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MAGAZIN FÜR EUROPÄISCHE MORALISTIK "Es ist seltsam genug, dass man in unserem Lande die Figur des Moralisten in ihrer Legitimität so wenig kennt und schätzt. Wort und Sache stammen aus der französischen Kulturwelt, und die großen Beispiele eines Montaigne und Larochefoucauld sind in der deutschen Welt von heute unbekannt. Schopenhauer und Nietzsche, die in ihnen ihr großes Vorbild sahen, waren Außenseiter der Schultradition der Philosophie geblieben." Hans-Georg Gadamer : "Philosophische Lehrjahre - Eine Rückschau", Frankfurt a.M. 1977/1995, S. 209) I N H A L T Wie verlängern sich Papierkriege? Ideen an der Zeit und an der Macht Wie verkürzen und verlängern sich Kriege? Les vieux nouveaux philosophes Das Rätsel aller Lösungen Drei Gast-Gedichte von Fritz H. Lotter-fuchs Aphoristiker : J. Swift, Fr. G. Jünger, W. Benjamin, H. Kasper, E. Gürster, K. Gutzkow, Fr. Hebbel, L. Börne, E. v. Feuchtersleben Überall Brainstorming über alles: Zu Bruch gegangene Spielwerke Auch eine Philosophiegeschichte (S) H E : Wo sind weibliche Genies? Zwischen Oben und Unten Der Tod vorm Ableben Drabble mit Hitze, Truck, pünktlich, Ecke Ausklang eines fernen Bekannten
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Seitenzahl: 69
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Wie verlängern sich Papierkriege?
Ideen an der Zeit und an der Macht
Wie verkürzen und verlängern sich Kriege?
Les vieux nouveaux philosophes
Das Rätsel aller Lösungen
Drei Gast-Gedichte von Fritz H. Lotterfuchs
J. Swift, Fr. G. Jünger, W. Benjamin, H. Kasper, E. Gürster, K. Gutzkow, Fr. Hebbel, L. Börne, E. v. Feuchtersleben
Überall Brainstorming über alles:Zu Bruch gegangene Spielwerke
Auch eine Philosophiegeschichte
(S)HE : Wo sind weibliche Genies?
Zwischen Oben und Unten
Der Tod vorm Ableben
Drabblemit Hitze, Truck, pünktlich, Ecke
Ausklang eines fernen Bekannten
Für Elke in Liebe und Dankbarkeit
So hatte es Heraklit nicht gemeint, doch griechisch "polemos" ist ja auch der vorbereitende oder warnende Papierkrieg der Polemiker, nicht nur der Eroberungskrieg der Soldaten und Feldherren.
Papierkrieg ist nicht nur bürokratische Schriftflut, sondern auch die Fechtkunst der Ideologen und ihrer Todfeinde auf weißem Bogen oder elektronischem Bildschirm. Manche lieben Streitgespräche von Angesicht zu Angesicht, im Wohnzimmer oder Fernsehstudio, aber das ist nicht die Königsdisziplin der geistigen Auseinandersetzung durch Zusammensitzen. Wahre Mündigkeit äußert sich schriftlich, nicht in lautstarken Quasselbuden oder in voreiligem Praktikergetue.
Polemische Papierkriege haben hierzulande einen schlechten Ruf und eine schlechte Presse. Hierzulande liebt man den möglichst prompten "Konsens" statt genüsslich ausgesponnene Konflikte. Handeln, nicht reden, lautet die monotone Dauerdevise, und die Handlungen sind dann ja auch danach : Blinder Aktionismus, fahriges Herumwerkeln an Symptomen, permanente Verschlimmbesserungen, und das alles nur, um nicht nachdenken und niederschreiben zu müssen. Das Kriegsziel polemischer Papierkriege sollte nicht friedfertiger Kompromisskonsens sein, um brutwarme Gemeinschaft Gleichgesinnter herzustellen, sondern im Gegenteil erst einmal geduldig alle verborgenen Widersprüche ans Licht zu bringen und harten Dissens herauszuarbeiten. Intellektuelle gelten allgemein geradezu als papierkriegslüsterne Einzelkämpfer.
Diese Kuli- oder Tastatur-Bellizisten haben den miesen Ruf von professionellen Meckerfritzen und Praxismuckern. Zumeist ist es pures Ressentiment, das die hohe Kunst intellektueller Papierkriege und schriftlicher Klopffechtereien abwerten muss, um das "gesunde Volksempfinden" des geisteskranken Menschenverstandes dagegen ins Feld führen zu können. Gedankenreiche Papierkriege lassen sich in die Länge ziehen, indem man in jedem erzielten Sozialkonsens den nur zugedeckten Konflikt aufspürt und zu Bewusstsein bringt. Kontrahenten und Kombattanten sollten sich endlich einmal endlos auf gedrucktem Papier austoben dürfen, statt sich feig in pragmatistische "Taten" zu flüchten, die fast immer nur kollektive Untaten sind statt wohlweislich innehaltende Untätigkeit.
Polemische Papierkriege zwischen Individuen sind kein leeres Glasperlenspiel l'art-pour-l'art, sondern gerade hierzulande richtiger und wichtiger als die übliche Bastelmanie und kollektive Werkelwut des "friedlichen" Konsensnonsens.
Warum sollte öffentlich-demokratischer Papierkrieg weiter verkürzt werden?
Dante Aligheri musste erst als politischer Tatmensch im mediceischen Florenz scheitern, um als Papierkrieger im Exil "Die Göttliche Komödie" schreiben zu können.
"Guarda e passa!" (Sieh hin und geh weiter!)
Der Terror-Puritaner John Milton musste erst als Cromwell-Republikaner scheitern, um als erblindeter "Independent" sein "Paradise Lost" schreiben zu können, wo Satan (Cromwell) interessanter ist als sein ewiger Gegenspieler.
Der Herzog Larochefoucauld musste erst als politischer Frondeur gegen den Versailler Absolutisten Ludwig IV. scheitern, um als Papierkrieger die unsterblichen 500 Aphorismen seiner "Maximen und Reflexionen" im Pariser Salon verfassen zu können.
Q. e. d.
„Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ (Victor Hugo)
Der Satz ist so pathetisch windbeutelhaft wie vieles, das dieser bis heute in Frankreich kanonisierte Autor geschrieben hat. Am mächtigsten ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist, aber ihre Zeit ist eben genau dann gekommen, wenn sie an die Macht gekommen ist : eine Tautologie, bombastisch leeres Schaumgebäck. Diese Kumpanei von Macht und Geist ist das Wesen jedes „Zeitgeistes“ (an dem aber auch gar nichts stimmt, ist er doch stets so zeitlos wie geistlos).
Für seine Zeitgenossen ist ihr (Hegelscher) Zeitgeist fast ungreifbar, stecken sie doch selbst bis zu den Ohren tief darin und sehen ihn selten von außen. Mit den Mitteln eines Zeitgeistes ist dieser Zeitgeist weder zu durchschauen noch in seiner Macht zu brechen. Dazu muss man erst aus dessen vorherrschenden Jargon heraustreten, der von den jeweiligen Medien gesprochen wird, die laut Adorno das Wesen der Gesellschaft ausmachen. (Der glatte Jargon unserer Zeit stammt im Wesentlichen von Journalisten, die tendenziell alles in ihren sprachlichen Einheitsbrei auflösen.)
Und wenn die Lektüre der großen „verstaubten Klassiker“ irgendeinen Sinn macht, dann den, ihren Leser aus der Tyrannei seines Zeitgeistes wenigstens hin und wieder zu befreien, wie Chesterton schrieb, und diesen Zeitgeist in seiner flexiblen Borniertheit von außen sehen zu lernen.
Auch unser Zeitgeist redet über alles, zerredet alles unter den Teppich, grabscht alles an mit seinen Fettfingern, weiß zu allem seinen Senf zu geben und verschweigt dadurch, was er alles totschweigen muss, um uneingeschränkt in seiner Beschränktheit zu herrschen. Kurz : Der dominierende Zeitgeist ist die jeweilige Ideologie der Epoche, ihr „notwendig falsches Bewusstsein und Selbstbewusstsein“ (Karl Marx).
Einige Stichworte unseres Zeitgeistes sind z. B. „Frieden und Freiheit“ (statt vormals law and order), (mittelständischer) Gender-Feminismus oder (ökopsychotischer) „Klimawandel“, auch (neoliberale) „Globalisierung“, „Digitalisierung“ und auch „Künstliche Intelligenz“. Und natürlich „Freiheit“ selbst, also heute unbelehrbarste Orientierungslosigkeit und wahllose Beliebigkeit, die sich von Trieben treiben lässt, eine Autokratie der faulsten Launen. Dieser Zeitgeist, der an der Macht ist, besteht aus den mächtigsten Ideen, die an der Zeit sind, und diese beinahe immer nachweislich grundfalschen „Ideen“ stammen nicht von Platon oder Kant, sondern von machtbewussten Ideologen und ehrgeizigen Stichwortgebern.
Aber, so wird man einwenden, was ist z. B. mit der Menschenwürde und den demokratischen Menschenrechten? Das wenigstens sind doch wohl keine bloßen Zeitideologien, oder? Nein, aber es sind nicht viel mehr als klangvolle Utopien, die nirgendwo anders zu Hause sind als in Utopia. Und die vielbeschworene Menschenwürde wird eben zumeist gar nicht angetastet, sondern gar nicht beachtet. Wo sie mal beachtet wird, wo die Menschenrechte mal in Kraft sind, handelt es sich fast stets um Ausnahmen von der Faustregel, dass sie schöne Utopien bleiben, an denen wir uns berauschen wie Victor Hugo an der nachklassischen Romantik, der „Kommunikation mit dem Unendlichen“.
Und was ist mit dem Autor des Bonmots selber? Der Mann hatte die französische Romantik des 19. Jahrhunderts beherrscht. Sartre bewunderte seine demonstrative Dauerhaltung. (Sah Sartre sich als ein Hugo des 20. Jahrhunderts, während er in Wirklichkeit eher ein engagierter Happeningkünstler war, der zeitlebens den Flaubert in sich vergebens bekämpfte, also den Sieg des bloß Imaginären über die Realität, der künstlerischen Einbildungskraft über die politische Urteilskraft?)
Hugo war vom romantischen Royalisten, der Chateaubriand kopierte, eines Tages zum liberalen Republikaner konvertiert und blieb doch – wie Sartre – zeitlebens ein unheilbarer Sozialromantiker. Der einstige Bewunderer des Bürgerkönigs Louis Napoléon verbannte sich nach dessen diktatorischem Staatsstreich freiwillig auf die englische Insel Jersey, von wo er nach achtzehn Jahren im Triumphzug wieder nach Paris zurückkehrte in die Dritte Republik – fast ein Remake der hochwirksamen Geste Voltaires.
Seine heißgeliebte Tochter ertrank in der Seine drei Tage nach ihrer Hochzeit. Davon erholte sich Vater Hugo niemals, machte aus seiner Not aber eine fragwürdige Tugend, denn seine Dichtung erging sich von da an in einer Pose des ästhetischen Sehertums, das kumpelhaft mit den Geistern der großen Toten aller Traditionen verkehrte, in einer opulenten Literatenmystik ohne Gott, ein rhetorischer Schamane, der sich mythische Kompetenz nur andichtete. Die stille Romantik eines Novalis oder Eichendorff wurde bei ihm zum Drogenrausch enthemmter Sprachmagie, die betörende Stimmungsvaleurs und atmosphärische Nuancen mixte, ein hochartifizielles Gebräu aus Sprachartistik und Pseudoreligion, das viele Bewunderer, Verehrer und Nachahmer fand. Hugo verkörperte sehr gut das, was Egon Friedell in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ zum Wesen der französischen Kultur komprimierte, „Pedanterie der Narrheit“, wo der cartesianische Rationalismus die bloße Rolle der deutschen Romantik spielt (wie das Barockzeitalter ein Hyperrationalismus gewesen war, der den Irrationalismus nur mimte).
Das Geistreiche, das sich selbst ad absurdum führt, wird sein eigenes Tollhaus. Hugo trieb die rationalistische Clarté bis zur obskurantistischen Konsequenz des Spiritismus, der im Geisterreich schwelgt und herumspukt, und das alles mit großer republikanischer Suada, mit römischem Faltenwurf der hohenpriesterlichen Dichtertoga.
„Nichts auf der Welt ist so mächtig
wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
Kriege werden geführt zwischen selbständigen Staaten mit ihren eventuellen Verbündeten. (Ein zwischenstaatlich anerkannter Staat ist ein institutionell auf Dauer gestellter Menschenverbund, der nicht nur feste Zwecke erfüllen muss, sondern vor allem beliebig wählbare Zwecke erfüllen kann, also zweckoffenes Gesamtpotential bleibt.)