2,99 €
Der Autor reiste mehrfach in die Dschungelgebiete Indiens und machte hautnah Bekanntschaft mit vielen Besonderheiten der Fauna und Flora, die er einer naturphilosophischen Betrachtung unterzog. Anschaulich erzählt er von seinen Erlebnissen mit der Natur, die voller Überraschungen und wunderlicher Begegnungen steckt. Dabei verbindet er nüchterne Bestandsaufnahme mit der tieferen Schau auf mögliche metaphysischen Zusammenhänge. Es gilt, sich auf die Spur zu begeben, nach dem Woher und Wohin des Lebens und Sterbens und dabei Ironie und Witz nicht zu vergessen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 386
Veröffentlichungsjahr: 2019
Roman Nies
Ansichten Der Natur
In Indiens Dschungel
© 2019 Roman Nies
Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7497-3249-4
Hardcover:
978-3-7497-3250-0
e-Book:
978-3-7497-3251-7
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhalt
1. Kapitel
Periyar - Eine andere Welt
Wunderland – Begegnungen - Wenn es Nacht wird - Meistersänger
2. Kapitel
Der Wald ruft
Alte Freundschaften - „Er kommt“ - Aufrechten Hauptes - Ehrfurcht vor dem Leben - Fernweh - Kein Platz für das Böse - Eigenbewegungen - Suche nach dem Idealen
3. Kapitel
Waldwege
Wie es mir gefällt - Orientierung - Auf dem Holzweg - Waldmensch - Mut zur Umkehr - Selbstbeherrschung - Größenverhältnisse
4. Kapitel
Spurensuche
Ort der Zuflucht - Wahre Qualitäten - Poijtu Vareen - Das Herz der Wildnis - Die besten Sinne und ihre Bildung - Werden und Vergehen
5. Kapitel
Naturkunde
Exakte Wissenschaft - Logik und Unschärfen - Grenzen der Entfaltung - Zweckbestimmung und Entwicklung - Materie und Information - Harmonie in Ordnung - Die Menschwerdung - Kunstvolle Handschrift
6. Kapitel
Das Wunder des Lebens
Sinn und Zweck- Die Lebenskraft – Entzweiung - Nestbeschmutzer Tod - Das Rad des Sterbens - Revolution statt Evolution
7. Kapitel
Entdeckungsreise
Waldeinsamkeit - Unerklärliche Verbundenheit - Die Quelle des Lebens - Gleichklang und Missklänge - Ideenquellen - Sehnsucht nach dem Unendlichen - Ein tüchtiger Baum - Auf Fels gegründet
8. Kapitel
Geistreichtum
Kategorische Prinzipien – Schaffensspuren - Allumfassendes Einziges - Die Sprache der Waldmeister - Emerierte und Eremitierte - Stillstehen in Bewegung - Der Geist des Anfangs
9. Kapitel
Grüne Hügel und Wälder
Mein Lieblingsplatz – Rüsselringkämpfe - Auf der Flucht - Eine Rundfahrt – Regenwolken - Die Geschichte von Mardi und dem Tiger von Panapatti
10. Kapitel
Manakavala
Spinnerei - Bei den Elefanten - Der Rogue von Bandipur - Zusammenstoß - Selbstversorgung im Urwald – Graffiti - Überleben ist möglich - Zuflucht - Der zivilisierte Mensch - Schleichgang - Die Königskobra
11. Kapitel
Der Zweikampf
Aufrüstung - Nachtaktive Geister - Gute Nacht - Der Kampf beginnt - Getroffen! - Sieg! - An Suleimit - Das Endziel
12. Kapitel
Waldschule
Ideal der Harmonie - Der große Gärtner - Die Taparanas - Der Wald gehört mir – Selbsterkenntnis - Die Reise zum Urgrund des Seins
Periyar - Eine andere Welt
Diese Welt, von einer höheren Machtwurde sie geschaffenzum Wohle aller Geschöpfe.Sie müssen lernen, dem Ganzen zu dienenund dabei enge Beziehungen einzugehenmiteinander.Keines soll die Lebensrechte der anderen antasten.
Aus der Isopanishad
Wenn man sich von der Malabarküste aus landeinwärts zu den feuchttropischen Tiefebenen Keralas begibt, des südlichsten Bundesstaates Indiens, muss man einem Forscherdrang nachgegeben haben, denn warum sonst sollte man der Stille des türkisblauen Ozeans den Rücken zukehren, um sich in einer dicht besiedelten Kulturlandschaft wiederzufinden, deren Unruhe ansteckt? Man kann gar nicht so viel verarbeiten, was an Eindrücken auf einen einfällt. Das Auge entdeckt jedoch schon bald hinter dem Olivgrün der Kokospalmenwälder und Heveaplantagen, dem Saftgrün der Reisfelder am östlichen Horizont, dort wohin die Winde ziehen, einen bläulichen Streifen.
Das sind die Westghats, ein Gebirge, das sich aus der Ferne als ein Wolkengebilde vermuten lässt und sich dann anscheinend erst bei der Annäherung majestätisch und steil erhebt. Seine Gipfel reckt es in Höhen empor, wo sie oftmals von bedrohlich dunklen Wolken umhüllt sind. Meist bleiben sie unsichtbar, als müssten sie etwas verbergen. Doch gerade das reizt den Mut und die Entdeckerlust, dort hinaufzusteigen, wo der Himmel mit der Erde zu verschmelzen scheint.
Doch oben erwartet einen die ganz andere Welt als die des Tieflandes, eine wunderbare Landschaft von Licht und Schatten, von glänzendem Grün und dunklem Blau, denn die Erde ist dort weitgehend unberührt und birgt die botanischen Kostbarkeiten Indiens. Und der Himmel schwebt leuchtend über den klaren Höhen.
Dort oben ist Periyar, ein Gebiet, das keine Straßen und nur wenige Wege kennt, wo nur die Pfade der Tiere und die Flussläufe und Bäche ein Fortkommen durch die Wildnis erleichtern. Die Berge, die von den Ureinwohnern als von den Göttern geheiligt verstanden werden, ragen daraus hervor, ihre Flanken sind geschützt von Dornbüschen, dichtem Gestrüpp und, wo es steil wird, von blankem Fels. Umgeben sind sie von einem Wunderland bewaldeter Hügel, das für einige wenige frühere Kolonialbeamte zur zweiten Heimat wurde, ehe sich auch ihre Spuren im Zeitendunst der Geschichte verflüchtigten. Doch als sie gegangen waren, verirrten sich nur wenige Reisende hierhin. Und sie blieben nicht. Auch ich konnte nicht bleiben. Und doch wurde mir diese Weltgegend vorübergehend zu einem Lieblingsdomizil und Rückzugsgebiet, denn gleichwie die reiche Flora und Fauna von Periyar kann auch ich in der Zivilisationsferne eine erquickliche Weile sicher sein vor ihren Einflüssen und mich in alle Richtungen ausstrecken wie ich will. Hier finde ich die Ruhe wieder, die ich bei den Menschen verloren zu haben glaube. Schon als Junge fand ich den meisten Gefallen an den Wäldern dort, wo sie am wenigsten von der menschlichen Hand berührt waren.
In Periyar erwartete mich der „Virgin forest“, ein tropischer Wald, der Reize des Besonderen bot und freizeitliche Vergnügungen, solange meine Zeit dort währte. Sie bestanden auch darin, mit Spannung zu erwarten, wie sich die wilden Tiere verhalten und ob aus den Begegnungen „nähere Bekanntschaften“ werden würden. Ja, ich habe manche gute Begegnung gehabt, und ich verstehe, warum Bernardin de Saint-Pierre, ein schwärmerischer Bewunderer der Natur, hinausposaunt hatte: „Lieber tief in die Wälder fliehen, besser sich Tigern anvertrauen als den Menschen.“ Ein Frustsatz, gezeugt weniger aus Naturliebe als aus den Erfahrungen mit den umtriebigen und doch orientierungslosen Menschen. Zwei Menschen begegnen sich im Dschungel. Sagt der eine: „Wo gehst du hin?“ „Da hin!“ „Und danach?“ „Dorthin! Und du?“ „Ich komme von ungefähr da und will dort hin!“ Wohl dem, der weiß, wohin es mit ihm geht und dem es auch wichtig ist, zu wissen, wohin es mit ihm geht. Wohl dem auch, der Menschen hat, denen er Vertrauen kann, denn solche Menschen sind kostbar und unersetzbar, aber extrem selten sind sie!
Allerdings hat Bernadin wohl kaum eine Begegnung mit einem Tiger gehabt. Sie haben keinen Sinn für Poesie! Und auch Rudyard Kipling, der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1907, der lange Zeit in Indien war, dürfte nur zu gut gewusst haben, dass sein „Jungle Book“ sehr viel vermenschlichte Tiererei feil geboten hat. Immerhin hat er Shir Khan, den Tiger, als gefährlichen Menschenfresser gekennzeichnet. Der Periyar National Park ist der bedeutendste Naturraum für Tiger in Südindien. Doch während Kipling und de Saint-Pierre die Eingeborenenstämme der Manan und Uralis, mit denen man es in Periyar zu tun bekommt, nicht kannte, habe ich erlebt, wie vertrauensselig und gütig die Menschen in dieser natürlichen Umgebung sind. Wen sollte es wundern, dass die Menschen, die dieses Gebiet bewohnen, die Unrast der Zivilisation nicht kennen und deshalb auch nicht ihre Sünden! Jedenfalls nicht die spezifischen Zivilisationssünden und –krankheiten.
Auch wollte ich mich so wenig wie die Eingeborenen den Tigern anvertrauen, sondern hoffen, dass man dort unmittelbar aus dem Angesicht der Natur lesen konnte, wie schön und raffiniert sie in diese Wohngegend gebildet ist. Das lässt wertvolle Rückschlüsse zu.
Meine Wanderungen in Periyar waren oft beglückend und immer sehr aufregend. Ich unternahm sie alleine, bewaffnet nur mit scharfen Augen, aufmerksamen Ohren und einem lernwilligen Geist. Dieser machte neue Entdeckungen und vergaß darüber die gewöhnlich langweilige Welt woanders.
Wenngleich es Strapazen und Gefahren, Krankheit und Erschöpfung gab, großes Leid ist mir nicht widerfahren. Ich möchte auch nicht von Entbehrungen reden, denn was sind verlorene Bequemlichkeiten, verglichen mit den Reichtümern an Eindrücken und Erfahrungen, die ich nun in Besitz genommen habe.
Ich möchte sie nicht alle für mich behalten. Deshalb erzähle ich von Periyar, einem Ort der Abgeschiedenheit, wo nicht der Mensch, sondern nur die Natur, die noch wild und roh und unbearbeitet ist, bestimmt, was geschieht.
Meine Erinnerungen beginnen immer wieder mit meinen Wanderungen durch die Wälder, wie ich dann verweile mancherorts im kühlen Schatten unter den mächtigen Urwaldbäumen und in die durchbrechenden einzelnen Sonnenstrahlen blinzle. Buntleuchtende Schmetterlinge tanzen um sie herum. Ich folge ihrem Flug, bis ich das Brummen eines großen bläulichen Käfers höre oder das Zwitschern der Minivets.
Jetzt wo ich die Augen schließe, höre ich noch mehr. Die Papageien krächzen aus dem Krondach, in der Nähe rauscht ein Bach, der zwischen Felsen zu Tal stürzt. Ich sehe mich zwischen Baumwurzeln über graue Felsen klettern, die Luft steigt flimmernd auf, ich betrete rote Erde, aufgewühlt von großen und kleinen Grabern, gehe über raschelndes Laub auf weichem Waldboden, durch das glitschige Kiesbett des Baches, stapfe im Sand am Ufer des Periyarsees entlang, und ich halte inne, trotz der gleißenden Sonne, inmitten der smaragdgrünen Grasflur! Nun habe ich den Geruch des nach einem Regenschauer dampfenden Laubwerks in meiner Nase. Ringsherum ist Leben, tierisch, pflanzlich, im Überfluss. Ich Mensch entdecke Anzeichen dafür, dass es in der Wildnis nicht nur darum geht, zu fressen und gefressen zu werden. Wie banal und lächerlich dieser Gedanke doch ist, wenn man sich in die Komplexität der Beziehungsgeflechte in den Ökosystemen hinein vertieft! Es gibt viel mehr Lebensgemeinschaften, die einander dienlich sind und gutnachbarschaftliche Beziehungen pflegen, als rohe Gewalt.
Man fragt sich, ob nicht eine Geistesmacht, die alles durchdringt und trägt, sichtbare Spuren hinterlassen hat. Sind sie nicht zu lesen am Rüsselringen der Elefantenkinder, am Herumtollen der heranwachsenden Tiger, am verspielten Gebaren längst erwachsener Bären, an den übermütigen Turnübungen der Affen, Streifenhörnchen und Papageien, an den Symbiosen, den Lebens-, Mahl- und Wohngemeinschaften? Ist da nicht eine Handschrift eines Lebenskünstlers erkennbar, der nicht nur irgend eine Lebensform schlicht variieren wollte, sondern mit endlosem Findungsreichtum in Formen und Farben der Geschöpfe investierte, der Schönheit zur Tugend machte und Raffinesse zum Markenzeichen. Und der alles zu einer grandiosen Landschaft zusammensetzte. Jedem, der seine Seele, den finsteren Gesellen der blinden Zufälligkeit und der ungerichteten Beweglichkeit der Grundelemente verschrieben hat, empfehle ich, nach Periyar zu gehen und Gottes Schöpfung aus der Nähe kennen zu lernen. Die Wunder, die ihm begegnen, können ihn sprachlos machen, wenn er nur einen offenen Geist hat.
Oft werde ich nach den Gefahren in der Wildnis gefragt. Nicht vielen Menschen begegnet man in Periyar. Warum dann die Frage? Der sogenannte Wilde weiß um die Vorzüge seiner Umgebung; der domestizierte Mensch ist unwissend und flüchtet aufgrund seiner Unwissenheit aus der Wildnis. Er fürchtet sie, anstatt sich. Würde er seine künstlich geschaffene zivilisierte „Wildnis“ doch nur ebenso fürchten, damit er weise würde! Von der Wildnis, die in ihm drin ist, will ich gar nicht reden.
Wie gut aber auch, dass er sich ängstigt, er, der die Tiere in Angst und Schrecken versetzt. Dabei gibt es nur wenige wirkliche Gefahren im Dschungel. Es gibt in Periyar keine menschenfressenden Raubtiere. Und auch von verrückt gewordenen Elefanten hört man nichts. Der Tiger, vor dem sich jedes Tier im Dschungel fürchtet, und sein kleiner Verwandter, der Panther, machen einen weiten Bogen um jeden menschlichen Spaziergänger.
Auch Old Bruin, der indische Lippenbär, würde das tun, wenn man ihn nur ließe. Die Natur hat ihn jedoch nicht mit solch feinen Sinnesorganen ausgestattet, dass er immer Witterung aufnehmen könnte, bevor er sieht. Deshalb ist es gut, wenn man selber dafür sorgt, nicht mit ihm zusammenzuprallen. Man sollte ihn schon längst gehört haben, bevor seine schwarzstruppige Gestalt direkt vor einem auftaucht. Dann bleibt nur, regungslos zu verharren und zu hoffen, dass er wieder mal vorübergeht.
Zum Glück ist der Lippenbär ein geschäftiger Geselle. Sein Nahen und Nahsein kündigt er an durch Schnaufen und Schnuffen, Grunzen, Stöhnen und Brummen – und Summen, wenn er gerade ein Bienennest plündert. Öfters wird man sein lautes Schnaufen schon von weitem hören. Es weist ihn als Termitensauger aus. Ist man weit genug weg, kann man ihn durch Zurufen verscheuchen. Doch Vorsicht! Einmal dachte ich, dreißig Schritte wären weit genug, da machte das Tier kehrt und kam im Galopp auf mich zu.
Klettert man durch felsiges Gelände, vermute man vorsorglich hinter jedem Felsbrocken ein Bärenfell. Vielleicht hat die Mutter auch noch ihre zwei Jungen bei sich, die sich an ihren langhaarigen Rücken klammern oder im Spiel um sie herumspringen, während sie schläft. Keine Zeit für Betrachtungen und Danksagungen über das Glück der seltenen Begegnung! Es gibt noch viele Begegnungen, über die man sich freuen kann! Hinterher!
Ich beginne meine Wanderungen oft bei Nacht, um über Tage tief genug in die Abgeschiedenheit der Wildnis eindringen zu können. Bei Nacht habe man erst recht nichts dort verloren, fragt man? Wie lohnend, antworte ich, wird ein solcher Beobachtungsgang!
Wie oft habe ich am Tage die Zeit vergessen, während ich unter einem Simal oder Mutibaum saß und vor mich hinträumte, zwischendurch mit einem Ohr dem Gurren der Tauben zuhörte, dem Trillern des Bartvogels oder dem schrillen Schrei der Elster. Und unmerklich begann es zu dunkeln, obwohl das Krächzen des Dschungelhahns „Ackkyackkack“ und der Klageruf des Pfaus „Iau-auih“ dies schon ankündigte. Weil die Reihenfolge eingehalten wird, melden sich die Nachtschwalben mit ihrem Tschilpen im Vorbeiflug. In der Ferne ruft die Eule. Meine Erinnerung wird zur Gegenwart. Besonders der melodiöse Gesang des Dayah geht mir nicht aus dem Sinn. Es ist hörbar, dass er ein Verwandter der Amsel ist. Seine frohe Botschaft mit gelegentlichem Abschweifen bringt er den ganzen Tag und nun auch noch am Abend. Welche Botschaft? Hört her, ich nehme mir die Zeit, hinauszuflöten, dass es mir gut geht! Dazu lassen jetzt, wenn der Tag zur Neige geht, die Vögel, die am Tage still waren, von sich hören. Verstünde man sie doch! Ich missverstehe sie ja schon nicht mehr ganz! Ich lerne immer mehr, und die gesprengelte, graue Taube wispert dazu „gruh gruh!“
Die Sonne sinkt unter den Horizont. Noch erscheint die Umgebung in einem rötlichen Licht. Dann weicht es einem Grau, das immer dunkler wird. Und plötzlich sieht man wieder ein helles Licht, ein Stern funkelt, wo vor kurzem noch die letzten Sonnenstrahlen eine Abendwolke abtasteten. Es wird Nacht, mondlos. Aber es wird eine lebendige Nacht werden, denn die Tiere der Dämmerung sind erwacht.
Was hat der Mensch nur aus der Erde gemacht, dass ein Großteil der Geschöpfe die Nacht zu ihrem „guten Tag!“ wählte? Es kann nur eine einzige Erklärung dafür geben, dass die Tiere dem Licht der Sonne, die ihnen allen ja das Leben spendet, ausweichen und ihre Aktivitäten auf die Zeit der Dunkelheit verlegt haben. Der Grund muss schon lange zurück liegen. Wenn es eine neue Erscheinung wäre, hätte sich die Wissenschaft schon längst damit beschäftigt. Mit ihren Jahrmillionen hat sie sich nämlich so heillose verzettelt, dass sie meint, aktuelle Erscheinungen liefern ihr den Schlüssel für die Vergangenheit.
Die Verfolgung der Tiere durch vergiftete Köder, Fallen oder modernere Sportgeräte wie z.B. Feuerwaffen und die Verkleinerung ihres Lebensraumes durch Bulldozer kam jedenfalls viel später als der Sündenfall im Garten Eden.
Der Mensch hat im Vergleich zu vielen Tieren des Dschungels ein schwaches Hörvermögen und einen noch schwächeren Geruchs- und Geschmackssinn. Aber er hat leistungsfähige Augen, um die ihn nur die Greifvögel nicht beneiden. Die Tiere haben Angst vor dem, der sie zu Wilden gemacht hat, ja, aber sie wollen ihn auch nicht mehr sehen. Deshalb weichen sie ihm aus, am liebsten bevor er sie sieht und am leichtesten bevor er sie hört! Auch hier gilt: es fehlt an Vertrauen! Die Kolonialherren machten in großem Stil Jagd auf die Tiere, die einheimischen Herrscher ebenfalls und die Einheimischen aus den indischen Kulturräumen haben kein anderes Verständnis für die Natur als dass man sich aus ihr holt, was man gebrauchen kann. Es scheint so, dass die Zivilisationen eine Verrohung der Überreste an Feingeistigkeit bewirken. Die Natur wurde und wird nicht von den Kolonialherren und ihrem Gefolge zerstört, sondern vom sich immer weiter ausbreitenden Volk. Die Wälder werden gerodet und die Dörfer und Städte schieben sich immer weiter in entheiligtes Gebiet.
Kein Wunder, dass sogar der König des Dschungels, der Tiger, nachtaktiv ist. Er, der mit Leichtigkeit mit einer „Handbewegung“ das Lebenslicht eines Menschen auslöschen könnte, er scheut den Größten aller Schadensverursacher. Ich fand, dies Wort klingt vornehmer als Schädling. Vielleicht ekelt ihn diese Gesellschaft. Es geht ein Witz um in der Dschungelgemeinschaft, über den aber klängst nicht mehr gelacht wird: der Mensch sei das intelligenteste Wesen überhaupt! Gut möglich, dass man das für lustig befand. Erklärlich, dass man irgendwann damit aufhörte, ungebührliches Benehmen zu belächeln.
Auch der Elefant, das stärkste Tier, geht nachts den Geschäften nach, die er am Tag nicht erledigt hat. Man hört ihn schon von weitem, wie er Bäume abschält, Äste abbricht und dabei den ganzen Baum mit umwirft. Mit seinem großen Gewicht lehnt er sich auf junge Bäume, bis auch die Kleinsten der Herde an die Zweige herankommen und endlich still sind. In ihren Bäuchen rumpelt es dann wie Donner hinter den Bergen. Verdauung ist das halbe Elefantenleben.
Eine Herde kann man ruhig belauschen. Aber Vorsicht, wenn ganz ähnliche Laute aus nächster Nähe an das Ohr dringen, leiser noch, heimlicher, und singular! Das Rascheln der Blätter, das mehr versehentlich als infolge ungestümer Fresslust erzeugt wurde! Obacht! Es wird gefährlich! Wie steht der Wind? Und wenn das nun endlich erscheinende Mondlicht das Bambusgehölz erleuchtet, schwanken die obersten Wipfel? Dann mache ich mich schnell und unbedingt lautlos davon wie der Wind, der mir die Geräusche eines einzelnen Schwerenöters zugetragen hat, dem Himmel sei Dank, noch bevor er Wind von meiner eigenen Sache bekommen hat!
Wenn man aber auf diesen Augenblick gewartet hat, weil man sich vorgenommen hat, seine Angst vor lebensbedrohlichen Situationen zu überwinden, ohne dem Leichtsinn das Kommando zu übertragen, dann soll man nur in Deckung gehen. Es findet sich bestimmt ein Busch oder ein Baum, den man zwischen sich und die Geräuschquelle bringen kann. Es ist nur darauf zu achten, dass einem der Wind ins Gesicht bläst. Elefanten sehen schlecht. Sie hören und riechen dafür ausgezeichnet. Es ist deshalb unbedingt zu vermeiden, Geräusche zu machen oder den Wind im Rücken zu haben.
Solange man für das Tier geruchs- und geräuschlos bleibt, ist man ein Nichts. Vielleicht erlebt man nun das schier Unglaubliche, das für den, der es überlebt hat, um davon zu berichten, auch als unvergesslicher Moment des Glücks empfunden wird. Der Elefant nähert sich langsam, setzt seine Mahlzeit ungerührt fort, rupft sogar an den Zweigen des Baumes, hinter dessen Stamm man sich verkrochen hat, oder an dem Busch, unter den man sich duckt. Und er geht in nächster Nähe vorüber wie ein Kelch böser Überraschungen!
Still, nur still jetzt! Jetzt muss auch das Herz unbedingt still stehen! Panik, Flucht ist zwecklos, nur stille! Und weiter stapft er, so nichtsahnend wie zuvor. Selber geht man dann mit zitternden Knien und einem unaussprechlich heiteren Geist nach Hause! Mit Vorsicht, denn bei Nacht sind alle Schlangen unterwegs!
Im Dschungel und auch noch bei Nacht! Da ist auch oft die Sprache ungenügend oder ganz vergessen. Dafür denkt man schneller, besonders wenn es so stiller wie dunkel ist. Das ist die geschwärzte Stille und die stille Schwärze. Die Zikaden lärmen nicht überall und auch nicht immer; wird die Erde unter ihnen erschüttert, verstummen Sie. Es gilt nun, die Ohren noch mehr zu spitzen.
Die einen lauschen schweigend, die anderen beunruhigt die Stille so sehr, dass sie sich zum ersten Mal überhaupt bemerkbar machen. Das plötzliche laute „oonk, tonk!“ des Sambarhirsches bedeutet meist nur, dass man nun entdeckt und für bedenklich gefährlich gehalten wurde. Ansonsten signalisiert es aber die Anwesenheit eines Tigers, dem man selber gerne auf die Schliche kommen würde, um sich von ihm entfernen zu können. Ebenso verhält es sich mit den Verlautbarungen anderer Hirscharten. Das schrille „Aijuh!“ eines Axis und das Bellen des gleichnamigen Khar „Kharr, kharr!“, der auch Muntjack genannt wird. Gleich weiß man, wer gemeint ist, wenn der „Holzsäger“ seine Verdrossenheit über seine Entdeckung kundtut: nicht ein Waldarbeiter, ein Panther verrät vollends seine Präsenz. Sein Röcheln hört sich an, wie wenn jemand an dem Ast sägt, auf dem man gerade sitzt.
Einen Tiger wird man selten zu hören bekommen, es sei denn er ist in der Brunft. Das tiefe Stöhnen einer ungeduldigen Tigerin, die ihren Partner sucht, hallt vielleicht durch das Tal und über die Hügel und vom Inneren des Waldes antwortet er „Aauungh, aauungh!“ Das heißt „herbei, herbei!“ Die Tiere des Waldes verstehen darunter „hinweg, hinweg!“
Das war auch mein erster Gedanke als mich mein Heimweg in die schwärzeste Finsternis hineinführte und ein gellender Schrei dicht an meinem Trommelfell die Nacht und mein Herz in zwei Teile riss! Einen Nachtreiher hatte ich aufgeschreckt, der es mir gleich heimzahlte: twiiit, twiiiet!“ Markerschütternd! Wer noch Schreien kann, ist noch nicht zu Tode erschreckt!
Jedes Geräusch hat eine eigene Geschichte, Töne der Angst, das Schreien nach Hunger, das lautstarke Verlangen nach Geselligkeit und auch der Ruf zur Fortpflanzung, zum „Liebesspiel“, wie die Zoologen sagen. Zu Unrecht, denn für viele Tierarten ist es eine schmerzhafte und gefährliche Tortur, der sie sich unterwerfen müssen, als ob sie darunter zu leiden hätten, dass diejenigen, die noch immer missverstehen, was Liebe ur-eigentlich bedeutet, ein Naturgesetz durch ihre Perversionen verletzen, seit die Schöpfung besteht.
Andere gar nicht paradiesähnliche Zustände offenbaren sich in der nächtlichen Geräuschkulisse. Auch der Tod macht sich bemerkbar, im Aufbäumen eines Tieres, das nach Atem ringt, dahinsterbende Laute, noch ein letztes Schlagen mit den Hufen auf den Boden! So viel Schönes und Gutes hier überall, ist das nicht anregend und unterhaltsam genug? Wozu dann daneben der hässliche, alles zunichte machende Tod, der wie ein Fremdling in der guten Gesellschaft das Fluchwesen der Vergänglichkeit an sich trägt, dem angeblich laut Priesterkaste für den Fortbestand des Ganzen geopfert werden muss. In der Wildnis soll er naturnotwendig erscheinen, weil er nur im Paradies nichts zu suchen hätte, das es ja aber nicht mehr gibt.
Der Mensch muss diesen ungebetenen und ungeliebten Vergewaltiger in die Schöpfung eingeschleppt haben, wer sonst wäre zu so einer Dummheit fähig! Dass der Mensch nun auch noch nach Ausflüchten wegen seiner Verantwortung sucht und die Verhältnisse umkehrt, indem er sagt, der Tod ist erfinderisch, ohne ihn gäbe es das Leben gar nicht, das ist frech.
Ich werde meine Augen nicht vor dieser Art von offenbarenden Naturerscheinungen verschließen. Aber ich ziehe es vor, die Welt da zu betrachten, wo sie noch in Ordnung zu sein scheint. Die nächtliche Natur ist schön, sie ist geheimnisvoll, obwohl sie auch Geheimnisse des Tages enthüllt wie eine Frau, die am Tage nur ihr Gesicht zeigt. Das andere ist für schönere und feierliche Stunden. Wie wunderbar ist es dennoch, wenn die Halbschlafende im ersten rötlichen Morgenlicht sich räkelt! Die Natur zeigt dann ein Angesicht, unschuldig, ebenmäßig zart, den Vögeln übergeben, zu besingen, dass jener rief „es werde Licht!“ und es weiter und immer weiter rufen soll, bis es ganz Licht bleibt, weil nichts mehr des Schutzes der Nacht bedarf.
Was erst errötete, entwickelt sich dann in den kraftvollsten Farben in der aufgehenden Sonne. Der Morgen! Man spürt als ihr Liebhaber deutlich ihre Reize, wie sie aufbrechen und eine Fröhlichkeit erzeugen, die ganz unbeschreiblich ist.
Der Morgen in den lichten Wäldern der Tropen! Ein Fest für die Sinne, welches das staubige Grau des Denkens vom Vortag und die Unsicherheiten der Nacht vergessen lässt. Welche Erleichterung! Die Welt des Lichts ist noch da!
Als müsste ich mich davon überzeugen, dass ich nicht auf einer eng umgrenzten Bühne stehe, beginne ich an jedem frühen Morgen unweigerlich hinein zu wandern in das Licht der aufgehenden Sonne zwischen den Zweigen. Mein Erwachen hält nicht lange still, es muss hinaus getragen werden mit frischen Kräften zu neuerem Entdecken. An jedem Morgen beginnt meine Freude mit neuem Leben. Ich kenne keinen Morgen, der nicht mit der Rückkehr in die Natur verbunden wäre. Dabei stören keine Gedanken aus der dunklen Seite der bürgerlichen Welt. Für eine kleine Zeit nur, hier und jetzt, gibt es das Böse nicht. So muss es am Anfang gewesen sein, nachdem gerade eben alle Dinge erschaffen worden waren. Und so entspricht der werdende Tag dem Schöpfungsbeginn, ehe die Harmonie ihre ersten Erschöpfungszustände erfuhr. Von da an begannen die Verdunkelungsstrecken, mit denen der Mensch seine eigenen Wege vernetzte, sein unseliger, bemitleidenswürdiger Gang durch die Geschichte.
Doch für einige kurze Momente winkt das Glück, die Vorstellung der Vollkommenheit des Seins schwebt herbei und kann doch nicht festgehalten werden. Sie bleibt für einen Augenblick, wie herrlich, wenn es zwei werden, wie wunderbar, wenn sie dem Bewusstsein erhalten bleiben, zum wiederholten Erleben! Dann hat man dem Himmel zu danken. Dann weiß man, die gewohnte Welt des Gewöhnlichen ist nicht das Beste. Es gibt ein Besseres zu finden, durch uns hindurch. Das Licht muss in unseren Geist hinein. Es muss viel heller sein als das der Sonne. Es ist nicht die Luftsäule, die uns die Erde mit dem Himmel verbindet: Es ist der Geist, der uns die Augen öffnet für das Bessere, sobald wir ihm ein gereinigtes Herz zur Wohnung geben. Doch woher nehmen? Man muss zu den Ursprüngen zurück. Man muss den, der die Menschen aus dem Garten Eden vertrieben hat, fragen, was man tun muss, um wieder hinein zu kommen.
Zwei Dinge sind es, die mich am Morgen in Periyar am meisten beschäftigen. Könnte ich es doch nur zu meinem Beruf machen, Vögel zu beobachten und ihre Konzerte zu kritisieren. Meine Kritik würde ich am Nachmittag schreiben mit immer neuen Variationen des Preisens.
Wordsworth sprach einmal von „emotion recollected in tranquillity“. Er meinte damit die Dichtung. Ich rede von mehr als Dichtung. Die Emotion, die ich in der Ruhe verwahre, ist ein stilles Glück. Vogelbeobachtungen beanspruchen und fördern den ästhetischen Schauenssinn wie Vogelgesang die musikalische Ader. Michelangelo ist in Italien schon lange tot, die Schwarzdrossel soll aber leben! In Periyar, wo man nicht auf Vögel schießt, könnten die Komponisten sinnvoll arbeiten. Beethovens „Erwachen heiterer Empfindungen“ kenne ich in unzähligen Variationen. Hier hätte der Meister wieder hören gelernt!
Man kann sich in der Tat ein Leben lang mit Vögeln beschäftigen. Es schärft alle Sinne. Vor allem muss man das Denkorgan nicht unbeschäftigt lassen, gibt es doch viele ungelöste Rätsel für den Ornithologen. Man denke nur an die Mysterien der Vogelzüge und der Brutfürsorge.
Wenn ich nur einem Vogel beim Baden zusehe, bin ich erheitert, ob ich will oder nicht. Der Gesang der Vögel aber ist wirklich Balsam für die müde Seele! Es scheint als ob die Lebewesen zum Teil sich selbst darstellten. Und dabei tun sie auch noch etwas für die Lebensqualität der Menschen! Der Gesang von Jungvögeln ist am reichsten und vollendet vor der Geschlechtsreife, um dann erst im Herbst wieder diese Vollendung zu erreichen. Während der Fortpflanzungszeit ist er am wenigsten ausgeprägt. Der vom Standpunkt der Erhaltung der Art funktionslose Gesang ist formal der reichste. Da hat ein genialer Schöpfer seine Handschrift hinterlassen. Eine schöne Handschrift hat er. Und doch ist sie manchmal schlecht zu lesen. Vielleicht sind es Tränen, die einstmals Geschriebenes unleserlich machen.
Lange bevor die Sonne schon sichtbar über den Horizont gestiegen ist, beginnt die Magpie-Robin, die in Periyar „Vanati-Kuruvi“ genannt wird, mit ihrer Arie. Sie singt Monat für Monat dankenswerterweise ihre fröhlichen Lieder. Dabei kennt sie nur ein knappes Dutzend. Seltsam! Man hat nie den Eindruck, dass einem die Wiederholungen nicht mehr so gut gefallen wie es irgendwann bei den menschlichen Kompositionen der Fall ist. Woran das wohl liegen mag? Woher weiß der Vogel, wie unsere Ansprüche sind?
Nun, wenn man Düsenflugzeuge mit Vögeln vergleicht, kommt man auch nicht gerade auf die Idee, dass ihre ohrenbetäubende Fortbewegung den lautlosen Flug der Schwäne nachahmt. Der Mensch muss sich damit begnügen, ein zweitklassiger Schöpfer zu sein. Wenn auch nur die Lerchen ihr monotones Lied singen, im Chor ist es gute Musik und als Text fällt einem dazu ein: „und immer wieder erheben sie sich über den Staub der Erde und versuchen so lange wie möglich sich himmelnah zu halten; sie singen ihre Strophen nur im Flug.“
Donald Culroses Peattie schreibt in „The road of a naturalist“: „Ein Naturalist ist ein Mann, der einen Vogel singen hört im Tiefschlaf und daraus erwacht, wenn er nur will.“ Ich füge hinzu, dass ein Naturalist es immer will. Ich kann nur bestätigen, dass mich der Vogelgesang schon manches Mal erweckte und es war stets ein angenehmes Erwachen. Selbst am Abend stand ich oft noch einmal auf, um ans Fenster zu gehen und das Abendständchen der Nachtigall, der Singdrossel oder des Zaunkönigs entgegenzunehmen.
In Periyar verlassen als erste die Dschungelbabbler ihre Schlafplätze. Ihr indischer Name „Sat Bhayas“, „Sieben Schwestern“, soll auf die Tatsache hindeuten, dass sie den lieben langen Tag miteinander schnattern und streiten und schon sehr früh damit anfangen. Sie hüpfen und flattern in kleinen Gruppen umher, bilden zusammen mit anderen Vögeln Spähtrupps zum Aufstöbern von Insekten. Sie durchsuchen den Waldboden auch für die Drongos und Fliegenschnäpper, die sich auf die aufgescheuchten Kerbtiere stürzen.
Von oben gurrt die Aschtaube wie schon am Abend. Der Mynah diskutiert die Wetteraussichten, der Pirol lockruft sein Weibchen und noch musiziert der Flowerpecker-Blumenpicker, während er von Baum zu Baum flitzt, um sein Frühstück einzunehmen. Exponiert auf einem Strauch sitzt der rotwangige Bülbül. Sonnenvögel, so purpur wie der Horizont, tauchen auf, ein gelbfleckiger Muni ordnet seine Federn und der Wren Warbler schimpft schon wieder. Der grüne Bartvogel besucht bereits den Maulbeerbaum und auch der Chloropsis hängt sehr an ihm, das kann man wörtlich verstehen. Schneidervögel erscheinen auch noch und -fast hätte ich sie vergessen: die Dschungelkrähe, die nie fehlt und doch irgendwie nie so richtig ins Bild passt, obwohl sie eine allseits Angepasste ist. Sie unterscheidet sich wenig von ihren Cousinen in Europa oder Übersee.
Endlich, da die Sonne über dem Horizont steht, ertönt der Meistersänger: das Lied der Shama kommt aus einem Dickicht, klar und rein. Sie versucht immer noch dem Waldes-Chor die Flötentöne beizubringen, doch der nimmt wie immer kaum von ihr Notiz. Schicksal aller verkannten Sänger!
Der Wald ruft
Wenn ich nach langer Zeit wieder in die Wildnis von Periyar zurückkehre, ergeht es mir, wie wenn ich mich an eine alte Freundschaft erinnere. Es ist der Wald, in dem ich einen Freund wiedersehe. Die Vorfreude lässt mich schon lächeln.
Mein Freund ist oft verschwiegen, wenn ich ihm begegne. Aber es ist nicht Verschämtheit, sondern stille Vornehmheit – er ist ja ein indischer Freund, der glaubt, dass es meine Bestimmung sei, alte Freunde wieder aufsuchen zu müssen, die gute, verlässliche Freunde sind. Und tatsächlich, der Wald hat mich noch nie enttäuscht.
Nur öfters bin ich entsetzt, was meine Menschenbrüder mit meinem Freund gemacht haben. Wie achtlos sie mit ihm umgehen! Aber sie achten ja auch nicht auf mich. Und so behandeln sie meinen Freund auch nicht besser.
Eigentlich bin ich es, der meiner Freude weniger Ausdruck verleiht. Zwar lege ich mich schon einmal auf einen umgefallenen, moosweichen Baum, alle Viere ausgestreckt und lache über meine Träume. Aber es ist mein Freund, der mich stets mit seiner friedlichen Stimmung umarmt, der mir das Beste aus seinem reichen Wesen zu Gute kommen lässt. Und wenn ich mich seinen Annäherungen verschließen möchte, so steigt mir doch der süße Duft seiner Blumen und Früchte in die Nase, und seine Boten, wenn er Frühling macht – nämlich jeden Morgen von Neuem -, die Vögel, zwitschern mir ins Gewissen, dass ich den nicht abweisen darf, der mir nichts Böses will.
Wenn ich so in sein weites Haus zurückkehre, treffe ich alte Bekannte wieder, denen ich Rede und Antwort stehen muss, was ich die ganze Zeit in meiner Abwesenheit getrieben habe, woher ich jetzt gerade komme und wie lange ich zu bleiben gedenke.
Natürlich will ich meine Sprachkenntnisse noch verbessern, damit ich noch aufnahmefähiger und kenntnisreicher werde. Ich halte lange Zwiegespräche und leihe meine Stimme auch den Stummen des Waldes, und vergesse nie zu bedauern, dass ich weiter fort muss, weil meine Zeit begrenzt ist, weil ich noch alle Völker des Waldes begrüßen muss, auch die scheuen Einzelgänger, die mir noch nicht vollends trauen, darf ich nicht vergessen.
Zu den ersten des Begrüßungskommitees gehört oft der „eitle Schuljunge“. So nennen die Inder die Malabarpfeifdrossel, weil sie pfeift wie ein Junge auf dem Schulweg, gerade wie es ihr in den Sinn kommt, die Tonleiter hinauf und herunter.
„Du pfeifst immer noch wie ein Schuljunge, sing doch mal wie ein Vogel!“ begrüße ich sie wieder. Es ist gleich, was ich sage, denn: „Du bist älter geworden, ich nicht!“ bekomme ich jedes Mal zur Antwort.
Wie es mir in der Welt der Menschen ergangen ist, will sie von mir wissen. Ich gehe langsam weiter, während die Spottdrossel an meiner Seite bleibt und dabei von Busch zu Busch fliegt. Sie ist neugierig und braucht neuen Stoff für ihre so menschlich klingenden Melodien. Man muss aufpassen, was man ihr sagt, sonst pfeift sie Vertrauliches von den höchsten Baumwipfeln und bald weiß es das ganze Tal.
Einmal sagte ich zu ihr: „Ich habe gearbeitet, bis ich wieder hierher kommen konnte.“ Und natürlich weiß ich, was sie darauf antworten wird: „Ich arbeite nichts und bin immer hier!“
„Weil du hier zu Hause bist. Aber ganz ohne Arbeit kommst du auch nicht aus. Jetzt ist doch die Zeit wieder ans Nestbauen zu denken!“
„Das ist keine Arbeit. Das ist Dienst an meinem Weibe, die unbedingt Kinder will.“ Und wenn ich dann an den Aufwand der Nestlingsaufzucht denke, zwitschert mir sie zuvor: „Sie später füttern ist ein Aufwand, den ich gerne betreibe. Ich will das Revier an meine Kinder weitergeben!“ Fragt sie mich etwa, wie es mit den Drosseln im fernen Europa bestellt ist?
„Sie fühlen sich dort nicht so zu Hause wie du hier. Ihr Lied klingt immer trauriger in meinen Ohren. Wenn sie könnten, würden sie wohl mit mir ziehen und hier bei ihren Verwandten in Indien bleiben.“
„Warum tun sie es nicht?“
„Die Einreiseformalitäten!“
Davon versteht die Drossel nichts. Sie wundert sich vielleicht nur manchmal über die Eile der Zugvögel! Sie bleibt lieber im Lande und nährt sich redlich! Warum denn in die Ferne schweifen…von Erdteil zu Erdteil, ich weiß, sie hüpft von Busch zu Busch und es ist ihr immer Sommer dabei! Und meistens dauert es nicht lange, bis mir der umtriebige, nackengestreife Mungo über den Weg läuft, ein Vetter des außerhalb des Waldes häufig anzutreffenden gemeinen Mungos.
„Wieder mit keiner Schlange gerungen!“ lautet sein ironischer Gruß, bilde ich mir ein. Er schien sehr belustigt, als ich ihm vor Jahren erzählte, die Touristen glaubten, seinesgleichen würde sich mit Vorliebe auf Tänze mit Kobras einlassen.
„Du bist wieder sehr blass. Du brauchst wieder ein paar Tage indische Sonne und Waldluft, um frische Farbe zu bekommen. Erzähle mir von da, wo du herkommst!“ Ich sage dann, dass es nichts Neues zu berichten gibt, von da, wo ich herkomme!
Er lacht in sich hinein und verschwindet im Gebüsch, - bis später.
Der Pfau hat etwas länger gebraucht, um seine Scheu vor mir abzulegen. Die Neugierde hat ihm geholfen. Außerdem hat er bemerkt, dass er in meiner Nähe Schleichkatzen nicht zu befürchten hat.
„Gut siehst du aus, wie immer!“ lobe ich ihn, als er sein Rad vor mir schlägt.
„Ich gebe mir Mühe. Wie ist die Mode in Europa?“
„Man trägt wieder Pfauenfedern, hie und da!“
„Diese Barbaren, aber sie haben Geschmack! Und du verbirgst doch nicht ergraute Haare unter einem Hut?“
„Nein, sie sind noch nicht ergraut, obwohl ich vor Sorgen manche Federn lasse. Ich trage ihn der Sonne wegen!“
„Die Sonne erst gibt dem Gefieder seinen Farbglanz! Sah ich nicht in deinen Haaren sogar goldenen Glanz, den die Sonnenstrahlen entzündet haben?“
„Zu viel Sonne bleicht und macht müde …“
„Ich dachte immer, es sei der Geist des Menschen, der da leuchtet, nun aber begibst du dein Gesicht unter Schatten und ich weiß nicht, ob Du es bist.“
Ich ziehe den Hut vor dem Pfau und verbeuge mich.
„Er ist immer noch der Alte!“ entdeckt er.
„Wer?“ fragt das Muntjack-Hirschlein und tritt hinter dem Baumstamm hervor.
„Ich bin`s, der dir wieder nicht folgen kann, bin zu sperrig fürs Unterholz.“
„Lass` dir einen Bären aufbinden oder noch besser einen Elefanten, Menschenskind, dann kommst du besser durchs Leben!“ lautet seine Weisheit. Er inspiriert mich, weil er so klein und zart wirkt, aber immer in Bewegung ist. Er will Geschichten hören, aber nur wenn sie amüsant und unterhaltsam sind und sein schreckhaftes Herz nicht zu sehr strapazieren. Ich erzähle ihm also, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist und ich wieder nichts Bedeutendes geleistet habe. In meinem Garten habe ich ein Blumenbeet gepflanzt und in mein Haus ein großes Fenster eingebaut, dass ich das Blumenbeet im Garten besser sehen kann. Und: „Ein Bild von dir habe ich an die Wand gehängt.“
„Doch hoffentlich in Lebensgröße! Das ist wenig für ein Jahr! Na gut, ich komme morgen wieder!“ sagt er und verschwindet. Er hat wie die Vögel des Waldes kein ausgeprägtes Zeitgefühl, außer wenn es um die Fortpflanzung geht.
„He, Trauergesicht!“ – eine Stimme von oben! Eine Affenschar! Makaken!
„Hast du uns etwas mitgebracht, worüber wir lachen können?“
„Ich muss überlegen. Eigentlich sollt ihr mich zum Lachen bringen, deshalb bin ich hier!“
„So weit musst du reisen, um einen Spaß zu haben?“ Das war ein gelungener Scherz, die Affen brüllen und halten sich die Bäuche. „Genug für heute, genug!“ japst ihr oberster Lacher.
Wenn ich zu übermütig bin, frage ich den Adler: „Wie sieht die Welt von oben aus?“
„Sehr klein!“ gibt er mir zu Antwort.
Die Friseure des Dschungels sind die Webervögel, bei uns als „Spatzen“ in Verruf. Sie wissen alles und verschweigen nichts. Man darf ihren Tratsch nur nicht so ernst nehmen. Sie sind es auch, die als erste das Gerücht von meiner Ankunft in Umlauf setzen, auch wenn ich noch gar nicht gekommen bin.
Bei einem Bauhinia-Gehölz flattert mir immer der schwarz-lidrige und keinesfalls liederliche Minivet um die Ohren.
„Hast du mir dieses Mal endlich blauen Lidschatten und Schminke mitgebracht?“
Will die Zierliche wissen.
„Du hast das gar nicht nötig. Nachher wollen es alle haben!“
„Aber ich will aussehen wie der Pfau, zumindest wie ein Star!“
„Dann frag´ die, wie sie sich zurecht gemacht haben!“ hatte ich ihr schon zuletzt geantwortet.
„Was soll ich die Eitelkeiten fragen, was sie nicht wissen können? Sind sie doch alle wie aus dem Ei geschlüpft. Aber du bist es nicht, du wirst am ehesten wissen, wer uns gemacht hat wie wir gemacht sind.“
Das brachte mich in Verlegenheit. Und manchmal schon haben mich die Minivets und die Barbets verspottet.
„Der nicht weiß, wer ihn gemacht hat, ist hier!“
Man hat auch immer aus Gewohnheit, wenn ich ankam, die Eule geweckt.
„Weißt du was deine Bestimmung ist?“ hat sie mich zu fragen.
„Was kümmert es dich?“
„Ich könnte dann endlich ruhig schlafen tagsüber!“
„Hast du sie endlich gefunden, die Zeit, die dir fehlt?“ befragen mich die Papageien.
„Nein, ich weiß nur, dass sie mir hier bei euch abhanden kommt.“
„Wir helfen dir suchen.“ behaupten sie und flatterten auf den nächsten Baum und haben schon wieder vergessen. Ich möchte auch vergessen lernen, was dem Herz so schwer fällt zu vergessen, was es gar nicht gern behalten möchte.
Am liebsten rede ich mit Everett, der Dschungelratte. Sie ist nicht sehr ansehnlich, aber dafür auch nicht dumm.
„Am besten ist“, meint sie, „man ignoriert die Menschen oder geht ihnen ganz aus dem Wege.“ Ich glaube, es ist wahr, was man sich über Everett erzählt. Sie sei das klügste der Dschungeltiere. Klüger noch als die Elefanten, die dauernd essen. Der Tiger, sagt man, hat sie nur deshalb nicht zu seinem Berater gemacht, weil er Ratten gerne frisst und kluge Ratten erst recht!
Der Wald von Periyar, er ruft mich mannigfach, mit vertrauten und auch mit vielen fremden Stimmen, von denen ich noch viel erfahren möchte. Hätte ich doch die Zeit, noch mehr zu lernen!
So bist du nun zum Weitergang gerufen Trete ein durch jegliches Wahrnehmungstor beschreite weitre Wachstumsstufen, immer steiler wachse hoch empor.
Der Wald hat mich gerufen, schon kam ich gelaufen, mir helfen zu lassen, meine Sinne zu schärfen und ihre Lust zur Erlebnisfähigkeit zu steigern. In den Siedlungen der Menschen gehen die Türen zu. Dort kehrt die Stille ein. Periyar ist ein geheimes Tal und ich der einzige Wanderer darin. Mit gespannten Sinnen trete ich ein in das weit geöffnete Tor des Waldes. Dies war schon längst mein Haus, vielmehr mein Spielplatz, die Schule mich zu lehren. Alle Pfade möchte ich begehen, keine Winkel übersehen und alle Bewohner des Hauses kennenlernen, ohne zu stören. Ich will große Strecken bewältigen, aber immer nur einen kleinen Raum für meine Betrachtungen einnehmen, sanft und ruhig sitzen, wenn mich die Freundlichkeit des Ortes dazu einlädt; duftende Blumen entdecken, beachtenswürdige Gewächse ertasten, auf meine inneren Wachstumsprozesse lauschen, äußere Bedenklichkeiten auf meinen Geist wirken lassen. In diesem Überfluss ist viel Kleines, das herausragt, weil es zur Großartigkeit genügt, die im Innern steckt.
Im Wald von Periyar kann man das Haupt aufrecht tragen und laut denken. Geist muss nicht im öden Wüstensand versickern oder in den stickigen Gemäuern, wo Menschen hausen, träge zu toter Gewohnheit sich beugen und unfrei dem Herkömmlichen versklavt sein. Hier gilt es, vorwärts zu den Horizonten seiner Gedanken geführt zu werden, zu erstarken, damit mutig gedacht werden kann, entfernt von Alltagssorgen, den Winzlingen, die dem Vergessen anheim fallen sollen.
Der ausgedorrte, unsanfte Boden, wo sich die kreative Phantasie untätig niedergelassen hat, wird in Periyar wieder angefeuchtet. Manchmal schiebt man ein Riesenfarn unter einem hohen Baum beiseite, um die Sicht auf das Verborgene freizumachen und erhält von oben einen Schauer aus gestautem Tau oder einen feinen Regen aus dem Überquellen eines Blütenkelchs. Es gibt die Sammelstellen Erfrischung spendenden Nasses für viele Geschmacksrichtungen. Doch müssen die wirklich ergiebigen Fundstellen immer nur abseits der Pfade gesucht werden, wo sie nicht geplündert sind. Dort wo die breiten Trampelpfade sind, sind die Herden, wo man mitgetrieben, aber nie wirklich satt wird.
Immer verraten mich die Späherstimmen; von Bäumen, aus Büschen, aus der Luft rufen sie, dass ich komme! Doch manchmal verstummen sie ganz schnell. Ich bin gemustert und für zu harmlos befunden worden, um der Warnung wert zu sein. Bin ich denn zu bedenkenlos, um gedenkenlos zu werden?
Auch die Tiere können ihr Misstrauen ablegen. Der Hirsch äst unbekümmert weiter, wenn er merkt, dass der Tiger heute keinen Hunger auf das Jagen hat. Wäre es anders, würde der Tiger nicht offen herum spazieren. Er verstellt sich nicht. Er ist kein Betrüger. Man weiß, was man an ihm hat. Man weiß, wann man ihm aus dem Weg gehen kann! Und doch gibt es auch das Tarnen und Täuschen. Wer oder was hat diese Gabe der sinnvollen Umgestaltung entarten lassen? War sie doch einst nur zur Vielgestaltung des Lebendigen im Einsatz und wird nun doch zum Teil benutzt, um anderen eine Falle zu stellen, oder um zu verhindern, dass man selber gefällt wird. Und dennoch vollzieht sich alles nach einer wundersamen Ordnung.
Und ich? Ich komme zur Erkundung meiner selbst, auch wenn ich mich den Tieren nähere, lieber noch als dass ich mich von ihnen „nähre“. Ich sehe sie mit Freuden leben und hoffe, dass sie nicht vor Schreck über meine touristische Aufmachung sterben. Da gibt es mehr zum Verwundern als zum Fürchten, wenn ich nervös an meinem schwarzen Kasten mit den Klick-Geräuschen herum hantiere, Verrenkungen mache, mich durch Unterholz und Schmutz winde, während ich versuche, allernächste Nähe gezeigt zu gewinnen - oder auch nicht! Und umgekehrt ebenso! Meine Artgenossen bedrohten sie mit der Flinte, mich sollten sie nur verwunderlich zur Kenntnis nehmen – aber dabei ruhig bleiben! „Er kommt! Aufgepasst! Was er jetzt wieder anstellt!“
Und richten sich auf mich Antennen und Augen, nicht bloß Augenpaare, denn auch die dreiäugige Spinne überm Weg registriert meinen Schatten; dazu der blinzelnde, halb ausgeschlafene Lemur unterm Baumdach und die Erdhörnchen, die kurz zwischen den Grasbüscheln hervorlugen. Sie gehen gleich wieder ihren Geschäften nach. Nichts Besonderes, aber immer noch wichtiger als einem Zweibeiner weiter Beachtung zu schenken. Und der Tiger gähnt auf seinem Lager. Und der Adler zieht weiter seine Kreise und ruft: „Es bleibt sich gleich!“ Von oben sehen sie alle gleich und unbedeutend aus. Durch Beobachtung wissen die Adler, dass die Menschen nicht fliegen und aus einer anderen Quelle, dass sie es gerne möchten!
„Halt!“ sagt der letzte, kleinste in der Wildschweinrotte, die vorübertrottet. Einen Augenblick noch, der hier – dabei schnuppert es in meine Richtung – riecht anders. Und das Makakenkind, das sich im Bauchfell seiner Mutter festklammert, versteht es so: bis jetzt kenne ich nur die nackten, braunen von der Sorte, dieser arme Kerl ist bleich, bestimmt ein ausgestoßenes Einzelkind. Man sollte ihm ein paar Früchte hinunterwerfen!
Und so stapfe ich beobachtet und oft nicht einmal beachtet durch den Wald. Und forsche ich zu sehr im Innehalten, könnte es als unbeholfene Nahrungssuche aufgefasst werden. Harmlos! Kurios! Unbeholfen! Ich bräuchte mich dann nicht zu wundern, wenn es Kokosnüsse regnete, oder, weil es die in Periyar nicht gibt, wilde Mangos. Aber mit denen wäre mir nicht geholfen, sie sind in der Wildform sauer. Der Dschungel ist grausam!
„Achtung, er kommt!“ das dürfen sie wohl sagen. Aber nicht „Er geht, na endlich!“ Ich möchte keine Schrecken verbreiten.
Und doch wird es sich nicht vermeiden lassen, wenn der Herr über die Schöpfung, der Mensch, auf den „König der Tiere“ trifft! Der König, von dem ich rede, ist ungekrönt und nur eine menschliche Erfindung, seit der Löwe in Indien abgedankt hat. Dieser hat sich schmollend und grollend über seine Schwächen, sich in Indien nicht behaupten zu können, in ein kleines Gebiet in Gujarat zurückgezogen, wo er an den Wegen zu den Dörfern lagert, um Vieh zu stehlen.
Warum die Krone auf denjenigen übergehen sollte, den beim leisesten, entferntesten Brüllen des Tigers das große Zittern befällt, vorausgesetzt es sitzt ihm kein Menschenkind auf dem Rücken, um ihn zu beruhigen? Aus meinen Erfahrungen kann ich die Frage nicht beantworten.
Ich rede von seiner Majestät dem Elefanten. Es ließ sich kaum vermeiden, dass ich ihn oder gleich ein Dutzend von seinesgleichen irgendwann, irgendwo, auf dem Wege oder daneben, erschrecken würde, weil ja mein bloßes Erscheinen schon zum Davonlaufen war. Aber ich habe keine Veranlassung seiner zu spotten, denn ich höre jetzt schon mein Herz pochen, wenn der wahre König des Dschungels, der Tiger, mir einmal den Weg verstellt.
Freilich, es genügt mir zu einem stillen Ton auch schon die Kobra, die vor mir auf dem Waldpfad liegt. Ich warte dann brav, bis sie sich seitwärts in die Büsche schlägt, weil sonst ich mich seitwärts in die Büsche schlage!
Die Tiere räumen zu sehr das Feld vor den Menschen, und am Ende wird das Feld ganz abgeräumt sein und der Mensch hat ausgeträumt, doch noch einmal in Harmonie mit der Schöpfung leben zu können.
Nein, ich habe es den Tieren selbst überlassen, ihren König zu wählen. Er, der Tiger, herrscht nicht über sie, aber er taugt als Ärgernis für die