Am anderen Ufer des Meeres - António Lobo Antunes - E-Book

Am anderen Ufer des Meeres E-Book

António Lobo Antunes

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Beschreibung

Ein meisterhafter, dreistimmiger Roman über das Erinnern, über Rassismus und über die Sehnsucht nach einem anderen Leben.

In seinem neuen Roman begibt sich Weltliterat António Lobo Antunes an die Anfänge des portugiesischen Kolonialkriegs gegen Angola und zeichnet in kunstvoll überbordender Sprache ein gnadenloses Porträt von drei vereinsamten Menschen.

Im Januar 1961 protestieren die Arbeiter der Baumwollplantagen in der Baixa do Cassanje für bessere Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung, doch schon kurze Zeit später wird der Aufstand vom portugiesischen Militär äußerst brutal niedergeschlagen. Es sind diese Ereignisse, auf die die drei Protagonisten in »Am anderen Ufer des Meeres« zurückschauen – ein hochrangiger Soldat, ein Bezirksverwalter und die Tochter eines Plantagenbesitzers. Lobo Antunes blickt tief hinein in die Gefühlswelt seiner Charaktere, legt Schichten von Gewalt und Rassismus frei und lässt in inneren Monologen die Vergangenheit spuken und die Erinnerungen schwirren.

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Inhalt:

Im Januar 1961 protestieren die Arbeiter der Baumwollplantagen in der Baixa do Cassanje für bessere Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung, doch schon kurze Zeit später wird der Aufstand vom portugiesischen Militär äußerst brutal niedergeschlagen. Es sind diese Ereignisse, auf die die drei Protagonisten in »Am anderen Ufer des Meeres« zurückschauen – ein hochrangiger Soldat, ein Bezirksverwalter und die Tochter eines Plantagenbesitzers.

Weltliterat António Lobo Antunes begibt sich an die Anfänge des portugiesischen Kolonialkriegs und blickt tief hinein in die Gefühlswelt seiner Charaktere, legt Schichten von Gewalt und Rassismus frei und lässt in inneren Monologen die Vergangenheit spuken und die Erinnerungen schwirren.

Autor:

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den »Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes«, den »Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft« und den Camões-Preis.

Übersetzerin:

Maralde Meyer-Minnemann, geboren 1943 in Hamburg, erhielt 1992 den »Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen«, 1997 den Preis »Portugal-Frankfurt«, 1998 den »Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis« und wurde 2005 für den »Preis der Leipziger Buchmesse« nominiert.

António Lobo Antunes

Am anderen Ufer des Meeres

Roman

Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann

Luchterhand

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »A Outra Margem do Mar« bei Publicações Dom Quixote, Alfragide, Portugal.

Die Arbeit der Übersetzerin Maralde Meyer-Minnemann wurde vom Deutschen Übersetzerfonds e.V. gefördert.

Der Verlag dankt dem Portugiesischen Kulturministerium und dem Camões-Institut für die Förderung der Übersetzung.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © der Originalausgabe 2019 

António Lobo Antunes und Publicações Dom Quixote

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 

Luchterhand Literaturverlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: buxdesign | Ruth Botzenhardt

unter Verwendung eines Motivs von plainpicture/ Andreas Schier

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-30153-8V001

www.luchterhand-literaturverlag.de

facebook.com/luchterhandverlag

Natürlich gibt es das Haus längst nicht mehr, wenn man so eine Baracke denn Haus nennen will, allenfalls gibt es, ich stelle mir das so vor, zerbrochene Dachziegel und Backsteine auf dem Boden, der kleine Gemüsegarten durch Röhricht und Dornen ersetzt, die Trockenmauer halb umgefallen, und dann Agaven und dort unten das Meer, so wundersam nachts, nur Abwesenheit mit den im Nichts schwebenden Lichtern von Schiffen in der Ferne, und die Gewissheit, dass ich nur die Hand ausstrecken muss, um sie zu packen, Domingas

– Die Suppe wird kalt Sie sollten besser die Lichter wieder an ihren Platz zurückbringen

und mich verwunderte, dass meine Finger trocken aus dem Wasser zurückkehrten, ehrlich, obwohl ich vor vielen Jahren weggegangen bin, habe ich die Orte, die ich bewohnt habe, nie verlassen, oder aber sie sind es, die mich immer begleiten, ich höre den Mispelbaum, höre das Pfeifen der Gräser, Domingas zu mir

– Vorsicht der Wind Menina Vorsicht der Wind

und ich horchte, ich schaute, so wie ich auch die Ebbe mit ihrer Stimme voller Zähne höre, wie sie mit dem Ärmel Röhricht und Algen vom Strand zusammenrafft, die Wellen haben so viele Taschen, im Garten hin und wieder der ein oder andere Krebs, nicht nur linkshändig, sondern o-beinig, die hinderlichen Stöckelabsätze der Füße einen nach dem anderen mit der monströsen Gemächlichkeit eines Tieres vorwärtsbewegend, das überzeugt ist, groß zu sein, obwohl es klein ist, und über ihm schreit seine blau-weiße Möwe mit hungrig vorgestrecktem Hals, und Domingas versucht, sie, in ihren Pantoffeln kippelnd, mit dem Besen, ich erinnere mich an größere Häuser als unseres

(alle Häuser waren größer als unseres, wir waren die Ärmsten)

bis zu den Kiefern an der Straße zu vertreiben, die im September, zur Tagundnachtgleiche, die ganze Zeit lang Holztruhenproteste knarzen, im zweiten Haus, mit einem kleinen Garten ringsum, die Dame, für die Domingas ebenfalls arbeitete, ein tönerner, Pfeife rauchender Frosch und sonnabends Segeltuchstühle unter einem Vordach, die miteinander redeten, redeten, ein mit Plastikkirschen verzierter Strohhut, eine von ihnen schaukelte, schlecht festgesteckt, bemerkte mich

– War die das die aus Afrika gekommen ist?

die Dame flüsternd mit einem Seufzer

– Sie hat ihre Zunge verschluckt bringt keinen Ton hervor

rückte dabei ihre Bluse zurecht, und tatsächlich bin ich aus Afrika gekommen, schweigsam, weil sogar in Portugal die Baumwolle von Cassanje ganz leise zu wispern beginnt, und mein Vater kommt auf dem Weg zum Jeep die Treppe von der Veranda herunter, schlägt mit der Peitsche gegen den Nilpferdschädel dort oben, gefolgt von dem Preto, der ihn immer begleitete, den er aber nie ansah, manchmal frage ich mich, ob er ihn überhaupt wahrnahm, er sprang mit dem Gewehr auf die Rückbank, und sie verschwanden auf dem von Mangobäumen gesäumten Pfad, der zum Tor führte, ich erinnere mich an die im Zwinger bellenden Hunde, die sie nachts freiließen, an meine Mutter in einem Nachthemd mit Rüschen, wie sie sich kämmte, ihr Haar, das ich für kurz gehalten hatte, war wegen ihrer nicht endenden Gesten unvermittelt unendlich lang, ringsum die weißen Hügel, wo manchmal Hunderte von Mandrillen uns mit Pupillen verfolgten, die fast vereint über den Schnauzen lagen, und der Geruch der Erde, vor allem der Geruch der Erde, mich interessiert das Meer nicht, das ein Fluss mit nur einem Ufer ist, und es macht mich traurig, Bäume ins Wasser gepflanzt zu sehen, ohne Vögel, deren so schnelles Herz in ihrem Hals pulsiert, auf den Zweigen, Domingas

– Wir werden nach Angola zurückkehren

dabei wusste sie, dass wir nicht nach Angola zurückkehren, die Baixa do Cassanje gibt es nicht mehr, meine Mutter kämmte sich am Fenster zum Schlafzimmer mit der unendlichen Geste eines unendlichen Armes, die Fledermäuse versuchten die ganze Nacht lang, die Lampen zu fressen, die Baumwollvorarbeiter auf Knien, wenn mein Vater zornig wurde

– Senhor Senhor

und der Preto mit dem Gewehr neben ihnen, bewegte den Gewehrverschluss mit dem Krachen, mit dem eine endgültige Tür zuschlägt, zurück bleiben die Krebse, die sich uns mit ihrem schrägen Humpeln nähern, die rostigen Scheren über uns schließen, zurück bleibt meine Vergangenheit, die sich im Sand eingräbt, weshalb ich nicht weiß, ob ich sie finde oder erfinde, möglicherweise hat es niemals Baumwolle in meinem Leben gegeben, hat es nie die Dörfer der Pretos gegeben, habe ich nie gesehen, wie Cipaios eine Frau lebendig vor ihrer Hütte begraben haben, die Frau, die gebrochenen Arme und Beine um den Körper gewickelt und ihre Augen offen, während sie Erde auf sie warfen, immer offen, unerschütterlich, schweigend, verschwand ganz allmählich, doch die offenen Augen haben mich immer weiter angestarrt, von dort aus, wo ich sie nicht sehe, ich bin mir sicher, dass die Cabíris sie immer noch suchen, am Gras schnuppern, das über ihr gewachsen ist, immer wenn Domingas die Schaufel holt, um sich mit ein paar mickrigen Blümchen die Zeit zu vertreiben, denke ich, dass die Augen wieder hervorkommen und mich anstarren werden, zugleich unbeteiligt und wachsam, der Postenchef zu meinem Vater im Lagerhaus, während er das Geld ins Hemd steckte

– Brauchen Sie noch mehr Leute?

und die Dicke des Geldbündels in der Tasche abtastete, er wohnte mit einer Mulata aus Luanda zusammen, die immer wie zu einem Ball angezogen war, das Haar geglättet hatte, mit der meine Mutter, die den Kampf gegen das Fett verlor, natürlich nicht sprach, die Mulata zu ihr

– Madame

und meine Mutter übersah sie, wenn mein Vater Personal aus Mussende holte, besuchte er sie, während der Preto mit dem Gewehr im Jeep auf ihn wartete und die Cipaios überwachte, und mein Vater war an jenen Tagen weniger zornig, manchmal kniff er mich ins Ohr

– Cafeco

mit zwei Fingern, die nach Parfüm dufteten, nicht nach dem meiner Mutter, das das Flugzeug der Cotonang brachte, sondern nach diesem billigen, das fast so roch wie der Alkohol vom Krankenpfleger, den man im Dorfladen kaufte und aus einer großen Flasche in die kleinen umfüllte, die wir mitnahmen, einmal habe ich ein bisschen aufgetragen und habe dann nach der Straße von Malanje in der Nähe des Busbahnhofs gestunken, wo die Mädchen auf die Leute vom Militär warteten, den Soldaten zuriefen

– Herr Gefreiter Herr Gefreiter

manchmal war eine Weiße unter ihnen, sie gehorchten einem Cafuzo, den die Brillantine beinahe entkräuselte und der den Soldaten verkündete

– Keine Krankheit Senhor keine Krankheit

und hinter ihnen eine Hängelampe ohne Glühbirnen, nur eine auf eine Untertasse gequetschte brennende Kerze, zwei Soldaten, einer zum anderen, in der Hoffnung

– Hast du Geld?

Finger und Geld zu spüren

– Was kostet ein kleiner Finger?

der Cafuzo, dessen Armbanduhr größer war als ihre, drei Zifferblätter und Dutzende phosphoreszierende Zeiger hatte

– Nach Einbruch der Dunkelheit gibt es keinen Rabatt

beleuchtete die Nacht dabei mit den Mondphasen und der Uhrzeit von New York und vom Sudan, das Meer, heute so aufgewühlt, füllt mein Zimmer mit Wasser und geht wieder, über sich selbst stolpernd, mir war so, als wäre da meine Mutter, die sich, ohne mich anzusehen, kämmte, und die Seufzer der Hunde, die auf uns aufpassten, oder besser gesagt, die ganze Welt wurde von den Wellen gebracht, dazu noch die Fledermäuse auf der Suche nach Mäusen und den Jungen von Käuzchen in den Mangobäumen, Domingas im Nebenzimmer

– Spüren Sie Angola nicht?

doch mir fehlten der heftige Atem der Erde und das Knistern der Baumwolle, einmal abgesehen von den Stiefeln der Schlaflosigkeit meines Vaters auf dem Flur und dem Schlagen der kleinen Peitsche gegen die Möbel, hin und wieder er zu meiner Mutter

– Komm her

und der Schlüssel des Schlafzimmers zwei Umdrehungen im Schloss, ein Zeitraum Stille, der Befehl

– Halt still

wobei die Worte nur eine Silbe waren, und sein Atem, mit Husten vermischt, der heftiger wurde, das Haus unvermittelt ein Blasebalg, der ohne Warnung innehielt, und in der Stille ein Atmen, das ich nicht gleich als seines erkannte

– Was ist mit mir los?

die lange Stille, bis er mit einer Kinderbitte

– Um deiner Gesundheit willen erzähl das niemandem

eine Träne hing dabei an dem Satz, nackte Füße auf und ab, langsam, zögerlich, Öffnen und Schließen des Fensters

– Und jetzt?

meine Großmutter lächelte ihm von fern zu, das Lächeln wurde zu einem Ausdruck der Verachtung, die dann verschwand, meine Mutter saß auf dem Bett und schaute ihn an, während sie resigniert einen Träger zurechtrückte, und die Baumwolle wuchs, hörte nicht auf zu wachsen, die Baumwolle zu meinem Vater

– Wenigstens bist du reich

die Baumwolle höhnisch

– So reich

meine Mutter nahm den Spiegel von der Kommode und begann, sich zu kämmen, wiederholte dabei immer wieder

– So reich

mit spöttischer Stimme, leise, zerstreut

– So reich

mein Vater stand als Kind, wenn er nicht schlafen konnte, im Schlafzimmer der Eltern allein am Ende ihres Bettes, ein Spielzeug baumelte an seinem Arm, alle Männer stehen ihr Leben lang, weil sie nicht schlafen können, am Ende des Bettes ihrer Eltern, wie geht schlafen, was muss man tun, um einzuschlafen, lasst mich nicht allein, schickt mich nicht weg, ich bleibe in einer Ecke sitzen und mache keinen Lärm, ich sage nichts, Ehrenwort, ich weine nicht, mein Vater, verständnislos

– Was ist bloß mit mir los?

und um ihn herum so viel Baumwolle, er reich, zum Preto mit dem Gewehr

– Schieß auf mich

sitzt im Jeep, nimmt die Hunde, die Baumwolle wahr, eine Gruppe Mandrille am Hang, das Meer der Tochter in Portugal wühlt Vergessenes auf, Steinchen, Enttäuschungen, die Tochter wettete darauf, Sie seit Jahren vergessen zu haben, würde sie Sie ansehen, würde sie sich dabei an der Wange kratzen

– Die Zeit vergeht nicht wahr?

und sich gleich nicht mehr an Sie erinnern, Sie waren von einer Person zu einem Foto und von einem Foto zu nichts geworden, die Mutter zum Vater, indem sie ihn aus dem Bett schob

– Lass mich wenigstens schlafen

plötzlich nur noch Ellenbogen, die Schultern Ellenbogen, der Rücken Ellenbogen, die Beine Ellenbogen, die Stimme Ellenbogen, vor allem die Stimme Ellenbogen

– Lass mich wenigstens schlafen

ein undeutlicher Umriss und ein halbes Dutzend Haarsträhnen auf dem Kopfkissen, wahrscheinlich war, wenn er allein unterwegs war, der Preto bei ihr, die Affen der Baixa do Cassanje schreien, und meine Frau kämmt sich am Fenster, die Bürste wandert langsam an der Brust hinunter, formt ihren Körper, während ihre Augen sich mit einem glücklichen Lächeln schließen, Domingas zu mir

– Ist alles gut Menina?

bringt einen Krebs an den Strand zurück, bald schon werden die Wellen der Tagundnachtgleiche alles miteinander vermengen und die Gischt Angola eilig wegtragen, meine Mutter, im Wohnzimmer sitzend und mit Blick auf die Mangobäume rauchend, zornig über meine Größe, meinen Körper

– Eigentlich sollte ich dir verbieten zu wachsen

strich sie mit den Fingern auf der Suche nach Falten übers Gesicht, betrachtete voll Missfallen die sich weitenden Hüften und das Ersterben der Brüste, die Haarbürste, jetzt nutzlos, verlassen auf der Kommode, einer der Schuhe langsamer als der andere, verbrauchter, so schwer, der Arme, mein Vater wütend auf die Brille, die ihm Überraschungen bescherte

– Ich sehe damit zu viel

Narben, Falten, die schwachen Schultern, ein unsicheres Doppelkinn, der Preto mit dem Gewehr stieg mühsam steif in den Jeep, während die Baumwolle um ihn herum wuchs, und meine Mutter kämmte sich, kam mein Vater von der Plantage zurück, beteiligte er sich erst an Gesprächen, wenn er in einem Sessel im Wohnzimmer saß, ein Zigarettchen zwischen den Zähnen und die Füße in einer Schüssel mit lauwarmem Wasser hatte, ich erinnere mich daran, wie er mich ansah, mich, eine enttäuschte Grimasse schneidend, mit dem Handrücken wegschob

– Auch du wirst eine Frau sein

wie er Postenchefs empfing, die ihm Lastwagen voller Pretos aus Cangandala oder aus Quela brachten, er überprüfte sie einzeln, indem er sich ihre Muskeln und ihr Zahnfleisch ansah, die älteren lehnte er mit der Unterlippe ab, während die Uhr an der Wand mit der Behäbigkeit von Dicken zufrieden ihr Pendel hin- und herschwenkte, wenn er glaubte, ich wäre geistesabwesend, spürte ich in seinen Augen eine Art Kuss, einmal, als mein Vater allein im Wohnzimmer im Sessel eingeschlafen war, ging ich zu ihm und berührte, an den piksenden Bartstoppeln interessiert, seine Wange

– Werde ich auch einen Bart haben wenn ich größer bin schließlich bin ich seine Tochter?

an seinen so großen Ohren, an der riesigen Nase, am Haar interessiert, das er nie am Fenster kämmte und das begann, oben und hier hinten, an dieser Stelle, wo die Haut und ein halbwegs lila Muttermal zu sehen waren, weniger zu werden, war verblüfft über die Größe der Augenbrauen, der Jochbeine, des Kinns, alles fast so groß wie beim Nilpferdschädel, alles fast genauso merkwürdig, alles langsam mit einer Art heiserem Pfeifen an- und abschwellend, das lauter und leiser wurde, als würde darin ein kleiner Motor heimlich alles zum Leben erwecken, Domingas zu mir auf der Stufe zur Küche, in der Nähe der Stelle, wo das Gras pfiff

– Vorsicht der Wind Menina Vorsicht der Wind

und ich hörte ihn, ich sah ihn, so wie ich die Ebbe mit ihrer Stimme voller Seufzer sehe und wie sie das Röhricht und die Algen vom Strand in sich aufnimmt und ausstößt, und meinen Vater, ich weiß nicht, ob er schläft oder wach ist, so wie ich auch nicht weiß, ob das Meer schläft oder wach ist, wahrscheinlich schläft es und ist wach, genau wie die Wellen, die herankommen und zurückweichen, und seine Altmännerhände, die gemächlich auf der Hose hin- und herreiben, zerstreut, ewig, wie viele Jahre lang, frage ich, wird das Meer so weitermachen mit seinem Geräusch von Schrauben, die in einer unablässig auf- und zugehenden Schublade hin- und herrollen, vielleicht sind ja Angola und die Baumwollfelder das andere Ufer des Meeres, und meine Mutter kämmt sich dort sehr viel langsamer als die Wellen, sehr viel länger das Haar, die Augen nicht auf mich, sondern auf den Spiegel gerichtet, denn nur sie existiert, nur sie und der Preto mit dem Gewehr existieren, aber das erzähle ich später, erzähle es nicht, möglicherweise erzähle ich es, schau, ein Spatz auf dem Mispelbaum, wie die Baixa do Cassanje wohl jetzt ist, wer sät jetzt Baumwolle, hört man noch die Mabecos am Hang bellen, ich habe nie menschlichere Hunde gesehen, seht mich nicht so an, ich berührte das Gesicht meines Vaters, der sich mir zu nähern schien, mir war so, als würde eine Geste von ihm meinen Rücken streifen, und mit meinem Vater der Geruch von Sonnenblumen, von Mangobäumen, tagsüber schwer von Fledermäusen, der Geruch von Erde, nicht der Erde von hier, der Erde Afrikas, die mehr Erde ist, Erde, näher, wärmer, lebendiger, ich jetzt auf Zehenspitzen, streifte den Nacken meines Vaters, den Hals, an dem ein kleiner Schnitt des Rasiermessers trocknete, die Pretos, während die Wanduhr diesen metallischen Seufzer ausstieß, der den Glockenschlägen vorangeht, in einer Pause, in denen das Pendel sich unvermittelt weitete wie Rippen vor einem Nieser, die Pretos aus Cangandala und aus Quela schweigend in den Hütten gedrängt, barfuß, fast nackt, sie weinen nicht, lachen nicht, beklagen sich nicht, fliehen nicht, der eine oder andere mit einem Stück Decke oder einer Maniokwurzel, undurchdringlich, aufmerksam, schau, die Milane dort oben, schau, die kleinen, den Regenwolken vorausgehenden Wolken, schau, ein Hund, der spindeldürr, teilnahmslos, die Luft mit der Schnauze abtastend mitten zwischen ihnen dahintrabt, der Horizont mit den weißen Hügeln, die zerrissenen Hemden, Tiere auf der Flucht, mein Vater tat so, als würde er mich nicht bemerken, einer seiner Stiefel, nur einer, der andere unruhig, zitterte, der Preto mit dem Gewehr saß wartend auf dem Nilpferdschädel, er hatte keine Frau, schlief in einer Ecke des Schuppens hinter dem Haus unter einem Stück Sackleinen, ich habe ihn nie in Begleitung von jemandem gesehen, nie einen Freund von ihm kennengelernt, nie seine Stimme gehört, so wie ich auch fast nie die Stimme meines Vaters gehört habe, er starrte mich einen Augenblick lang an, bevor er das Interesse verlor, ging durch die Plantage oder murmelte

– Der Regen

wenn sich beim ersten Blitz weit in der Ferne die Erde konkav weitete, um das Wasser zu empfangen, mein Vater wachte im Sessel auf oder gab vor aufzuwachen, leise

– Bin ich wirklich erwachsen?

mein Vater in Malanje in der Gasse mit den Mädchen, die auf die Soldaten warteten, und der Cafuzo verkündete

– Keine Krankheit Senhor keine Krankheit

während er sie ruhig anblickte, so wie er eine auf eine Untertasse gequetschte Kerze hinter ihnen und ein Bett ohne Bettlaken anblickte, der Cafuzo zu meinem Vater

– Was kann ich für Sie tun?

mein Vater schlug mit der Reitgerte gegen das Knie, die Muskeln am Unterkiefer wuchsen

– Wie viel?

der Cafuzo schätzte seine Kleidung ab

– Farmbesitzer mein Freund?

flüsterte ihm den Preis zu, noch mehr Cafuzos

(und Weiße und Pretos)

an den nächsten Türen oder an Bäume gelehnt, Hunde und Krüppel trotteten auf der Straße, ein Typ auf dem Boden, den niemand ansah, Domingas, die vor mir stand

– Die Suppe wird kalt

während das Meer wieder den Strand heraufkam, um zu holen, was es dort vergessen hatte, oder vielmehr dieselben verstreuten Dinge, die ich in Cassanje zurückgelassen hatte, meine Mutter und die ferne Stimme eines Angestellten, der in der Küche inmitten von Geschirrgeklapper Kimbundu sprach, ich als Kleine zu Domingas, die es noch nicht gab, zeigte auf einen Sessel, der zu existieren aufgehört hatte

– Nimm meinen Vater von hier weg

während der o-beinige Krebs im Garten an meinem Hemd hochkletterte, die hinderlich hohen Absätze an den Füßen einen nach dem anderen mit der monströsen Gemächlichkeit eines Tieres vorwärtsbewegte, das überzeugt ist, groß zu sein, obwohl es klein ist, und darüber schreit seine blau-weiße Möwe mit hungrig vorgestrecktem Hals mir etwas zu, der Cafuzo, indem er auf den Eingang wies

– Siebzig für eine halbe Stunde

ein mageres Geschöpf, indisch oder so, kratzte sich auf einer Bank neben einem Handtuch an einem Nagel am Fußgelenk, während mein Vater dachte

– Da gibt es bestimmt eine Heiligenfigur an der ein Stück fehlt auf einem Bord

zögerte, in ein Fenster spähte, erneut zögerte, mein Vater ohne weiße Haare, sehr viel dünner, mit Kanten in den Bewegungen, die das Fett noch nicht verbarg, er versuchte zu feilschen, während meine Mutter, den Blick auf die weißen Hügel gerichtet, sich das Haar kämmte, sich mit uns an den Tisch setzte, mich wegscheuchte, wenn ich mich ihr näherte

– Jetzt nicht

voller Unbehagen meinetwegen

– Warum zum Teufel bist du nicht hübsch bist du nicht blond?

unzufrieden damit, dass ich brünett war

– Du müffelst nach Schweiß

von meinen Bewegungen genervt

– Kannst du nicht mal stillhalten?

wegen meiner Beziehung zu den Gegenständen verärgert

– So ein Tollpatsch

oder wegen eines meiner Vorderzähne, der etwas über einem anderen stand

– Furchtbar

und wegen der Puppe, die ich auf dem Teppich hinter mir herzog, die zwischen meine Füße geriet, auf die ich aus Versehen trat und deren Fußgelenk ich zerbrach

– Furchtbar

Domingas, aufgelöst im Wind, der am Mispelbaum rüttelte

– Möchten Sie nichts essen Menina?

und das Gras im Garten und die Wellen dort unten aufrührte, ein anderer Wind als der, der den Gewittern vorausging und die Baumwolle zum Haus hin niederdrückte und die Mangobäume beugte, in denen die Fledermäuse sich versteckten, an den Zweigen hingen wie fremdartige Früchte, die sich nachts drehten, meine Mutter hatte Angst vor ihnen

– Die Fledermäuse

während die Mandrille mit erhobenen Hinterteilen zwischen den Donnerschlägen flohen, der Cafuzo öffnete meinem Vater die Tür, er verloren in einem Kabuff, das nach Desinfektionsmitteln und Ungewaschenem roch, ohne die barfüßige Frau anzusehen, die in einem schlecht sitzenden Kleid reglos am Bett saß, die Leiche eines Radios auf einem kleinen Bord, der Preto mit dem Gewehr nicht bei meinem Vater, nur eine Pistole wog schwer in seiner Tasche, die Nachbarin aus dem Nebenhaus zu den anderen Stühlen

– Die da gewöhnt sich nicht an Portugal

und wie kann ich mich denn an etwas gewöhnen, das ich nicht kenne, ich erlerne allmählich Kälte, die Gezeiten, die Trockenheit der Steine, der Cafuzo schloss das Fenster, und Malanje verschwand im Halbdunkel, man nahm das Kissen, einen Eimer, Gespräche draußen wahr

– Sie werden warten müssen Senhor

Musik in der Ferne, mein Vater reglos vor der Frau, die das zu große Kleid aufknöpfte, sich nicht für ihn interessierte, der erste Blitz ließ die Welt zusammenfahren, der Eindruck, dass er, würde ich ihn rufen, zu weinen anfangen würde wie als Kleiner vor meinen Großeltern, und ich hatte nicht den Mut, ihn zu bitten

– Weinen Sie nicht

wusste nicht, wie man einen Mann bittet

– Weinen Sie nicht

Domingas in Sorge meinetwegen

– Ist irgendetwas Menina?

mit grauem Kraushaar und einem Glas Wasser, das in ihrer Hand zitterte, wir sind so alt, nicht wahr, was erwarten wir noch, nur so wenig in uns gehorcht uns jetzt noch, nicht wahr, der Körper nicht, das Gedächtnis nicht, die Hoffnung nicht, Gesten gehören uns nicht mehr, eine seltsame Langsamkeit, könnte ich dich umarmen, gelänge es mir, dich zu umarmen, wärest du ebenfalls weiß, wäre meine Mutter auch deine, würde sie sich für uns beide kämmen, meine Mutter

– Fasst mich nicht an

und mein Vater nicht der im Sessel, der im Zimmer in Malanje, so nervös wie ich, so verloren wie ich, ich will den Mispelbaum nicht hören, wie er mich

– Tochter

ruft, auch die Schritte meiner Mutter nicht, die sich entfernen, wir sind allein, nicht wahr, sag meinen Namen

– Menina

und bleib hier bei mir, der Nilpferdschädel, diese Löcher in den Nasenhöhlen, diese Löcher in den Augenhöhlen, mein Vater entkleidete sich in Malanje, hatte Angst, sich zu entkleiden, bereits barfuß, auf der Suche nach einem Haken, an dem er Hemd und Hose lassen konnte, die leeren Schuhe unter dem Bett

– Das alles wie es sich gehört schön aufgeräumt Junge

denn da war hinter ihm die Erinnerung an die Stiefmutter aufgetaucht, während die Frau ohne ein Lächeln, ohne eine Geste auf ihn wartete, die wie meine Mutter vermutlich auch ohne ein Lächeln oder eine Geste, sich immer nur weiter kämmte, wie lange schon bin ich ihrem Lächeln nicht begegnet, wenn ich versuche, etwas zu erklären, bringt sie mich mit einer Geste zum Schweigen, versuche ich, mich zu nähern, taucht sofort eine Handfläche auf, die mich wegschiebt, und ich entdecke überrascht so viele unerwartete Ecken an Ihnen, während das Geschöpf aus Malanje meinen Vater nicht wegschob, weil es ihn nicht sah, wer war er denn schon, eine Unannehmlichkeit, er zahlt im Voraus und hinterher ein paar Scheine, ein Husten, eine aufgeregte Kniescheibe, die ihren Schenkel verletzte, ein auf ihren Rippen abgestützter Arm zermalmte sie, ein Mund

– Mein Gott

erstarb da oben, ein Defekt an einem Eckzahn, und die ganze Kindheit in diesem Defekt, niemand hatte sich damals darum gekümmert

– Junge

und die Einsamkeit, hingefallen zu sein, ohne dass jemand da war, nach vorn schauen, den Kohlköpfen im Garten war es gleichgültig, die rachsüchtige Ecke eines Steins schaute ihn an oder ein grausames Stück Porzellan, mein Vater zu mir aus dem Sessel

– Raus mit dir

verwechselte mich nicht mit der Frau in Malanje, verwechselte mich mit sich selbst, könnte ich mich doch an Sie hängen wie die kleinen Tamarine an ihre Mütter, wie sie ganz allein an einem Bauch hängen, der sie beim Erklimmen der Mangobäume nicht bemerkt, der Cafuzo unvermittelt groß, als er ihm die aufgefächerten Geldscheine zeigt

– Da fehlen zwei mein Freund

und die Lichter der Bars glätteten und runzelten sich in den Pfützen auf dem Boden, so viel Orange auf der Welt, so viel silbriger Glanz färbte die Nacht, Domingas, während das Meer dort unten sich entfernte

– Schmeckt meine Suppe nicht?

keine Angst, Domingas, ich habe noch nie eine so gute Suppe gegessen, ich habe nur Schwierigkeiten, aus Malanje zurückzukehren, ich bin immer noch auf der Farm, sehe den Fluss von Chiquita, mein Vater zu mir im Wohnzimmer

– Lass mich

derweil stand der Preto mit dem Gewehr beim Jeep auf dem Platz vor dem Haus, passte auf ihn auf, es gefällt dir, der Hund meines Vaters zu sein, nicht wahr, so wie es dir gefällt, dass meine Mutter

– Komm her

nicht bei geschlossener Tür, sondern bei halb offener, ein lauwarmer Parfümhauch, das Fleisch so weich, so sanft

– Komm her

sie wusste, wer du warst, suchte dich nicht im Spiegel, während sie etwas aus der Bürste zog, ohne dich anzusehen

– Komm her

denn du existiertest, ohne zu existieren

– Komm her

weil die Tür sich weiter öffnete, ganz langsam, obwohl sie sich weit von dir entfernt kämmte und eine sich drehende Türangel dich daran hinderte, es zu hören, du wusstest

– Komm her

das Kleid fort vom Körper, zu ihren Füßen

– Komm her

sie klopfte mit der Bürste auf die Matratze

– Komm her

und alles so weiß, sogar die Mangobäume draußen weiß, sogar die große Palme weiß, der Busch im Norden ohne Baumwolle und dennoch weiß, meine Mutter, ohne ihn zu berühren

– Hier

die Narbe, die ich auf ihrem Bauch hinterlassen habe, als ich geboren wurde, ebenfalls weiß, der Cafuzo in Malanje zum Abschied

– Immer zu Ihren Diensten mein Freund

während er einem Kumpel zuzwinkerte, der mich verspottete, so wie auch die Büsche mich verspotteten, so wie die Fassaden mich verspotteten, so wie ein Betrunkener, der sich, auf allen vieren auf dem Boden, erbrach, mich verspottete, ich ein o-beiniger Krebs, nicht nur linkshändig, sondern o-beinig, der die hinderlichen Stöckelabsätze an den Füßen einen nach dem anderen mit der monströsen Gemächlichkeit eines Tieres vorwärtsbewegt, das überzeugt ist, groß zu sein, obwohl es klein ist, ich bin klein, über mir schreit eine blau-weiße Möwe mit hungrig vorgestrecktem Hals, und Domingas versucht, in ihren Pantoffeln kippelnd, sie mit dem Besen zu vertreiben, Vater, Mutter, ich, Vater, Mutter, ich, Vater, Mutter, ich, seit meiner Ankunft aus Afrika habe ich meinen Eltern nie geschrieben, habe ihre Briefe nicht beantwortet, habe sie nicht einmal gelesen, sie liegen dort in einer Schublade, bis keiner mehr kam, dann ein von einer anderen Person geschickter Umschlag, dessen Inhalt ich ebenfalls nicht gelesen habe, und so erinnere ich mich seit diesem Umschlag nicht einmal mehr, wo überhaupt in Angola, Domingas manchmal

– Haben Sie keine Sehnsucht nach Afrika Menina?

und ich weiß es nicht, um ganz ehrlich zu antworten, ich weiß es nicht, meine Mutter, wie sie mich anschaute

– Du

die Haarbürste in der Hand

– Bitte wasch dich erst mal bevor du mir einen Kuss gibst

die Parfümflakons auf der Kommode, die Ringe in einem Glasschälchen, der erste Blitz ganz hinten auf der Ebene, und das hohe Gras brannte, während die Affen schreiend darauf antworteten, aus der Baumwolle in Richtung Busch flohen, zig Affen, Hunderte von Affen, Tausende bellender Affen, der Jeep meines Vaters, der mit dem Preto mit dem Gewehr von der Plantage kam, die Lampe im Esszimmer brannte, der gedeckte Tisch wartete, mein Vater setzte sich vor uns hin, meine Mutter, die Stirn über dem Teller, ich, mir band Domingas eine Serviette um den Hals, auf einem Stühlchen mit einem Brett, auf das der Teller gestellt wurde, der kleiner als ihrer war und einen höheren Rand hatte, damit ich mich nicht bekleckerte, darin der Löffel und daneben ein Glas Wasser, der Angestellte mit der gelben Jacke erschien mit der Schüssel, die Baumwolle sirrte in der Dunkelheit, mein Vater noch in Gedanken bei dem Cafuzo in Malanje und der Frau auf dem Bett, die ihn nicht anschaute, sie blickte aus dem Fenster in den Hinterhof zu Baracken mit Gemüsegärten hinaus, es regnete, der sanfte Nieselregen der kühlen Jahreszeit, der ihn vor Kälte erschauern ließ, die Frau zündete einen kleinen Docht an, der auf einem Korken in einem Tonkrug voller Öl tanzte, während mein Vater die Flecken auf der Matratze anstarrte

– Und jetzt?

dachte

– Und dann?

dachte, am liebsten hätte er den Revolver aus der Tasche gezogen und ihn neben sich gelegt, während der Cafuzo auf der Straße auf Kimbundu redete, mit wem wusste er nicht, jemand lachte, ihm war so, als hätte es in der Gegend vom Gymnasium einen Schuss gegeben, seine Mutter

– Hast du weiter nichts zu tun?

sein Vater verachtete ihn, das Kinn fast auf dem Teller

– Bis er sich nicht eine Krankheit einfängt hört der Esel nicht auf

also wandte er sich der Frau zu, während die Mutter

– Na endlich kommst du in die Gänge

und mein Vater schluckte nicht die Suppe, sondern die eigene Zunge, dachte

– Und jetzt?

in dem Augenblick, als der Cafuzo die Tür öffnete und ihn am Arm zog

– Ziehn Sie Leine Ihre Zeit ist um.

Ich bin der Pretas wegen nach Angola gekommen und weil man mir erzählt hatte, dass einer unserer Verwandten hier zwischen Löwen und verdammten Pretos dank der Baumwolle reich geworden ist, der Vater meiner festen Freundin, dessen Wunsch war, mich loszuwerden

– Der bringt es im Leben zu nichts der denkt nur an Billard

jede Menge Vögel und jede Menge Kräne am Kai der Einschiffung, mein Gott, und all das schrie, und ich erinnere mich daran, dass es regnete, es fällt einem weniger schwer abzureisen, wenn das Wetter traurig ist, wenn es kalt ist, und Ausländerinnen überall, die größer sind als ich, das gefällt mir, möglicherweise würde es dort so sein, Möwen auf dem Dach einer Lagerhalle, reglos wartend, mit diesen Schnäbeln und grimmigen Augen, ich habe siebzehn gezählt, Ehrenwort, das vergesse ich nicht, der Vater meiner Freundin hat mir, um mich loszuwerden, zusammen mit meiner Patentante das Geld für die Passage geliehen, da sie mich nie wiedergesehen haben, werden sie jetzt bei ihrer Seele schwören

– Habe ich nicht gleich gesagt dass er ein Betrüger ist?

während meine Freundin sich, unter Tränen an ihre Mutter geklammert, rechtfertigte

(Frauen)

– Aber was kann ich denn dafür?

(sie, die zu diesem Zeitpunkt, darauf wette ich mit doppeltem Einsatz, seit Ewigkeiten verheiratet ist, möge es ihr wohl bekommen)

während der Vater ihr, in der Zeitung aufgelöst, zuzischte

– Halt den Mund

mit mehr Zahnfleisch als Lippen, den jedenfalls bin ich los, wer weiß, vielleicht erscheine ich eines Tages in Lissabon, allein, nur um ihm den Hals umzudrehen, ich mag keine Männer, bei denen man ein Stück vom Bein sieht, haarlos, weil das Alter einem alles nimmt, zwischen Strumpf und Hose, siebzehn Möwen, Ehrenwort, die in meinen Träumen dreihundert oder tausend zu sein scheinen, ihr Piepsen weckt mich, und ihre Augen jagen einem Angst ein, Lissabon, immer undeutlichere Dächer, bis es im schmutzigen Wasser oder in den Mangobäumen der Baixa do Cassanje verschwindet, Baumwollblüten an seine Stelle treten, manchmal nachts, weit weg im Ohr die Klage meiner Patentante

– Was ich dir gegeben habe fehlt mir jetzt Kleiner ich bin nicht reich

sie humpelte auf mich zu, denn ein Sturz als Kind hatte ihren Fußknöchel schwergängig gemacht, der immer weiter zurückblieb, die Arme, sie hatte immer eine kleine billige Schokolade, so eine aus dem Kolonialwarenladen, zwischen Schnüren und Holzwäscheklammern in der Schürzentasche, um sie mir zu schenken, sie klebte am Silberpapier fest, sodass mir, wenn ich daran leckte, etwas davon in die Nase stach

(ich frage mich, ob ich Sehnsucht nach den Möwen habe, und weiß keine Antwort darauf)

sie war tatsächlich nicht reich, ich habe oft gesehen, dass sie nur einen Apfel als Mittagessen hatte, von dem sie sogar das Kerngehäuse kaute

– Wenn ich Hunger habe möchte ich mich am liebsten selbst aufessen

daher würde ich Sie, wären Sie hier bei mir in Afrika

(Möwen, Möwen, eine Erinnerung aus Portugal begleitet mich)

mit Maismehl und Grillen vollstopfen, sie ist weder auf den Feldern noch im Lagerschuppen erschienen, noch viel weniger im Haus, obwohl sie weiß, und das weiß sie ganz sicher, dass ich nicht allein bin, das muss man nicht erfragen, dass sieht man in den Augen, ich habe sie nie im Dorfladen auf der Suche nach Trockenfisch auch nicht in der Sanzala rauchen sehen, wenn ein Postenchef Personal aus Xá Muteba oder aus Quiriba zum Verkauf brachte, mit der kleinen Peitsche auf ihre Beinmuskeln schlug

– Und wenn sie sich noch so an den Dornen aufreißen die halten die ganze Ernte lang mein Freund

und ich habe sie auch nicht wiedergesehen, denn António Mariano tauchte, barfuß und mit einer Tunika bekleidet, mit seinen Jüngern in der Baixa do Cassanje auf und begann, die Sanzalas gegen uns aufzuwiegeln, ich hörte sie nachts singen, während die Fledermäuse mit den roten Streifen ihrer Schreie die Dunkelheit ritzten, ich sah sie in den Büschen hinter dem Haus, dieser Hütte des Postenchefs, in der ich wohnte, so schnell, so unerwartet, Stücken von Regenschirmen im Wind so ähnlich, die Albina, die bei mir wohnte, während sie das Fenster schloss

– Hast du keine Angst dass sie uns das Blut aussaugen?

die Jünger von António Mariano waren fast alle aus dem Kongo, mit Canhangulos, selbst gebauten Vorderladern, und Stöcken bewaffnet, und obwohl ich der Albina keine Antwort gab, hatte ich Angst vor den Fledermäusen, na klar, die wütenden Augen, die Krallen, die Zähne, als Kind wickelte meine Mutter die Bettdecke fester um mich, während ich Tränen schluckte, die nach dem Essig aus der Menage schmeckten, und sie am Arm zog

– Wieso regst du dich auf Dummkopf da ist kein Räuber auf dem Flur nun erfinde doch keine Ausreden um nicht schlafen zu müssen

mein Vater rückte drinnen mit dem Stuhl

– Wird das heute noch mal was?

und ich erfinde weiterhin Ausreden, um nicht schlafen zu müssen, der Ellenbogen der Albina bringt, selbst wenn ich mich daran hänge, überhaupt nichts, die Baumwolle welkt im Wind, Flocken fliegen von Strauch zu Strauch, färben sich grau, verschwinden, und in der Umgebung kein einziger mieser Preto eines Postenchefs, die Sanzalas leer, die Hütten verlassen, die Maniokfelder tot, Hunde trotten ziellos, keine jungen Mädchen waschen Wäsche, keine Alten rauchen die Mutopa, die Vorarbeiter dort unten bei den Jüngern von António Mariano lernen die Frohe Botschaft von Maria und zählen den Fisch und den Tabak, den sie in den Dorfläden gestohlen haben, Gott Zumbi unsichtbar, ein winziges Huhn, das noch durchgehalten hat, bald schon wird ein Falke kommen und es mit den Fängen zerpflücken, es bleibt ein Bein, zwei Beine, etwas, das nach Blutstropfen aussieht, auf dem Boden, eine Schlange kreist umher, die Januarregen nach dem ersten Blitz, sobald sich die Wolken öffnen, die Albina zu mir, sie sagt nicht

– Du

die Albina zu mir

– Senhor

und ihr Körper reglos unter meinem, um die Taille eine Glasperlenkette und die kompakten Wurzeln ihrer Füße letztlich so leicht, das Gelb der Handflächen, obwohl die Furchen in der Haut schwarz sind, die raue Tätowierung an der Wurzel der Schenkel, Pupillen, die mir immer ausweichen, wenn ich sie fragte

– Willst du mich nicht sehen?

Schweigen, sie lächelte nicht, sprach nicht, schien mich nicht einmal wahrzunehmen

– Warum fliehst du vor mir?

und Schweigen

– Warum rückst du weg?

und Schweigen

– Warum sprichst du nicht mit mir?

und Schweigen, und dennoch dein Geruch im ganzen Haus, stärker als der des Lehms der Wände oder des Manioks draußen auf der Matte, während das Dach langsam in breiten grauen Placken verschimmelt, und Mücken und dicke Raupen in der Lampe, diese Asche, diese Hitze, wenn ich an Lissabon denke, erinnere ich mich weder an die Stadt noch an meine Eltern, es sind die siebzehn Möwen im Regen am Kai der Abfahrt, mal unscharf, dann wieder scharf, so reglos, grau oder weiß, wo genau bin ich, erkläre es mir, du hast nie meinen Namen ausgesprochen, hast mich nie angelächelt, du wirktest zufrieden, mich kommen zu sehen, und dennoch bist du nicht gegangen, ich fand dich immer an die Wand gelehnt vor, reglos, als würdest du auf mich warten, ich habe dich deinem Vater abgekauft, habe fünf Decken und zwei Ziegen gezahlt, obwohl ein Mädchen in deinem Alter nur etwa vier Decken kostet, während der regenlosen Jahreszeit, wenn das Sumpffieber zunimmt, deine Brust nass, nicht vor Fieber, von einer Art heißem Wasser, und es schmeckte nach dem ersten Tau auf den Mangobäumen vor dem Morgen, und damals redetest du leise, du, die nicht redete, zwei oder drei wirre Sätze, immer mit geschlossenen Augen, die offen wirkten, in das Kongotuch gewickelt wie in ein Leichentuch, einmal habe ich dich gebeten

– Stirb bloß nicht

und ich weiß nicht, warum ich gebeten habe

– Stirb bloß nicht

denn mir war gleichgültig, ob du lebtest oder starbst, für den Preis, für den ich dich deinem Vater abgekauft habe, hätte ich zwei ebenfalls junge, gehorsame Mädchen in den Hütten kaufen können, die bereit waren, den Abtreibungstee zu trinken, falls sie schwanger wurden, Mulatos, nicht dran zu denken, Möwen, Möwen, glaubt ja nicht einen Augenblick lang, ich hätte Sehnsucht nach euch, Mö, bereit, ein Loch zu graben und darin zu begraben, was ein Sohn sein würde, was bereits ein Sohn war, und die Möwen rings um das Schiff, so wie ich hier um uns herum, sie schrien, während ich von der Reling aus auf Lissabon schaute, vom Fenster meiner Eltern aus sahen wir die Kräne am Tejo sich weit in der Ferne drehen, António Mariano ging von Sanzala zu Sanzala, um mit den Sobas und den Pretos von der Baumwolle zu sprechen, die den Postenchefs abgekauft worden war, wir hörten ihr Getrommel, ihre Gesänge, die im Takt klatschenden Hände, die einstimmigen Rufe

– Euá

und niemand zur Ernte bei mir, ich blickte, die Hände in den Taschen, auf die Plantage am Hügel

– Sie wird sterben

ich, der ich mich vorbeugen und mein Ohr an den Mund meiner Patentante im Krankenhaus legen musste, um zu hören, wie sie, so mager

– Adieu mein Sohn

hauchte, ein eingeklemmter Wirbel, solange ich denken kann, auf Taillenhöhe, es fällt mir schwerer, mich vorzubeugen, als ihrem Tod beizuwohnen, wozu darüber traurig sein, wo es doch das Schicksal der Alten ist, sie hat es bis achtzig geschafft, eine runde Zahl, was zum Teufel würde sie sonst auch noch tun, als zur Last zu fallen, die Leute mit unendlichen Geschichten zu nerven, immer dieselben, die einen nicht weiterbrachten, zudem noch aus einer Zeit, die ich nicht erlebt habe, was weiß ich, wer Großmutter Berta war, was weiß ich, wer Senhor Osvaldo war, immerhin erinnerte sie sich mal an die Namen, was mich betraf, so wollte ich nur die kleine Schokolade am Ende, ihr Leben interessierte mich nicht die Bohne, da war der Apfel zum Abendbrot, den man für sie aufschneiden musste, weil die Hand das Messer kaum noch halten konnte

(die verlorene Baumwolle flog mit dem Strudel der Blätter im leichten Regen)

und nach den Gebeten von António Mariano das Getrommel der Fledermäuse, die verschreckt die Mangobäume verließen, während die Jünger unter Gesängen die Cipaios entwaffneten, den Mais und den Maniok von den Feldern und die Kartons mit Trockenfisch aus den Dorfläden stahlen, sie schossen auf die Ziegen, und nach dem

– Adieu mein Sohn

entfernte sich meine Patentante von mir, blieb aber dort, immer ferner auf dem Kissen, während meine Mutter sich vom verglasten Balkon entfernte, auf dem ich schlief, auf dem Weg zum Schlafzimmer nur Pantoffeln, die auf dem Flur immer kleiner wurden, der für mich kurz, aber für sie ewig lang war, weil ihre Stimme in weiter Ferne meinem Vater versicherte

– Er ist eingeschlafen

und obwohl weit weg, war die kaputte Feder in ihrem Bett ganz nahe, wie eigenartig, die Wasserflasche auf dem Nachttisch klingelte gegen das Glas, mein Vater zog genau hier den Wecker auf und stellte die Uhr wieder hin, die ich, ohne einen Arm zu bewegen, berühren könnte, also war ich bestimmt nicht auf dem verglasten Balkon, befand ich mich zwischen ihnen in den Abgründen der Dinge, die ihnen gehörten, unter dem Radio aus dem Stockwerk darüber und, wie mir schien, einem Lachen darunter, der Agent der Cotonang, der mich besuchte, ohne aus dem Jeep zu steigen

– Halten Sie durch mein Freund die werden aufgeben

mit einer Waffe in Feuerstellung auf dem Sitz neben sich, er gab mir ein Kistchen mit Munition

– Sie haben doch ein Gewehr nicht wahr?

prüfte den Verschluss des Gewehrs, prüfte den Hahn, gab es mir zurück, vergaß dabei, es zu sichern, und ließ Konserven für mich zurück, und ich gehe nicht in die Sanzalas, keine Angst, was soll ich in den Dörfern, mich interessiert nur die Baumwolle, meine Mutter zu meinem Vater, indem sie einen Träger des Nachthemds hochschob

– Der schläft wie ein Stein der Kleine

während meine Augenlider, als sie das Licht löschten, von Rosa zu Schwarz wechselten, das Zimmer ein Stockwerk hinunterzugleiten schien, alles um mich herum verschwand, ließ meine Eltern dort oben zurück und mich allein mit den Geräuschen in der Wohnung, den Rohren im Inneren des Stucks, den Dielen, die sich weiteten und wieder zusammenzogen, den Stufen der Treppe, die die Schritte vergangener Mieter erfanden, morgen werde ich meinen Hund, seine Augen erloschen, an einem Strick kreiselnd, von den Jüngern ausgeweidet vorfinden, und die Albina, wie sie hinter dem Haus den Stößel im Mörser bewegt mit diesen kantenlosen Bewegungen der Pretos, die mir die Samen für die nächste Ernte im Lager verbrennen, das Petroleum anzünden, das sie daraufgeschüttet haben, und die Geschöpfe, die es gebracht haben, hüpfen darum herum, während ein Flugzeug inmitten der Milane vom Gebirge in der Höhe kreiste, und die Jünger von António Mariano zerstörten Pfade und Brücken, der Soba zu mir nicht

– Chef Chef

der Soba

– Verschwinde

während er, in einem Dialekt des Kongo betend, tanzte, der Lastwagen des Postenchefs leer, verkohlt dort hinten, und die Albina schwieg, schaute auf den Fluss, ohne mich zu sehen, verbrachte, auf den Stufen vor dem Haus hockend, Stunden damit, die eigenen Hände zu betrachten, sie redete nicht mit mir, ich war es, der zu ihr sagte

– Komm her

ich, der ich mich manchmal im Dunkeln in der Wohnung meiner Eltern wähnte, ihre Beine berührte, wenn sie schliefen, wie sie wohl jetzt sind, ob sie noch leben, meine Mutter leise protestierend

– Nicht jetzt mit dem Jungen hier

und mein Vater schwer atmend, aber sehen konnte ich ihn nicht

– Verdammt

die Helligkeit des Fensters beleuchtete nur einen umgekippten Schuh, dieser Schuh mein Vater, und der Atem schwoll an, ein Arm meiner Mutter packte mich fest und ließ mich wieder los

– Jetzt langsamer

und der Wecker auf dem Nachttisch nach links und nach rechts

– Ja nein

mit einer Aorta aus Blech, die sich im Inneren ausdehnte und zusammenzog, als ich klein war, war er groß, oder besser gesagt, mal halbwegs groß, mal groß, ein Knie

(wessen?)

drückte sich in meinen Bauch und verschwand wieder, während eine Stimme schwer atmend über die Silben stolperte

– Der Kleine ist hier nicht wahr?

Malanje mit den blühenden Akazien zwei Zugstunden entfernt, ein Zug kam an, ein Zug fuhr ab, mein Vater machte mit ausgewechselten Bewegungen das Licht an

– Ich habe Durst

hatte mir den Rücken zugewandt, den Schlafanzug offen, und Haare auf den Schulterblättern und auf dem Rücken, wie eigenartig, saß er auf dem Rand der Matratze, weil das Zimmer wieder existierte, die Flecken im Putz der Decke, die kleine Heilige in ihrem Rahmen, der Stuhl mit unordentlich daraufgeworfenen Kleidern, die zu Boden glitten, erstaunlich, wie leblose Gegenstände sich bewegen können, mein Gott, dabei sah ich nicht sein Gesicht, nur seinen Nacken, röter als üblich, Abdrücke von Fingernägeln am Hals, und im Stehen zog er die Schlafanzughose hoch, und einen Augenblick lang eine Pobacke, einen Augenblick lang der untere Rücken, der Wasserhahn in der Küche in einem Glas, die von den Kacheln verstärkte Stimme, vollkommen anders als seine, wie viele Väter habe ich, ich weiß es nicht

– Möchtest du Wasser?

die Stimme anfangs rostig und dann ganz sauber

– Möchtest du Wasser?

während meine Mutter leicht mein Gesicht berührte, mit anderen Fingern, manchmal denke ich an sie, an das Muttermal auf ihrem Schulterblatt und an ihre Klage beim Abendessen

– Der Arzt sagt ich hätte eine Wanderniere

oder anders gesagt, meine Mutter, eine Badewanne und darin ein Spielzeug, bei dem hier und da die rote Farbe des Schnabels fehlte, und die nicht geraden, sondern schrägen Striche, die die schon verblassten Flügel darstellten, ihre Handfläche am Ende der Wirbelsäule und ihre Augen, die in der Leere des Schmerzes schwammen, das alles während der Brandrodungen in der regenlosen Jahreszeit, und die Dörfer verlassen, die Maniokpflanzungen verstorben, mit der Dämmerung kamen die Fledermäuse, die beinahe nicht mehr vorhandene Baumwolle knisterte, mein Vater

– Und jetzt?

zu meiner Mutter oder zu mir, der ich bereits allein auf dem Sofa im Wohnzimmer schlief

– Du bist gewachsen

fern von ihm die Nachbarn hörte, die in bestimmten Nächten im Dunkeln

– Halt still

mit von Hast durcheinandergebrachtem Atem, weil eine feuchte Stimme

– Halt still

zu niemandem, glaub ich, denn niemand antwortete ihm, oder ein müder Seufzer von wer weiß wem antwortete klagend, Möwen

– Mein Gott

mit dieser Resignation, mit der meine Mutter ihm die Flecken auf der Jacke zeigte

– Mein Gott

während im Zimmer meiner Eltern, seit das mit der Niere war, Stille herrschte, nur der blecherne Wecker ging, dem Schaukeln des Mechanismus folgend, nach rechts oder nach links, manchmal schien er innezuhalten, das Herz angstvoll wie im Fallen, wenn wir plötzlich vom Felsen unserer selbst stürzen, unfähig zu atmen, und wir

– Ich bin gestorben

sagen, die Augen verloren in der Leere ringsum, eine Handfläche

(wessen?)

hält uns unvermittelt, und die Möbel existieren wieder, niemand stirbt mit den Kleidern für morgen auf dem Stuhl, niemand stirbt, während ein schlecht gebügeltes Hemd wartet, die Albina jetzt nicht bei mir, sie hockte

(und ihr Nacken so hell)

zwischen den Maniokwurzeln hinter dem Haus bei den Eukalyptusbäumen und am Fluss, wenn du wenigstens reden würdest oder, besser, wenn du verstehen würdest, was ich dir nicht sage, jetzt gibt es Augenblicke, in denen, jetzt gibt es Augenblicke, und das reicht, die Jünger von António Mariano haben Pfade abgeschnitten, Plantagen zerstört, Lagerhäuser abgefackelt, haben Cipaios angegriffen, ließen auf den Wegen Drohungen und Warnungen zurück, einmal, als ich früher kam, hatte ich das Gefühl, ein Mann hätte mit der Albina gesprochen, aber möglicherweise, was weiß ich, nur ein Schatten im Wedeln einer Kletterpflanze, ich suchte nach Fußspuren, doch da war niemand, kein abgeknickter Zweig, kein Abdruck auf dem Boden, lass mich nicht allein, der Cabíri, den sie mir in Xá Muteba geschenkt haben, still, mir war so, als würden Waldhühner zu den Bäumen hin flüchten, wenn wenigstens mein Vater hier wäre

– Junge

auch wenn er mich nicht ansähe, hätte ich es gern, wer kannte mich noch in Lissabon, wer erinnert sich an mich, meine Freundin, bereits mit erwachsenen Kindern, vertiefte die Falte zwischen den Augenbrauen

– Der da?

und wer denn auch, nicht wahr, es ist so lange her, der Sohn von der, die Wäsche außer Haus flickte und manchmal wegen des Ischias humpelte, ob meine Freundin sich noch an die Mutter klammert und

– Aber was kann ich denn dafür?

fragt, und ihre Haarschleife aus Velours, das Armband aus Kupfer, am Daumennagel war immer Lack abgesplittert, der Neffe des Autowerkstattbesitzers, der Stotterer, schaute dich an, wenn ich dann

– Noch nie gesehen?

entschuldigte er sich gleich, rot vor Schüchternheit, mein Gott, wie hat es geregnet, als ich aufs Schiff hierher ging, weder meine Mutter noch mein Vater noch meine Patentante auf dem Kai, zwei Kerle, die Kisten schoben, ein Alter, der mit dem Taschentuch winkte, die Jünger von António Mariano wollten keine Weißen in Angola, die Haut der Albina nicht weiß, sondern durchscheinend, man sah die Knochen und die Adern darunter, manchmal morgens in der regenlosen Jahreszeit verbarg der Nebel die ganze Plantage, man sah Umrisse, konnte aber die Mandrille, die Pretos nicht erkennen, und wer von beiden waren übrigens die Affen, wer von beiden kreischte, wer verfolgte den anderen unter Geheul, wer läuft bei Tagesende, die Hände auf der Erde, zur Sanzala, wäre mein Vater zufälligerweise bei mir, selbstverständlich ist er es nie, würde er sich an meinen Ärmel hängen

– Das gehört alles wirklich dir?

mich beinahe

– Senhor

nennen, er, der bei einer Baufirma Kräne bewegte, er wurde am Saum des Douro geboren, und sein Gesicht war auch Stein, die Nase, die Stirn, das Kinn, die Worte dicke Steine, die zum Wasser hinunterrollten, die Hände Stücke vom Weinstock, in sich selbst geschlossen, Lissabon zu groß für ihn, so wie Afrika zu groß für mich ist, die Albina sagte nie meinen Namen, sagte

– Senhor

wagte nicht, mich anzublicken, mit den Pupillen, die blasser waren als die von Tieren, wenn nachts das Licht der Taschenlampe auf sie traf, die Läden in den Dörfern ausgeraubt, und die Jünger von António Mariano tanzten unter Gesängen und Gelächter und Geschrei darum herum, und die Trommeln riefen, die Trommeln in Malanje, wo, wie es hieß, die ersten Soldaten aus Luanda auf den Pfaden tanzten, die nichts sehen konnten, weil der kreiselnde Staub und die Blätter der regenlosen Jahreszeit und der Dieseldunst die Augenlider schmerzen ließen, ich hatte Samen für die nächste Pflanzung im Lagerhaus aufbewahrt, bis die Albina mitten in der Nacht

– Senhor

sie, die nicht redete

– Senhor

nicht

– Chef

Senhor, ohne die Lippen zu bewegen, ohne mich zu berühren

– Senhor

nicht laut, ein Murmeln

– Senhor

während meine Patentante, sie hingegen

– Mein Sohn

während sie mich ansah, ohne mich zu sehen, wie die Albina mich ansah, ohne mich zu sehen, wie meine Freundin in Lissabon mich ebenfalls nicht sah, wer hat sich bis heute denn je um mich gekümmert, meine Eltern

– Kannst du nicht mal stillhalten Junge?

will heißen nur die Stimme, während der Rest von ihnen dort, die Körper, die Gesichter, wer interessiert sich für mich, wer versucht, mir zu helfen, wenn ich nachts Angst habe, wer schreibt, was ich nicht sage, wer löscht die Angst aus, die ich spüre, wer sieht die Tränen, die ich nicht habe, die Albina

– Senhor

zeigte nicht auf das brennende Lagerhaus, und die Jünger von António Mariano wurden immer größer, riesig wegen der Flammen im Busch, einer von ihnen nahm eine Ziege mit, ein anderer verfolgte ein Huhn, das eine Wanderniere hatte, denn es verhedderte sich mit den Füßen, stieß mit ausgestrecktem Hals gegen den Zaun, die Albina, von der ich nicht weiß, was sie fühlt oder was sie denkt, sie gehorcht nur, warum gehst du nicht fort, warum bleibst du bei mir, du, warum siehst du mich an, ohne mich zu sehen, und die Cabíris, die noch im Dorf übrig sind, so schmutzig, so langsam, die Uhr, die dort an meiner Wand hängt, hat seit Ewigkeiten nur einen Stundenzeiger, der irgendeinen Augenblick anzeigt, dem Leben gegenüber so gleichgültig wie du, stolpert sie über sich selbst, was denken beide über mich, ich verstehe die Zeit nicht, so wie ich auch die Pretos nicht verstehe, Gelächter und kein Grund zum Lachen, Gerede und kein Grund zum Reden, immer weit von uns entfernt, obwohl sie in der Nähe sind, gleichgültig klagen sie nicht einmal über Schmerzen, ich habe dich nie besorgt erlebt, so wie ich dich auch nie fröhlich erlebt habe, kein Seufzer, keine Klage, keine Geste, würde ich fragen, würde es mir gelingen zu fragen, aber es gelingt mir nicht

– Magst du mich?

eine Stille, in deren Inneren, glaube ich, keine Welle sich bewegte, meine Mutter zu meinem Vater, als das Betttuch sich heftig zu ihr hinzubewegen begann

– Hör mal der Kleine schläft nicht

sich nicht nur erhob, kräftiger, schneller atmete, über mich hinweg zur Stimme meiner Mutter rutschte, denn meine Mutter hatte keinen Körper, nur eine Stimme, wenn sie sich hinlegte, war mir so, als würde sie sich verflüssigen, die Stimme vergossenes Wasser, das versuchte, einen Weg zwischen den Fliesen und den Dielen auf dem Boden des Schweigens zu finden, das Fenster ein helleres Quadrat mit etwas, das wie ein Baum aussah oder der Schein einer Laterne auf der Straße, wo der schräge Schatten eines Vogels und eines Windzweiges, nicht eines Wipfels, zitterte, das Betttuch auf der Seite meiner Mutter bewegte sich ebenfalls heftig, heftiger als seines

– Kannst du nicht wenigstens mal stillhalten

ein zorniger Protest, und ich hatte das Gefühl, dass das Universum nur über meinem Kopf existierte, da es darunter nur die Nutzlosigkeiten der Welt gab, leere Kleider auf dem Boden, eine Socke meines Vaters bei der Kommode

(die andere verschwand immer)

der Rock meiner Mutter rutschte schräg vom Stuhl, ein Pantoffel mit einem Loch an der, Möwen, Spitze, eine Münze an der Scheuerleiste, auf einem Teller Essensreste, die wie aus Gips wirkten, der Zweig eines Tipubaumes am Platz, der das Glas durchbohrte und mich berühren wollte, was meine Eltern wohl sagen würden, wenn sie sähen, wo ich wohne, wenn sie die Albina sähen, meine Mutter

– Was ist das denn?

mein Vater, der schwerhörig wurde, die Hand muschelförmig am Ohr

– Wie bitte?

solange ich denken kann, ständig mit seinem Knie beschäftigt

– Das hier

meiner Mutter umgehend verkündend, dass die Kniescheibe zu existieren begann, die Jünger von António Mariano, warte, meiner Mutter umgehend verkündete, dass die Kniescheibe zu existieren begann, und er auf dem kleinen Sofa beruhigte sie mit Massagen, plötzlich so viele vom Tabak dunkle Schneidezähne freigelegt, meine Mutter

– Hast du dir das mal im Spiegel angeschaut mein Gott?

meine Mutter

– Vergiss nicht den Regenschirm vom Schrank herunterzuholen denn Freitag regnet es

die Jünger von António Mariano tanzten singend darum herum, stampften mit riesigen Fersen auf dem Trommelfell der Erde, bemerkten dabei ein kleines Militärflugzeug über ihren Köpfen nicht, sehr viel kleiner als ihre Füße, die Erde nicht dunkel, sondern lila, und eine Baumwollblüte von dem Hang, den sie abgefackelt hatten, schwebte, noch heil, ziellos umher, sie sahen mich nicht, baten mich nicht um Geld, begrüßten mich nicht

– Muata

sie taten mir nichts, ich, die Pistole am Gürtel und das offene Halfter ganz nahe an den Fingern, eine Ziege kam humpelnd auf mich zu und verschwand auf einem Pfad, António Mariano, mit dem Stab eines Soba, erhob die Handflächen, während die Jünger sangen, ich hatte mir nicht vorgestellt, dass die Erde von innen leer ist, voller endloser Echos, was gibt es in ihrem Bauch außer den Toten, die wir ihr geben, meine Patentante beispielsweise, die sich an meinen Ärmel hängte, um aufzustehen

– Ach Junge

der Prophet in einer Tunika aus einem Sack für die Baumwollernte rief dem Volk immer wieder

– Maria

zu, und die Trommeln übertönten den Namen nicht, machten ihn lauter, ihr Fell zieht man glatt, indem man es dem Feuer nähert, die Frohe Botschaft von Maria schützt uns vor den Weißen, schützt uns vor den Kugeln, schützt uns vor dem Tod, die alten Sobas kamen nachts zurück, vertrieben die Cotonang und die Siedler, sie zerstörten die Saat, zerstörten die Brücken, zerstörten die Pfade, die Lager, die Läden, den Weinbrand, die Hühner, die nicht weiß sind, und die Vögel, die sich Frösche und Hähne holen und damit uns daran hindern, sie zu essen, und ich sehnte mich nach Lissabon, Möwen, Möwen, nach meinen Eltern und den Sonntagnachmittagen im Sommer, wenn ich am Ende des Tages ans Fenster trat und auf den Frieden der Straße mit den dort geparkten Autos aller Nachbarn schaute, die Männer in Schlafanzugjacken sah, die sich an der Tür zum geschlossenen kleinen Café unterhielten, zwei kleine Jungen auf einem Dreirad auf dem Fußweg, den Hund, der zutiefst nachdenklich ewig lang vor jedem Geruch stehen blieb, die beiden Töchter des Unteroffiziers zeigten auf irgendetwas, vielleicht auf mich am Fenster, und sie lachten über mich, wenn ich sie begrüßte, wandten sie ungehalten den Kopf von mir ab, derlei Dinge lasteten als bleierne Sehnsucht auf meiner Brust, ich will euch was erzählen, ich sah zwei gebratene Hühner fliegen, die flogen schnell und hatten die Bäuche gen Himmel gekehrt, die Rücken nach der Hölle, die Lehrerin mit Brille aus dem Haus fast gegenüber zog die Gardine zur Seite, ohne mich anzusehen, sie hat mich nie angesehen, und dann ging sie wieder, der Himmel fast durchsichtig vor der Nacht, über einem Schornstein der erste Stern, was für eine Dummheit, wegen der Pretas und des Cousins von dort wegzugehen, der hier reich geworden ist, inmitten von Löwen und Pretos, dank der Baumwolle, und nun sieh sich einer das Ergebnis an, was würde ich nicht dafür geben, nun mal Schluss mit dem Gejammer, aber wirklich, was würde ich nicht dafür geben, der Zeitungskiosk, den die Besitzerin, die wegen der Behandlungen eine Perücke trägt, immer blasser, immer magerer

Dona Ilda

am Sonnabend schließt, indem sie um zwölf Uhr mittags die Fensterläden aus Wellblech, jeder mit einem eigenen Griff, vor den Kiosk hängt, wirklich, was würde ich nicht dafür geben, meine Mutter strich mit dem Handrücken über meine Stirn

– Du siehst zwar elend aus aber Fieber hast du nicht

und es ging mir gleich besser, die Beine tun mir tatsächlich nicht weh, meine Nase ist tatsächlich nicht verstopft, kein Unwohlsein, keine Kälteschauer, keine Übelkeit, das Gewicht auf der Brust ist wie durch ein Wunder verschwunden, ehrlich, ich brauche keinen Tee, dazu auch nicht die vier Teelöffel Zucker, was für eine Übertreibung, legen Sie die Überdecke wieder in den Schrank zurück, die riecht schrecklich nach November, öffnen Sie die Truhe nicht, ich brauche keine Decke im Bett, Sie haben doch versichert, dass ich kein Fieber habe, wozu dann jetzt dieser ganze Memmenkram, Sie hätten mehr Kinder großziehen sollen, um mich ein bisschen mehr in Ruhe zu lassen, bitte suchen Sie jetzt nicht nach dem Thermometer in der Schublade im Nachttisch, mir geht es prima, schütteln Sie es nicht im Gegenlicht, damit das Quecksilber bis auf fünfunddreißig Grad herunterfällt, zwingen Sie mich nicht, den Ärmel des Pullovers auszuziehen, um es mir unter den Arm zu schieben, befehlen Sie mir nicht

– Drück richtig zu

ziehen Sie nicht am Ende, um festzustellen, ob es fest sitzt, schauen Sie mich nicht auf der Suche nach leichter Blässe und Augenringen, nach einer Sterbensgrimasse forschend an, erscheinen Sie nicht mit einem zu heißen Tee und Löffeln voller Gelee, vor allem zwingen Sie mich nicht mit dieser besorgten Falte auf der Stirn, ihn zu trinken, obwohl ich

– Nun bestehen Sie doch nicht darauf

erst nur mit einer vertikalen Hand in der Luft, dann mit gefalteten Händen

– Ich habe doch gesagt Sie sollen nicht darauf bestehen oder?

und Sie kämmen mein Haar

– Du bist immer noch mein kleiner Junge

und ich schäme mich, hoffentlich hat es niemand gehört