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Seit dem Tag, als sein Freund bei einem Militäreinsatz ums Leben gekommen ist, wird Josh von Albträumen geplagt. Er verkriecht sich und hat mit dem Leben abgeschlossen. Es dauert lange, bis seine Mutter ihn schließlich zu einer Therapie überreden kann. Überzeugt ist er nicht davon, aber ihr zuliebe lässt er sich darauf ein.
Entgegen aller Erwartungen schafft es sein Therapeut, zu ihm durchzudringen. Endlich verspürt Josh wieder einen Funken Hoffnung auf ein richtiges Leben.
Kurzgeschichte - ca. 13.000 Worte
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Die Explosion der Landmine zerreißt mir beinahe das Trommelfell. Ich werde durch die Luft geschleudert und lande unsanft auf dem Boden. Geschrei mischt sich mit Schüssen, Sand landet auf mir und es wird dunkel.
„Josh, wach auf … wake up, Honey.“ Jemand rüttelt unsanft an meinem Arm. „Wach auf, Schatz!“
Langsam lichtet sich der Nebel und die Stimme meiner Mutter dringt zu mir durch. Sie streicht mir über die Wange und küsst mich auf die Stirn. Für einen Moment komme ich mir wieder vor wie ein Fünfjähriger, der nach einem Albtraum von seinen Eltern getröstet wird. Aber ich bin kein Kind mehr und mein Traum ist leider nur wiedererlebte Realität. Kein Mensch auf der Welt kann die Erinnerung aus meinem Gedächtnis löschen. Ich werde die Bilder nie aus meinem Kopf verlieren.
„Alles ist gut, Honey, alles ist gut.“
Nichts wird jemals wieder gut sein, aber meine Mutter will die Hoffnung einfach nicht aufgeben, dass es so ist. Wie jede Mutter wünscht sie sich eine Zukunft für ihren Sohn, auch wenn der nie eine haben wird. Ich bin ein Wrack. Irgendwann wird auch sie das verstehen.
„Du kannst wieder schlafen gehen, Mama“, sage ich leise. Ich drehe mich zur Seite und ziehe die Decke hoch. Es ist mir peinlich, wenn mich jemand in diesem Zustand sieht. Meist ist dieser Jemand meine Mutter. Seit ich wieder unter Mamas Fittiche gekrochen bin, wacht sie über mich. Ich weiß, dass sie mir nur helfen will, bloß kann mir niemand helfen.
„Es wird besser, Josh. Du musst nur daran glauben und dir helfen lassen.“
Ein letztes Mal streicht sie mir über den Rücken und lässt mich allein in der Dunkelheit. Ich starre an die Wand und beobachte die tanzenden Schatten im Licht des Mondes. Die Baumkrone vor meinem Fenster bewegt sich im Wind. Mein pochendes Herz beruhigt sich langsam. Meine Hände zittern und sind eiskalt. In dieser Nacht wird an Schlaf kaum noch zu denken sein. Leise stehe ich auf und ziehe mir einen Trainingsanzug und warme Socken an. Im Dunkeln setze ich mich aufs Fensterbrett und starre nach draußen. Es ist Vollmond und ich würde meine Schlaflosigkeit gern darauf schieben. Aber ich weiß, dass es nicht daran liegt. Ohne zu schauen, greife ich zur Seite und nehme das Bild von meinem Schreibtisch. Meine Augen werden feucht, obwohl ich noch keinen Blick darauf geworfen habe. Mit den Fingerkuppen streiche ich sanft über die zerknitterte Fotografie. Das Lächeln meines Freundes ist strahlend wie die Sonne, die hoch am Himmel steht. Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag, an dem mein Himmel noch voller Geigen hing. Alex und ich waren ein Traumpaar, auch wenn wir das niemandem sagen durften. Die meisten aus unserer Einheit ahnten wahrscheinlich, dass wir mehr als Freunde waren, aber das war uns egal. Wir träumten von einer gemeinsamen Zukunft, einem Häuschen mit Garten, ein paar Hunden und einem ruhigen Leben. Nun sitze ich hier allein, Tausende von Kilometern entfernt in Deutschland. Ich hänge bei meiner Mutter am Rockzipfel, während Alex am anderen Ende der Welt zwei Meter unter der Erde verrottet. Die Liebe meines Lebens ist tot, zerfetzt von einer Landmine nur ein paar Schritte neben mir. Wäre ich etwas näher bei ihm gewesen, hätte es uns wenigstens beide erwischt. Lieber tot und begraben als in dem Zustand des Dahinvegetierens ohne Aussicht auf Besserung.
Tränen rinnen meine Wangen entlang. Ich kann und will sie nicht aufhalten. Meine Lippen pressen sich auf das Bild. Mit jedem Tag, der vergeht, verblasst die Erinnerung an ihn ein bisschen mehr. Sein Lachen, sein Geruch, seine Stimme … bald werde ich ihn nicht mehr hören oder riechen können.
Die Tür zu meinem Zimmer öffnet sich leise. Stumm reicht meine Mutter mir einen Becher mit heißer Schokolade. Auch wenn mir gar nicht danach ist, muss ich lächeln. Mama glaubt tatsächlich daran, dass Kakao immer hilft. Es ist ihr Mittel gegen alles. Seltsamerweise stimmt das in gewissem Maß sogar. Ich nehme den Becher und nippe daran.
„Du musst dir endlich helfen lassen, Josh. Bitte. Ich weiß, dass es für dich nicht einfach ist. Aber ich will dich nicht auch noch verlieren.“
Es ist unfair von ihr, aber ich kann sie verstehen. Mir fehlt Aaron auch. Schließlich war er mein kleiner Bruder und wenn ich es könnte, würde ich ihn zurückholen. Der betrunkene Idiot, der ihn vor sechs Jahren über den Haufen gefahren hat und einfach abgehauen ist, hat seine Strafe schon abgesessen und ist wieder bei seiner Familie. Mein kleiner Bruder wird nie mehr bei uns sein. Er durfte gerade sechzehn Jahre alt werden. Der Unfall hat die Ehe meiner Eltern endgültig scheitern lassen. Wenig später haben sie sich getrennt und meine Mutter ist wieder nach Deutschland zurückgezogen. Ich bin zur Army gegangen und wollte die Welt ein bisschen besser machen. Als ich Alex kennenlernte, schien meine Welt perfekt zu sein.
„Bitte, Josh!“
Meine Mutter schluchzt. Ihre Verzweiflung ist spürbar und ich hasse mich selbst dafür. Sie nimmt mich in den Arm und hält mich fest. Meine Finger krallen sich um den warmen Becher. Sie zittern. Ich lehne mich an die Brust meiner Mutter und atme ihren Duft ein. So lange ich denken kann, bedeutete dieser Geruch Geborgenheit für mich. Sie streicht mir beruhigend über den Rücken und küsst mich auf die Schläfe. Seit drei Monaten lebe ich hier bei ihr und habe sie bisher immer von mir gestoßen, wenn sie versucht hat, mich zu berühren. Warum nur? Es tut gut, gehalten zu werden.
„Du bist das Einzige, was mir geblieben ist“, sagt meine Mutter leise. „Du musst dir helfen lassen, Josh.“ Zum ersten Mal, seit ich bei ihr bin, dringt sie zu mir durch. „Ich kann verstehen, dass es dir schlecht geht, aber es gibt Menschen, die dir helfen können. Es wird deinen Alex nicht wieder lebendig machen, aber auch dein Freund wird nicht wollen, dass du dein Leben wegwirfst. Du bist am Leben und jung genug, um neu anzufangen. Du wirst eine neue Liebe finden und …“
„Shut up, Mom!“ Ich brülle sie an, obwohl ich weiß, dass sie recht hat … weil ich es weiß. Alex hat mich geliebt und er hätte nicht gewollt, dass ich mich so gehen lasse. Meine Mutter zuckt zusammen und mir tut es sofort leid, dass ich geschrien habe. Sanft schiebe ich sie von mir. „Sorry, Mama.“ Ich stehe auf und ziehe sie an mich heran. Einen Moment stehen wir einfach nur da und halten uns gegenseitig.
„Lass uns in die Küche gehen, Großer“, sagt meine Mutter schließlich. Sie hat als Erste ihre Fassung wiedergefunden. An Schlaf können wir wohl beide nicht mehr denken. Ich mache uns Frühstück und wir überlegen, was wir machen können.“
Ich sitze am Tisch, während meine Mutter geschäftig hin und her huscht. Es wird draußen schon hell, als wir schließlich zusammen sitzen. Verstohlen schiebt sie mir einen Zettel zu. Ich habe gar nicht mitbekommen, woher sie den hat.
„Ich habe mich erkundigt. Diese beiden Psychologen sollen sehr erfahren sein im Umgang mit Posttraumatischem Stresssyndrom. Sie können nicht ungeschehen machen, was dir passiert ist, aber vielleicht helfen, damit zu leben.“
Ich nicke und schaue mir die Namen an. Einer davon kommt mir sogar bekannt vor. Mein ehemaliger Chef hat ihn mir genannt, als er erfahren hat, dass ich nach Deutschland gehen will. Damals habe ich ihn nur verspottet. Mir war klar, dass ich niemals zu einem Psychodoc gehen werde. Niemand kann mich vergessen lassen und keiner kann mir Alex wiedergeben. Es gibt nur wenige Menschen, die wissen, was ich an diesem Tag im Krieg tatsächlich verloren habe und ich habe nicht vor, seinen Namen nachträglich zu beschmutzen. Im Gegensatz zu meinen Eltern wusste seine Familie nicht einmal, dass er schwul war. Wir wollten es ihnen nach unserem Einsatz erzählen, doch dazu kam es nicht mehr.
„Ich rufe nachher an“, verspreche ich. Es ist seltsam, aber ich fühle mich tatsächlich ein wenig erleichtert. Das Lächeln meiner Mutter belohnt mich für meine Worte. „Tu das, mein Junge. Ich bin stolz auf dich.“
Unschlüssig stehe ich vor dem weiß gestrichenen Gartenzaun. Zweimal bin ich schon vorbeigelaufen und habe versucht, in das Haus zu schauen. Gesehen habe ich nichts. Nach einem tiefen Atemzug nehme ich die Hand aus der Hosentasche und drücke den Klingelknopf.
Es dauert eine Weile, bis das Tor mit einem Summen aufgeht. Meine Schritte auf dem Kiesweg knirschen. Die dunkle Holztür zum Haus öffnet sich. Der Mann, der im Türrahmen erscheint, ist viel jünger, als ich es erwartet habe. Ich schätze ihn auf Anfang bis Mitte Dreißig. Er lächelt mich an und tritt einen Schritt zur Seite, um mich ins Haus zu lassen.
„Joshua Baldwin“, stelle ich mich vor.
„Ben Jenner“, antwortet er und schüttelt meine Hand. Sein Händedruck ist fest und sein Blick offen und interessiert. „Komm herein. Wir fangen gleich an.“
Er geht voraus. Unwillkürlich geht mein Blick zu seinem Hintern. Klein und fest in einer engen Jeans. Verwirrt hebe ich meinen Blick wieder hoch. Es ist ein Reflex, den ich nie ganz abschalten konnte. Alex hat mich oft genug damit aufgezogen, dass ich irgendwelchen Kerlen auf den Hintern gestarrt habe. Dabei habe ich damals wahrlich kein Interesse für andere Typen gehabt, weil ich mit dem besten von allen schon zusammen war.
„Hier hinein.“
Der Raum, den ich betrete, sieht völlig anders aus als erwartet, groß und freundlich, mit zwei bequemen Sesseln, die sich gegenüber stehen. In einer Ecke ist ein großer, aufgeräumter Schreibtisch, auf dem nur ein geschlossener Laptop steht.
„Nimm Platz. Du kannst dir aussuchen, wo es dir besser gefällt. Der Blick auf den Garten ist sehr schön, aber manche mögen es lieber, die Wand vor Augen zu haben.“