Act of Love and Crime - Ein Mann der besonderen Art - Lotte Römer - E-Book
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Act of Love and Crime - Ein Mann der besonderen Art E-Book

Lotte Römer

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Beschreibung

Matthew ist anders als andere Männer. GANZ anders. New York City, Downtown Manhattan: Nach einer schlimmen Enttäuschung fällt es Mia schwer, wieder Vertrauen zu fassen. Sie konzentriert sich auf ihre Arbeit als Inhaberin einer kleinen Boutique, bis Matthews Anzeige in der Zeitung ihre Aufmerksamkeit erregt. Mia schreibt ihm einen Brief und aus einem werden viele - bis Matt eines Tages entlassen wird. Er ist ein ganz wunderbarer Mann - it einer brutalen, düsteren Vergangenheit. Eines Abends kommt Matt nicht nach Hause und als er später auftaucht, verweigert er jedes Gespräch. Dann kommt auch noch die Polizei und sucht nach ihm. Mia steht vor der alles entscheidenden Frage: Wer, verdammt noch mal, ist dieser Kerl wirklich?

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ACT OF LOVE AND CRIME

EIN MANN DER BESONDEREN ART

LOTTE RÖMER

INHALT

Act of Love and Crime

Kurzbeschreibung

Anmerkung

1. „Im Ernst?“

2. „Matthew?“

3. „Das war Matthew?“

4. „Mia? Oh Gott, Mia!“

5. „Es tut mir so leid!“

6. „Wo ist Mr. Meyers?“

7. „Du hattest recht!“

8. „Prinzessin, wo bist du?“

9. „Er ist nicht der Typ dafür.“

10. „Er ist hier.“

11. „Lass sie in Ruhe!“

12. „Ich kann das nicht.“

13. „Kommem Sie rein!“

14. „Vendetta“

15. „Mia!“

16. „Ich?“

17. „Bye, Mia.“

Epilog

Leckere Rezepte

ACT OF LOVE AND CRIME

Ein spannender Liebesroman von Lotte Römer

KURZBESCHREIBUNG

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

New York City, Downtown Manhattan:

Nach einer schlimmen Enttäuschung fällt es Mia schwer, wieder Vertrauen zu fassen. Sie konzentriert sich auf ihre Arbeit als Inhaberin einer kleinen Boutique, bis eine Anzeige in der Zeitung ihre Aufmerksamkeit erregt. Matthew, der sich in Haft befindet, sucht nach einer Frauenbekanntschaft.

Mia schreibt ihm einen Brief und aus einem werden viele - bis Matt eines Tages entlassen wird. Er ist ein ganz wunderbarer Mann, obwohl er eine brutale, düstere Vergangenheit hat. Doch dann kommt es zu einem Vorfall, der Mias Vertrauen kräftig ins Wanken bringt.

Ist Matthew wirklich der Mann, der er vorgibt zu sein?

Ein Roman aus der Reihe der „New York Lovestorys“.

Freut euch darauf, vertraute Protagonisten wieder zu treffen – allen voran die wunderbare Violetta Zucchelli.

Aus der Reihe sind bereits erschienen:

Sweet Temptation - Ein Milliardär zum Verlieben (Karin Koenicke/Lotte Römer)

Pretty Womanizer - Ein Gigolo zum Vernaschen (Karin Koenicke)

Body Kiss - Mit Geld nicht zu bezahlen (Lotte Römer)

Winter Love - Ein Arzt für alle Fälle (Lotte Römer)

ANMERKUNG

Alle Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Aber in meinem Kopf habe ich die Tür zu „Pastry Passion“ jetzt schon so oft aufgemacht, dass ich die leichte Abnutzung des Holzes, an der Stelle wo alle mit der Hand hinfassen, vor meinem inneren Auge sehe und den Duft rieche, der mir entgegenkommt, nach Kaffee und frisch gebackenem Kuchen. Ich kann den Chocolate Cupcake schmecken und sehe Violetta hinter dem Tresen, mit diesen tiefen Lachfältchen um die Augen und der Turmfrisur. Und dass ich das so genau sehen kann macht die ganze Story in meinem Herzen schon sehr wahr.

Ich freue mich über jeden, der mich auf Facebook besucht – und zwar hier:

https://www.facebook.com/lotteroemerschreibt

1

„IM ERNST?“

Liebe Mia,

danke, dass du dir die Zeit nimmst, auf meine Anzeige zu antworten. Ich habe mich so gefreut über deine Zeilen. Es ist oft sehr einsam hier, weißt du. Ich schaue durch die Gitter und frage mich, was in der Welt draußen vorgeht. Seit Jahren bin ich schon hier, seit viel zu vielen Jahren... Ich wünschte so oft, dass ich die Zeit zurückdrehen und meine Vergangenheit ungeschehen machen könnte. Aber es bringt mir ja nichts, ich kann nur die Zukunft verändern – und damit fange ich ja gerade an.

„Und machst du es?“ Mias Mitarbeiterin Tonya legte gerade einen Pullover mit Glitzerpailletten zusammen und stapelte ihn vorsichtig auf einen anderen, während Mia damit beschäftigt war, Jacken auf Kleiderbügel zu sortieren.

„Ich glaube schon.“ Sie hängte den Bügel in eine Kleiderstange.

„Im Ernst?“ Tonyas Augen wurden groß. „Wow. Ich würde mich das nicht trauen. Schließlich ist er ein Knasti.“

„Tonya! Nicht so laut“, zischte Mia und schaute hinüber zu zwei Kundinnen, die allerdings völlig unbeeindruckt weiter auf eine Kunstlederjacke in orange starrten und über das Kleidungsstück diskutierten.

„Na, aber ist doch wahr.“ Tonya schürzte ihre pink geschminkten Lippen zu einem Schmollmund und griff sich ein T-Shirt. „Oh, ist das süß, das muss ich haben.“

Auf dem Shirt war ein Krönchen aufgestickt und darunter stand „City Princess“. Es war genau das, was Mia niemals kaufen würde. Sie selbst mochte zwar auch bunte Farben, aber Aufschriften waren ihr persönlich eher zuwider. Die Kundschaft stand jedoch auf solche Teilchen und demzufolge bestellte Mia sehr gern diese extravaganten Stücke für „Get Dressed“, ihre kleine Boutique. Verstohlen schaute Tonya auf das Preisschild.

„Halber Preis und du bleibst am Samstag ein halbes Stündchen länger?“ Mia zwinkerte ihrer Angestellten zu, auf deren Gesicht sich sofort ein breites Grinsen zeigte.

„Du bist die beste Chefin der Welt!“ Tonya machte Anstalten, zu Mia herüberzukommen, aber die hob abwehrend die Hände.

„Schon gut, schon gut!“ Sie musste lachen. Eine Weile arbeiteten die beiden Frauen schweigend weiter.

„Wann wirst du ihn treffen? Besuchst du ihn vorher noch?“ Tonya war wirklich nicht abzulenken, wenn sie sich mal in ein Thema verbissen hatte. Über die Jahre, in denen sie als Verkäuferin in Mias Boutique arbeitete, war sie zu einer sehr guten Freundin geworden. Und da sie sich jeden Tag sahen, wussten sie natürlich viel voneinander.

Mia schüttelte den Kopf. Sie bügelte noch eine Jacke auf. „Nein. Das möchte Matthew nicht. Und ich auch nicht, ehrlich gesagt.“

Tonya war zu einem Spiegel hinübergegangen und hielt sich ihre Neuanschaffung vor die Brust. „Aber dann kaufst du ja die Katze im Sack, oder? Ich meine, du hast ihn noch nie gesehen, nicht einmal ein Foto.“

„Ja, das stimmt. Aber ich habe seine Briefe. Und immerhin ist er ehrlich zu mir, was man nicht von jedem Mann sagen kann.“ Mia hörte selbst, wie Bitterkeit von ihrer Stimme Besitz ergriff. Eine Wut, die sie immer noch ergriff, auch nach fast einem Jahr allein, wenn sie an Leroy zurückdachte und daran, wie er sie belogen und betrogen hatte. Dieser Mistkerl! Er war keine Emotion wert, nicht einmal ihre Bitterkeit und sie wünschte sich nichts mehr, als ihm gegenüber irgendwann nichts mehr außer Gleichgültigkeit zu empfinden. Aber anscheinend saß der Stachel noch viel zu tief.

„Nicht jeder Mann ist ein Leroy, Mia.“ Tonya kannte sie gut, auch ohne dass sie es aussprechen musste. Ohne ihre Mitarbeiterin hätte sie die schwere Zeit nach der Trennung nicht überstanden. Tonya war oft für sie eingesprungen, hatte zugehört und mit ihr gemeinsam solidarisch über Leroy geschimpft.

So richtig gut ging es Mia eigentlich erst seit ein paar Monaten wieder. Und sie musste zugeben, dass daran nicht zuletzt Matthews Briefe ihren Anteil hatten. Der Mann, egal wie er auch aussehen mochte, konnte mit Worten umgehen, wie sie es noch nie erlebt hatte. Etwas an seiner Art ihr zu schreiben berührte eine Stelle in ihr, die noch nie ein Mann vorher berührt hatte. Er vermochte es, mit seinen Sätzen buchstäblich ihre Seele zu streicheln. Und dieses Gefühl war einfach überwältigend schön.

„Nein. Matt ist kein Leroy“, stimmte Mia ihrer Freundin zu. Allein seinen Namen auszusprechen, zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht.

„Es gibt so viele tolle Männer da draußen.“ Tonya verdrehte ihre Augen. „Ich meinte nicht unbedingt Matt, den Knasti.“

„Aber ich.“ Mia strahlte noch immer. Ja, sie würde der Sache mit Matthew eine Chance geben. Sie musste es einfach tun, weil ihr Gefühl es so wollte. Am Tag seiner Entlassung aus dem „Darkmouth Prison“, dem Hochsicherheitsgefängnis etwas außerhalb von New York, würde Mia ihn abholen. Ihre Neugier auf ihn war mit jedem Brief noch mehr gewachsen.

Sie saß Abende lang in ihrer Wohnung, die kleine Kiste voller Briefe auf dem Schoß, und las einen nach dem anderen. Konnte man sich in die Art, wie ein Mensch Briefe schrieb, verlieben? In jedem Fall hatten seine Briefe bewirkt, dass sie sich ihm nah und vertraut fühlte. Er war ein guter Mensch, ganz bestimmt.

„Bitte, Mia, sei vorsichtig. Stürze dich nicht einfach in eine neue Beziehung, weil du dich einsam fühlst. Das mit Leroy hat dich so viel gekostet und ...“

Mia ließ ihre Freundin nicht ausreden. „Ist ja gut. Ich stürze mich in gar nichts. Ich habe alles genau geplant. Matthew wird in eine Pension ziehen. Er hat noch ein paar Ersparnisse von vor der Haft. Er kann sehr gut auf eigenen Beinen stehen.“

Noch immer war Tonyas Blick skeptisch. Wie sollte sie ihr auch erklären, was Matthew ausmachte? Dass er so ganz anders war als alle Männer, denen sie je begegnet war? Dass sie das Gefühl hatte, er war einfach er selbst und dass das etwas war, das sie mehr als alles andere an ihm faszinierte, dieses Ehrliche, schonungslos Offene?

Nachdem Leroy es nicht einmal für nötig befunden hatte, ihr zu erzählen, dass er arbeitslos geworden war und still und heimlich ihr Geld durchgebracht hatte, kam es ihr wie die reinste Wohltat vor, dass jemand nur er selbst war. Deshalb war die Anzeige von Matt in der Times für sie auch kein Schock gewesen, sondern vielmehr angenehm ehrlich. „Mann, 38, hat nur sich selbst zu bieten. Derzeit in Haft mit baldiger Entlassung. Wer schreibt mir?“

Mia war an der Frage hängengeblieben. Und sie hatte mehr wissen wollen. Es war blanke Neugier, die sie getrieben hatte, zum Kugelschreiber zu greifen. Sie wollte wissen, wer hinter den schlichten Zeilen stand, was das für ein Mensch war. Die Gitter zwischen ihr und ihm boten ihr eine gewisse Sicherheit und seine Briefe ließ sie in die Boutique schicken, so dass er ihre Privatadresse ohnehin nicht wusste. Mia war vorsichtig. Sie hatte aus der Sache mit Leroy gelernt. Fast zu spät, aber immerhin.

Wenn sie ihn also vor dem Gefängnis traf und merkte, dass er anders war, als sie es glaubte, oder, noch schlimmer, sie ihn gar nicht riechen konnte, dann würde sie ihn in die Stadt mitnehmen, ihn bei der Pension rauswerfen und die Sache wäre damit erledigt. Wenn sie sich aber nicht täuschte... Schlagartig wurden die Bewegungen, mit denen sie eine weitere Jacke aufhängte, fahriger. Ja, sie hatte das Alleinsein satt. Sie wünschte sich von Herzen, dass Matthew der Mann ihres Lebens sein würde, ihr Seelenverwandter.

„Du fährst ihn also abholen? Das ist dein letztes Wort?“

„Ja.“

„Wann ist es denn soweit?“ Tonya hob die Augenbrauen.

„In drei Tagen schon.“ Mia konnte nicht glauben, dass die vier Monate, seit sie Matt kannte, endlich vergangen waren.

„Nimmst du mich mit?“

„Tonya, ich brauche keine Anstandsdame.“

„Das nicht. Aber jemandem mit einem Taschenmesser vielleicht.“ Seit Tonya mit ihrem Freund James zusammen war, seines Zeichens ein Cop beim NYPD, war sie noch misstrauischer geworden.

„Es wird nichts passieren“, antwortete Mia im Brustton der Überzeugung. „Lass mich einfach machen, ja?“

Ganz so sicher wie sie geklungen hatte, war sie sich ihrer Sache nicht. Tonyas Geunke hatte natürlich längst seine Wirkung getan. Aber, so dachte Mia, sie wollte die erste Begegnung mit Matt allein erleben. Er sollte nicht glauben, dass sie misstrauisch ihm gegenüber war. Ganz im Gegenteil.

Gedankenverloren schaute Mia den beiden Kundinnen hinterher, die den Laden verließen, ohne das Lederimitat-Teil gekauft zu haben.

„Du bist dir sicher?“ Tonya riss sie aus ihren Gedanken. Sie war wie eine hängengebliebene Schallplatte.

„Natürlich.“ Mia hatte die letzte der Jacken auf einen Bügel gehängt.

„Dann nimm wenigstens das hier mit, ja?“ Tonya war hinter den Verkaufstresen gestöckelt und hatte wie von Zauberhand ein Pfefferspray zum Vorschein gebracht.

„Bitte. Hier.“ Sie hielt Mia das Spray hin, die zögernd danach griff.

„Es schadet nicht, es in der Handtasche zu haben, ganz generell ist New York ein Pflaster, auf dem das nicht schadet. Was Jimmy so erzählt, du würdest die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.“ Tonya war aktuell sehr verliebt. Jimmy kam in jedem zweiten Satz vor.

„Na gut“, willigte Mia ein. „Ich pack es in meine Tasche. Zufrieden?“

Tonya grinste siegessicher. „Sehr.“

„Wunderbar. Dann können wir eben zum Mittagessen rüber zum Italiener, oder?“

Natürlich nickte Tonya begeistert. Keine Ahnung, wie es der Freundin gelang, ihre schlanke Linie zu waren. Sie war kein bisschen sportlich und Mia wusste, dass Tonya zu einer Pizza niemals Neinsagen konnte – wie sie selbst. Aber bei ihr war leider offensichtlicher, dass sie keine Kostverächterin war.

„So. Und jetzt erzählst du mir, was es Neues von deiner großen Liebe gibt, ja?“ Als Mia den Schlüssel ins Schloss ihrer Ladentür steckte, war Tonya schon zu Höchstform aufgelaufen und plapperte ohne Punkt und Komma. Musste Liebe schön sein! Mia grinste in sich hinein.

2

„MATTHEW?“

„Matthew?“

Liebe Mia,

besuche mich nicht. Bitte, tu das nicht. Alles wäre falsch, wenn du kämst. Die Gitter, das Geräusch der Schlüssel in den Schlössern, meine orange Gefängniskleidung (die Farbe steht mir nicht!), die Blicke der anderen, dass ich dich nicht in die Arme schließen kann, wie ich es mir wünsche.

Lass uns gemeinsam neu anfangen, wenn das hier vorbei ist, ja? Lass uns nach vorne sehen, alles zurücklassen und schauen, was sich entwickelt. Ich freu mich schon so sehr auf April, ich kann es kaum noch erwarten, dich endlich richtig kennenzulernen.

21. April. Das Datum war wie in ihren Kopf eingebrannt. Und jetzt war der Tag da. Mia wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, ihr Auto unfallfrei zum Gefängnis zu steuern. Das Darkmouth-Gefängnis lag jetzt vor ihr und in einer halben Stunde würde Matthew durch das Tor nach draußen treten und ein freier Mann sein.

Mia schwitzte, Mia fror, ihre Hände zitterten und sie konnte nicht still auf einer Stelle stehen. Seit sie den Wagen geparkt hatte, ging sie ruhelos auf und ab, in Erwartung des Mannes, der gleich durch das Tor kommen würde.

In ihrer Tasche knisterte Papier. Es war der schönste Brief, den sie je von Matthew bekommen hatte. Sie hatte ihn mitgenommen, weil sie etwas gegen die Zweifel brauchte, die unweigerlich aufkamen, wenn sie an Tonya dachte oder einfach nur auf das Gebäude schaute, vor dem sie jetzt auf diesen ganz besonderen Mann wartete, von dem sie nicht einmal wusste, wie er überhaupt aussah. Sie tastete nach dem Brief, in dem er ihr von seiner Sehnsucht erzählte. Sie kannte ganze Absätze auswendig. „Mein Hunger nach Freiheit und Leben ist unstillbar und jetzt nicht mehr nur ein dubioses Gefühl, sondern eines, das mich antreibt, durchzuhalten, weiterzumachen bis zu dem Tag, an dem sich die Türen wieder für mich öffnen werden.“ Er hatte von seinem Wunsch, das Salz des Meeres zu riechen, der Freude auf das Leben, wie ihn der Gedanke daran antrieb, in die Wellen einzutauchen, das Rauschen zu hören, das kühle Wasser am ganzen Körper zu spüren, antrieb. „Im offenen Meer zu schwimmen, eintauchen in die Stille, das Kühle, und frei atmen. All das kommt anderen Menschen so selbstverständlich vor. Für mich wird es wie ein Geschenk sein.“ Er hatte von der Dunkelheit geschrieben, die er in der Haft oft als bedrohlich empfand, bedrohlich für seine Stimmung, wie mit der Dunkelheit auch die Traurigkeit und die Verzweiflung einhergingen. „Aber die Tage, wo ich an einem Strand liege, den Sand zwischen meinen Fingern hindurchrieseln lasse – am liebsten mit dir, nicht allein – werden kommen. Ich versuche zu spüren, wie sich die winzigen Körnchen anfühlen, wie es ist. An diesem Gedanken halte ich mich fest, wenn es zu finster wird.“

Mia schaute hinüber zu dem Gefängnis, das sich wie eine feindliche Macht vor ihr erhob. Sie verstand jetzt, was Matt mit der Finsternis gemeint hatte. Der Eingangsbereich war ein Hochsicherheitstrakt mit einem riesigen Tor, in das eine kleine Tür eingelassen war. Das Gebäude war ein abweisender, dunkelgrauer Betonklotz. Ein Stück weiter die massive Mauer entlang befand sich ein hoher Turm, in dem zwei Wachen angespannt ins Innere des Komplexes schauten und manchmal in Funkgeräte sprachen. Die Scheiben des Empfangsgebäudes dagegen waren verdunkelt. Alles wirkte wahnsinnig abweisend. Auch der Stacheldraht, der die ohnehin schon mindestens vier Meter hohen Mauern noch bedeckte, gab dem Ganzen etwas ungemein Feindliches. Fröstelnd hüllte Mia sich in ihre dicke Strickjacke. Sie hatte bewusst auf ein eher konservatives Outfit gesetzt. Dezentes Make Up, ein zartes Lipgloss und nur ganz wenig Wimperntusche, die Haare waren bewusst so gestyled, dass sie aussahen, als hätte sie ihnen überhaupt keine Beachtung geschenkt. Sie wollte nicht, dass Matthew gleich wusste,wie wichtig ihr dieses erste Treffen mit ihm war. Einzig ihre enge Hose ließ auf ihre Figur schließen, die ab Kniehöhe schon in der kuscheligen Jacke verschwand. Sie war ein wenig pummelig, aber alles war an der richtigen Stelle. Immer wieder warf Mia einen Blick auf ihre Armbanduhr. Jetzt, so allein in der kühlen Morgenluft vor dem Gefängnis, von dem etwas Bedrohliches, Finsteres ausging, holten Mia die Bedenken ein, die Tonya ihr in so vielen Gesprächen versucht hatte einzuimpfen.

Was, wenn Matthew ein gewalttätiger Killer war? Sie wusste so gut wie nichts über ihn, außer, dass er bereute, was er getan hatte. Seine Strafe war lang gewesen, fünfzehn Jahre. Was machte das mit einem Menschen, wenn er fünfzehn Jahre lang hinter Gittern verbrachte? Das ging doch an niemandem spurlos vorüber?

Mia fröstelte erneut. Nein. Das konnte man nicht unversehrt überstehen. Ein erneuter Schauer jagte über ihren Rücken. Sie trat von einem Bein aufs andere, um die Kälte und ihre Befürchtungen zu vertreiben. Schließlich hatte sie sich entschlossen. Sie war hier. Sie wollte Matt eine Chance geben. Jeder verdiente das. Außerdem hatte er die Strafe abgesessen.

Sie holte den zerknüllten Brief aus ihrer Handtasche und las einen kleinen Absatz. „Magst du die Sterne? Ich sehe nicht so aus, aber ich mag sie sehr. Wenn ich mir vorstelle, wir sind draußen in der Natur, irgendwo, wo man weit blicken kann und die Freiheit in ihrer vollen Größe spürt, und es ist dunkel, ein Lagerfeuer ist vielleicht heruntergebrannt und die Luft riecht noch nach den Flammen, dann geht mir das Herz auf. Wir schauen nach oben, sehen den Sternschnuppen beim Fallen zu, reden die ganze Nacht und sind nur da. So stelle ich mir die Zukunft vor. Entschuldige, wenn du mich jetzt für einen hoffnungslosen Softie hältst, ein Mann, der von Sternen und dem Meer schreibt. Gähn! Ein Glück, dass ich wenigstens tätowiert bin, sonst würde ich überhaupt nicht als harter Kerl durchgehen.“

Wie immer grinste sie, wenn sie diese Zeilen las. Nichts mehr wünschte sie sich von einer Beziehung: ein wenig Romantik, Ehrlichkeit, einfache, schöne Dinge. Sie brauchte keinen Anzugträger mit Luxuslimousine. Nur einen Menschen, der dachte wie sie selbst.

In diesem Moment hörte sie ein Summen. Die kleine Tür, die in das große Ungetüm von einem Tor eingelassen war, ging auf. Ohne dass sie es bemerkt hätte, hielt Mia den Atem an.

Zwei Männer traten heraus. Einer war klein, dürr, mit einer schäbigen Tasche. Der Typ hatte etwas Verschlagenes, lauernde Augen, stechender Blick, Hakennase. Oh Gott! Genauso hatte sie sich einen typischen Knastbruder vorgestellt. Wenn das Matthew war, dann... Gut, dass sie das Pfefferspray von Tonya eingepackt hatte. Mia schnappte nach Luft, als der Kerl sie von oben bis unten musterte und ihr ein anzügliches Grinsen zuwarf. Bitte nicht! Der Mann kam direkt auf sie zu.

Der zweite Typ hielt sich im Hintergrund. Er war groß wie ein Schrank. Jemand, den man gern auf seiner Seite wusste und dem man ansonsten aus dem Weg ging. Akkurat geschnittene Haare, ein einfaches Hemd, das sein breiter Brustkorb fast sprengte, Jeans. Sobald er das Tor passiert hatte, lehnte er sich gegen die Wand, schloss die Augen und tat gar nichts. Das konnte nicht Matthew sein. Der wäre doch sicher sofort auf sie zugekommen, jedenfalls schätzte sie ihn nach seinen zahlreichen Briefen so ein.

Und auf sie zu kam der kleine, unangenehm schmierig wirkende Knastbruder und grinste sie anzüglich an. Das war also Matt. Eine Enttäuschung, eine totale Enttäuschung. Ihr Körper blockierte, kein klarer Gedanke war mehr zu fassen. Sie versuchte ein Lächeln, aber das misslang ihr kräftig. Sie spürte es, aber war total machtlos gegen sich selbst. All seine schönen Worte, seine zarten, intensiven, emotionalen Briefe konnten das nicht aufwiegen, was sie sah, wie sie ihn aufgrund seines Äußeren einschätzte. Er stieß sie ab. Das musste sie sich eingestehen.

Als der Mann fast auf einer Höhe mit ihr war, zwang sie sich zu sprechen.

„Hi.“ Ihre Stimme war wie ein Stück Schmirgelpapier.

Der Mann mit der Hakennase schaute sie provozierend an und blieb stehen.

„Hi.“

Wieder dieser gierige, musternde Blick!

„Matt?“, fragte Mia. Sie war fast nicht zu hören.

Ihr Gegenüber grinste. „Wäre ich gern.“

Mehr sagte er nicht. Er wechselte nur seine kleine Tasche in die andere Hand, zog die Nase hoch und ging an ihr vorbei.

Pfeifend ließ Mia die Luft aus ihren Lungen. Was für eine Erleichterung!

Der andere Mann stand noch immer gegen die Wand gelehnt da. Er hatte seine schwarze Sporttasche neben sich fallen gelassen und tat weiterhin nichts. Seine Arme hingen einfach an ihm herunter. Das Gesicht wandte er der Frühlingssonne zu, deren Strahlen gerade an Wärme gewannen. Mia schaute ihn sich genauer an. Ein Bart umrahmte seinen Mund und unterstrich noch mehr seine maskuline Ausstrahlung. Er war auf harte Weise attraktiv. Zögerlich ging Mia auf den Mann zu. Als sie fast vor ihm stand, konnte sie hören, wie tief er die Morgenluft einsog, sich anscheinend vollkommen darauf konzentrierte, zu atmen. Mia räusperte sich. „Matthew?“

Schlagartig öffneten sich seine Augen, sein Körper stieß sich blitzschnell von der Wand ab. Es war, als würde sich ein Bogen spannen. Er schoss förmlich in ihre Richtung, wie ein Pfeil. Ein Blick aus dunkelblauen Augen traf sie. Augen so tief wie das Meer. Sein Blick traf sie mitten ins Herz, erst hart, wie eine riesige Welle, die gegen eine Steilküste schlug, doch dann löste sich die Spannung in seinen Augen und wurde weich, ein Plätschern und Rauschen, sanft, sodass sie darin eintauchen wollte.

„Du bist wirklich gekommen.“ Matthew war mindestens einen Kopf größer als sie selbst und doppelt so breit. Er schaute auf sie herunter.

„Äh, natürlich. Ich ...“ Mia brachte keinen geraden Satz heraus. Seine Präsenz erschlug sie förmlich, die Intensität seines Blickes, das Wechselspiel der Gefühle, das er in wenigen Sekunden gezeigt hatte.

„Ich habe dir doch geschrieben, dass ich komme. Ich halte mein Wort.“

„Danke.“ Ein einziges Wort. Matthews Augen glühten auf. Ein Strahlen ergriff von ihnen Besitz. Er streckte ihr seine Hand entgegen. Mia legte ihre Hand in seine. Sie verschwand fast zwischen seinen Fingern. Behutsam schlossen sich seine Finger um ihre. Sie fühlten sich fast heiß an, als er ihren Händedruck erwiderte. Mia spürte, wieviel mehr Kraft hinter dem sanften Zusammendrücken ihrer Hand lag. Dieser Mann war ein einziges Muskelpaket.

„Ich bin gern gekommen.“ Und das war die Wahrheit. Es hatte sich richtig angefühlt, diesen Mann mit den schönen Worten kennenzulernen.

Matthew schaute sich um, warf einen Blick zurück auf graues Mauerwerk, Stacheldraht und den Wachturm. Jetzt erst registrierte Mia die Kameras, die an allen möglichen Ecken angebracht waren und sie beobachteten.

„Wollen wir los?“, fragte sie, weil sie plötzlich wieder das unangenehme Gefühl der Beklemmung spürte, das sie schon bei ihrer Ankunft empfunden hatte.

Matthew grinste sie an.

„Nichts lieber als das.“ Seine Stimme war tief, brummig, ein Bass. Er nahm seine schwarze Sporttasche und sie liefen los.

„Ich parke da hinten.“ Sie zeigte in eine Richtung. „Das blaue Auto.“

Matt lief sofort los, machte lange Schritte, gehetzt, wie ein Tier, das auf der Flucht war. Mia konnte zusehen, dass sie ihm hinterherkam. Wer hätte ihm seine Eile verübeln können?

* * *

Mia spürte Matthew neben sich. Die Luft im Auto roch nach ihm, nach Citrus und ein wenig nach Kaffee. Sein Duft gefiel ihr. Ungewöhnlich, aber so, dass sie ihn tief einsog. Sie schwiegen beide. Es fiel Mia schwer, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Sie wünschte, sie hätte ihn anschauen, das Bild, das sie sich bereits von ihm gemacht hatte, weiter zeichnen können.

„Darf ich das Fenster einen Spalt öffnen? Ich weiß, es ist kühl draußen, aber ich würde irre viel dafür geben, den Fahrtwind zu spüren. Also, wenn dich das nicht stört. Nur dann“, fügte er beinahe schüchtern hinzu.

„Klar. Mach auf!“ Wie es wohl war, fünfzehn Jahre lang nicht Auto zu fahren? Nur an einem Platz zu sein? Wie mochte sich das anfühlen? Welche Gefühle da wohl gerade auf Matthew einströmten?

Wie leicht es gewesen wäre, ihm all diese Fragen in einem Brief zu stellen. Und wie schwer es war, jetzt im Auto miteinander erste Worte zu finden. Es war so anders, was zuvor fast wie eine Geschichte in einem Buch gewesen war, war jetzt Realität. Mia setzte den Blinker und überholte einen alten Laster, der vor ihr auf dem Highway vor sich hin zuckelte.

Es wurde schlagartig kühl im Auto, als Matt das Fenster einen Spalt breit öffnete.

„Großartig.“ Er lachte leise. Dann wandte er sich Mia zu. „Ich habe dieses Gefühl total vermisst, wie der Fahrtwind einen im Gesicht streichelt. Bevor ich inhaftiert wurde, hatte ich einen alten Lieferwagen, mit dem bin ich hin und wieder aufs Land gefahren. Viel zu selten, meistens war ich ... äh ... zu beschäftigt.“ Eine Sekunde lang wirkte Matt verlegen. Doch dann fing er sich sofort wieder.

„Wie geht es dir?“

„Ich glaube, ganz gut.“ Ihre Stimme hatte ihren normalen Klang noch nicht wiedergefunden. „Und dir?“

Matt lachte leise. „Was glaubst du?“

Mia grinste und bremste an einer roten Ampel. Sie schaute zu ihm hinüber. Seine große Gestalt nahm den ganzen Beifahrersitz ein. Er hatte sich bequem und breitbeinig hingesetzt. Er sah aus wie jemand, der genau wusste, wer er war. Erstaunlich, nach so langer Zeit hinter Gittern. Aber er hatte ihr ja geschrieben, dass er viel Zeit investiert hatte, um sich selbst mögen zu lernen.

Gebannt schaute er auf die vorbeiziehende Landschaft.

„Es ist ein großartiges Gefühl, draußen zu sein. Ich habe so lange auf diesen Tag gewartet. Und dass ich nicht alleine dastand... Mia, das vergesse ich dir nie.“

Verlegen rutschte Mia auf ihrem Sitz herum. „Kein Problem, habe ich dir doch geschrieben.“

„Ja. Aber ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist für einen wie mich.“ Matt fuhr sich über die Augen, eine schnelle Geste nur, die viel Verlegenheit, ja, Verletzlichkeit zeigte. Dieser Turm von einem Mann hatte eine weiche Seite. Die Briefe hatten Mia nicht getäuscht, das wusste sie in diesem Augenblick mit hundertprozentiger Sicherheit.

„Sag mal, können wir irgendwo auf einen Kaffee halten? Einen, der nach Kaffee schmeckt, meine ich? Ich habe jahrelang keinen ordentlichen, italienischen Kaffee mehr getrunken, dabei bin ich ein unglaublicher Kaffeesüchtling, das ist mein schlimmstes Laster. Tut mir leid, ich weiß, ich habe gerade viele Wünsche, aber ...“

Mia ließ Matt nicht ausreden. „Na klar, mach dir keinen Kopf. Ich trinke auch gern Kaffee. In der Boutique habe ich eine Kundin, die betreibt eine Konditorei. Es soll dort wunderbaren, original italienischen Kaffee geben. Ganz besonders beliebt ist der Amaretto-Macchiato, sagt Violetta, so heißt sie. Da könnten wir uns doch einen gönnen.“

„Oh nein, keinesfalls.“ Die Stimme Matts klang so abweisend und hart, dass Mia ihm einen erschrockenen Blick zuwarf. Was hatte sie denn Falsches gesagt? Er bemerkte ihre Reaktion sofort.

„Entschuldige.“ Sofort klang er wieder eine Nuance sanfter. „Ich trinke nicht. Niemals.“

Die Härte und Konsequenz, die in seiner Stimme lag, war abschließend. Er begann, seine Hände, die eben noch entspannt in seinem Schoß gelegen waren, unruhig zu kneten. Mia hätte gerne nachgefragt, was ihn dazu bewog, bei dem Thema so heftig zu werden. Aber sie wagte es nicht. Dieses Harte, Bestimmte, das er so plötzlich zeigen konnte, das er auch schon am Gefängnistor gezeigt hatte, verunsicherte Mia.

„Außerdem mag ich meinen Kaffee lieber stark und schwarz“, fügte Matthew noch hinzu, jetzt wieder etwas sanfter. Auch seine Finger hörten mit ihrem Tanz auf und kamen langsam zur Ruhe. „Weißt du, wenn der Löffel im Espresso steht, weil er so stark ist.“ Er lachte leise. „Und zu einem guten Stück Torte würde ich auch nicht Nein sagen.“

Mia nickte. Sie konnte sich vorstellen, dass es hinter Gittern keine annehmbaren Patisserie-Erzeugnisse gab. „Wir fahren zu ‚Pastry Passion’. Neulich hat Violetta mir ein paar Pralinen von dort mitgebracht und die waren so dermaßen lecker, dass ich eh mal vorbeischauen wollte. Noch dazu schwärmt Tonya, meine Mitarbeiterin, total von dem Laden – sie war schon ein paar Mal dort.“

Mittlerweile waren sie schon in der Stadt angekommen. Manhattan schien überzuquellen vor gelben Taxis und Menschen. Jetzt, bei sonnigem Frühlingswetter, zog es die Menschen hinaus an die frische Luft. Mia hoffte, dass Tonya in der Boutique allein gut zurechtkam.

Sie steuerte das Auto zum Stuyvesant Square Park und fand tatsächlich noch eine Lücke, in die sie den Wagen geschickt rangierte.

„Respekt, eine Frau, die autofahren kann.“ Matt grinste.

„Oh, ich kann noch ganz andere Dinge.“ Mia grinste zurück. „Warte mal ab, du wirst mich schon noch kennenlernen.“

„Das glaub ich. Ich kann es kaum erwarten“, lachte Matthew. Wieder dieser Blick, tief wie das Meer. Dazu der lockere Ton. Mia mochte, was sie sah, wenn sie ihm in die Augen schaute. Dieser Mann löste etwas in ihr aus. Er zog sie mit seiner puren Maskulinität, gepaart mit den sanften Momenten, die immer wieder hinter der Fassade hervorblitzten, magnetisch an.

„Mia? Wohin müssen wir?“ Matt riss sie aus ihren Gedanken. Sie fühlte sich ertappt und wandte sich schnell in Richtung 16. Straße. „Dort hinten ist es. Und Violetta Zucchelli ist ein echtes Original, du wirst schon sehen. Man hat viel mit ihr zu lachen.“

Gemeinsam liefen sie den kurzen Weg. Es waren nur fünf Minuten. Matthew war damit beschäftigt, in alle Richtungen zu schauen. Ein bisschen wie ein Kind, das gerade seine Umgebung erkundete. Neugierig, ein wenig aufgeregt vielleicht und wie ein Schwamm alles aufsaugend, was er sah.

Mia konnte sehen, welche Wirkung der Mann an ihrer Seite auf Frauen hatte. Viele Passantinnen starrten ihn an wie ein mittelgroßes Weltwunder. Er jedoch schien das gar nicht zu bemerkten. Sein Blick strich über die Häuserfronten, blieb an den Auslagen der kleinen Geschäfte hängen und studierte die Angebote.

„Es hat sich viel verändert.“ Matt sprach leise. Das Bedauern in seiner Stimme war unverkennbar. „Ich habe was verpasst.“ Eine tiefe Falte grub sich in seine Stirn.

Mia wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie lief einfach weiter neben ihm her.

„Schau, bei dem lila Schild ist schon die Konditorei.“

Matts Stirn glättete sich beim Anblick des schnörkeligen Schildes von „Pastry Passion“. Er rieb sich die Hände. „Wunderbar! Ich habe wahnsinnigen Hunger.“

„Ich auch. Ich habe heute nicht gefrühstückt.“ Sie war vorhin viel zu aufgeregt gewesen, um an ein Frühstück auch nur zu denken. Und tatsächlich, beim Gedanken an ein Stück Kuchen und einen Amaretto-Macchiato knurrte ihr der Magen. Nur weil Matt keinen Alkohol trank, musste sie selbst schließlich noch lange nicht verzichten.

Als das kleine Glöckchen über der Ladentür klingelte und sie in die Konditorei traten, schwirrte sofort Violetta aus einem Raum hinter dem Verkaufsbereich hervor wie ein bunter Schmetterling.

„Ach, Mia! Buongiorno! Endlich schauen Sie mal vorbei!“ Die alte Dame strahlte über das ganze Gesicht. Sie trug ein Shirt mit hellblauer Kunstfellapplikation aus der aktuellen Kollektion von TimTony, einem Label, das Mia seit Jahren im Sortiment hatte und das sich zunehmender Beliebtheit erfreute. Freilich eher bei jungen Leuten. Aber für Signora Zucchelli war das extravagante Kleidungsstück wie gemacht. Dazu trug sie eine dunkelblaue, hautenge Jeans, ebenfalls aus Mias Laden, das von einem kleinen, aufstrebenden Designer in Los Angeles stammte. Mia hätte die Sachen in dieser Zusammenstellung niemals kombiniert, aber als sie es jetzt an Violetta sah, erkannte sie, dass die beiden Teile wie füreinander geschaffen waren.

„Signora Zucchelli, Sie sehen wunderbar aus.“ Mia freute sich, die alte Dame zu sehen. Ihre Lebensfreude war einfach ansteckend. Violetta war längst hinter dem Tresen hervorgekommen und hatte ihre kleine, zarte Gestalt vor Matthew aufgebaut.

„Und Sie sind?“ Unverblümt musterte die Italienerin Mias attraktiven Begleiter.

„Nennen Sie mich einfach Matthew.“

„Matthew. Wunderbar! Ich hoffe, Sie sind Mias Bruder?“ Violetta stemmte eine Hand in die Hüfte und tastete mit der anderen nach ihrer Hochsteckfrisur. Dazu ließ sie ein perlendes, graziles Lachen hören.

Matt reagierte sichtlich überrascht. „Ich, also, ich ...“

Violetta legte ihre Hand auf seinen Arm. „Wunderbar, dass Sie mich besuchen.“

Wurde Matthew tatsächlich rot? Mia beobachtete das Schauspiel und amüsierte sich köstlich.

„Ich bin nicht Mias Bruder, glücklicherweise.“ Er zwinkerte Mia zu. „Wir sind wegen des Kaffees hier.“

Mit einer koketten, kleinen Bewegung ließ Violetta ihre Hand über Matthews Hemd gleiten. „Ein Jammer, dass ich schon so alt bin.“ Sie zwinkerte ihm zu.

Dann stöckelte sie auf ihren hohen Pumps zurück hinter den Tresen. „Mia, was kann ich für Sie und Ihren unverschämt gutaussehenden Begleiter tun? Gratulation, übrigens, zu so einem unglaublichen Mann. Warum haben Sie mir nie von ihm erzählt?“

Violetta nahm wirklich kein Blatt vor den Mund.

„Weil ich ihn, ich meine, ich habe ihn ...“ Mia fehlten die Worte. Es war, als hätte sie ein Brett vorm Kopf. Sie war eine schlechte Lügnerin. Was sollte sie jetzt sagen?

Da spürte sie Matts Arm, der sich vorsichtig um ihre Schulter schlang. „Wir haben uns gerade erst kennengelernt, wissen Sie?“

„Ach, wenn das so ist. Kein Wunder, dass ich da nicht bei Ihnen punkten kann. Unsere Mia hier ist ja auch ein echter Glückstreffer, oder?“

Bevor Matthew etwas antworten konnte, fand Mia ihre Sprache wieder. „Der New York Cheesecake sieht unglaublich gut aus.“

Glücklicherweise ließ Violetta sich ablenken. „Ja, nicht wahr? Und stellen Sie sich vor, ich habe ihn gebacken. Emilia – das ist meine Nichte, müssen Sie wissen – ist im Moment so sehr mit dem Baby beschäftigt, da helfe ich ein wenig aus. Für den Cheesecake habe ich allerdings vier Anläufe gebraucht. Aber jetzt – va bene!“

„Also ich versuch Ihren Kuchen. Und was nimmst du, Matthew?“

„Haben Sie einen Espresso?“

Violetta versuchte, beleidigt dreinzuschauen. „Na, hören Sie mal, ich bin Italienerin!“

„Un espresso doppio, prego.“ Sprach Matthew etwa italienisch? Mia schaute ihn überrascht an. Für sie hatte dieser Satz nach perfekter Aussprache geklungen, aber sie sprach kein italienisch.

Signora Zucchelli klatschte lachend in die Hände. „Bravo!“

Sie wandte sich einem Ungetüm von Kaffeeautomat zu und drückte verschiedene Knöpfe. Das Gerät erwachte sofort zum Leben.

Matt starrte in die Auslage, die wie ein sorgsam arrangiertes, kulinarisches Kunstwerk aussah. Es gab die verschiedensten Pralinen, mindestens sechs verschieden Torten, die alle aufwendig dekoriert waren und außerdem noch eine ganze Reihe verschiedener Muffins und Cupcakes.

„Ich nehme diesen Cupcake dazu. Den mit Bitterschokolade und gebrannter Mandel. Außerdem hätte ich gern noch eine dieser Pralinen mit der Rose drauf.“

„Natürlich.“ Violetta richtete die Köstlichkeiten auf zwei Tellern an und legte noch Servietten mit einem filigranen Blümchenmotiv dazu.

„Möchten Sie auch was trinken, Cara?“

„Sie hatten mir den Amaretto-Macchiato empfohlen, nicht wahr? Den nehme ich.“

„Exzellente Wahl!“ Violetta küsste zwei ihrer Fingerspitzen, um ihre Aussage noch zu untermauern. „Wir lassen uns den Amaretto direkt aus Mailand liefern. Das schmeckt man natürlich auch.“

Wieder machte sich Violetta an der Kaffeemaschine zu schaffen. „Ich bringe gleich alles an Ihren Tisch.“ Sie zeigte auf die zwei kleinen Tische, die es in dem Lokal gab.

Kaum hatten Mia und Matthew sich gesetzt, kam Signora Zucchelli auch schon mit den Getränken und den süßen Köstlichkeiten.

„So, dann lasse ich euch Turteltäubchen mal alleine, nicht wahr? Ich muss Bagels backen. Drückt mir die Daumen!“

Bevor einer der beiden etwas sagen konnte, verschwand die alte Dame auch schon in der Küche, die dem Ladenlokal angegliedert war und Mia blieb mit Matthew allein in der Konditorei zurück.

Er hob die winzige Kaffeetasse an seine Lippen. Aber er trank nicht. Er schloss die Augen und roch an der schwarzen Flüssigkeit.

„Hmmm.“ Dann erst nahm er einen vorsichtigen Schluck des heißen Getränks. „Köstlich, einfach köstlich.“ Matthew öffnete die Augen und schaute Mia an, die ihn die ganze Zeit über beobachtet hatte, an. Schnell ließ sie ihren Blick sinken und griff nach ihrer Kuchengabel. Der Geschmack der Quarkcreme, das süße Karamell, der zarte Mürbeteigboden. Es war wirklich ein Gebäck, das süchtig machen konnte.

„Wie kommt es, dass du italienisch sprichst?“, fragte sie Matthew, der schon wieder ganz verzückt an seinem Kaffee roch.

„Meine Mutter ist Italienerin. Früher hatten wir so eine riesige Kaffeemaschine, direkt aus Italien, in unserer Küche stehen. Weißt du, wir konnten uns eigentlich nicht viel leisten, besonders, nachdem mein Dad abgehauen war, aber guter Kaffee war irgendwie immer da. So manchen Nachmittag saßen wir in der winzigen Küche und die Maschine hat im Hintergrund gebrummt. Seitdem verbinde ich mit gutem Kaffee immer auch ein Stück Heimat.“ Die Erinnerung schien ihn mit sich fortgerissen zu haben. Er schaute ins Nirgendwo, an Mia vorbei. Dann besann er sich und trank einen weiteren Schluck Espresso. Ein weiches Lächeln lag um seine Mundwinkel.

Aus den Briefen wusste Mia, dass Matthew den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen hatte. Sie hätte gern mehr gewusst, aber sie wagte nicht, ihn nach ihr zu fragen. Viel zu sehr fürchtete sie, alte Wunden bei ihm aufzureißen und sie wollte den Moment nicht zerstören. Stattdessen griff sie nach einer hölzernen Zuckerdose, die auf dem Tisch stand und ließ etwas braunen Zucker auf ihren Macchiato rieseln, bevor sie einen Schluck davon trank.

„Boah.“ Das Aroma des Amarettos hinterließ einen marzipanähnlichen Nachgeschmack im Mund, der wunderbar mit dem des New York Cheesecake harmonierte.

„Willst du probieren?“ Sie deutete auf ihren Kuchen.

Matthew schüttelte den Kopf. Er grinste Mia an.

„Du hast da was!“ Er zeigte mit dem Finger an seinem eigenen Mundwinkel. Mia griff sich an die Stelle.

„Nein, hier.“ Dann langte er über den Tisch zu ihr herüber und strich ihr vorsichtig über die Lippen. Seine Berührung war wie ein kleines Streicheln, als sein Daumen über ihre Haut wischte, eine Sekunde nur, dann war es schon vorbei.

„Danke.“ Mia lächelte ihm zu. Wie sanft seine großen Hände waren! Die Berührung brachte sie kurz aus dem Konzept.

Schnell nahm sie noch einen Bissen von ihrem Kuchen. Matt saß da und rührte in seiner Tasse.

„Warum bist du gekommen?“ Matt war ernst geworden. Seine Augen hatten sich verdunkelt.

„Weil ich es dir versprochen habe.“

„Nein, ich meine, warum du mir vertraust? Ich war fünfzehn Jahre eingesperrt, habe Schreckliches getan und du bist trotzdem gekommen.“ Ein dunkles Zittern in seiner Stimme verriet seine Gefühle.

Er hatte seinen Cupcake noch nicht angerührt.

Mia dachte an Leroy. Die Tatsache, dass sie neben ihm immer schmückendes Beiwerk hatte sein müssen. Die Freundin des großen Sallenger. Die Frau, die bei Veranstaltungen seinem schönen Schein den letzten Schliff gab, bei denen es nur darum gegangen war, wer erfolgreicher, mächtiger, reicher war. Sie dachte an diese Scheinwelt, die sie verabscheute. Daran, dass sie ständig Low Carb – Ernährung zu sich genommen hatte, um seinen Ansprüchen an eine Frau zu genügen.

Und wie Leroy am Ende gefallen war und sie beinahe mit in den Abgrund gezogen hätte, in vollem Bewusstsein seines Tuns.

„Ich wurde betrogen. Mein Ex war ein Mann, der ...“ Mia suchte nach Worten. Wie beschrieb man die Verschlagenheit, die Gier, die Hinterlist von Leroy Sallenger, wenn er erst einmal die Maske fallenließ? „Er hat mich benutzt und hintergangen. So kann man das zusammenfassen. Für mich gibt es seitdem nichts Schlimmeres, als angelogen zu werden.“

Matthew nahm einen Schluck Kaffee und nickte bedächtig.

„Er hat dich sehr verletzt“, stellte er fest.

Mia spürte, wie sich ihre Kehle verengte, wie immer, wenn die Sprache auf Leroy kam. Er hätte sie fast ihre Existenz gekostet. Sie hatte die Boutique belasten müssen, um ihre Wohnung halten zu können. Fast wäre alles, wofür sie jahrelang gearbeitet hatte, wegen Sallengers Machenschaften draufgegangen.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie schnell wegzublinzeln versuchte. „Ja. Sehr.“ Nicht mehr als ein Flüstern. Mia trank noch einen Schluck ihres Macchiatos, um das unangenehme Druckgefühl im Hals hinunterzuspülen.

„Das tut mir so leid. Das hast du nicht verdient.“ Mit Nachdruck stach Matt seine Kuchengabel in den Cupcake. Eine wütende, fast gewalttätige Geste.

„Danke.“ Seine heftige Reaktion tat ihr gut.

Mia sprach weiter. „Weißt du, in deiner Anzeige stand, dass du im Gefängnis bist. Das war zwar schrecklich, aber du hattest mir damit auch viel offenbart, viel Wahrheit und Ehrlichkeit. Und das ist mir das Wichtigste bei einem Menschen. Ich brauche keine luxuriöse Scheinwelt. Aber ich muss dem Mann an meiner Seite vertrauen können.“

Matt legte seine Hand offen auf den Tisch, sodass seine Handfläche nach oben zeigte. Eine Aufforderung. Zögernd legte Mia ihre kleine Hand auf seine.

„Ich möchte dir etwas versprechen, Mia.“ Sie schaute auf ihrer beider Hände, die so sehr im Widerspruch zueinander standen. Wo seine Hand fast grobschlächtig, groß und sehnig war, sahen ihre feingliedrigen Finger zart und zerbrechlich aus. Ein Kontrast, der Mia ein Gefühl von Verletzlichkeit einerseits, aber auch von Geborgenheit durch Matthew gab. Vorsichtig schloss Matt seine Finger um ihre Hand und streichelte damit über ihren Handrücken. Mia genoss seine zärtliche Berührung mehr, als sie es für möglich gehalten hätte.

„Schau mich an.“ Ihr Blick fuhr angesichts seines ernsten Tonfalls hoch, traf den seinen.

„Ich werde dich nie belügen.“ Sie sah, dass Matthew schwer schluckte. „Niemals. Komme, was da wolle. Ich verspreche dir hiermit, dass ich immer ehrlich zu dir sein werde.“

Matthew war feierlich ernst. Er hatte aufgehört, ihre Hand zu streicheln und hielt sie jetzt ganz fest, fast schmerzhaft fest. Dazu fixierte er sie, sein Gesichtsausdruck war hart und entschlossen. Mia nickte nur. Was hätte sie auf diesen Satz antworten sollen? Sie war ihm dankbar. Sie glaubte ihm, aus tiefstem Herzen heraus. Und sie spürte, dass etwas in ihr wuchs, für Matthew, ein Gefühl, das eine Stelle in ihr erleuchtete, wo lange nichts als Leere und Dunkelheit gewesen war.

* * *

„So. Da wären wir.“ Mia hielt vor dem B&B, das Matthew sich ausgesucht hatte. „Hannigan’s Bed & Breakfast“ stand in silbernen Buchstaben auf dem kleinen, unauffälligen Schild der Villa in Harlem.

„Danke für den traumhaften ersten Nachmittag in Freiheit.“ Matt schaute ihr tief in die Augen. Wenn er das noch einmal machen würde, würde Mia ihn einfach an sich ziehen, ihn küssen und... Die Anziehung, die sie seit dem Besuch bei „Pastry Passion“ spürte und die sich immer mehr verstärkte, war ungebrochen.

„Kein Problem. Ich fand es auch schön.“ Mia zupfte nervös ein Haar von ihrer Jacke. Das war die Untertreibung des Jahrhunderts.

Es war ein wunderbarer Nachmittag gewesen.

Sie hatten viel geredet, über Mias Boutique, über seine Pläne. Er hatte noch ein paar wenige Ersparnisse und wollte sich im Baugewerbe selbständig machen. Vor der Inhaftierung hatte er eine kleine Firma gehabt, die Fliesen legte und kleinere Renovierungsarbeiten durchführte. Gerade hatte sich sein Betrieb etabliert, doch dann kam die Gefängnisstrafe dazwischen.

„Ich habe mir alles verbaut.“ Matts Stimme war die Reue anzuhören gewesen. Immer wieder legte sie sich wie ein Vorhang über seine Gesichtszüge, sodass sich seine Sorgenfalte wieder tief in seine Stirn grub und seine Züge sich verhärteten. „Hoffen wir, dass ich nicht verlernt habe, wie ich mir etwas aufbaue.“

Als sie schließlich die kleine Konditorei verließen, nach dem dritten Kaffee, dämmerte es draußen schon und Matthew hatte ihr die Adresse der kleinen Pension genannt, in der er ein Zimmer genommen hatte, bis er eine kleine Wohnung finden würde.

„Also dann.“ Matthew wollte aussteigen.

„Ach, warte!“ Er griff in seine Jackentasche. „Fast hätte ich es vergessen.“ Er holte eine kleine geblümte Serviette heraus, eine wie die, die es bei „Pastry Passion“ gegeben hatte und drückte sie Mia in die Hand.

„Für dich.“

Mia packte das winzige Päckchen aus. Darin lag die kleine Praline mit der Schokoladenrose, die Matthew in der Konditorei gekauft hatte.

„Danke, dass du mir eine Chance gibst.“ Matts Stimme hatte eine Weichheit angenommen, die sie noch nicht bei ihm gehört hatte. Sie schaute auf das filigrane Kunstwerk in ihrer Hand. Es war nur eine Kleinigkeit, aber es war die Geste, die zählte. Er musste die Praline eingepackt haben, als sie auf der Toilette gewesen war.

„Danke. Das ist sehr lieb von dir.“ Mia erwiderte Matts Lächeln. Dann beugte sie sich zu ihm hinüber und küsste ihn auf die Wange. Ganz sanft. Als sie die Augen schloss, spürte sie seine Bartstoppeln an ihrer Haut, seine Wärme, roch seinen Duft, Citrus und Kaffee. Er duftete so gut, so unverschämt gut.

Ein kurzer Augenblick nur, dann zog sie sich zurück. „Du riechst gut“, sagte Matthew in diesem Moment. Dann langte er nach dem Türgriff, öffnete die Autotür und stieg aus. Als er seine Tasche vom Rücksitz nahm, spülte es eine weitere Welle seines Duftes in den Wagen. Matt winkte Mia zu und lief mit großen Schritten auf das Haus zu. Ihr Impuls wäre gewesen, stehenzubleiben. Darauf zu warten, ob er sich noch einmal umdrehte. Sie hatten nichts ausgemacht, kein weiteres Treffen vereinbart. War es das etwa schon? Dumpfe Enttäuschung füllte Mia aus bis in den letzten Winkel. Das durfte einfach nicht alles gewesen sein.

Schnell drehte sie den Zündschlüssel im Schloss. Lieber fuhr sie los, als sich von der Enttäuschung auffressen zu lassen. Sie gab viel zu viel Gas beim Anfahren und ihr Wagen schoss nach vorne. Vielleicht war dieser Tag nur ein kleines Abenteuer gewesen, vielleicht wurde Matthew ein Freund, versuchte Mia sich zu trösten. Aber insgeheim wusste sie, dass sie längst mehr von diesem Mann wollte als nur ein paar Stunden in seiner Gegenwart zu verbringen.

3

„DAS WAR MATTHEW?“

Liebe Mia,

ich kann nicht. Ich kann dir einfach nicht erzählen, was damals passiert ist. Du würdest mich hassen, wie ich mich selbst so viele Jahre gehasst habe. Und das wäre das Schlimmste für mich. Verstehst du das?

Nur so viel kann ich sagen: Ich habe etwas Schreckliches getan. Etwas, das mich verfolgt und immer verfolgen wird. Das ist die härteste Strafe, auch wenn ich sie natürlich verdiene. Und das Schlimmste ist, dass ich mich an nichts von dem, was geschehen ist, erinnere. Nichts. Aber ich bereue, was an jenem Tag geschehen ist aus tiefster Seele, das kannst du mir glauben.

„Und? Wie ist er, erzähl!“ Tonya stöckelte Mia auf lila Pumps entgegen und begrüßte ihre Freundin mit zwei Küssen auf die Wange. Ob ihr zu den Schuhen passender Lippenstift wohl Abdrücke auf Mias Wangen hinterlassen hatte? Sie musste das unbedingt gleich überprüfen. Unauffällig warf sie einen Blick in den Spiegel. Nein, alles in Ordnung.

Ihre Freundin trug zu den lila Accessoires ein gelbes Oberteil mit passendem Rock. Sie sah aus wie ein Filmstar, völlig deplatziert in der kleinen Boutique. Aber ganz und gar perfekt bis ins Detail

„Er ist nett.“ Mia wusste gar nicht, wo sie mit dem Erzählen anfangen sollte.

„Oh je, du Ärmste!“ Sofort wechselte Tonyas Gesichtsausdruck von Sensationslust zu Mitgefühl. „Das tut mir so leid. Nett klingt ja schrecklich! Aber ich habe dir gleich gesagt, dass ...“

„Oh nein, das hast du falsch verstanden. Matt ist anders als andere, das ist alles. Ich weiß nicht genau, was ich dir erzählen soll. Er ist – vielschichtig. Und auch ein bisschen geheimnisvoll.“ Mia dachte nach. Sie konnte ihn gar nicht beschreiben. Sie hätte sagen können, dass sie den ganzen Abend, bis spät in die Nacht wach gelegen und an die kurzen Augenblicke gedacht hatte, in denen sie sich berührt hatten. Sie hätte sagen können, dass ihre Gespräche, ihr gemeinsamen Humor und sein Lachen sie fesselten. Dieses Lachen, das sie einfach mitriss. Wie sich der gemeinsame Nachmittag mit den vielen Briefen, die sie gewechselt hatten zu einem ganz einzigartigen, köstlichen Cocktail vermischte und ihr Herz schneller schlagen ließ. Aber ob Tonya das verstanden hätte? Die Mitarbeiterin hatte ihren Cop in einer Bar kennengelernt, ganz klassisch beim dritten Date mit ihm geschlafen und war seitdem überglücklich. Da kam Mia sich mit ihrer aufkeimenden Romanze, die vielleicht ja auch gar keine war, unendlich kompliziert vor.

„Wir haben uns gut verstanden und hatten den besten Kuchen aller Zeiten. Matt hat mir eine Praline mit einer fragilen Rose drauf geschenkt. Ich war endlich mal in dieser Konditorei, wo Signora Zucchelli arbeitet, du weißt schon, die alte Dame?“, versuchte Mia abzulenken.

„Du meinst die, die letztens diesen Kunstledermantel in Leopardenoptik gekauft hat? Mit der Amy-Winehouse-Frisur?“ Tonya sprang auf das Ablenkungsmanöver an.

„Genau die! Da solltest du auch mal hingehen. Der Cheesecake, den sie macht, ist ein Gedicht!“ Mia lief allein beim Gedanken an das Backwerk schon das Wasser im Munde zusammen.

„Jimmy liebt Cheesecake.“ Tonya bekam beim Gedanken an ihren Superpolizisten sofort ein Glänzen in den Augen und diesen verklärten Blick, den nur frisch Verliebte hatten. „Das mit der Praline hätte glatt auch er sein können. Eine sehr schöne Geste, nicht wahr? Mein Jimmy ist auch so. Immer in Gedanken bei mir.“

Tonya lächelte versonnen. James, den sie oft liebevoll Jimmy oder Jim nannte, war ganz klar ihr Herzkönig. Gedankenverloren sortierte sie eine Jeans mit Strasssteinbesatz in ein Regal, die wohl eine Kundin herausgezogen und dann achtlos liegengelassen hatte.

Mia seufzte. Den Leuten war einfach egal, wie sie sich in Geschäften benahmen. Bestimmt sah es bei den beiden Umkleiden im hinteren Teil des Ladens nicht besser aus.

„Ich geh mal die Umkleidekabinen kontrollieren“, informierte sie Tonya. „Gleich kommt noch eine Lieferung von „TimTony“. Das Zeug verkauft sich im Moment wie warme Semmeln.“

„Oh toll. Hattest du nicht auch diese Dreieckstücher mit den bunten Quaddeln bestellt?“ Tonya sah beim Gedanken an die Aufstockung des Klamottensortiments von „Get Dressed“ fast genauso aufgeregt aus wie beim Gedanken an ihren Jimmy.

Mia unterdrückte ein dickes Grinsen. „Ja. Natürlich habe ich die bestellt. Auch wenn mir rätselhaft ist, warum man sowas im Sommer tragen möchte.“

Tonya zeigte gespielte Entrüstung. „Ts. Du solltest ruhig mal mehr hinter den Dingen stehen, die du verkaufst. Außerdem gilt noch immer: Wer schön sein will, muss leiden. Und ich leide gerne, wenn ich dafür so ein stylisches Teil tragen darf.“

Die Designerkleidung kostete ein Vermögen. Aber da die Damen von New York Wert darauf legten, dass man ihren Sachen den Preis auch ansah, störte Mia das nicht, im Gegenteil. Und Tonya war für den Laden ohnehin wie eine bewegliche Schaufensterpuppe. Sie einzustellen war eine der besten geschäftlichen Entscheidungen ihres Lebens. Tonya war es auch gewesen, die Mia motiviert hatte, endlich ihre eigenen Entwürfe mit ins Sortiment aufzunehmen. Es war Mias Hobby, selbst Kleidung zu designen. Aber lange war es bei Zeichnungen geblieben. Erst Tonyas Begeisterung hatte sie motivieren können, Nägel mit Köpfen zu machen. Gerade wartete sie auf eine Bestellung ihrer eigenen T-Shirts, was immer eine besondere Aufregung war. Hoffentlich waren sie so geworden, wie Mia es sich vorgestellt hatte.

Sie ging nach hinten zu den Kabinen und zog die Vorhänge zurück. Wie erwartet lag in einer der beiden Umkleiden ein Stapel achtlos hingeworfener Designerstücke. Sie nahm die Sachen heraus, legte sie sorgsam über eine Kleiderstange und begann, Pullover- und Blusenärmel auf rechts zu ziehen, bevor sie sie akkurat zusammenfaltete.

Sie mochte den Anblick der gefalteten Kleidungsstücke, ordentlich übereinander gestapelt. Wenn Mia sich in ihrem Geschäft umschaute und alles an seinem Platz war, fühlte sie sich wohl. Vorsichtig nahm sie den Stapel Kleidungsstücke auf und legte die einzelnen Teile zurück an ihre Plätze.

„Hi, Mia.“

Erschrocken ließ sie den Stapel auf den Boden fallen und fuhr herum. Citrus und Kaffee. „Matthew, was machst du denn hier?“

„Oh je, jetzt habe ich dich erschreckt, tut mir so leid, das wollte ich nicht.“ Der große Mann bückte sich und hob einen pinkfarbenen Pullover mit einem aufgenähten Filzherz hoch. Mia hatte ein malvefarbenes T-Shirt aufgeklaubt.

„Ich bin gekommen, weil ich dich gern für heute Abend zum Essen einladen wollte, also wenn du möchtest. Hier ums Eck gibt es einen kleinen Italiener, gleich drüben in Little Italy. Ich kenn ihn noch von früher, und es sieht tatsächlich so aus, als hätte sich dort nichts verändert.“

Mia konnte nicht anders. Sie musste Matthew einfach anstarren. Er sah großartig aus. Dabei trug er nur ein weißes T-Shirt und eine einfache Jeans. Doch die leicht gebräunte Haut, seine muskulösen Arme, die gerade durch die Einfachheit seiner Kleidung noch besser zur Geltung kamen, und die Tattoos auf seinen Unterarmen gaben ihm eine ganz besondere, maskuline Ausstrahlung. Aber nicht so, wie sie sich das bei jemandem vorgestellt hatte, der aus dem Gefängnis kam. Seine Tattoos hatten Klasse. Sie waren ordentlich gestochen. Bestimmt hatten sie eine Bedeutung. Mia glaubte, einen Rosenkranz zu erkennen. War Matt etwa gläubig?

Der Rosenkranz umschlang eine Art Tribal, das auch ein Gesicht hätte sein können.

---ENDE DER LESEPROBE---