Satirische Essays zum Zeitgeist heute - Rolf Friedrich Schuett - E-Book

Satirische Essays zum Zeitgeist heute E-Book

Rolf Friedrich Schuett

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Essayistische Satiren und aphoristische Zwergsatiren auf den gesellschaftlichen und kulturellen Zeitgeist von heute I N H A L T Von Hekuba zu Heureka Die Welt ist ein Narrenspital Ganz besondere oder absonderliche Sonderlinge Yoga plus Joghurt : Auch ich meditierte Dialektik der Dialekte Hasta la vista, Baby! Kleine Philosophie berühmter Film-Zitate Große Liebespaare der Geschichte Kognitive Dissonanz und produktive Resignation Humorist Jean Paul (Richter) Humor ist, wenn man trotzdem wiehert Ausgrenzen oder einsperren? Kunstgemurmel Die Politik des Zeitgeistes im Zeitgeist der Politiker Stadt der Zukunft´ oder Zukunft der Stadt? Der erste ´Neutöner´ Weltberühmtes Bauwerk zur Erbauung Umworbene Rekrutenanwerber Biedermeier als verschlafene Idylle oder linke Revolte zur rechten Zeit? Wissenschaft als Pop-Lit? Literatur und Philosophie im Schnellgericht: Amusische Literaturkritik aus Schilda Sprüche über Sprücheklopfer Rezensierte Philosophen Denkbare Grenzen großer Denker Der Gott der Philosophen´ (W. Weischedel) Komisches gegen tragisches Denken Leichte bis schwierige Werke großer Denker Wert der Philosophiegeschichte heute Comeback? Geh weg! Entwöhnbare Gewohnheitstiere? Kurieren und / oder Kassieren? Leibliche und geistige Ekelnahrung Geht KI nun o.k. oder k.o? Sponge it over! Vergeben und Vergessen Herausforderndes Gehabe Der Mensch als Handelsklasse 1 Marcus Steinweg : ´Sprachlöcher´ (Berlin 2023) Inklusion Sport ist Mord und Selbstmord im Akkord Zwergsatirische Mikro-Essays zum Zeitgeist von heute

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FÜR MEINE FAMILIE

INHALT

Von Hekuba zu Heureka

Die Welt ist ein Narrenspital

Ganz besondere oder nur absonderliche Sonderlinge

Yoga plus Joghurt : Auch ich meditierte

Dialektik der Dialekte

Hasta la vista, Baby!

Kleine Philosophie berühmter Film-Zitate

Große Liebespaare der Geschichte

Kognitive Dissonanz und produktive Resignation

Humorist Jean Paul (Richter)

Humor ist, wenn man trotzdem wiehert

Ausgrenzen oder einsperren?

Kunstgemurmel …

Die Politik des Zeitgeistes im Zeitgeist der Politiker

„Stadt der Zukunft“ oder Zukunft der Stadt?

Der erste „Neutöner“

Weltberühmtes Bauwerk zur Erbauung

Umworbene Rekrutenanwerber

Biedermeier als verschlafene Idylle oder linke Revolte zur rechten Zeit?

Wissenschaft als Pop-Lit?

Literatur und Philosophie im Schnellgericht:

Amusische Literaturkritik aus Schilda

Sprüche über Sprücheklopfer

Rezensierte Philosophen

Denkbare Grenzen großer Denker

„Der Gott der Philosophen“

(W. Weischedel)

Komisches gegen tragisches Denken

Leichte bis schwierige Werke großer Denker

Comeback? Geh weg!

Entwöhnbare Gewohnheitstiere?

Kurieren und / oder Kassieren?

Leibliche und geistige Ekelnahrung

Geht KI nun o.k. oder k.o?

Sponge it over! Vergeben und Vergessen

Herausforderndes Gehabe

Der Mensch als Handelsklasse 1

Marcus Steinweg : „Sprachlöcher“ (Berlin 2023)

Wert der Philosophiegeschichte heute

Inklusion

Sport ist Mord und Selbstmord im Akkord

Zwergsatirische Mikro-Essays zum Zeitgeist von heute

Von Hekuba zu Heureka

Hihi. Ehe der altersweise Uhu „Aha!“ sagt, ruft er „Oho!“

Es lassen sich zwei Arten von Aha-Erlebnissen unterscheiden, je nachdem, ob der Geistesblitz sich einstellt bei einem plötzlichen Verständnis entweder dessen, was der Menschheit längst bekannt ist und nur uns noch nicht, oder dessen, was mutmaßlich bisher noch kein einziger Mensch auf Erden so gesehen hat, bevor wir darauf stießen.

1.

Nehmen wir an, ich wolle mir die Grundzüge der Quantentheorie klarmachen und besorge mir ein einschlägiges Werk, um mich als interessierter Laie darin zu vertiefen. Die etwas schwierige Materie widersteht mir, und kein Zugang will sich meinem Kopf öffnen. Ich zweifle, ob ich das passende Buch habe, das mir allerdings ausdrücklich empfohlen war, versuche es immer wieder, von verschiedenen Seiten aus, doch vergeblich. Die winzigen Quanten, so geringfügig sie sind, bleiben spanische bis böhmische Dörfer für mich, ich stehe davor wie die dumme Kuh vorm neuen Tor, verstehe nur Bahnhof und fühle meinen Kopf wie vernagelt und blockiert von hartnäckigem Stupor.

Eine graue Gewitterwolke ballt sich langsam zusammen und brütet finster vor sich hin, die Luft wird drückend und stickig, die elektrisierende Spannung steigt – ehe ein erster schwacher Geistesblitz durch das Gewölk donnert und die hohen Gegensätze sich mit einem Schlag entladen. Als ich das schlaue Buch schon resigniert bis wütend für immer zuschlagen will, durchfährt es mich wie eine urplötzliche Erleuchtung. Was zuvor zusammenhanglos und stumm verstreut umherlag, fügt sich wie von Geisterhand bewegt mit einem Ruck zusammen zu einem sinnvollen Muster, wie hundert Puzzleteile von selbst zu einem klaren Bild. Wer oder was mir nun auf die Sprünge geholfen hat oder nicht, mit oder ohne weitere Hilfestellung, der Groschen ist doch noch gefallen. Alles stimmt mit einem Mal, und von jetzt an geht das schrittweise Verstehen fast mühelos von selber, ich sehe die Welt der Quanten nicht mehr in einem ewigen Nebel. Kurzum : Ab jetzt werde ich eine Viertelstunde lang mitreden können, wo von Quantencomputern der Zukunft schwadroniert wird.

2.

Aber was, wenn es zu Aufgaben und Themen überhaupt noch kein Lehrbuch gibt, weder fachlich noch populärwissenschaftlich, und keine praktische oder didaktische Anleitung? Wie, wenn ich nicht bekannte Ideen nur verstehen will, sondern neue Ideen suche, die es noch gar nicht gibt, aber schmerzlich vermisste? So geht es mir seit langem und beständig wieder. Um in einer Spezialwissenschaft ein Neuland zu betreten, braucht jemand jahrelanges Vorstudium, um die Front der Forschung zu erreichen, aber in der Philosophie z. B., die ja kein besonderes Sach- und Fachgebiet hat, sondern auf bestimmte Weisen begrifflich über alles und jedes spricht wie auch über deine (Ein)Stellung im Ganzen der Welt, ist in zwei Jahrtausenden schon alles gesagt und – zugleich doch so viel wie noch gar nichts.

Die akademischen Universitätsphilosophen gehen seit langem davon aus, dass alle denkbaren Denkmethoden erprobt und alle möglichen Grübelthemen durchdekliniert sind, dass es nichts Neues unter der Sonne mehr für sie gibt, als mit den archivierten Traditionsmotiven und katalogisierten Versatzstücken nur noch postmodern zu spielen, sie zu immer neuen Mustern zu kombinieren, zu montieren und auch munter zu collagieren. Es erstaunt, mit welch bescheidenen Begriffsvarianten solche gutdotierten Denkbeamten sich ein sorgenfrei hochgeachtetes Hochschulleben erwirtschaften können.

Heraus kommen dickleibigste Werke mit denkbar wenigen breitgewalzten Ideechen, die von niemandem gelesen werden, weder von Fachkollegen noch von interessierten Bildungsbürgern wie früher eine Neuerscheinung etwa von Jaspers, Sartre oder Heidegger. Seit die "Analytische Philosophie" der Angelsachsen die weltweite Philosophenszene beherrscht mit ihren kleinteiligen sprachtheoretischen oder spezialistischen Fragestellungen, ist der nachdenkliche Durchschnittsbürger geistig unterversorgt, allein gelassen und sucht Abhilfe bei dubiosen Philosophie-Cafés, umweltanschaulichen Workshops, seicht verquasselten Internet-Talkshows etc.

Uni-Philosophie besteht weitgehend nur noch aus gutgemeinten humanistischen Selbstverständlichkeiten und hausbacken biederen Banalitäten in immer anspruchsvolleren Imponierterminologien, um ihre nur sich umkreisende Unfruchtbarkeit zu verschleiern. Aber Philosophie ist eine Kunst, die sie nicht versteht, und keine Wissenschaft, die sie gern sein möchte.

Eine Metaphysik in Metaphern, die eine einzige neue Idee nicht zu zehn Bänden auswalzt, sondern zehn brandneue Ideen auf einer einigen Buchseite verewigt, wird disqualifiziert als bloß windig subjektivistischer Geistesblitz, der strengen philosophischen Gehalt in literarischer Gestalt präsentiert und deshalb (trotz linguistic turn) von seriösen Fachleuten mit Misstrauen betrachtet und nicht anerkannt wird, obwohl es in der Geistesgeschichte eine bedeutende „europäische Moralistik“ von Geistesblitzen und Heureka-Bonmots gibt, welche die „Mores“, die Sitten und Gebräuche ganzer Epochen unbefangen und weitgehend unvoreingenommen untersucht haben.

Wer aber quarkbreite Ausdeutungen braucht, weil ihm spielerische Andeutungen nicht genügen, dem ist ohnehin nicht zu helfen, weil er gar nicht genug Lebenszeit hat, ausreichend viele Felder zu beackern. Ein Philosoph muss zu fast allen Gegenständen originell Erhellendes sagen können, nicht nur wie der Wissenschaftler innovativ zu seinem einzigen, aber da die weite Welt in kein enges geistiges Bezugssystem passt, muss er möglichst viele uns übervertraute Objekte von einem überraschenden Blickwinkel aus zeigen können, um seine überdotierte Existenz zu rechtfertigen. Die Zeitgenossen wollen ja nicht nur einzelwissenschaftlich aufgeklärt, sondern auch existenziell erhellt werden im Ganzen der Welt – und darüber hinaus.

Aphorismen nun sind im Idealfall konzentrierte Geistesblitze pur, ohne weitere Verdünnung, unverwässerte Ideen-Extrakte und geistreichere Destillate, entweder bekannte oder noch unerhörte Gedanken in sprachlich ungewohnten Gestalten. Was kurz und bündig auf den springenden Punkt gebracht ist in kunstvoll reizender bis aufreizender Sprachform, Schlag auf Schlag im Trommelfeuer von Heureka-Rufen, löst viel leichter die ersehnten punktuellen Aha-Momente aus als das pedantisch geregelte argumentative Für und Wider im breitgetretenen Quark voluminöser Abhandlungen, die niemals zu Potte kommen, bevor der Leser eingeschlafen ist.

Verblüffende Querverbindungen zwischen einander entferntesten Standpunkten, ungewohnte Sichtweisen auf schon sattsam Bekanntes, geschliffene Angriffe auf abgeschliffenste Begriffe, oft vieldeutig schillernd statt unrealistisch eindeutig, tendenziell prägnant und elegant, amüsant und frappant: Freche Kurzschlüsse statt nie endende rational(isierend)e Trugschlussketten kürzen gern die lange Leitung des Hörers durch negative Dialektik statt positiv(istisch)e Dialoge.

Das Problem ist nur, wie kann ein Konsument "Aha!" und "Heureka!" rufen, wenn er den Geistesblitz nicht kapiert oder nicht (wenigstens widerwillig) anerkennen und begrüßen kann.

Geistreiche Schmetterlinge ohne Hufeisen an den Flügeln stieben davon in die Lüfte, und die siebenhundert Katheder-Weisen sehen ihnen nach voller Staunen und Stupor, ganz ohne Heurek-Aha.

Überfällig in der ehrwürdigen philosophia perennis wäre längst ein aphoristic (re)turn, um frische Geistesblitze in uralte Geistessysteme zu schleudern und sie in neuem Licht zu zeigen. Nietzsche und Adorno hatten erst den Anfang gemacht und dieses schöpferische Paradigma nicht etwa schon selber erschöpft. Auch Wittgenstein überrumpelte alle vom Fach mit nichts als (frühromantischen?) Fragmenten in endlosen Kladden und Schmierheften in der Nachfolge von Novalis und Friedrich Schlegel. Wenn ein Berufsphilosoph zu allen relevanten Gebieten sich komisch gnomisch äußert, wird seine Welt-Enzyklopädie in the long run ganz von selbst und zwanglos zu einem unmethodischen System von unsystematischen Gedankenexperimenten.

Eine Philosophie der Zukunft sollte sich nicht ganz in einen systematisch ausgesponnenen Grunddualismus (wie Himmel und Erde) einspinnen, sondern eine lebenslange Kette von sentenziösen Heurek-Aha-Momenten in gutpointierter Umgangssprache sein für jedermann.

Open end.

"Heraklit wird nie veralten." (Nietzsche)

"Aha!"

Aber was sind Aha-Momente von Dummköpfen wert?

Die Welt ist ein Narrenspital

Man kann jede „binäre Codierung“ (Niklas Luhmann) wie „krank/gesund“ in eigentlicher oder in metaphorischer Bedeutung nehmen und verwenden. Vom moribund-malignen Krebskranken über den Wald- und Wiesenschnupfen bis zum klinischen Psychotiker reicht die Palette der medizinisch fundierten Zu- und Verschreibungen im engeren Sinne (sensu strictiori). Die Weltgesundheitsorganisation WHO wacht über den wissenschaftlich gerade erreichten Stand an definitiven Strukturformeln für die etwa 20.000 diagnostizierbaren Gesundheitsstörungen mit objektivierbaren Untersuchungsbefunden und fühlbarer Beeinträchtigung des Wohlbefindens im „AZ“ (Allgemeinzustand). Zu fast jeder gibt es jederzeit revidierbare Therapie-Leitlinien, die oft wirkungslos sind, aber immer kosten.

„Geisteskrank“ werden eher alltags- und umgangssprachlich volkstümlich aber nun gern Sachverhalte oder Personen genannt, die dem subjektiven Maßstab von deinem „gesundem Menschenverstand“ zufällig widersprechen. Politiker oder Politentscheidungen „irre“ oder „krank“ zu nennen, führt allerdings in uferlos beliebige Diskriminierungs- und Disqualifizierungswut und lässt oft eher auf den psychomentalen Zustand des Laiendoktors schließen. Mein empörter Aufschrei „Das ist ja krank!“ fällt meist auf mich selbst zurück. Die Laienblitzdiagnose „verrückt“ fällen zumeist Verrückte, die selber leicht gaga „neben der Spur“ sind, einen „Hieb“ oder „nicht mehr alle Tassen im Schrank haben“. Wirklich verrückt ist vielleicht nur, wer alles verloren hat außer seinen messerscharfen Verstand, schrieb der putzgesunde Chesterton, und die Nervenkliniken sind voll von solchen armen Leuten.

Selbst wer sich oft irrt oder andere irreführt, muss noch nicht irre sein. Wie krank ist, wer alle(s) ungestraft „krank“ schimpft (und damit kränken will), was sich kerngesund genug fühlt, um andere selber todkrank schreiben zu dürfen? Kranke erklären einander eben krankhaft gern für schwerkrank, als wäre es für sie selber die hochwirksamste Therapie und Arznei, andere noch kranker zu wissen. (Rache ist süß, und Christen sollten mehr diabeten.)

Krankenhäuser heißen so, weil sie eher kranker als gesünder machen. Sonst hießen sie Heilhäuser, aber Heilanstalten sind eben zumeist auch schon „Nervenheilanstalten“ -- die Sprache ist um einiges klüger als wir.

Schon der fulminante Stilist Tacitus wollte den kranken römischen Volks- und Staatskörper behandelt sehen.

Stoffwechselkrankheiten haben nichts mit Tapeten-Wechseljahren zu tun, und Manager haben eher pumpelgesunden Stress als die vielbeschworene Managerkrankheit der Faulpelze und Burn-out-Hypochonder. Ungesund lebt aber der Sterbenskranke, der sich für einen Hypochonder hält. Dazu zählt (z.B. für Fußkranke) oft eher die lampenfiebrige Reisekrankheit. Jugendsünden und Jugendtorheiten sind oft Kinderkrankheiten. Föhn- und Höhenkranke fühlen sich tief-und schwerkrank wie Taucherkranke. Auch Hautkrankheiten machen leiden, weil sie vor allem hässlich machen, und herzlose Menschen sind, merkwürdig, oft herzkrank bis zum Barmherzinfarkt.

Gefäßkranke sind keine Trunksüchtigen, die ja oft etwas erbkrank sind, und für Sehnsüchtige sind die bitteren Enttäuschungen gerade keine Entwöhnungskuren, sondern nur Infektionsherde.

Die prominente Alzheimerkrankheit wurde inzwischen leider schon zum Favoriten der Witzerzähler. Glückspilze sehen andere Leute giftpilz-erkrankt.

AIDS-Kranke sind die schon etwas modernisierten Pestkranken, und seit Schwulitäten nicht mehr als Geschlechtskrankheiten gelten, heißt es geisteskrank, sie noch so anzusehen und zu behandeln. Und ist "gesunder Menschenverstand" oft nur "gesundes Volksempfinden der Volksgemeinschaft"?

Nervenkrankheiten sind oft nur Modekrankheiten für Modeärzte, und an Mangelkrankheiten herrscht ja selten Ärztemangel und Krankheitsmangel.

Ganz besondere oder nur absonderliche Sonderlinge?

Exzentriker mit ihren „Oddities“, ob nun adlig oder unveredelt, gelten als traditionelle britische Spezialität, doch eine jede Nation pflegt ihre eigenen neugiererregenden Exzentriker recht stolz ins Zentrum der touristischen Öffentlichkeit zu stellen oder verschämt zu verstecken. Damit der in Frage kommende Stich-Pool nicht zu inflationär groß wird, sollten vielleicht einige zu eifrige Anwärter von vornherein ausgeschlossen sein noch aus dem, was aus sozial anerkannten Normbereichen gemeinhin ohnehin ausgeschlossen wird, wie etwa absonderliche Kriminelle und/oder klinisch relevante Psychotiker.

Bei solcher rigorosen Auslese bleiben noch genügend viele Wunsch-und Schreckkandidaten durch die Zeiten und Zonen übrig, selbst wo berücksichtigt wird, dass die soziokulturell Devianten von Dorten und Einst vielleicht hier und heute durchaus anerkennenswerte Mitglieder von Societies wären -- und auch relativistisch umgekehrt. Und aus dem verbleibenden großen Rest möchte ich noch einmal vorweg jene weniger Interessanten aussortieren, die zwar genügend schrullige Marotten, Verhaltensauffälligkeiten, gesetzeskonforme Nonkonformitäten, mehr oder weniger unterhaltsame „Seltsamkeiten“ in Betragen, Gewohnheiten und Überzeugungen zeigen, aber dabei leider kein ungemeines Maß an origineller Kreativität an den Tag legen.

Dann bleiben nur noch die wirklich bemerkenswerten Einzelfälle und Ausnahmemenschen übrig, deren Beiträge zur Kultur wohl unserer Kultur (oder Multi-Kulturlosigkeit) ins Gesicht schlagen mögen und niemals offizielles Allgemeingut werden konnten und können, aber deshalb nur mit unzureichenden Argumenten abgeschoben werden könnten ins Kuriositätenkabinett der Monster und Zirkusfreaks. Sie bleiben mehr oder weniger empfindliche Widerhaken, Wespenstiche und Pfählchen im Fleische jeder nur halbwegs funktionierenden Gesellschaft, mehr oder weniger amüsante oder nervtötende Paradiesvögel im Menschenzoo. Und eine Kultur bemisst sich doch immer noch danach, wie sie mit dem umgeht, was schlecht in sie hineinpasst, ohne sich deshalb draußen besser zu machen. Bereichern oder sprengen Exzentriker das Narrenspital der Welt? Jedenfalls beweisen sie für echte Irre zu viel Vernunft und für wirkliche Genies zu wenig potentielle Allgemeingültigkeit-von-morgen.

Ist vielleicht insgeheim jedermann ein ängstlich uneingestandener Exzentriker, der sich lieber auf Deubel komm raus gut einsozialisieren lässt, als mit diesem clownhaften Etikett herumlaufen zu müssen? Ich Unterschichtexzentriker plädiere jedenfalls für das unaustauschbar unvergleichliche Unikum, das ein unverkäuflich enigmatisches Unikat in die Waagschale zu werfen hat, das also ein unverdaulich erratisches, aber nicht mit überzeugenden Argumenten desqualifizierbares Werk voll selbstbewusstem Berufsoptimismus als prätentiöses Stolpersteinchen uns und allen vor die Füße werfen kann.

Sind unter Exzentrikern nun einfach „Spinner“ zu verstehen mit skurriler Lebensführung und etwas außergewöhnlichen bis abwegig abstrusen Ansichten? Exzentriker, die gewöhnlich eben nicht nur ungewöhnliche Verbrecher oder bizarre Geistesgestörte sind, bilden wohl zumeist misstrauisch introvertierte Zeitgenossen außerhalb des Zeitgeistes, bei aller dysphorischen Verschlossenheit doch auch wieder hartnäckig idealistische Individualisten ohne allzu großen Rivalitätseifer, eher eigensinnig originell als bloß kauzige Originale, also eher sozial als kulturell angepasste Einzelgänger und isolierte Einzelkämpfer, keine ausgestellt „hochdekorierten Eremiten“. Sie haben sich ein gutes Stück kindlicher Phantasiefreude bewahrt und genieren sich nicht, ihr „narzisstisches Größenselbst“ (Heinz Kohut) als Ich-Ideal aus früher Kindheit ausdauernd auszuleben in angepasst „reiferer“ Umgebung. Oft sind sie in ihren Herkunftsfamilien fast autistische Erstgeborene oder Einzelkinder. Diese vorwiegend aus der oberen sozialen Mittelschicht Stammenden, die nie mittelmäßig sind, fallen aus der „Mitte der Gesellschaft“ demonstrativ und provokativ heraus, sind aber niemals Wichtigtuer, Aufschneider, Renommisten und Scharlatane, die allein Aufsehen erregen wollen, um sich Vorteile zu verschaffen und ihre Umwelt profitabel hinters Licht zu führen.

Man unterscheidet (theorielastig) wissenschaftliche, imaginationskünstlerische, religiöse (z. B. Theosophin Helena Blavatsky) und philosophische (siehe z. B. Idealist Karl Christian Friedrich Krause) Exzentriker mit ihren speziellen „Spleens“ (ursprünglich wohl Milzgestörte). Ihre exzeptionelle Besessenheit (Eustress) von randständigen Themen, Fragestellungen, Lösungsansätzen macht sie noch nicht zu kommunikationsgestörten „Aspergern“ oder gar „charismatischen Unruhestiftern“. Genuin "exzentrisch" bedeutet eher egozentrisch (und radikal monomanisch) als nur egoistisch. Geborene Exzentriker (wie alle Gelehrten) müssen wir uns vorstellen als glückliche (und zum Witz neigende) Außenseiter, ihre eigenen Brainstormer im stillsten Kämmerlein, Experten für abseitigste Spezialgebiete, ob sie die Sozialevolution am Ende nun vorantreiben oder nicht. Gelegentlich werden sie mit etwas Glück sogar Avantgarden, bahnbrechende Pioniere kollektiver soziokultureller Innovationsschübe, die es nachstürmenden Epigonen etwas leichter machen. – Wenn ein James Joyce nicht 1922 seinen „Ulysses“ veröffentlicht hätte, sondern nur „Finnegans Wake“, wäre er zum bloßen Exzentriker weggestempelt worden statt zum Nobelpreis vorgeschlagen. So klein ist der Schritt vom Lächerlichen zum Erhabenen …

Einer von 10.000 Menschen gilt als Exzentriker in engerem Sinne.

Hier noch einige Literaturhinweise für den, der sich in das Thema vertiefen will und auch unterhaltsame geschichtliche Beispiele sucht:

Edith Sitwell : „English Excentrics" (1933, dt. 1987)

Jamie James : „Über das Vergnügen, anders zu sein“, 1995

Michael Korte : „Lexikon der verrückten Dichter und Denker“, 1993

Karl Shaw : „Lexikon der Exzentriker.

Die schrägsten Vögel der Welt“, 2001

Felicitas Dörr-Backes:

„Exzentriker, die Narren der Moderne“, Würzburg 2003

Yoga plus Joghurt : Auch ich meditierte

Auch Unterfertigter hat es mit Meditation und Yoga versucht, um zu prüfen, was es um ihn herum mit dem vielsagenden Raunen unseres verspaßten Zeitgeistes auf sich hat. Seit Jahrzehnten sucht der gestresste westliche Klein- oder Bildungsbürger Entspannung und Erleuchtung in fernöstlichen Kulturtechniken, die älter sind als seine eigene bornierte Kultur der naturwissenschaftlichen Entdeckungen und industrietechnischen Erfindungen (plus vorsorglich einmontierter massenmedialer bis geisteswissenschaftlicher Entertainmentkompensationen).

Vor allem unsere ratlos überzüchteten Mittelstandsdamen suchen seit dem esoterischen „New Age“ des „Wassermann-Zeitalters“ (gegen ihre geschäftstüchtig veräußerlichten Chef-Gatten) endlich spiritistische Aufklärung im spirituellen Innenleben aus Fernost-Importen, mit oder ohne Spirituosen. Man muss inzwischen nicht mehr nach Poona pilgern, sondern kann sich im Internet wohlfeile bis kostenlose Yoga-Kurse mieten bei erfahrenen Gurus, die bewundernswerte Einheit von westlicher Erfolgstaktik und östlicher Selbstverjenseitigung ins Nirvana (oder Near-Wahna?) erreicht haben.

Auch ich setzte mich willig und bequem in den unbequemen Lotussitz, mit schmerzenden Beinen, schloss mit besenstielgeradem Rückgrat vorschriftsmäßig die Augen und harrte der versprochenen Wunder, indem ich mich auf mein bloßes regelmäßiges Durchatmen zu konzentrieren suchte. Ein und Aus, ein und aus, immer mit der „achtsamsten“ Aufmerksamkeit nur auf dieses und möglichst nicht abgeschweift zu Bildern drängender Alltagsprobleme oder nackter Frauen. Dazu unentwegt ein Mantra gemurmelt. Om, om, om mani padme hum: „Ich ehre die Perle im Lotus“. Keine Ablenkung und Zerstreuung, kein zerstreuter Professor. Der "Body Scan" der inneren Sammlung wanderte langsam von einem Körperteil zum nächsten …

Immer wieder verirrten sich „tanzende Affen“ neuer Vorstellungen und Gefühle in meinen Kopf, der sie geduldig wieder verscheuchte, um die totale "Entleerung des Bewusstseins“ zu erreichen, die freie Bühne für die Epiphanien der himmlischen Verheißung. Der Schädel ließ sich nur schwer leerpumpen von dem üblichen zivilisatorischen Alltagsmüll. Samadhi, Klarheit und Stille und Einsicht, weg mit dem Schleier der Maya, kommt her, nackte Wahrheiten! Ich versuchte indisch Dhyana, chinesisch Chan, japanisch Zen, also Meditation ins Medium, die Mitte der Welt.

Wie empfohlen auf „diskursives Denken“ zu verzichten, fiel hingegen leicht, weil ohnehin wenig gepflegt. Wer denkt schon viel logisch oder rational? Gefühlchen, Empfindungen und Bildfetzen waren schon schwerer auf Dauer zu verscheuchen. Und angeraten „gutmütiges Wohlwollen“ gegen die Lieblingsfeinde wollte sich fernöstlich so schlecht einstellen wie christlich. Na, ja, nicht gleich zu viel verlangen, alles will trainiert sein, aller Anfang ist schwerfällig.

Ich horchte angestrengt unangestrengt in mich hinein, aber – kein Ton. Ich ging so weit wie möglich in mich und – kam hinten sofort wieder heraus. Om, om, om … heraus kam ein haltbarer Stumpfsinn, der sich hellstes „Sartori“ nannte. Das „wahre Selbst“ hinterm egoistischen Ich war – gar nicht da und auch niemals dagewesen.