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Roman Nies

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Beschreibung

Der Jakobusbrief ist eines der umstrittensten Schriftwerke des Neuen Testaments. Jakobus verkündete ein „anderes" Evangelium als Paulus, denn er hatte einen anderen Auftrag als Paulus. Während Paulus alles, was heilsrelevant ist, auf Christus bezieht, betont Jakobus die Werke der Gerechtigkeit, die für ihn mit der Erfüllung der Torah gleichzusetzen sind. Der Jakobusbrief ist daher nicht geeignet, die paulinischen Lehren über Christus und die Betonung der Gnade und des Vertrauens in Christus zu ergänzen. Hier muss die kirchliche Tradition kritisch hinterfragt werden, die nicht verstanden hat, dass der Jakobusbrief von einem messianischen Juden an messianische Juden geschrieben worden ist.

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Seitenzahl: 316

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Roman Nies

Der Jakobusbrief

Im Auftrag für das messianische Reich

© 2019 Roman Nies

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7497-2591-5

Hardcover:

978-3-7497-2592-2

e-Book:

978-3-7497-2593-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver-wertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gil tinsbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Der Jakobusbrief

Im Auftrag für das messianische Reich

Ein heilsgeschichtlicher Kommentar

Inhalt

Vorbemerkungen

1. Juden sind gemeint! Jak 1,1

2. Standhaftes Ausharren Jak 1,2-5.7-9.12.19; 5,10-12

3. Prüfungen und Versuchungen Jak 1,13-23

4. Das vollkommene Gesetz der Freiheit Jak 1,24-27

5. Ansehnlich oder unbefleckt Jak 1,26-27; Jak 2,1-4

6. Das königliche Gesetz Jak 2,2-14.26

7. Jakobus und Paulus Jak 2,12-26; 3,1ff

8. Der Eifer um ein verhärtetes Volk Jak 3,13.15; 4,2-17; 5,1-6

9.Geduld und Tugend Jak 5,7-9.12.16.19.20

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Vorbemerkungen

Der Jakobusbrief ist ein Brief eines Juden an Juden, der im ersten Jahrhundert geschrieben und an Juden in der Diaspora geschickt worden ist. Diese Juden waren messianische Juden, das heißt Juden, die daran glaubten, dass Jesus Christus der Messias Israels ist. Jakobus hat nicht den einzigen überlieferten messianisch-jüdischen Brief geschrieben und auch nicht den einzigen, der überliefert worden ist. Die messianisch-jüdische Briefe im Neuen Testament sind die Briefe der Apostel Petrus und Johannes und des Bruders Jesu, Jakobus, und eines Judas, der entweder ein Bruder Jesu und von Jakobus war, *1 oder einer der zwölf von Jesus gewählten Jünger.

Ihre Briefe messianisch-jüdisch zu nennen, ist berechtigt, da die vier Juden waren und an Jesus Christus als ihren Messias glaubten. Das ergibt sich klar aus ihren Briefen. Auch Paulus war ein Jude und auch er war „messianisch“. Aber Paulus unterschied sich in seinem Auftrag und auch in seiner Botschaft von dem Auftrag und der Botschaft der Jerusalemer Apostelschaft. Diese vier gehörten nämlich alle, zumindest zeitweise, der Jerusalemer Gemeinde an, die unmittelbar nach Christi Himmelfahrt zu Beginn der dreißiger Jahre des ersten Jahrhunderts entstanden ist. Sie verkündeten unter den Juden die Botschaft, dass der Messias zu Seinem Volk gekommen war und nun den Weg frei gemacht hat für eine vollgültige Umkehr zum Gott Israels, dem Gott des alten und neuen Bundes. Das messianische Reich war auszurufen, denn der Messias würde nach Seiner Himmelfahrt bald zurückkehren. Doch zuvor musste das Volk sich zu Ihm bekennen.

Die Notwendigkeit der gewissenhaften Umkehr zum Bundesgott JHWH hatten die Propheten des Alten Bundes immer wieder dem Volk gepredigt, zuletzt Johannes der Täufer und dann auch Jesus selber. Er hat durch Zeichen und Wunder, die das Volk und die Priesterschaft vom Messias als Ausweis seiner Legitimität erwartet hatten, seine göttliche Beauftragung nachgewiesen. Doch dem religiösen Etablissement passte dieser Messias nicht, denn Er entsprach nicht allen traditionellen Vorstellungen. Er schickte sich nicht an, die fremden Machthaber aus dem Land zu schaffen und griff stattdessen die Tugendhüter des Volkes an. Vor allem aber wandelte Er im Licht und in der Wahrheit, die von Ihm selber ausgingen. Darin unterschied Jesus sich am meisten von den religiösen Oberen, bei denen Licht und Wahrheit nur marginal vorhanden waren und so ihre menschliche Sündhaftigkeit nicht nachhaltig zu stören imstande waren. Ihre Ohren waren also gar nicht offen für die gesunde, wenn auch schmerzhafte Lehre über die wahrhafte Umkehr zum Gott Israels und über die unbedingte Notwendigkeit, sich dem authentischen, ungeheuchelten Gottesdienst zuzuwenden.

Den Auftrag an Seine Jünger für die Zeit nach Seiner Himmelfahrt hat Jesus in Ap 1,8 so formuliert : „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.“ (ElbÜ). Hier dürfte eine unzutreffende Übersetzung vorliegen, da das griechische „gé“ auch „Land“ bedeuten kann. *2 Das passt besser in den Kontext, denn dann hieße es Jerusalem, Judäa, Samaria und der Rest des Heiligen Landes, z.B. Galiläa, die Dekapolis etc. *3 Das stimmt auch überein mit der Aussage von Jesus, dass sie mit den Städten Israels nicht fertig werden würden, ehe Er zurückkommen würde (Mt 10,23). *4

Die Apostel und Jünger Jesu versuchten nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu, ihrem Auftrag gemäß die Umkehr des Volkes doch noch zu erreichen, denn nun, so glaubten sie, konnten sie überzeugend darlegen, dass ja der Messias den einzigen unmissverständlichen Nachweis, dass Er der Messias war, erbracht hatte (Mt 12,39). Er war auferstanden und war noch lange mit ihnen zusammen geblieben (Ap 1,2-3). Und sie waren auch Zeuge Seiner Himmelfahrt geworden. Andererseits hatte sie Jesus auch nicht zu übermäßigem Optimismus angehalten, denn Er hatte ihnen gesagt: „Denn wahrlich, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird.“ (Mt 10,23)

Sie konnten nun über die Jahre bemerken, dass die anfängliche Begeisterung dafür, dass sich anscheinend die Prophezeiung von Joel vor ihren Augen erfüllen würde, *5 zuerst einer Nüchternheit und einem Pragmatismus weichen musste und dann zu großen neuen Fragen führte, die sie jedenfalls zunächst nicht beantworten konnten. Das ergibt sich aus der Apostelgeschichte des Lukas und den neutestamentlichen Briefen.

Gerade die Ereignisse der Apostelgeschichte zeigen, dass es für die Jünger noch viel zu lernen gab, obwohl doch Jesus drei Jahre bei ihnen gewesen war. Die Apostelgeschichte berichtet jedoch nicht, dass die Jünger, die man auch Apostel nannte, *6 je mit ihren Lehrjahren fertig geworden wären und alle Lektionen gelernt hätten. Die Ereignisse der Apostelgeschichte müssen hier kurz nachvollzogen werden, weil es zum Verständnis der messianisch-jüdischen Briefe notwendig ist. Sie werden meist traditionell gedeutet. Das heißt, dass die Kommentierer von traditionellen Sichtweisen ausgehen und auf dieser Grundlage die Ereignisse erklären. So kann man jedoch nicht ausschließen, dass die Denkvoraussetzungen fehlerhaft sind und zu falschen Schlussfolgerungen führen.

Die Apostelgeschichte fängt damit an, dass Jesus sich von den Jüngern verabschiedet, nachdem Er ihnen noch einmal während vierzig Tagen „über die Dinge redete, die das Reich Gottes betreffen.“ (Ap 1,3).

Mit dem Reich Gottes ist im engeren Sinn das kommende messianische Reich gemeint, also das Reich, in das alle gläubige Juden gerne hineinkommen wollen, weil sie dann unter der Herrschaft des Messias sind und unter Verhältnissen leben, wie es sie noch nie in der Geschichte Israels gegeben hat. Dazu gab es damals reiche mündliche Überlieferungen und viel Schriftliches. Die Verheißungen für diese Zeit waren ja von den Propheten bekannt gemacht worden und wurden täglich in den Synagogen gelesen. Die Propheten waren immer messianische Propheten gewesen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass alle weiteren Aussagen jener Zeit von jenen Jüngern Jesu über das Königreich, die im Sinne eines Reichs im Himmel und in der Gegenwart Gottes gedeutet werden könnten, weitaus weniger konkret sein konnten, weil die heiligen Schriften diesbezüglich nicht konkret waren und man sonst nur das hatte, was Jesus gesagt hatte.

Der Mensch vermag ja nur, sich irdische Segnungen vorzustellen, alles was er selber als Glück erfahren hat und in seiner Vorstellungswelt vorkommt, kann er sich gesteigert und vollkommener vorstellen, aber Gott und der Himmel ist jenseits seines Vorstellungsvermögens.

Auch Jesus hatte bestimmte Dinge über das Himmelreich gesagt, aber auch diese waren nicht vorstellbar, weil das Reden über das Himmelreich Bilder erzeugt, die sich aus dem eigenen Vorstellungsvermögen ergeben und nicht unbedingt der Realität entsprechen. Das bedeutet, dass für die Juden die Predigt über das Himmelreich zuerst als Einladung oder Aufforderung verstanden ist, sich für das verheißene messianische Reich zu qualifizieren. Wenn das im alten Bund, dem Bund von Sinai, noch nicht möglich war, weil das Volk ein unzuverlässiger Bündnispartner gewesen war, dann blieb dennoch die Hoffnung, dass es nun im neuen Bund geschehen könnte. Und dieser neue Bund war von Petrus in seiner „Joel-Rede“ angesprochen worden. Da stellt Petrus Jesus als den Messias dar, also als den Herrn über ganz Israel, unter dessen Herrschaft man sich reumütig – das ist die Umkehr - unterordnen soll, damit einem die Sünden vergeben werden können. Und das war allen Juden klar – damit man in Sein Reich gelangen durfte (Ap 2, 36-39). Und Petrus betont sogar, nachdem er gesagt hat: „Ihr Männer von Israel!“ (Ap 2,22): „Denn euch gilt die Verheißung und euren Kindern und allen, die in der Ferne sind…“ (Ap 2,29) also Israel und den Juden in der Diaspora.

Jer 31,31ff beweist, dass auch der neue Bund ein Bund für Israel ist. „Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da schließe ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund: nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen - diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich doch ihr Herr war, spricht der HERR. Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schließen werde, spricht der HERR: Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.“ (Jer 31,31-33)

Da heißt es nicht, dass Gott den Bund „vielleicht“ schließt, sondern dass Er ihn schließt. Die Frage ist nur wann diese Tage sind und für Petrus war klar: jetzt sind sie! Und auch ist klar, dass das Petrus genauso wie Jeremia verstanden hat: „ich werde meine Torah in ihr Inneres legen!“ Wie der weitere Verlauf der Ereignisse zeigte, war man die nächsten zweitausend Jahre weit davon entfernt, von einer Erfüllung dieser Voraussage Gottes reden zu können. Die Juden blieben en masse ein unbekehrtes, halsstarriges Volk. Hatte sich Petrus geirrt?

Festzuhalten ist, dass an Pfingsten von Ap 2 keine Gemeinde gegründet, sondern den Männern Israel die neue Zeitrechnung vorgestellt worden ist. Die Umkehr Israels begann. Wie es weiterging, war noch offen, aber die Jünger dachten natürlich, dass das Programm „Umkehr Israels“ so lange weiterlaufen würde, bis der Messias zurückkam. Und dann würde sein Reich auf Erden sichtbar in Kraft treten. So war der „Plan“. Doch es kam anders.

Der alte Bund war der Bund der Buchstaben und der Gesetzlichkeit. Er war wie eine Heirat ohne Liebe, eine Pflichtehe. Sie missriet. Es kam zu Untreue und Ehebruch. Der neue Bund sollte ein Bund des Herzens sein, ein Liebesbund, eine Liebesheirat. Und er wird von Treue und unlöslichem Zusammensein geprägt sein. So ist es verheißen. Mit dem neuen Bund war aus Sicht der Jünger Jesu ein ganz neues Kriterium dazugekommen, denn nun war bekannt, wer der Messias war und jeder, der ins messianische Reich kommen wollte, musste Ihn auch als Messias anerkennen.

Wenn also Jesus gegenüber den Jüngern über die Dinge redete, „die das Reich Gottes betreffen“, dann lehrte er sie alles, was sie dann ermächtigte, ebenfalls mit den Menschen über die Dinge zu reden, „die das Reich Gottes betreffen“. Umkehr zum Gott JHWH, der Seinen eigenen Sohn geschickt hat, um die Umkehr vollständig und voll rechtsgültig und heilswirksam möglich zu machen, durch Seinen Opfertod. Nichts Vorläufiges und Unvollständiges mehr, sondern Christus, der Messias, der nicht nur König Israels und Herrscher über die Nationen sein würde, sondern Befreier von allen Gebundenheiten und Erlöser von allem, was von Gott trennt. Jesus ist der Heiland. Über das, was die Nationen anging, redete Petrus an Pfingsten nicht, denn er redete ja zu den Männern Israels. Das war keine Landesbezeichnung, denn einen Staat Israel gab es damals nicht, sondern das war die Anrede an alle Juden, egal, wo sie herkamen, Juden aus Jerusalem, Juden aus Judäa, Juden aus Samaria und Galiläa und Juden aus der Diaspora, die gerade alle Jerusalem besuchten und diese neue Kunde in alle Länder tragen würden.

Man muss sich auch daran erinnern, dass die Ansprache des Petrus am Schawuoth erfolgte, was die Kirchen mit „Pfingsten“ gleichsetzen. Schawuoth ist aber einer der jüdischen Festtage, wie sie in der Torah beschrieben und angeordnet sind. *7 Die Botschaft des Petrus war eine Botschaft für Israel und an die Juden, an einem jüdischen Festtag. An eine Gemeindegründung hat Petrus nicht gedacht. Wenn es aber hier der Anfang der Jerusalemer Gemeinde gegeben haben soll, obwohl die Jünger mit einem Kreis von Gläubigen, der bereits hunderte umfasste, weil nämlich Jesus fünfhundert jüdischen Menschen erschienen war (1 Kor 15,6), dann war es allenfalls eine messianisch-jüdische Gemeinde. *8 Diese Zusammenhänge werden dem Kirchenvolk meist verschwiegen, weil man sein eigenes Narrativ pflegt.

Petrus zeigt mit seiner Schawuot-Predigt, die zunächst 3.000 Juden in ihren Bann zog, dass er genau auf dieser Königreichsspur liegt, die das Judentum bereits kannte:

„Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, dass ich von meinem Geist ausgießen werde auf alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure jungen Männer werden Gesichte sehen, und eure Ältesten werden in Träumen Visionen haben; und sogar auf meine Knechte und auf meine Mägde werde ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie werden weissagen. Und ich werde Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf der Erde: Blut und Feuer und qualmender Rauch; die Sonne wird verwandelt werden in Finsternis und der Mond in Blut, ehe der große und herrliche Tag des Herrn kommt.“ (Ap 2,17-20) Doch nichts von alledem ist geschehen, denn die messianische Bewegung, die so verheißungsvoll anzufangen schien, verebbte nach Anfangserfolgen.

In der Begeisterungsphase war es so: „Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten.“ (Ap 2,42) Das sind typisch jüdische Rituale, zugleich Zeichen der Verbundenheit mit dem Messias, der die Gemeinschaft, das Brechen des Brotes und die Gebete vorgelebt hatte. Das waren die Eheanbahnungs-Verlobungsriten zwischen Braut und Bräutigam, die sich segnen, damit sie eine segensreiche Ehe miteinander eingehen können (Eph 5,32). Gewünscht sind auch begleitende Zeichen, dass die Ehe gut wird: „Es kam aber über jede Seele Furcht, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle Gläubiggewordenen aber waren beisammen und hatten alles gemeinsam; und sie verkauften die Güter und die Habe und verteilten sie an alle, je nachdem einer bedürftig war.“ (Ap 2,43-45). Und warum taten sie das? Weil sie glaubten, dass Jesu Rückkehr unmittelbar vor der Tür stand.

Und ja, zwar tat der Herr „täglich hinzu, die gerettet werden sollten“, aber die messianische Gemeinde blieb eine Sekte. Und da der Erfolg auf der ganzen Linie ausblieb und das Volk mehrheitlich gar nicht daran dachte, umzukehren, begannen die Jesusjünger und Apostel, die Anweisung in die „Städte Israels“ zu gehen, in der Bedeutung etwas auszuweiten und die Diaspora miteinzubeziehen. Das musste sich ohnehin ergeben, denn die Lehre über diesen Messias Jesus war ja auch in die Diaspora getragen worden und so war es notwendig, dass die dortigen Juden aus erster Hand und berufenem Mund das Evangelium zu hören bekamen.

In der Geschichtsschreibung kann man dabei aber nur auf Legenden zurückgreifen, die im Kern sicher auch eine Wahrheit haben. Die könnte darin zu sehen sein, dass die Verantwortlichen in Jerusalem sich die damalige Weltkarte einteilten, *9 denn überall in der bekannten Welt gab es Juden oder sogar jüdische Gemeinden. *10

Überall, wo Rom seine Finger hinstreckte, tauchten auch früher oder später Juden auf, die im Römischen Reich eine Sonderstellung hatten und relative Freiheiten genossen.

Fakt ist, dass im Jahre 70 der Tempel und die Stadt Jerusalem zerstört wurden und unzählige Juden umgebracht oder in die Sklaverei geführt worden sind. Damit ist klar, dass die Umkehr des Volkes nicht stattgefunden hatte. Der neue Bund, den Jesus und Seine Jünger dem Volk angeboten hatten, war noch nicht mit ganz Israel abgeschlossen worden, nur mit ein paar Wenigen. Vom Volksganzen konnte nie die Rede sein und nichts geschah, was die Propheten des Alten Testaments für die messianische Zeit vorausgesagt hatten. Und damit war auch die messianisch-jüdische Gemeinde in Jerusalem passé.

Das messianische Judentum hat sich noch eine Weile in der Diaspora halten können, aber allmählich wurde es durch das aufkommende Heidenchristentum, das sich gegenüber den Juden immer feindseliger zeigte, ausgedünnt. Ab spätestens dem vierten Jahrhundert war es nicht mehr existent. Das Kirchenchristentum hatte es erstickt. Zwischen den Mühlsteinen des orthodoxen Diaspora- Judentums und der heidenchristlichen Kirche war das messianische Judentum zermahlen worden. Im Heiligen Land teilte es ohnehin das Schicksal der Juden. Die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte waren allesamt Antisemiten und zeichnen mitverantwortlich für die sog. Ersatztheologie, wonach das neue Volk Gottes die Kirche wäre und Israel für immer verworfen sei. Da das Judentum vom aufkommenden Kirchenchristentum feindselig behandelt worden war, konnte es im messianischen Judentum nur eine verräterische Sekte sehen, die es aus ihrer Mitte zu verbannen galt. Damit musste das messianische Judentum folgerichtig verschwinden, wie auch die Möglichkeit verschwand, dass das messianische Reich bald kommen würde. Das messianische Judentum also ein Zeichen für die Nähe des messianischen Reiches?

Erst ab dem 19. Jahrhundert finden sich wieder Spuren von einer Wiedererweckung des messianischen Judentums und seit den achtziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts entstanden überall in der westlichen Welt messianisch-jüdische Gemeinden. Auch wenn ihre Zahl noch klein ist, so wird ihre Stimme doch immer hörbarer. Auch in Israel selbst, sind viele solcher Gemeinden entstanden. Das Wiederaufkommen des messianischen Judentums kann ebenso wenig Zufall sein wie das Wiederaufkommen eines jüdischen Staates Israel im Lande Israel. Beide Geschehnisse haben heilsgeschichtliche Bedeutung und beide haben etwas mit der Schawuot-Rede von Petrus zu tun.

Und auch bei diesen Gemeinden scheint es so zu sein, dass ihnen Jakobus näher steht als Paulus. Jakobus betonte die Gerechtigkeit durch Werke. Genaugenommen hat er damit Torah-Werke gemeint. Er ließ nie irgend einen Zweifel aufkommen, dass man die Torah treu zu befolgen hatte. Er selber galt ja als Musterfrommer, sogar bei den Gegnern der Jesusjünger. Er konnte nur das Urteil eines „Gerechten“ nach alter Lesart bekommen, wenn er ein Jude war, der offenbar alle Vorschriften der Torah streng befolgte und die Torahfrömmigkeit betonte.

Wer nur Kranke heilte oder Tote zum Auferstehen brachte, war kein „Gerechter“, es kam auf die Einhaltung der Torah an. Und da fanden die Juden in Jerusalem zu jener Zeit, als Jakobus der Älteste der Gemeinde war, an den „Christen“ wenig auszusetzen, denn: „Täglich verharrten sie einmütig im Tempel und brachen zu Hause das Brot, nahmen Speise mit Jubel und Schlichtheit des Herzens, lobten Gott und hatten Gunst beim ganzen Volk.“ (Ap 2,46-47)

Noch in Ap 4,31 heißt es: „Sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimütigkeit.“

Da war noch große Kraft und spürbare Gnade Gottes am Werk: „Und mit großer Kraft legten die Apostel das Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesus ab; und große Gnade war auf ihnen allen.“ (Ap 4,33) Und „durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder unter dem Volk; und sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salomos.“ (Ap 5,12).

Die Jünger hätten vielleicht gesagt, „das war unsere schönste Zeit“. Doch die ersten Schatten fielen bereits auf die Gemeinde. Das Ehepaar Hananias und Saphira hatten Petrus etwas verheimlicht und sie überlebten den Vorwurf von Petrus nicht. Die Episode zeigt, dass Gott keine Heuchelei duldet. Die beiden hatten so getan als würden sie ihren gesamten Besitz für die Sache Gottes hergeben. Ob das Gott überhaupt wollte, ist eine andere Frage. Gott ist sicherlich kein Kommunist. Aber Gott hasst Unaufrichtigkeit, Lüge, Unwahrheit und Heuchelei, die ja nichts weiter als Täuschung ist, da, wo die Wahrheit entscheidend ist. Hananias und Saphira stehen für eine Kirche, die um der Unwahrheit willen heuchelt und zugleich weltlichen Besitz zur Verfügung zu stellen in der Lage ist. Gutes tun, ist gut, aber nicht ausreichend! Der Wahrheit verpflichtet sein, ist wichtiger, ja, es ist sogar überlebenswichtig! Bei Gott gibt es keine Kompromisse mit der Wahrheit!

Lüge und Heuchelei sind in der Geschichte des Kirchenchristentums ständige fleißige Helfer zur bösen Tat gewesen. Genau genommen hat die Geschichte der Kirchenchristenheit diesen Weg des Unheils genommen, weil in ihr Lügen und Heuchelei Allgemeingut waren. Wo sie sind, gibt es keinen Segen und kein Heil. Die Kirchen sind die Hauptverantwortlichen für die Jahrtausende alte Verfolgungsgeschichte der Juden in Europa, dem christlichen Kontinent, der auch der anti-christlichste Kontinent geworden ist.

In Ap 5,18 werden die Apostel erstmals von dem damaligen, noch jüdischen Klerus gefangen gesetzt. Sie werden von Engeln befreit und predigen wieder im Tempel. Sie werden wieder verhaftet und geschlagen (Ap 5,40), aber sie bleiben vorerst noch unermüdlich: „Und sie hörten nicht auf, jeden Tag im Tempel und in den Häusern zu lehren und Jesus als den Christus zu verkündigen.“ (Ap 5,42) Sie schöpften noch aus der lebendigen Hoffnung, dass ja der Messias bald kommen würde und dann gingen die Uhren endlich anders. Noch ein bisschen ausharren, noch ein wenig durchhalten! Noch ein wenig leiden! Aber dann endlich…! Christus, das ist der Gesalbte, der Messias, also derjenige, den das jüdische Volk sich einerseits so sehr zurückwünschte, andererseits aber anders vorgestellt hatte. Es sollte ein Messias sein, der was bringt, nicht einer, der etwas Schmerzhaftes forderte. Doch der wurde von diesen Jüngern verkündet, ein Messias, der Umkehr forderte! Wie unbequem! Ein jüdisches Dauerthema: Umkehr, Erneuerung, Heiligung…

Ab Ap 6 nehmen die Probleme in der Glaubensgemeinschaft zu. Es „entstand ein Murren der Hellenisten gegen die Hebräer, weil ihre Witwen bei der täglichen Bedienung übersehen wurden.“ (Ap 6,1) Mit „Hellenisten“ sind die Juden aus der griechischen Diaspora gemeint, „Hebräer“ sind die Juden im Heimatland. In beiden Fällen handelt es sich aber um messianische Juden! Gleichzeitig wächst aber auch die Zahl der Jünger (Ap 6,7). Und immer noch wirkten die Jünger Wunder (Ap 6,8). Das alles zeigt, dass die Bewährungszeit als Zeit der Umkehr für Israel andauerte. So verstanden es auch die Jünger und das motivierte sie und trieb sie weiter an, unverzagt ihrem Auftrag nachzugehen. *11

Mit der Ermordung von Stephanus wird eine härtere Gangart im Umgang mit den messianischen Juden angeschlagen (Ap 6,11ff). Die Verteidigungsrede von Stephanus ist durch und durch jüdisch. Sie beinhaltet eine Erzählung der Geschichte Israels mit Gott (Ap 7,2-53). Die Nationen kommen darin nicht vor, außer als Feinde Israels. Stephanus klagt seinerseits seine Richter an. Es ist ebenso im Grunde eine Anklage wegen Heuchelei: „Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?“ (Ap 7,52) und was für die Juden der schwerwiegendste Vorwurf war: sie hätten die Torah nicht befolgt! (Ap 7,53).

Man hätte nun erwartet, dass sich Jakobus oder Petrus oder Johannes eingemischt hätten, um Stephanus zur Seite zu stehen. Vielleicht waren sie nicht in Jerusalem, als das geschah. Man gewinnt den Eindruck, dass Stephanus keine Unterstützung von seiner Gemeinde hatte. Aber es ist nicht einmal sicher, dass er der Gemeinde in Jerusalem angehörte. Später bei Paulus würde es ganz ähnlich verlaufen. Stephanus und Paulus waren Störer der innerjüdischen Ordnung. Anstatt zu „appeasen“ klagten sie an. „Ihr wollt Gottesfürchtige sein? Ihr seid Gottesmörder!“

So geht Diplomatie und Freundlichkeit! Ja nichts Nettes sagen! Stephanus, so geht das doch nicht!

Stephanus war ein Vertreter eines messianischen Judentums, der den Juden vor Augen hielt, dass sie nicht richtige Juden waren, da sie ja Jesus nicht anerkannten. Auch heutige messianische Juden bekommen die Feindseligkeit der Juden zu spüren. Und zwar aus den gleichen Gründen. Sie sagen den Juden, euch fehlt das Entscheidende: Jesus! Und so sind sie eine beständige Provokation für die Juden, obwohl sie selber nur genau das sagen, was sie für die Wahrheit halten. Und es ist die Wahrheit! Und auch die großen Kirchen beargwöhnen die messianischen Juden und laden sie nicht zu ihren Kirchentagen ein. Hauptsächlich deshalb, weil sie die Schelte derjenigen Juden fürchten, die die messianischen Juden ablehnen und ihnen das Jüdischsein komplett absprechen. Judentum, Kirchenchristentum und Islam sind sich hierin einig: messianische Juden braucht die Welt nicht! Nicht noch einen weiteren Unfriedensstifter, nachdem doch wir drei endlich Frieden miteinander gestiftet haben, oder zumindest dabei sind, uns anzunähern. *12 Diese drei sind sich darin einig, wenn sie sagen, dass es ein messianisches Judentum doch gar nicht geben kann. Wer als Jude Christus bekennt, soll Mitglied einer Kirche werden. Die messianischen Juden machen jedoch nicht mit, wenn man sie vereinnahmen will. Sie beugen sich nicht der Hausmacht des nichtmessianischen Judentums. Und dann befürchten Juden und Kirchenchristen auch noch, dass die alte antijudaistische Sichtweise eine Renaissance erlebt und dann wäre das Zeitalter des Dialogs mit den Bruderreligionen Judaismus und Islam vorbei. *13

Mit der Verurteilung und Hinrichtung von Stephanus scheinen Dämme gebrochen zu sein, denn „An jenem Tag entstand aber eine große Verfolgung gegen die Gemeinde in Jerusalem; und alle wurden in die Landschaften von Judäa und Samaria zerstreut, ausgenommen die Apostel.“ (Ap 8,1) Sonderbar! Warum nicht ausgerechnet die Rädelsführer dieser Jesusnachfolger? Vielleicht weil Gott sie noch schützte, denn ohne sie wäre die Bewegung zusammengebrochen. Oder dankte der hochehrwürdige Rat der jüdischen Oberen den Jüngern, dass sie nicht noch zusätzlich Öl in das Feuer gegossen hatten, das Stephanus angezündet hatte? Pure Spekulation. Aber später bei Paulus wird sich auch eine laut schweigende Stille an Stimmen zeigen bzw. nicht zeigen, die Paulus hätten verteidigen können, aber es allem Anschein nach nicht so getan haben, dass es die Berichterstatter bzw. der heilige Geist für lohnenswert gehalten hätten, darüber zu berichten. *14

Dennoch, von da an ging`s bergab mit dem Rückhalt der Gemeinde in Jerusalem. *15 Bisher hatten sich die Jünger Jesu als torahkompatibel gezeigt und damit als zur jüdischen Gemeinschaft zugehörig, doch nun wollten sie auf einmal die besseren Torahschüler sein, diesen Anschein müssen sie erweckt haben. Und wie vielen Juden muss es überdrüssig geworden sein, immer wieder zu hören zu bekommen, dass Jesus der Gottesknecht in Jesaja 53 sei. Wenn andere einem sagen, dass man auf der ganzen Linie versagt hat, weil man den Messias nicht erkannt hat, ist das ein Schlag ins Frömmigkeitskontor.

Wenn es nun in Ap 8,4 heißt: „Die Zerstreuten nun gingen umher und verkündigten das Wort.“ Ist klar, dass das in Judäa, Galiläa, Samaria und dem Rest des Landes geschah, das damals in verschiedene römische Provinzen und Herrschaftsgebiete aufgeteilt war, denn schon der nächste Vers sieht Philippus in einem Ort Samarias. Dort verkündet er „das Evangelium vom Reich Gottes und dem Namen Jesu Christi.“ (Ap 8,12) Auch hier wieder bedeutet „Evangelium vom Reich Gottes“ das, was Jesus über das kommende messianische Reich gesagt hatte und „Namen Jesu Christi“, das, was Jesus den Jüngern über sich offenbart hatte.

Die Verkündigung in „aller Welt“ war jedenfalls zunächst begrenzt und schleppend, auch wenn ein paar tausend Juden zum Kreis der Jünger Jesu gezählt wurden. Sie gingen ja weiterhin ihren Tagesgeschäften nach, Prediger wurden die Allerwenigsten.

„Jünger“ steht ja eigentlich für „Schüler“. *16 Ein Rabbi war ein Torahlehrer, der sich Schüler auserwählte, um ihnen die Torah und das rechte, torahgemäße Leben beizubringen. Man könnte vereinfacht sagen, dass Jesus als Rabbi Seinen Jüngern beibrachte, das wieder gerade zu rücken, was die jüdische Tradition verbogen und entstellt hatte. Aber dazu gehörte bestimmt nicht, dass nun die Torah für die Juden keine Bedeutung mehr hätte, sondern dass sie eine andere Bedeutung hatte. Sie sollte ja dem Menschen dienlich sein, auf die Wege Gottes zu kommen und nicht umgekehrt die Menschen dazu verpflichten, der Torah zu dienen. Jakobus hatte allerdings nicht zu diesen Jüngern gehört. Er war nur gläubig geworden, weil ihm Jesus persönlich nach Seiner Auferstehung erschienen war (1 Kor 15,7). Bei dieser Gelegenheit hat Jesus dem Jakobus auch bestimmt gesagt, was er tun sollte. Man darf getrost davon ausgehen, dass er sich daran gehalten hat. Ebenso wie sich Paulus später an das gehalten hat, was Jesus ihm gesagt hat. Es ist nicht gut, wenn man dem Messias nicht folgt!

Angesichts einer Bevölkerungszahl von mindestens zwei bis drei Millionen Juden im Heiligen Land, *17 war die Zahl der Jünger und an Jesus Gläubigen gering, auch wenn es zeitweise ein paar Tausend gewesen sein können. Und eben deshalb gab es für die Jünger Jesu auch keinen zwingenden Grund, in entfernte Länder zu reisen. Jesus hatte gesagt, fangt in Jerusalem an, dann geht in die anderen Stätte Israels. Und Er hatte auch selber gesagt, dass Er nur zu Israel geschickt war (Mt 15,24). Zeitweise hatte er das auch den Jüngern geboten, dass sie nur zu Israel gehen sollten, als Er sie aussandte (Mt 10,5-6). Später erweiterte er die Zielsetzung (Mt 28,19) auf alle Nationen. *18 Alle Menschen sollten lernen, was es mit dem Messias Israels auf sich hatte. Das beinhaltete das Gebot des „Jüngermachens“. Ein Jünger ist aber ein Schüler.

Später wird Paulus eine andere Gattung von Menschen einführen, die er Glieder des Leibes Christi und Erbe Christi nennt. Auch zu ihnen gehören Menschen aus den Nationen und aus Israel. Der Unterschied zwischen einem Jünger und einem Leibesglied Jesu ist, dass der Jünger seinem Rabbi nur bis zu dessen Tod folgt und dann selber ein Rabbi ist, dem wiederum andere Jünger nachfolgen. Es kommt also zu einer Trennung. Bei einem Leibesglied ist das nicht der Fall, weil diese Verbindung nicht aufzulösen ist. Hier besteht also eine größere Nähe und Identität.

Man hat in Christus bereits die endgültige Identität gefunden. Wer nach sich und seinem wahren Wesen sucht, findet es nur in Christus.

Aber das sind paulinische Gedanken. Einem Petrus oder Jakobus wären solche Gedanken vermutlich fern gewesen.

Wie sich bald zeigen sollte, waren die aus Jerusalem flüchtenden Jünger auch nicht mehr in an Israel grenzenden Gebieten sicher (Ap 9,1ff).

In dieser Phase kommt es zu einem weltgeschichtlichen Wandel. Nun betritt Saulus von Tarsus die Weltbühne. Er will die Christen verfolgen, weil er ein Eiferer für die Torah ist und noch nicht gelernt hat, gnädig zu denken. *19 Er ist ein Jude des alten Bundes, der zuerst ein Jude des neuen Bundes wird, dann ein persönlicher Vertrauter des Christus. Das war eine Entwicklung, die andere Juden auch noch machen würden.

Bei Paulus fängt der Glaube an den Messias Jesus – ähnlich wie bei Jakobus - mit der Begegnung mit dem Auferstandenen an. Paulus ist also wie die anderen Apostel und wie Jakobus ein Gläubiger durchs „Schauen“ geworden, auch wenn er gar nichts optisch sehen konnte. Aber man „schaut“ mit allen Sinnen und mit jedem Sinn schaut man einen Teil der Realität. Für Paulus reichte es. Er war Jesus als Auferstandenem begegnet und das brachte sein ganzes Konzept und einen gehörigen Teil seiner Theologie durcheinander.

Diese Unordnung hielt auch noch eine Weile an und das Umdenken, das er dazu benötigte, war ein Kraftakt, den ein Mensch gar nicht leisten kann, wenn er keinen göttlichen Beistand hat. Im Falle von Paulus war es Christus, der Paulus zur Erkenntnis und zum Bekenntnis auf die Sprünge half. Und dennoch dauerte es, bis Paulus so weit war. Es dauerte Jahre (Gal 1,17-18).

Paulus wurde, trotz des Wunders, welches er erlebt hatte, trotz einer Begegnung mit dem auferstandenen Christus, auf den alle anderen Apostel neidisch sein konnten, kein Stargast, als er nach Jerusalem kam (Ap 9,26). Man darf davon ausgehen, dass man dort froh war, als man ihn wieder wegschicken konnte (Ap 9,31). Er verärgerte die Juden in Jerusalem. Er war ein Störenfried und kein Diplomat. Warum hatten die anderen Apostel die Juden in Jerusalem nicht so verärgert? Weil sie Torahlehrer geblieben waren, womit weniger mehr gesagt sein soll, als dass sie die Torah nicht angriffen, sondern in ihrer ganzen Bedeutung stehen ließen. Jakobus und die zwölf Jünger hatte Jesus in diesem Punkt nicht missverstanden.

Doch bevor Paulus das erste Mal nach seiner Bekehrung nach Jerusalem gekommen war, hatte er drei Jahre in Damaskus und Arabien verbracht (Gal 1,17-18). *20 Erst nach der Bekehrung des Völkerapostels Paulus, kommt Petrus zu der für ihn neuen Erkenntnis: „In Wahrheit begreife ich, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jeder Nation ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, ihm angenehm.“ (Ap 9,34-35)

Das ist eine der merkwürdigsten Geschichten in der Apostelgeschichte, die man gemeinhin als „Des Petrus Sendung zu den Heiden nach Cäsarea“ bezeichnet. In Wirklichkeit wurde Petrus zu dem römischen Hauptmann Kornelius geführt, nachdem er eine Vision von unreinen Speisen hatte, die er sich nicht erklären konnte. Der heilige Geist zeigt ihm die Vision drei Mal und er sagt Simon Petrus auch ausdrücklich, dass er mit den Männern, die ihn zu Kornelius führen, mitgehen soll.

Und Petrus, kaum dass er im Haus des Nichtjuden Kornelius angekommen ist, betont, dass es ihm nach der jüdischen Sitte eigentlich gar nicht erlaubt wäre, das Haus zu betreten.

Erst am Ende der Geschichte fällt bei Petrus der Groschen. Man muss nicht Jude sein, um für Gott annehmbar zu sein! Das ist so merkwürdig wie erstaunlich, denn das bedeutet, dass er diese Kenntnis vorher nicht hatte und sie weder Bestandteil des Missionsbefehls von Jesus an die Jünger gewesen sein konnte, noch Lehrgegenstand der drei Jahre, in denen Jesus mit den Jüngern zusammen war. *21 Und das zeigt, Gott sagt nicht jedem gleich alles, sondern Er hat einen heilsgeschichtlichen Plan, nach dem alles, eins nach dem anderen, vor sich geht.

Und auch Paulus wusste das nicht alles gleich. Jesus Christus ist ihm mehrmals erschienen und Paulus verbrachte lange Zeit weit weg von der Gemeinde zu Jerusalem, in der „Klausur“. Er bekam drei Jahre, die Er mit dem Beistand von Christus verbrachte. Das war der auferstandene und erhöhte Christus. Bei den anderen Jüngern Jesu waren es drei Jahre mit dem Menschensohn Jesus, den Jesus nach dem Fleisch, gewesen, über den Paulus sagen wird, „wenn wir Christus auch nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr so.“