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Von der SPIEGEL-Bestseller-Autorin Helene Tursten. Tatort Ohrensessel: Mit dieser 88-Jährigen rechnet niemand ...
Maud, 88 Jahre, keine Familie, keine Sorgen ... keine Skrupel, wenn es um einen kleinen Mord geht. Seit ihr Vater starb als sie 18 war, lebt Maud in der schönen geräumigen Altbauwohnung im Zentrum Göteborgs - mietfrei, dank eines eilig aufgesetzten und nicht ganz wasserdichten Vertrags. Damals erkannte Maud, dass aus Tragödien manchmal Gutes erwächst. Sie führt eine einsame Existenz, aber sie liebt ihr Leben. Hält es doch einige Abenteuer bereit. Oder sollte man besser Missgeschicke sagen? Weder Immobilienspekulanten noch verflossene Lieben oder unliebsame Nachbarn sind vor ihr sicher. Bis die Polizei kommt. Aber was kann die einer fast 90-Jährigen schon anhaben?
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Seitenzahl: 127
Zum Buch
Maud, 88 Jahre, keine Familie, keine Sorgen … keine Skrupel, wenn es um einen kleinen Mord geht. Seit ihr Vater starb, als sie 18 war, lebt Maud in der schönen geräumigen Altbauwohnung im Zentrum Göteborgs – mietfrei, dank eines eilig aufgesetzten und nicht ganz wasserdichten Vertrags. Damals erkannte Maud, dass aus Tragödien manchmal Gutes erwächst. Sie führt eine einsame Existenz, aber sie liebt ihr Leben. Hält es doch einige Abenteuer bereit. Oder sollte man besser Missgeschicke sagen? Weder Immobilienspekulanten noch verflossene Lieben oder unliebsame Nachbarn sind vor ihr sicher. Bis die Polizei kommt. Aber was kann die einer fast 90-Jährigen schon anhaben?
Zur Autorin
HELENE TURSTEN, geboren 1954 in Göteborg, ist eine der beliebtesten schwedischen Kriminalautorinnen. Ihre Serie um die Göteborger Kriminalinspektorin Irene Huss hat nicht nur viele Fans, sondern wurde auch erfolgreich verfilmt. Neben neuen Fällen für die junge Polizistin Embla Nyström veröffentlicht Helene Tursten auch sehr erfolgreich Bände mit Krimigeschichten.
Helene Tursten
ALTER SCHÜTZT VOR MORDEN NICHT
KRIMINELLE GESCHICHTEN
Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger und Holger Wolandt
Die schwedische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Äldre dam med onda avsikter« bei Nona Bokförlaget, Göteborg.Die Kurzgeschichten »Ältere Dame sucht Weihnachtsfrieden«, »Ältere Dame auf Reisen« und »Die Wohnungsprobleme einer älteren Dame« erschienen 2014 im Band »Meine kleinen Morde« bei btb.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Genehmigte Ausgabe Oktober 2021
Copyright © der Originalausgabe 2013, 2020 by Helene Tursten
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014, 2021
by btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Published by agreement with Copenhagen Literary Agency ApS, Copenhagen
Covergestaltung: semper smile, München
nach einem Entwurf von Janine Agro/Sohopress
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
SL · Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-28490-9V001www.btb-verlag.de
www.facebook.com/btbverlag
Für Anita
Die Wohnungsprobleme einer älteren Dame
Ältere Dame auf Reisen
Ältere Dame sucht Weihnachtsfrieden
Der rätselhafte Tod des Antiquitätenhändlers
Das lästige Problem
Das schrille Geräusch der Klingel durchbrach die Stille. Reglos saß Maud auf ihrem Sessel und unternahm keinerlei Anstalten, sich zu erheben. Sie wusste, dass es bald wieder klingeln würde. Und nochmals. Und nochmals. So war es die letzten Wochen immer gewesen.
Der Grund war ihre etwas ungewöhnliche Wohnsituation.
Das Einzige, was Mauds Familie nach dem hastigen Ableben des Vaters aufgrund eines Herzinfarktes hatte behalten dürfen, war die Wohnung gewesen. Nach außen hin war es ihm gelungen, den Schein zu wahren, aber nach seinem Tod hatte sich herausgestellt, dass er so gut wie bankrott war. Die Anwälte der Familie hatten die verworrenen Geschäfte geregelt, die fast das gesamte Barvermögen verschlangen. An Wert blieb einzig das große Mietshaus in Vasastan, bei dessen Verkauf die Anwälte eine Einigung mit den neuen Besitzern erzielten.
Diese besagte kurz gefasst, dass die Witwe und ihre beiden Töchter weiterhin und mietfrei in ihrer Wohnung bleiben durften und einzig für Strom, Wasser und Heizung aufkommen mussten. Als Gegenleistung erwarb der Käufer das Haus zu einem überaus günstigen Preis. Der Kaufvertrag endete mit folgendem Passus: »Solange eines der Familienmitglieder die Wohnung für eigenen Bedarf nutzen möchte, darf keine Miete erhoben werden.« Im Anschluss wurde erläutert, dass die Bezeichnung »Familienmitglied« die Witwe und ihre beiden Töchter umfasste. Siebzig Jahre waren inzwischen seit Vertragsabschluss verstrichen, und niemand hätte sich träumen lassen, dass eine der Töchter so lange dort wohnen bleiben würde.
Natürlich hatte die Auslegung des alten Kaufvertrags viele Jahre später bei Umwandlung des Hauses in eine Eigentümergemeinschaft zu einem Zwist geführt. Eine harte Auseinandersetzung vor dem Amtsgericht wurde zu Mauds Gunsten entschieden, und so wohnte sie weiterhin mietfrei. Der Vorstand der Eigentümergemeinschaft knirschte mit den Zähnen, konnte aber nichts machen. Einen kleinen Sieg hatte er dennoch errungen: Er erreichte, dass sie mit einer kleineren monatlichen Summe zur Instandhaltung des Hauses beitragen musste.
Beim Tod ihres Vaters war Maud achtzehn Jahre alt gewesen. Ihr Dasein veränderte sich radikal. Sie musste sich um ihre etwas wirre Mutter und um ihre psychisch kranke Schwester Charlotte kümmern. Zwei Jahre nach ihrem Vater starb die Mutter. Nach dem Tod Charlottes dreißig Jahre später hatte Maud endlich ihr eigenes Leben in Angriff nehmen können. Vierzig Jahre waren seither vergangen.
Inzwischen hatte sie das meiste von der Welt gesehen und war eine sehr routinierte Reisende. Maud lebte und reiste allein, denn so gefiel es ihr. Frei, ohne Ärger und Probleme. Nichts war lästiger als Ärger und Probleme. Doch nun sah sie sich mit einem der größten Probleme ihres Lebens konfrontiert, und eine Lösung wollte ihr schlicht nicht einfallen.
Maud war klar, dass sie selbst schuld war, sie war mit offenen Augen geradewegs in die Falle getappt. Obwohl eine leise Stimme in ihrem Inneren versucht hatte, sie zu warnen, konnte sie einfach nicht ahnen, wie schlimm es kommen konnte! Und alles hatte so harmlos begonnen.
Im Frühjahr war ein echter Promi in das Haus eingezogen. Eine Frau Anfang vierzig namens Jasmin Schimmerhof, deren Berühmtheit hauptsächlich auf ihren bekannten Eltern beruhte. Als einziges Kind zweier der prominentesten Persönlichkeiten Schwedens hatte sie bereits von klein auf erfahren, wie traumatisch es war, Eltern zu haben, die vollständig von ihrer Karriere in Anspruch genommen wurden. Beide hatten so gut wie keine Zeit für ihre Tochter gehabt. Um ihre Erziehung hatten sich Kindermädchen und Internate gekümmert. Ihr Vater war ein erfolgreicher Manager und ihre Mutter eine weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Opernsängerin. Sie reiste von einem weltberühmten Opernhaus zum nächsten und war selten zu Hause bei Mann und Tochter. Vor einigen Jahren war sie bei einem Autounfall in der Nähe von New York ums Leben gekommen, dessen Ursache ungeklärt blieb, da sie allein in dem Auto gesessen hatte, das an einem Brückenpfeiler zerschellt war. Die Zeitungen hatten Bilder des trauernden Witwers, jedoch nicht von der Tochter Jasmin abgedruckt. Intensive Nachforschungen der Regenbogenpresse hatten ergeben, dass sie zu der Zeit in einer Privatklinik den Entzug von verschiedenen legalen und illegalen Betäubungsmitteln in Angriff nahm. Ihr Zustand war so labil, dass sie am Begräbnis der Mutter nicht teilnehmen konnte. Auslösender Faktor für die Sucht war angeblich die Scheidung von Ehemann Nummer zwei ein halbes Jahr zuvor gewesen. Sowohl ihre erste als auch ihre zweite Ehe war kinderlos geblieben. All dies brachte ihr viele Schlagzeilen ein, und die Zeitungen suhlten sich in der Misere der mächtigen Familie. Das Interesse der Medien flammte von Neuem auf, als ihr Vater, Ian Schimmerhof, sechs Monate später eine vierzig Jahre jüngere Frau ehelichte. Auf den Fotos, die ein Paparazzo bei der Trauung des Paares in der Schweiz aufnahm, war deutlich zu sehen, dass die neue Frau hochschwanger war. Einige Monate später bekam Jasmin eine vierzig Jahre jüngere Halbschwester. Riesige Schlagzeilen spekulierten darüber, ob es sich bei Maria Schimmerhofs Autounfall eigentlich um einen Selbstmord gehandelt hatte.
In den folgenden zwei Jahren blieb es still um Jasmin Schimmerhof. Gerüchte besagten, sie schreibe an ihren Memoiren. Dann erschien das Buch über ihr Leben. Es wurde ein Bestseller, denn alle wollten wissen, wie es eigentlich hinter der eleganten Fassade der Riesenvilla in Örgryte ausgesehen hatte. Dass die Sprache dürftig, die Darstellung der Personen schablonenhaft und der Plot unbeholfen konstruiert war, wurde von einigen Rezensenten bemängelt, kümmerte die Leute aber wenig. Es gab einige richtig saftige Passagen, in denen Jasmin über ihre Eltern herzog, hauptsächlich über ihren Vater. Aus dem Buch ging deutlich hervor, dass er seine Tochter mit Geld überhäuft, ihr aber nie Zeit oder Zuwendung gewidmet hatte. Ohne Umschweife beschrieb sie die vielen Affären ihres Vaters und wie ihre Mutter diese mit eigenen Seitensprüngen gekontert hatte. Das Buch verkaufte sich glänzend.
Im darauffolgenden Jahr erwarb Jasmin eine zentral gelegene Wohnung im Göteborger Stadtteil Vasastan in jenem Haus, in dem auch Maud wohnte. Es handelte sich um die einzige Erdgeschosswohnung im Haus, und sie verfügte über einen eigenen Eingang zur Durchfahrt und Fenster sowohl zur Straße als auch zum Hof. Mit Erlaubnis des Vorstands hatte der vorherige Eigentümer eine verglaste Terrasse zum Innenhof errichtet. Der Besitzer eines Internetunternehmens hatte, wie Maud erfuhr, die heruntergekommene Wohnung in einen Topzustand versetzt. Danach heiratete er, und als das erste Kind unterwegs war, verkaufte er die Wohnung an Jasmin Schimmerhof und zog in eine schicke Villa am Meer. Jasmin gefiel die Wohnung unter anderem, weil sie 140 Quadratmeter groß war. Nach dem erfolgreichen Buchprojekt wollte sie jetzt eine neue Karriere als Künstlerin in Angriff nehmen. Mehrere Wände in der Wohnung wurden eingerissen, um einem ordentlichen Atelier Platz zu bereiten. Jasmin wollte große Werke schaffen und musste sich entfalten können. Interessierte Leser konnten das Fortschreiten des Umbaus in Jasmins Blog, »Me-Jasmin«, mitverfolgen.
Das ganze Frühjahr über hatte sie an ihren Werken gearbeitet. In ihrem Blog schrieb sie: »Ich verachte die Obrigkeit und das Patriarchat. Ich bin in Unterdrückung aufgewachsen und weiß, wie verdammt fürchterlich das ist. Ich möchte allen Unterdrückern eine Lehre erteilen und sie zur Hölle schicken! Im Oktober werde ich eine Ausstellung in der Galerie Hell veranstalten. Kommt und seht euch meine neuen Sachen an! Momentan arbeite ich an PHALLUS, einem Werk, das allen Machos an die Eier geht!«
Über all diese Dinge hatte sich Maud während der letzten Wochen im Internet informiert. Nicht zuletzt Jasmins Blog, der auch Fotos ihrer verschiedenen Werke präsentierte, gewährte ihr einen großen Einblick. Die Gemälde waren groß und mittels dick aufgetragener Farbe gefertigt. In die Farbe hatte Jasmin Fotos, Stofffetzen, Notenpapier, Tampons (Maud konnte nicht recht erkennen, ob benutzte), Knochensplitter und allen möglichen anderen nicht identifizierbaren Müll gedrückt. Und so wirkte auch Jasmins gesamte Kunst auf Maud. Wie Müll. Die Titel der Werke lauteten »No title I«, »No title II«, »No title III« und so weiter.
Die sogenannten Skulpturen waren alle auf gleiche Weise hergestellt. Sie bestanden aus einem Betonfundament, in das vor Erstarren verschiedene Dinge gesteckt worden waren. Es gab Skulpturen mit alten, zur Decke ragenden Auspuffrohren, Baseballschlägern, schadhaften Eishockeyschlägern, Golfschlägern, kegelförmigen Gegenständen mit der Aufschrift »Geschoss« oder »Atombombe« und nicht zuletzt riesigen Gummidildos. Natürlich hießen diese dann »Phallus I«, »Phallus II« und »Phallus III« und vermutlich immer so weiter.
So macht man es sich aber leicht, dachte Maud.
Jeden Morgen verbrachte sie eine Stunde an ihrem kleinen Laptop und informierte sich über interessante Leute und Ereignisse. Über die spektakuläre Dame Jasmin hatte sie zum Zeitpunkt ihres Einzugs noch keine Nachforschungen angestellt, da sie vollauf damit beschäftigt gewesen war, den ersten Spa-Aufenthalt ihres Lebens zu organisieren. Nach diesem geglückten Wellness-Erlebnis war sie nach Sardinien gefahren und erst drei herrliche Monate später nach Göteborg zurückgekehrt.
Da hatte es begonnen.
Wenige Tage nach Mauds Rückkehr hatte ihre Klingel plötzlich geschrillt, was nur äußerst selten vorkam. Trotzdem war Maud in die Diele gegangen. Durch den Spion erblickte sie eine Frau. Zögernd öffnete Maud die Tür einen Spalt weit. Die Frau war schlank und zierlich und hatte gewelltes, blondiertes Haar, das sie mit einer großen Haarklammer aus rosa Plastik hochgesteckt hatte. Sie lächelte breit und sagte mit übertrieben lauter Stimme, ohne ein einziges Mal Atem zu holen:
»Hallo. Ich bin Jasmin Schimmerhof und im Frühjahr hier eingezogen. Im August hatte ich eine Housewarmingparty für alle Nachbarn, aber da waren Sie ja leider nicht zu Hause. Deswegen wollte ich Sie auf eine kleine Kostprobe von dem, was wir gegessen und getrunken haben, einladen. Darf ich reinkommen?«
So gut wie alle Menschen, mit denen Maud in Berührung kam, sprachen laut und artikulierten übertrieben deutlich, denn sie gingen automatisch davon aus, sie sei taub, was jedoch ganz und gar nicht den Tatsachen entsprach. Und noch weniger war sie senil. Aber sie ließ sie manchmal glauben, nicht mehr im Vollbesitz aller ihrer Sinne zu sein. Die Leute sollten sich ruhig ihren Vorurteilen gemäß verhalten. Das pflegte recht informativ zu sein und ermöglichte Maud, sich einen Eindruck von ihrem Gegenüber und der Lage zu verschaffen. Aber dieses Mal reagierte sie anders. Maud versuchte sich später damit zu rechtfertigen, dass sie einfach überrumpelt worden war. Vielleicht hatte ihre berühmte Nachbarin auch eine gewisse Neugier in ihr geweckt. Jedenfalls beging sie in diesem Moment ihren ersten Fehler. Sie gewährte ihrer Besucherin Einlass.
Wie ein munterer Wind wirbelte Jasmin in die Wohnung. Das nachlässig hochgesteckte Haar schwankte bedenklich, als sie hastig den Kopf in alle Richtungen drehte, um möglichst viel von der großen Wohnung zu sehen. Sie trug einen durchsichtigen, bauschigen weißen Kaftan und darunter nur ein knappes Unterhemd, das nicht verbarg, dass sie keinen BH anhatte. Ihre schwarzen Leggings waren von hellem Staub und harten Krümeln getrockneten Gipses oder Zementes überzogen. Ihre Füße waren womöglich noch schmutziger, was mühelos zu erkennen war, da sie in einem Paar Sandalen steckten. Blauer Nagellack blätterte von ihren Zehennägeln. Jasmin drehte sich um, neigte den Kopf zur Seite und musterte die alte Dame, die immer noch neben der Tür stand. Mit einem weiteren strahlenden Lächeln überreichte sie ihr eine Geschenktüte aus knallrot glänzendem, steifen Papier.
»Bitte schön. Champagner und der Kaviarrest. Beides sollte im Kühlschrank verwahrt werden. Eigentlich gab es auch Hummer, aber der lässt sich ja nicht aufheben. Wo ist denn die Küche?«, fragte sie laut und übertrieben fröhlich.
Der Glanz ihrer Augen hätte Maud vorwarnen können. Stattdessen beging sie ihren zweiten Fehler. Sie nahm die rote Tüte entgegen.
»Danke, aber das ist doch nicht nötig …«, murmelte Maud.
»Ich weiß. Aber Sie sollen merken, dass ich jetzt hier wohne und dass sich etwas verändert hat. Wir wollen richtig gute Freundinnen werden«, sagte Jasmin unbeschwert, aber immer noch mit lauter Stimme.
Ehe Maud sie noch daran hindern konnte, wieselte sie rasch die lange Diele entlang und fand die Türe zur Küche.
»Sooo groß und wunderbar! Aber seit das Haus vor mindestens hundert Jahren erbaut wurde, sind wohl nur Herd und Kühlschrank erneuert worden.«
Jasmin ergänzte diese Worte mit einem Lächeln, das verdeutlichen sollte, dass sie scherzte, aber Maud hörte etwas aus ihrer Stimme heraus. Sie erfasste nicht recht, was, aber ihr war sofort klar, dass es ihr nicht gefiel.
»Diese Wohnung ist wirklich groß. Wie viele Quadratmeter sind es denn?«, fragte Jasmin und lächelte weiterhin.
»Dreihundert«, antwortete Maud widerwillig.
Eigentlich waren es noch ein paar Quadratmeter mehr, aber das ging die Besucherin ihrer Meinung nach schließlich nichts an.
Jasmin nickte vor sich hin, als hätte sich ihr bestätigt, was sie bereits wusste oder ahnte. Sie warf Maud einen prüfenden Blick zu, schien es sich dann aber anders zu überlegen.
»Nein, jetzt gehe ich in meine Wohnung zurück und arbeite weiter. Kommen Sie doch mal vorbei und schauen Sie sich mein kleines Atelier an. Es ist, wie gesagt …«