Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982-1987) - Peter Handke - E-Book

Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982-1987) E-Book

Peter Handke

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Beschreibung

»Maximen und Reflexionen? nein, eher Reflexe … die aus einer Bedachtsamkeit kommen, einer grundsätzlichen, und in deren Folge hin und wieder ausschwingen, auch ausschwingen wollen, über den bloßen Reflex hinaus, soweit der Atem reicht.«

Peter Handkes viertes Journal.

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Seitenzahl: 537

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Peter Handke

Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982-1987)

Suhrkamp Verlag

Vorbemerkung

Das Folgende sind Aufzeichnungen aus den letzten fünf — von den insgesamt acht — Jahren, die ich in Salzburg, Österreich, verbracht habe. Es handelt sich, vor allem, um Notizen, Wahrnehmungen, Bedenklichkeiten, Fragen, aus einer Zeit der Seßhaftigkeit und des Wohnens in meinem Geburts- und Heimatland, bestimmt durch Tun und auch gehörig viel Nichtstun. Es war die Zeit der vier Erzählungen »Der Chinese des Schmerzes«, »Die Wiederholung«, »Nachmittag eines Schriftstellers« und »Die Abwesenheit«; mehrerer Übersetzungen, aus dem Slowenischen, Altgriechischen, Amerikanischen, Französischen; aber auch des Müßiggehens, vor allem zu den Stadträndern und darüber hinaus, und des Umherirrens, Herumsitzens, Gartenlebens usw., wie sich das aus den oft fragmentarischen Erzählungen hier mehr zu erahnen gibt, als daß es sich ausmalen ließe.

Große Reisen fanden keinmal statt; das Wegfahren dauerte jeweils nur für kurze Expeditionen oder Abstecher in den jugoslawisch-italienischen Karst, ins Friaul, in die Pariser Vorstädte, meine damaligen, unschwer zu erreichenden Anschauungsgebiete.

Es dürften von den salzburgischen Augenblicks- und Stunden-Mitschriften beim Abschreiben hier etwa drei Viertel weggefallen sein: in der Regel Lektüre-Zitate, die Mehrzahl der Träume, viele Beschreibungen, die meisten Meinungen (ein paar gebe ich hier weiter, auch um mir, wie es sich wohl gehört, diese und jene Blöße zu geben). An den damaligen Niederschriften, die in diesen Text übergegangen sind, habe ich freilich in sich kaum ein Wort geändert (wie auch die Folge der Morgen und Abende, der Tage, Monate und Jahreszeiten gewahrt ist); unterlief mir manchmal, im Nachziehen der inzwischen zehn bis fünfzehn Jahre alten Sätze und Satz-Gefüge, eine Hinzufügung, Verdeutlichung oder Weglassung, so habe ich das in der Regel umgehend wieder rückgängig gemacht; einzig das Tagesdatum ist oft weggefallen. Kam es vor, daß ich mich, beim Kopieren und »Lichten«, verschrieb, so habe ich dieses Verschriebene hingegen, in dem und jenem Fall, mit Absicht so stehengelassen.

Die vorliegenden Aufzeichnungen enden mit dem Aufgeben des Wohnorts und dem Aufbruch aus meinem Heimatland, zusammenfallend mit dem Ende der dortigen Schulzeit meines Kindes — Aufbruch zu einer »Weltfahrt«, oder vielleicht bloß einem weiteren Umherirren, drei Jahre lang, wovon eine gewisse Anschauung gegeben wird in den Schilderungen von »Noch einmal für Thukydides« (1987-1990).

Und auch für die Journalabschrift »Am Felsfenster morgens« gelte jene Widmung vor das »Gewicht der Welt« (1975-1977), welche ebenso gelten könnte für »Die Geschichte des Bleistifts« (1976-1980) und »Phantasien der Wiederholung« (1981/82): Für den, den's angeht.

Im Unterschied aber zu jenen drei vorangegangenen Augenblicks-, Stunden- und Tages- (oder Nacht-)Sammlungen ist diese hier spezialisiert auf den Ort, den großen, und dessen kleine und kleinere Zweigstellen, wo die Augenblicke usw. stattfanden und Gestalt annahmen: an die Seßhaftigkeit. Reisemitschriften sind weggelassen, oder übersprungen — einmal, weil es während der Jahre in S. ja kaum zu Reisen gekommen ist, eher zu den erwähnten, allerdings häufigen, Abstechern, und dann auch, weil die Aufzeichnungen während solcher Abstecher ohne jene Ungewolltheit, Beiläufigkeit und eben Ortsverbundenheit geschahen wie zum Beispiel die morgens am Felsfenster. Sollte ich die Eigenheit des Ganzen hier andeuten, so vielleicht folgend: Maximen und Reflexionen? nein, eher Reflexe; Reflexe, unwillkürliche, gleichwohl bedachtsame; Reflexe, die aus einer Bedachtsamkeit kommen, einer grundsätzlichen, und in deren Folge hin und wieder ausschwingen, auch ausschwingen wollen, über den bloßen Reflex hinaus, soweit der Atem reicht.

Peter Handke Januar 1997