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Die Makis haben ihren Transmitter auf dem Mars installiert, sie laden dann Chet Morrow und einige Begleiter ein, ihren Heimatplaneten zu besuchen. Auf einer Zwischenstation kommt es aber zu einem technischen Problem, die kleine Gruppe ist damit abgeschnitten. Sie befinden sich auf einem Eisplaneten, der Versuch einer Reparatur scheitert und ohne die Möglichkeit, Hilfe anzufordern, drohen sie zu erfrieren. Schließlich werden sie von einem anderen Gestrandeten gefunden, dieser ist allerdings ein Sodoraner. Doch in dieser schwierigen Lage müssen sie zusammenarbeiten, sich gegenseitig helfen, um zu überleben …
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Seitenzahl: 321
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AdAstra - Chet Morrows Weg zu den Sternen, Neue Abenteuer
Buch 3
Copyright © 2024 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
In Zusammenarbeit mit
Heinz Mohlberg Verlag GmbH, Pfarrer-Evers-Ring 13, 50126 Bergheim
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
Die Printausgabe des Buches ist 2012 im Mohlberg-Verlag erschienen.
ISBN: 978-3-9420-7972-3
www.Blitz-Verlag.de
ISBN: 978-3-7579-6898-4
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Zuletzt bei Ad Astra
Arche Noah 2115
Unerfreuliche Gäste
Ankunft mit Problemen
Auf zu neuen Welten
Unerwartete Probleme
Zweifel und Hoffnung
Eine neue Hoffnung
In letzter Minute
Neue Einsichten, neue Erfahrungen
Der Verrat
Besondere Begegnung
Unter guten Freunden
Epilog
Vorschau
Die Horizontunter Commander Chet Morrow kehrt für eine besondere Mission zurück nach Alpha Centauri: Die Besatzung soll unter den Nachfahren der Römer, die auf dem dritten Planeten leben, Söldner rekrutieren. Zudem transportiert das Schiff einen Transmitter, um die Verbindung zu Erde und Mars einfacher zu gestalten. Neben den Soldaten sollen Chet und seine Leute auch Siedler für den Mars gewinnen, Menschen, die sich mit Ackerbau auskennen. Denn auf dem Mars droht wegen der Flüchtlingsströme eine akute Hungersnot. Angesichts der Probleme auf der Erde – und weil der Transport von Lebensmitteln zwischen den Planeten viel zu aufwendig wäre – soll direkt auf dem Mars angebaut werden. Dazu plant Wasserkönigin May Edmundson ein gigantisches Projekt: Sie will Teile eines Marscanyons überdachen, mit enorm großen Plasteilen. Unter dem Schutz des Daches sollen die neuen Anbauflächen entstehen. Doch unter den konkurrierenden Wasserkönigen gibt es einige, die das Projekt ablehnen, ja sogar bekämpfen. Es gibt Sabotageangriffe auf die Baustelle, bei der es zu Todesopfern kommt, May Edmundson überlebt nur knapp einen Anschlag. Derweil gibt es bei Chet Morrows Mission auf dem Planeten, der künftig als Neu-Rom bezeichnet wird, Probleme. Dort sowie auf dem vierten Planeten Eden bricht eine Seuche aus, die die Gehirne Erwachsener angreift, sie hilflos zurücklässt. Es zeigt sich, dass die Seuche nicht durch Viren verursacht wird, sondern durch Strahlung. Chet und seinen Leuten gelingt es, die Strahlenquelle zu orten: Es sind winzige Satelliten im Orbit, die schließlich zerstört werden können. Auf dem dritten Planeten gelingt es zuletzt, für den Rückflug zur Erde Dutzende Römer, vor allem ganze Familien, mit an Bord zu nehmen.
„Nein, nein, nein!“ Sie waren gerade einmal einige Stunden Flug entfernt von dem Planeten, den sie einst Honkie Alpha III genannt hatten, schon hatte Commander Chet Morrow das Bedürfnis, die Schleusen zu öffnen und alle Römer mitsamt ihren Tieren hinaus ins Weltall zu pusten. Die Horizont war einfach nicht für so viele Menschen ausgelegt, wie sich jetzt an Bord drängten. Und eine zweite Mission dieser Art konnten sie sich derzeit nicht leisten. Momentan also wurde jeder Zentimeter Platz auf dem Schiff ausgenutzt, um die Siedler unterzubringen und sie zum Mars zu bringen. Die ehemaligen Gladiatoren um Lucius sowie der frühere Legionär Tiberius Cornelius waren auf Eden geblieben. Ohnehin hatte Chet ja jenen Planeten anfliegen müssen, damit die Makis dort einen Transmitter aufstellen konnten. Und was lag also näher, als auf dem Rückweg so viele Römer mitzunehmen wie möglich?
Die Mannschaftsmitglieder schliefen teilweise zu viert oder sechst in den Quartieren, manche sogar auf dem Boden. Nur Chet genoss das Privileg, alleine sein Quartier zu bewohnen, wo er gerade voller Wut einen seiner Stiefel an die Wand feuerte. Die Tiere, die die Römer in provisorischen Käfigen mitgebracht hatten, verursachten einen Lärm, wie er ihn noch nie gehört hatte. Dann war auch noch einer der Transportbehälter kaputt gegangen und sie waren stundenlang flüchtenden Hühnern hinterhergeeilt. Außerdem verbreiteten die Tiere einen Gestank, der kaum auszuhalten war. Chet wollte gar nicht wissen, wo und wie die Römer deren Exkremente entsorgten.
Wobei: Das will ich schon wissen. Sonst kriegen wir den Gestank nie wieder raus. Das Zeug muss entsorgt werden, diese Römer und ihre Tiere sind überall.
Natürlich kannten sie sich auf dem Schiff nicht aus, was sie aber nicht davon abhielt, sich überall auf der Horizont herumzutreiben. Auch dort, wo sie nichts zu suchen hatten, wie in der Kommandozentrale und im Maschinenraum. Barny Owl war vollauf beschäftigt, sie von dort wieder zu verscheuchen und sie darauf hinzuweisen, ausschließlich in den ihnen zugewiesenen Bereichen zu bleiben. So langsam bekam jeder an Bord seine Latein-Lektionen. Und dann gab es natürlich auch noch das Problem mit der Ernährung. Sie hatten zwar einige Vorräte von dem dritten Planeten mitgenommen, der nun von den Menschen Neu-Rom genannt wurde. Aber die Vorräte würden gerade reichen, um nicht zu verhungern.
Tom Atkins und Simon Cos amtierten als Proviantmeister, waren für die gerechte Verteilung der knappen Lebensmittel zuständig. Aber das war keine einfache Aufgabe. Wie sollten sie sicherstellen, dass wirklich jeder etwas bekam, zumal sich die Siedler weigerten, die Standard-Astronautennahrung zu sich zu nehmen? Und mit genau diesem Problem standen Tom und Simon nun vier Stunden nach Abflug vor Chet, der gerade dabei war, irgendwie die Hühnerscheiße von seiner Jacke zu bekommen. Er sah Tom ungläubig an. „Ich dachte, darüber hättest du dir vor unserem Abflug Gedanken gemacht! Du wolltest dich doch drum kümmern.“
Verlegen kratzte sich Atkins am Nacken. „Da wussten wir ja noch nicht, wie viele mitkommen und dass sie sich weigern … naja … Ich dachte, das regelt sich irgendwie …“
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“, hakte Chet nach, es klang ungläubig.
„Naja, ich habe zumindest schon mal eine aktuelle Liste mit unseren Vorräten. Und eine ungefähre Schätzung von dem, was die Tiere während unseres Fluges zum Mars produzieren.“
„Hä?“
„Na, Eier.“
Morrow musste einige Male tief durchatmen, um sich zu beruhigen. Der Fleck in seiner Jacke war hartnäckig. „Geh damit zu Marooney“, befahl er.
„Wieso? Sind die Tiere etwa krank?“
Chet war versucht, etwas nach ihm zu werfen. „Tom! Geht auf die Krankenstation und fragt Doc Marooney, wie viele Vitamine und Mineralien diese Römer am Tag brauchen. Das kann er ja wohl am besten einschätzen.“
„Ja, und wie stellen wir sicher, dass auch jeder nur seine Ration bekommt? Die sind nicht halb so diszipliniert wie die Männer unserer Mannschaft. Die stellen sich auch ein zweites oder drittes Mal an.“
„Also, meinetwegen gib Lebensmittelkarten aus! Oder registriert die Leute per Pad mit Iris-Scan. Tom, ich habe jetzt wirklich keine Zeit für sowas. Ich muss mich um andere …“
Kopfschmerzen. Er bekam fürchterliche Kopfschmerzen. Sein Armbandcomp meldete sich. „Was ist?“
Es war Letta Huo. „Es gibt hier unten ein Problem …“
„Was du nicht sagst …“ Chet seufzte.
„Uns fehlen Decken …“
„Decken? Das kann nicht sein.“
„Chet“, Atkins trat von einem Fuß auf den anderen. „Soll ich jetzt gehen?“
Morrow rieb sich über die müden Augen. „Letta, sieh noch mal nach.“
„Aber das habe ich doch bereits.“ Auch ihrer Stimme war die Anspannung anzuhören.
„Dann tu es noch mal!“, schrie Morrow und trennte die Verbindung. Atkins räusperte sich. „Wir … äh … gehen dann mal.“ Tom hielt einen taktischen Rückzug für die beste Lösung. Also packte er Simon Cos am Hemdärmel und zog ihn mit sich. Chet atmete erleichtert auf, als sich die Tür hinter ihnen schloss. Dann ließ er sich auf sein Bett sinken und schloss die Augen. Fünf Minuten. Er wollte einfach nur mal fünf Minuten seine Ruhe haben.
Sein Armbandcomp vibrierte, riss ihn aus dem Halbschlaf. Ohne nachzudenken, nahm er den Anruf an, blickte auf das kleine Display, sah dort das Gesicht von Letta Huo, die bei seinem Anblick erschrak.
„Gott, Chet, wann hast du das letzte Mal mehr als vier Stunden geschlafen?“, erkundigte sie sich. „Ist schon eine Weile her.“ Er warf einen Blick auf den Comp. Zwanzig Minuten, er hatte geschlagene zwanzig Minuten geschlafen und die Kopfschmerzen waren nicht besser geworden. Im Gegenteil.
Letta setzte nach. „Ist wirklich alles in Ordnung?“ Genau in dem Moment ging der Alarm los. Feueralarm!
„Oh, nein!“ Morrow fragte gar nicht erst nach, auf welchem Deck es brannte. Er ahnte, nein wusste es bereits. Als er den Gang entlangrannte, sah er tatsächlich Rauchschwaden, die Lüfter arbeiteten heftig. Irgendetwas strich um sein rechtes Bein …
„Ah, Schiffsführer!“ Marcus Calpurnius Apicius wäre fast in ihn hineingerannt. „Gut, dass du kommst. Wir scheinen da … ein kleines Problem zu haben.“ Chet sah sich nach einem Übersetzer um, Marcus sprach langsam, Chet verstand ihn.
„Das sehe ich, hören Sie, Marcus Calpurnius, ihr könnt nicht einfach Feuer machen!“
Der Römer wies auf die Luke zum Hangar, die offen war. Chet folgte dem Römer, im Hangar sah er Tom Atkins, umgeben von zahlreichen Menschen.
„Oh … äh … Chet, gut, dass du …“
„Was ist denn hier los?“ Plötzlich sah Chet etwas Großes auf sich zukommen, er konnte gerade noch ausweichen, ehe der … Esel ihn zu Boden reißen konnte. Eine der Römerinnen rannte dem Tier rufend und mit den Armen fuchtelnd hinterher, versuchte ihn wieder einzufangen, Chet schüttelte den Kopf. „Verdammt noch eins, Tom! So geht das nicht weiter!“
Er schob Tom zur Seite, der Qualm hatte sich inzwischen verzogen und gab den Blick auf das Chaos frei. Das automatische Löschsystem hatte einwandfrei funktioniert und alles, auch Mensch und Tier, mit einer dünnen, weißen Schicht bedeckt, um das Feuer zu ersticken. Einige der Kinder weinten, während das Vieh in den Boxen und provisorischen Umzäunungen randalierte oder eben auf der Flucht war. Frauen und Männer stürmten auf Chet zu und redeten lautstark durcheinander auf ihn ein, Chet brüllte jetzt: „Silentium!“
Es wirkte, die Stille, die eintrat, war fast gespenstisch, lediglich die Hühner gackerten, Chet begann sie zu hassen. Er wandte sich an seinen Freund. „Also, Tom, was ist passiert?“
Mit dem Handrücken rieb er sich die Stirn.
„Ähm … Naja, den Siedlern ging es nicht schnell genug mit unserer Essensausgabe. Und da beschlossen sie halt, selber zu kochen, über einem offenen Feuer!“
„Woher hatten die überhaupt das Holz dafür?“ Chet winkte schnell ab. „Vergiss es. Also: Alles, was brennen kann, wird eingezogen! Kein offenes Feuer mehr!“
Eine Römerin drohte Chet mit einem Löffel, schimpfte laut, er verstand nur vesta. Es musste etwas mit Herd zu tun haben. Chet brach der Schweiß aus.
Ich muss raus hier, sofort. Bevor ich noch einen Mord begehe. Für solche Aufgaben war er einfach nicht geschaffen.
„Tom?“ Er winkte Atkins zu sich heran und beugte sich vor. „Du … du …“ Gleich platzte ihm der Schädel.
„Chet?“ Atkins hatte seinen Freund und Vorgesetzten noch nie so aufgebracht gesehen.
„Du beseitigst dieses Chaos hier, sofort! Für den Rest des Weges zum Mars bist du mir persönlich für die Siedler verantwortlich, hol dir einen aus der Besatzung, der Latein kann, dazu noch weitere Wachen. So geht es jedenfalls nicht weiter. Haben wir uns verstanden?“
„Komm schon, Chet, ich kann doch nicht …“
Doch Morrow hatte sich schon umgedreht und den Hangar in Richtung Krankenstation verlassen. Warum hatte er May Edmundson nur versprochen, persönlich für genügend Bauern zu sorgen?
* * *
„Was kann ich für Sie tun, Commander?“ Doc Johnny Marooney stieß sich von seinem Schreibtisch ab. „Chet, Sie sehen nicht gut aus, wenn ich das so sagen darf.“
„Diese Siedler, ich komme mir vor, wie bei einer Mischung aus Arche Noah und einer Kreuzfahrt, alle Passagiere haben Extrawünsche, Zweibeiner und Vierbeiner!“
„Jetzt herrscht schon Chaos?“, der Arzt lachte. „Warten Sie ab, wie die nächsten Tage werden.“
„Ich wünschte, die wären schon vorbei. Doc, haben Sie etwas gegen Kopfschmerzen?“
„Ja.“ Marooney verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich empfehle Landurlaub!“
Morrow zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Das ist ein Scherz, oder?“
„Nein, durchaus nicht. Ich weiß natürlich, dass unter den gegebenen Umständen Landurlaub eine Illusion bleiben wird, aber aus medizinischer Sicht wäre es die einzig sinnvolle Therapie.“
Chet schüttelte den Kopf. Urlaub. Er wusste gar nicht mehr, wie man das Wort schrieb. Es hätte ihm auch nichts genutzt, denn auf der Erde gab es ohnehin keinen Flecken, den er derzeit gerne hätte aufsuchen wollen. „Okay, dann lassen Sie uns zu Plan B kommen!“, schlug er vor, es klang sarkastisch. Marooney nickte und drückte ihm ein Röhrchen mit Tabletten in die Hand. „Immer nur eine am Tag, okay? Versuchen Sie mal, sich auszuschlafen.“
„Versuchen Sie mal, ein Schiff im Schlaf zu kommandieren“, gab Morrow gereizt zurück.
„Commander!“ Marooneys Stimme hatte eine Schärfe angenommen, die Morrow nur selten in ihr hörte. „Wenn ich den Eindruck haben sollte, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, die Horizont zu führen, dann werde ich Sie vom Dienst suspendieren. Ich hoffe, das ist Ihnen klar! Da nutzt Ihnen auch ein Verweis auf unsere Freundschaft nichts. Barny Owl kann jederzeit übernehmen! Zum Teufel, selbst Tom Atkins kann es.“
Morrow war einen Augenblick sprachlos. Ihm lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch er verkniff sie sich. „Ich habe verstanden, Doktor!“ Damit wandte er sich um und ging. Das Schlimme war, dass Marooney auch noch Recht hatte. Zurück in seinem Quartier nahm Chet dennoch zwei von den Tabletten, legte sich hin und verbat sich jede Störung mit Ausnahme des Katastrophenfalls. Er ging davon aus, dass er nicht eintraf, die Erde lag schließlich schon in Schutt und Asche.
Tom Atkins schob die Bettdecke ein Stück zur Seite und kratzte sich genervt am Knie. Dann drehte er sich um und versuchte wieder einzuschlafen. Vergebens. Er drehte sich auf den Rücken, schließlich auf die Seite und ignorierte den Juckreiz, der mittlerweile zu seiner rechten Hüfte gewandert war. Er kratzte sich erneut und sprang schließlich genervt aus dem Bett.
„Was ist denn?“, fragte Barny Owl, mit dem sich Tom momentan aus Platzgründen sein Quartier teilen musste.
„Nichts. Ich muss nur mal ins Bad.“ Schlaftrunken taperte Atkins durch die Luke, stellte sich vor den Spiegel. „Ach du Scheiße!“ Überall auf seiner Haut befanden sich kleine, gerötete Erhebungen, die er sich größtenteils bereits blutig gekratzt hatte. Einen Moment bekam er Panik, dann rannte er aus dem Bad und prallte fast mit Barny zusammen, der aufgrund seines Fluchens besorgt aufgestanden war und nach dem Rechten sehen wollte.
„Mein Gott, Tom, was ist das denn? Hast du dir bei einem der Mädchen was eingefangen oder warum … Umpf!“
Atkins wäre fast gestürzt, hätte Owl ihn nicht im letzten Moment an den Schultern gepackt und festgehalten. Natürlich fiel sein Blick dabei auf Toms Oberkörper. „Ach du Scheiße!“, murmelte er und ließ seinen Zimmergenossen so schnell wieder los, als hätte er sich verbrannt.
„Genau meine Worte!“, fauchte Atkins, schnappte sich ein Hemd, roch kurz daran, befand, dass er es noch einmal anziehen konnte.
„Ich hoffe, das ist nicht ansteckend!“, unkte Owl und glaubte zu spüren, wie es ihn am Rücken juckte.
„Gott, verdammt, das hoffe ich auch!“, flüsterte Tom. Keine zehn Minuten später fand er sich auf der Krankenstation wieder und musste beschämt zuhören, wie Dr. Marooney dann Chet Morrow aus seinem wohlverdienten Schlaf riss. Wenn es nicht die Pest war, würde Chet ihn umbringen …
Chet zog sich hastig eine Hose und ein Hemd über, fuhr sich kurz durch die Haare und machte sich auf zur Krankenstation. „Versuchen Sie mal, sich auszuschlafen“, murmelte er vor sich hin, die Worte des Arztes von vor drei Tage wiederholend. „Guter Witz, Doc, ich lache später drüber.“
Marooney wusch sich gerade die Hände, als Morrow reinkam. Tom Atkins lag in einem kleinen Nebenzimmer und wagte kaum seinen Freund und Vorgesetzten anzusehen. Als Morrows düsterer Blick auf Toms entblößten Oberkörper fiel, zog er zischend die Luft. „Oh, verdammt.“
„Halb so schlimm“, beruhigte Marooney ihn.
Dann begann Sari Prakash, die schwarzhaarige Krankenschwester, bei Tom ein Spray aufzutragen.
„Wie geht’s dir?“, fragte Chet besorgt und sah diskret zur Seite, als sich Atkins gänzlich entkleidete.
„Es juckt wie die Hölle!“
„Kann ich mir vorstellen.“ Er versuchte mitfühlend zu klingen, doch ganz gelang es ihm nicht, zu groß war seine innere Schadenfreude.
„Das wird bald besser!“ Der Arzt lehnte sich an die Wand und wartete, bis die Schwester fertig war und Tom sich wieder angezogen hatte. „Tja, Commander, ich fürchte, wir haben ein kleines Problem.“
„Das da heißt?“ Eigentlich wollte er es gar nicht wissen. Eigentlich wollte er zurück in sein Bett und schlafen, aber natürlich musste er sich darum kümmern.
„Sarcoptes scabiei.“
„Hä? Sca… Was?“, erkundigte sich Atkins, erhob sich langsam von der Liege. Marooney winkte die beiden rüber zu einem kleinen Tisch, auf dem ein Mikroskop stand. „Sehen Sie da mal durch!“ Chet erkannte ein ovales Etwas mit vier kurzen Beinen, nach der Angabe war es gerade 0,4 Mikrometer winzig. Ihn schüttelte es. „Was ist das denn?“
„Das sind Milben, Commander.“
„Irgh!“ Tom Atkins hätte sich am liebsten unter die Dusche gestellt und sich anschließend in eine Badewanne mit Desinfektionsmittel gelegt.
„Oder einfacher gesagt: Wir haben die Krätze an Bord.“
Morrow stemmte sich hinter dem Tisch empor. Das kann nicht wahr sein!
„Die Krätze? Ist so was nicht ausgestorben?“
Marooney schüttelte den Kopf. „Kommen Sie, Chet, wir beide wissen doch genau, woher das stammt. Wir sollten zusammen überlegen, wie wir die Sache angehen! Sonst breitet es sich aus!“
Tom trat hinter den Arzt, der sich nun an seinen Computer setzte, dann einige Daten abrief. Auch Morrow kam rüber. Seine Müdigkeit war von einem Moment auf den anderen verschwunden.
„Wir haben es hier mit Grabmilden zu tun“, begann Marooney seine Erklärung. „Es sind Parasiten, die in der Haut von Säugetieren leben.“
Tom wurde eine Spur blasser.
„Eigentlich besitzt diese Gattung eine relative Wirtsspezifität, aber es kommt vor, dass die Tiere auf den Menschen überspringen. In ihrem eigentlichen Wirt gräbt die weibliche Milbe einen Gang in die Oberhaut und legt dort ihre Eier ab, was zusammen mit den Exkrementen …“
„Das reicht jetzt wirklich mit den grässlichen Einzelheiten, Doktor! Wir haben es verstanden. Was ich jetzt wissen muss: Was können wir tun?“
Marooney hob die rechte Hand. „Die gute Nachricht: Es dauert bis zu 21 Tage, bis sich aus den Eiern Milben entwickeln. Also, wenn wir schnell handeln, können wir es eindämmen.“
Tom war noch nicht zufrieden. „Und was mache ich so lange? Verdammt, das juckt höllisch!“
„Das Jucken, Tom, das Sie beschreiben, ist ein typisches Symptom, es tritt durch die Wärme auf, wenn sie schlafen. Sie bekommen noch ein Spray für die Haut. Ansonsten kann ich nur dazu raten, nicht weiter zu kratzen, dadurch können Ekzeme entstehen.“
Chet schüttelte den Kopf. „Doc, verdammt, denken Sie an das große Ganze! Was können wir hier gegen diese Parasiten tun?“, fragte Chet, der plötzlich überall ein Jucken spürte …
„Ich fürchte, das wird Ihnen nicht gefallen.“
„Das hab ich mir schon gedacht, also, raus mit der Sprache!“
„Wie ich sagte: Für die Betroffenen gibt es ein Spray, das drei Tage lang hintereinander aufgetragen werden muss. Auf den ganzen Körper, wohlgemerkt. Und was das Schiff betrifft, ich fürchte, wir kommen nicht drum herum, es zu desinfizieren.“
„Scheiße! Wirklich das ganze Schiff?“, fragte Morrow.
„Leider ja!“
„Reicht es nicht, nur das zu desinfizieren, womit die Siedler in Kontakt gekommen sind?“
„Theoretisch schon. Aber wissen Sie mit Sicherheit, wer wo wann gewesen ist?“
„Äh, nein …“
„Sehen Sie, Commander, damit bleibt uns nur, alles zu reinigen. Ich werde dann am besten anfangen, einen Plan zu erarbeiten. Und ja: Wir werden alle mitanpacken müssen!“
* * *
Chet legte die Füße auf den Besucherstuhl, seufzte tief und schloss die Augen. Die Kopfschmerzen waren zu einem ständigen Begleiter geworden und seine Laune war dementsprechend mies. Die Tabletten, die er von Marooney bekommen hatte, schienen auch kaum noch zu helfen, er war ständig müde und gereizt. Mehrmals war er in den letzten Tagen mit Tom und sogar mit Linda aneinandergeraten und ziemlich laut im Ton geworden, was sonst eigentlich gar nicht seine Art war. Tom, den er zuletzt einmal mehr einen Idioten genannt hatte, war bei Doc Marooney auf der Krankenstation aufgetaucht, unter dem Vorwand, sich noch einmal wegen der Milben untersuchen lassen zu wollen. Beiläufig erwähnte er dabei aber Chets Ausraster und dessen permanente Kopfschmerzen.
Keine zwei Stunden später stand der Bordarzt an der Luke von Chets Quartier, er berührte den Sensor, ohne sich anzumelden. Die Luke öffnete sich, der Doc trat direkt ein, blickte zu Chet.
„Hausbesuche zu später Stunde?“, scherzte Chet und nahm die Füße vom Stuhl. Marooney grinste und setzte sich. „Ich hoffe, ich störe Sie nicht, Commander!“
„Nun, für die Frage ist es wohl zu spät. Aber Sie sind willkommen, solange Sie keine neuen Hiobsbotschaften bringen.“ Der Arzt lachte. „Nein, heute nicht.“
„Und was führt Sie zu mir?“
„Es geht um eines der Besatzungsmitglieder.“
„Oh!“ Morrow straffte die Schultern, die hörbar knackten. Gott, er wurde alt! „Ich hoffe nichts Schlimmes …“ Müde rieb er sich die Nasenwurzel.
„Nein, keine Sorge. Jedenfalls noch nicht.“
Unwillig runzelte Morrow die Stirn. „Hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen, Doc!“
Marooney griff nach dem Tablettenröhrchen, das auf dem Schreibtisch stand und schüttelte es. Fast leer. Dabei hatte er es dem Commander erst vor vier Tagen gegeben.
„Wie viele haben Sie davon heute schon genommen?“, fragte er.
Chet stöhnte, es ging also um ihn. Das hätte er sich ja denken können. „Hören Sie, Doc, ich habe …“
„Nein, Commander, jetzt hören Sie mir zu!“, unterbrach Marooney ihn schroff, sodass Chet zusammenzuckte. „Sie sind der Kommandant dieses Schiffes, Sie tragen die Verantwortung für die Besatzung und dazu noch derzeit für über 350 Köpfe. Aber sind Sie sicher, dass Sie sich noch in der Lage fühlen, dieses Schiff zu befehligen?“
Morrow fuhr auf. „Was wollen Sie damit sagen?“, herrschte er den Arzt an.
Marooney nickte wie zur Bestätigung, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Genau das! Ich habe Sie als einen ruhigen, besonnenen Mann kennengelernt, dem das Wohl der Besatzung am Herzen liegt. Der zudem ruhig bleibt, selbst in schwierigen Lagen. Aber seit einiger Zeit sind Sie, nun, wie soll ich sagen … gereizt und launisch. Ihre Kopfschmerzen haben keine physische Ursache, ich habe alles ausgeschlossen, auf das ich testen kann. Also bleibt nur eines übrig.“
Er sah den Kommandanten auffordernd an und wartete. Chet jedoch starrte schweigend auf die Plasplatte des Tisches, als würde er dort die Lösung finden – oder als könne sie sich auftun und ihn verschlucken, was ihm im Moment wesentlich lieber gewesen wäre. Natürlich wusste er, dass er in letzter Zeit bei jeder Gelegenheit in die Luft ging. Er hatte eine Ungeduld an den Tag gelegt, die er von sich selber nicht kannte.
„Die Siedler …“, begann er stockend, dann holte er sich rasch ein Glas Wasser, trank einen Schluck. Marooney schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es nicht allein, Commander. Das war vielleicht der Auslöser, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ist es wegen dem, was passiert ist? Wegen dem Tod von Malivia Washington?“
„Nein. Ich … Doc, es ist wirklich nichts.“
Marooney seufzte. „Sie sind ein verdammt schlechter Lügner. Commander, was auch immer Sie bedrückt, Sie müssen mit jemandem reden. Warum vertrauen Sie sich nicht Tom Atkins an, oder Barny? Er ist auch ihr Freund!“
Morrow schüttelte den Kopf. Er musste damit alleine fertig werden. Marooney kannte den Ausdruck, der plötzlich in Chets Augen trat. Er hatte ihn als Arzt schon zu oft gesehen. Es war eine Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung, aus Angst und Resignation. Jetzt wusste er, was Morrow den Schlaf raubte, ohne dass er es aussprach.
„Wer ist es? Ihr Vater? Haben Sie Ihren Vater bei der großen Katastrophe verloren?“
Morrows Kopf ruckte hoch. Bin ich so leicht zu durchschauen?
„Mein Vater ist tot, da bin ich ziemlich sicher, aber mein Bruder, der befand sich damals in einem Bereich, wo er vielleicht überlebt hat. Aber wir haben keine Lebenszeichen von ihm erhalten.“
„Und da machen Sie einen Hehl draus? Mein Gott, auch ein Commander hat eine Familie, ein Privatleben! Hören Sie“, er beugte sich über den Tisch, „wenn wir den Mars erreichen, werden Sie sich eine kleine Auszeit nehmen.“
Chet traute seinen Ohren nicht. „Was?“ Eine Auszeit? So etwas konnte er sich nicht erlauben. Wahrscheinlich waren die Makis mit der Installation des Transmitters längst fertig. Teddy und die anderen hatten ihren Transmitter auf Eden sicher längst initiiert. Und wenn das Gegenstück auf dem Mars auch funktionierte, erwartete der kleine Alien sie sicher schon. Schließlich wollten sie mit den Makis in Richtung des Heimatplaneten der Aliens aufbrechen.
„Sowas nennt sich Landurlaub, Commander!“ Der Doc störte Chets fliegende Gedanken.
„Dafür habe ich keine Zeit!“, wandte er ein. „Ich sagte doch, ich muss …“
„Sie können sich schon noch daran erinnern, dass ich hier der Schiffsarzt bin, oder? Wenn es Ihnen lieber ist, dass ich Sie für dienstuntauglich erkläre, bitte!“
„Aber … Ihre Befugnisse …“
„Gelten, solange Sie hier Commander und ich hier der Schiffsarzt bin. Möchten Sie, dass ich die Vorschriften zitiere?“
Morrow schnaubte. „Meine Mission, dazu der Zeitplan, also ehrlich: Wollen Sie da auf Vorschriften pochen?“
„Es geht um Ihre Gesundheit! Eine Woche, Commander. Ich will, dass Sie sich nach unserer Rückkehr eine Woche lang nicht auf diesem Schiff blicken lassen. Meines Wissen nach ist sowieso längst eine Überholung der Horizont fällig. Und Sie werden kaum sofort wieder zu einer größeren Mission mit diesem Schiff aufbrechen, mindestens eine große Innenreinigung ist fällig.“
„Ich …“ Ein erneutes Aufbäumen, ein letzter Versuch des Widerspruchs.
„Commander!“, unterbrach Marooney ihn streng. „May Edmundson hat mit Sicherheit ein Zimmer für Sie frei. Stellen Sie nach der Rückkehr in den Normalraum ruhig eine Verbindung her, ich werde Edmundson gerne für Sie fragen.“
Morrow seufzte. Zurückstecken hatte er damals in Westpoint oft genug müssen. Es war ein hartes Elitetraining gewesen, das er durchlaufen hatte. So riss er sich auch jetzt zusammen und nickte. „Also gut, Sie haben gewonnen!“
„Eine Sache noch: Die nächsten Stunden bleiben Sie im Quartier, übergeben Sie vorübergehend an Barny das Kommando.“
Chet blickte ihn an. „Aber …“ Dann nickte er. „Schön, aber nur bis zur nächsten Schicht in acht Stunden. So lange gehen auch alle Vid-Anrufe an ihn!“
Zufrieden erhob sich der Arzt und legte Chet eine Hand auf die Schulter. „Es ist nur zu Ihrem Besten, glauben Sie mir.“
Die Ankunft der Römer auf dem roten Planeten stellte sich als nicht halb so willkommen heraus, wie Chet anfangs geglaubt hatte. Er war der Letzte, der die Horizont mit einem Dyna verließ. Eigentlich hatte Bordarzt Marooney ihn fast hinausgeworfen. Die Dynas mit den Siedlern waren in Mars-Port gelandet, die Schiffe waren direkt in die Nebenhalle der ehemaligen Werft gerollt, denn nur hier war genügend Platz für alle. Außerdem herrschten hier Druckverhältnisse, wie auf der Erde. An die auf dem Mars nötigen Duster mussten sie die Römer erst gewöhnen, es würde dauern. Als sein Dyna die Schleuse passiert hatte und in der Halle zum Stehen kam, staunte Chet. Ein Aufgebot von Sicherheitsleuten stand rund um die Römer, nicht um sie zu bedrohen, sondern um sie vor einem Mob schützen. Denn in der Halle befanden sich auch Hunderte Einwohner des Mars, die heftig protestierten – gegen die Neuankömmlinge.
So viel zum Thema Landurlaub, dachte Chet und legte seine Rechte auf den Griff des Nadlers, als er durch die Seitenschleuse ausstieg. Es herrschte ein unbeschreiblicher Lärm, Chet sah sich suchend um. Eine junge Frau, umgeben von eigenen Sicherheitsleuten, stürmte auf ihn zu. May Edmundson!
„Was ist hier los, May?“, fragte er die Wasserkönigin.
„Hallo, Chet! Ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen!“
Wo hab ich nur meine Manieren gelassen?
Tom Atkins gesellte sich ebenfalls zu ihnen. Er war angespannt, die Situation behagte ihm nicht. May kam an Chets Seite, hakte sich ein, sie sagte etwas, Chet, der es nicht verstanden hatte, neigte den Kopf. „Ich sagte: Beachte sie einfach nicht!“
„Nicht beachten?“ Morrow befreite seinen Arm und blieb stehen. „May …“
„Okay, okay! Das sind Flüchtlinge und Marsbewohner, die hier protestieren. Unsere Sicherheitsleute haben alles unter Kontrolle. Wirklich!“
Sie hakte sich erneut bei ihm ein und führte ihn an den Protestierenden vorbei. Chet sah, dass die Sicherheitsleute ruhig blieben. Sie rechneten also nicht mit Gewalt. May zeigte auf einen gekennzeichneten Bereich an der gigantischen Hallenwand. Dort war eine Art Baracke aus Metallteilen entstanden, die immerhin über drei Stockwerke umfasste.
„Dort ist es ruhiger!“ Nach weniger als zwei Minuten passierten sie die Innenschleuse der Baracke, ließen damit den Lärm der Halle hinter sich. May führte sie in den ersten Stock, den sie komplett als Büro nutzte. Sie zeigte auf eine Sitzgruppe, Chet ließ sich auf einen der Alustühle sinken, schloss für einen winzigen Augenblick die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand eine dampfende Tasse Kaffee vor ihm. Dazu ein Teller mit einem Stück Melone.
„May …“
Doch Edmundson schüttelte den Kopf. „Das ist schon okay, Chet!“
„Nein!“, bestimmt schob er den Teller von sich. „Es ist nicht okay, wenn es von deiner Ration abgezweigt ist!“
May schob den Teller wieder zurück. „Selbst wenn es so wäre, was ich mit meiner Ration mache, ist immer noch meine Sache, Chet. Und jetzt iss! Sie sind lecker, süß und saftig. Okay, die waren auch verdammt teuer, noch aus dem Gewächshaus!“
Das Wort lecker konnte Chet wenige Momente später nur bestätigen. Schweigend saß Edmundson ihm gegenüber und sah ihm leicht amüsiert beim Essen zu.
„Also, was ist mit diesen Leuten da draußen“, fragte er, nachdem er sich den Mund abgewischt hatte.
„Chet, ich habe die Botschaft bekommen: du hast jetzt Urlaub. Darum, wie es hier weitergeht, darum werden sich die Leute von Gouverneur Halvorsson kümmern, um dein Schiff kümmert sich General Weißkamm, dazu deine Leute. Und meine Leute beschützen die Römer, wir bringen sie in einen Bereich, wo es sicher ist.“
„Sorry, das reicht mir nicht als Erklärung!“
Doch May schüttelte entschieden den Kopf. „Du bist jetzt hier, um dich zu erholen, um wenigstens ein paar Tage auszuspannen. Und ausspannen bedeutet, dass du dich auch von dem Transmitter und den Makis fernhältst und genauso, nein, vor allem, von den Römern und von all diesen Verrückten da draußen.“
„Sind sie friedlich oder gab es bereits größere Probleme?“
„Sag mal, hast du mir überhaupt zugehört?“
„May …“
„Also gut. Ich sag dir was: Die meisten, die hier gegen die Siedler protestieren, die haben Angst, dass die ihnen ihre Rationen, Medikamente und Arbeitsplätze wegnehmen. Sie wollen, dass sie wieder dahin zurückkehren, woher sie kamen. Und am liebsten wäre es ihnen, wenn die Makis das ebenfalls täten. Einige von denen da draußen kommen jeden Tag hierher, um zu protestieren. Aber bisher ist alles friedlich verlaufen. Und ich bin sicher, dass es so bleiben wird. So, und jetzt zeige ich dir dein Quartier.“
* * *
Chet hatte lange mit May über die bevorstehenden Aufgaben und Probleme gesprochen. Eine Million Hektar Ackerfläche wollte May in den kommenden Jahren auf dem Mars schaffen. Morrow hatte sie im ersten Moment fast für verrückt gehalten. Eine Million Hektar, das waren wie viel Quadratkilometer? Zehntausend? Das war unvorstellbar für ihn. Zwar baute man bereits jetzt in riesigen Gewächshäusern einige Nutzpflanzen an, aber da man sich bis zur Katastrophe immer auf den Nachschub von der Erde hatte verlassen können, waren niemals Grundnahrungsmittel wie Gerste, Weizen, Hafer, Reis oder Kartoffeln angebaut worden. Außerdem war der Anbau auf dem Mars selber viel zu mühsam und teuer gewesen und einheimische Pflanzen gab es natürlich nicht.
Mit seinen fast 6800 Kilometer Durchmesser war der Mars etwa halb so groß wie die Erde, die Atmosphäre des Mars war aber so dünn, dass sie nur wenig Sonnenwärme speichern konnte. Zwar war es tagsüber in der Nähe des Äquators tatsächlich bis zu 20 Grad Celsius warm, dafür sanken die Temperaturen in der Nacht auf minus 85 Grad Celsius. Verdammt schlechte Bedingungen für Pflanzen, von Menschen nicht zu reden. Die rote Färbung erhielt der Planet zudem durch die hohe Konzentration von Eisenoxid, der sich im Marsgestein und in der Atmosphäre befand. In den großen Ebenen gab es Staubstürme mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 650 Stundenkilometer, die manchmal tagelang die Oberfläche verhüllten. Die ersten festen Siedler auf dem Mars hatten die Stürme Sandorks genannt. Kurz gesagt, der Mars war ziemlich lebensfeindlich, nur in Habitaten konnten die Menschen leben, brauchten bei jedem Schritt im Freien Atemmasken, die sogenannten Duster. Und dennoch hatten die Menschen sich hier angesiedelt, zwangen dem Planeten Stück für Stück Raum zum Existieren ab. Chet konnte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, wenn man sein gesamtes Leben entweder in geschützten Räumen verbringen oder fürchten musste, zu ersticken, zu erfrieren, wenn man sich unter freiem Himmel aufhielt.
Chet war geborener Südstaatler, er kam aus einem Bereich, der einst für Baumwollplantagen und unendliche Maisfelder bekannt gewesen war. Und dazu hatte es dort blauen Himmel gegeben, sanften Wind und Wärme. Davon war der Mars weit entfernt. Vielleicht eines Tages, wenn die Menschen das Terraforming wirklich beherrschten, könnte der Mars vielleicht eine zweite Erde werden. Mit Wehmut dachte Chet an zu Hause. An seinen Vater, an seinen Bruder Frank – und an Mississippi, den Magnolienstaat. Als seine Mutter noch gelebt hatte, hatten sie sich oft an den Wochenenden ein kleines Boot ausgeliehen … Es war so lange her, dass er zu Hause gewesen war. Er hatte seinem Vater oft versprochen, ihn zu besuchen, hatte es nie geschafft. Und jetzt war dies nicht mehr möglich.
Als er in dem ungewohnten Bett erwachte, war Chet für einige Augenblicke desorientiert. Dann kehrte die Erinnerung zurück: An die Landung in Mars-Port, den lautstarken Protest. Und an die Wasserkönigin, die ihre Privilegien ausgenutzt hatte, um ihn quasi von dort zu entführen. Nach dem Gespräch in der Halle mit May Edmundson hatte er noch seinen Stellvertreter gerufen. Barny Owl kannte die Verantwortung, die mit der Horizont verbunden war. Zudem war er von Doc Marooney informiert worden, dass dieser Chet vorübergehend für dienstuntauglich erklärt hatte. Barny hatte kurz gegrinst, ehe er geantwortet hatte.
„Keine Bange, Chet. Wir kümmern uns schon um die Horizont. Der Gouverneur und General Weißkamm sind natürlich auch informiert.“ Zuletzt hatte Barny etwas ratlos gewirkt. „Ich weiß nur noch nicht, wie wir das mit den Reparaturen an Bord hinbekommen.“ Viele Installationen im Orbit der Erde waren zerstört worden, als der Komet kurz vor dem Aufschlag in unzählige Stücke zerbrochen war. Chet hatte sich einmal mehr kaum konzentrieren können.
„Okay, Barny, ich verlasse mich auf euch. Wir sehen uns nächste Woche!“
Damit hatten sie sich getrennt. Chet war dann mit May zu ihrem Domizil in der Zenta-Schlucht gebracht worden. An Einzelheiten danach konnte er sich kaum erinnern.
Muss direkt eingeschlafen sein!
Langsam stand er auf, musterte sein Quartier … Nein, es war eine Luxussuite! Die hätte zu einem Nobelhotel auf der Erde gepasst. Doch mit Blick durch das einzige Fenster des Raums war klar, dass er auf dem Mars war. Er sah Felsen und roten Sand, er vermisste die Erde, sogar Vogelgezwitscher oder das Rauschen von Wellen, aber vor allem grünes Gras und warme Sonnenstrahlen. Hier gab es nichts davon, keinen Baum, keinen Strauch, keine Tiere. Nur Staub! Hier würde nie ein Mensch an einem Strand sitzen können, jedenfalls nicht zu Chets Lebzeiten. Er seufzte. Mays Versuche, dem Planeten einige Hektar Ackerfläche abzugewinnen, kam dem Traum einer zweiten Erde nur wenig nahe. Chet ging in den Nebenraum, auch das Badezimmer besaß luxuriöse Ausmaße. Außerdem lag dort einer frischer Overall für ihn bereit. Chet stieg schnell unter die Dusche …
Als er nach einer halben Stunde zurück ins Zimmer kam, war er zumindest wieder einigermaßen fit, auch die Kopfschmerzen waren vergangen. Wieder blickte er aus dem Plasfenster, dessen Isolierung mindestens zwei Zentimeter dick war. Eine Mahnung, bloß nicht die Lebensfeindlichkeit draußen zu vergessen. Wieder schweiften seine Gedanken ab. Er hatte für May Pflanzensamen von der Erde geborgen, die man dort im Rahmen des Programms Seeds vault eingelagert hatte, um im Falle eines Atomkrieges oder einer anderen Katastrophe das Überleben der Menschheit zu sichern. Nun war dieser Fall eingetreten, viel schneller als irgendjemand erwartet hatte und mit einer Wucht, die nie jemand sich hatte vorstellen können.
„Alles in Ordnung, Chet?“ Besorgt legte May eine Hand auf seine Schulter. Er nickte geistesabwesend, er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ins Zimmer gekommen war. „Hey!“ Edmundson ließ sich neben ihm nieder, dichter, als ihm eigentlich lieb war.
Wenn das Linda sehen würde.
Doch im Moment scherte er sich nicht drum. Im Gegenteil. Er empfand ihre Nähe als tröstlich; er kam sich nicht mehr ganz so verlassen und einsam vor. May zog ihre Hand zurück, nur um sie kurz darauf auf Chets Arm zu legen.
„Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst“, sagte sie leise. Ihr Blick suchte einen Punkt in der Ferne und fixierte ihn. Der Mars war ihre Heimat, der Planet, an dem ihr Herz hing. Hier fühlte sie sich zu Hause. Sie konnte, nein, sie wollte sich nicht vorstellen, ihn irgendwann zu verlieren – so wie die Menschen ihre Heimat auf der Erde verloren hatten. Genau wie Chet an Bord trug sie hier als Wasserkönigin eine große Verantwortung. Eine Last, die schwer auf ihren Schultern wog und sie manchmal zu erdrücken schien. Aber sie ließ es sich nicht anmerken, durfte es nicht. Schon lange hatte sie kein Privatleben mehr, sie lebte nur für ihre Arbeit, die, wenn sie sie gut machte, Millionen Menschen das Leben retten würde. Der Mars musste autark werden. Jetzt, wo es so viele Flüchtlinge hier gab, erst recht. Denn bis sich wieder Menschen auf der Erde sicher niederlassen konnten, würde es dauern. Zumindest auf dem übergroßen Teil der Oberfläche.
Die Zenta-Schlucht. Ihr Reich, ihr Projekt, ihre Vision, ihre Zukunft, vielleicht sogar die Zukunft der gesamten Menschheit. Mit Aluplas waren sie dabei, einen Bereich der Schlucht zu überdachen, so zu isolieren, dass die Pflanzen, die von der Erde stammten, hier gedeihen konnte. Es war ein gewaltiges Projekt. Gewagt – und doch ihre einzige Chance, diesem kargen Planeten etwas abzugewinnen. Dafür waren bereits Menschen gestorben. May erzählte Chet von Ibrahim, ihrem Mitarbeiter, er war von Gangstern erschossen worden, die im Auftrag anderer Wasserkönige versucht hatten, ihr Projekt zu sabotieren.
„Zusehen zu müssen und nichts tun zu können ist immer schlimm“, fuhr sie nach einer Weile fort. „Ich hab’s dir noch gar nicht erzählt, Chet …“
„Was?“
Sie strich sich nervös eine Haarsträhne aus der Stirn. Bevor sie wieder zu sprechen begann, schloss sie für einen Moment die Augen. „Du weißt selber, wie spärlich manchmal die Informationen von der Erde kommen. Und nach der Katastrophe herrschte dort sicher das reinste Chaos. Es dauerte Tage, bis wir die ersten gesicherten Informationen und Listen von der Notregierung hier auf dem Mars erhalten hatten. Für die Menschen hier war die Ungewissheit furchtbar.“