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NEUE ESSAYS UND APHORISMEN ZUR VORDRINGLICHEN KULTUR UND AUFDRINGLICHEN GESELLSCHAFT ... I N H A L T Die Zielgruppe des Schützen sind seine Opfer Vorbild ist schon, wer eins hat, egal welches Wurde jedes Etikett schon Schwindel? Leben kommt von der Bio-Vitalität Friedensrosen mit Kriegsdornen Die ganze Rosenchose in heimischer Konservendose Staunschreie nach Nonsensoren Naturphilosophie nach Hegel Anthropologie der grünen Natur oder Physik der menschlichen Natur? Schönheit in Kunst und Natur Ist jeder sich selbst der Nächste? Hat auch deine Laura eine Aura? Bin ich noch bei Troste? Ist Wildnis unordentlich oder unverdorben? Interessen sind oft uninteressant Drabble : Ent-fernt nicht die Entfernungen! Spieglein, Spieglein an der Wand (G E M)E I N S A M POTPOURRI der Nadelstichproben Humoristische Klassiker Demut, das stärkste Mikroskop der Welt Avanti, Avanti! Warme Gemeinschaft (Anti-Hörspiel) Sprüche, nichts als Sprüche (Schauspiel) Fritz H. Lotterfuchs : ´Wer fällt, gefällt´ (Romanrezension von Hans J. Eisel) Kampf- und Kinderspiele Humor und Komik, Witz und Lächerliches Anhang und Weiterführendes vom Autor
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Seitenzahl: 121
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Für Elke in Liebe und Dankbarkeit
Die Zielgruppe des Schützen sind seine Opfer
Vorbild ist schon, wer eins hat, egal welches
Wurde jedes Etikett schon Schwindel?
Leben kommt von der Bio-Vitalität
Friedensrosen mit Kriegsdornen
Die ganze Rosenchose in heimischer Konservendose
Staunschreie nach Nonsensoren
Naturphilosophie nach Hegel
Anthropologie der
grünen Natur
oder Physik der
menschlichen Natur?
Schönheit in Kunst und Natur
Ist jeder sich selbst der Nächste?
Hat auch deine Laura eine Aura?
Bin ich noch bei Troste?
Ist Wildnis unordentlich oder unverdorben?
Interessen sind oft uninteressant
Drabble
: Ent-fernt nicht die Entfernungen!
Spieglein, Spieglein an der Wand
(
GEM)EINSAM
POTPOURRI der Nadelstichproben
Humoristische Klassiker
Demut, das stärkste Mikroskop der Welt
Avanti, Avanti!
Warme Gemeinschaft (Anti-Hörspiel)
Sprüche, nichts als Sprüche (Schauspiel)
Fritz H. Lotterfuchs : “Wer fällt, gefällt“ (Romanrezension von Hans J. Eisel)
Kampf- und Kinderspiele
Humor und Komik, Witz und Lächerliches
Anhang und Weiterführendes vom Autor
Gesetzt, ich wollte eine Zeitschrift ins Leben rufen, die es noch nicht gibt, die schmerzlich vermisst werden könnte von einer lukrativ umfangreichen "Zielgruppe" von prospektiven Abonnenten − sagen wir mal der immer zahlreicheren und langlebigeren Hochbetagten mit vielen Vorerkrankungen. Plus fachärztliche Dauerbeiträge und Psychofritzen. Testtitel :
Ur-Opa & Granny −Zeitschrift für das Leben ab 80
(Ich selbst als altgierig naseweiser Senior-Editor?)
Zielführende Themen z.B.:
"Meine vielen Tabletten und ich".
"Warum besuchen uns unsere Urenkel nicht mehr?"
"Der Zahnersatz ist dir ins Klo gefallen : Was nun?"
"Pampern im Alter : Ein Tabuthema".
Oder : "Lustgreispotenz bei Inkontinenz".
Vielleicht noch etwas gewagter:
"Demenz als Chance!"
Wer liest so etwas? Zahlungskräftige Ur-Kundschaft mit fetten Pensionen? Ratloses Pflegepersonal in Proll-Altersheimen und "Seniorenresidenzen"? Die leidgeprüften jungen Angehörigen? Marktforscher ausgeschwärmt: Feldforschung, randomisierte Doppelblindstudien mit Tiefeninterviews, Gratis-Nullnummer, Testausgabe, das ganze Problemspektrum!
Geht solches Periodikum mit einer permanenten Beilage: "Freund Hein − Ende ohne Schrecken"? Schreckt so etwas eher ab, oder gibt es dafür einen ungedeckten Lesegeheimbedarf?
Zielgruppen. Konzentrieren wir uns bei dem unübersichtlichen Thema an dieser Stelle auf ein naheliegendes wie signifikantes Beispiel. Autoren haben ihre noch nicht sehr spezielle Zielgruppe in ihren potentiellen Käufern oder in Verlagslektoren und Kritikern (die ihr Schreiben nie aus den Augen verliert). Das etwas engere angepeilte „Marktsegment“ eines Krimiautors besteht so vor allem aus habituellen Krimilesern, einer Stammklientel, die erfahrungsgemäß auf bestimmte Werbesignale mit Reiz-Reaktionsautomatismen so verlässlich einschnappt. Diese werden angesprochen an speziell dafür vorgesehenen Marktorten, wo sie voraussichtlich nach ihrem spezialisierten Lesefutter suchen könnten. Leserzielgruppen sind also Begriffe der professionellen Marktforschung von kommerziellen Verlagshäusern, die ihren Absatz planen und ihre Autoren-Ressourcen verwalten müssen, um auch nur überleben zu können durch ständige inflationäre Qualitätsselbstunterbietung.
Als das Theaterstück „En attendant Godot“ („Warten auf Godot“), nachdem es lange Zeit vergeblich eine geeignete Bühne gesucht hatte, dann schließlich 1953 in Paris beim frenetisch applaudierenden Premierenpublikum eine begeisterte Aufnahme fand, soll der Autor Samuel Beckett ehrlich bestürzt und entgeistert sich gefragt haben − und das ohne jede Koketterie : „Was habe ich falsch gemacht?!“ Hatte seine Kunst sich etwa in der „Zielgruppe“ geirrt?
Autoren, die gezielt für bestimmte marktsegmentierte Zielgruppen schreiben, haben sich freiwillig zu Schreibknechten („Negern“) von Druckmedien und Plat(t)formen gemacht, also machen lassen. Sie haben sich damit als seriöse Schriftsteller definitiv selber aufgegeben und sind handwerklich oft sehr geschickte Lesestofflieferanten und Suchtmitteldealer geworden, die eingespielten kunstgewerblichen Routinebedarf decken, um höhere Auflagen und Honorarmargen zu erzielen, welche wiederum auch den Verlag animieren, immer mehr in ihre Dukatenesel zu investieren. Da lohnen sich Pflichtlesereisen und opulente Messeauftritte der Werbe- und Gewerbestars.
Wenn ein Autor aber schon unbedingt eine bestimmte Zielgruppe im Auge haben möchte, um mehr daran zu verdienen und seinen Ruhm zu mehren, sollte er ja keine möglichst breite Zielgruppe seiner Marktattacken wählen, sondern eine denkbar kleine − je anspruchsvoller, desto überschaubarer. Auch ohne ausgefeilte Marketingstrategien weiß jeder vorwissenschaftlich intuitiv, dass die Zielgruppe eines publizistischen Kassenschlagers und „Bestsellers“ ein breitgestreutes Massenpublikum ist und dass die Zielgruppe eines rezensionswürdigen Meisterwerks ein schmales Nischenpublikum von Connaisseuren und Liebhabern ist, die ja auch versorgt sein wollen. Ein lukrativer Kunstgewerbekitsch findet Massenabnehmer, Produktion von niveauvoller Qualitätskunst ist entweder ein Hungerberuf oder keine Kunst. Literatur ist brotlos oder nur Entertainerdroge.
An dieser Stelle mag einmal mehr mein Wort am Platze sein : Erfolgloses kann, Erfolgreiches muss Mist sein − auch und gerade in Kunst und Kultur. Ein übersehener Autor könnte ein verkanntes Genie sein, ein gutgehender aber ist es mit nachtwandlerischer Sicherheit nicht, sondern eher ein ranschmeißerischer Kitschier, eine makulierwürdige Eintagsfliege, die für ein Jahrhundertmirakel ausposaunt wird von geschäftstüchtigen Promotoren, Investoren, Influencers und zahlungskräftig zahlreichen Abnehmerscharen.
Max Horkheimer warf dem Schriftsteller Thomas Mann einmal vor, für Geld zu schreiben, also den Geist zu verhökern statt zu verschwenden − als wohlhabender Ehemann einer reichen Gattin, der es eigentlich gar nicht nötig hatte. Aber der kritikallergische Mann (miss)brauchte seine hohen Einnahmen zu Prestigesymbolen; sie waren ihm eher Arzneien gegen Statusdepressionen und artistische Potenzzweifel als gegen Hunger und Sozialabstieg.
Ein unbestechlicher Autor ist kein käuflicher, sondern ein schwerverkäuflicher Autor, aber natürlich nicht jeder ungelesene Stümper ein böswillig unterdrücktes Naturtalent. Im Idealfall ist der Autor kraft Autorität seiner Texte nichts als ein geistiges Unikum, das ein erratisch unverständliches und enigmatisches Unikat in den Ring wirft und sich achtlos dann an seine nächste Arbeit macht, ohne auf Beifall zu rechnen oder auf Zieltruppen samt Fan-Kommentaren zu schielen.
Man sollte entweder intransigent gegen seine Zeit schreiben oder seine Feder wegwerfen und etwas einträglich Nützlicheres tun. Das und nur das ist die einzig mit intaktkünstlerischem Gewissen noch halbwegs vereinbare intellektuelle Haltung der Kunst und Kultur heute gegenüber. Alles andere ist widerwärtiger Schmu(s) oder bloßer Bierausschank. Wozu die gesamte heutige „Popkultur“ zählt, dürfte danach keiner gesonderten Untersuchung mehr bedürfen. Rare Autoren wie Reinhard Jirgl, Jürgen von der Wense, Martin Kessel oder Henryk Elzenberg z.B. bleiben hingegen wohltuend im Schatten des freien Marktes und etablierten Kulturbetriebs. Authentische Autoren, die diesen Namen noch verdienen, sind heute vielleicht Selbstverleger, die ihre Werke möglichst so gut wie gratis anbieten. Sie leben für ihre Kunst und nicht von ihr, im Gegensatz zu geilen und feilen Kunstgewerbetreibenden. Und sie schielen und schießen auf überhaupt keine Zielscheibengruppe, sondern schreiben für einen Einzelnen, der selber sucht, also für niemanden, mithin ins Blaue das Blaue vom Himmel herunter. Sie rennen keinem einzigen Leser und Lobredner hinterher, sie schmücken sich nicht wie Huren, die nach Freiern fischen. Sie bieten sich nicht feil, sondern verausgaben sich kostenlos und lassen sich finden in ihren Verstecken.
Die Werkzeuge und Online-Schaufenster für „Selfpublishing“ stehen jedem geneigten Autor, der nicht von vornherein nur für die eigene Schublade arbeiten will, heutzutage preiswert oder kostenlos zur Verfügung. Die Zielgruppe von Popkultur ist eine Zielmasse und sollte dafür hoch blechen; die „Zielgruppe“ für Hochkultur besteht nur aus isolierten Individuen, die beschenkt werden sollten. Aber keine Bange, selbst geschenkt wird Hochkunst nicht beachtet! Hochkultur ist unterhaltsamer als alles, was "nur unterhalten" will, und hat keine Zielgruppe, nicht einmal mehr ein bildungsbürgerliches. Zielgruppen sind heute mediale Zielscheiben für geistigen Blattschuss.
Jedermann zählt zur Zielgruppe der Gesellschaft, die seine Zielscheibe ist. Die Zielgruppe des ehrlichen Autors bestehe aus allen Lesern, gegen die es anzuschreiben gilt, denn der ehrliche Leser will gegen sich selbst lesen und sich zutiefst in Frage stellen lassen. Will sagen, der wahre Autor schreibt und liest permanent gegen sich selbst, also gegen alles, wozu der Zeitgeist der Gesellschaft ihn gemacht hat. Spricht daraus wirklich nur das Ressentiment eines Erfolglosen, der aus der Not eine Tugend macht?
Bildungshunger und Wissensdurst vertreiben nicht Machthunger und Freiheitsdurst.
Kapitalisten brauchen ganze Ernten als neues Saatgut, Sozialisten verbrauchen jedes Saatgut gleich als Ernte.
Hungern im Hals ist andernfalls
wie Lungern auf Balz mit Schmalz.
Albert Schweitzer, Mutter Teresa, Gandhi, Madonna, Maradona, Max Schmeling, Greta Garbo oder Thunberg, oder doch lieber Bach, Rembrandt, Aristoteles, Shakespeare und Einstein?
Von Albert Einstein habe ich relativ wenig. Im Alter von 15 Jahren war er mein Vorbild gewesen. Erreicht habe ich nur seine Abneigung gegen Friseure (und gegen absolute Relativierung von allem).
Mit 20 Jahren war Jean-Paul Sartre mein erkorenes Vorbild gewesen, doch er hat mich nur „verdammt zur Freiheit“ von seiner Freiheitsphilosophie, und ich bin eher zu einem "Nichts" vor seinem "Sein" geworden. Zu seinem Lehrer Heidegger schwang ich mich nur soweit auf, dass ich "Feldwege" lieber gehe als "Holzwege" zum "Seyn des Seienden".
Mit 25 Jahren erhob ich den Sozialphilosophen Theodor W. Adorno zu meinem leuchtenden Vorbild und schrieb dann doch nur „Maxima Amor'alia“, und es blieb zwischen uns der „kleine Unterschied“, den er zeitlebens verherrlicht hatte, ein Riesenabgrund.
Mit 30 Jahren stürzte ich mein Idol G. W. Fr. Hegel vom Heiligenpodest, da er mich den dialektisch "organiserten Widerspruchsgeist" auch gegens große Ganze gelehrt hatte, das er als Hort der Wahrheit verteidigte gegen alle unwahr verabsolutierten Teilwahrheiten.
Mit schon 40 Jahren inthronisierte ich den Pater-Brown-Erfinder Gilbert Chesterton und schrieb in seinem Windschatten erste schlechte Aphorismen. -- Mit 50 Jahren … und so weiter.
Irgendwann beschloss ich entnervt, mein eigenes Vorbild zu werden, erklärte mich zum Originalgenie und kopierte mich fortan ungeniert, da niemand sonst Lust zeigte, mir nachzueifern. Dann war der ehrgeizig Gelehrige eines Tages alle Weltbilder und falschen Vorbilder leid und versuchte es mit Hochkulturbildung jenseits der bloßen Ein- und Ausbildung und Herzensbildung. Das brachte den begriffsstutzigen Lehrling weg von allen bunten Glotzbildern der Einbildungskraft und erschloss ihm die abstrakten Begriffe der Urteilskraft. Das persönliche Vorbild einer Person wurde ersetzt durch Platons sachliches Urbild aller Dinge. Der Geselle wurde wie alles auf der Welt zum unvollkommenen Abklatsch von himmlischen Meisteridealen, ein minderes Ebenbild des Allerhöchsten. „Ihr sollt heilig sein, wie ich es bin.“ Das war nun noch unerreichbarer als mein früher Einstein und entmutigte vollends.
Immerhin kann das imperfekte Abbild eines perfekten Vorbilds zum glänzenden Vorbild noch schlechterer Kopien werden, und alles wiederholt sich dann auf niedrigerer Ebene. Erst dichteten meine Kinder mir Wunder an Vollkommenheit an, einige Jahre später dann schon Kainsmale an Verkommenheit, um mich los zu werden als gutes wie als schlechtes Beispiel. Der Sturz vom Anbetungswürdigen zum krass Verbesserungsbedürftigen war hart. Erst war ich übermächtiges Schicksal für sie, dann nur noch übermäßiges Scheusal. In jedem Abgott lauert ein Teufel in Menschengestalt und das nicht nur, weil er unerreichbar hoch und fern bleibt wie eine Fata Morgana, die vor dem Vorwärtsdrängenden ständig zurückweicht und zu fliehen scheint.
Am besten überwindet man einen erdrückenden Vorbildcharakter, indem man ihn übertrifft – oder kurzerhand entwertet. Wer nicht über mir ist und mir über, der ist unter mir, entweder weil mein Streben ihn hinter sich gelassen hat oder ihn von vornherein keiner Konkurrenzanstrengung für wert hält.
Leute, die Vorbilder brauchen, sind nicht meine Vorbilder. Am Ende erreichen sie nur, etwas oder jemanden anzuhimmeln statt zu erreichen und schließlich enttäuscht mit Füßen darauf herumzutrampeln, um ihr überschätztes "Selbstwertgefühl" zu retten. In den Staub mit dem, vor dem man im Staub lag!? Kann es ein leuchtendes Vorbild sein, alle leuchtenden Vorbilder zu stürzen und als Schreckgespenster triumphierend zu „entlarven“? Wer Vorbilder übertrifft und damit überwindet, wird vielleicht selber Vorbild für andere Bilderstürmer oder Maschinenstürmer.
Ein Vorbild einzuholen heißt, es zu überholen und sich zum Vorbild seines Vorbilds aufzuschwingen – wozu hat man eine Einbildungskraft und blühende Phantasie oder auch nur Fantasy? Das Image ist ein Produkt eigener oder fremder Imagination.
Statt ewig mit hängender Zunge hinter der am Kopf befestigten Mohrrübe stumpfsinnig herzurennen und fremde Karren aus dem Dreck zu ziehen oder vor die Wand zu fahren, kann der Esel dem Bauern einen Vogel zeigen und unverführbar störrisch stehen bleiben. Solche blitzschnellen Abwertungsorgien und magischen Umdeutungskünste vor angesonnenen Zielmarken sind bequemer, aber unrühmlicher als die Sisyphusarbeit, moralische, sportliche und kulturelle Höchstmesslatten zu berühren und sich im Glanz eines fast allgemeinen Beifalls zu sonnen. ̶ Bin ich schon im Kopf, was ich noch nicht bin in der Tat, und bin ich noch, was ich schon nicht mehr bin, wenn ich ehrlich mich mühe : ein Stümper?
Erst (g)eifern wir – meist unbewusst – unseren Elternfiguren nach, teilen ihre Ziele und erstreben die Erfolge dieser Mustermodelle und ihr bestauntes Ansehen. Erst später suchen wir die Anerkennung unserer gleichaltrig gleichgeschlechtlichen Peergroups und deren Alphatiere mehr als das Lob und den „Glanz im Auge der Mutter“ oder anderer primärer Bezugspersonen, um noch etwas später beides nicht mehr nötig zu haben und fehlerbehaftete Personen durch makellose Ideale zu ersetzen und noch später durch platonische Ideen, die objektiven Wesensbegriffe aller Dinge jenseits unser irrigen Doxai. Alfred North Whitehead nannte die abendländische Philosophie eine „Reihe von Fußnoten zu Platon“. Gefühle brauchen griffig konkrete Vorbilder, aber Gedanken und Taten wie Untaten brauchen eher abstrakte Allgemeinbegriffe.
Doch vorbildliches Verhalten von Personen imponiert uns zeitlebens mehr als die persönlich unverkörperten Ideale, und Promis, Spitzensportler, Popsänger und Filmstars rangieren in der sozialen Ruhmskala weit vor singulären Gelehrten und Geistesgrößen, die eher als verstiegene Zerrbilder gelten, Vexierbilder statt Vorbilder.
Bloßes Nachmachen (von vorgemachtem Realisieren von Vorbildern) gewinnt selber Vorbildcharakter. Gute Kopie wird vorbildlich. Nachahmen sei besser als erziehen, heißt es. Wer Mathematik lernen will, ahme gute Mathematiker nach. Wer origineller Künstler werden will, kopiere andere originelle Künstler, sonst wird er nur ein kauziges Original. Auerbach verteidigte in der Kunst die körpernah leibhaftige „Mimesis“ und Hegel das „sinnliche Scheinen der Idee im Stoff“ als ästhetisches Ideal. Ideen der Vollkommenheit sind nach Kant Leistungen der Vernunft, laut seinen Nachfolgern Maimon und Fichte aber nur Normleistungen der privaten Einbildungskraft.
Mein Hauptkonkurrent ist mein eigenes Zielprojekt, aber ist mein Spiegelbild schon mein Vorbild? Wer sich der Sonne entgegen(st)reckt, will nicht die Sonne werden. Meine eigenen Vorbilder sind gerade die verborgenen Kehrseiten der Dinge, aber das eigenes „Ich-Ideal“ ist laut Freud auch ein gewissenhaftes „Über-Ich“, dessen Autorität vernünftig oder angemaßt sein kann. Vorbilder beflügeln, und Autoritäten lähmen, heißt es, aber Vorbilder sind selber autoritär und haben (ehr)furchtgebietende Autorität (wie die der großen Autoren).
Erreichen wir selber unsere Vorbilder, oder machen Vorbilder uns nur zu ihren Werkzeugen, um sich durch unsere Anstrengungen hindurch zu realisieren? Der Beste wird Vorbild, der Schlechte aber Kumpel. Das Vorbild, ins eigene „Über-Ich“ (Freud) implantiert, verdammt uns zur Minderwertigkeit gegenüber unserem eigenen „Ich-Ideal“. Das demütigt und kann den Nachahmungseifer ziemlich entmutigen, wenn die Ziellatte zu hoch (oder zu niedrig) gehängt ist. Ein Menschenkind muss sich schon (st)recken, aber die Türklinke durch Hochspringen auch erreichen können, wenn das Ziel nicht erhebend und hemmend zugleich wirken soll. Recke dich, strecke dich oder verstecke dich und verrecke! Muss das leuchtende Vorbild aber sozial anerkannt sein, wenn es nicht zum abschreckenden Beispiel werden soll?