Andi, gib den Ton uns an! - Steffen Mohr - E-Book

Andi, gib den Ton uns an! E-Book

Steffen Mohr

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Beschreibung

Der achtjährige Andi ist ein leidenschaftlicher Fußballspieler. Doch heute nehmen ihn seine Eltern das erste Mal mit ins Konzert. Er ist ziemlich neugierig, ob so ein Konzert etwas anderes ist als die Fiedelei im Radio. Danach lauscht er bei der Probe des Schulorchesters und verkündet selbstbewusst, dass er Oboe spielen will. Er übt fleißig und und sein Musiklehrer lobt sein Talent. Doch Andi ist auch ein guter Fußballspieler und Torschütze, auch dafür muss er regelmäßig trainieren. Bei seinem ersten Auftritt mit der Oboe bekommt er vor Aufregung nur einige Piepser heraus. Muss er nun zwischen Fußball und Oboe wählen? LESEPROBE: Andi bekommt jetzt noch eine Heidenwut, wenn er sich an diese dumme Geschichte erinnert. Pitsch-Patsch! strampelt er in eine große Pfütze hinein, dass das dunkle Wasser an seine Stiefel spritzt. Der alte Mann merkt noch immer nicht, dass er einen unangemeldeten Fahrgast durch die Gegend kutschiert. Es fing so wunderbar an. Andi spielte richtig, nicht zu leise, nicht zu laut, nicht zu schnell und nicht zu schleppend. Es war ein herrliches Gefühl, zu einem Orchester zu gehören, wo lauter Kinder saßen, die genau wussten, wie schwer es war, ein Instrument gut zu spielen, aber auch, welchen Spaß das machte. Er wusste auf einmal, dass das Musizieren mit einer Gemeinschaft viel schöner war als das Üben zu Hause, großartiger, als wenn er Herrn Heinze allein seine Stücke vorspielte. Gleich nach den ersten Takten war eine Schwierigkeit versteckt. Vier Töne mussten sehr schnell hintereinander gespielt werden. Jetzt war Andi darüber hinaus und spielte bereits den ruhigen, langen Ausklang des ersten Teils. Er war erleichtert und riskierte einen schnellen Blick auf die anderen Kinder. Sie hatten ihre Geigen abgesetzt oder die Trompeten unter den Arm geklemmt. Alle lauschten seiner Melodie, die klang, wie wenn eine einzelne Schäferflöte zwischen den Bergen aufkommt, und es ist still, und auf einmal sieht man alles, was nicht laut ist auf der Welt: die Wiese, auf der die Schafe Gras fressen, das Ziehen der Wolken und wie der Mond oder die Sonne am Himmel gehen. Als Andi die Gesichter der Kinder sah, klopfte ihm das Herz. Er war auf einmal sehr aufgeregt, und er wusste selbst nicht, warum. Schon nickte Tina ihm zu. Nun musste er den ersten Teil seines Liedes, so wie es die Noten vorschrieben, wiederholen. Den ersten Takt und den zweiten, dritten, vierten, fünften ...

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Seitenzahl: 60

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Impressum

Steffen Mohr

Andi, gib den Ton uns an!

ISBN 978-3-95655-388-2 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Das Buch erschien erstmals 1975 im VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig.

© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

Mutter reißt die Tür auf und schaut herein. Andi sieht Mutter auf dem Kopf stehen: Die Augen hat sie unter der Nase, ihr Hals befindet sich über dem Kinn, und die Beine sind ganz oben. Das kommt davon, weil Andi wieder einmal ausprobiert, wie lange er auf dem Kopf stehen kann. Er schielt auf die Taschenuhr, die neben ihm auf dem Boden liegt. Fast fünf Minuten hält er diesen Kopfstand schon aus! Zehn Minuten muss ich schaffen, denkt er mit zusammengebissenen Zähnen.

„Ach je, Junge“, jammert die Mutter. Sie hat ihr schönes, dunkles Kleid an. Überhaupt ist sie irgendwie anders als sonst. „Bist du noch nicht umgezogen? Was machst du bloß?“

„Ich trainiere“, antwortet Andi ruhig. Das stimmt. Aber Mutter hat dafür kein Verständnis. Fein säuberlich hängt Andis guter Anzug über der Stuhllehne, ein weißes Hemd und sogar eine dunkelrote Fliege. Mutter geht mit zwei energischen Schritten auf den Jungen zu. Sie packt ihn einfach an den Beinen - schwupp! Da sitzt er auf dem Teppich.

„In fünf Minuten bist du fertig“, bestimmt sie und wirft Andi so schnell das frische Hemd zu, dass er es gerade noch auffangen kann. Dann geht sie hinaus. Rums! klappt die Tür zu.

Warum Mutti nur so aufgeregt ist? überlegt Andi. Schon als Vater von der Versammlung kam, war sie ganz aus dem Häuschen. Richtig laut wurde sie, was bei Mutter sehr selten vorkommt. „Da haben wir nun mal alle Zeit fürs Konzert, und du kommst später“, schimpfte sie mit Vater. Sie sagte noch, was fast wie eine Entschuldigung klang: „Du weißt doch, es ist das erste Konzert, das unser Andi erlebt.“

„So viel Wind um ein bissel Musik“, brummt Andi, während er seine Turnsachen auszieht. Wenn es zum Spiel zwischen Dynamo und Motor ginge, könnte er Mutters Aufregung gut begreifen. Aber was versteht Mutter schon vom Fußball? Da ist Vater ganz anders. Der hat bestimmt keine Lust zum Konzert, sonst wäre er zeitiger heimgekommen.

Dass Andi kein Interesse hat, mit seinen Eltern fortzugehen, ist nicht ganz richtig. Er ist sogar ziemlich neugierig, ob so ein Konzert etwas anderes ist als die Fiedelei im Radio. Mutter behauptet es jedenfalls. Aber warum muss ein achtjähriger Junge dazu eine Fliege umbinden, die einem den Hals zuschnürt, dass man kaum noch Luft bekommt? Zwar hat Vater ihm erklärt, wie man sich den Hals mit diesem Ding fesselt. Und gestern hat Andi den Knoten auch richtig gekonnt, sogar zweimal nacheinander. Aber heute, vor dem kleinen Spiegel im Kinderzimmer, kommt er ins Schwitzen. Aus der Fliege wird meist ein Pionierknoten, manchmal auch etwas, das aussieht wie ein verdrehter Regenwurm mit Korkenzieherantrieb.

„Vati!“, ruft Andi mit kläglicher Stimme, als er Vaters Schritte eilig durch den Korridor schlappen hört. Vater sieht völlig durcheinandergebracht aus. Um den Hals hängt ihm ein Frotteehandtuch. Nasse Haare kleben auf seiner Stirn. Zum Unterhemd trägt er die feine, schwarze Hose. Aber aus den Beinröhren guckt links eine Socke ohne Schuh und rechts ein Fuß ohne Socke heraus. „Na, komm mal her, Herr Schröter“, sagt Vater und bindet ihm das verzwickte Ding um. Er zwinkert Andi kurz zu und rennt gleich wieder hinaus, als ob ein Rudel Wölfe hinter ihm her wäre.

„Herr Schröter!“ hat Vater gesagt. Andi dreht sich vor dem Spiegel einmal langsam um. Tatsächlich! In so einem Anzug sieht man richtig erwachsen aus. Natürlich sind Trainingsjacke und Turnhosen viel besser. Man fühlt sich darin nicht wie in eine Ritterrüstung gezwängt. Aber wenn man es genau nimmt, hat so ein Anzug auch seine Vorteile. Gleich kriegt man einen anderen Gang, würdiger und stolzer. Mit steifem Hals schreitet Andi ins Wohnzimmer hinüber. Alle sind jetzt fertig. „Hast du auch die Karten?“, fragt Mutter an der Tür. Nun ist sie schon ein bisschen ruhiger. Vater nickt nur. Andi sieht Vater und Mutter an. Was ist mit ihnen nur los heute? Mutters Augen haben einen fröhlichen Glanz. Augenbrauen und Lippen hat sie leicht mit Schminke nachgezogen. Auch Vater sieht anders aus als sonst. Anders als wenn er mit der Aktentasche von der Arbeit kommt und noch einmal einen Schlosseranzug überzieht, um zu Hause einen Stuhl zu reparieren oder die Fenster zu streichen. Er hat heute ständig so etwas wie ein kleines Schmunzeln im Gesicht.

Als er die Tür zuschließt, sieht er schnell zu Mutter, die bereits die Treppe hinuntergeht. Dann flüstert er Andi mit diesem Schmunzeln zu: „Weißt du, was wir machen, wenn uns die Musik zu langweilig wird? Wir brennen in der Pause einfach durch, Herr Schröter.“ Aber Andi spürt, dass es Vater damit nicht ernst ist. Nun ist er wirklich gespannt, was heute Abend passieren wird.

2. Kapitel

In einem hohen Saal mit, ach, vielleicht tausend oder noch mehr Stühlen haben sie ihre drei Plätze gefunden. Vor und hinter und neben ihnen sitzen lauter festlich gekleidete Menschen. Andi staunt. Das sind ja beinahe so viele Leute wie sonntags auf dem Fußballplatz!

Wie viele hier hält auch Vater einen weißen Programmzettel in der Hand.

„Wer spielt gegen wen?“, flüstert Andi. Aber als Vater ihm den Zettel zeigt, stehen darauf lauter Namen, die er nie gehört hat: Händel und Mozart und so. Altmodische Vornamen haben die: Georg Friedrich! Oder: Wolfgang Amadeus! Andi muss lachen. So heißt doch heute kein vernünftiger Kerl mehr! Vater meint, dass die Leute, welche die Konzertstücke geschrieben haben, schon lange tot sind. Damals waren diese Namen üblich, so wie die Kinder heute Peter genannt werden, Steffen oder Andreas.

„Aber seit mehreren Hundert Jahren hören die Menschen ihrer Musik zu. Und das in der ganzen Welt“, sagt Vater. „Donnerwetter“, entfährt es Andi. Das wäre was, denkt er, wenn die Menschen in hundert Jahren den Namen Andreas Schröter auf so einem weißen Zettel lesen könnten. Neulich hat er als Ersatzhalblinker in der B-Mannschaft seiner Schule ein Tor geschossen. Da gaben alle Zuschauer lange Beifall. Wenn sein Tor ein Musikstück gewesen wäre, dann würden die Leute noch in hundert Jahren über Andis Leistung in die Hände klatschen. Na, wenn das nichts ist, denkt Andi.

Auf einer Bühne, vor der einige bunte Blumentöpfe stehen, groß wie Johannisbeersträucher, setzen sich die Musiker jetzt vor ihre Notenpulte. Alle tragen dieselben schwarzen Anzüge und haben weiße Hemden an. Die Instrumente vorn links erkennt Andi gleich. Die meisten halten so ein Instrument in der Hand. Das sind die Geiger. „Rechts“, erklärt ihm leise die Mutter, „siehst du die dicken, großen Instrumente? Sie sehen beinahe wie eine Geige aus, aber viel größer. Deshalb müssen die Musiker sie zwischen den Beinen halten. Dieses Instrument heißt Cello. Tschello gesprochen, aber man schreibt es mit C.“

„Dann haben die Männer hinter den Cello-Leuten noch größere Geigen? Aber nein“, berichtigt sich Andi gleich selbst, „das sind doch Bässe!“

„Ja, es sind die Kontrabässe, Junge.“ Die Mutter zeigt mit dem Finger nach vorn: „Hörner, Trompeten, Posaunen und Pauken sitzen ganz hinten. Weißt du, warum?“ Andi weiß es nicht.

„Na, denk mal nach“, sagt die Mutter.

„Ach ja“, meint Andi, „weil sie lauter spielen als die anderen Instrumente! Sonst würde man ja die Geigen gar nicht mehr verstehen!“

„Bist ein fixes Kerlchen, Herr Schröter“, lobt ihn der Vater. „Man könnte denken, du bist nicht zum ersten Mal in einem Konzert!“