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Karl Marx : "Jeder Mensch und jedes Buch lässt sich auf drei Seiten zusammenfassen, und diese drei Seiten lassen sich auf drei Zeilen reduzieren." Und diese drei Zeilen auf einen Aphorismus. Der kurze Aphorismus ist eine hierzulande immer noch zu kurz kommende Literaturgattung. Er ist leider heruntergekommen zu lustiger Blödelei und seichtem Gesinnungsspruch und sollte doch wieder das werden, was er immer gewesen ist : Philosophischer Gehalt in literarischer Gestalt, satirisches Zwerg-Rätsel oder paradoxes Erkenntnisspiel zwischen Gefühl und Gedanke, Bild und Begriff, Phantasie und Verstand, Einbildungskraft und Urteilskraft. Die ältesten Aphorismen waren einzelne Lehrsätze, die jüngeren sind doktrinäre Feinde von Doktrinen. Bis heute doktern sie an uns herum.
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Seitenzahl: 90
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„Das Reich der Freiheit ist eine Hinterwelt.“ (Max Horkheimer)
„Alles, was wir denken können, denkt selber.“ (Novalis)
„Wahrheit aber ist kein Satz.“ (Kurt Marti, 1995)
„Die Welt ist an sich selbst Nichts.“ (Immanuel Kant)
Für Elke
Kurz und gut oder lang und breit?
Aphorismen zur Volks- und Naseweisheit Des Pudels Kerne, Sächelchen und kleine Fische
Kunterbunte Kontrapunkte
„Gutes, wenn kurz, ist doppelt gut.“ (Baltasar Gracian)
Kunststückwerk : Brösel im Streulicht
Auf- und abschließende Bemerkungen zu Welträtseln in Nussschalen
„Großes erreicht der Geist nur sprungweise.“ (Vauvenargues)
„Nur eine sterile Idee wahrt ihren Rang als Idee.“ (Cioran)
Menschen, Mönche und Monaden
Von der Klugheit und anderen Dummheiten Philosophisches System aus SystemsprengSätzen
Multiresistente Keime der Besserung
„Mit gewöhnlichen Worten Ungewöhnliches sagen“ (H. Moser)
Ungedroschene Phrasen, Bodensätze und Ungemeinplätze, Blitzschlagworte und Hinweisheiten
Stöbern in Schneegestöbern Aphorismen zur Lebensweise und Todesart
Dünnschädeliger Satzbauer und Satzsteller
„Nur das Lapidare – das Wahre.“ (Rolf Hochhuth) „Nichts protziger als der lapidare Stil“ (Botho Strauß)
Roter Ariadnefaden sucht sein Labyrinth
Quanten, Quarks und Strings im Kopf Systematisch Fragmentieren oder aphoristische Systeme?
Wissen, Witz oder Weisheit? Zitatsachen zu Theorie und Praxis
Empfohlene Aphorismenbände des Autors
„Er verkörperte innerhalb dieses Jahrhunderts, und zwar gegen die Geschichte, den lebenden Erben jener langen Reihe von Moralisten, deren Werke vielleicht das Originellste darstellen, was die französische Literatur hervorgebracht hat.“ (Jean-Paul Sartre : „Albert Camus“, Les Temps Modernes, 7. 01. 1960)
Medien tun mehr gegen Bildung als Bücher dafür.
Das einfache Leben ist ein Vorrecht der Reichen, das mehrfache ein Naturrecht der Armseligen.
Aphorismen sind Regeln, denen die Ausnahmen von den Regeln folgen.
Was man in der Geschichte vergessen will, muss man nur aufschreiben.
Gott ist tot? Erst mundtot gemacht, dann totgesagt, dann totgeschlagen, dann totgeschwiegen – und dann dein Totengräber.
Wer kommt hinter sein Dahinterkommen? Wer Probleme hat, ist eins, doch wie löst sich das Problem, ein Problem nicht lösen zu können?
Ist alles nur Projektion, dann auch das, und dass Gott nur Einbildung sei, ist ja dann auch nur Einbildung.
Werte und Normen sind relativ – zum Absoluten, nicht zu uns: Natur- und Sittengesetze sind Seine Satzungen, nicht deine.
Geistloser Kampfgeist der Sportskanonen : Weltkrieger ohne Kanonen.
Computer wollen das Klima in drei Jahrzehnten wissen und können nicht mal das Wetter in drei Tagen prophezeien.
Fakten dürfen Theorien nicht besser erklären als Theorien die Tatsachen.
Scheinheilige im Leben fürchten den Scheintod im Sarg.
Philosoph : Weltbeleuchter als Blickwinkeladvokat.
Vermögen erzeugt mehr Zeugungs-, Willens- und Urteilskraft als Arbeitskraft Kaufkraft.
Ist dumm, wer dumm „dumm“ nennt? Noch im 19. Jh. waren Akademiker Christen, nun sind sie A(nti)theisten – Früchte tiefen Nachdenkens.
Lärm verbannt die Stille, um nicht von Schweigen verbrannt zu werden.
Erst nimmt dir die Macht, dann der Tod alle Entscheidungen ab, die über die Wahl zwischen Waren hinausgehen.
Man leidet unter Besseren wie unter Böseren.
Durch Religion wollen sich die Guten besser machen, die Schlechten nur besser fühlen.
Nur der erste Edelmann kann es sich leisten, wie der letzte Landmann aufzutreten. Die Etikette ist für alle dazwischen.
Gefällst du mir und siehst das, gefällst du dir und siehst mich.
Sucht man Gemeinschaft, um ungestraft gemein zu sein, und die Einsamkeit, um unwidersprochen gut zu sein?
Fordere für dich, als würdest du für andere fordern – und umgekehrt.
Jeder kann solange gut leben, wie er sich nicht bessert, und sich bessern, solange er nicht lebt.
Musst du nur gegen das, wofür du nichts kannst?
Leben : Lieber nichts Ungewolltes haben als Gewolltes nicht haben?
Sklaven schufen Adelsmuße, Maschinen schaffen Bürgerfleiß.
Heut ist man lieber freiwillig im Unglück als zu seinem Glück gezwungen.
Gefahr sieht der Künstler im Misserfolg und droht ihm vom Erfolg.
Un petit peu. Der kleinste Aphorismus kriegt Kleines nicht klein.
Nichts ist so groß, das sich nicht in einen Aphorismus zusammenfassen, und nichts so klein, das sich nicht zu einer Bibliothek auswalzen lässt.
„Wir sind um der fast unmerklichen Variante willen da. Die geringe Abweichung ist unsere ganze Freiheit.“ (Botho Strauß: Vom Aufenthalt, München 2012, S. 278)
Sportler bekämpfen einander statt ihre Veranstalter.
Dialektiker Hegel brachte System in den Geist, Aphoristiker Schlegel Esprit ins System.
Es braucht Mut, um böse zu werden, und Feigheit, es zu bleiben.
Um mehr wie wir zu sein, musst du mehr als wir sein – und umgekehrt.
Gewicht erhebt und zieht runter, und Langweiler langweilen sich nicht.
Heut wird man zum Objekt gemacht, indem man zum Subjekt erklärt wird.
Meta(ll)physik : Nur Gold kann zeitweise von Eisen weglocken.
Gesetz ist mir Befehl, wenn dein Befehl mir Gesetz wird.
Sei reicher, als Feinde fürchten, und ärmer, als Erben hoffen.
Vom Besitzen besessen, frisst man sein Gefressenwerden.
Was Wahrheit nicht mehr in den Mund nimmt, nimmt Lüge in die Hand.
Zellen füllen einander und passen Insassen wie angegossen.
Sartre und de Beauvoir konnten keine Töchter zu Geliebten machen und adoptierten Geliebte als Töchter, c´est la femmille.
Wer die Macht bekämpft, kämpft für die Ohnmacht.
Recht ist nicht Rache, aber ihr gutes Gewissen.
Kriminelle wären zum Krimischreiben zu verurteilen, doch ein Ritter vollbringt als erste und letzte Heldentat, keine Ritterromane zu schreiben.
Güte macht (Vor- und Schaden-)Freude, Bosheit macht (Mords- und Heiden-)Spaß.
Du rührst dich wenig, da es schmerzt, und es schmerzt, da du dich wenig rührst.
Bist du zart und mild zu dir, wirst du hart und wild zu mir, und umgekehrt.
Umweltkriege. Der Stechschritt vom Ganzheitlichen zum Totalitären geht nicht weiter als der Fortschritt vom Organismus zur Organisation.
Aus etwas Falschem folgt alles, Wahres wie Falsches, also nur Falsches.
Also ist alles falsch. Q.e.d.
Green (res)sources. Weltverschmutzung ist reiner als Wertverschwendung.
Schlechtes Gewissen ist Angst vor schlechtem Ruf bei Gott und der Welt.
Sei getrost untröstlich, dass du dich und mich so schnell auf Zukunft vertrösten kannst.
Mit welchen Augen siehst du deine Augen sehen oder nichts sehen?
Helle Hölle. Wo steht uns der Kopf, wenn er auch sich selbst auf den Kopf oder auf die Füße stellt?
Nützlich oder schädlich ist noch nicht wahr oder falsch und umgekehrt, sagen Wahrsager und Pragmatiker.
Man besitzt sogar Verluste : Man hat gehabt.
Man liebt und hasst jetzt ganz gerecht – ohne Ansehen der Person.
Wahrheitsliebe mag sadistisch sein, doch nicht jeder Quälgeist wissensdurstig.
In einem Buch taucht die Welt auf, damit das Buch in der Welt erscheint.
Poptimierung der Fressefreiheit. Das Publikum ist die Schauspieltruppe, und der Autor ist Zuschauer der Zuschauer.
„Proletarier aller Länder, geht auseinander : Die alten Bücher irren.
An einem Sonntag wurde die Welt geschaffen.“ (Vladimir Nabokov)
Bürger tauschten totalitäre Freiheitskämpfe gegen emanzipierte Kerker.
Die Arbeiterin emanzipiert sich von Familienbanden für das Fließband.
Schlechtgesagte Wahrheiten sind noch nicht gutgesagte Lügen.
Nun mal los! Handeln sucht Probleme loszuwerden, ohne sie zu lösen.
Einst war Natur ganz unmoralisch, nun ist Unmoral ganz natürlich.
Einst störten Physiker die Frommen, nun stören Alchemisten die Chemiker
Genießen kannst du nur noch, was du nicht mehr glaubst und verstehst.
Kunst zeigt schönste Hässlichkeit, hassenswert Liebliches, ignorante Klugheit, boshafte Güte und wahrhafte Lüge.
Bürger, die Abenteuer suchen, sind Maulhelden, die Geisteshelden mimen.
Wer der Sache tatsächlich auf den Grund geht, fällt zu Boden der Untat-Sachen, und wer mir auf den Grund geht, fällt sich in den Abgrund.
Wer noch zum Arzt gehen kann, ist dafür noch nicht krank genug.
Arbeit ist Flucht vor oder Erholung von der Kunst (spielende Mühsal).
Kein Wissen ohne Blindheit, keine Klugheit ohne Angst, kein Talent ohne Flucht.
Kant erklärte mich zum Gesetzgeber, der sich zum Gesetzesbrecher macht.
Ein Problem ist dein größtes, außer du löst es. Es gibt nichts Bestes, außer man lässt es, und es gibt nichts Schlimmstes, außer du nimmst es.
Menschenrechte hat jedes Individuum, das gesellschaftlich abgeschafft ist.
Mit Sitz im Satz. Stell oder leg fest, dass nichts mehr feststeht als festsitzt.
Der Mensch wurde so sehr Kunststoff, dass er das Kunststück fertig bringt, mehr Mitmachwerke und Mundwerke als Kunstwerke zu brauchen.
Rückblick verjüngt, Planung macht alt und Geistesgegenwart zeitlos.
Abscheuklappen. Werden ist gewesen und Sein wird sein, oder sind Lebewesen gewesen und werden werden?
Sehnsucht nach Sehnsucht. Es wird uns zu viel, wenn wir von allem zu wenig haben, doch ist uns viel zu wenig, dass wir zu viel kriegen.
„Doch wir sehen, dass zu jeder Zeit und in allen Landen das Denken der beschaulichen Geister Ärgernis erregt.“ (Anatole France: „Abbé Coignard“)
Philosophie : „Weg zu Gott ohne Gott“ (Edmund Husserl)
Nichtlineares Chaos ist primitiv, einfaches Gefühl neuronal überkomplex.
Weltereignisse wurden Kleinkram, Haarrisse sind die Apokalypsen.
Gesellschaft : Besserer Katastrophenschutz schafft bösere Katastrophen.
Welt blendet; sie öffnet die Augen dir erst, wo es nichts mehr zu sehen gibt
Welche Dunkelverliese erlösen von totaler Freiheit des Beliebigen?
Sehenden Auges lässt auch Einsicht sich absehbar blenden von An- und Absichten angesehener blinder Seher.
Theorie & Praxis. Denken heißt „Kopf hoch“, Handeln heißt „Kopf ab“.
Wer nicht viel denkt, lebt weniger als einer, der nichts als denkt.
Frei ist nur Zweckfreies und mutloser Unmut wie unbewusstes Wissen.
Ist schneller Sieg über Schlechtere besser als Dauerstreit mit Besseren?
Ein besseres Buch ist die bösere Rache an den Lesern.
Wer deine erfolglosen oder erfolgreichen Nachfolger verwünscht, wünscht noch nicht dich zurück.
Als klein gilt, wer seinen Verdienst nicht kleiner sieht als sein Verdienst.
Alle sterben unwissend und Unwissende nie aus.
Urteilsvermögen bringt heute nicht mehr Vorteile als Bankvermögen.
1000. Nur unser Verstand steht wie eine Eins vor uns Nullen.
Der Wahrhaftige ist eher der Teufel als Klugheit schon die Wahrheit.
Nutzloses Wissen ist so unvergänglich wie der „unnütze Esser“.
Schwermütiger Kopf schlägt den Mut, nicht der Kühnere den Klügeren.
Du bist abhängiger von denen, die von dir abhängen.
Aus Falschem folgt auch Wahres, aus Wahrem nichts Falsches :
Aus allem Falschen folgt alles, das Wahre wie das Falsche. Q.e.d.
Fertigkeiten, Fertiges wie Unfertiges machen fertig.
Der Mittelständler wird als Sklave gehalten, der Sklaven halten darf.
Goethes „Faust“ zu schreiben, war gar keine Kunst : Bei dem Talent!
Wer schneller (ver)fällt, kommt schneller oben an.
Der Markt produziert Junkies, die nicht mehr missen können, was sie nie vermisst hatten.
Ich kann etwas denken, da es da ist, und es ist da, da Gott es gedacht hat.
Wer keine Antworten erhält, muss nicht dumm gefragt haben, und wer gar nicht fragt, erhält zu viele.
Nichts wird unterschätzt, Sein überschätzt und Werden nur verschätzt.
Was philosophische Aphorismen zum System verbindet, ist sophistischer Mörtel; was philosophische Systeme sprengt, ist aphoristische Sophistik.
Sprache heißt: Der Mensch ist ein Maulheld, der vom Maulaffen abstammt
Gott wurde anders Mensch als der Affe. Haben sich beide verschlechtert?
Mit Revolutionen lassen sich Gewinne sichern, ohne sie Gewinne machen.
Wer Rechtsbrecher straffrei lässt, raubt ihnen das Recht auf Sühne.