly schnaufte leise, schob ihn zur Seite und zog mich in eine Umarmung.
»Männer«, murmelte sie dabei. Ich drückte sie kurz und sah dann zu Bills Tochter, die einige Schritte neben uns stehen geblieben war. Sie sah verloren und irgendwie hilflos aus. Dennoch wollte ich sie am liebsten wegschicken. Sie war an allem schuld. Trotzdem konnte ich es nicht, denn sie war die Einzige, die Auskunft bekommen würde. Fuck! Warum hatte Bill mich nicht als Notfallkontakt eintragen lassen?
»Wir sollten zur Rezeption gehen und nach Informationen fragen. Mir haben sie ja schon gesagt, dass ich keine bekommen kann.« Lilly nickte und ging auf Tessa zu, die irgendwie ängstlich zusammenzuckte.
»Komm, wir fragen mal nach.« Lilly war viel zu nett zu allen. Aber wer monatelang zusammen mit seinem Ex tanzte, war wahrscheinlich eh nicht normal. Sie würde auch noch die nächste Saison mit dem Idioten zusammenarbeiten, um erst einmal abzuwarten, wie ihre Tanzschule anlief. Manchmal fragte ich mich, wie Jayden damit leben konnte, ich an seiner Stelle würde wohl durchdrehen vor Eifersucht.
Obwohl ich diese Tessa zum Teufel wünschte, folgte ich den beiden Frauen zur Rezeption, schließlich wollte ich auch wissen, was mit Bill war. Es dauerte gefühlt eine Stunde, obwohl es wahrscheinlich nur ein paar Minuten waren, bis Tessa an der Reihe war.
»Können Sie mir sagen, wie es William Collins geht? Ich bin Tessa Donaldson, seine Tochter.« Die Mitarbeiterin an der Rezeption gab etwas in ihren Computer ein und sah Tessa dann an.
»Hier steht niemand als Notfallkontakt. Können Sie irgendwie beweisen, dass Sie seine Tochter sind? Sonst könnte ja jeder kommen und Sie tragen ja nicht einmal denselben Namen.« Ihr Blick wanderte zu mir, wahrscheinlich dachte sie, dass wir uns die Geschichte nur ausgedacht hatten, weil ich keine Auskunft erhalten hatte.
Tessa seufzte und zog einen zerknitterten Brief aus der Tasche. Kurz zögerte sie noch, dann gab sie ihn an die Frau weiter.
»Er ist wirklich mein Vater, nur hatten wir bisher keinen Kontakt. Aber er will das ändern und ich auch, diesen Brief hat er mir geschrieben und das ist der Grund, warum ich hier bin. Es fällt mir schwer, ihn aus der Hand zu geben.« Die Frau las ein paar Sätze und gab den Brief dann zurück.
»Okay, ich trage Sie hier als Kontaktperson ein. Aber im Moment kann ich Ihnen nicht viel sagen. Er wird noch untersucht und es müssen einige Tests gemacht werden. Wollen Sie warten oder eine Nummer hinterlassen? Viel dürfen wir am Telefon allerdings nicht …«
»Wir warten«, fiel Tessa ihr ins Wort und steckte den Brief wieder ein. Zu gern hätte ich gewusst, was darin stand, aber mir würde sie ihn bestimmt nicht zeigen. Zu viert gingen wir zurück in den Wartebereich. Der war noch immer ziemlich voll. Gerade kamen wieder welche dazu und belegten die letzten Stühle, deshalb stellten wir vier uns in eine Ecke des Raumes.
Eine Zeit lang sprach keiner von uns ein Wort. Endlich ging ein Paar, nachdem eine Krankenschwester sie aufgerufen hatte, und wir sicherten uns die Stühle. Leider waren es nur zwei. Jayden nahm seine Freundin, die immer wieder gähnte, kurzerhand auf den Schoß. Kein Wunder, es war ein langer Tag für sie gewesen mit der Eröffnung, den Vorbereitungen für die Feier und allem.
»Setz du dich ruhig. Wir können uns ja abwechseln«, sagte Tessa. »Ich hole mir jetzt am besten erst einmal einen Kaffee. Will noch jemand etwas?« Lilly nickte.
»Kaffee wäre gut. Ich bin total müde und das könnte eine lange Nacht werden.«
»Danke, dass ihr bleibt. Ich freue mich, dass mein … Bill so gute Freunde hat.« Tessa stoppte nach dem Wort Mein. Fiel es ihr so schwer, Vater oder Dad zu sagen? Wie konnte das sein? Ich täte alles dafür, einen Vater wie Bill zu haben und die Chance, ihn zu retten. Bei meinem Dad war damals jede Hilfe zu spät gekommen und mit zehn hatte ich einfach nicht gewusst, wie ich ihm hätte helfen können.
Schnell schüttelte ich den Kopf, um nicht mehr daran zu denken. Sonst würde ich hier noch wie ein Kleinkind heulend zusammenbrechen und das konnte ich mir nicht erlauben. Es würde zehnmal so lange dauern, mich wieder aus dem Loch zu kämpfen wie hineinzufallen.
»Bill ist ein toller Mensch, das wirst du merken, wenn du ihn näher kennst.« Lilly lächelte Tessa an, als sie das sagte. Doch die sah unsicher zu Boden. Richtig so. Bill hatte so lange versucht, sie zu kontaktieren. Ich wünschte, sie hätte weiterhin nicht reagiert, dann wären wir jetzt nicht hier, sondern würden feiern. Vielleicht war es unfair, so etwas zu denken, aber das war mir egal.
»Ich geh jetzt, will noch jemand irgendwas?« Sie sah erst Jayden und dann mich an.
»Nein«, brummte ich und bekam dafür einen bösen Blick von Lilly. Warum eigentlich? Ich hatte nichts gesagt.
»Ich komme mit, vielleicht haben die noch etwas anderes.« Jayden sah entschlossen aus.
Die beiden entfernten sich und ließen Lilly und mich zurück. Als sie durch die Automatiktür gegangen waren, entspannte ich mich ein kleines bisschen. Doch nicht lange, denn Lilly stupste mich an, damit ich sie ansah. Ihr Blick war tadelnd, als ich meinen hob.
»Was?«, fragte ich leise, verstummte aber, als eine Krankenhausmitarbeiterin hereinkam und wieder Leute aufrief, um ihnen etwas zu erklären. Endlich ein paar weitere freie Plätze.
»Josh, warum bist du so?«, fragte Lilly, als sie weg waren. Was wollte sie nur von mir?
»Wie bin ich denn?«
»Du siehst Tessa an, als würdest du sie zum Teufel wünschen. Sei doch mal etwas netter zu ihr. Sie kann nichts dafür, dass es Bill schlecht geht.« Von wegen, wäre sie nicht gekommen, hätte er sich nicht so aufgeregt, aber ich sprach es nicht aus. Lilly seufzte. »Du musst sie ja nicht gleich in dein Herz schließen, aber die Situation ist für sie mindestens genauso schlimm wie für uns. Schließlich ist sie extra nach Vegas gekommen, um ihn kennenzulernen. So hat sie sich das erste Treffen sicher nicht vorgestellt.«
Beinahe hätte ich laut gelacht. Das glaubte sie doch wohl selbst nicht. Tessa kannte Bill gar nicht, warum sollte es ihr also genauso gehen wie mir? Niemand hier verstand, wie nah Bill und ich uns inzwischen standen. Seit dem Tod meines Vaters hatte mir kein Mann mehr so viel bedeutet, obwohl ich einige Jahre bei Onkel Thomas und Tante Jane gelebt hatte, aber im Gegensatz zu Bill, hatten die mich und mein Leben nie akzeptiert. Für mich war er wie ein Ersatzvater und ich konnte ihn nicht auch noch verlieren. Nicht wegen ihr.
Kapitel 3
Tessa
Als wir mit dem Kaffee zurückkamen, gab es freie Sitzplätze und ich setze mich auf einen der Stühle, möglichst weit weg von diesem Josh, der mir immer noch so böse Blicke zuwarf. Lilly kam zu mir und Jayden setzte sich neben seinen Freund? Kollegen? Ich hatte keine Ahnung, wie sie zueinanderstanden. Es gab so vieles, was ich hier nicht verstand. Aber im Moment wusste ich nicht, ob es mich überhaupt interessierte. Ich wartete einfach nur auf Nachricht von Bill. Endlich kam ein Mann herein und sah sich um.
»Miss Donaldson?« Ich stolperte beim Aufstehen fast über meine Füße.
»Ja, das bin ich. Wie geht es meinem Vater?« Es fiel mir noch immer schwer, Bill so zu nennen, aber hier sollte ich es wohl tun, damit ich Auskunft bekam. Josh stand auf einmal ganz dicht neben mir, Lilly und Jayden blieben sitzen. Der Krankenpfleger musterte ihn und sah mich fragend an.
»Er ist ein enger Freund meines Vaters und darf mithören.« Er überlegte kurz, nickte dann aber und führte uns in einen Flur, in dem wir allein waren.
»Ihr Vater wird gerade operiert. Er hat eine Stentthrombose. Das heißt, es hat sich ein Blutgerinnsel in einem der Stents gebildet, die ihm vor Kurzem eingesetzt wurden. Das ist eine Komplikation, die leider ab und zu vorkommt und die zu einem Herzinfarkt führt. Er ist jetzt stabil genug für eine Bypass-Operation. Diese wird einige Stunden dauern. Da es schon spät ist, rate ich Ihnen, nach Hause zu gehen und sich auszuruhen. Wir können Sie anrufen, wenn er aus dem Operationssaal kommt und morgen können Sie ihn dann auch besuchen. Nach der Operation wird er für einige Tage auf der Intensivstation liegen. Die Öffnungszeiten sind …« Ich schaffte es nicht mehr, zuzuhören. Zu viele Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Das alles klang so schrecklich und ich fragte mich, ob ich schuld daran war.
»Kann ich nicht trotzdem hier warten?« Er schüttelte den Kopf.
»Ich kann Ihnen das natürlich nicht verbieten, aber die Operation kann drei bis fünf Stunden dauern, falls es nicht zu Komplikationen kommt. Sonst auch länger. Es wäre wirklich besser, wenn Sie nach Hause fahren und sich ausruhen. Hier können Sie jetzt sowieso nichts tun.« Mechanisch nickte ich und noch einmal, als der Mann sich von uns verabschiedete. Josh ging voraus ins Wartezimmer und ich folgte ihm. Mir war zum Heulen zumute, aber ich unterdrückte es. Zusammenbrechen konnte ich, wenn ich im Hotel war. Nicht hier vor lauter fremden Leuten. Noch nie hatte ich mich so einsam gefühlt. Ob ich Mom anrufen sollte? Nein, sie würde mich nur fertigmachen, dass ich überhaupt hierhergeflogen war. Und Dave würde noch mehr ausrasten. Vielleicht konnte ich meine Freundin Stephanie erreichen. Sie war immer für mich da. Aber als ich auf meine Uhr sah, bemerkte ich, dass es bereits ein Uhr früh war und Twin Falls war Las Vegas auch noch eine Stunde voraus. Stephanie würde schon schlafen, da sie morgen arbeiten musste. Also war ich völlig allein mit der Situation, obwohl Menschen um mich herum waren. Aber Josh schien mich zu hassen und Lilly war zwar wirklich lieb zu mir, trotzdem blieb sie eine Fremde, genau wie ihr Partner.
»Willst du bei mir schlafen? Ich habe ein Gästezimmer, dann bist du nicht so allein heute Nacht«, bot Lilly mir an, als wir sie und Jayden über alles informiert hatten und auf den Parkplatz hinaustraten. »Josh, willst du die Couch im Wohnzimmer?«, fuhr sie fort, noch bevor ich antworten konnte. Er nickte und ich fragte mich, ob das wirklich eine gute Idee wäre. Einerseits wollte ich nicht alleine sein, doch das bedeutete auch, in seiner Nähe zu sein. Aber schließlich stimmte ich trotzdem zu. Immerhin würden wir nicht allein sein.
Von der Autofahrt zurück zum Blue Moon bekam ich gar nicht viel mit. Erst als sich das Tor zum Parkplatz öffnete, fiel mir ein, dass ich gar nichts zum Anziehen hier hatte. Meine Sachen befanden sich ja alle in meinem Hotelzimmer. Wahrscheinlich hätte ich mich doch von Lilly dorthin fahren lassen sollen.
»Ich habe gar nichts anzuziehen und keine Zahnbürste«, sagte ich leise, als wir ausstiegen.
Lilly winkte ab.
»Dann nimmst du halt etwas von mir und Zahnbürsten haben wir in Reserve und sonst auch alles im Bad, was du brauchen könntest.« Das war lieb gemeint, aber wie sollte ich denn in Lillys Sachen hineinpassen? Ich war nicht nur gut zehn Zentimeter größer als sie, sondern auch viel kräftiger.
»Ähm, die werden mir nicht passen.«
Josh nickte. »Stimmt, das wird nichts, der Zwerg ist ja viel dünner als du.« Sein Blick wanderte über meinen Körper und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Obwohl ich wusste, dass ich nicht so einen zierlichen, trainierten Körper wie Lilly hatte, trafen mich seine Worte. Wahrscheinlich hielt er mich für fett und untrainiert und der zweite Punkt stimmte sogar. Viel Disziplin hatte ich nie besessen und kein großes Talent für Sport. Wirklich dick war ich nicht, aber ich besaß halt Rundungen. Mein Hintern könnte bestimmt kleiner sein und mein Bauch flacher.
»Josh!« Lilly funkelte ihn regelrecht an. »Sei nicht immer so ein Arsch.«
Er zuckte nur mit den Schultern, statt zu antworten.
»Du kannst für die Nacht ein Shirt von mir haben«, bot Jayden an.
Lilly nickte. »Und morgen früh holen wir deine Sachen aus dem Hotel. Du kannst auschecken und dir das Geld sparen. In der Wohnung hier ist genug Platz und ich kann sonst auch ein paar Tage bei Jayden schlafen, sobald alles geklärt ist. Bald ziehe ich hier sowieso aus. Na ja, zumindest war das der ursprüngliche Plan. Wenn Bill mich wieder braucht, verschiebe ich das natürlich. Es sei denn, dass du das übernehmen möchtest. Bleibst du noch länger in Vegas oder musst du bald zurück?«
»Mein Rückflug geht am Sonntagabend. Außerdem muss ich Montag auch wieder zum College und arbeiten.« Wenn ich den Flug nicht antrat, würde er verfallen. Um Geld zu sparen, hatte ich auf die Möglichkeit umzubuchen, verzichtet. Wer hätte auch mit so einer Situation rechnen können? Eigentlich hatte ich ja sowieso gehofft, dass meine Mutter und Dave nichts von diesem Ausflug erfahren würden. Außerdem waren meine Ersparnisse weg. Ich hatte kein Geld, um einen neuen Flug zu buchen. Warum musste das Leben nur so verdammt kompliziert sein? Mein Stiefvater besaß zwar Unmengen an Kohle, schließlich war er Anwalt und aktiver Politiker, aber für mich hatte er nicht viel übrig. Jede Anschaffung musste ich mir von ihm genehmigen lassen. Deshalb jobbte ich ja auch neben dem College, um wenigstens etwas eigenes Geld zu haben. Aber das wollte ich den anderen jetzt nicht unbedingt unter die Nase reiben. Wahrscheinlich hatten sie alle viel mehr Geld als ich und konnten das nicht verstehen. Sie alle arbeiteten bereits richtig und nicht nur nebenbei. Lilly hatte sogar eine eigene Tanzschule. Dabei waren sie in meinem Alter. Und ich? Ich besuchte immer noch das College.
»Wir werden uns schon um Bill kümmern. Keine Angst. Er braucht dich nicht.« Joshs Stimme war eisig und ich musste schlucken. Was hatte der Kerl nur gegen mich? Ich hatte ihm doch nichts getan. Obwohl er mich mit den Worten bis ins Mark traf, erwiderte ich nichts darauf, sondern folgte Lilly die Treppe hinauf in den ersten Stock.
»Unten ist der Club. In dieser Etage befinden sich meine Wohnung, außerdem einige Büros und Lagerräume, die zum Club gehören. Bill wohnt oben.« Lilly bemühte sich, die Situation etwas aufzulockern, aber ich war völlig fertig. Der Tag steckte mir in den Knochen. Deshalb war ich froh, dass auch die anderen schnell ins Bett wollten. Lilly zeigte mir das Gästezimmer und das Bad. Jayden gab mir ein Shirt und ich sagte allen »Gute Nacht«. Josh war vom Wohnzimmer hinaus auf eine Dachterrasse gegangen. Ihn sah ich also zum Glück nicht mehr.
Trotzdem war er es, dem meine letzten Gedanken galten, als ich im Bett lag, und nicht meinem Vater. Warum mochte er mich nicht?
Josh
In der Nacht bekam ich kaum ein Auge zu. Immer wieder musste ich an Bill denken und die Angst raubte mir fast den Atem. Am liebsten hätte ich meine Mutter angerufen, um zu fragen, ob wenigstens bei ihr alles in Ordnung war. Aber das konnte ich um diese Uhrzeit natürlich nicht tun. Mom musste sowieso früh raus, um meine Schwester aus dem Bett zu trommeln, was bei Teenagern manchmal Schwerstarbeit war, aber danach ging sie gleich zu einem ihrer zwei Jobs. Sie arbeitete vormittags als Schulkrankenschwester in einer Grundschule und putzte am Abend noch einige Büros. Da war keine Zeit zum Telefonieren, wenn sie nicht auf ihr Frühstück verzichten wollte.
Meine Schwester Denise besuchte seit dem Sommer die Highschool und machte ihr noch zusätzlich Probleme. Zu gern würde ich ihr mehr Geld schicken, um sie zu unterstützen, damit sie weniger arbeiten musste. Aber seit ich bei ihrem Bruder und seiner Frau rausgeflogen war, ging mein Geld für die Miete und Co drauf, obwohl die Wohnung, die Jayden und ich bewohnten, nicht teuer war für Las Vegas.
Die neue Wohnung über Lillys Tanzstudio würde ein bisschen billiger werden, aber bisher war der Umbau nicht ganz beendet. Und in Zukunft würde es noch etwas langsamer vonstattengehen. Bill benötigte unsere Hilfe, wenn er entlassen wurde – den Gedanken, dass er sterben könnte, verdrängte ich schnell wieder. Und zweitens mussten wir auf die Kurszeiten achten bei lauten Arbeiten. Die Tanzschule brauchte einen guten Ruf, um zu überleben, und mit Baulärm war das schwierig.
Mein Blick wanderte zur Uhr. Es war schon drei und ich lag immer noch wach. Obwohl ich bereits seit zwei Jahren nicht mehr rauchte, überkam mich plötzlich das Bedürfnis nach einer Kippe, um meine Nerven zu beruhigen. Aber natürlich hatte ich keine und nach Bills erstem Herzinfarkt hatten wir auch seine Zigaretten alle entsorgt.
Trotzdem hielt mich nichts mehr auf dem Sofa und ich trat hinaus auf die Dachterrasse. Wir alle liebten diese grüne Oase hier in der Stadt mitten in der Wüste. Bill hatte wirklich etwas Wunderbares geschaffen mit diesem Ort. Nein. Mit dem ganzen Club. Das Blue Moon war so viel mehr als nur ein Arbeitsplatz. Die anderen Tänzer mehr als nur Kollegen. Es war eine Heimat und die Leute, die hier arbeiteten, waren meine Ersatzfamilie. Deshalb hatte ich das Strippen auch nicht aufgeben wollen, als mein Onkel mich erpresst hatte. Entweder mein Job oder das Zimmer bei ihm. Natürlich war der Plan ganz anders gewesen, als ich hierhergezogen war.
Medizin wollte ich mal studieren, dabei war mein Collegeabschluss eher mittelmäßig, weil ich die ganze Zeit so viel arbeiten musste. Erst als ich mit dem Strippen angefangen hatte, konnte ich die anderen Jobs etwas reduzieren, aber mein Onkel verstand das nicht. Für ihn betrieb ich hier Unzucht.