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Schneechaos in New York City! New York, 57. Straße: Carolines Leben wird seit einem traumatischen Erlebnis von ihren Ängsten bestimmt. Völlig zurückgezogen lebt sie in ihrem New Yorker Apartment, mit ihrem Kater als einzigem Gefährten. Doch dann erkrankt das Tier schwer und Liam tritt in Carolines Leben. Er ist nicht nur mit ganzem Herzen Tierarzt, er möchte auch Caroline mit einer verrückten Idee zurück ins Leben helfen. Und tatsächlich unternimmt sie erste kleine Schritte hinaus in die Welt. Liam und Caroline entwickeln Gefühle füreinander. Doch dann kommt es zu einer großen Katastrophe... Freut euch darauf, Violetta und andere bekannte Figuren aus den Vorgängerbüchern wiederzutreffen. Ein in sich abgeschlossener Roman aus der Reihe der „New York Lovestorys“. Er kann ohne Vorkenntnisse gelesen werden! Aus der Reihe sind bereits erschienen: "Sweet Temptation - Ein Milliardär zum Anbeißen" (Lotte Römer/Karin Koenicke) "Pretty Womanizer - Ein Gigolo zum Vernaschen" (Karin Koenicke) "Body Kiss - Mit Geld nicht zu bezahlen" (Lotte Römer) "Winter Love - Ein Arzt für alle Fälle" (Lotte Römer) "Act of Love and Crime - Ein Mann der anderen Art" (Lotte Römer) "Sweet Surprise - Der Mann aus dem Koffer" (Karin Koenicke) "Bittersweet Symphonie - Verliebt in einen Rockstar" (Lotte Römer)
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Anmerkung
1. Zum Fressen geboren
2. Alle Sorgen
3. Harren und Hoffen
4. Wenn die Kraft versiegt
5. Gute Eigenschaften
6. Hundeliebe
7. Verletzt werden können
8. Freundschaftsdienst
9. Das Pferd ist dein Tänzer
10. Fliehen
11. Tiefste Dunkelheit
12. Nur wer die Sehnsucht kennt
13. Wintersturm
14. Sehnendes Leid
15. Heimkehr
16. Alles still!
17. Langen und Bangen
18. Ich liebe dich
19. Wunderbare Winterrezepte aus „Winter Love“
Ohne Titel
Ohne Titel
Ohne Titel
Ohne Titel
Alle Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die Angst, die manche Menschen fest im Griff hat, gibt es leider wirklich. Und Weihnachten auch.
Ich hoffe, Ihr habt wieder viel Spaß mit Violetta, Emilia und Caroline, die ihr in diesem Buch kennenlernt.
Besucht mich gern bei Facebook, damit Ihr in Zukunft immer auf dem Laufenden seid:
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Ich freu mich über jeden, der mir eine Freundschaftsanfrage schickt!
Die Gedichte sind samt und sonders exakt zitiert. Das mag nach heutiger Rechtschreibung manches Mal seltsam anwandeln, ist aber so korrekt.
Winter Love
Ein Arzt für alle Fälle
Ein Liebesroman von Lotte Römer
Schneechaos in New York City!
New York, 57. Straße:
Carolines Leben wird seit einem traumatischen Erlebnis von ihren Ängsten bestimmt. Völlig zurückgezogen lebt sie in ihrem New Yorker Apartment, mit ihrem Kater als einzigem Gefährten. Doch dann erkrankt das Tier schwer und Liam tritt in Carolines Leben. Er ist nicht nur mit ganzem Herzen Tierarzt, er möchte auch Caroline mit einer verrückten Idee zurück ins Leben helfen.
Und tatsächlich unternimmt sie erste kleine Schritte hinaus in die Welt. Zwischen Liam und Caroline entwickeln sich Gefühle. Doch dann kommt es zu einer großen Katastrophe...
Das Buch ist ein in sich abgeschlossener romantischer Liebesroman aus der Reihe der „New York Lovestorys“!
Freut euch darauf, Violetta und andere bekannte Figuren aus den Vorgängerbüchern wiederzutreffen.
Weitere Bücher aus der Reihe:
Sweet Temptation – Ein Milliardär zum Anbeißen (Nr. 1 bei Amazon Kindle)
Pretty Womanizer – Ein Gigolo zum Vernaschen (Nr. 1 bei Amazon Kindle)
Body Kiss – Mit Geld nicht zu bezahlen (Nr. 2 bei Amazon Kindle)
„Zum Fressen geboren, zum Kraulen bestellt
in Schlummer verloren gefällt mir die Welt.
Ich schnurr’ auf dem Schoße, ich ruhe im Bett
In lieblicher Pose, ob schlank oder fett.“
Aus „Gedicht über die Katze“ von J. W. Goethe
Mit einem wohligen Seufzer ließ Caroline sich in ihren bequemen Lesesessel fallen. Neben ihr auf einem kleinen Tischchen stand eine dampfende Tasse Jasmintee. Daneben lag ein dicker Schmöker, ein Liebesroman, der in Afrika spielte. Sie liebte es, sich in andere Welten zu träumen und beim Lesen an Orte zu gehen, die sie im wahren Leben nie bereisen würde.
Caroline warf einen Blick aus dem Fenster. Draußen im Central Park wurde gerade die Wollman Rink für die Eislaufsaison präpariert. Es war kalt geworden in den letzten Tagen, der Advent stand vor der Tür. Caroline fröstelte und zog sich ihre flauschige, weinrote Decke über die Beine. Bald würde sie vom Fenster aus wieder die Schlittschuhläufer dabei beobachten, wie sie ihre Bahnen zogen. Caroline spürte eine gewisse Wehmut, wenn sie daran dachte. Früher hatten sie und Timothy viele klirrend kalte Winternachmittage drüben auf der Rink verbracht. Sie beide hatten es romantisch gefunden, Hand in Hand auf dem Eis dahinzugleiten. Aber das war schon so lange her.
Sie mochte Weihnachten nicht. Nicht mehr seit sie alleine war. Schnell verdrängte Caroline den gefährlichen Gedanken, indem sie nach einem kleinen Streichholzbriefchen griff, eines der Hölzer anriss und eine Kerze entzündete. Dann griff sie nach der bauchigen Teetasse, umfasste sie mit beiden Händen und nahm genüsslich einen kleinen Schluck.
Ohne Vorwarnung sprang Mr. Smith ihr auf den Schoß. Beinahe hätte sie der Katze die heiße Flüssigkeit über den Pelz geschüttet, so sehr erschrak Caroline. Mit einer schnellen Bewegung hob sie die Tasse ein Stück beiseite und bekleckerte so nur ihre Decke.
„Pass doch auf, Mr. Smith. Der Tee ist noch heiß.“ Ihr ärgerlicher Unterton blieb dem alten Kater verborgen – oder er ignorierte Carolines Einwand. Stattdessen begann er schlagartig zu treteln und laut zu schnurren. Er klang wie eine Bohrmaschine. Automatisch musste Caroline lächeln. Vorsichtig stellte sie die Tasse weg, während Mr. Smith sich umständlich auf ihrem Schoß um seine eigene Achse drehte, auf der Suche nach einer bequemen Stelle, an der er sich niederlassen wollte. Ein leises Maunzen forderte Caroline auf, ihn jetzt gefälligst am Hals zu kraulen. Als der Kater endlich die richtige Position gefunden hatte, ließ er sich fallen und schloss seine Augen, während sein Frauchen ihm über das weiche Tigerfell strich. Die Anwesenheit ihres Katers hatte Caroline schon über so manch einsame Stunde hinweggeholfen.
Sie schaute auf die Uhr. Gleich würde Emilia Zucchelli vorbeikommen. Sie hatten vereinbart, dass sie Caroline eine Auswahl der ersten Weihnachtsplätzchen und ein paar Peanutbutter-Cups vorbeibringen würde. Auch wenn sie Weihnachten nicht mehr leiden konnte. Später würde ihr Cousin Jason zu Besuch kommen und der liebte Süßigkeiten aller Art, besonders die zarten Wunderwerke der kleinen Konditorei „Pastry Passion“.
Gerade als Caroline nach ihrem Buch griff, klingelte es an der Haustür. Vorsichtig hob sie Mr. Smith, der lautstark protestierte, von ihrem Schoß, und schlug die Decke zurück. Als sie die Haustür öffnete, stand jedoch nicht wie erwartet Emilia, sondern eine völlig unbekannte Frau vor der Tür. Sie war mindestens siebzig Jahre alt. Eine exzentrische Turbanfrisur zog sofort Carolines Blick auf sich. Eine strahlend pinke Bluse, darüber eine Art Kaftan und eine schwarze Stoffhose rundeten das Bild ab. Jetzt begutachtete die alte Dame Caroline von oben bis unten.
„Sie müssen Caroline Haynes sein. Buongiorno! Ich bin Violetta Zucchelli, Emilias Großtante. Ich liefere heute aus.“ Ohne eine Einladung abzuwarten, betrat sie mit einer lila Papiertüte von „Pastry Passion“ die Wohnung von Caroline, die starr vor Erstaunen an der Haustür stand und hinter der alten Dame herschaute, die aufrechten Ganges durch den Flur schritt, als sei sie hier zu Hause.
„Emilia hat mir ja so viel von Ihnen erzählt! Ich war schon ganz neugierig auf Sie“, warf sie über die Schulter zurück. „Stimmt es, dass Sie das Haus nicht verlassen?“
Das war mal direkt. Caroline lief rot an und ging wie ein begossener Pudel hinter der alten Frau her ins Wohnzimmer.
„Oder nutzen Sie nur gerne unseren Lieferservice?“ Violetta zwinkerte Caroline zu und kramte in ihrer Tasche nach dem kleinen Auftragsbüchlein. Sie hatte die Tüte auf dem Esstisch abgestellt und holte eine der hübschen lila Schachteln der Konditorei heraus.
Caroline schüttelte den Kopf. „Nein, es stimmt. Ich gehe nicht gerne raus.“
Violetta schaute fragend über den Rand der Lesebrille, die sie aus einem kleinen Etui in ihrer Tasche genommen hatte. Caroline entschloss sich, die alte Dame abzulenken. Sie würde mit keiner wildfremden Frau ihr innerstes Geheimnis teilen. Sie hatte es bisher mit niemandem geteilt und sie würde auch heute nicht damit anfangen. Da war es Zeit für eine Flucht nach vorn.
„Wie kommt es, dass Emilia heute nicht hier ist? Gibt es Probleme mit dem Baby?“ Caroline deutete auf einen Stuhl ihr gegenüber und nahm selbst ebenfalls Platz. Tatsächlich interessierte es sie wirklich, wie es der netten jungen Frau ging, die sie sonst immer belieferte. Mittlerweile war sie im letzten Drittel der Schwangerschaft angelangt, wenn Caroline nicht irrte. Und da sie in ihrem früheren Leben Hebamme gewesen war, interessierte sie sich ganz automatisch für Babys und alles, was mit ihnen zusammenhing.
Glücklicherweise sprang Violetta Zucchelli sofort auf ihr Ablenkungsmanöver an. Sie nahm die Brille ab und ihre Augen begannen zu strahlen.
„Ach, wissen Sie, ich finde, Emilia soll sich so kurz vor der Geburt ein wenig schonen. Sie bekommt langsam Wasser in die Beine, die Ärmste. Aber sie lässt sich die Arbeit in der Konditorei einfach nicht nehmen. Da wollte ich ihr wenigstens die lästigen Botengänge ersparen. Nichts für ungut!“
Violetta hielt ihre Brille gegen das Licht und begann, sie mit einem Zipfel ihrer Bluse zu putzen. „Aber als Tante und zukünftige Ehrengroßmutter muss ich darauf achten, dass Emilia und der kleinen Vittoria nichts zustößt.“
„Selbstverständlich.“ Caroline war gerührt von so viel familiärer Verbundenheit. Ihr war völlig klar, dass der Lieferservice sicher nicht die angenehmste Aufgabe war. „Haben Sie wegen des Wassers in den Beinen schon einmal an Akupunktur gedacht? Das hilft vielen Frauen sehr gut. Und sie soll trotzdem ausreichend trinken. Das ist sehr wichtig.“
Violetta nickte und setzte ihre Brille wieder auf. „Ich passe schon auf, darauf können Sie sich verlassen.“ Der entschlossene Ton der alten Dame war unüberhörbar.
„Und zu viel Stehen ist auch nicht gut.“ Caroline konnte es sich nicht verkneifen. Sie hatte ihren Beruf geliebt. Es gab nichts Schöneres als ein neugeborenes Baby.
Violetta musterte sie erneut über den Rand ihrer Brille hinweg. „Sie scheinen mir ja eine richtige Expertin zu sein.“
Caroline wurde rot. „Nun ja. Ich war früher Hebamme.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, um weitere Fragen im Keim zu ersticken. Dann beugte sie sich vor zu Violettas Auftragsbuch. „Was bin ich Ihnen denn schuldig?“
„Achtzehn Dollar, bitte.“
„Warten Sie, ich hole meine Geldbörse.“ Caroline stand auf und ging zur Garderobe. Sie nahm ihren Geldbeutel aus der Kommode.
„Ich schau mal, vielleicht habe ich es passend.“ Ein Blick in das Portemonnaie ließ sie erstarren. „Oh je. Ich habe ja gar kein Geld mehr.“
„Wie, Sie haben kein Geld mehr?“ Violetta schaute Caroline vorwurfsvoll durch die blitzblanken Gläser an.
„Ich, also, ich habe nur noch zehn Dollar und, mein Gott, ist mir das jetzt peinlich.“ Ihr Blick wanderte hektisch zur Wanduhr. Es würde noch eine Stunde dauern, bis Jason kam. Sie öffnete das Münzfach und wühlte darin herum, in der Hoffnung, noch ein paar Münzen darin zu finden. Aber nichts.
„Ich habe wohl vergessen, Jason rechtzeitig zu sagen, dass er Geld mitbringen muss und jetzt bin ich pleite. Mein Gott, entschuldigen Sie bitte, Mrs. Zucchelli.“ Caroline brach der kalte Schweiß aus.
„Das macht doch nichts, Kindchen.“ Violetta lächelte sie an. „Dann gehen Sie eben schnell runter. Ich habe an der Ecke einen Automaten gesehen.“
„Aber, ich, also, ich kann nicht“, stammelte Caroline. Sie spürte, wie ihre Atmung sich beschleunigte beim Gedanken daran, das Haus zu verlassen. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, nicht genügend Luft zu bekommen.
„Wie, Sie können nicht?“ Violettas Lächeln wich einem Ausdruck, der irgendwo zwischen Überraschung und Verwirrung angesiedelt war.
„Ich gehe nicht raus, also nicht oft. Das war durchaus mein Ernst. Ich meine, eigentlich verlasse ich das Haus nur im Notfall und wenn ich darauf vorbereitet bin.“ Caroline kam sich blöd vor. Wie sollte sie der alten Dame erklären, dass die Außenwelt ihr eine Art unklare Angst machte, die sie nur mit allergrößter Willenskraft unterdrücken konnte? Wie sollte sie der resoluten Frau klarmachen, dass sie seit zwei Jahren so gut wie nie einen Fuß vor die Tür gesetzt hatte?
Und dann war da noch Timothy. Wie immer, wenn er durch ihre Gedanken huschte, wurde ihr beinahe schwindelig vor Schmerz und Schuldgefühlen. Ihre Hand krallte sich um die Stuhllehne. Nein, von Timothy würde sie auf keinen Fall erzählen, niemals.
„Ist Ihnen schlecht? Kommen Sie, Cara, setzen Sie sich hier hin, da haben Sie es bequemer.“ Violetta war mit der geschmeidigen Bewegung eines jungen Mädchens aufgestanden und hatte Caroline untergehakt. Jetzt führte sie sie zum Sofa und setzte sie darauf. Caroline versuchte, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren und ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
„Geht es wieder?“, fragte Violetta besorgt.
„Ja, danke. Ich fühle mich schon besser. Es ist nur so, dass ich eben nicht gerne rausgehe.“ Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Aber es musste als Erklärung ausreichen.
Violetta hatte sich neben Caroline auf die vorderste Kante des Sofas gesetzt. Ihre hochhackigen Pumps waren sehr elegant. Wie sie auf diesen Schuhen und bei dem winterlichen Matschwetter durch halb Manhattan laufen konnte, war Caroline ein Rätsel. Aber sie passten perfekt zu ihrer Bluse und der schwarzen, klassischen Stoffhose.
„Sie gehen nicht raus?“ Violetta musterte Caroline mit unverhohlener Neugier.
Caroline druckste herum. „Nun, eher selten. Ich bin nicht so der Menschenfreund, wissen Sie.“
„Hm. Ich persönlich finde Menschen sehr interessant. Vielleicht haben Sie noch nicht die richtigen Leute getroffen?“
Caroline antwortete der alten Dame nicht.
Violetta begann indessen wieder, eifrig in ihrer Tasche herumzuwühlen. „Wo habe ich sie denn? Das gibt es doch gar nicht.“ Die alte Dame förderte ein Reiseschminkset, ein Buch über Tantramassagen und ein silbernes Zigarettenetui zutage.
„Ah, da ist sie ja.“ Violetta holte eine kleine Visitenkarte mit einem Eselsohr aus ihrer Tasche und hielt sie Caroline hin. Das Abbild eines hölzernen Buddhas mit Goldverzierung schenkte ihr ein mildes Lächeln.
„Ich gebe die Kurse selbst. Meine Yogaklasse hat noch einige wenige Plätze frei, und alle dort sind sehr nett. Und mein Raum ist ganz neu eingerichtet. Die Atemübungen würden Ihnen sicher guttun.“ Violetta Zucchelli holte tief Luft und atmete tief ein und aus, um das korrekte Atmen zu demonstrieren.
„Ja, also, ich denke drüber nach.“ Um ausweichende Antworten war Caroline nie verlegen, wenngleich ihr der Gedanke an Yoga einen Stich versetzte. Früher hatte sie selbst Schwangerschaftsyogakurse gegeben. Sie wusste, wie man richtig atmete.
Violetta schenkte ihr einen kritischen Blick. Die alte Dame schien eine Ahnung zu haben, dass Caroline sich drücken würde, und diese wiederum fühlte sich ertappt. Unruhig rutschte sie auf dem Sofa hin und her. Diese Violetta Zucchelli schien sie zu durchschauen. Caroline suchte nach einem Ausweg. Plötzlich hatte sie eine Idee.
„Das Trinkgeldschälchen!“, entfuhr es ihr. Sie sprang auf und rannte zurück in den Flur. Dort bewahrte sie ihr Kleingeld auf. Hoffentlich reicht es. Sie leerte sich die Münzen in die Hand und lief damit zurück ins Wohnzimmer, wo sie Violetta die einzelnen Geldstücke auf den Tisch zählte.
„Siebzig, achtzig, neunzig und achtzehn!“ Erleichtert klimperte sie mit den in ihrer Hand verbliebenen Münzen, während Violetta versuchte, das Kleingeld in ihrer Geldbörse unterzukriegen. Am Ende jedoch musste sie kapitulieren - das Münzfach ließ sich partout nicht mehr schließen - und ließ die Münzen in der Außentasche ihrer Handtasche verschwinden. Dann steckte sie ihre auf dem Tisch verteilten Habseligkeiten alle zurück.
„Na dann.“ Violetta stand auf. „Lassen Sie sich die Vanillekipferl schmecken. Emilia probiert gerade Rezepte aus aller Welt. Diese Halbmonde kommen wohl aus Deutschland. Ich sage Ihnen, sie schmelzen auf der Zunge.“
„Danke.“ Caroline begleitete Mrs. Zucchelli zur Tür.
Als die alte Dame schon im Türrahmen stand, drehte sie sich noch einmal um. „Wissen Sie, Sie verpassen etwas, Kindchen. Die Welt da draußen ist ein großartiger Platz zum Glücklichsein. Glauben Sie das einer alten Frau.“ Violetta schenkte Caroline ein Lächeln, das sie tief drinnen berührte, und tätschelte ihr die Wange. Mühsam schluckte Caroline den Kloß hinunter, der sich schlagartig in ihrem Hals gebildet hatte. Sie versuchte ein Nicken.
„Ciao, Cara. Wir sehen uns sicher bei der nächsten Lieferung.“ Erstaunlich leichtfüßig lief die alte Dame die Treppe hinunter, fast schon mit einem kleinen Hüpfer im Gang.
Caroline konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Violetta einer Gruppe Yogawütiger zeigte, wo es langging, und musste unweigerlich lächeln. Gleichzeitig fühlte sie eine gewisse Bitterkeit, weil sie selbst währenddessen weiter aus dem Fenster starrte und den Menschen im Central Park beim Leben zusah.
Sie schaute erneut auf ihre Uhr. Zeit, dass Jason endlich kam. Sie brauchte dringend Ablenkung. Jetzt würde sie nur noch schnell den Tisch decken, heiße Schokolade kochen, und dann wäre es endlich so weit.
Als Caroline die Milch aufsetzte, warf sie einen beiläufigen Blick auf Mr. Smith’ Napf. Er war noch immer bis obenhin gefüllt. Seltsam. Ihr dicker alter Kater ließ doch sonst keine Mahlzeit aus. Gerade, als Caroline nach ihm sehen wollte, klingelte es an der Tür. Jason! Endlich! Caroline lief erleichtert zur Tür, um ihrem Cousin aufzumachen.
* * *
„Mein Gott, sind die gut!“ Jason griff schon nach dem dritten Vanillekipferl von „Pastry Passion“. „Ich habe noch nie solche Plätzchen gegessen. Lass mich raten – ‚Pastry Passion’?“
Caroline strahlte ihren Cousin an und nickte. Seine Besuche waren immer ein Lichtblick. Er nahm sich viel Zeit für sie, und das, obwohl er frisch verliebt war. Dafür besorgte sie nur zu gerne das teuerste Gebäck weit und breit, wusste sie doch, wie gern er Süßes mochte.
„Wie geht es Lexi?“, fragte sie und griff nach einem Peanutbutter-Cup.
„Prima, danke. Sie arbeitet sehr viel. Seit sie das kleine Büro im Haus ihrer Mutter hat, kommen ständig neue Aufträge dazu. Die Society-Damen lieben es, wie sie die Harlemer Stadtvilla renoviert hat. Sie rennen ihr quasi die Tür ein.“ Jason fischte einen Marshmallow aus seiner heißen Schokolade und schloss genießerisch für einen Moment die Augen. „Leider hat sie dadurch auch weniger Zeit für mich. Aber natürlich freue ich mich mit ihr über den Erfolg.“
Jason nahm sich einen Minibrownie aus der Glasschale, die in der Mitte des Esstischs stand. „Ich möchte sie demnächst mit einem Wochenendausflug ins Mohonk Mountain House überraschen. Am Lake hatten wir unser erstes Picknick miteinander. Das wäre sicher sehr romantisch, wieder hinzufahren.“
Caroline spürte einen schmerzhaften Stich. Sie wollte wirklich nicht neidisch sein auf Jasons Glück mit Lexi Hannigan. Er war lange nicht mit einer Frau zusammen gewesen und verdiente es, glücklich zu sein. Aber ihre eigene Einsamkeit wurde ihr nur zu bewusst, wenn er von seiner neuen Liebe erzählte.
Timothy war einmal an Weihnachten mit ihr nach Washington DC gefahren, nur, weil er die Stimmung beim Christmas Tree Lighting so sehr mochte. Sie waren am National Harbour gewesen. Die Lichtshow, bei der der riesige Weihnachtsbaum in allen Farben funkelte, dazu die starken Arme Tims um ihre Hüften. Es war einer der romantischsten Momente ihres Lebens gewesen. Die vielen Menschen um sie herum hatten sie damals kein bisschen gestört. Im Gegenteil. Es war wie ein Bad in der Menge gewesen. Heutzutage würde sie es gar nicht schaffen, so einen Ausflug auszuhalten, geschweige denn zu genießen.
„Caroline? Bist du in Ordnung? Carol“ Jasons besorgte Stimme drang nur langsam in ihr Bewusstsein. „Caroline, Mr. Smith übergibt sich.“
„Ja, natürlich.“ Sie brachte ein angestrengtes Lächeln zutage. Dann erst drang Jasons letzter Satz in ihr Bewusstsein. Mr. Smith saß unter dem Tisch und gab Würgelaute von sich. Caroline sprang auf.
„Oh je, warte, ich hol gleich einen Lappen.“ Die Realität hatte sie wieder. Die Bilder der Vergangenheit waren vorerst vergessen, als sie in die Küche spurtete und Küchentücher holte.
Zurück im Wohnzimmer hatte Mr. Smith sich schon vom Ort des Geschehens entfernt. Er sprang gerade auf Carolines Lesesessel, um sich dort zu einem Nickerchen niederzulassen. Caroline putzte alles weg. Das war das dritte Mal in den letzten zwei Tagen, dass Mr. Smith gespuckt hatte. Langsam begann sie, sich Sorgen zu machen.
„Na, Mr. Smith? Was ist denn los mit dir, hm?“ Jason hatte sich vor den Sessel gekniet und streichelte dem Kater vorsichtig über den Kopf. Caroline setzte sich neben Jason auf den Boden. Entgegen der sonstigen Gewohnheit der Katze, auf jedes Kraulen sofort mit lautstarkem Schnurren zu reagieren, blieb Mr. Smith still.
„Er benimmt sich schon seit drei Tagen wirklich komisch. Ich dachte erst, es wäre das Stück Pizza, das er mir vom Küchentresen gemopst hat. Das war allerdings schon vorgestern, und er übergibt sich noch immer.“ Caroline hielt Mr. Smith ihren Finger hin. Doch er stupste nicht wie sonst mit seiner Nase dagegen, sondern schnüffelte nur ganz vorsichtig, bevor er die Augen schloss und den Kopf auf seine Pfoten sinken ließ. Das Tier wirkte völlig erschöpft.
„Ich glaube, es ist besser, du gehst mit ihm zum Tierarzt.“ Jason stand auf und holte seine Tasse. Er trank einen großen Schluck der heißen Schokolade.
Caroline schaute noch immer prüfend auf ihren Stubentiger. Vorsichtig strich sie ihm über das Fell. Er war einfach wunderschön, ein kräftiges Tier mit glänzendem Fell. Wüsste sie nicht, dass er die letzten Tage kaum gefressen und noch dazu Verdauungsprobleme gehabt hatte, sie wäre nie darauf gekommen, dass ihm etwas fehlen könnte.
Sie wusste, dass sie mit ihm zum Arzt gehen musste, aber da gab es das übliche Problem. „Würdest du vielleicht mit Mr. Smith zum Arzt gehen?“, bat sie Jason.
„Ich?“
„Du weißt doch, ich kann nicht gut rausgehen, und noch dazu ist mein Tierarzt in Rente gegangen. Ich muss erst einen neuen suchen und“ Caroline unterbrach sich und machte eine hilflose Geste.
„Ich kenne aber Mr. Smith bei Weitem nicht so gut wie du. Ohne dich würde er sich völlig verlassen fühlen. Außerdem fände ich es sehr gut, wenn du mal wieder rausgingst. Wann warst du zuletzt unter Menschen?“
„Heute“, antwortete Caroline trotzig und dachte an die Situation mit Violetta Zucchelli, wo schon der Gedanke, zum Geldautomaten zu gehen, sie in Angst und Schrecken versetzt hatte.
„War ein Lieferservice da?“ Mist, Jason kannte sie wirklich viel zu gut. Widerwillig nickte Caroline. „Ehrlich, Cousinchen. Du musst aufhören, dich selbst einzusperren. Damit machst du Timothy nicht wieder lebendig, und außerdem ist der Unfall nun schon Jahre her.“
Caroline schossen unvermittelt Tränen in die Augen, als Jason den Unfall erwähnte. Er konnte ja nicht ahnen, was damals wirklich passiert war. Sie spürte, dass ihre Hände unweigerlich zu zittern begannen, und verschränkte ihre Finger ineinander. Dann stand sie schnell auf und ging zum Tisch hinüber.
„Aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht.“ Sie griff nach ihrer Serviette und wischte sich damit über die Augen.
„Warum nicht?“
Caroline zerknüllte das Papier zwischen ihren Fingern.
„Ich möchte nicht darüber sprechen.“ Wieder trocknete sie ihre Tränen mit der Serviette. Jason war zwischenzeitlich auch wieder zum Tisch gekommen und hatte Caroline gegenüber Platz genommen.
„Es ist aber wichtig, dass du anfängst, darüber zu reden. Du musst verarbeiten, was dir passiert ist. Sonst wird das nie wieder gut. Und du verdienst ein Leben außerhalb dieser Wohnung.“ Jasons Stimme war eindringlich. „So geht es doch nicht weiter.“
„Aber ich habe nun mal diese Angst draußen. Ich kann es dir nicht gut erklären. Es ist einfach schwierig.“ Noch immer rang Caroline um Fassung. Sie schaute zu Mr. Smith hinüber, der regungslos auf dem Sessel lag.
Jason legte seine Hand auf ihre. „Du weißt, wo du mich findest, wenn du sprechen willst, ja?“
„Danke, das weiß ich zu schätzen.“ Caroline schnäuzte sich. Dann ging sie wieder zu ihrem Kater hinüber. Aber er reagierte noch immer nicht auf Streicheleinheiten. Sie musste wirklich mit ihm zum Tierarzt, es blieb ihr einfach nichts anderes übrig.
Jason war ebenfalls aufgestanden. Er schlüpfte in das elegante Jackett, das über seiner Stuhllehne gehangen war.
„Ich muss los, die Arbeit ruft. Danke für die Plätzchen.“ Er kam zu Caroline und küsste sie auf die Wange. „Bis nächste Woche, ja?“
„Natürlich! Ich besorge uns einen Fruitcake.“
„Köstlich, ich freu mich darauf.“ Jason winkte Caroline zu. Schon war er draußen und ließ sie allein zurück mit ihren Sorgen um Mr. Smith.
„Ach, Smithy, bitte, du musst schnell wieder gesund werden“, flüsterte sie dem Kater zu. Dann ging sie zu ihrem Laptop. In New York wurde alles geliefert. Vielleicht gab es ja sogar einen Tierarzt, der ins Haus kam?
„Laß laufen alle Sorgen,
Sie laufen nicht davon;
Sie warten nur auf morgen,
Sie kommen wieder schon.
Sie sind nicht fern zu halten,
Sie bleiben immer nah;
Und kommen nicht die alten,
Sind gleich die jungen da.
Johann Emanuel Veith
Mr. Smith hatte schon wieder gespuckt. Caroline wischte das Häufchen besorgt mit etwas Küchenrolle vom Fliesenboden der Küche. Scheinbar hatte er versucht zu fressen – vergeblich. Zwischenzeitlich hatte sie das Internet nach New Yorker Tierärzten durchsucht, die Hausbesuche machten. Bestimmt würde das kein billiger Spaß werden, jemanden zu sich nach Hause zu bestellen. Aber das würde sie in Kauf nehmen. Es wäre für ihren Kater auch wesentlich stressfreier, redete Caroline sich ein. Sie studierte die Liste, die sie sich ausgedruckt hatte. Ein Zaccharias Burley, „Friend of Horses“, fiel ihr ins Auge. Aber nein. Zwar liebte Caroline Pferde, aber sie wollte lieber jemanden konsultieren, der sich mit Kleintieren auskannte. Bei der letzten Impfung war Doctor Pearl noch zu ihr nach Hause gekommen. Der alte Tierarzt war damals kurz vor der Pensionierung gestanden und hatte ihr mitgeteilt, dass er künftig eine Art Minipraxis in Los Angeles zu betreiben gedachte. Ein Jammer! Bei ihm hatte sie Mr. Smith einfach gut aufgehoben gewusst.
„Animal Rescue – New Yorks Shelter for Cats and Dogs“ stand da noch. Das klang nicht schlecht. Das musste eine Art Tierheim sein. Als Ansprechpartner stand ein Liam Jackson in kleiner Schrift dabei. Er musste der Veterinärmediziner der Einrichtung sein. Die Adresse war auch in der sechsundfünfzigsten Straße. Bestimmt war es leichter, jemanden zu einem Hausbesuch zu bewegen, wenn er keine weite Anfahrt hatte. Sie würde einfach mal dort anrufen. Caroline ging zu Mr. Smith hinüber, der sich schon wieder in ihrem Lesesessel eingerollt hatte, und streichelte ihn vorsichtig. Er reagierte so gut wie gar nicht. Sicher war er erschöpft von all seinen gesundheitlichen Strapazen. Sie spürte, wie die Angst um ihren Kater, das einzige lebende Wesen, das wirklich immer für sie da war, ihre kalten Finger nach ihr ausstreckte. Caroline versuchte, das unangenehme Gefühl abzuschütteln. Sicher war mit Smithy alles in Ordnung. Sein Fell glänzte, er hatte bis vor wenigen Tagen einen geradezu gigantischen Appetit gehabt, und er roch nicht schlecht aus dem Maul, was manchmal auch ein Erkrankungszeichen bei Katzen war. Nein, sicher gab es für Mr. Smith’ Zustand eine ganz und gar einfache Erklärung und eine Behandlung, die schnell dazu führte, dass er wieder der Alte würde.
Ohne sich weitere Sorgen zu erlauben, wählte sie die Nummer, die neben „Animal Rescue“ stand. Es klingelte so lange, dass Caroline schon fast auflegen wollte, als endlich abgehoben wurde.
Eine sehr hohe Frauenstimme meldete sich. „Hallo? Sie sprechen mit Kimmy, guten Tag!“
„Guten Tag, bin ich richtig bei ‚Animal Rescue’?“, fragte Caroline vorsichtig nach.
„Natürlich. Ich habe einen Moment gebraucht, bis ich ans Telefon kommen konnte. Ich habe gerade einen Schäferhund gebürstet.“ Aus dem Mund von Kimmy klang das so, als hätte sie gerade mit Obama Kaffee getrunken. „Er heißt Eusebio und ist ein zauberhaftes Tier. Sie sind nicht zufällig auf der Suche nach einem Hund? Eusebio ist in einem hervorragenden Pflegezustand.“ Kimmy klang geradezu enthusiastisch.
„Nein, danke.“ Caroline konnte sich überhaupt kein anderes Tier außer Mr. Smith an ihrer Seite vorstellen.
„Hm. Wie kann ich Ihnen dann helfen? Wollen Sie Ihr Tier abgeben?“ Der Ton war wachsam geworden, kritisch, mit einem Schuss Resignation. „Dann sage ich Ihnen gleich, dass wir voll sind. Übervoll, um genau zu sein. Und zu Eusebio kann ich keinen zweiten Hund in den Zwinger geben, das ist mal sicher.“
„Eigentlich wollte ich Mr. Jackson sprechen. Er ist der Tierarzt bei Ihnen, nicht wahr?“, unterbrach Caroline Kimmys Wortschwall.
„Oh. Und was möchten Sie mit Liam besprechen?“
„Ich würde gern, also, ich möchte das gern persönlich klären.“
Kimmy’s Neugier war eindeutig wieder geweckt. „Oh, der Doc hat noch nie ein privates Gespräch hier empfangen. Allerdings ist er gerade dabei, Zic und Zac zu kastrieren. Ich habe sie vorhin rasiert, die beiden Zuckerschnecken. Ein Fell, kann ich Ihnen sagen, so was von weich! Und Flaschenaufzuchten, toll an Menschen gewöhnt, so tolle Kaninchen findet man selten“, flötete diese Kimmy mit Piepsstimme.
Caroline drehte die Augen gen Decke angesichts des neuerlichen Wortschwalls der Tierheimmitarbeiterin. „Kann er mich vielleicht zurückrufen?“
„Ja, natürlich. Wobei, da hinten kommt er gerade. Liam! Komm mal her, Telefon. Es ist was Persönliches, hat die Dame gesagt.“ Es raschelte auf der anderen Seite, als der Telefonhörer weitergegeben wurde.
„Jackson, guten Tag.“ Eine Stimme, die mindestens so tief war wie die von Kimmy hoch. Schlagartig spürte Caroline, wie die Haut auf ihren Armen von einer Gänsehaut überzogen wurde. Der angenehme Bariton des Mannes führte dazu, dass sie ihn instinktiv mochte.
„Hallo. Mein Name ist Caroline Haynes und ich habe keine persönlichen Probleme mit Ihnen. Ich meine, was ich sagen will: Ihre Kollegin hat mich da missverstanden. Ich habe ein Problem mit meinem Kater, Mr. Smith.“
„Wollen Sie ihn ins Tierheim bringen?“ Die Stimme Liam Jacksons verdunkelte sich noch ein wenig mehr und klang beinahe bedrohlich.
„Nein, keinesfalls“, beeilte Caroline sich zu sagen und begann in ihrem Wohnzimmer auf und ab zu gehen. „Mr. Smith ist krank.“
„Ach so.“ Der Tierarzt klang erleichtert. „Sie müssen wissen, dass wir im Moment völlig überbelegt sind. Machen wir doch einen Termin aus, dann kommen Sie einfach mit Ihrer Katze bei mir in der Praxis vorbei. Ich habe meine Räume gleich hier im ‚Animal Rescue’.“
Die Stimme Liam Jacksons war weich und trotzdem tief und maskulin. Caroline fand ihn sofort sympathisch.
„Nein, also, es ist so.“ Sie holte tief Luft. Jetzt war der Moment, wo sie die Karten auf den Tisch legen musste. „Es ist für mich sehr schwer, meine Wohnung zu verlassen, wissen Sie. Deshalb hatte ich gehofft, Sie könnten vielleicht vorbeikommen.“
„Ach so. Nun ja. Ich verstehe Sie natürlich, aber vielleicht wenden Sie sich lieber an einen Kollegen? Im Moment habe ich so viel zu tun, dass ich ungern Hausbesuche mache.“ Dieser Mann klang so sympathisch. Caroline wollte unbedingt, dass er es war, der Smithy untersuchte. Fieberhaft nachdenkend drehte sie eine weitere Runde um den Esstisch im Wohnzimmer.
„Wissen Sie“, setzte sie an, „ich wohne gleich hier in der sechsundfünfzigsten, direkt am Central Park. Das ist nicht so weit von Ihnen weg. Ich hatte gehofft, dass es Ihnen möglich wäre, da eine Ausnahme zu machen. Bitte.“
„Hm. Ich weiß nicht recht.“ Caroline hörte die Unentschlossenheit des Veterinärs am anderen Ende der Leitung aus seinen Worten heraus.
„Selbstverständlich spende ich dem Tierheim fünfzig Dollar zusätzlich für Ihre Umstände.“ Wieder einmal war sie froh, dass Timothy ihr so viel Geld hinterlassen hatte. Einzig sein Erbe half ihr zu überleben. Trotzdem hatte sie immer noch ein fürchterlich schlechtes Gewissen, wenn sie das Geld seiner Familie ausgab.
Der Tierarzt am anderen Ende lachte, es klang tief und auf wohlige Weise brummig. „Na gut, was könnte ich da noch entgegensetzen? Sagen Sie mir die genaue Adresse, dann komme ich nach Feierabend noch kurz bei Ihnen vorbei. Aber ich bringe meinen Hund mit. Ich bin heute ausnahmsweise mit der Subway unterwegs und kann ihn nirgendwo lassen. Hält Ihr Mr. Smith meinen Boston Terrier aus?“
„Natürlich“, behauptete Caroline, obwohl sie sich dessen nicht so sicher war, und drehte eine beschwingte letzte Runde um ihren Esstisch, bevor sie erschöpft auf einen der Stühle sank. Dann nannte sie Liam Jackson ihre Anschrift. „Und herzlichen Dank“, fügte sie noch hinzu. Aber der scheinbar so vielbeschäftigte Tierarzt hatte schon aufgelegt.
* * *
Bis zum Abend musste sich Mr. Smith noch zwei weitere Male übergeben und langsam aber sicher wuchs die Sorge bei Caroline. Wenn er wenigstens gefressen hätte!
Caroline hatte der Katze in ihrer Verzweiflung sogar ein Stück Boerewors gegeben, eine afrikanische Bratwurstspezialität, die es neuerdings bei „Jones meets meat“ zu kaufen gab. Seit der Großmetzgereibetrieb auch lieferte, bestellte sie dort regelmäßig. Und als neulich ein Stückchen der Bratwurst auf dem Küchenboden landete, war Mr. Smith außer sich vor Freude gewesen. Heute jedoch, als Caroline ihm extra eine Wurst gebraten hatte, konnte er sich überhaupt nicht dafür erwärmen. Dabei hatte sie ihm die Chicken-Boerewors sogar extra bis an den Lesesessel getragen. Er schleckte nur kurz und lustlos daran herum und schlief dann einfach wieder ein.
Langsam konnte Caroline den Besuch des Tierarztes kaum noch erwarten. Vielleicht hatte Mr. Smith eine Lebensmittelvergiftung? Oder er hatte aus Versehen irgendwo Putzmittel erwischt? Aber eigentlich war Caroline da sehr vorsichtig und konnte das ausschließen.
Als es endlich klingelte, war sie erleichtert. Jetzt würde ihrem Kater endlich geholfen!
„Guten Tag, ich habe eine Verabredung mit Mrs. Haynes?“ Die dunkle Stimme des Tierarztes war unverkennbar. Und sie passte wie angegossen zu ihm. Der Mann war groß und ein sehr dunkler Typ mit kurzen, schwarzen Haaren und gepflegtem Dreitagebart. Mit seiner lässigen Jeans, einem weißen Hemd und einer dunkelbraunen Lederjacke sah er fast wie ein Biker aus. Gebrochen wurde das Bild des harten Kerls nur von dem kleinen Hund, der auf seinem Arm saß. Ein kleiner Boston Terrier schaute Caroline neugierig entgegen. Der Welpe war weiß mit schwarzumrandeten Augen, die nur so blitzten.
„Mein Gott, ist der aber süß“, entfuhr es Caroline.
„Danke, das haben schon viele über meinen Joker gesagt. In der Regel werde ich übersehen, wenn ich mit dem kleinen Kerl unterwegs bin.“ Liam Jackson grinste.
„Oh, entschuldigen Sie.“ Caroline trat beiseite. „Danke, dass Sie gekommen sind, Mr. Jackson. Kommen Sie doch herein. Mr. Smith liegt im Wohnzimmer und schläft.“
„Sind Sie etwa Mrs. Haynes?“ Der Tierarzt schien überrascht.
„Ja. Natürlich.“
„Ich hatte mir eine alte, gehbehinderte Dame vorgestellt, um ehrlich zu sein.“ Der offene, freundliche Gesichtsausdruck des Mannes verhärtete sich. „Sie hätten leicht zu mir in die Praxis kommen können. Sie haben ja keine Ahnung, wie viel Arbeit ich habe.“ Liam Jacksons Verärgerung war unverkennbar.
Caroline spürte, dass sie feuerrot anlief. Ihr Atem beschleunigte sich auf unangenehme Weise, während ihr Hals gleichzeitig eng wurde und sie das Gefühl bekam, dass ihr die Luft ausging. „Es tut mir leid, ich habe aktuell gesundheitliche Probleme“, stammelte sie und machte eine hilflose Geste. „Ich kann gerade nicht gut rausgehen.“ Als sie sich selbst reden hörte, merkte sie, dass ihre Worte wie ein fauler Vorwand klangen. Liam bedachte sie mit einem langen, kritischen Blick.
Dann beugte er sich hinunter und setzte Joker auf den Boden.
„Er ist stubenrein und beinahe schon gut erzogen“, sagte er und grinste. Zu Carolines großer Erleichterung schien sein Ärger so schnell verflogen zu sein, wie er aufgeflammt war. Dann wandte er sich an den Hund. „Du bist brav, ja? Mach schön Platz, Joker!“ Als das Tier seinen Namen hörte, wedelte es sofort aufgeregt mit dem Schwanz, bevor er sich im Flur zu Boden fallen ließ und liegen blieb.
„Darf ich ihn streicheln?“ Caroline kniete sich neben den Welpen. Er war wirklich zu niedlich. Sie hatte sich auf den ersten Blick in den Hund verliebt. Der Tierarzt nickte. „Ja, er ist ganz lieb.“
Caroline beugte sich vor und ließ den kleinen Kerl an ihrer Hand schnüffeln. Dann kraulte sie ihn hinter den Ohren. Unvermittelt drehte das Tier sich auf seinen Rücken, um am Bauch gestreichelt zu werden.
„Joker, du alter Schwerenöter.“ Der Tierarzt lachte ein leises, liebevolles Lachen. „Er scheint Sie zu mögen, Mrs. Haynes.“
Caroline kraulte den Hund am Bauch, der sehr still hielt und die kleine Massage sichtlich genoss.
„Wollen wir jetzt mal nach Ihrem Kater sehen? Mr. Smith, nicht wahr?“
„Oh, natürlich.“ Caroline stand auf.
„Tut mir leid, ich will nicht drängeln. Aber es ist noch ein Notfall im Tierheim angekommen, um den ich mich kümmern muss“, erklärte der Tierarzt und ging voraus ins Wohnzimmer, wo Mr. Smith noch immer unverändert dalag. Vorsichtig setzte Liam Jackson eine mitgebrachte Umhängetasche auf einem Stuhl ab. Dann zog er seine Jacke aus und warf sie mit einer lässigen Bewegung aufs Sofa.
„Kann ich mir die Hände irgendwo waschen? Ich rieche nach Hund.“ Er klang fast entschuldigend. „Nicht, dass Ihr Mr. Smith hier gleich Angst bekommt.“
Wie rücksichtsvoll von dem Tierarzt. Caroline hätte gar nicht daran gedacht. Sie ging mit Liam in ihr Bad.
„Was hat Ihr Kater denn genau?“, fragte Liam, während er sich gründlich die Hände einseifte. Caroline schilderte ihm die Symptome. Der Arzt wirkte hochkonzentriert. Er hörte ganz genau zu. Liam Jackson gab ihr das Gefühl, gerade der wichtigste Mensch der Welt zu sein. So hatte sie sich lange nicht mehr gefühlt. Sofort empfand sie sich, beziehungsweise Mr. Smith, unglaublich gut aufgehoben. Der intensive Blick, mit dem der Arzt sie dabei bedachte, sorgte für ein kribbeliges Gefühl im Magen, das sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Seine Augen waren von einem ganz besonderen, strahlenden Braun. Wie Bernstein, nur dunkler. Liam Jackson war unbestritten ein schöner Mann. Instinktiv fuhr Caroline sich durch ihre langen, blonden Haare, die ihr locker über die Schultern fielen. Sie wünschte, sie hätte etwas anderes als ihre bequeme Stoffhose und den einfachen Hoodie an, aber dafür war es jetzt zu spät.
„Mr. Smith ist eigentlich ein Leckermaul, aber ich habe den Eindruck, gerade im Moment fällt ihm schon das Wassertrinken schwer“, schloss sie ihre Ausführungen und hielt dem Tierarzt ein sauberes Handtuch hin.
Liam trocknete sich gründlich ab. „Jetzt schau ich ihn mir mal an. Sie hängen sehr an dem Tier, nicht wahr?“
„Ja, sehr.“ Caroline dachte an die vielen einsamen Stunden, die ohne Mr. Smith nicht zu ertragen gewesen wären. An die Tage, wo sein Schnurren ihre einzige Medizin gegen die Trauer und die Einsamkeit gewesen war. Daran, wie er sich nachts auf ihren Beinen zusammengerollt und seine Wärme ihr Trost gespendet hatte.
„Jetzt schauen wir uns den kleinen Patienten mal an.“ Mit großen Schritten ging Liam Jackson an Joker vorbei, der noch immer brav im Flur lag und beim Anblick seines Herrchens freudig mit dem Schwanz wedelte. Dieser griff nach seiner Tasche und ging vor Carolines Kater in die Knie.
„Hallo, Mr. Smith.“ Die tiefe Stimme des Tierarztes hatte einen zärtlichen Ton bekommen, als er den Kater ansprach und ihm vorsichtig übers Fell strich. Der große, gut gebaute Mann und die Warmherzigkeit in seiner Stimme, das berührte Caroline, als sie die Szene beobachtete. „Dann wollen wir mal sehen.“
Liam nahm den Kater hoch, der das Prozedere ohne Protest über sich ergehen ließ. Es musste ihm schon sehr schlecht gehen.
„Ja, du bist ein guter Junge. Komm mal her.“ Der Tierarzt nahm den Kater auf seinen Schoß. Er tastete seine Flanken und den Bauch entlang. Anschließend versuchte er einen Blick in das Maul des Tieres zu erhaschen. Gespannt beobachtete Caroline die Untersuchung.
„Ich muss Fieber messen“, sagte er dann und kramte in seiner Tasche. „Können Sie ihn mal hier ihm Nacken gut festhalten?“
Mr. Smith maunzte unglücklich, als der Tierarzt ihm Fieber maß und versuchte sich zu befreien. Caroline tat es in der Seele weh. Aber sie hielt den Kater fest. „Wird schon, Smithy, hm? Ist gleich vorbei.“
Endlich piepste das Thermometer und der Arzt schüttelte den Kopf. „Seltsam. Die Temperatur ist etwas erhöht. Aber das kann auch am Flüssigkeitsmangel liegen. Er sieht an sich gut aus.“ Liam Jackson schaute in die Ohren des Katers, der jetzt schon mit sichtlich mehr Unwillen reagierte und seinen Kopf schüttelte. Als Caroline ihn losließ, hüpfte er vom Schoß des Tierarztes zurück auf den Lesesessel und rollte sich sofort wieder ein. Wäre er gesund, er hätte sicher die Flucht ergriffen. Die Tatsache, dass er nicht mindestens ins Schlafzimmer unters Bett geflohen war, vergrößerte Carolines Sorge nur noch mehr.
Nachdenklich schaute der Tierarzt auf den Kater und streichelte ihn vorsichtig. „Ich glaube, ich sollte ihm Blut abnehmen. Das wird Ihrem Smithy nicht gefallen, aber nur so bekommen wir auch eine sichere Diagnose über das, was ihm fehlt. Natürlich könnte ich ihn auf Verdacht entwurmen, aber ich bin mir nicht sicher, dass das richtig wäre.“
„Was könnte es denn sonst sein?“ Caroline zwirbelte nervös eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern. Der Ausdruck auf dem Gesicht des Tierarztes war undefinierbar.
„Ich habe einen Verdacht, aber lassen Sie uns erst das Blut abnehmen, ja?“ Er griff wieder in seine Tasche und holte einen Einwegrasierer, eine Spritze und eine winzige Armbinde zum Abbinden heraus.
Caroline standen Tränen in den Augen. Mit einer ärgerlichen Bewegung wischte sie die sichtbaren Zeichen ihrer Sorge mit dem Ärmel ihres Kapuzenpullovers weg. Trotz ihrer verstohlenen Geste sah Liam ihren Kummer und legte für eine Sekunde seine große Hand auf ihre Schulter. „Wir können nur das Beste hoffen. Und wie gesagt, er sieht gut aus. Glauben Sie mir, ich tue, was ich kann.“
Und mit diesen Worten begann der Tierarzt, Mr. Smith’ Pfote zu rasieren.
„Harre, hoffe. Nicht vergebens
zählst du der Stunden Schlag:
Wechsel ist das Los des Lebens,
und es kommt ein andrer Tag.“
Theodor Fontane
„Und was hat Smithy?“ Jason war spontan vorbeigekommen. Ganz verzweifelt hatte Caroline ihn angerufen. Gestern, nachdem der Tierarzt gegangen war, hatte sie sich Mr. Smith auf ihren Schoß gesetzt und leise auf ihn eingeredet, ihn beschworen, dass er wieder gesund werden müsse. Heute wollte Liam Jackson anrufen und sie wartete auf glühenden Kohlen sitzend darauf. „Das weiß der Tierarzt auch nicht.“
„Bestimmt kann er ihm helfen.“ Wie immer strahlte Jason einen schier unglaublichen Optimismus aus. Caroline wollte ihm so gerne glauben. Aber Mr. Smith hatte den ganzen Tag nichts gefressen, war nicht von seinem Platz auf dem Sessel gewichen und machte einen erbärmlichen Eindruck.
„Hoffentlich hast du recht. Ich weiß gar nicht, was ich ohne Mr. Smith tun sollte. Die Wohnung wäre so leer ohne die Katze.“ Carolines Stimme brach bei ihren letzten Worten. Mr. Smith war Timothys Kater gewesen. Allein das machte alles noch viel schlimmer.
Caroline trat ans Fenster. Ihre Unruhe trieb sie um. Sie sah, dass draußen erste Schneeflocken vom Himmel fielen. Jetzt wurde es endgültig Winter. Die Eislauffläche der Wollman Rink war beinahe fertig präpariert. Bald würden die ersten Schlittschuhläufer ihre Kreise ziehen. Caroline wandte sich ab und ging zurück zu Jason.
„Möchtest du noch einen Tee?“, fragte sie ihren Cousin.
Jason nickte. „Ich bleibe, bis der Tierarzt anruft, wenn es dir recht ist.“
Caroline nickte dankbar. „Gut. Ich habe auch noch ein paar dieser Vanillekipferl.“ Sie versuchte ein Grinsen. Es wurde irgendwie schief. Das Warten machte sie zu sehr verrückt.
Sie stellte die Plätzchen vor Jason auf den Tisch. Sie würde kein einziges runterkriegen, und wenn sie noch so lecker dufteten. Kummer schlug ihr auf den Magen. Kein Wunder, dass sie in ihrer Wohnung ohne Sport ihre schlanke Figur problemlos hielt.
„Kann ich dir etwas zeigen?“ Jason riss Caroline aus ihren Gedanken.
„Natürlich“
„Schau mal, was ich besorgt habe.“ Er griff in die Tasche seines Jacketts und holte ein kleines Schächtelchen hervor. Als er den Deckel öffnete, blinkte ihr ein dezenter Ring entgegen. Schlicht, silbern, mit drei kleinen Diamanten. Automatisch wanderte Carolines Hand zu ihrem eigenen Ringfinger und tastete nach ihrem Ring. Sie begann ihn zu drehen.
„Wie schön.“ Sie freute sich ehrlich für Jason. Er war lange Single gewesen, bevor er Lexi getroffen hatte.
„Ja?“ Jason wirkte unsicher. „Meinst du, sie nimmt den Ring an? Ich habe solche Angst, dass ich nicht gut genug bin, oder, ach, ich weiß auch nicht. Sie ist so eine besondere Frau.“
„Jason!“ Caroline griff über den Tisch und fasste seine Hände. Ihr Tonfall bekam etwas Beschwörendes. „Schau mich an. Du bist einer der wunderbarsten Männer, die mir je begegnet sind. Sie wird dich heiraten. Das steht außer Frage.“
Sofort wurde Jason ruhiger, Caroline ließ seine Finger los. Erstaunlich, sie konnte es noch immer. Früher, als sie noch als Hebamme gearbeitet hatte, war ihr der Ruf vorausgeeilt, Ruhe und Zuversicht auszustrahlen. Die meiste Zeit über war sie ausgebucht gewesen. Und sie war ihrem Beruf voller Leidenschaft nachgegangen. Doch das alles war natürlich gewesen, bevor ihr Leben seine tragische Wendung genommen hatte.
Schnell konzentrierte sie sich wieder auf Jason, der seine Teetasse umfasste und vorsichtig an der heißen Flüssigkeit nippte.
„Danke, Cousinchen.“
„Nicht der Rede wert. Erzähl mal, du hast doch bestimmt etwas ganz Besonderes geplant für die Frage aller Fragen.“ Gespannt stützte sie ihren Kopf in ihre Hände.
„Ja, ich dachte mir Folgendes.“ Jason nahm eine gespannte Haltung an und setzte seine Tasse ab. In diesem Augenblick klingelte es an der Tür und Carolines Herzschlag setzte für einen Moment aus.
„Wer ist das denn jetzt? Eigentlich erwarte ich niemanden.“ Sie ertrug es nur schwer, wenn jemand unerwartet bei ihr vorbeikam. Ungeplanter Besuch war eines der Dinge, die sie überforderte. Wer konnte das nur sein? Fieberhaft dachte sie nach.
„Vielleicht ein Paketbote?“, versuchte Jason sie zu beruhigen. Er kannte sie. Er wusste, dass das die geringstmögliche Bedrohung war – aus Carolines Sicht.
„Komm, mach schon auf, dann weißt du es“, ermunterte Jason sie. Widerwillig ging sie in Richtung Tür. Ihr blieb ja eh nichts anderes übrig. Sie konzentrierte sich darauf, möglichst ruhig zu atmen. Ihr Herz schlug wie verrückt. Unkontrollierbar wie immer.
Vorsichtig schaute sie durch den Spion nach draußen. Dann öffnete sie fast schon erleichtert die Tür.
„Mr. Jackson! Schön, dass Sie extra noch mal vorbeikommen. Kommen Sie doch rein.“
„Ja, danke.“ Die tiefe Stimme war heute noch etwas tiefer als sonst. Doch Caroline registrierte das nur am Rande, denn Joker wedelte bei ihrem Anblick begeistert mit dem Schwanz. Sie konnte gar nicht anders, als den kleinen Hund hochzunehmen und zu streicheln. „Du bist wirklich ein ganz bezaubernder kleiner Kerl, nicht wahr?“ Unweigerlich musste sie lachen, als der kleine Boston Terrier einmal über ihre Wange schleckte. „Ist ja gut, Joker.“
Vorsichtig setzte Caroline den Hund zurück auf den Boden, wo er sich sofort brav hinlegte. Er war offensichtlich ein schlaues Tier. Liam kramte in seiner Hosentasche und holte ein Leckerli hervor, das Joker sofort gierig verschlang.
„Bleib“, sagte er zu dem Hund und strich ihm über den Kopf.
„Gut, dass Sie gleich noch mal vorbeigekommen sind.“ Ausnahmsweise meinte Caroline das so, obwohl Liam seinen Besuch nicht angekündigt hatte. „Dann können Sie Smithy gleich behandeln.“
Jetzt erst, als Caroline in Liams Augen sah, wurde ihr sein ernster Gesichtsausdruck bewusst. Seine Stirn stand in tiefen Falten. Obwohl sie ihn nicht kannte, sah sie, dass etwas nicht in Ordnung war.
„Was ist denn?“ Das Lächeln, das Joker ihr ins Gesicht gezaubert hatte, verschwand.
„Können wir reingehen?“
„Natürlich.“ Caroline ging voraus. „Das ist mein Cousin Jason.“
Jason war aufgestanden, und die beiden Männer schüttelten einander die Hände.
„Liam, angenehm.“
„Was hat Smithy denn nun? Wird die Behandlung teuer?“ Caroline musste es einfach wissen. Sie schluckte schwer. Wenn Liam Jackson so ein Drama machte, war es sicher kostenintensiv, Mr. Smith zu behandeln.
„Es tut mir leid. Ich kann Ihrem Kater nicht helfen. Seine Nierenwerte sind sehr schlecht, nicht mehr messbar schlecht, um genau zu sein.“
„Was?“ Caroline konnte nicht fassen, was sie da hörte.
„Mr. Smith leidet an Nierenversagen.“
„Und das bedeutet?“
Jason war hinter Caroline getreten und hatte seine Hände auf ihre Schultern gelegt, während Liam Jackson die Konsequenzen des Nierenleidens erklärte. Der Kater musste eingeschläfert werden, wenn man ihm schlimmeres Leiden ersparen wollte.
„Deshalb bin ich vorbeigekommen. Ich dachte, vielleicht können wir das Tier gemeinsam erlösen“, schloss der Tierarzt seine Ausführungen mit leiser, mitfühlender Stimme.
Etwas in Caroline zerbrach. Ihre Hoffnung, alles könnte eine einfache Lösung haben. Ein weiteres Stückchen des wenig Guten in ihrem Leben würde abbrechen. Sie stand ruckartig auf und ging zu Smithy hinüber. Caroline spürte gar nicht, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie strich über das weiche Fell ihres Katers, der die Berührung regungslos über sich ergehen ließ. Tausend Momente mit ihm schossen durch ihren Kopf. Bilder von Mr. Smith, wie er sich auf dem Teppich wälzte. Oder wie er seiner Stoffmaus hinterhergejagt war. Sein lautes Kratzen an der Schlafzimmertür, wenn sie ihn versehentlich ausgesperrt hatte. Das Gefühl, das er ihr immer gegeben hatte, wenn er in ihren einsamsten Momenten zu ihr auf den Schoß gehüpft war. Die Bilder gingen nahtlos ineinander über. Caroline konnte sich nicht vorstellen, dass all diese kostbaren Augenblicke mit Mr. Smith vorbei sein sollten. Sie schluchzte laut auf. Dann nahm sie den Kater hoch und hielt ihn vor ihre Brust.
„Ach, Smithy.“ Er hing ganz kraftlos in ihren Armen. „Gibt es denn überhaupt keine andere Lösung? Die Katze ist doch alles, was ich noch habe.“ Ihre Tränen tropften auf das Fell des Stubentigers. „Ich brauche ihn, wissen Sie. Ich brauche ihn einfach.“
Als Mr. Smith mit einem leisen Maunzen protestierte, setzte sie ihn vorsichtig zurück auf seinen Platz, wo er sich sofort einrollte.
„Nein. Man kann nichts mehr für ihn tun. Ich wollte, ich könnte Ihnen etwas anderes sagen, aber nein.“ Der Tierarzt hatte feuchte Tücher ausgepackt und reinigte sich damit die Hände. Caroline fühlte sich so hilflos. Weinend kniete sie vor ihrer Katze.
In diesem Augenblick hasste sie Liam Jackson für sein nüchternes Händeabputzen, für seine Vorbereitung des Unvermeidbaren.
Jason war wieder zu Caroline herübergekommen und hatte jetzt seinen Arm um ihre Schulter gelegt. „Du weißt, was du tun musst, Carol. Komm, ich bleibe bei dir, ja?“
Caroline wurde erneut von hilfloser Trauer übermannt. Sie schluchzte laut auf. Dann nickte sie. Es war klar, was getan werden musste. Wenn sie ehrlich war, sah sie, dass es Mr. Smith elend ging. Er spuckte seit Tagen und nahm kaum bis gar nicht mehr am Geschehen teil. Wenn das nicht mehr besser wurde, musste sie ihrem treuen Gefährten den Gefallen tun und ihn erlösen. Es gab keinen anderen Ausweg.
„Tun Sie es“, wandte sie sich mit tonloser Stimme an Liam Jackson.
* * *
Es sah aus, als würde Mr. Smith schlafen. Er lag noch immer auf dem Fernsehsessel. Caroline hatte das Schaffell, das er so gern mit seinen Krallen malträtiert hatte, unter ihm ausgebreitet. Sie konnte nicht fassen, dass so der Tod aussah. Friedlich, aber auch trügerisch, als ob Smithy jeden Augenblick wieder aufwachen könnte.
„Ich glaube, er hat es geschafft.“ Liams Stimme war ganz leise, ein tiefes Brummen. Er setzte mit einer vorsichtigen, fast schon zärtlichen Bewegung das Stethoskop an. Dann nickte er.
Wieder kamen Caroline die Tränen. „Was mache ich jetzt nur ohne dich?“ Sie hob ihren Kater hoch und nahm ihn in den Arm. Er war schwerer als sonst, aber er roch nach sich selbst. Tief steckte sie ihre Nase in sein Fell. Mr. Smith war ein so treuer Begleiter gewesen.
„Mein Beileid, Carol.“ Jasons Stimme drang nur langsam zu ihr durch.
Die beiden Männer saßen links und rechts von ihr, beide mit mitfühlendem Blick. Liam Jackson streichelte dem toten Smithy über das Fell.
Alle schwiegen eine Weile, bis Liam sich räusperte.
„Es tut mir leid, das ansprechen zu müssen, aber Sie wollen Mr. Smith mit Sicherheit bestatten, nicht wahr?“
Caroline schluchzte auf. Die Vorstellung, ihren Kater unter die Erde zu bringen, irgendwo da draußen, an einem Ort, wo sie nicht einmal hingehen können würde, weil sie viel zu viel Angst vor der Außenwelt hatte, war fürchterlich.
„Am liebsten würde ich ihn einfach behalten.“ Sie wusste, wie unrealistisch das war, aber die Worte waren draußen, bevor sie ein zweites Mal darüber nachdenken konnte.
„Wie wäre es, wenn ich Ihren Smithy mitnehme und die Urne wieder zurückbringe?“ Der Tierarzt kramte in seiner Tasche, holte eine Packung Taschentücher heraus und hielt Caroline eines hin. „Mein Beileid übrigens. Es ist immer fürchterlich, ein Tier zu verlieren.“ Liam war einfach wunderbar. Caroline spürte sein ehrliches Mitgefühl. Seine Augen schienen ihr direkt ins Herz zu sehen. Dieser Mann schaffte es, sie tief zu berühren, obwohl sie einander kaum kannten. Seine Stimme hatte etwas nahezu Hypnotisches. Und obwohl dieser Moment einer der traurigsten ihres Lebens war, spürte Caroline, dass der Gedanke, Liam wiederzusehen, so etwas wie ein winziger Lichtblick war. Außerdem gefiel ihr die Idee, die Asche ihres Katers bei sich zu behalten. Die Vorstellung, die Urne bei sich zu haben, war weniger beklemmend für Caroline, als das Tier unter der Erde zu wissen.
„Haben Sie, nun ja, eine Kiste?“ Wieder streichelte Liam Mr. Smith über den Kopf.
„Natürlich.“ Ihre Stimme brach. Ein letztes Mal steckte Caroline ihre Nase in das Fell des Katers. Sie wollte sich an diesen Geruch erinnern, ihn abspeichern, für immer bei sich tragen. Dann stand sie auf, um einen Karton zu holen. Es musste noch ein Schuhkarton da sein. Sie ging in den kleinen Vorratsraum. Als sie zurückkam, drohte die Trauer beim Anblick von Mr. Smith sie sofort wieder zu überwältigen. Sie atmete tief ein. Dann tat sie, was getan werden musste. Sie hob Smithy hoch und gab ihn in Jasons Arme, nahm das Schaffell und breitete es in der Schachtel aus. Dann legte sie den Kater hinein. Ein letztes Mal schaute sie ihm in sein liebes Gesicht. Dann schloss sie den Deckel.
„Fertig, bitte schön.“ Sie gab die Schachtel in Liams Hände. Sie spürte schon jetzt, wie das Loch, das Mr. Smith hinterließ, sich ausbreitete und eine neue Leere ihre Wohnung füllte – und ihr Herz.
„Komm her, Cousinchen.“ Jason zog Caroline zu sich in seinen Arm. Schon als Kind hatte er sie beschützt. Irgendwie schien sich die Vergangenheit immer wieder zu wiederholen. An seiner Schulter ließ sie ihren Tränen endgültig freien Lauf.
„Was mach ich jetzt nur so ganz alleine?“ Die Frage brach aus ihr heraus. Statt einer Antwort zog Jason sie noch fester an sich und hielt sie fest, in mitfühlendem Schweigen. Im Raum herrschte gespenstische Stille, ganz so, als ob die Zeit einfach angehalten hätte.
Irgendwann ertönte ein leises Kläffen seitens des Flurs.
„Oh, ich glaube, Joker muss mal. Dann geh ich jetzt, ja? Ich nehme Mr. Smith mit“, hörte sie die Stimme von Liam.
Widerstrebend löste Caroline sich von ihrem Cousin, dem einzigen Anker, der ihr geblieben war. „Danke, Doc. Sehr freundlich von Ihnen, dass Sie sich um Smithy kümmern.“
Wie der Tierarzt da stand, in seiner Lederjacke, mit der Schachtel unter dem Arm, kam Caroline plötzlich der Gedanke, dass er der Typ Mann war, den jede Frau sich in ihrem Leben wünschte. Ein wenig wie Jason. Ein Mann, der zupackte, anderen half und genau wusste, wer er war.
„Das ist selbstverständlich, Mrs. Haynes. Wir sehen uns, ja?“ Er streckte seine freie Hand aus und Caroline erwiderte seinen Händedruck, der wie erwartet kräftig und sicher war. Als sie aufstehen wollte, hielt er sie zurück. „Ich finde alleine raus.“
Dann wandte er sich ab und ging mit großen Schritten in Richtung Flur. Mit einem weiteren leisen Kläffen begrüßte Joker sein Herrchen. „Komm, Joker, wir gehen noch kurz rüber in den Park. Bist ein braver Hund.“
Die Tür schloss sich hinter Liam Jackson und seinem Hund und es wurde wieder still.
Caroline wischte sich mit den Händen energisch die Tränen von den Wangen. Ihr Lesesessel war verwaist. Sie holte tief Luft und unterdrückte weitere Tränen, die sich ihren Weg bahnen wollten.
„Komm, Caroline. Ich mach uns noch etwas Tee.“ Jason zog sie in die Küche. Verstohlen warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, der Caroline nicht verborgen blieb. Natürlich, heute war ein ganz normaler Dienstag. Mit Sicherheit musste Jason eigentlich arbeiten und hatte sich die Zeit für Caroline einfach genommen, weil sie ihn brauchte.
„Danke, Jason.“
„Wofür?“ Er hantierte schon mit dem Wasserkocher.
„Deine Zeit.“
„Ach, das ist doch ganz selbstverständlich.“ Er ließ Wasser in den Kocher laufen.
„Nein, ist es nicht. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass heute noch viel Arbeit auf dich wartet.“
„Ach, es geht schon. Dann bleibe ich eben am Abend ein Stündchen länger.“ Jason wich ihrem Blick aus.
So gern Caroline seine Gesellschaft noch weiter genossen hätte. Sie konnte ihm nicht noch mehr Zeit rauben. Sicher war es wie immer: Sein Arbeitstag hatte viel zu viele Stunden, seit er bei „Sweet Temptation“ Geschäftsführer war.
„Los, geh. Ich komm schon klar.“ Caroline bemühte sich, ihrer Stimme mehr Festigkeit zu verleihen, als sie eigentlich fühlte. „Du kannst mir jetzt gerade eh nicht helfen.“
Ein Teil von ihr wollte in diesem Augenblick auch tatsächlich alleine sein, sich in die Trauer hineinfallen lassen können, heulen ohne Scham, vielleicht sogar in ein Kissen schlagen oder schreien.
„Bist du sicher?“ Jetzt suchte Jason wieder Augenkontakt.
„Natürlich bin ich sicher. Du besuchst mich einfach nächste Woche wieder, ja? Ich komm schon klar.“
Das Wasser kochte. Jason hängte einen Teebeutel in eine taubenblaue Tasse und goss das heiße Wasser hinein. Dann hielt er Caroline die Tasse hin.
„Wenn du dir ganz sicher bist, dann gehe ich. Um ehrlich zu sein, steht der Abschluss mit den Chinesen kurz bevor, und es ist zeitlich alles ein wenig eng.“
Caroline nickte und zwang sich zu einem Lächeln. „Geh, Jason. Du hast alles getan, was du konntest.“
„Ich ruf dich an, okay?“
„Natürlich.“ Das mühsame Lächeln war wie in Carolines Gesicht gemeißelt. Sie begleitete Jason zur Tür, wo er sie noch mal in seine Arme schloss und auf die Wange küsste. Dann war er auch schon draußen und sie schloss sanft die Tür hinter ihm.
Im Wohnzimmer nahm sie die flauschige Decke vom Sofa und ging dann zum Fenster. Es schneite jetzt in dichten Flocken. Sie ließ sich in ihren Sessel fallen und wickelte sich in die Decke ein. Die Wohnung kam ihr eisig vor. Sie zitterte am ganzen Körper. Während sie nach draußen starrte, wartete sie darauf, wieder weinen zu müssen. Aber alles, was sie fühlte, war ein kaltes, großes Nichts.
„Wenn die Kraft versiegt,
die Sonne nicht mehr wärmt,
dann ist der ewige Frieden eine Erlösung.
Wenn die Kraft zu Ende geht,
ist die Erlösung eine Gnade.
Wenn du an mich denkst, erinnere dich an die Stunde,
in welcher du mich am liebsten hattest.“
von Rainer Maria Rilke
Caroline tuschte sich vorsichtig die Wimpern. Sie wusste nicht mehr, wann sie sich zuletzt geschminkt hatte. Es musste zwei Jahre her sein. Damals, bei dem Dinner im „Le Cygne noir“, an diesem speziellen Abend, ihrem letzten mit Timothy. Sie tastete nach dem Ring. Nicht weiterdenken, schalt sie sich, nur nicht weiterdenken. Caroline griff nach ihrer Haarbürste und kämmte sich ihre langen blonden Haare, bis sie seidig glänzten.
Vorhin hatte Liam Jackson angerufen. Er würde nachher kommen und die Urne vorbeibringen.
Der Tod von Mr. Smith war jetzt mehr als eine Woche her. Die Lücke, die er hinterlassen hatte, klaffte noch immer weit auf. Trotzdem hatte sich neben der Trauer, die der Anruf des Tierarztes neu entfacht hatte, noch ein weiteres Gefühl bei Caroline eingeschlichen: Die Freude über den Anruf des Tierarztes mit der schönen Stimme. Sie musste zugeben, dass der Gedanke, Liam wiederzusehen, eine Stelle in ihr berührte, die sie lange nicht mehr gefühlt hatte. Dieses Gefühl trieb sie an, sich schön zu machen. Deshalb hatte sie die schlichte, hellblaue Bluse angezogen, die die Farbe ihrer Augen perfekt zur Geltung brachte. Jetzt, als sie sich noch kurz die Nase puderte, war sie zufrieden mit dem, was sie sah. Sie sah beinahe gestylt aus. Aber noch so, dass es für die Wohnung in Ordnung war.
Vorhin war Violetta Zucchelli kurz dagewesen und hatte ihr ein Brot und frisch gebackene Lebkuchen vorbeigebracht. Die Wohnung duftete nach Zimt und Spekulatiusgewürz. Leider war die alte Dame sehr in Eile gewesen und hatte sich sofort wieder mit einem schnellen „Arrivederci!“ verabschiedet.
Draußen hatte sich eine feine Puderschicht über die Landschaft gelegt. Es war tatsächlich Winter geworden. Aber Caroline fehlte der Blick für diese Schönheiten. Sie dachte noch immer viel an Mr. Smith. Dadurch, dass sie viel mit dem Kater allein gewesen war, hatte sie auch oft mit ihm gesprochen. Jetzt, so pathetisch das auch klang, fehlte ihr die Katze als Ansprechpartner.
Mit einem Seufzer ließ Caroline sich auf ihr Sofa fallen, um auf Liam zu warten. Sein Besuch, auch wenn er sicher kurz ausfallen würde, schließlich hatte er neulich angedeutet, wie sehr er beschäftigt war, würde eine willkommene Abwechslung sein.
Caroline griff nach ihrem Buch. Auf der Farm in Afrika, wo es spielte, kam es gerade zum Showdown. Caroline tauchte sofort in die Geschichte ein. Der männliche Protagonist war gerade dabei, seine Angebetete vor einem Löwen zu retten und mit ihr gen Sonnenuntergang zu reiten. In dem Augenblick, als er die Frau seines Herzens leidenschaftlich küsste, klingelte es an der Tür und Caroline wurde aus der Zauberwelt ihres Romans zurück in die Wirklichkeit gerissen. Mit einem Seufzer legte sie das Buch beiseite und stand auf. Sie strich sich über die Bluse und ging zur Tür.
Liam sah mindestens genauso gut aus, wie bei ihrer letzten Begegnung. Sein Dreitagebart, die Lederjacke, Jeans, die an den Knien fast durchgewetzt waren, all das gab ihm etwas Verwegenes. Und auf seinem Arm saß – nicht Joker, sondern ein anderer Hund.
Ein Jack-Russel Mischling schaute Caroline neugierig entgegen. Er war weiß mit ganz ungewöhnlich vielen braunen Flecken. Der Hund wedelte wie verrückt mit dem Schwanz und schien wahnsinnig aufgeregt zu sein. Caroline musste unweigerlich grinsen bei dem Eifer, den das Tier zeigte, auf was auch immer sich dieser Eifer richtete.
„Wen haben Sie denn da mitgebracht?“ Sie musste lachen, als Liam den Hund auf den Boden setzte und dieser sofort versuchte, ihre Wohnung im Sturm zu erobern vor lauter Ungestüm.
„Aus, Corinne, aus!“ Liams Ton war energisch, zeigte aber wenig Effekt bei dem Tier. Vielleicht hasste es ja seinen Namen. Wie konnte man einen Hund nur Corinne nennen, fragte Caroline sich im Stillen.
„Gut, dass Sie den Hund angeleint haben. Vermutlich würde Corinne sonst schon im Wohnzimmer auf dem Tisch sitzen und Lebkuchen essen.“ Caroline grinste Liam an.
„Danke, dass Sie noch mal gekommen sind.“
Liam zog sanft die Leine zurück und nahm Corinne wieder hoch.