Auf Streifzug durch die Dschungel Indiens. Unterwegs in Indien und Nepal - Roman Nies - E-Book

Auf Streifzug durch die Dschungel Indiens. Unterwegs in Indien und Nepal E-Book

Roman Nies

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Beschreibung

In Indien gibt es abseits der Besiedlungszentren weitläufige Nationalparks und Schutzgebiete. Unberührte Wildnisse sind jedoch auf wenige Reste zusammengeschrumpft und die Gefahr besteht, dass die unvergleichliche Natur bald für immer verloren geht. Auf zahlreichen Streifzügen durch die indischen Dschungelgebiete und die Wälder Nepals hat Roman Nies viele Abenteuer erlebt und tiefe Einsichten in die Naturräume und deren Beziehung zum Menschen erhalten. Er schildert faszinierende Naturphänomene und berichtet von Begegnungen mit Menschen und ihren Problemwelten sowie vom Aufeinandertreffen mit wilden Tieren und Naturmächten. Den Leser will er zum Miterleben und Nachempfinden, aber vor allem auch zum Nachdenken anregen. Naturschutz, Arterhaltung und die Freude an den mannigfachen Lebensformen sind nur eine Seite, auf die er aufmerksam machen möchte. Mit seinen Überlegungen über den Gesamtzusammenhang der Schöpfung und über Bedeutung und Aufgaben des Menschen bietet Roman Nies außerdem interessante Anknüpfungspunkte für jeden Naturliebhaber, seine eigene Einstellung zur Schöpfung zu überdenken.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Impressum

 

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Roman Nies

 

Auf Streifzug durch die Dschungel Indiens

Unterwegs in Indien und Nepal

Inhalt

 

Überblick über den Inhalt

Prolog

Patalidun – In Indiens Norden

1. Kapitel: Gefahr für richtige Männer?

2. Kapitel: Das Gesetz des Dschungels

3. Kapitel: Alptraum

Periyar – In Indiens Süden

4. Kapitel: Periyar - eine andere Welt

5. Kapitel: Der Zweikampf

6. Kapitel: Grüne Hügel und Wälder

7. Kapitel: In der Waldschule

8. Kapitel: Geistreiche Entdeckungsreise

Chitwan – In Nepals Dschungel

9. Kapitel: Zu den Nashörnern

10. Kapitel: Die Jagd nach dem Panther

Epilog

 

Prolog

 

Indien war das erste Land in Übersee, das ich besuchte. Das war Anfang der achtziger Jahre. Inzwischen hat das Land doppelt so viele Einwohner wie damals. Auch bei meiner ersten Indienreise ist mir das Land überbevölkert vorgekommen und wie es in anderen Ländern nicht anders ist, so ließen sich dennoch auch in Indien von den Besiedlungszentren abgelegene, menschenleere Gebiete finden. Dort, wo es für den Menschen besonders unwirtlich wird, hat die Natur die größten Chancen, unberührt zu bleiben und vor sich hin zu „vegetieren“. Das sind in Indien oft gebirgige Gegenden mit steilen Bergflanken und unzugänglichen Tälern, die durch undurchdringlichen Urwald und unpassierbare Wasserläufe vor menschlichen Zugriffen geschützt sind. Daneben gibt es auch Schutzgebiete, die aber meist wiederum ein Wegenetz haben, auf dem nicht nur Wildhüter, Naturschützer und Touristen verkehren, sondern auch Eindringlinge, die sich an der Natur zu schaffen machen. Teils ist das mit angrenzenden Anwohnern so vereinbart, teils geschieht es illegal, denn der Mensch schaut auch in Indien zuerst auf seinen Vorteil. Was kümmert ihn das Geschwätz von morgen! Er will ja jetzt leben! Naturschutz und Naturerhaltung geht nur, wenn man das Morgen mit bedenkt und die entsprechenden Weichen stellt. Wilderei und Raubbau sind ein fortwährendes Problem, das sich wie ein Krebs durch das Grün der Wälder frisst.

 

Es steht viel mehr Gebiet in Indien unter Naturschutz als geschützt wird. Das war schon immer so. Die Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung hat in Indien im Gleichschritt mit der Bevölkerungsexplosion zugenommen – eben explosionsartig. Mit der Angleichung an die westliche Lebensweise, der im Vergleich zu den achtziger Jahren inzwischen die vierfache Menge an Menschen der Mittelschicht mit einer Nachhaltigkeit huldigt, die nicht nur energieaufwändig ist, sondern auch die Kultur verändert, entdecken die Inder mehr und mehr, dass es modern sei, wenn man Ausflüge in die Natur unternimmt, um damit noch naturnaher seinen Müll zu hinterlassen. Und sei es nur zum Picknick. Leider kommt auch das Bewusstsein mit einer erheblichen Zeitverzögerung ins Erwachen, dass zu einem vernünftigen und weitsichtigen Umgang mit der Natur auch die Pflege und Hege gehört und dass man dazu sein eigenes Konsumverhalten ändern muss. Dazu gehört auch, dass man Plastiktüten regelgerecht entsorgt und nicht dort wegwirft, wo man den Inhalt verbraucht hat.

 

Wie in anderen Weltregionen auch, dringen die Menschen in die Wälder ein, weil sie mehr Lebensraum brauchen und die Ressourcen der Wälder nutzen wollen. Sei es nur, dass man Holz einschlägt, das man verkaufen kann, oder dass man Plantagen erweitert, damit der Exportgewinn gesteigert werden kann, denn der Eigenbedarf ist längst gedeckt, oder dass man nach Bodenschätzen gräbt – in Indien sind es die Edelsteinschürfer, die die Waldregionen durchgraben.

 

Der indische Urwald ist auf wenige Reste zusammengeschrumpft. In Indien hat er seine typische Ausprägung, die man Dschungel nennt. Man versteht darunter meist nicht den Regenwald, der mit einer Vielzahl von Baumarten und einer Vielfalt an Lebensformen erfüllt ist und insgesamt ein sehr empfindliches Ökosystem darstellt, das gewissermaßen immer auf „Wassers“ Schneide steht und davon abhängt, dass es keine einschneidenden Eingriffe gibt. Dschungel bedeckte, anders als der tropische Regenwald noch vor 200 Jahren, den größten Teil Indiens. Das war einfach die Bezeichnung für die Wälder in Nordindien, wenn sie besonders dicht gewachsen und undurchdringlich waren. Welche botanischen Besonderheiten sie hatten oder welche jährliche Niederschlagsmenge, das war den Anwohnern dabei gleichgültig. Dschungel, das war hinter der Hütte, hinter den Feldern, jenseits der Flüsse. Dort holte man sich das Feuerholz. Zum Jagen, seit jeher ein Recht, das ähnlich wie im früheren Europa nur wenige Privilegierte hatten, nach welchem sich auch in Indien die Landbevölkerung nicht stark orientierte, ging man nur zur Not in diese unübersichtliche Wildnis. Man bevorzugte die offeneren Wälder und Lichtungen, zumal es da auch nicht zu Zusammenstößen mit den gefährlicheren Tieren kam. Deren Verhalten hat sich wenig geändert. Tiger, Elefanten, Büffel, Bären, Nashörner, Leoparden gab es noch vor 150 Jahren zu Hunderttausenden. Dazu kam noch der asiatische Löwe, der nicht von ungefähr das Wappentier Indiens wurde. Zwar hatten auch schon die früheren Beherrscher des Landes große Jagden veranstaltet. Aber das waren saisonale Ereignisse, die nur wenige Gebiete betrafen. Erst die Briten begannen mit großzügigen und weitflächigen Schlachten gegen die Großtiere. Sie und die unter ihrer Oberhoheit dienenden indischen Vasallenregenten brachten es dazu, die Großtiere bis zum Ende der britischen Besatzung im Jahr 1947 beinahe alle auszurotten.

 

Indien hat seither versucht, die Wildreservate in sich selbst erhaltende Nationalparks zu verwandeln und ihnen einen besonderen Schutz angedeihen zu lassen. Das ist ihnen zum Teil auch gelungen. Doch wenn man das, was heute gut dasteht, behalten will, muss man ständig gerüstet und auf der Wacht sein. Langfristig wird die Erhaltung der Lebensräume für die Vielfalt der Arten des indischen Subkontinents nur gelingen können, wenn die Bevölkerung es will. Das wiederum ist eine Frage der Bildung. Von dieser Art Bildung des Geistes, eines Geistes, der anerkennt, dass die Naturwunder erhalten bleiben müssen, damit man sie nicht beseitigt, sondern nutzt, auch wenn das erst künftigen Generationen vorbehalten ist, sind die Inder zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch weit entfernt. Wenn es einer jungen Generation wichtiger ist, mit künstlichen Erzeugnissen ihre virtuellen Kontakte zu pflegen und in einer Scheinwelt zu leben, als die Schätze der Natur zu bewahren, um sich an ihnen freuen zu können, dann wird es nicht zu verhindern sein, dass die Welt arm und kalt, grau und eintönig wird. Wer zu sehr in der Kunstwelt lebt, lebt am Ende nur noch in der Kunstwelt. Aber nicht lange, denn der Mensch ist auf die natürliche Umwelt angewiesen. Er kann ohne sie nicht überleben.

 

Ich habe Indien auf vielen Reisen gesehen. Ich habe den Subkontinent von Nord nach Süd und Ost nach West bereist und mich mehr als ein Jahr in diesem Land aufgehalten. Dabei habe ich immer bevorzugt die Naturräume besucht. Ich habe die Wälder in Sikkim ebenso wie die in Nepal durchstreift. Auf der Südseite des Himalayas gibt es in den Vorbergen noch ganze Höhenzüge, die einen ursprünglichen Waldbestand haben, in den tieferen Lagen wachsen noch vereinzelt Regenwaldinseln. Auch dort war ich unterwegs. Davon berichten die Kapitel eins und zwei und neun und zehn. In Zentralindien sind mir auch die meisten Naturgegenden aus eigener Anschauung bekannt. Dabei habe ich nicht nur die Nationalparks besucht, sondern auch Wildnisse, die noch nicht unter Schutz stehen. In dieser Gegend spielt Kapitel drei. Die meiste Zeit habe ich in den Waldgebieten Südindiens verbracht, davon handeln die Kapitel vier bis acht.

 

Meine Auswahl an Reiseberichten und der Schilderung von Erlebnissen habe ich getroffen, um einen möglichst vielfältigen Querschnitt solcher Erfahrungen bieten zu können, die mir selber am wichtigsten waren. Es sind Geschichten der faszinierten Naturbeobachtung; es sind Entdeckungen von Gesetzmäßigkeiten und Ideen in dem, was ich Innen- und Außenwelt nenne, das äußere und innere Erleben; es sind Begegnungen mit Menschen und ihren Problemwelten, mit wilden Tieren und Naturmächten, gegen die man sich behaupten muss. Es sind witzige, skurrile, bedrohliche, gefährliche Geschichten voller Lebendigkeit und Möglichkeiten in sie einzutauchen und zu eigenen Erkenntnissen zu kommen.

Patalidun – In Indiens Norden

 

 

1. Kapitel: Gefahr für richtige Männer?

 

Adru masa pirayahnam andschi nadanthal mudiyamah-

Jemand der in Furcht wandelt, wird der seine Reise beenden?

Tamilische Weisheit

 

Still! Horch! Ein Gedanke hatte einen Laut verursacht! Von wo war er hergekommen? Warum war ich stehengeblieben? Was ließ mich zögerlich den nächsten Schritt tun?

 

Der Ausblick ringsherum hatte nichts Großartiges zu bieten. Dessen ungeachtet, hatte mich ein merkwürdiges Gefühl der Verlassenheit beschlichen, das sichere Gesellschaft willkommen heißen würde. Es musste aus einem Versteck in der Wildnis, die mich umgab, gekrochen sein. Und nun rief es eine Reihe von unangenehmen Fragen hervor. Welche neuerliche Besonderheit ließ mich meine Sinne auf sich lenken oder spielte auch nur mit ihnen, um mich dann mit ungehörtem Gelächter zu entlassen, vielleicht noch mit der Aufforderung, die Unerklärlichkeit und Undurchschaubarkeit des bewussten Seins zu bedenken?

 

Ich hatte bedächtig um die Biegung des Weges gelugt, weil von hier die Langurenrufe gekommen waren, die, seit ich mich vom Rande des Waldes entfernt hatte, eine Ursache mutmaßen ließen, von der ich mir Abwechslung erhoffte. Von den Languren fehlte jede Spur. Und auch sonst zeigte sich nichts, nicht einmal ein geflügeltes Insekt. Wenn doch wenigstens Vogelgezwitscher die Stille durchbrochen hätte!

 

Stattdessen unübliche Gedanken! Nur nicht nachforschen, ob das Zitterrascheln der Blätter bloß meinem Wunschdenken entsprach, dass sich kein größeres Tier dahinter verbergen möge! Die Farbenspiele in der dichten Vegetation verblassten und die Formengebilde verschwammen. Ich wartete auf den Hauch eines Windes. Aber ins Waldesinnere verirrte er sich nicht. Selbst die Wipfel ruhten. Vergeblich zog ich die Luft nach den Düften der Orchideen ein - fauliges Holz von Baumleichen!

 

Woher und warum dieser plötzliche Wandel meiner Stimmung? Als hätte ich eine Welt der Suggestion betreten! War ich kurz zuvor doch noch ein munterer Spaziergänger durch den von Salbäumen dominierten Forst gewesen, der keiner Imagination bedurfte, um sich an den vielgestaltigen und farbenprächtigen Realitäten zoologischer und botanischer Herkunft zu erfreuen! Unnennbare Einbildungen, ungeformte Gedanken bestürmten mich. Gerade die Unbestimmbarkeit machte sie umso bedrückender.

 

Ein Schatten fiel über mich! Den ganzen Vormittag war der Himmel unbedeckt gewesen - frei von Trübungen wie ich. Aber nun hatte sich ein großes Wolkenfeld vor die Mittagssonne gelegt. Die Szenerie um mich herum wirkte noch grauer, und die an sich belanglosen Objekte rückten scheinbar näher, um meine Aufmerksamkeit an sich zu ziehen. Ein Baum, eben noch gerade gewachsen, wird der Mittelpunkt des plötzlichen Interesses, wenn er auf einen zu fallen droht. Ein Busch, der einen besonderen Schatten wirft, weil er sich fortbewegt und belebte Gestalt annimmt, könnte zumindest ein wildes Tier verbergen.

 

Jedoch war es mehr die Kombination einfacher Formen der Naturgewächse, die mich so furchtbar ohne Süße die Unterscheidbarkeit zwischen Realität und Phantasie prüfen ließ. Die Atmosphäre im Dunstkreis dieser Gebilde war gänzlich unverwandt mit der hellen, Freundlichkeit anstimmenden Luft, die ich draußen eben noch geatmet hatte. Hier kam die Luft nicht vom Himmel herab, sondern sie kroch aus dem trüben Gedampf des Pflanzengeschlings, das überhangen war von graufarbenem, abgestorbenem Gestrüpp.

 

Nur noch einen Schritt tat ich - irgendetwas Faszinierendes war außer mir, das mich innerlich erregte - dann hielt ich vollends still. Eine Ahnung von ich weiß nicht was wuchs nun zu einem unbeschreiblichen Missbehagen. Was mich aus geweckter, aber vorsichtiger Neugierde allenfalls hätte zaudern lassen, von der Stelle wegzukommen, ließ mich nun der Ungewissheit wegen schaudern. Mir war es, als hingen die Wolken dicht über mir, unbeweglich und düster, als wollten sie den Himmel und das hoffnungsvollere Licht für immer wegschließen.

 

Ich war höchstgradig angespannt, als erwartete ich den Moment einer Einzigartigkeit. Doch nichts Lebendiges zeigte sich! Es lebte nur meine schöpferische Vorstellungskraft. Was hatte sie so angestachelt? Keine Spur, die zu Augen oder Ohren heranreichte! Es blieb alles bewegungslos und stumm, das grenzenlose, unfassbare Schweigen allerorten.

 

Die Vielheit der abstrusen und planlosen Gedanken wurde allmählich eingedämmt durch die Vernunft, die versuchte, Zusammenhänge herzustellen. Es war ja nur, soweit der Stand der Dinge, mein launisches Gemüt, das es zu beruhigen galt. Nicht nur, denn: „Das denkst du nur!“ verriet eine Erst-recht-Stimme und warnte, dass die Wahrnehmung verlässlicher sei als die Deutung: So viele Verursacher von nichts!

 

Meine Blicke wanderten die Stämme der Salbäume hinauf und hinunter und versuchten das Dickicht an ihren Wurzelfüßen zu durchdringen. Ich konnte nichts entdecken, außer einem Bienennest in halber Höhe. Es war sicher seit einiger Zeit verlassen. Schon der Gedanke, dass es sich um die gefährliche Dorsata-Art handeln könnte, hätte mir unter normalen Umständen Beine gemacht. Hier fiel mir das Fortkommen schwer. Mein Geist mühte sich tiefsinnig um Aufklärung, was denn hier an diesem Ort so sonderbar sein könnte, doch erfolglos. Keine Gedankenblitze, um das Dunkel zu erhellen!

 

Das Gesuchte offenbarte sich nicht, weder in- noch auswendig, obwohl ich zu wissen glauben wollte, auf der richtigen Fährte zu sein. Und wenn die Schatten einer Gefahr auf mich gefallen waren, die mit ihrer Offenbarung noch wartet, um mit mehr Macht zu kommen?

 

Es trieb mich nicht zurück auf meinem Weg. Die unerklärliche Lust zu bleiben, kämpfte wenig gegen das Unwohlsein, das doch bald zur Übelkeit aufkommen musste. Mein nervöses Herz ließ die doch nicht stehengebliebene Zeit spürbar anschlagen.

 

„Es wäre leicht, diesen Ort des baldigen Schreckens zu verlassen, wenn es nicht noch leichter wäre, zu verharren.“ Eine seltsame Angewohnheit von Kaninchen, nicht gleich vor der Schlange zu flüchten! Aber der Mensch ahnt ja weiter als ein Kaninchen. Ginge ich, ließen mir die Selbstvorwürfe danach keine Ruhe, das Besondere versäumt, dem Unergründlichen weder auf den Grund gefühlt noch zuwenigst seine schwarze Wandung ausgeleuchtet zu haben.

 

„Hier ist nichts, was den Aufenthalt lohnt!“, besagte der schmächtige Widerwille.

 

„Woher willst du das wissen, Lustlosigkeit, gemächlicher Lüfte stiller Begleiter?“ Zumindest spürte ich den Willen mächtig, die Unsicherheiten darüber, was hier am besten zu tun wäre, zu überwinden. Und das geschieht am besten durch eine Lösung. Doch würde sie mir auch gefallen? Solange die Angst nicht geweckt ist, lass sie schlafen! Solange eine Gefahr nicht nachgewiesen ist, wozu sie befürchten? Zuerst sollte man sie entdecken! Der Ahnungslosigkeiten Enden sind vielgestaltig. Wird eine böse Ahnung daraus, warum nicht sogar eine Vorfreude empfinden darüber, dass man bald mehr weiß? Eine unterhaltsame Übung, bei jeder körperlichen oder seelischen Anstrengung auf Erleichterung zu hoffen!

 

Auch das ist anstrengend, die Sinne so anzuspannen, dass man von jeder körperlichen Regung Abstand nimmt! Sogar das Atmen zu unterdrücken und dabei zu warten auf das Offenbarwerden des unheimlich Heimlichen, als ob die Existenz der ganzen eigenen Welt darüber verloren werden könnte. Da musste gehandelt werden, damit man nicht wie gelähmt der Mächte harrte, die da kommen wollten, um die Sinne vollends in ihren Bann zu schlagen. Man darf sich nie wehrlos machen lassen. Nein, eben zuckte willkürlich ein - nur ein - Augenlid!

 

Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging im Schwarm der undefinierbaren Empfindungen, die ihren Zusammenhang suchten mit meiner Umgebung. Wo war ich überhaupt? Nicht einmal das wusste ich! Ich hatte mich schon zu weit vom Ausgangspunkt meines Streifzugs entfernt.

 

Ich fühlte eine Bedrohung und glaubte sie anzweifeln zu müssen. Ich verdächtigte mich des Aberglaubens, der Trunkenheit von berauschenden Blütendüften, und getroffen zu sein vom dichten Pollenflug ayurvedischer Pflanzen.

 

Ich wusste von meiner Sensibilität für Angriffe auf die Wahrnehmungsorgane und die Resonanzbreite der Seelenstimmungen. In der Außenwelt dagegen rührte sich nichts. Alles war in Bewegungslosigkeit versunken. Das Stoßen meines Herzens nur, das den ganzen Brustraum erfüllte und in den inneren Ohren widerhallte.

 

Ich versuchte, nüchtern zu ergründen, was mich besinnig, aber anscheinend sinnlos gefangen genommen hatte. Der bloße Gedanke, der lächerliche, mit allem Ernst gedachte Gedanke, dass ich nicht mehr von diesem Fleck wegkommen würde, erregte Schwindel, als ob ich vor einer unlösbaren Aufgabe stünde. Dazu kam das quälerische Mühen, die Ursache meines Befindens zu erfassen, den Schleier an Befürchtungen wegzuziehen. Elende Aussichten sind besser als gar keine! Die Trübsal von hochfliegenden oder tief grabenden Gedanken, die durch keinen Ansporn der Vorstellungskraft zu einem Ende gedacht werden können, wurde zu einer bohrenden Ungewissheit!

 

Das Gefühl von einer Bedrohung wuchs und breitete sich düster aus in meiner Seele. Woher nur das Licht nehmen, um es zu durchleuchten? Dies also ist die Angst? Gebärdet sie sich wie eine heraufdämmernde Umnachtung? Beginnt so der Wahnsinn?

 

„Nein! Da draußen“, wusste ich, „ist etwas!“

 

Es gab keinen Wind. Also hatte mich kein Schattengewächs auf dem Luftweg vergiftet. Wildes Getier? Tigerstreifen im Unterholz? Nicht einmal eine Maus, die über den Waldboden lief! Keine Zikade hatte einen Zirper getan. Kein Rascheln des Khakar, der kleinsten Hirschart. Nichts, was sonst den üblichen Eindruck des Lebendigen vermittelte. Also auch kein Warten auf Tröstliches, wenn der Anschein einer unheilvollen Wirkung wie von einer Todesstätte ausgeht und doch die Erleichterung kommen muss.

 

Waren nun die Sinne wach und die Denkkraft schwach oder war es umgekehrt? Im Atmen steckte Beklemmung. Ein gewichtiges Etwas beschwerte mich und ließ meine Glieder bleiern ermüden. Ich hörte in den Leitungsbahnen der Baumriesen den Saftfluss rauschen. Oder war es der Blutstrom in meinen Ohren, der von den Blattrippen bis zu den Wurzelenden in die von giftigen Blumen bewachten Felsspalten reichte?

 

Eine geraume Zeit musste ich so grüblerisch gestanden haben, der Böschung abgewandt. Jetzt mich umzudrehen, war einer meiner Gedanken. Ich musste dem Unbestimmbaren eine Richtung geben. Das überschaubare Wegstück führte leicht bergan bis zu einer Biegung ein paar Schritte weiter. Es war so naheliegend, diesen seltsamen, zwielichtigen Ort hinter mir zu lassen. Hier gab es für mich nichts zu untersuchen, wenn sich das Ungewöhnliche, das für den Alltag Untypische nicht weiter offenbarte und feige auf die Nacht wartete, um dann doch durchs Unterholz zu entschlüpfen, vollends aus meinen gestörten Kreisen.

 

Nach einigem Zögern hatte ich, bevor es noch bange wurde, meine Entschlossenheit zurückgewonnen. Es blieb nur Verwunderung über das weite Feld der unentdeckten Innenwelt. Die Erwartungshaltung, die sich im Hintergrund meiner Denksphäre gehalten hatte, dass da irgendetwas Besonderes aufzutauchen hätte, meldete sich geschwächt und erklärte ihre Niederlage. Zu viel Aufwand, für einen nichtigen Ertrag! Und doch war ein Ergebnis die Erinnerung daran, mich verpflichtet zu haben, Visionen aufzuspüren, um den Weltensinn auszudenken. Das, was meine Welt zusammenhält, soll gefestigt werden. Und das, was sie schwächt und herabzieht, soll gemieden werden. Dazu braucht es Welterkenntnis und Selbsterkenntnis.

 

„Man muss wissen, wo und wann?“, spottete ich zurück. „Hier nicht!“, beschloss ich meine Erkenntnis. Dennoch ist stets aus eben diesem höheren Grunde allem mit Wachsamkeit zu begegnen, was sich dem Blick der unaufmerksamen Mehrheit entzogen hält, eine Grundhaltung der Aufnahmebereitschaft selbst noch dem ermüdeten Eigensinn anzuraten. Ratlosigkeit darf nicht vorbeiführen an den Haltestellen, die man zur Rückbesinnung braucht, um dann doch noch gelehrt zu handeln. Was aus Gewohnheit unbeachtet bleibt, ist vielleicht das Wesentliche. Es scheint dies allzu oft eine ungeschöpfte Quelle zu sein, die mit bitteren Wahrheiten speist und deshalb gerne von unserem verwöhnten Mund verschmäht wird. Wer aber einmal freiwillig davon gekostet hat, erfährt eine gewisse Gelassenheit, die ihm hilft, sich von alltäglichen Gewöhnlichkeiten und Selbstverständlichkeiten freizumachen.

 

Ich fasste einen Entschluss. Endlich! Hier war nichts, was das Verbleiben lohnte. Ich setzte meine Füße in Bewegung. Ich machte mich davon.

 

Über mir durchbrachen die Sonnenstrahlen den Wolkenrand. Ich durfte mich nicht mehr aufhalten lassen, wenn ich Paterpani noch frühzeitig erreichen wollte, damit es mir vor Einbruch der Dunkelheit noch nach Dhikala zurückreichte.

 

Ich kannte das Gelände gar nicht. Nur die Karte gab mir Anhaltspunkte. Es war sicherlich nicht schwer, ein letztes Wegstück in der Dunkelheit zurückzulegen, dachte ich und hielt inne: Und wenn doch ein Tiger im Hinterhalt gelegen hatte? Ich hätte den gleichen Weg wieder zurückzugehen. Dann aber hoffentlich ohne unsinnige Gedankenspielerei!

 

Ein Minivet flog über den Weg, als ob mir das zeigen sollte, „wir sind die einzigen wilden Tiere, die sich im Unterholz herumtreiben“, zierliche Kleinvögel, denen die Unscheinbarkeit in den Federn sitzt, obwohl ihre furchtbare Gefräßigkeit bunten Raupen und leuchtenden Käferlarven teuer zu stehen kommt.

 

Links und rechts war der Weg von Salbäumen flankiert, hier stand ein Sandan, dort ein wilder Mangobaum und Narguldickicht, das bis auf den Weg heruntergewachsen war. Ein toter Käfer lag auf dem Boden. Ein paar schwarze Ameisen waren mit ihm beschäftigt. Er wurde geschätzt. Dieses Mal waren sie schneller als die roten Ameisen. Der Untergrund war nicht geeignet, Fußspuren abzubilden. Auf dem Weg wuchs Gras. Er wurde selten begangen und noch seltener befahren.

 

Mir fiel ein, dass ich zurückgehen konnte, um den Wegrand, der oft von Tieren als Pfad benutzt wird, und den Graben daneben nach Abdrücken zu untersuchen. Ich verwarf den Gedanken wieder. Vielleicht hatte es doch einen unangenehmen Grund für mein ungewöhnliches Verharren gegeben. Ich wollte es so genau dann doch nicht wissen!

 

 Die Vorstellung von Gefahr kommt bei den Städtern wohl daher, dass man im Dschungel nie genau weiß, was einem vor die Füße läuft - Autos fahren auf Straßen. Der Verkehr ist vorausberechenbar und in manchen Ländern, fern von Indien, sogar geregelt. Wenn man das Verhalten von wilden Tieren voraussagen will, verkalkuliert man sich oft.

 

Wie im Straßenverkehr muss man sich auch im Dschungel an gewisse vernunftbestimmte Regeln und Vorsichtsmaßnahmen halten, um Ärger aus dem Wege zu gehen. Wegen der verbleibenden Überraschungsmöglichkeiten und Konfliktsituationen sollte man ohnehin nicht von einem gefahrlosen Wochenendausflugsziel reden. Dennoch ist die Wildnis sicherlich weniger gefährlich, als weithin angenommen wird. Man bedenke, wie viele Millionen Inder im Dschungel leben oder zumindest darin arbeiten. Sie sind unterwegs in geschäftlichen Angelegenheiten oder um Verwandte zu besuchen. Kinder gehen in die Schule, weit weg von ihren Hütten, oder führen die Haustiere zum Grasen hinaus, Frauen schneiden Gras oder sammeln Feuerholz. Und das geschieht tagtäglich hunderttausendfach. Und sie kommen alle immer wieder an den Liegeplätzen der Tiger und Leoparden vorbei, die beobachten. Was bleibt da von der Vorstellung blutrünstiger Raubtiere? Es ist natürlich eine Legende. Es sei denn, man bezieht sich auf Einzelfälle. Es gibt also auch keinen Grund, zu verharmlosen.

 

Früher, als die Dschungelgebiete noch größer waren und es zehnmal mehr Wildtiere gab, war der Anblick solcher Tiere Gewohnheit. Es kam selten zu Zwischenfällen. Die Zahl der Verkehrstoten in diesem Land übersteigt die Zahl der Personen, die im Dschungel ihr Leben lassen, bei weitem! Auch den gefürchteten Schlangenbissen fallen die Bauern nicht etwa im Dschungel zum Opfer, sondern in den Dörfern und Feldern, wo der Kulturfolger Nummer Eins in rauen Mengen auftritt: die Ratte. Schlangen fressen Ratten!

 

Zugegeben, Statistiken interessierten mich jetzt, wo ich auf dem Thandi Sadak spazieren ging, überhaupt nicht. Ich grübelte vielmehr, ob sich nun nach der Warnung des Rangers die Wahrscheinlichkeit erhöht hatte, dass ich irgendetwas mit einem Tiger zu tun bekommen würde, oder ob es sogar wahrscheinlicher geworden war. Diesen feinen Unterschied herauszuarbeiten, machte jetzt auch keinen Sinn.

 

Es war erst eine knappe halbe Stunde her, seit mir der Wildhüter ein Rätsel aufgegeben hatte, das ich nicht ernsthaft lösen wollte. Aber ich erzähle alles besser der Reihe nach. Der Leser hat es leicht. Er steht mit der Macht der Worte transportiert unversehens mitten im indischen Dschungel, ohne sich Risiken aussetzen zu müssen. Ehe ich dort war, hatte ich bereits einige Mühen hinter mir. Es war ein Glück, dass ich überhaupt so weit gekommen war.

 

Wäre es nach der indischen Bürokratie gegangen, wäre ich noch in Ramnagar festgesessen. Die indische Gastfreundlichkeit wusste dies jedoch zu verhindern.

 

Mein Ziel war der Corbett-Nationalpark. Erfahrungsgemäß war es eine langwierige, umständliche Angelegenheit, wollte man den Besuch eines indischen Nationalparks von Übersee aus planen und vorbereiten. Ich verzichtete darauf, in der Überzeugung, alles in gewohnter Manier vor Ort regeln zu können. Immerhin war ich im Besitz eines höflichen, wenn auch unverbindlichen Einladungsschreibens des Wildhüters. Er ist der Chef im Park.

 

In Delhi versorgte ich mich beim Survey Department mit dem entsprechenden Kartenmaterial. Wie sich noch herausstellen sollte, war dies eine nützliche Maßnahme.

 

Dann besuchte ich das Uttar Pradesh Government Tourist Office, um die letzten Informationen über mein Reiseziel einzuholen. Als ich das schmale Heftchen musterte, das mir eine freundlich lächelnde junge Dame überreicht hatte, muss man mir meine Skepsis angemerkt haben. Sie entschuldigte sich für die Kärglichkeit des zur Verfügung stehenden Materials und erkundigte sich zugleich, ob ich nicht an anderen besuchenswerten Örtlichkeiten Gefallen finden könnte. Wie nett!

 

Dabei hatte ich mich bereits die letzten beiden Tage mit den Sehenswürdigkeiten Delhis näher bekannt gemacht, nur um zu der Überzeugung zu gelangen, dass mir jeder weitere Tag in der Stadt auf dem Lande fehlen würde.

 

Der Corbett-Nationalpark ist über Ramnagar zu erreichen. Dort im Hauptquartier des Project Tiger bekommt man die Besuchserlaubnis für den Park. Das einzig Aufregende an der ermüdenden 300 km langen Fahrt zu den Vorgebirgen des Himalayas war die Fahrt durch Moradabad. Dort hieß es aufpassen, ob der Fahrer auch wirklich nach sieben Kilometern nach links abbog, wie in meinem schmalen Wegbegleiter zu lesen war. Er bog nach rechts ab. Ich war maßlos enttäuscht und schlief darob wenigstens ein.

 

In Ramnagar sollte eine noch größere Enttäuschung auf mich warten. Der Wildhüter war nicht da. Meine Referenz machte keinen großen Eindruck auf den Assistenten des Wildhüter-Assistenten, Mister Hira, der darüber zu entscheiden hatte, wer den Nationalpark betreten durfte.

 

„Alles ausgebucht!“, lautete die ernüchternde Auskunft.

 

„Und morgen?“

 

„Morgen und übermorgen und die ganze Woche, und nächste Woche auch!“

 

Er zeigte mir das Besucherbuch, aus dem hervorging, dass für die nächsten zwei Monate alles ausgebucht war. Zwei Inder, die neben mir standen und eine Reservierung vorzuweisen hatten, wurden ebenfalls ohne weiteres abgewiesen. Solange die Herrschaften, die sich zurzeit im Park aufhielten, nicht das Feld räumten, nutzten auch Reservierungen nichts! In Wirklichkeit waren die Parkkapazitäten bei weitem nicht ausgelastet. Aber das wusste ich jetzt noch nicht.

 

Mister Hira war ein großer Graubärtiger, der trotz der Strenge in seinem Minenspiel einen sympathischen Eindruck auf mich machte. Es klang etwas verheißungsvoll, als er mich vor seinen Schreibtisch setzen hieß. „Sit down and wait!“

 

Das bedeutet bei indischen Behörden meist, dass man die Sache nicht ganz verloren geben muss, sofern man über ausreichend Geduld verfügt. Da ich noch nicht lange im Land war, war mein Vorrat an Geduld noch nicht erschöpft.

 

Zuerst verabschiedete Mister Hira die beiden protestierenden indischen Touristen in souveräner Manier, als gehörte Unnachgiebigkeit zu seiner Berufsausstattung, dann verschwand er grußlos und ließ mich in seinem Büro sitzen.

 

Ich saß also da und wartete. Ich wartete, weil ich das Gefühl hatte, dass Warten im Augenblick das Richtige wäre. Eine knappe Stunde später - ich hatte mir die Zeit verkürzt, indem ich ein paar auf dem Schreibtisch liegende Akten durchgesehen hatte - tauchte Mister Hira wieder auf und ließ mich wissen, dass er Mittag essen gewesen wäre. Er fragte mich tatsächlich, was ich wollte.

 

„Oh, ich denke, ich möchte noch immer in den Park!“

 

Er blickte mich vorwurfsvoll an und fragte mich, warum ich nicht zum Lunch gewesen wäre.

 

Hätte ich die Akten alleine lassen sollen? Mister Hira deutete auf die Karte an der Wand hinter sich und sagte, dass Dhikala, das Touristenzentrum des Parks, überfüllt sei. Ich sagte, ich sei nicht anspruchsvoll und könnte auf die Gesellschaft von Touristen verzichten.

 

„I prefer solitude!“ Ich ortete einen einsam dastehenden Namen auf der Karte: „Sarpaduli“. Dahin wollte ich!

 

„Da ist es sicher ruhig!“

 

Nach Sarpaduli wollte er mich jedoch nicht gehen lassen, denn da hatte sich angeblich gerade eine Elefantenherde breitgemacht. Es würde eine Weile dauern, bis sie weiterzogen. So wie letztes Jahr, bevor sie nach Paterpani aufbrachen.

 

„Na gut, dann nehme ich eben mit Birani vorlieb.“ Auch hier zeigten mir die Logos, dass dort zumindest eine Hütte vorhanden sein musste.

 

„Biryani hätten Sie eben haben können, wenn Sie beim Lunch gewesen wären.“ Biryani ist ein beliebtes indisches Reisgericht. Der war auch noch witzig!

 

„Sie meinen Bijrani!“, korrigierte er mich, „Bijrani, Gairal und Khinnanauli sind ausgestattet mit Betten, Matten, Kissen, Bezügen und regelmäßiger Wasserversorgung, sind aber zurzeit nicht verfügbar. In Sultan, Malani und Jhirna sind nur Bettgestelle vorhanden. Haben Sie Bettzeug?“

 

„Nein, brauche ich nicht!“

 

„Haben Sie Verpflegung für drei Tage?“

 

„Kann ich besorgen.“

 

„Nützt nichts, alles ausgebucht oder nicht verfügbar!“

 

„Da gibt es doch noch Paterpani!“

 

„Und wie wollen Sie da hingelangen? Haben Sie ein Fahrzeug? In Ramnagar können Sie keines mieten. Sie müssten zurück nach Delhi, eine ziemlich weite Strecke!“

 

Was trieb dieser Mr. Hira für ein Spiel mit mir? Egal, ich würde nicht lockerlassen.

 

„Es gibt hier auch Reitelefanten. Um einen zu bekommen, werde ich nicht so weit laufen müssen!“

 

„Nein! Aber die Reitelefanten werden nicht für Sie so weit laufen wollen. Paterpani liegt abgelegen. Ohne Ortskenntnisse und ohne Begleitung kommen Sie da nicht einmal zu Fuß hin! Außerdem ist es...“

 

Ich hörte nicht mehr hin. Vielleicht sagte er, dass es geschlossen sei, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Das dachte ich jedenfalls. Der Mann wollte mir offenbar nicht weiterhelfen. Später hätte ich jedoch jede Information über Paterpani gut gebrauchen können!

 

Nach einiger Zeit, in der wir kein Wort gewechselt hatten, schlug er mir vor, ich sollte mich erst einmal im Rasthaus nebenan frisch machen und etwas essen. Falls sich etwas Neues ergeben würde, würde er mich holen lassen.

 

Ich wusste zwar nicht, was er mit „Neues ergeben“ meinte, aber ich hatte sowieso im Augenblick nichts Anderes vor. Zweifel blieben. Konnte ich in der Sache noch etwas erreichen? Da ich hungrig war, ging ich auf den Vorschlag ein. Unterdessen würde mir vielleicht noch etwas einfallen.

 

Im Rasthaus saß außer den beiden mit ihrer Erfolglosigkeit hadernden Indern noch ein junger Engländer mit roten Haaren und ebensolcher Nase. Ich fragte ihn vorsichtig nach dem Grund seines Hierseins. Er machte auf mich zunächst einen etwas snobistischen Eindruck. Es stellte sich jedoch heraus, dass er ein feinsinniger Farmerssohn, ausgerechnet aus Birmingham, der zweitgrößten Stadt Britanniens, war.

 

„Nun, ich bin hierhergekommen, um Tiger zu sehen!“

 

Mir verschlug es schier den Atem. Mit dieser Perspektive hatte ich nicht gerechnet, jedenfalls nicht in den letzten zwanzig Minuten! Nachdem ich mich gefangen hatte, sagte ich:

 

„Das ist in der Tat sehr erstaunlich. Ich für meinen Teil wäre schon froh, überhaupt in diesen Park - wie heißt er doch gleich wieder...?

 

„Jim-Corbett-Nationalpark!“

 

„...richtig! Carpet! - einreisen zu können.“

 

Darren Roberts war wahrhaftig zu keinem anderen Zweck nach Indien gekommen, als um Tiger zu sehen. Für einen Farmerssohn aus Birmingham ein ungewöhnliches Begehren! Er führte mir seine umfangreiche Fotoausrüstung vor, die in naheliegender Zukunft auch seine Berufsausrüstung sein würde. Ich war irgendwie beeindruckt. Wenn es ihm gelingen sollte, mit so viel hinderlichem Material einen Tiger „dingfest“ zu machen - alle Achtung!

 

Ich bestellte mir etwas zu essen und nutzte die Gelegenheit, Darren zu einem Drink einzuladen. Er würde am Nachmittag mit dem Minibus der Parkverwaltung nach Dhikala gefahren werden. Er hatte schon vor Monaten gebucht und nun trotzdem schon drei Tage lang in Ramnagar warten müssen. Ich versicherte ihm, dass ich nicht die Absicht hatte, so lange zu warten. Im Übrigen würde ich nicht wetten, dass er heute noch nach Dhikala kommen würde. In seinen Augen blitzte energischer Widerspruch auf, als ich das sagte. Er erwiderte:

 

„Ich wette, dass ich vor dir mit den Tigern von Periyar fotografische Bekanntschaft machen werde!“

 

Er redete sogar gleich von Tigern im Plural! Die Fairness gebot mir, nicht auf diesen Mangel an Understatement einzugehen. Er war wohl neu in diesem Land, das „Greenhorn“ noch gerötet. Nach meinem ausgiebigen Mahl verabschiedete ich mich von ihm und wünschte „good luck“. Sein Gruß fiel weniger schlicht aus, etwa so:

 

„Ich bedauere es extrem, nicht den in Aussicht gestellten Wettstreit ausfechten zu können, aber verliere du den Mut nicht. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, wird auch für dich das Glück winken. Aber verlass dich nicht darauf. Man muss hart dafür arbeiten.“

 

Es war mir nicht bekannt, dass die Leute aus Birmingham so reden. Ich wollte ihm noch ein „fortune favours fools“ hinterherwerfen, ließ es aber doch bleiben.

 

Mister Hira hatte keine Neuigkeiten für mich. Ich nahm die Karte vom Park genauer in Augenschein. Sie war detaillierter als meine Karte vom Survey Department. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, mich in der Pufferzone des Parks aufzuhalten, wofür ich keine Erlaubnis benötigen würde. Dafür wäre eine umfangreichere Logistik erforderlich gewesen.

 

Es änderte sich alles, als eine indische Familie ankam. Als ich den Mann sah, war es mir, als hätte ich ihn schon einmal gesehen. Er lächelte mir freundlich zu. Kaum war er eingetreten mit Frau und Kindern, war der Assistent vom „Assistant“ aufgestanden, grüßte die Neuankömmlinge wie alte Bekannte und unterhielt sich angeregt mit ihnen. Ich verstand so viel, dass auch von mir geredet wurde, was mich neugierig machte. Der Mann wendete sich mir zu, reichte mir die Hand und fragte mich:

 

„Sie erinnern sich nicht an mich? Aber ich erinnere mich an Sie! Vor ein paar Tagen waren Sie in meinem Office in Delhi.“

 

Ich war in verschiedenen Behörden in Delhi gewesen, um eine Einreisegenehmigung für Assam zu erlangen. Mister Hira ging mit seinen Landsleuten nach draußen, ohne darauf zu warten, dass ich etwas darauf entgegnen konnte. Als Mr. Hira wieder alleine hereinkam, wies er mich an, mich in das Besucherbuch einzutragen. Ich wollte gerade nach dem Grund seines Sinneswandels fragen, da kam der Herr aus Delhi herein, reichte mir noch einmal die Hand und stellte sich mir als Mister Sesham vor. Er war Manager des U. P. Tourist Office und hatte mein starkes Interesse am Corbett-Nationalpark mitbekommen, als ich seinerzeit mit seiner Sekretärin gesprochen hatte.

 

Er bot mir eine der beiden Suiten im Dhikala-Rasthaus an. Er hatte sie für sich und seine Familie reservieren lassen, leider, so sagte er, nur für drei Tage. Wenn ich länger bleiben wollte, müsste ich mich um ein Arrangement im Park bemühen. Hauptsache war natürlich, dass ich erst einmal im Park war. Ich war gerührt und sagte Dank, dabei schob ich dem Sesham Junior ein kleines Taschenmesser zu. Ich führte immer ein paar als Geschenke mit mir.

 

Diese Episode zu erzählen, ist eine nachträgliche Geste der Dankbarkeit. Wer eine Reise durch Indien unternimmt, erfährt Ärger auf mannigfache Weise als beinahe ständigen Wegbegleiter. Und oft genug ist die Andersartigkeit der Menschen dafür verantwortlich. Wenn man dann oft in seinen Berichten unvorteilhafte Wesenszüge nicht unerwähnt lassen möchte, kann man dafür erst recht die Beispiele an Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft nennen, die für den verdrossenen Reisenden ein notwendiger Ausgleich sein müssen für die erlittenen Unannehmlichkeiten.

 

Aus der Masse gleichgültiger oder eingeschüchterter Inder, die nach karmischen Gewohnheiten leben, heben sich jene besonderen Charaktere hervor, die durch größere Taten glänzen, als man vielleicht selbst zu vollbringen in besseren Tagen in der Lage wäre. Diese jede Art von mitmenschlichen Verpflichtungen übersteigende Hingabe mitzuerleben, ganz abgesehen von den angenehmen Folgen, die es einem bringen mag, gehört zu den eigentlichen Höhepunkten einer Reise. Es sind immer noch Menschen und ihre Taten, die einem das Leben lebenswert und das Reisen zu einem Vergnügen machen.

 

Trotz dieser hoch zu bewertenden Singularitäten müssen manchmal auch die Übel, die einem widerfahren, erwähnt werden. Ich schreibe dies, um der Verwunderung vorzubeugen, die den Leser noch befallen kann, falls er sich des Weiteren noch befleißigt fühlen wird, auf das Mehrheitsverhalten der Inder Rückschlüsse zu ziehen. Er möge lieber bedenken, dass sich Menschen, gleich welcher Rasse und Nation, in den meisten Situationen sehr ähnlich verhalten.

 

Mister Sesham gehörte ganz offensichtlich zu den Menschen, die einem das Reisen erleichtern. Er fragte mich, ob ich schon gegessen hätte. Selbstverständlich könnte ich mit ihm nach Dhikala fahren. Mir fiel bei so viel Entgegenkommen nur ein, ihm vorzuschlagen, dass ich das Fahren übernehmen könnte, damit er die 50 km nach Dhikala ausspannen könnte. Er lachte. Bei der Beschaffenheit der vor uns liegenden Wegstrecke wäre an ein Ausspannen nicht zu denken. Er würde es vorziehen, selber zu fahren. Das sei weniger anstrengend, außerdem könnte er sich dabei besser festhalten.

 

Es stellte sich heraus, dass er recht hatte. Er kannte die Strecke schon. Das erste Teilstück führte durch eine malerische Hügellandschaft am Kosifluss entlang nach Dhangadhi am Parkeingang. Dort am Checkpost gab es auch ein kleines Museum mit drei ausgestopften Tieren von Respekt einflößenden Abmessungen. Den größten Tiger glaubte man 1923 vermessen zu haben. Dazu hat man ihn erlegen müssen. Von der Nase bis zur Schwanzspitze maß er 11 Fuß und fünfeinhalb Inch. Das sind dreieinhalb Meter. Er wog 590 lbs, mehr als fünf Zentner!

 

Der Corbett-Nationalpark wäre sinnigerweise wohl gar nicht gegründet worden, wenn es in dieser Gegend keine Massaker an den wilden Tieren gegeben hätte. In den dreißiger Jahren betrachteten es europäische Jägersleute und ihre indischen Nachahmer als Sport, möglichst viele Tiere in möglichst kurzer Zeit zur Strecke zu bringen. Dazu wurden sogenannte „Beats“ veranstaltet, Treibjagden, bei denen es darauf ankam, die Tiere schießgerecht auf einen ganz bestimmten Punkt zuzutreiben, wo die Kanoniere in Stellung gegangen waren. Normale, weise, richtige Männer erkannten bereits in den 30er Jahren, dass es mit dem Spaß an der Befriedigung der Jagdlust und anderer niederer Triebe bald ein Ende haben würde, wenn man ihm die Grundlage entziehen würde. Da man Indiens Wälder leer schoss, musste es bald aus sein mit dem „Sport“. Daher also das Wort vom „Sport“ als Mord.

 

Aber selbst, wenn man die Tiere schonte: Ein anderes Problem blieb. Die Wälder wurden weiter abgeholzt und nicht nachgepflanzt. Das Schicksal der Fauna hängt ab vom Zustand der Flora. Der Haileysche Nationalpark wurde deshalb im Jahre 1935 von Malcolm Hailey gegründet, um diese einmalige Naturgegend vor dem endgültigen Untergang zu bewahren. Er war somit der erste Nationalpark Indiens. Aber erst seit 1972 wurde im Kernbereich jegliche menschliche Aktivität, die irgendwie auf Nutzung oder Ausbeutung zielen könnte, vollends untersagt. Nur der Tourist als Naturliebhaber sollte einen Zugang erhalten.

 

Seitdem hat der Bestand an Tieren im Park, wie könnte es anders sein, stark zugenommen. Es gibt mittlerweile allein 90 Tiger im Park. Vor zwanzig Jahren waren es noch die Hälfte. 1954 wurde der Park in Ramnagar-Nationalpark umbenannt. Zwei Jahre später hieß er dann Jim-Corbett-Nationalpark, nach dem einflussreichsten Missionar für Wildlife Preservation in den 30er Jahren. Man kann seine Ehrung besser im Zusammenhang mit dem Gesinnungswandel all jener Shikars, das sind die Jägersleute, verstehen, die ihre Laufbahn als Naturliebhaber mit „Tiger shooting“ begannen, um dann viel später allenfalls noch mit der Kamera auf Tiere zu schießen. Eine Wandlung, die für manche Tierart leider zu spät kam. Hier der Originalton aus einer Biografie: „Nachdem er eine große Zahl Wildtiere erlegt hatte, gab er die Schießerei ganz auf und wurde ein großer Freund der Wildnis.“

 

Man sollte sich freuen über dieserart Reife und bedenken, ob der Mensch es nicht auch fertig-bringen sollte, auf anderen Gebieten, die etwas mit dem Umgang mit den Mitgeschöpfen zu tun haben, heranzureifen, um dann sagen zu können: „Nachdem ich in meiner Jugendzeit einer großen Zahl von Mitgeschöpfen Leid zugefügt habe, gab ich meinen ausbeuterischen Egoismus ganz auf und wurde ein großer Freund der Mitgeschöpfe.“

 

Der Corbett-Nationalpark liegt im bewaldeten Vorgebirge des Himalayas in den Distrikten Dauru, Garwhal und Nainital. Er umfasst 520 km²; Wobei nur der Kernbereich von 320 km², das Sanctum Sanctorum, vor jeder Störung geschützt wird. Weitere 300 km² sollen hinzugefügt werden. Das Gebiet ist auch bekannt unter dem älteren Namen Patalidun. Der Park wird vom Ramganga von Ost nach West durchflossen. Nördlich davon steigt das bewaldete Gebiet mit circa einem Drittel des Parks bis auf 1100 m Höhe an. Die übrigen zwei Drittel des Parks, südlich des Ramganga, weisen in ost-westlicher Richtung einen Höhenzug auf, der 6oo m Höhe erreicht.

 

Von Dhangadhi aus führte eine einstens geteerte, inzwischen mit unzähligen Schlaglöchern versehene Straße das Ramgangatal hinunter bis Dhikala. Das Gelände war sehr abwechslungsreich, stets hügelig und bewaldet. Die Straße zu bauen, musste ein hartes Stück Arbeit gewesen sein. Es ging zwischen Felsen hindurch, über Nalas, ausgetrocknete Flussläufe, und nirgendwo gab es eine Erholung für den Fahrer, von dem volle Konzentration gefordert war.

 

An einer Stelle, die man wegen der Limonenbäume Nimbu Bhoji nannte, bekamen wir die ersten Elefanten zu sehen. Wir störten sie bei der Ernte der Nimbus. Als wir uns im Schritttempo näherten, traten sie in aller Ruhe in den Waldschatten hinein, wo sie abwarteten, bis wir weitergefahren waren.

 

Wir waren nicht lange unterwegs, da fanden wir den Minibus der Parkverwaltung am Straßenrand stehen. Wir hielten an, denn das Fahrzeug hatte eine Reifenpanne. Ein Ersatzrad war da, aber kein Wagenheber. Wir konnten aushelfen.

 

Außer ein paar Parkangestellten war nur ein einziger Tourist an Bord und den kannte ich bereits. Der Engländer aus Birmingham hatte einen Gesichtsausdruck, als er mich sah, der etwas zwischen maßlosem Erstaunen und Zweifel an der Weltordnung auszudrücken schien. Er hatte sicher nicht erwartet, mich so schnell wiederzusehen!

 

Nachdem der Wagen wiederhergestellt war, fuhren wir voraus. Dies hatte den Vorteil, dass wir noch viele Tiere zu sehen bekamen, die sich auf der Straße aufhielten oder diese gerade überquerten. Sambar- und Chitalhirsche, Khakar, Pfauen und ein Stachelschwein, das direkt auf uns zukam, die Stacheln aufstellte und uns erst den Weg freimachte, als wir angehalten hatten. Stachelschweine am helllichten Tag, das konnte ja heiter werden, dachte ich. So licht blieb es nicht mehr lange, denn als wir in Dhikala ankamen, war es schon dunkel.

 

Meine Suite war geräumig und hatte sogar einen Sekretär aus Teakholz aufzubieten. Mein Vorschlag, das Zimmer mit den Kindern zu teilen, fand bei Mr. Sesham keine Zustimmung. Stattdessen musste ich zusagen, die Familie auf einer Ausfahrt durch den Park zu begleiten.

 

Er hieß mich, mich auf einen der Lehnsessel zu ihm auf die Veranda zu setzen. Seine Frau sagte ihm beim Hinausgehen, sie würde uns einen Tee bringen. Dazu hatte sie aber zur Kantine hinüberzugehen. Mr. Sesham muss mein Erstaunen über das gastfreundliche Verhalten dieser modernen indischen Frau bemerkt haben. Auf Nachfragen sagte ich, dass es gut sei, eine Frau zu haben, die das Rechte tat, ohne dass der Mann es ihr noch sagen müsste. Das nötigte ihm ein zustimmendes Lachen ab.

 

Ich kannte ja die Geschichte von dem Weber Tiruvalluvar, einem Mann, der wegen seiner Weisheit berühmt war. Dessen Gast hatte ihn gefragt, ob es weise wäre, sich eine Frau zu nehmen. Daraufhin rief der Weber seine Frau und fragte sie, ob sie eine Lampe bringen könnte. Es war aber helllichter Tag. Seine Frau brachte wortlos, aber freundlich lächelnd, das Gewünschte. Der Gast verstand, wenn er eine Frau mit solchen Eigenschaften finden würde, wäre es besser zu heiraten, sonst nicht.

 

„Ich denke, Sie haben eine weise Frau“ sagte ich, „denn ich denke, dass die Bereitschaft, für die Wünsche anderer da zu sein, ein Merkmal wirklich weiser Menschen ist.“

 

Daraufhin entgegnete mir Mr. Sesham:

 

„Weise sein ist gut. Weise werden ist besser. Groß wird der Mensch aber dann, wenn er selbstlos handelt und ein hohes Ziel in seinem Tun findet. Wünsche, die berechtigt sind, werden sich dann einmal für alle erfüllen können.“

 

„Es gibt wahrlich kein größeres Ziel, das man sich setzen kann!“, stimmte ich zu. Wünsche, die berechtigt sind! Leider verstehen die Menschen darunter nicht alle das Gleiche.

 

Der Inder hat bisweilen eine entwaffnende Offenheit. Wenn er wissen will, wie er vor dem anderen dasteht, lacht er dazu, in kluger Voraussicht, dass er seltener die Wahrheit, öfter Schmeicheleien zu hören bekommt, weil doch jeder auf seinen Vorteil aus ist und vorausberechnet, was es ihm einbringen könnte. Mr. Sesham lachte auch, als er mich fragte, was ich über einen Mann dachte, der eine weise Frau hatte.

 

„You are a true man!“, sagte ich.

 

Aber er wollte wissen, was ein richtiger Mann sei. Etwa ein Mann, der weise ist bei der Wahl seiner Frau? Ich sagte ihm, dass ich mir nicht sicher sei, ob nur weise Männer weise Frauen wählten, da ich schon die Gültigkeit der Behauptung bestätigt gefunden hätte, dass die weisesten Männer bei Frauen zu Narren würden und die närrischsten Frauen bei Männern sehr weise würden. Deshalb würde man auch oft närrische Frauen mit weisen Männern finden und weise Männer, die sich zum Narren gemacht haben. Ich versicherte ihm aber, dass ich einen richtigen Mann auch immer für einen weisen Mann hielte. Dass das Deutsche hier mit einer Besonderheit aufwarten konnte, ersparte ich den Zuhörern an der Stelle. Da ist nämlich ein richtiger Mann jemand, in dem schon etwas Tigerhaftes drinsteckt, rein sprachlich, denn er ist ja ein rich“TIGER“ Mann. Deutsche Sprache – wunderbare Sprache. Die Sprache der Dichter und Denker, die zum richtigen Denken und Dichten erzieht! Aber nur, wenn man sich erziehen lassen will!

 

„So what is a true man and a wise man?“, fragte er nochmals.

 

„In einem richtigen Mann gibt es keine Weisheiten und Erkenntnisse, vor denen er sich fürchten müsste, weil sie zu schwer verständlich oder zu fordernd wären. Furcht kommt aus dem Unglauben, dass es ein Erkennen des Richtigseins überhaupt geben dürfe. Ein richtiger Mann soll mannhaft sein. Für die alten Griechen waren Mannhaftigkeit, Mut, Tapferkeit und Kühnheit ein und dasselbe, was sie mit dem gleichen Wort „andreios“ umschrieben. Ich meine aber mit Mut das Verbleiben beim rechten Denken und Handeln ...“

 

„Ein richtiger Mann“, unterbrach mich Mr. Sesham, „ein richtiger Mann hat nur ein höchstes Ziel, nämlich dem großen Ziel der Vereinigung mit Gott näher zu kommen.“

 

„Wenn das stimmt, dann muss dieses höchste Ziel aber mit der Vervollkommnung des Menschen einhergehen!“

 

„Keine Ausreden und Entschuldigungen über eigene Schwächen?“

 

„Hat Gott Schwächen?“, lautete meine Gegenfrage.

 

„Nein, er hat nur Qualitäten!“

 

„Dann kann auch der richtige Mann nur vollkommene Qualitäten anstreben wollen. Das ist das Mindeste. Jemand, der nicht an seiner Vervollkommnung interessiert ist, der ist deshalb kein richtiger Mann, weil er noch gar nicht erkannt hat, warum er überhaupt zwei Beine bekommen hat, mit denen er sich in eine bestimmte Richtung begeben soll, und warum er zwei Hände bekommen hat, mit denen er anderen Menschen bei ihrem Gang helfen soll, indem er ihnen die richtige Richtung zeigt.“

 

„Nur wer in Gott ist, kann mutig sein. Denn er kennt das Ziel und weiß, dass er es erreichen wird.“

 

„Sie sind ein weiser Mann. Ich freue mich, einen Inder kennenzulernen, dem das höchste Wesen nicht ein qualitätsloses Sein ist wie vielen Indern, die sich dann auch so verhalten, als ob sie einem qualitätenlosen Gott huldigen würden.“ Das war vielleicht ein wenig zu hart von mir. Das störte Mister Shesham aber nicht, denn er hatte noch härtere Wahrheiten zu bieten:

 

„Dafür opfert ihr Europäer euren eigenen Göttern, und die haben schlechte Qualitäten, Selbstsucht, Gier, Lustbefriedigung.... Das Gute wird mit dem Bösen verwechselt. Das ist auch nicht besser, als Gutes und Böses gleichgültig zu bewerten. Menschen, die nicht viel von höheren Dingen verstehen, bringen alle diese Begriffe durcheinander. Sie erklären das für gut und schön, was sich nur da, wo es hingehört, wirklich gut und schön auswirken kann. Die Europäer sind lustorientierte Menschen. Sie wollen die Befriedigung ihres Verlangens gleich. Besonders eure jungen Menschen. Sie können nicht warten. Aber alles, was gut und schön ist, kann nur dann zu etwas Wertvollem werden, wenn es auf die rechte Weise auswächst. Wer das nicht beachtet, der beraubt sich selbst. Den Menschen fehlt ja das Vertrauen in jeden anderen als sich selber und deshalb wollen sie auch keine höheren Ordnungen erkennen, die es zu beachten gilt, wenn man wirklich auf lange Sicht dauerhaftes Glück erleben will. Man nimmt sich dann alles, was man meint, kriegen zu können, ohne die Folgen zu bedenken. Wer sich verbotene Früchte nimmt, kann nicht auf den rechten Geschmack kommen.“

 

„Reden Sie von der wahren Liebe?“

 

„Auch Liebe ist eine dieser Qualitäten, die der Mensch erlernen muss. Deshalb ist auch die Not unter den Menschen so groß. Sie machen sich unglücklich, obwohl sie es gut meinen, obwohl sie doch alle so sehr ihr Glück machen wollen. Aber das können sie eben gerade nicht. Der Mensch funktioniert nicht ohne die Gesetzmäßigkeiten, die er dauernd ignoriert. Er ist dann im Grunde wie ein Dauersäufer, der ständig herumlallt, dass er kein Trinker sei.“

 

„Das habe ich mit dem Mut eines wahren Mannes gemeint. Es gehört Mut dazu, sich den Anforderungen zu einem höheren Menschsein zu stellen. Man darf nicht bei seinen unterentwickelten Qualitäten stehenbleiben. Man muss das Minderwertige in sich begraben wollen. Dazu gehört Charakterstärke und Standhaftigkeit. Das sind männliche Attribute! Wer Stand hat, ist stark genug, nicht umzufallen oder vor Ermüdung zusammenzusinken. Männlichkeit sollte sich in dem Mut zur Wahrhaftigkeit ausdrücken und in dem Mut, das, was man als wahr und recht erkannt hat, zu verteidigen und zu befolgen. Dies erfordert viel Tapferkeit. Dies vor allem auch deshalb, weil das, was einen ganzen Mann mit einem Herzen aus Gold ausmacht, sich nicht mit dem deckt, was in der weltlichen Werbung als Mann dargestellt wird. Die wahren Werte eines Menschen kommen erst dann zu ihrer Geltung, wenn die Schwachheiten des weltlichen Geschmacks unter Belastungen zusammenbrechen und sich als Täuschung herausstellen. Im normalen Leben, ohne Belastungen, können Fassaden etwas vortäuschen, was in Wirklichkeit keinen Wert hat. Wenn aber die Lügengebäude aus Täuschung und Selbsttäuschung Belastungsproben ausgesetzt werden, fallen sie zusammen. Aber der wahre Mann bleibt stehen. Standfestigkeit hat allein er. Ein Mann sollte deshalb kein von weltlichen Einflüssen hin- und hergerissener Zauderer sein, der Angst davor hat, Entscheidungen zu fällen, die ihn vielleicht auf Konfrontationskurs mit den wider ihn gerichteten Mächten bringen oder auch nur vor allzu menschliche Herausforderungen stellen. Zu einer solchen Geisteshaltung gehört auch der Mut, im äußeren Wandel das Ideal zu verkörpern. Man muss dazu bereit sein, die eigenen Schwachheiten tragen zu lernen, solange man sie noch nicht abgeworfen hat, denn das Ideal wird erst sichtbar und herrlich dargestellt, wenn es aus der Tiefe des Menschseins emporwächst. In Niederlagen, Anfechtungen und Schicksalsschlägen zu sagen: „Jetzt erst recht bin ich dem Ideal treu und zugetan!“ Das ist mannhaft. Aus diesem Holz geschnitzt sind wahre Männer!“

 

Inzwischen war Mrs. Sesham unbemerkt aufgetaucht. Während sie den Tee servierte, fragte sie schmunzelnd:

 

„Sollen Frauen auch mannhaft sein? Oder gibt es eine bessere Wiedergeburt nur für Männer?“

 

„Ich denke, auch Frauen müssen mutig und unerschrocken sein!“, sagte ich und Mr. Sesham wandte lachend ein:

 

„Aber viele Frauen sind einfach nur entmutigend schrecklich!“

 

„Weil sie keine Qualitäten haben?“, fragte Mrs. Sesham.

 

„Wohl eher, weil sie ihre Qualitäten verkümmern lassen!“

 

Darauf sie wieder:

 

„Auch Frauen müssen mutig und stark sein, besonders, wenn sie es mit Männern zu tun haben, denen diese Attribute fehlen.“

 

Damit hatte sie die Lacher nun auf ihrer Seite.

 

Man bat mich noch zu bleiben, aber ich hatte mich noch nicht bei der Rezeption angemeldet. Das fiel mir ein, als ich Darren beim Vorbeigehen mir zuwinken sah. Ich verabschiedete mich und sagte ihnen zu, später noch einmal bei ihnen zu sitzen.

 

An der Rezeption von Dhikala, einem kleinen Büro, dessen einziger Schmuck ein vergilbtes Schwarz-Weiß-Foto von einem Tiger war, war auch zu erfahren, wie das touristische Programm in Dhikala aussah. Es beinhaltete Ausritte mit Elefanten am frühen Morgen und am späten Nachmittag. Sofern man ein eigenes Fahrzeug hatte, konnte man den Park auf bestimmten Routen erkunden. Dazu musste man einen Parkranger mitnehmen.

 

Ich erkundigte mich auch, ob Streifzüge zu Fuß erlaubt waren. Der Ranger musterte mich stirnrunzelnd und fragte, ob ich ein „scientist“ oder „researcher“ oder „something like that“ wäre, woraufhin ich antwortete „some kind of something like that, but surely also a researcher“. Woraufhin er sagte:

 

„You bedder keep on de way gloos do the dourist gomblex, now we do nod encourage gohing oudside! “

 

In der unmittelbaren Umgebung von Dhikala wurden Spaziergänge geduldet. Zur Mittagszeit, nach der morgendlichen Aktivität, würde sich wegen der Hitze ohnehin niemand weit wegbegeben und am Abend hätte man die Dunkelheit zu fürchten. Trotzdem hieß es, man solle sich möglichst nur in Begleitung eines Rangers außerhalb des Touristenkomplexes bewegen. „Spaziergänge!“ Ich machte ja immer nur Spaziergänge, denn ich dachte nicht daran, herum zu rennen!

 

An der Rezeption stellte sich heraus, dass Darren Roberts über eine Art von Humor verfügte, die er allem Anschein nach mit den Garwhalis teilte. Der Ranger, der unsere Personalien festzuhalten hatte, brachte uns zunächst nicht sehr viel Interesse entgegen. Er änderte seine Haltung schnell.

 

Die Inder machen im Allgemeinen gern von der englischen Sprache Gebrauch. Die Aussprache bereitet ihnen die meisten Probleme. Ich habe umgekehrt versucht Hindi, das in Nordindien gesprochen wird, zu lernen, weil man sich dadurch bei den Indern wohlwollende Aufmerksamkeit zuziehen kann, was eine Reihe von Vorteilen einbringt. Ich begrüßte also den Ranger in Hindi.

 

„Dhikala apka swagat karta hai!“

 

„Dhikala heißt sie willkommen!“, bekam ich zur Antwort. Darren verstand natürlich nichts. Ich habe mir von Engländern sagen lassen, dass sie ungern Fremdsprachen lernen, weil sie keinen Sinn darin sehen, wo doch alle Welt Englisch spricht. Hier hatte ich jedenfalls die Übersetzungsarbeit zu leisten, nachdem ich schon einmal auf Hindi angefangen hatte!

 

Ich klärte Darren auf, dass sich der gütige Mann in aller Höflichkeit danach erkundigte, was er für uns tun könnte.

 

„Ich möchte das von mir gebuchte Apartment beziehen, sag ihm das!“

 

„Mujhe singal kamra chahiye!“

 

Natürlich grinste mich der Ranger an. Wir hatten unsere Passierscheine, worauf unsere Unterkünfte aufgeführt waren. Und der Engländer, das war klar, würde mit der Blockhütte, einem Schlafhaus der untersten Kategorie mit einem Brettergestell als Liege, Vorlieb nehmen müssen. Der Ranger sagte Darren, was ihn erwartete, auf Englisch mit einem starken Garwhaliakzent, was ich besser verstand als Darren. Der sagte nun in fingiertem Oxfordenglisch mit starkem Midlandsakzent:

 

„Excellent! Ich bin über die Maßen glücklich! Könnte einer Ihrer Angestellten mein Gepäck aus dem Taxi laden und in mein Zimmer bringen?“

 

Für den Ranger war Englisch als ehemalige Kolonialsprache immerhin noch Handelssprache in Indien, aber darum eben auch eine Sprache zum Händeln. Seine Kenntnisse davon waren eher bescheiden, weil man sie in diesem Landstrich Indiens nicht benötigt. Das, was man Touristen unbedingt sagen muss, ist wenig. Ihm gefiel es daher, dass ich dolmetschend vermittelte. Das war einmal etwas Anderes!

 

Allein mein Hindi musste ihm merkwürdig in den Ohren klingen. Es schien ihm sogar mehr Spaß zu machen als die Beantwortung unserer Fragen.

 

„Texi se saman utaro aur mere kamre men rakkho.“

 

„Frag’ ihn, welches das Hauptgeschäftszentrum hier ist. Er soll mir einige zuverlässige Läden vorschlagen. Ich gedenke morgen einkaufen zu gehen.“

 

„Yahan ka mashur bazar kaunsa hai? Muhje koi...äh...bharose? Layak dukan battao! “

 

Der Ranger folgte jedem meiner Worte wie gebannt, und ich achtete auf sein Minenspiel, um herauszubekommen, wann ich irgendetwas Falsches sagte.

 

Anscheinend war alles falsch! Nein, doch nicht!

 

„Hwar ko bazar band rehta hai!“ Das klang althochdeutsch und sollte bedeuten:

 

„Sonntags ist geschlossen. Morgen ist Sonntag.“

 

„Na gut. Welche anderen Annehmlichkeiten gibt es in diesem Hotel? Gibt es ein Schwimmbad?“, fragte Darren nicht allen Ernstes.

 

„Apke hotal men an kya suvidhaen hain? Kya yahan swimming pul hai?“

 

„Jihan, hai!“

 

„Ja, wir haben eines“, gab der Ranger zu unserem Erstaunen zurück. Er meinte aber nur den Ramganga, der Darren zu reißend war, obwohl er ihn noch gar nicht gesehen hatte. Jetzt vor dem Monsun konnte er nicht reißend sein. Tatsächlich glich er eher einem Rinnsal. Darren gab sich nicht geschlagen.

 

„Welche Sehenswürdigkeiten gibt es sonst noch hier? Ich möchte einen Stadtplan und einen Guide!“

 

„Yahan kaumsi yagah dekhneki hain? Muhje shahar ka nakscha eksaid chaiye?“

 

Er wollte auch noch wissen, welche Art der Unterhaltung es hier gab. Immerhin waren abends Filmvorführungen vorgesehen. Ich fand nun, dass der Spaß allmählich auf meine Kosten ging und sagte dem Ranger auf Englisch, obwohl es mehr für Darren bestimmt war:

 

„Mein Herr, ich möchte Ihnen auf dem Weg der Völkerverständigung gerne dienlich sein. Und gerade deshalb möchte ich Ihnen entgegenkommen, indem ich des Weiteren nur noch in englischer Sprache mit Ihnen verkehren werde, zumal dies die Verkehrssprache dieses Landes ist und meine bescheidene Hindiartikulation bei Ihnen vermutlich, wenn nicht auf taube, so doch sicherlich auf angestrengte und irgendwann einmal auf überanstrengte und ablehnende Ohren stoßen wird. Ich werde Ihnen solche Anstrengungen ersparen, umso mehr, als mein Sprachvermögen eine ständige Quelle der Missverständnisse sein muss!“

 

Als wir das Büro verließen, drehte sich Darren noch einmal um:

 

„Gibt es einen Naturschutzpark in der Nähe?“

 

Dhikala bot eine Überraschung. Es gab dort nur wenige Touristen. Die Unterkünfte standen leer. Die Blockhütte von Darren hatte 24 Schlafplätze, aber sie gehörten allesamt Darren. Hinter dieses Geheimnis sollte ich noch kommen. Mir schien, nicht früh genug, denn mir war klar, dass das einen bestimmten Grund hatte, der die Parkleitung dazu gebracht hatte, auf die so notwendigen Einnahmen aus dem Tourismus verzichten zu wollen. Es stellte sich bald heraus, dass der Park deshalb keine Besucher hatte, weil ein Tiger einen Menschen angefallen hatte und man sich noch nicht entschlossen hatten, wie es mit dem Tiger, der noch frei herumlief, weitergehen sollte. In solchen Fällen kamen drei Optionen in Frage. 1. Nichts tun, in der Hoffnung, dass der Tiger nicht weiter auffällig sein würde. 2. Einfangen und an einen Zoo abgeben, wo er natürlich eine Attraktion gewesen wäre. 3. Den Tiger töten. Für welche dieser Optionen man sich entscheiden würde, hing davon ab, was den Tiger zu seinem Angriff auf den Menschen gebracht hatte. War es eine unglückliche Folge von Ereignissen? Hatte es das Fehlverhalten von Menschen als Auslöser? War der Tiger ein altes oder krankes Tier?

 

Man bezeichnet menschenfressende Tiger als „Maneater“. Wie wird ein Tiger zu einem solchen „Fressfeind“ des Menschen? Jedenfalls durch Umstände, die in einem normalen Tigerleben gar nicht vorkommen! So viel weiß man sicher, ansonsten streiten sich erstaunlicherweise die gelehrten Geister immer noch. Wie wird ein Tiger dazu veranlasst, fremdartige Nahrung zu sich zu nehmen? Das englische Wort „diet“ für diese Art der Nahrung lässt anklingen, dass der Tiger es nötig zu haben scheint, sich auf relativ magere Kost umzustellen. Bei den nämlichen Umständen handelt es sich um äußerst „widrige“ Umstände, in den meisten Fällen um Verwundungen, die ihm vom Menschen beigebracht wurden. Sie erschweren dem Tier die Jagd nach den gewohnten Beutetieren. Das gilt umso mehr, wenn die menschlichen Einflüsse in seinen Lebensraum ein ungestörtes Tigerleben nicht mehr möglich machen.