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Jette hat für ihren Sohn Piet den Traum vom eigenen Café auf Eis gelegt. Stattdessen muss der Job bei einer Event-Agentur nicht nur sie und Piet, sondern auch Jettes Vater durchbringen. So täuscht die Idylle auf dem Hausboot der drei im Hamburger Hafen, denn die Reederei der Familie trudelt langsam aber sicher der Insolvenz entgegen. Und dann ist da auch noch Mats, in dessen Nähe die Schmetterlinge in Jettes Bauch plötzlich eine ausgelassene Reeperbahn-Party feiern.
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Seitenzahl: 378
Das Buch
Jette hat für ihren Sohn den großen Traum von einem mobilen Café aufgegeben. Stattdessen lebt sie zusammen mit Piet und ihrem Vater auf einem Hausboot im Hamburger Hafen und arbeitet für die verhasste Chefin einer Event-Agentur. Der Job bringt nicht nur sie und Piet durch, sondern hält auch ihren Vater über Wasser, dessen Reederei für Ausflugsbarkassen an den Landungsbrücken der Insolvenz entgegentrudelt.
Standhaft weigert er sich das Familienunternehmen aufzugeben und wird dabei nicht nur von seinem ankerverrückten Enkel ermutigt, sondern auch von Mats. Ein hoffnungsloser Idealist, bester Freund von Jettes Bruders und ihr Jugendschwarm. Mats erinnert sie an eine Zeit, als noch alles möglich schien. Aber dann traf sie Piets Vater, der längst über alle Berge ist. Seitdem sind Vernunft und ein kühler Kopf angesagt. Die Gefühle für Mats lassen sich jedoch nicht abschütteln. Als Herz und Verstand sich das erste Mal seit Jahren einig sind, bleibt nur die Frage, ob Jette sich am Ende trauen wird, ins kalte Wasser zu springen und um ihre Liebe zu kämpfen?
Eine Geschichte, die von innen wärmt, während draußen der Hamburger Nieselregen fällt
Die Autorin
Leonie Lastella wurde in Lübeck geboren und lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf nordwestlich von Hamburg. Ihre Werke wurden unter anderem von der DELIA, der Vereinigung deutschsprachiger Liebesromanautorinnen ausgezeichnet. Autorin sein bedeutet für sie, mehrere Leben führen zu können und die Leser*innen mit ihren Worten zu berühren.
LEONIE LASTELLA
Anker
Liebe
ROMAN
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Originalausgabe 1/2022
Copyright © 2022 by Diana Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Cathérine Fischer
Umschlaggestaltung: Favoritbüro GbR, München
Umschlagmotiv: © Shutterstock.com
(A__N; Gabriyel Onat; Foxys Graphic; Liliya Sudakova)
Satz: Satzbau Leingärtner, Nabburg
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-641-28281-3V001
www.diana-verlag.de
Für die Ahoi-Sager und die Küstenkinder. Die Franzbrötchen-Vernichter und Ankerliebhaber. Und für alle, die Elbwasser in den Adern tragen. Bleibt, wie ihr seid.
1
Das Wasser gluckste besänftigend gegen den Rumpf der Fleetenkieker. Ich liebte jeden Zentimeter unseres Hausbootes, aber am glücklichsten machte mich das Geräusch von Wasser, das uns und unser Leben umgab.
Vor fast sechs Jahren war ich hierhergezogen, nachdem ich mich von Hannes getrennt hatte. Na ja, eigentlich hatte er sich von mir getrennt und zwar, um nach Goa abzuhauen, Party zu machen und die freie Liebe zu zelebrieren. Letzteres war zwar nur eine Vermutung von mir, aber ich stellte mir sehr bildlich vor, wie er bekifft herumtanzte und dabei einer fremden Schönheit ›Du bist derbe schön‹ ins Ohr säuselte. Das konnte er ziemlich gut, einem sagen, dass man derbe toll war, nur um dann zu verschwinden.
Ich blinzelte das verstörende Bild von ihm, seinen aschblonden Haaren und den nordseeblauen Augen fort, die Miss Indien zuzwinkerten. Dafür hatte ich gerade echt keine Zeit. Ich war so was von zu spät dran.
Eigentlich war ich absolut kein Auf-den-letzten-Drücker-Mensch, eher die Spießig-zu-pünktlich-Variante, aber auch das hatte sich in den letzten sechs Jahren wie so vieles verändert.
Ich gab es auf, in dem Schrank meiner Kajüte nach etwas zum Anziehen zu suchen, was den gedeckte Farben-Modeansprüchen meiner Chefin genügen würde und schlüpfte stattdessen in eine ärmellose Bluse mit kleinen Segelbooten drauf, die gut zu meinem marineblauen Rock passte. Angewidert starrte ich die High Heels an, die neben meinen Chucks und den Ballerinas ganz unten im Schrank standen und seit Neuestem zum Dresscode im Büro gehörten. Zumindest wenn ich keinen Ärger provozieren wollte.
Der Abnutzungsgrad ließ keine Zweifel daran, welche Schuhe ich öfter trug. Seufzend schnappte ich mir die unbequemen Botten und ging damit in den Wohnraum der Fleetenkieker, der gleichzeitig als Wohnzimmer, Küche und Büro für meinen Vater Johan diente.
Der stand an der Küchenzeile, füllte Müsli in drei Schüsseln und ertränkte den Inhalt in Milch.
»Moin«, begrüßte ich ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Seine weißen Haare standen wirr vom Kopf ab und verliehen ihm das Aussehen eines zerzausten Käpt’n Iglu. Das Bild wurde von einem schlichten weißen Unterhemd und einer Hose mit historisch anmutenden Hosenträgern komplettiert. Seitdem ich denken konnte, gehörten diese Shabby-Chic-Teile zu jedem von Paps’ Outfits. Ob er wusste, dass er damit modisch gerade wieder absolut hip war?
Er kommentierte meine Begrüßung und den Kuss lediglich mit einem wohlwollenden Brummeln. Paps war morgens genauso wortkarg wie ich.
»Du isst Müsli?«, erkundigte ich mich und äugte vorsichtig über seine Schulter. In der Regel hielt er alles, was gesünder war als ein warmes, nach Zimt und geschmolzener Butter duftendes Franzbrötchen am Morgen für die Ausgeburt des Bösen und beharrte auf dieser Tradition im Hause Adams, wie es sich für ein echtes Hamburger Urgestein gehörte.
Er zuckte mit den Schultern und starrte bekümmert auf den Inhalt seiner Schüssel, bevor er sich damit an den Küchentisch setzte. Ich liebte die Riefen in der schweren Massivholzplatte. Das Möbel hatte früher schon in unserer Wohnung gestanden und war eines der wenigen Stücke, die aus meiner Kindheit in Eidelstedt auf das Hausboot am Sandtorkai umgezogen waren. Den Rest hatte Paps dem privaten Hilfsprojekt Mook wat gespendet. Vor allem wohl, um damit nicht ständig an Mama erinnert zu werden.
»Der Lüdde hat mich so lang vollgesabbelt, bis ich ihm versprochen hab, ich würd es zumindest probieren.« Er guckte unglücklich zwischen seiner Schüssel und der Filiale von Dat Backhus hin und her, die man hinter den Magellan-Terrassen erahnen konnte. Mit dem matschigen Inhalt der Frühstücksschüssel vor der Nase war diese Aussicht überaus verlockend. »Die machen da so’n Projekt im Kindergarten über gesunden Fraß.« Er verdrehte die Augen. »Sollen die da nich einfach spielen, die Lüdden?«
Wahrscheinlich war wieder eine der Übermütter auf die Idee gekommen, das Rad neu zu erfinden und die Ernährung der gesamten Hamburger Bevölkerung umzukrempeln. Oder zumindest derer, die Kinder im Kindergartenalter hatten. Apropos.
»Piet!«, rief ich in Richtung Bug, wo mein Sohn die größte Kajüte der Fleetenkieker bewohnte und in ein wildes Chaos aus Dinosauriern, Legosteinen und Schiffen in jeder erdenklichen Größe und Ausfertigung verwandelt hatte.
Ich hatte längst aufgegeben seine ganz eigene Ordnung zu bezwingen. Seinen Ausdruck kindlicher Kreativität. Verzweifelt warf ich einen Blick auf die Uhr. »Piiieeet«, brüllte ich jetzt, und tatsächlich tauchte erst ein blonder Haarschopf und wenig später der Rest meines Sohnes auf. Allerdings war er noch immer in Unterhose, die natürlich einen Anker trug. So wie alles, was er anzog. Als Teenager hatte es eine Zeit gegeben, da hatte ich genauso für Anker geschwärmt, wie er es heute tat. Allerdings war mein Grund dafür nicht, dass ich Seefahrerin werden wollte, sondern ein absolut dämlicher Anfall von Verknalltsein. Ich hatte sogar einen Anker auf eine öde graue Hafenmauer gesprayt und wäre fast von der Polizei erwischt worden. Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder an Piet.
»Piet, wieso bist du nicht angezogen? Wir müssen los. Frau Drachler wartet.« Sollte ich zu spät kommen, würde meine Chefin mich köpfen.
Sein Blick fiel auf meine Müslischüssel, in der unappetitlich drei Rosinen auf der Milchpampe schwammen. »Du hast noch nicht gefrühstückt. Aber Frau Heller sagt immer, das ist die wichtigste Mahlzeit am Tag. Die darf man nicht ausfallen lassen. Nicht mal für olle Drachen.«
»Sie heißt Frau Drachler, nicht Drache und deine Kindergärtnerin hat recht, Frühstück ist sehr wichtig.« Ich schob mir einen Löffel voll Müsli in den Mund und stockte. Das war echt widerlich. Piet musterte mich mit Argusaugen, also unterdrückte ich den Impuls, das Essen in den Ausguss zu spucken, und schluckte brav alles hinunter. Was aßen wir da eigentlich. »Gluten- und zuckerfrei«, las ich von der Müsliverpackung ab. »Lecker.« Ich lächelte gezwungen und fügte in Gedanken ein dickes Bäh und ein Geschmacksfrei hinzu. Dann beugte ich mich zu Piet hinunter und drückte ihm einen Kuss auf die glatten Haare. »Warum bist du noch nicht angezogen, Kurzer?«, wiederholte ich meine Frage von gerade eben.
Er runzelte die Stirn, als würde er ernstlich an meinen mütterlichen Fähigkeiten zweifeln, weil ich das nicht längst erkannt hatte. »Du hast mein gestreiftes Ankershirt nicht gewaschen«, klärte er mich dann auf und fuhr dabei über die Segelboote auf meiner Bluse. Zwei von ihnen verband er mit einer Milchspur. Mist. Ich tupfte mit einem Geschirrtuch erfolglos auf dem Fleck herum. Zeit zum Umziehen war nicht mehr. Immerhin musste ich noch eine Ankershirt-Katastrophe abwenden. Frau Drachler würde mich wohl mit einem winzigen Fleck auf der Bluse ertragen müssen.
»Janne sagt, Franzbrötchen sind Schlappmacher.«
Während ich in Gedanken gewesen war, waren wir wieder beim Thema Ernährung gelandet. Eigentlich mochte ich Piets Erzieherin, aber etwas gegen Franzbrötchen zu haben grenzte an Blasphemie. Außerdem wäre es mir lieber, Piet würde sich mit demselben Enthusiasmus, mit dem er die Weisheiten von Janne nachplapperte, dem Anziehen widmen und endlich vom Schiff kommen. Das Büro war nicht weit entfernt. Wenn ich Frau Drachler nicht noch diesen verdammten Soja Latte bei Starbucks besorgen müsste, würde ich es sogar rechtzeitig schaffen. Nachdem sie Ellie gefeuert hatte, gehörte das Besorgen ihrer täglichen Koffeinration ab heute zu meinen Aufgaben. Natürlich durfte es kein stinknormaler Kaffee von einem der Läden auf dem Weg sein. Sie bestand hartnäckig darauf, er müsste von Starbucks sein. Also würde ich wohl oder übel erst in die entgegengesetzte Richtung hetzen und dann den ganzen Weg zurück am Fleetenkieker vorbei und in die Speicherstadt radeln. Für einen bescheuerten Latte macchiato, der den Namen gar nicht verdiente, weil er wie Piets Müsli ohne alles auskommen musste, was schmeckte. Ich verdrehte die Augen und widmete mich den derzeit aktuelleren Problemen.
Nämlich einem Fünfjährigen in Unterhose, den ich so schlecht zum Kindergarten schleppen konnte. Dann würden nämlich sämtliche Übermütter einen Kollaps erleiden und mich zu einem Workshop für Bio-Fairtrade-Chakra-Erziehung zwangsverdonnern. Oder sie warfen mich und Piet gleich ganz aus dem Kindergarten. Und das wäre bei dem derzeitigen Mangel an Kindergartenplätzen in Hamburg der absolute Supergau.
»Du hast doch dieses tolle graue Shirt mit dem Glitzeranker drauf«, versuchte ich es.
Piet überlegte kurz und schüttelte dann seelenruhig den Kopf. »Das ist voll babymäßig.«
Herrgott, er war doch erst fünf. Er war ein Baby. Mein Baby. Das hielt mich wohl auch davon ab, ihn einfach in das vermeintliche Baby-Shirt zu stopfen. Stattdessen strich ich ihm seufzend über den Kopf. »Du isst dein Müsli, und ich suche ein nicht babymäßiges Oberteil für dich raus, alles klar, Herr von Utrecht?« Piets absolutes Idol war nicht, wie für viele Fünfjährige, Störtebeker, der gefürchtete Hamburger Pirat, sondern sein Gegner Simon von Utrecht, der die Seefahrerflotten und Handelsschiffe beschützt hatte. Manchmal fragte ich mich, wie viel er von den finanziellen Schwierigkeiten unserer Ausflugs-Reederei mitbekam, wenn er so sehr darauf bedacht war, wie sein Idol Paps’ Flotte zu beschützen. Vor dessen größtem Konkurrenten Bengt Kristoffersen, der schlimmer war als jeder plündernde Pirat. Vielleicht waren Piets Rollenspiele aber auch wirklich ganz harmlos und er einfach nur ein echter Seefahrer. Ich wünschte es mir so sehr.
Er nickte ernst. »Okay.«
Ich vergewisserte mich, dass er aß, eilte in sein Zimmer und stolperte in meinen bescheuerten Schuhen über einige Legosteine. Um ein Haar brach ich mir dabei die Gräten. Immerhin hatte ich Erfolg und kam wenig später mit dem Zwilling des blau gestreiften Ankershirts zurück in den Wohnbereich.
»Rot-weiß gestreift. Selber Anker. Und keine Diskussion mehr. Ich muss los, sonst gibt es demnächst nichts mehr mit ’nem Anker drauf, weil ich arbeitslos und verarmt bin und wir unter einer Brücke hausen.«
»Wir wohnen schon unter einer Brücke«, stellte Piet blitzschnell fest und grinste. Ich verkniff mir ein Lachen und sah ihn streng an, obwohl es mir unendlich schwerfiel. Er hatte recht, der Liegeplatz der Fleetenkieker lag direkt am Ende einer Brücke, die von der Kaimauer auf den Ponton führte.
»Okay.« Piet nickte gnädig, stellte sich auf den Stuhl und sang herrlich schief, aber dafür wenigstens anständig laut Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, während ich ihn in eine Shorts und das in Gnade gefallene Shirt steckte. Dann stellte ich ihn auf den Boden und wollte ihn schon hinter mir herziehen, als Paps mir seine Hand auf die Schultern legte.
»Las ma stecken, min süßen Zitronenjettchen«, sagte er und hob Piet hoch. Etwas, was mein Sohn nicht mehr allzu oft zuließ. »Ich bring den Lüdden mal in diesen verschrobenen Kindergarten. Du siehst schon wieder so gehetzt aus. Spät dran, wa?«
Ich verzichtete darauf, ihn daran zu erinnern, dass ich es hasste, Zitronenjette genannt zu werden. Die ewig arbeitsame Jette, die Zeit ihres Lebens kein Glück erlebte, hatte nichts mit mir zu tun. Ich hatte Glück. Jede Menge sogar. »Ich bin wirklich total spät dran«, bestätigte ich. »Danke, Paps, ich mach es wieder gut.«
»Brauchste nicht, min Deern. Das passt schon.« Er grinste breit, und ich hatte den Verdacht, dass er darauf spekulierte, auf dem Rückweg vom Kindergarten noch eine Zwischenstation im Backhus zu machen und sich für das biologisch einwandfreie Frühstück mit Franzbrötchen zu belohnen.
»Trotzdem danke.« Ich bückte mich zu Piet hinunter. »Also, Opa bringt dich in den Kindergarten, und Onkel Joris holt dich später ab. Alles klar?« Als er nickte, überprüfte ich noch mal sein Gesamtbild und wischte ihm die Reste eines zuckersüßen Milchbarts weg. »Tschüss, mein Großer.«
Er ertrug tapfer eine Salve Küsse von mir und wischte sie sich demonstrativ weg, noch bevor ich auf meinen High Heels die Treppe an Deck hinaufstolpern und von Bord klettern konnte.
2
Nur fünf Minuten später erreichte ich völlig aus der Puste die nächste Starbucks-Filiale. Ich mochte weder den Einheitslook dieser Kette noch die überteuerten Preise oder die durchweg hippen Menschen, die sich im Inneren drängelten. So viele Menschen. Als würden sämtliche Yuppies Hamburgs heute Morgen hier ihren Kaffee holen. Das war der Grund, warum ich nie, wirklich nie, in diese Läden ging. Ich liebte kleine Cafés mit Ambiente, wo Kuchen so aussahen, als würden sie mit der Hand und viel Liebe gefertigt. Und nicht designt.
Aber für Frau Drachler brach ich natürlich gern mit dieser Regel. Ich biss die Zähne zusammen und reihte mich ein in die Schlange aus Hipstern mit Bart, Hornbrille und dem obligatorischen Tattoo, das unter dem hochgekrempelten Anzughemd hervorlugte. Mit dem Handrücken wischte ich mir den Schweiß von der Stirn, und ein Blick auf meine Uhr verriet, dass ich mich bereits fünfzehn Minuten hinter dem Zeitplan befand. Dabei hatte ich mich wirklich beeilt, für die Mütter aller Drachen quer durch Hamburg zu radeln.
Rici, meine beste Freundin, wäre stolz auf mich. Schon seit Monaten versuchte sie, mich mit ihrer Sucht nach Games of Thrones anzustecken, aber mir war das alles zu blutrünstig und kompliziert. Dass es eine Mutter der Drachen gab, die ihre Feinde unterjochte und sie zur Not ihren Haustierchen zum Fraß vorwarf, hatte ich mir allerdings gemerkt, und ich fand den Vergleich zu Frau Drachler sehr passend.
»Herzlich willkommen bei Starbucks, was kann ich für dich tun?«, fragte mich in diesem Moment eine überfreundliche Mitarbeiterin. Irgendwer hatte sie in eine kackbraune Uniform gequetscht, nur um ihr dann eine ockerfarbene Schürze um die Mitte zu wickeln. Sie sah aus wie eine von Ricis Datteln im Speckmantel, die sie beim letzten Mal zum Grillen am Elbstrand mitgebracht hatte. Dabei war die Bedienung trotz des unsäglichen Outfits wirklich süß. Sie hatte ein Lächeln, das einem gute Laune machte, was zu dieser Uhrzeit eine echte Leistung war. Zumindest bei mir.
»Moin, ich hätte gern einen zuckerfreien Soja Latte«, sagte ich und erwiderte ihr Lächeln. Ein weiterer Blick auf die Uhr bestätigte meine Befürchtungen. Mehr als zwanzig Minuten. Wenn Frau Drachler mir nicht einen ihrer Drachen schickte, würde ich hoffnungslos zu spät kommen. Vermutlich mit einem nicht mehr ganz heißen Latte.
»Welche Größe? Tall, Grande oder Venti?«, fragte die Bedienung fröhlich.
Verdammt, was hatte Ellie noch mal gesagt? »Egal, einfach irgendeine«, sagte ich und blickte unschlüssig zwischen den Bechergrößen hin und her. Einer der Yuppies hinter mir verlor die Geduld.
»Meine Güte, Mädchen, jetzt entscheide dich halt mal. Es gibt Menschen, die müssen zur Arbeit.«
Ich sah ihn wütend an. Ich wettete, der hatte keine Frau Drachler im Büro sitzen, der er zwanzig Minuten Verspätung und eine womöglich falsche Kaffeegröße erklären musste. Mein Hirn war schon immer Meister darin gewesen, Dinge, die ich nicht leiden konnte, in ein schwarzes Loch zu schubsen. Und dazu gehörte wohl auch die Kaffeegröße meiner Chefin, die Ellie mir versucht hatte einzubläuen, bevor sie die Agentur gestern verlassen hatte. »Machen Sie einfach einen Venti.« Demonstrativ siezte ich die noch immer lächelnde Dattel im Speckmantel.
»Du willst also einen Venti Soja Latte ohne Zucker?« Sie blieb ungerührt beim Du und hielt einen Pappbecher in die Höhe.
Ich nickte lahm und sah, wie sie einen Stift zückte und mich erwartungsvoll anstarrte.
»Sag mal, haste bis jetzt hinterm Mond gelebt, Mädchen?« Der Typ hinter mir schon wieder. »Wer weiß denn bitte nicht, dass er in dem Laden hier den Namen angeben muss?«
Ich. Weil ich nie hier einkaufte. Ich wollte einen Kaffee und keine Freunde finden.
Eigentlich erlaubte es mir meine Zeit nicht, auf Prinzipien herumzureiten, aber ich konnte auch nicht einfach über meinen Schatten springen. »Ich bleibe sowieso hier am Tresen stehen, dann brauchen Sie meinen Namen nicht«, wandte ich mich an die Mitarbeiterin und ignorierte den Kerl hinter mir.
»Biste so eine Weltverbesserin, die gegen Facebook und Co. und Datensharing im Allgemeinen ist, oder was? Aus Prinzip gegen alles?« Er gab nicht auf und schüttelte genervt den Kopf. »Die wollen nur deinen Namen wissen, Mädchen, nicht deine Schlüppergröße. Damit sie dich ausrufen können, wenn der Kaffee fertig ist«, erklärte er mir so langsam und deutlich, als wäre ich minderbemittelt.
»Danke für die Erklärung, ohne Sie wären meine Schlüpper und ich aufgeschmissen gewesen.«
Er sah aus, als würde er Frau Drachler am liebsten die Arbeit abnehmen und mich vierteilen.
»Also, für wen ist der Kaffee jetzt?«, schaltete sich die Dattel wieder ein.
»Für die Mutter aller Drachen, die Khaleesi und Königin der sieben Königslande«, sagte ich genervt. Das war nicht mal gelogen. Immerhin nannte selbst Piet meine Chefin Drache, und damit war er nicht allein. Die Mehrheit der Belegschaft hatte diesen Witz schon gerissen. Und das aus gutem Grund. »Tut mir leid.« Das arme Mädel hinter dem Tresen konnte wirklich nichts für meine Chefin, die Richtlinien ihres Arbeitgebers oder den nervtötenden Yuppie. »Frau Drachler. Der Kaffee ist für Frau Drachler«, murmelte ich.
Die Mitarbeiterin notierte es, und endlich ging es weiter. Der Yuppie gab sein Gemotze trotzdem erst auf, als ich ihm einen hollywoodreifen und der Drachenmutter alle Ehre machenden Todesblick zuwarf. Die süße Mitarbeiterin mit der schrecklichen Uniform rief einer Kollegin meine Bestellung zu, schob ihr den Pappbecher hin und kassierte. In Rekordzeit hielt ich den Latte in der Hand und trat wieder auf die belebte Straße der Hamburger Innenstadt. Genau in dem Moment, als ein Wie-bei-Muttern-Caféwagen an mir vorbeidüste. Franzi, meine ehemalige Kommilitonin und Partnerin in Crime, als wir die Idee zu den Wie-bei-Muttern-Caféwagen entworfen hatten, hatte es geschafft. Über die Jahre waren immer mehr Wagen zu ihrer Flotte hinzugekommen und rollten nun in fröhlichem Pink über Hamburgs Straßen. Die Mitarbeiter trugen bunte Schürzen im Sechzigerjahrestil und waren nach dem kackbraunen Outfit der armen Dattel im Speckmantel eine Wohltat für die Augen.
Es war müßig, darüber nachzudenken, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht schwanger geworden und jetzt Miteignerin der mobilen Cafés wäre. Ich liebte Piet tausendmal mehr als jedes rollende Café dieser Stadt. Aber an einem Morgen wie diesem versetzte es mir einen zusätzlichen Stich, mit Frau Drachler anstatt meines Traums leben zu müssen. Ich atmete tief durch, verscheuchte die trüben Gedanken und raste wenig später mit dem Becher, der einsam in einem Vierer-Pappbehälter steckte, auf meinem alten Hollandrad in Richtung Speicherstadt. Wenig später erreichte ich den umgebauten Zuckerkontor, in dem die Eventfirma Nord Event ihren Sitz hatte, und eilte die Treppe hinauf.
Normalerweise störte es mich nicht, dass es hier keinen Aufzug gab. Dafür liebte ich die alten Gebäude der Speicherstadt und die Nähe zu Hafen und Wasser viel zu sehr. Ein eindeutiger Pluspunkt meines Jobs war das Gebäude, in dem ich ihn ausführen durfte. Heute aber wäre ein Aufzug toll gewesen. Dann hätte ich vielleicht nicht wie Störtebeker nach seiner Hinrichtung auf dem Grasbrook ausgesehen, als ich die Firmenräume endlich betrat. Hanna zog bei meinem Anblick den Kopf ein und deutete auf das Büro von Frau Drachler. »Sie erwartet dich schon«, wisperte meine Kollegin. Was in etwa so viel bedeutete wie, sie steht in den Startlöchern, um dich zu köpfen.
Ich atmete tief durch und schob die Tür auf, hinter der sich Frau Drachlers lichtdurchflutetes Büro erstreckte. Der Giebel des ehemaligen Speichers war in Glas gehalten und gab den Blick auf den Fleet und die gegenüberliegenden Speicher frei.
»Frau Adams, schön, dass Sie es auch noch einrichten konnten«, bemerkte meine Chefin mit geschürzten Lippen.
»Entschuldigen Sie die Verspätung.« Ich hasste diese Frau, aber es reichte, mich daran zu erinnern, wie Ellie sich erst gestern von mir verabschiedet und ihren Karton mit den wenigen Habseligkeiten vom Schreibtisch die Treppe hinuntergetragen hatte, um mir einen Kommentar zu verkneifen. Paps’ Sturkopf hatte uns in eine Lage gebracht, die es mir nicht erlaubte, Frau Drachler einen Grund zu geben, aus mir die nächste Ellie zu machen. Seine winzige Reederei für Ausflugsbarkassen an den Landungsbrücken brachte schon seit Monaten nicht mehr genug ein, um sich selbst zu tragen, geschweige denn etwas abzuwerfen und Paps und meinen Bruder Joris ernähren zu können. Trotzdem ließ mein Vater nicht mit sich reden, die Schiffe aufzugeben. Und Joris war genauso stur wie er. Deswegen musste ich mich unbedingt wieder auf Frau Drachler konzentrieren, die pikiert meine Garderobe musterte und nach dem Latte verlangte.
»Zuckerfreier Soja Latte«, sagte ich betont fröhlich und kam mir dabei vor wie die lächelnde Dattel im Speckmantel. Vielleicht hatte sie auch nur so gut gelaunt gewirkt, weil sie wie ich auf den Job angewiesen war, und ich hatte ihr das Leben zusätzlich zu all den Bart- und Anzugträgern schwergemacht. Urplötzlich überfiel mich ein schlechtes Gewissen.
»Frau Adams?« Frau Drachlers Stimme holte mich zurück, bevor ich einen Plan zur Rettung der Starbucks-Angestellten ausfeilen konnte. »Der Latte?« Sie streckte fordernd die Hand nach dem Getränk aus.
Ich befreite ihn aus der Vier-Raum-Wohnung, in der er gesteckt hatte, und verbarg den Papphalter hinter meinem Rücken, während ich Frau Drachler ihren Kaffee reichte.
Sie nippte daran und verzog das Gesicht. »Der ist kalt. Was haben Sie damit gemacht? Einen Einkaufsbummel?«
Unpassenderweise hörte ich Michel hinter der Tür lachen. Natürlich fand der es großartig, wenn Frau Drachler unzufrieden mit mir war. Seitdem er als Volontär bei Nord Event angefangen hatte, war er scharf auf meinen Job.
»Nein«, erwiderte ich etwas zeitverzögert. Kalt konnte der Kaffee nun wirklich nicht sein. Ich hatte die Strecke in Rekordzeit zurückgelegt. »Ich bin direkt von dort …« Ich brach ab. Was hatte es für einen Sinn, es ihr zu erklären.
»Und das Memo über den neuen Dresscode hier im Büro haben Sie wohl auch nicht gelesen?«
Ich schüttelte den Kopf. Was für ein Memo? Neuer Dresscode? Sofort erschien eine kackbraune Uniform vor meinem inneren Auge und eine ockerfarbene Schürze, die nicht gerade vorteilhaft aussehen würden. Ich war mir nicht sicher, ob ich noch lächeln könnte, wenn ich in so etwas gesteckt würde.
»Rock, Bluse.« Sie wedelte mit ihrer Hand, um mein Erscheinungsbild einzufangen. »Aber nicht so ein buntes Zeug, sondern schwarz. Schwarz ist das neue Grau, Frau Adams.«
Ich lief nun nicht gerade herum wie ein Papagei. Ein schlichter blauer Rock und dazu eine hellblaue ärmellose Bluse mit kleinen dezenten Segelschiffen darauf. Instinktiv fuhr ich die Milchbahn nach, die zwei der Segelboote verband. Piet gefiel die Bluse. So wie alles, das auch nur entfernt das Thema Schiffe streifte. »Ich werde es mir merken«, murmelte ich. Dass Frau Drachlers Vorliebe für schlichte Farblosigkeit zu einem offiziellen Dresscode geworden war, hatte ich tatsächlich nicht mitbekommen. Verzweifelt versuchte ich, mich mit dem Gedanken an Schwarz anzufreunden.
Das schrie nach einer Shoppingtour mit Rici, die aus jeder modischen Vorgabe etwas zu zaubern verstand. Ich würde sie schnellstmöglich fragen, wann ihr Schichtdienst in der Notaufnahme des Klinikums Sankt Georg eine ausgiebige Shoppingtour zuließ. Vermutlich würde ich wieder über tausend Dinge für Piet stolpern, einiges für mich kaufen, aber am Ende nicht ein schwarzes Teil in den Einkaufstaschen mit nach Hause bringen. Ich meine, wer trug schon freiwillig Schwarz? Das war eine so verdammt deprimierende Farbe. Ich besaß genau ein schwarzes Teil. Ein eng anliegendes Kleid, das züchtig genug war, um es zu offiziellen Anlässen wie Hochzeiten, Beerdigungen oder Empfängen zu tragen, das aber mit einigen Accessoires gepimpt echt heiß aussah und mir in den letzten fünf Jahren für die wenigen Dates als Outfit gedient hatte.
Ich wollte gerade gehen und mich dem Berg an Arbeit auf meinem Schreibtisch widmen, als sich Frau Drachler versteifte und scharf die Luft einsog. »Und was ist das bitte, Frau Adams?« Sie drehte den Pappbecher, und ich erstarrte.
Auf der Seite stand breit mit schwarzem Marker Für die Mutter aller Drachen. Daneben prangte eine wirklich kunstvolle Darstellung eines Feuer spuckenden Drachen mit Knopfaugen. Mir schoss das Blut in die Wangen. Das war also die Rache der zuckersüß lächelnden Starbucks-Mitarbeiterin für mein genervtes Auftreten. Karma is a Bitch.
»Ich weiß nicht …«, stammelte ich. »Vielleicht hat mich die Kaffeetante falsch verstanden.« Sehr überzeugend. Ich kapitulierte. Es war amtlich. Heute war ein absoluter Scheißtag, der es vermutlich in meine Top fünf schaffen würde.
Ich überlegte gerade, was ich sagen sollte, um Frau Drachler davon abzuhalten, tatsächlich zum Drachen zu mutieren. Da ertönten auf dem Fleet vor dem Büro die vinylkratzenden Klänge eines alten Schlagers über das Bordmikro einer Barkasse.
Ich schloss die Augen. Nicht auch das noch. Der Tag stieg in der Rangliste. Top drei. Mindestens. Zu den Orchesterklängen aus den Vierzigern mischte sich nun eine dunkle Männerstimme.
»Jette, ach Jette, für dich muss jeder Mann erblühn.«
Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken, aber das ging nicht. Die alten Speicher der Speicherstadt waren äußerst solide und hielten sogar Sturmfluten stand. Also auch Mats Jakobs, der unverdrossen Adalbert Lutter von der Platte mit seinem Gesang übertönte und die Touristen auf der Johan IIzum Mitklatschen animierte.
»Frau Adams, schon wieder?« Frau Drachler kniff die Augen zusammen und ging zum Fenster, um sich das Malheur genau anzusehen, das draußen vorbeischipperte. Ich erkannte Buddel, den kleinen, viel zu schlauen und immer hungrigen Jack Russel von Mats, der am Bug des Kahns stand und atonal zu dessen Gesang kläffte. Das Fell genauso braun wie das Glas einer Bierbuddel. »Ich habe Ihnen doch gesagt, das mit Ihrem Freund muss aufhören.«
»Er ist nur ein Bekannter«, sagte ich leise. Mehr nicht. Jedenfalls nicht, nachdem ich ihn für den kurzen Zeitraum meiner gesamten Jugend angehimmelt hatte. Aber das war lange her. Ein gefühltes Leben. Das war vor Hannes. Vor Piet. Und bevor er nach Bremerhaven abgehauen und dort mit einer Dummblimse nach der anderen zusammengekommen war und sich das mit uns so was von erledigt hatte. Er hatte mir das Herz gebrochen und es nicht einmal gemerkt. Seitdem war er nur noch der beste Freund und WG-Kumpel meines Bruders, Teil unserer gemeinsamen Clique. Ein Typ, der nicht auf Beziehungen stand, sodass er nie lange genug mit einer Frau zusammen war, dass wir sie kennenlernen konnten. Und gerade ein verdammter Idiot, der zusammen mit dem Drachen-Soja-Latte dazu führen könnte, dass mich meine Chefin auf Lebenszeit an den Kopierer verbannte.
»Tun Sie etwas dagegen, Frau Adams. Sofort!«
Wenn ich gewusst hätte, wie man bei Mats den Aus-Knopf fand, hätte ich den schon längst betätigt. Aber das sagte ich natürlich nicht, sondern nickte wie betäubt. Mats hatte es zu seinem Hobby auserkoren, mich zu ärgern. »Natürlich, Frau Drachler. Ich spreche mit ihm.« Und das würde null Effekt haben. Mats konnte so was von stur sein. Besonders wenn ihn irgendetwas amüsierte. Und mich mit so einer kindischen Aktion zu ärgern, belustigte ihn aufs Äußerste. Seit Jahren schon spielte er dieses blöde Lied, wann immer er mit einer Barkasse an meinem Büro vorbeifuhr.
»Das will ich hoffen, sonst lernt er mich und Viserion kennen. Und jetzt husch.«
Ich hatte keine Ahnung wer oder was Viserion war, machte aber, dass ich aus dem Büro kam, solange mich Frau Drachler noch nicht an den Kopierer abkommandiert hatte. Auf meiner Checkliste notierte ich, dass ich unbedingt Rici fragen musste, was Frau Drachler gemeint haben könnte. Ich nahm an, es hatte irgendetwas mit dieser Serie zu tun.
3
Mein Kopf dröhnte, und ich reckte den schmerzenden Nacken, als ich am späten Nachmittag Feierabend machte, auf die Straße trat und den typischen Hamburger Geruch nach Wasser und Hafen einatmete. Die Sonne stand so tief, dass sie ihr goldenes Licht zwischen die alten Backsteingebäude der Speicherstadt warf und das Wasser der Fleete und die schmiedeeisernen Brücken beleuchtete. Die Salpeterausblühungen der Mauern sahen in diesem Licht aus wie kleine Kunstwerke. Ich schob mein Rad am deutschen Zollmuseum und dem Spirituosum vorbei. Eine Hochzeitsgesellschaft genoss das abendliche Licht und den frischen Wind vor dem historischen Speicherboden. Hier fanden viele Feiern statt. Ich hatte selbst schon einige Male den Festsaal für Kunden gebucht und wusste um den einmaligen Ausblick auf Fleet und Speicherstadt, den man von dort hatte.
Ich bog nach links ab. Ein paar zeternde Möwen jagten vor mir den Kehrwiederfleet hinauf und begleiteten mich auf meinem Weg zum Sandtorkai, wo die Fleetenkieker lag. Joris und Mats hatten die alte Barkasse gemeinsam mit mir und Paps zu einem Hausboot umgebaut und eine Sondergenehmigung erwirkt, die es ihm ermöglichte, dauerhaft und in so unmittelbarer Nähe zum Hamburger Hafen auf dem Schiff zu leben. Nach Mas Tod konnte er einfach nicht länger in der alten Wohnung bleiben. Damals lebte ich noch mit Rici in einer WG unweit des Campus am Dammtor. Manchmal vermisste ich die chaotische kleine Wohnung und unsere Inga-Lindström-Fernsehabende mit jeder Menge Eis und selbst gebackenem Kuchen. Mir fehlte es, einfach über den Flur gehen zu können und mit meiner besten Freundin über Typen zu lästern oder über ätzende Chefinnen. Und ganz selten vermisste ich die Träume, die damals noch greifbar waren. Andererseits gab es nichts Schöneres, als auf einem Hausboot zu leben. Es gab nichts Besseres, als die Mutter von Piet zu sein, und ich hatte Familie und Freunde, die mein Leben bereicherten. Träume gaben nicht die Sicherheit, um all das zu schützen.
Schon von Weitem hörte ich das vertraute Klingen von Gläsern, Lachen und Stimmengewirr. Siedend heiß fiel mir ein, dass unsere Freunde Julian und Paul heute ihren Abschied mit uns feiern wollten. Sie würden das nächste Jahr auf Weltreise verbringen, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie wir ein ganzes Jahr ohne sie überleben sollten. Die kleine Gruppe saß auf dem Deck der Fleetenkieker. Allen voran mein Bruder Joris mit seiner neuen Freundin Sarah. Ich konnte noch nicht so genau einschätzen, wie ernst die Sache zwischen ihnen wirklich war, aber eines stand fest: Die beiden nervten Mats gehörig, weil sie ständig Sex hatten und dabei, so schockverknallt wie sie waren, keine Rücksicht auf ihn und die dünnen Wände der WG nahmen. Und alles, was Mats nervte, ließ mich lächeln. Allein deswegen war ich gewillt, Sarah eine Chance zu geben. Außerdem schien sie wirklich nett zu sein.
Rici saß neben den beiden, die Beine zum Schneidersitz verknotet, die langen dunklen Haare zu einem strengen Dutt zusammengebunden. Rici war verdammt hübsch, aber wirklich umwerfend an ihr waren ihre Intelligenz, Schlagfertigkeit und Stärke. Sie war Ärztin und rockte nicht nur ihren Job, sondern auch das Herz von so ziemlich jedem Mann, der sich auf sie einließ. Denn sie war nicht an etwas Festem interessiert. Sie war mit ihrer Karriere verheiratet und nur ihr treu.
Neben ihr saßen Paul und Julian, die aufgeregt von ihren Plänen berichteten, die sie nicht nur auf den typischen Routen durch Kanada, die USA, Südamerika und Australien führen würden, sondern auch durch Länder wie Island, Kambodscha, Sri Lanka oder an Orte wie das Nordkap und zu den Viktoria-Fällen. Das ganze Unterfangen versprach, aufregend zu werden, und ich wünschte, ich könnte mich und Piet einfach in ihr Handgepäck schmuggeln und diese einzigartige Erfahrung mit ihnen zusammen erleben.
Der letzte im Bunde war Mats, auf dessen Schoß Piet herumtobte. Wie selbstverständlich ließ er meinen Sohn an sich hochklettern, bis der Kurze eine Rolle machte und von vorn startete. Dabei unterhielt Mats sich mit den anderen, ohne Piet aus den Augen zu lassen. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus.
Piet fehlte vielleicht der Vater, aber er hatte nicht nur meinen Paps, Joris und mich, sondern auch meine Freunde und damit eine weitaus größere und vermutlich auch besser funktionierende Familie als viele andere Kinder.
Und Mats war nun mal ein Teil davon. Egal, wie sehr er mich manchmal zur Weißglut brachte, er liebte Piet. Das stimmte mich selbst nach seiner Gesangseinlage versöhnlich. Außerdem wollte ich mich vor meinem Sohn nicht kindisch benehmen und wegen dieser Sache ein Fass aufmachen.
Stattdessen zischte ich nach einem »Moin« an alle ein »du blöder Barde« in seine Richtung und erntete ein nicht besonders beeindrucktes »Hat es dir etwa nicht gefallen?«
Ich umarmte alle bis auf Mats und gab Piet einen Kuss auf den Kopf, aber er befand sich gerade an einer kniffligen Stelle bei der Besteigung Mats’, um dann in die Rolle überzugehen, und hatte keine Zeit zu reagieren. Ich ließ mich neben Rici fallen und stieß die Luft aus.
Mats widmete sich bereits wieder Julians Ausführungen über die schrecklichen Gören der Blankeneser Kita, in der er heute seinen letzten Tag gehabt hatte, und die ihn nun endlich nicht mehr in den Wahnsinn treiben konnten.
»Geht es wieder um Justus-Benedikt-mit-Bindestrich?«, erkundigte ich mich bei Rici. Sie nickte, gab sich mit einer unsichtbaren Waffe einen Kopfschuss. »Ihr geht doch nur auf Weltreise, damit Julian nicht wegen der Monster durchdreht«, sagte sie dann.
»Könnte schon sein«, bestätigte Julian und grinste breit.
Ich wollte Paul gerade nach einem Bier fragen, als mir Piet auf den Schoß sprang. Er hatte vorerst fertig gerollt und schlang seine Arme um meinen Hals. Ich atmete seinen unverwechselbaren Geruch nach unbekümmertem Toben, Kind und Sorglosigkeit ein.
»Du solltest vielleicht langfristig über eine Umschulung nachdenken«, gab Rici zu bedenken, dass eine Weltreise das Problem auch nur um zwölf Monate verschob.
»Willste ’n Störti?«, fragte Paul mich. Wie immer hatte er einen siebten Sinn dafür, was andere brauchten, und reichte mir ein Störtebeker Bier rüber. »Du siehst gestresst aus.«
Ich nickte und fläzte mich zusammen mit Piet und der Flasche auf die Lounge, die Joris und Mats aus Europaletten gebaut hatten. Über uns hingen Lichterketten, die wie die Windlichter an Deck und die bunt zusammengenähten Kissen mein Verdienst an dieser gemütlichen Chill-out-Area gewesen waren.
»Was’n los?«, erkundigte Paul sich, aber Julian grätschte dazwischen, bevor ich antworten und Mats outen konnte.
»Entschuldige mal, ich diskutiere gerade mit Rici potenziell lebensverändernde Entscheidungen.« Das untermalte er sehr deutlich mit seinen Händen und einem dazu passenden theatralischen Augenaufschlag. »Und du wechselst einfach das Thema. Schöner Lebensabschnittspartner bist du.« Wobei Julian das Wort Abschnitt besonders betonte und damit sehr deutlich machte, dass dieser Abschnitt sehr bald vorbei sein könnte, wenn Paul ihm nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass diese Kabbeleien zigmal am Tag stattfanden und der Beziehung noch nie geschadet hatten, würde ich mir Sorgen machen.
»Diva«, murmelte Rici und gab Julian einen Kuss auf die Schläfe, den er sich, wie Piet es immer tat, wegwischte.
Ich nippte an meinem Bier und strich meinem Sohn in winzigen Kreisen über den Rücken, während ich dem Gefrotzel meiner Freunde lauschte. Piet liebte das, und obwohl er sonst den ganzen Tag wie ein Flummi durch die Gegend hüpfte, saß er jetzt ganz ruhig und genoss die Nähe zu mir. Genau wie ich zu ihm.
»Du hast doch im Krankenhaus auch ständig mit so Irren zu tun, Rici?« Julian hatte das Thema überprivilegierte Rotznasen immer noch nicht beendet. »Wie gehst du denn damit um? Deine Patienten sind doch mindestens genauso schlimm wie Porsche fahrende Kleinkinder?«
Rici lachte. »Die Patienten sind Porsche fahrende Kleinkinder. Meistens landen sie bei mir, weil sie ihren Wagen um einen Pfeiler gewickelt haben.« Sie stellte ihre Flasche auf den Tisch und zwinkerte Julian zu. »Aber wenn ich sie sehe, schlafen sie alle schon ganz artig. Ich sag nur: Augen auf bei der Berufswahl.«
Ich wusste, dass Ricis Aussage nicht stimmte. Sie verbrachte nicht einmal die Hälfte ihrer Arbeitszeit im OP. Sie hatte sehr wohl mit Patienten zu tun, und sie war großartig darin, ihnen die Angst zu nehmen und sie aufzuheitern, aber sie liebte es eben, Julian zu foppen.
Der streckte ihr gerade die Zunge raus, und ich überlegte, ob ich einsteigen könnte, um Mats doch noch wegen seiner Singerei abzustrafen. Ich sah zu ihm hinüber. Er saß lässig auf der Paletten-Couch. Ein Bein hatte er halb angewinkelt und das andere darüber geschlagen. Seine braunen Haare waren verwuschelt. Die dunklen Augen blitzten vergnügt, und während er dem Wortgemetzel zwischen Rici und Julian zuhörte, lachte er auf diese spezielle Mats-Weise. Dunkel und leise. Ich wusste, das war seine Spezialwaffe, und sie war am effektivsten, wenn er sie wie jetzt nicht bewusst einsetzte. Zum Glück ließ mich das kalt. Er war der beste Freund und WG-Partner meines Bruders. Piets Vorbild. Wir waren Freunde. Zumindest solange er nicht unter meinem Bürofenster sang. Und das war’s.
»Ich sterbe übrigens gleich ganz offiziell den Hungertod«, beendete Rici circa eine Stunde später die Ausführungen Pauls über den Routenabschnitt in Südamerika, der traumhaft klang. Regenwälder, atemberaubende Strände und anspruchsvolle Klettertouren erwarteten die beiden. Wobei Paul wesentlich enthusiastischer war als Julian, was das Klettern anging.
»Gibt es denn überhaupt schon einen Plan für euren großen Abschiedsabend heute?«, fragte Mats. Es entbrannte sofort eine rege Diskussion darüber, ob der Abend gemütlich bei Wein und etwas zu essen auf dem Feuerschiff ausklingen oder doch lieber in unserer Stammkneipe der KorallBar für eine ausgiebige Kieztour vorgeglüht werden sollte.
Mats trank den letzten Schluck seines Biers aus und schnappte sich sämtliches Leergut vom Tisch, um es wegzuräumen. »Also, erst etwas futtern, dann in die KorallBar und danach auf den Kiez«, fasste er zusammen. Mit einem Klirren versenkte er die Bierflaschen im Kasten neben der metallenen Gangway und kam zurück zum Tisch.
»Klingt nach einem super Plan.« Rici sah aus, als würde sie sich am liebsten direkt ins Portugiesenviertel, dem Viertel mit der meisten gastronomischen Vielfalt ganz Hamburgs, beamen, um sich den Bauch vollzuschlagen.
»Wir stoßen erst später auf dem Kiez wieder zu euch.« Joris stand auf und deutete in Richtung Landungsbrücken. »Ich hab noch ’nen Dämmertörn mit der Johan I.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich texte euch später, damit wir wissen, wo wir euch treffen.« Sarah erhob sich ebenfalls, und ich war mir sicher, kleine Herzchen in ihren Augen zu sehen. Natürlich gab es für die beiden nichts Romantischeres als einen Dämmertörn. Auch wenn es streng genommen Joris’ Arbeit war, den Kahn heil durch den Hafen und über die Elbe zu lenken, würde noch genug Zeit für die beiden Turteltauben abfallen. Und ich war mir fast sicher, wir würden die beiden frisch Verliebten nach der Romantikvorlage auch nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Mein Bruder umarmte Paul und Julian länger als gewöhnlich und wünschte ihnen den Spaß ihres Lebens auf der Reise. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihm und Sarah später etwas dazwischenkam. Piet und mir gab er einen Kuss. Rici wuschelte er ausgiebig durch die Haare, weil er genau wusste, wie sehr sie das hasste. Mats bekam nur einen kumpelhaften Schlag auf die Schulter
»Und da waren es nur noch sechs«, bemerkte Rici trocken. »Die kippen doch direkt vom Kahn in die Koje.«
Ich zwinkerte ihr zu. »Ich wollte gerade dasselbe sagen.«
Mats stöhnte gequält. »Leider befindet sich deren Koje genau neben meiner.« Er fuhr sich über die Augen. »Bietet mir irgendwer Asyl? Das ist in letzter Zeit echt ein bisschen zu viel Liebesglück in Verbindung mit zu dünnen Leichtbauwänden.«
Ich konnte mir ein fieses Tüpfelhyänenlachen nicht verkneifen und schob Piet auf die Füße. »Vier«, vermeldete ich den neuesten Stand der noch Partywütigen. »Der Tiger braucht etwas zu essen, und Paps wird nicht vor Mitternacht zu Hause sein, also kann ich nicht mitkommen.« Ich umarmte Paul und Julian. »Tut mir leid, Jungs, aber ich wünsche euch die Zeit eures Lebens, und ich will Postkarten. Aus jedem Pupsdorf der Welt eine.« Piet kuschelte sich an mein Bein. Obwohl es erst halb acht war, wäre er auf meinem Schoß fast eingeschlafen.
So war das, wenn der Tag um sechs Uhr morgens mit einer Legoschlacht startete. Dann war es um diese Uhrzeit eben schon mitten in der Nacht. Und auch wenn ich es nie zugegeben hätte, Piet war eine willkommene Ausrede für mich. Ich war völlig erledigt und freute mich auf die kostbar ruhige Zeit mit ihm, wenn wir kochen und danach in der zum Bett umgebauten Jolle in seinem Zimmer kuscheln würden. Und ich freute mich auf das Wochenende mit ihm. Kein Kindergarten, keine Drachen, kein Wecker. Nur wir und ein für Hamburger Verhältnisse ungewohnt sonnig vorhergesagtes Wochenende lagen vor uns. Ich strich ihm durchs Haar, und er gähnte herzhaft.
»Simon von Utrecht streicht die Segel? Bist du etwa schon müde, Kommandant?«, fragte Mats mit einem Blick auf die Uhr. Ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht. Piet vergötterte Mats. Nach der Herausforderung würde ich ihn vermutlich nicht vor Mitternacht ins Bett kriegen.
»Ich bin überhaupt gar nicht müde«, sagte Piet natürlich prompt und streckte den Rücken durch, um seine Aussage zu unterstreichen. Er klatschte mit Mats ein und strich danach versonnen über das Ankertattoo, das auf der Innenseite von Mats’ Unterarm prangte. »Wann darf ich endlich auch eins haben? Ich will genauso eins wie Mats«, bettelte er. Seit etwas mehr als einem Jahr hatte er sich in die Idee verbissen, dass nur jemand mit dem gleichen Tattoo, wie Mats es hatte, ein echter Seefahrer sein konnte.
»Wenn du fünfundvierzig bist«, antwortete ich automatisch. »Frühestens.«
»Mann Mama, jetzt sag doch mal ehrlich. Ich bin schon groß. Und jeder Seefahrer hat so was.« Er atmete tief durch. »Mats sagt das auch.«
Natürlich sagte Mats das. Er war schließlich ein Meister darin, meinem Kind Flausen in den Kopf zu setzen. Vermutlich einfach nur, um mich zu ärgern.
»Er argumentiert wirklich wie ein Großer«, bemerkte Rici. »Man ist fast gewillt, es ihm zu erlauben.«
Drehten jetzt alle durch? »Er ist fünf!« Ich fasste nicht, dass mir jetzt auch noch meine beste Freundin in den Rücken fiel und ins feindliche Lager überlief. »Was hältst du davon, wenn du schon mal in die Kombüse düst und guckst, was die Vorräte hergeben«, schlug ich Piet betont ruhig vor.
Piet kochte fast so gern, wie er mit Paps auf einer der Barkassen über die Elbe schipperte. Und tatsächlich flitzte er los, sodass ich mich den Verrätern widmen konnte. Ich sah Mats und Rici streng an.
Mats lachte immer noch. »Siehste, er ist topfit«, stellte er glucksend fest, als die Kajütentür hinter Piet zuknallte, und hörte erst auf, als Rici ihm einen Tritt gegen’s Schienbein versetzte. Immerhin, sie hatte bemerkt, dass ich ernstlich angesäuert war.
»Was?«, fragte er und hob abwehrend die Arme.
Ich stöhnte. »Ist das dein Ernst? Erste Elternregel: Sag nie zu einem Fünfjährigen, willst du etwa jetzt schon die Segel streichen. Ein Simon von Utrecht schläft doch um diese Uhrzeit noch nicht. Dann schläft er nämlich aus Prinzip nie wieder.« Ich deutete anklagend auf Mats. »Und das mit dem Tattoo? Merkste selbst, oder?«
»Sorry«, sagte er scheinbar zerknirscht, aber ich hörte noch immer ein Lachen zwischen seinen Worten.
»Damit sind wir wohl nur noch zu dritt.« Paul gab Mats einen Klaps auf den Oberarm. »Wer es versaut, bringt es auch wieder in Ordnung.« Damit deutete er in Richtung Wohnraum der Fleetenkieker.
»Äh, das ist nicht nötig«, sagte ich, aber Mats war bereits aufgestanden und trollte sich pflichtbewusst ins Innere des Schiffs. Dabei hätte er mit den anderen verschwinden können.
Klar, er mochte Piet, aber mit seinen Freunden um die Häuser ziehen, mochte er noch viel mehr. Dass er diese Gelegenheit aufschob, musste an Bens unerbittlichem Blick gelegen haben. Sicher nicht an seiner sozialen Ader.
»Was ist eigentlich aus den Partylöwen geworden, mit denen ich früher abgehangen habe? Das hier sollte eine rauschende Abschiedsfete werden.« Rici seufzte enttäuscht und stand dann auf. »Also gut, Paul und Juli. Bleiben nur wir, indisches Essen und jede Menge Arrak.«
»Bleib mir weg mit diesem Palmsaftzeug. Ich erinnere mich nur noch bruchstückhaft an das letzte Mal. Dafür umso mehr an den Kater danach.« Paul fuhr sich über die Schläfen, als könnte er das bevorstehende Desaster bereits als bohrenden Kopfschmerz fühlen.
Einen kurzen Moment stand ich allein mit Rici, Julian und Paul auf dem Deck. »Ich sollte besser nachsehen, was sie treiben.« Ich deutete hinter mich. »Sonst nehmen mir die beiden das Boot auseinander.« Wie auf Absprache ertönte erst ohrenbetäubend tiefes Gebrüll und dann der zarte Schrei von Piet aka Simon von Utrecht aus dem Wohnraum. »Ich vermute, sie stellen die Grasbrook-Szene in meiner Küche nach.« Eilig verabschiedete ich die drei Verbliebenen, wünschte Paul und Juli noch einmal eine unvergessliche Zeit und flitzte in unsere schwimmende Wohnung.